Rede von
Dr.
Heinrich
Deist
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um den Rahmen meiner Ausführungen abzugrenzen und Raum zu bekommen für die Behandlung der konkreten Fragen, die in der augenblicklichen Situation zur Diskussion stehen, möchte ich mit einigen grundsätzlichen Feststellungen beginnen, über die, soweit ich sehen kann, Übereinstimmung besteht, so daß sie — jedenfalls
soweit die Sozialdemokratische Partei in Frage kommt — keiner weiteren ausführlicheren Erörterung bedürfen.
Zunächst möchte ich erklären: Wir sind stolz darauf, hier in Berlin feststellen zu können, daß die einmalige Entwicklung der deutschen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren die Frucht einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung war, die auf dem Fundament der Freiheit beruht.
Diese Entwicklung wäre ohne die gemeinsame Arbeit aller Schichten der Bevölkerung nicht möglich gewesen,
aber auch nicht möglich gewesen ohne das politische Kräftespiel der verschiedenen politischen Gruppen, das zu den wesentlichen Grundelementen der politischen Demokratie gehört.
Ich möchte den Gedanken unterstreichen, daß die Sicherung der Stabilität der Währung eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Wirtschaftspolitik ist.
Alle unsere bisherige Arbeit wäre vergebens gewesen, wenn wir diesem Gedanken nicht unsere ganze Aufmerksamkeit widmeten.
Wir werden daher alle Bemühungen unterstützen, die Stabilität der Währung zu sichern.
Ich möchte aber ergänzend sagen: Die Sozialdemokratie ist sich bei der Stellung ihrer Anträge zur augenblicklichen Konjunkturdebatte dieser ihrer Verpflichtung durchaus bewußt gewesen, und sie nimmt für sich in Anspruch, daß sie diesen Gesichtspunkt der Stabilisierung der Währung bei ihren Anträgen berücksichtigt hat.
Eine dritte Feststellung. Wir leben im Zeichen einer Wirtschaft, die auf hohen Touren läuft. Wir stimmen darin überein, daß es falsch wäre, von einer Überhitzung der allgemeinen Konjunkturentwicklung zu sprechen.
Die Tatsachen können noch nicht als alarmierend angesehen werden.
Aber das Problem, vor dem wir stehen, besteht darin, daß es erhebliche Spannungen in der Wirtschaft gibt und daß es unsere Aufgabe ist, diese Spannungen zu beseitigen.
Das Wirtschaftssystem der freien Welt kann sich nicht nur darin bewähren, daß in seinem Rahmen ein wirtschaftlicher Aufschwung aus der Tiefe möglich ist, sondern es hat sich darin zu bewähren, daß es einen hohen Grad der Beschäftigung bei stabilem Preisniveau und bei stabiler Währung erhalten und sichern kann.
Damit komme ich zu den konkreten Problemen, die heute und morgen vor uns stehen. Die Entwicklung der letzten Monate etwa seit der Mitte des vergangenen Jahres ist durch drei Tatsachen gekennzeichnet.
Die starke, steigende Expansion hat die Ungleichgewichte, die in der deutschen Wirtschaft bestehen, verstärkt. Zu diesen Ungleichgewichten gehört die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitions- und der der Verbrauchsgüterindustrie; dazu gehören auch gewisse Spannungen in der Rohstoffversorgung.
Die hohe Beschäftigung, die wir in gewissen zentralen Gebieten der Wirtschaft zu verzeichnen haben, hat zum Ergebnis geführt, daß hier keine großen Reserven an Arbeitskräften mehr vorhanden sind, d. h. daß die Position der Tarifpartner am Arbeitsmarkt verändert ist.
Und eine weitere Feststellung! Insbesondere in der Investitionsgüterindustrie hat die große Nachfrage dazu geführt, daß kein Überangebot mehr vorherrscht, so daß sich hier nunmehr auch die Preissituation am Markte verändert hat.
Meine Damen und Herren, das sind bei hoher Beschäftigung normale Erscheinungen, und die Zeiten, in denen wir preisend mit viel schönen Reden die Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft begleiten konnten, sind vorbei.
Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, wirtschaftspolitisch zu handeln.
Dabei möchte ich auf einen Gesichtspunkt besonders hinweisen: Es handelt sich nicht um einen Ausnahmezustand, dem man mit Ausnahmemitteln begegnen könnte, sondern es handelt sich um einen normalen Zustand in einer hochbeschäftigten Wirtschaft, bei dem es darauf ankommt, das normale Instrumentarium der Wirtschaftspolitik zu entwickeln, um den Schwierigkeiten zu begegnen, die eine hohe Beschäftigung nun einmal aufwirft.
Gestatten Sie mir, daß ich hierzu einige wichtige Daten anführe, weil mir eine globale Behandlung der augenblicklichen konjunkturellen Situation nicht ausreichend erscheint. Das wichtigste Ungleichgewicht, das die Wirtschaft heute aufweist, ist das Ungleichgewicht zwischen der Entwicklung der Investitionsgüterindustrie und der der Verbrauchsgüterindustrie. Während sich die Produktion der Gesamtindustrie im Laufe des letzten Jahres um 17 % erhöht hat, ist die Verbrauchsgüter-industrie mit einer Zuwachsrate von 10 % erheblich zurückgeblieben; demgegenüber hat die Investitionsgüterindustrie eine Zuwachsrate von 25 % im ersten Halbjahr 1955 und von mehr als 27 % im August dieses Jahres zu verzeichnen.
Entsprechend haben sich die Bruttoanlageinvestitionen entwickelt. Der Anteil der Anlageinvestitionen am gesamten Sozialprodukt ist seit dem Jahre 1951 ständig stark gestiegen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die augenblickliche Investitionsquote mit 27 % angegeben. Meine Damen und Herren, es gibt natürlich keine ewig und allgemein gültige Relation zwischen Investitionen und dem Sozialprodukt. Aber alle ernsthaften Beobachter der konjunkturellen Situation sind sich darin einig, daß unsere Investitionsquote für normale Verhältnisse überhöht ist.
Die Entwicklung der Investitionsquote erklärt sich selbstverständlich aus dem großen Nachholbedarf nach dem Kriege. Danach mußte die Investitionsquote in der ersten Zeit höher sein als normal. Aber seit dem Jahre 1953 steht das Problem vor uns, wiederum ein Gleichgewicht zwischen Investition und Verbrauch herzustellen. Meine Damen und Herren, das ist keine neue Erkenntnis. Im zweiten Quartal des Jahres 1953 haben wir erstmals einen großen Versuch gemacht, die Nachfrage, den privaten Bedarf durch erhebliche Konsumstöße anzuregen und damit zu einer Steigerung der Verbrauchsgüterproduktion zu kommen. Im zweiten Quartal des Jahres 1953 haben die Erhöhung der Beamtengehälter, die Erhöhung der Renten, die kleine Steuerreform und die ersten großen Vorschußzahlungen aus dem Lastenausgleich zu einer erheblichen Steigerung der Massenkaufkraft geführt. Das Ergebnis dieser Maßnahmen war, daß sich eine stärkere Nachfrage nach Konsumgütern geltend machte und daß wir erstmals Ansätze zu einer Verbrauchskonjunktur zu verzeichnen hatten.
Es ist bedauerlich, daß es bei diesem einmaligen Impuls geblieben ist. Weitere Impulse zur Anregung der Verbrauchsgütererzeugung wurden jedenfalls durch die Wirtschaftspolitik nicht ausgelöst, und seither, seit dem Ende des Jahres 1953, wird unsere Konjunktur wieder einseitig durch die Investitionsgüterindustrie getragen. Seit dem Ende des Jahres 1953 steht daher stetig stärker das Problem vor uns, dieses Mißverhältnis zu beseitigen.
Meine Damen und Herren! Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, der Kollege Ollenhauer, hat in seiner Antwort auf die Regierungserklärung am 28. Oktober 1953 folgendes ausgeführt:
In der heutigen Situation wird der Ansatzpunkt für eine Ausweitung der Wirtschaft in erster Linie auf dem Gebiet der Konsumgüterindustrie liegen müssen.
Und achten Sie bitte auf den nächsten Satz:
Die erforderliche Stabilität der Wirtschaft kann daher nur durch ein harmonisches Entwicklungsverhältnis von Konsumgüter- und Investitionsgüterindustrie erreicht werden. Hierzu bedarf es des konstruktiven Einsatzes der wirtschaftspolitischen Mittel, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen.
Das ist dieselbe Forderung, meine Damen und Herren, die heute wiederum erhoben werden muß.
Im Laufe des Jahres 1954 haben die konjunkturwissenschaftlichen Institute in einem gemeinsamen Gutachten darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, wieder ein normales Wechselspiel zwischen Verbrauch und Investitionen herbeizuführen. Seither haben wir eine ständige Diskussion darüber, daß der private Verbrauch und die Verbrauchsgüterindustrie zurückstehen. Viele kompetente Stellen haben sogar auch im Jahre 1954 sehr ernsthafte Überlegungen angestellt, ob nicht Lohnsteigerungen das notwendige Korrekturelement sein müßten, um eine Ausweitung der Produktion in der Verbrauchsgüterindustrie anzuregen. Die Öffentlichkeit hat davon keine Kenntnis genommen. Die Bundesregierung — wir wissen nicht, ob sie Kenntnis genommen hat — hat jedenfalls keine wirtschaftspolitischen Konsequenzen gezogen.
Die steigende Diskrepanz zwischen Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie birgt nunmehr so große latente Gefahren in sich, daß ihr mit energischen Mitteln entgegengewirkt werden muß.
Die amtliche Konjunkturberichterstattung und auch ein Teil der privaten Konjunkturberichterstatter glaubten im zweiten Quartal dieses Jahres feststellen zu können, daß im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung allmählich auch die Konsumgüterindustrie wieder nachziehe und den Anschluß an die allgemeine Entwicklung finde. Die zwischenzeitlichen Feststellungen insbesondere über die Entwicklung im Juli und August haben gezeigt, daß es sich hier um eine vorübergehende, wahrscheinlich nur saisonal zu erklärende Entwicklung gehandelt hat. Es ist der Lagebericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers vom August, der sehr deutlich ausführt, daß von einem starken konjunkturellen Nachziehen, von neuen Impulsen für die Wirtschaftsentwicklung von seiten der Konsumgüterindustrie keine Rede mehr sein könne. Das Problem steht daher genauso wie Ende 1953, nur in verschärfter Form, vor uns.
Das Ergebnis dieser kurzen Analyse ist, daß in der Produktions- und Investitionsgüterindustrie die Grenzen der Kapazität weithin erreicht sind, so daß das Angebot geringer als die Nachfrage ist. Es zeigen sich jetzt deutlich Versorgungsengpässe: der allgemeine Versorgungsengpaß Kohle, der besondere Versorgungsengpaß Baustoffe für die Bauwirtschaft. Außerdem treten in diesen Zweigen der Wirtschaft starke Spannungen am Arbeitsmarkt auf. Die Verbrauchsgüterindustrie zeigt demgegenüber ein anderes Bild. Im ganzen können wir sagen, daß die Kapazitäten der Verbrauchsgüterindustrie nicht voll ausgenutzt sind. Dabei darf man sich nicht davon verleiten lassen, daß naturgemäß im Augenblick im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft bei den Verbrauchsgüterindustrien eine verhältnismäßig hohe Beschäftigung herrscht. Die Investitionen in der Verbrauchsgüterindustrie stagnieren im Schnitt seit dem Jahre 1950. Das Angebot an Verbrauchsgütern ist — natürlich bei Differenzierungen hier und dort — größer als die Nachfrage. Auch die Arbeitsmarktprobleme sind auf dem Gebiet der Verbrauchsgüterindustrie geringer. Im Juli 1955 betrug die Arbeitslosenquote bei den bergmännischen Beschäftigten 0,3 %, in der Produktions- und Investitionsgüterindustrie 1,2 %, dagegen in der Verbrauchsgüter-, Nahrungs- und Genußmittelindustrie 4 %. Auf dem Gebiet der Konsumgüterindustrie sind überdies größere Reserven auf dem Markt der weiblichen Arbeitskräfte vorhanden als z. B. für die Produktions- und Investitionsgüterindustrie.
Aus dieser verschiedenen Situation der beiden Wirtschaftsbereiche ergeben sich unterschiedliche Folgen für die Preisbildung. Das Bundeswirtschaftsministerium hat im August dieses Jahres in seinem Lagebericht über die Erzeugerpreise festgestellt, daß die Preise der Grundstoffe und Produktionsgüter gegenüber dem Vorjahr um 7 %, die der Investitionsgüter um 2,5 %, in der Bauwirtschaft um 11 %, dagegen die Preise der Verbrauchsgüter nur um 0,7 % gestiegen sind.
Was ist das Fazit, das wir aus diesen Zahlen zu ziehen haben? Diese Übersicht zeigt, daß im Rahmen der Produktions- und Investitionsgüterindustrie der automatische Preismechanismus nicht mehr funktioniert, daß den zunehmenden Preis-
erhöhungen nicht mehr in dem Ausmaß, wie es möglich und notwendig wäre, Preissenkungen gegenübertreten, so daß wir generell mit einem steigenden Preistrend zu rechnen haben. Hingegen können wir feststellen, daß in der Konsumgüterindustrie keine wesentlichen Veränderungen des Preisstandes erfolgt sind. Wir dürfen uns diese Tatsache auch nicht durch die Erkenntnis verschleiern lassen, daß der Lebenshaltungsindex sich anders entwickelt hat; denn in dem Lebenshaltungsindex spielen die Ausgaben für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die um 3 % im Laufe eines Jahres gestiegen sind, sowie Hausbrand und Miete eine entscheidende Rolle, so daß für das Ende des Jahres 1955 mit einer Steigerung der Lebenshaltungskosten um insgesamt 3 % gerechnet wird.
Nun scheint mir eines interessant zu sein. Dieser Entwicklung auf dem Gebiet der Produktion entsprechen ähnliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Einkommensströme. Die Frage der Einkommensströme, also die Frage der Lohnquote, des Sozialeinkommens und der Selbständigen-Einkommen, ist Gegenstand großer öffentlicher Auseinandersetzungen. Man kann nur bedauern, daß man sich in der Regel in diesen Auseinandersetzungen nicht die Mühe gibt, von den feststehenden Tatsachen auszugehen, über die die Konjunkturstatistik eindeutige Aussagen macht. Ich sehe mich daher genötigt, hierzu einige Worte zu sagen.
Die Lohnquote, das ist also der Anteil der Lohn- und Einkommensbezüge am Gesamtsozialprodukt, hat sich im Laufe der letzten Jahre nicht wesentlich verändert. Sie bewegt sich zwischen 40 und 41 % des Nettosozialprodukts. Wir haben aber im ersten Halbjahr 1955 erstmalig ein Absinken der Lohnquote gegenüber dem ersten Halbjahr 1954 zu verzeichnen, und das ungeachtet der Lohnbewegungen, die im Laufe des Jahres 1954 und im Laufe des ersten Halbjahrs 1955 durchgeführt wurden. Die Konjunkturwissenschaftler sind der Auffassung, daß die Lohnquote im gesamten Jahr 1955 voraussichtlich niedriger sein wird als im Jahre 1954.
— Herr Kollege, ich habe soeben darauf hingewiesen. daß diese Voraussage auf verhältnismäßig eindeutigen konjunkturstatistischen Feststellungen beruht, und ich würde es sehr begrüßen, wenn wir in der Diskussion gemeinsam von festgestellten Tatsachen und nicht von Ressentiments ausgehen könnten.
Meine Damen und Herren! Dabei ist noch eines zu beachten. Wir haben nämlich eine strukturelle Veränderung im Beschäftigtenstand zu verzeichnen. Sie geht dahin, daß der Anteil der Unselbständigen an den Beschäftigten ständig steigt, so daß wir tendenziell eine steigende Lohnquote haben müßten. Wenn man diese Dinge objektiv beurteilt, so kann man von einer konjunkturellen Übersteigerung des Lohnniveaus in keiner Weise sprechen. Wir müssen vielmehr feststellen, daß es durch die Tarifbewegungen des letzten Jahres höchstens gelungen ist, den Anteil der Lohn- und Gehaltseinkommen am Sozialprodukt knapp zu halten. Unter diesen Umständen ist es sehr bemerkenswert, daß der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie am 4. Oktober in Hamburg von einer relativen Überhöhung des Anteils des Sozialprodukts, der auf die Unselbständigen entfällt, sprechen konnte. Meine Damen und Herren, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie braucht anscheinend nicht zu wissen, daß das Nettosozialprodukt je Beschäftigter um 6,6 % gestiegen ist, der Lohnanteil je Beschäftigter jedoch nur um 6,4%. Er braucht nicht zu wissen, daß der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände noch Ende September davor gewarnt hat, die Lohnbewegung zu dramatisieren, da sie sich bisher im Rahmen der Ertragskraft der Unternehmen gehalten hätte. Er braucht anscheinend auch nicht zu wissen, daß die Bundesregierung am 16. September 1955 in ihrem Bericht an die OEEC ausgeführt hat, die Steigerung der Löhne und Gehälter halte sich durchaus im Rahmen der Produktivitätssteigerung.
Zu den jetzigen Lohnbewegungen darf ich eine Bemerkung machen. Nach den vorliegenden Berechnungen sind in dem ersten Halbjahr 1955 Lohnbewegungen für etwa 23 °/o der Arbeitnehmer durchgeführt worden. Insgesamt haben diese Lohnbewegungen zur Erhöhung des gesamten Lohn- und Gehaltsniveaus um 2 % geführt — innerhalb eines halben Jahres meine Damen und Herren! Dabei vertreten maßgebliche konjunkturwissenschaftliche Beobachter die Auffassung, daß bei einer Steigerung. des Sozialprodukts von 8 bis 10 % Lohnerhöhungen um 5 % im Jahre durchaus unbedenklich sind.
Damit möchte ich meine Ausführungen über die Lohnquote abschließen.
Tragischer und für unsere konjunkturpolitischen Überlegungen von größerer Bedeutung ist die Entwicklung des Sozialeinkommens, d. h. die Entwicklung des Einkommens jener Schichten, die auf die niedrigen Renten, deren Erhöhung bei uns so schwer durchzusetzen ist, angewiesen sind. Das Sozialeinkommen bleibt in seinem Anteil am Sozialprodukt seit Jahren ständig hinter der Entwicklung der übrigen Einkommensströme zurück.
Es betrug im ersten Halbjahr 1954 rund 15 % des Nettosozialproduktes, im ersten Halbjahr 1955 nur noch 13,7 %.
Meine Damen und Herren! Das sind die Kreise der Bevölkerung, deren Ausgaben nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes zu 72 % auf Lebensmittel, Wohnung, Heizung und Beleuchtung entfallen, d. h. auf die Ausgabeposten, die gerade in der letzten Zeit und in der Zukunft einer Preissteigerung unterliegen bzw. unterliegen werden. Es ist die Tragik dieser Bevölkerungsschicht, daß sie auf der einen Seite keinen angemessenen Anteil an der Steigerung des Sozialprodukts hat, daß aber auf der anderen Seite die Lasten aus Preiserhöhungen um so stärker auf sie heruntergehen.
Aus dieser Entwicklung ist es zu erklären, daß die Masseneinkommen — das sind also die Lohn- und Gehaltseinkommen und das Sozialeinkommen — im ersten Halbjahre 1955 erstmalig einen Tiefstand erreicht haben. Hier liegt die Quelle für die Tatsache, daß der private Verbrauch in Deutschland stetig abnimmt, nämlich von einem Satz von 63 % im zweiten Quartal 1953 auf weniger als 60 % im ersten Quartal 1955. In dieser Entwicklung
der Masseneinkommen und in dieser Entwicklung des privaten Verbrauchs liegt die Ursache für das Nachhinken der Einzelhandelsumsätze ebenso wie für das Nachhinken der Entwicklung in der Verbrauchsgüterindustrie.
Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Diskussionen um diese Probleme etwas näher ansieht, dann kann man nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die sogenannten Selbständigen-Einkommen seit dem Jahre 1954 eine diametral entgegengesetzte Entwicklung genommen haben.
Die Zuwachsrate der Selbständigen-Einkommen betrug im zweiten Halbjahr 1955 gegenüber dem ersten Halbjahr 1955 20 % bei einer Steigerung des Sozialprodukts um nur 14 %. Das sind Tatsachen, die man bei einer konjunkturpolitischen Debatte nicht außer Betracht lassen kann.
Um den Zusammenhang der Daten, die ich soeben gegeben habe, stärker herauszustellen, möchte ich diese Analyse in sieben Zahlen zusammenfassen. Das Bruttosozialprodukt ist im zweiten Quartal 1955 gegenüber dem zweiten Quartal 1954 um 14 % gestiegen. In der gleichen Zeit zeigten das Masseneinkommen eine Zuwachsrate von nur 12 %, die Einzelhandelsumsätze eine solche von 10 % und der Produktionsindex der Verbrauchsgüterindustrie ebenfalls eine solche von 10 %. Beachten Sie aber bitte: Bei einem Zuwachs des Sozialprodukts von 14 % sind die Selbständigen-Einkommen um 10 %, die Anlageinvestitionen um 25 % und der Produktionsindex der Investitionsgüterindustrie um 24 % gestiegen.
Hier liegt der Schlüssel für die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitionsgüterindustrie und der der Produktionsgüterindustrie, und die Feststellung, die wir zu treffen haben, ist, daß es in diesem wirtschaftlichen Aufschwung, in dem wir stehen, zahlreiche Gruppen gibt, die in der Sonne dieser Entwicklung stehen — das sind die Selbständigen-Einkommen, das ist im Rahmen der Industrie die Investitionsgüterindustrie —, und daß es eine große Gruppe gibt, die im Schatten dieser Entwicklung steht, das sind die Masseneinkommensempfänger und folgerichtig die Konsumgüterindustrie.
Meine Damen und Herren! Wenn diese Analyse richtig ist, dann ergeben sich daraus entscheidende Konsequenzen. Dann ergibt sich zunächst einmal, daß die konjunkturpolitischen Maßnahmen so unterschiedlich sein müssen, wie die wirtschaftliche Lage unterschiedlich ist. Infolgedessen sind — und darin stimmen wir überein — kreditpolitische Maßnahmen zu grob und zu roh, als daß sie den augenblicklichen Tatbeständen Rechnung tragen könnten. Aber man soll der Bank deutscher Länder nicht vorwerfen, daß sie in der entscheidenden Situation die ihr gemäßen Mittel — und ihr stehen nur kreditpolitische Mittel zur Verfügung — anwendet, wenn die Wirtschaftspolitik es unterläßt, die ihr gemäßen wirtschaftspolitischen Mittel zum Einsatz zu bringen.
Ein zweites Ergebnis ergibt sich aus dieser Analyse: daß wir eine vorsichtige Dämpfung der Investitionspolitik vornehmen müssen. Aber, meine Damen und Herren — und ich werde darauf noch einmal zurückkommen —, wir müssen uns der Grenzen einer solchen Dämpfungsmöglichkeit bewußt sein.
Die dritte Konsequenz, die sich ergibt, ist die Notwendigkeit einer Umschichtung der Einkommensströme, um eine Steigerung der Nachfrage nach den traditionellen Verbrauchsgütern herbeizuführen.
Nur durch solche gezielten Maßnahmen können wir die augenblicklichen Spannungen, die auf der unterschiedlichen Entwicklung von Investitionsgüterindustrie und Konsumgüterindustrie beruhen, beseitigen.
Und dann eine vierte Konsequenz, meine Damen und Herren, die wir nicht vergessen sollten! In einer Situation wie der augenblicklichen, in der diese Spannungen eine Tatsache sind, werden wir auch auf ernsthafte preispolitische Maßnahmen nicht verzichten können.
Das bedeutet nicht, daß wir eine Preisstarre wünschen. Aber wir wünschen, daß die Wirtschaftspolitik von den ihr zustehenden Mitteln Gebrauch macht. Sie muß ausschließen, daß Preissenkungen dort, wo sie durchaus möglich sind, im Hinblick auf die augenblickliche Marktlage unterbleiben, und dafür sorgen, daß Preiserhöhungen dort, wo sie nicht notwendig sind, unter allen Umständen vermieden werden.
Meine Damen und Herren! Auf diesen Überlegungen beruhen die Vorschläge der Sozialdemokratie zur augenblicklichen konjunkturpolitischen Situation, die ich im einzelnen begründen darf. Es handelt sich dabei um eine Einheit von Vorschlägen. Es handelt sich um gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen, weil wir ebenfalls nicht wünschen, daß ohne Not von unmittelbaren verwaltungsmäßigen Eingriffen in die Wirtschaft Gebrauch gemacht wird.
Meine Damen und Herren! Zu dem ersten Punkt: Dämpfung der Investitionsgüterkonjunktur. Auf die Frage, worauf die Übersteigerung in Teilen der Investitionskonjunktur, insbesondere im Rahmen der Bauwirtschaft, zurückzuführen ist, herrschen die merkwürdigsten Vorstellungen. Es scheint mir daher notwendig, die Zusammenhänge hier etwas deutlicher darzulegen, weil sich wieder einmal die Tendenz abzeichnet, die öffentliche Wirtschaft zum Sündenbock für Entwicklungen in der freien Wirtschaft zu machen.
Von der Gesamtinvestitionsquote des ersten Halbjahres 1955 entfielen allein 60 % auf die sogenannten Ausrüstungsindustrien, d. h. auf den Bereich der privaten Wirtschaft. Nur 40 % der gesamten Investitionen spielen überhaupt eine Rolle für die öffentliche Wirtschaft, also für die Bauindustrie, — —
— Bitte, nicht so früh! Ich habe gesagt: „kommen dafür überhaupt in Frage". Wie hoch der Anteil der öffentlichen Wirtschaft an diesen 40 % ist, das kann 'ich Ihnen leider nicht im selben Satz, sondern nur in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen sagen.
Von den Bauinvestitionen, die insgesamt also nur 40 % des Investitionsvolumens ausmachen, entfallen, gemessen nach den Arbeitsstunden, 46 % auf den Wohnungsbau. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob einer hier im Saale ist, der ernsthaft verlangt, daß der Wohnungsbau gedrosselt werden soll,
zumal der soziale Wohnungsbau nicht einmal seinen Anteil an der gesamten Bauproduktion gehalten hat, sondern absolut zurückgegangen ist.
Meine Damen und Herren, diese 46 % der Bauproduktion fallen also für Dämpfungsmaßnahmen aus. Ich sehe, daß wir darüber einig sind.
Die Bauinvestitionen der gewerblichen Industrie erstrecken sich auf 22,5 % des Bauvolumens — immerhin ein nicht sehr unwesentlicher Faktor —, und ich komme darauf zurück, ob nicht steuerpolitische Maßnahmen der Bundesregierung mit daran schuld sind, daß diese Investitionen so massiert im Jahre 1955 aufgetreten sind.
Damit komme ich zum öffentlichen und zum Verkehrsbau.
Der Verkehrsbau hat einen Anteil von 20 %. Das ist ein hoher Satz. Vielleicht aber ist doch allgemein bekannt, daß im Verkehrsbau der Einsatz von Maschinen eine entscheidende Rolle spielt und daß im gesamten Tiefbau wesentliche Anspannungen auf dem Arbeitsmarkt nicht aufgetreten sind. Hier ist also eine Gelegenheit, die Baumaßnahmen in gewissem Umfange auszudehnen, ohne daß sich ungünstige Folgen für die Entwicklung der Konjunktur zu ergeben brauchen.
Auf den Hochbau der öffentlichen Hand — in ihn fallen auch die zwei oder drei oder vier Opernhausbauten, die wir genau wie Sie gern zurückgestellt wünschten — entfallen ganze 8 % des Bauvolumens.
Darin sind enthalten die Krankenhausbauten, die Schulhausneubauten und die zahlreichen Gesundheitseinrichtungen, die die Kommunen schaffen. In diesem Sektor des Hochbaues der öffentlichen Hand hat es eine Steigerung um 4 % gegeben, während die Investitionen in Gewerbe und Industrie um 20 % gestiegen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Tatsachen. Und dann frage ich Sie, was von den Ausführungen eines Wirtschaftsjournalisten in der „Welt" mit Namen Ferdinand Fried zu halten ist, der am 14. Oktober folgendes schrieb:
Derselbe Staat, der die Wirtschaft beschwor, Maß zu halten, war in seiner Bauwut einer Maßlosigkeit erlegen, die schließlich die ganze Wirtschaft hypnotisiert.
Meine Damen und Herren, das ist eine maßlose Sprache, die mit den Tatsachen in keiner Weise in Übereinstimmung zu bringen ist.
Der zweite Block von Anträgen, die wir eingebracht haben, befaßt sich mit idem Problem, der Verbrauchsgüterindustrie den Anschluß an die allgemeine Entwicklung der Wirtschaft zu schaffen. Wir stimmen überein, daß generelle Steuersenkungen heute währungs- und konjunkturpolitisch das Falscheste wären, was man unternehmen kann. Nötig sind gezielte Maßnahmen, die zur Folge haben, daß die Nachfrage nach den traditionellen Verbrauchsgütern angeregt wird. Es kann meines Erachtens kein Zweifel darüber bestehen, daß diese spezielle Nachfrage gestärkt werden würde, wenn man die ganz niedrigen Einkommen erhöht. Darum unsere Anträge, die Bezüge der Rentner zu erhöhen und die Einkommensteuerfreigrenze anzuheben. Das sind ganz gezielte Maßnahmen, ergriffen in der bewußten Absicht, nur die niedrigen Einkommen zu vergrößern, um jedenfalls in gewissem Umfang zu gewährleisten, daß die neugeschaffene Kaufkraft auf die Bereiche zuläuft, in idenen noch Produktionskapazitäten offen sind und bei denen nicht zu befürchten ist, daß eine unglückliche Entwicklung der Konjunktur eingeleitet wird.
Unsere Anträge auf Senkung der Zölle und Verbrauchsteuern gehen in die gleiche Richtung. Wir haben dabei das Bestreben, die neugeschaffene Kaufkraft in gewissem Umfang auf Einfuhrgüter zu verlagern und damit einen etwaigen Anreiz auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland zu vermindern.
Der dritte Komplex von Anträgen, die meine Fraktion gestellt hat, befaßt sich mit der Normalisierung der Preisentwicklung. Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß es sich hier um ein entscheidendes Problem handelt und daß von der Preisentwicklung die größeren Gefahren für unsere konjunkturelle Weiterentwicklung drohen. Wir glauben aber, daß die Bundesregierung wirksamere wirtschaftspolitische Maßnahmen als in der Vergangenheit treffen müßte.
Unsere Anträge zielen dahin, die wesentlichen Verbrauchsteuern, die für die Verbraucher von Bedeutung sind, sowie die Zölle auf Kaffee, Tee und Kakao zu beseitigen. Bei Annahme unserer Anträge würde der Preis für ein Pfund Zucker von 68 auf 55 Pf gesenkt werden können, der Preis für eine Schachtel Streichhölzer von 10 auf 5 Pf. Uns ist es dabei ganz gleichgültig, ob die Senkung der Verbraucherpreise für Kaffee, Tee und Kakao auf dem Wege über idle Zölle oder auf dem Wege über die Verbrauchsteuer herbeigeführt wird. Darüber lassen wir durchaus mit uns reden. Uns kommt es darauf an, eine effektive Senkung der Verbraucherpreise auf diesen Gebieten zu erzielen.
Auf dem Gebiete der Landwirtschaft ist nach unserer Auffassung bei der augenblicklichen Konjunktursituation kein Platz für Preiserhöhungen für Lebensmittel jeder Art.
Ich sage das mit allem Nachdruck, weil nach unserer Auffassung ein empfindliches Element für die Gestaltung des Preisklimas auch der Milchpreis ist, der im Augenblick unter keinen Umständen erhöht werden darf. Wir sind uns durchaus klar darüber, daß auf dem Gebiete der Rationalisierung und Kostensenkung innerhalb der Landwirtschaft einiges getan werden muß. Wir haben uns darum auch nicht darauf beschränkt, zu beantragen, daß Preiserhöhungen verhindert werden, sondern wir haben
umfangreiche Vorschläge zur Rationalisierung der Landwirtschaft gemacht, und wir haben insbesondere nicht unwichtige Umsatzsteuersenkungen auf diesem Gebiete vorgeschlagen. Wir sind 'begierig darauf, die Regierungsvorschläge zu erhalten, die uns in der Regierungserklärung angesagt worden sind. Wir werden sie mit aller Objektivität und Gründlichkeit prüfen.
Aber dann kommt ein vierter Punkt unseres Programms. Ein ,entscheidendes Kriterium für eine wirksame Konjunkturpolitik ist, daß schnell gehandelt wird. Das ist nur möglich, wenn der Regierung ein Instrumentarium zur Verfügung steht, das sie im gegebenen Augenblick ohne große Verzögerungen anwenden kann.
Wir 'bedauern sehr, daß die Erklärung der Bundesregierung auf diesem Gebiete, soweit ich sehen kann, nichts enthält. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Beginn dieses Jahres einen großen Feldzug für eine Ermächtigung zu Zollherabsetzungen gestartet. Er hat dafür aus der Gewalt seiner Sprache einen sehr prägnanten Ausdruck gebraucht. Er sprach von der „fleet in being", die in Zukunft jede Steigerung der Preise verhindern würde. Als wir im Juli/August wieder Preissteigerungen zu verzeichnen hatten, tauchte dieses Projekt erneut aus dem Kreise des Bundeswirtschaftsministeriums auf. Ich bedaure sehr, daß die Bundesregierung sich nicht hat entschließen können, ein solches wichtiges konjunkturpolitisches Mittel anzuwenden und damit den Interesseneinflüssen entgegenzutreten, von denen auch in der heutigen Regierungserklärung wieder gesprochen wurde.
Wir wünschen weiter, daß die Bundesregierung von den Möglichkeiten der Preisprüfung, die insbesondere bei öffentlichen Aufträgen zur Verfügung stehen, etwas rasanter und wirksamer Gebrauch macht, als es ihrer Gepflogenheit entspricht.
Schließlich darf ich an ein weiteres Instrument erinnern, den bekannten Preistreiberei-Paragraphen. Da die Widerstände bei den verschiedenen Interessengruppen dieses Hauses gegen diesen Preistreiberei-Paragraphen offenbar sehr stark sind, hat der Herr Bundeswirtschaftsminister auch hier die Zuflucht zu schlagkräftigen Formulierungen gesucht und mehrfach von dem „Dolch im Gewande" gesprochen, der ihm nun endlich zur Verfügung gestellt werden müsse.
Wie wichtig der Preistreiberei-Paragraph ist, können wir der Vorlage der Bundesregierung entnehmen, die Sie seinerzeit leider abgelehnt haben. Darin hieß es nämlich:
Auch in einer Marktwirtschaft können auf einzelnen Gebieten Engpässe auftreten, die von uneinsichtigen Elementen benutzt werden können, volkswirtschaftlich ungerechtfertigte Preise zu fordern. Ein solches Verfahren kann nicht geduldet werden.
Ich bin durchaus der Auffassung, daß ein solches Verfahren nicht geduldet werden kann und nicht geduldet werden darf.
Dann sollte sich aber die Bundesregierung bereit finden, in ihrer Regierungserklärung nicht nur vage und verklausulierte Zusagen und Versprechungen zu machen, sondern ernsthafte Vorschläge auszuarbeiten.
In diesem Zusammenhang möchte ich von einem weiteren Instrument der Wirtschaftspolitik sprechen, das von der Regierung auch nicht sonderlich tatkräftig ausgenutzt wird. Das ist die sogenannte Auskunftspflichtverordnung. Wir haben die akrobatischen Übungen des Herrn Vertreters des Bundeswirtschaftsministers in einer der letzten Sitzungen miterlebt, in denen er darzulegen versuchte, inwieweit er über die Kostenlage in der Mineralölindustrie im Bilde sei und inwieweit nicht. In diesem Zusammenhang erscheint es sehr tragisch — und damit wende ich mich an Sie, meine Herren hier in der Mitte des Hauses —, daß Sie im Oktober vorigen Jahres noch den Mut gefunden haben, einen Antrag einzubringen, der zum Ziel hatte, diese Auskunftspflichtverordnung zu beseitigen,
eines der wenigen Mittel, mit denen eine Regierung, die auf unmittelbare Eingriffe in die Wirtschaft verzichtet, sich wenigstens einen Überblick über das verschaffen kann, was in der Wirtschaft vor sich geht.
Meine Damen und Herren, die Anträge der SPD stellen, wie ich hoffe dargelegt zu haben, ein konjunkturpolitisches Gesamtprogramm dar; sie sind daher im Zusammenhang zu sehen. Sie werden unter ihnen auch alte Bekannte finden, manche alte Bekannte, Anträge, die wir, die Sozialdemokratie, Ihnen im Laufe der letzten Jahre mehrfach vorgelegt und die Sie mutig abgelehnt haben, wobei Sie heute überlegen müssen, ob Sie ernsthaft bei dieser Ablehnung bleiben sollen. Sie werden aber auch einige Bekannte finden, Anträge, die Anregungen der Bundesregierung bzw. des Herrn Bundeswirtschaftsministers entsprechen. Wir sind gar nicht so. Wenn gute Einfälle von der Bundesregierung kommen, sind wir gern bereit, sie im gegebenen Moment aufzunehmen.
Aber, meine Damen und Herren, wir möchten doch einmal feststellen, ob es zu den Richtlinien der Politik der Bundesregierung gehört — die hat ja wohl der Herr Bundeskanzler aufzustellen —, daß jeder Bundesminister je nach Belieben gelegentlich unverbindliche Vorschläge in die Welt setzen darf, ohne daß sie von der Bundesregierung ernsthaft gewollt waren oder aufgenommen werden.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu dem Programm der Bundesregierung. Ich möchte sagen: es ist ein legitimes Kind seiner Eltern.
Es trägt etwas sehr stark die hektischen Züge der Unrast, Unsicherheit und Unklarheit der letzten drei Monate. Mir scheint, es ist nicht frei von der Erblast der Wirtschaftspolitik der letzten sechs Jahre.
— Darüber werden wir uns etwas später unterhalten, nicht jetzt.
Es ist ein wichtiges Element der modernen Konjunktur- und Wirtschaftspolitik, daß sie frühzeitig und schlagkräftig handelt, um nicht eines schönen Tages gezwungen zu sein, schärfere und unerwünschtere Maßnahmen zu treffen. In dem Bericht der Wirtschaftsberater des amerikanischen Präsidenten, der sich mit der Bekämpfung der Recession im vergangenen Jahre befaßt, wird darauf hingewiesen, daß ein wesentliches Element der Wirksamkeit der Regierungsmaßnahmen das schnelle Handeln gewesen sei.
Jetzt darf ich einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung der letzten drei Monate werfen. Im Juli zeigten sich die ersten stärkeren Spannungen, von denen ich gesprochen habe. Wenn die Presse richtig berichtet hat, hat auch der Herr Bundeskanzler im Juli den Herrn Bundeswirtschaftsminister darauf aufmerksam gemacht, daß ihm da einiges nicht ganz in Ordnung zu sein scheine. Die Bank deutscher Länder hat am 3. August 1955 mit den ihr angemessenen Mitteln prompt reagiert.
Wir wollen nachher einmal untersuchen, welche Maßnahmen wirksamer gewesen sind, die Maßnahmen der Bundesregierung während dieser drei Monate oder die Maßnahme der Bank deutscher Länder am 3. August!
Nach diesem 3. August begann eine sehr geschäftige Ministertätigkeit. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hielt zahllose Besprechungen ab; er begann mit den Metzgermeistern und endete beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Er eilte von Tagung zu Tagung, von Messe zu Messe, von Rundfunk zu Rundfunk. Die übrigen Minister beteiligten sich in gemessenem Abstand an dieser Tätigkeit.
Das ganze Kaleidoskop dieser drei Monate kann man an einem Abend nicht darbieten. Ich darf aber diese Entwicklung durch drei Beispiele charakterisieren. Der Herr Vizekanzler Blücher war einer der ersten, der sich äußerte und damals zu wissen gab, daß nur Steuersenkungen möglich seien, die nicht den Verbrauch anregten. Es hat nicht sehr lange gedauert, bis der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesfinanzminister Vorschläge für die Senkung von Verbrauchsteuern vorlegten.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Beginn dieser Aktion ein großes Programm für Jedermann-Einfuhren gestartet. Wir waren alle, glaube ich, erstaunt, als wir beinahe am selben Tage eine Verordnung des Herrn Bundesfinanzministers zu Gesicht bekamen, wonach nunmehr beim Grenzübergang nicht mehr ein halbes Pfund Kaffee ohne Verzollung mitgeführt werden darf!
Ich habe nicht gehört, daß diese Verordnung des
Herrn Finanzministers aufgehoben worden wäre.
Aber von dem Jedermann-Programm habe ich beim
aufmerksamen Verfolgen der Regierungserklärung ebenfalls nichts entdecken können.
Und nun die dritte Tatsache! Der Herr Bundeswirtschaftsminister führt seit Jahren einen anerkennenswerten Kampf .um Preissenkungen, und wenn die Presse wiederum richtig berichtet hat —ich habe keinen Zweifel daran —, dann hat der Herr Bundesernährungsminister ihm letzthin erklärt, er habe nun zwei Jahre lang von Preissenkungen gehört, er habe aber immer nur Preiserhöhungen für Betriebsmittel der Landwirtschaft gesehen; jetzt verlange er auch seinen Milchpreis. Da kann ich es verstehen, daß der Herr Bundeskanzler in einer, wie es in der Presse hieß, bewegten und temperamentvollen Sitzung am 28. September dieses Jahres zu dem Ergebnis kam, unter diese etwas hektische Tätigkeit müsse nun endgültig ein Schlußstrich gezogen werden, und irgend etwas müsse man dem Bundestag gelegentlich anbieten können.
Das war das Gegenteil von raschem, konjunkturbewußtem Handeln. Das war schlechteste Psychologie; denn sie hat den Maßnahmen der Bundesregierung von vornherein einen Teil ihrer Wirksamkeit genommen.
Meine Damen und Herren! Ich kann mich nicht enthalten, auch ein Wort über die Investitionspolitik der Bundesregierung zu sagen. Die Bundesregierung scheut dieses Wort wie das Feuer das Wasser. Wir waren einmal so weit. Das war im Jahre 1951. Da wußten wir alle, und da begriff es auch die Bundesregierung, daß es notwendig sei, größere Investitionsmittel in gewisse Engpaßindustrien, insbesondere in die Grundstoffindustrien zu lenken. Ein kluger Mann, der nicht zur Sozialdemokratie gehört, der Herr Präsident Abs von der Wiederaufbaubank, entwickelte einen Plan über die Verwendung von Abschreibungen für Investitionszwecke. Der Herr Bundesfinanzminister, der in solchen Fällen erfreulicherweise prompt zu reagieren pflegt, hatte bereits, wie die Presse mitteilen konnte, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorbereitet. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister sagte: Was nicht sein darf, das kann nicht sein,
es darf keine Investitionslenkung geben, sondern wir müssen daraus so etwas wie eine freiwillige Selbsthilfe der deutschen Wirtschaft machen.
Die sah nun folgendermaßen aus: Die freiwilligen Selbsthelfer weigerten sich in großer Zahl, dieses freiwillige Opfer zu bringen, und mußten von den Vollstreckungsbeamten der Finanzämter gezwungen werden, ihren Obolus zu entrichten. Ein Teil dieser freiwilligen Selbsthelfer ging zum Bundesverfassungsgericht, weil sie der Auffassung waren, das sei vielleicht doch eine verspätete Auflage jenes freiwilligen Zwanges, den wir längst hinter uns glaubten.
Das Bundesverfassungsgericht hat erfreulicherweise sehr deutlich gesagt, was hier vorliegt. Es hat in einer Entscheidung, die dann veröffentlicht
worden ist, gesagt, es handle sich hier um ein Gesetz, mit dem der Staat ordnend und lenkend in die Wirtschaft eingreift, das bezwecke, Kapital zu Investitionszwecken aus einem bestimmten Bereich der Wirtschaft in einen anderen zu leiten, und hat abschließend gesagt, daß es sich dabei um eine durchaus legitime Aufgabe des modernen Staates handele.
Meine Damen und Herren! Wir wären wesentlich weiter gewesen, wenn wir diese Investitionslenkung auf dem normalen Weg der Gesetzgebung durchgeführt hätten. Dann wäre sie einmal nicht zwei Jahre zu spät gekommen und dann wäre sie auch nicht zwei Jahre zu spät beendet worden. Ihnen, meine Damen und Herren, ist dann das Pech passiert, daß Sie in diesem Gesetz eine weitere Bestimmung verankert haben, die sich als konjunkturpolitisch außerordentlich gefährlich erwiesen hat, indem Sie nämlich die Wirksamkeit der Abschreibungsmöglichkeiten nach § 3 b des Gesetzes auf den 31. Dezember 1954 terminisierten. Nun gingen sämtliche Unternehmungen dazu über, Ende 1954 noch schnell ihre Aufträge unterzubringen; und darauf ist ein erheblicher Teil dieser massierten Investitionen, die wir in diesem Jahre 1955 erleben, zurückzuführen.
Ich bin gerade bei der Steuerpolitik. Wir haben im letzten Jahr die Steuerreform verabschiedet zu einem Zeitpunkt, in dem die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitions- und der Konsumgüterindustrie ganz offen lag und die Bedeutung der Entwicklung der Unternehmenseinkommen ebenfalls klar war. In dieser Sitzung hat mein Freund Kurlbaum — es war die Sitzung vom 18. November 1954 — folgendes ausgeführt:
Um so erstaunlicher ist es, daß die Regierungsvorlage und auch die Ausschußbeschlüsse wieder an der einseitigen und bevorzugten Entlastung gerade derjenigen Einkommen festhalten, die in erster Linie für die Investitionen in Frage kommen. Dabei läuft seit Anfang des Jahres wieder einmal die Investitionsgüterproduktion der stagnierenden Konsumgüterproduktion weg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie diese Mahnungen beachtet hätten, brauchten wir nicht zu verzeichnen, daß im ganzen Ablauf des letzten Jahres die Belastung des Lohneinkommens gesteigert worden ist, während die selbständigen Einkommen wesentlich entlastet worden sind, so daß sich stetig neue Impulse für weitere Investitionen ergaben.
In dem Steueraufkommen des zweiten Quartals 1955 wirkt sich das so aus: gegenüber 1954 ist das Lohnsteueraufkommen um 18 %, das Zoll- und Verbrauchsteueraufkommen um 17 %, dagegen sind die Einkommensteuer- und Körperschaftsteueraufkommen nur um 2 % gestiegen,
obwohl die Gewinne und Einkünfte der Unternehmungen im vergangenen Jahr wesentlich gestiegen sind.
Meine Damen und Herren, das ist das Gegenteil einer konjunkturbewußten Steuerpolitik.
Zum Schluß darf ich noch auf die Tragödie der Kohleversorgung hinweisen. Wir wissen seit langer Zeit, daß wir in der Kohleversorgung in einem Engpaß sind. Bei der Bundesregierung aber ist ein
Optimismus anzutreffen, der in keiner Weise mit den Realitäten in Übereinstimmung zu bringen ist. Darauf ist es mit zurückzuführen, daß wir diesen Versorgungs- und Preiswirrwarr haben und daß wir im Endeffekt — dazu sehen Sie sich bitte die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Sozialdemokratie an — eine echte, wenn auch schlechte Bewirtschaftung der Kohle haben mit alten, überholten und unwirksamen Kontingentsvorstellungen.
Sie müßten erkennen, daß der Verzicht auf aktive Maßnahmen der Wirtschaftspolitik schwerwiegende Folgen haben kann.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Regierungserklärung der Sorge über das Verhalten der Menschen im wirtschaftlichen Prozeß Ausdruck gegeben. Selbstverständlich wird die wirtschaftliche Entwicklung von Menschen gemacht, und infolgedessen spielt auch das menschliche Verhalten in der Wirtschaft eine Rolle. Darum ist eine psychologische Beeinflussung nicht unwichtig. Aber es ist einmal zu beachten, daß auf die gleichen psychologischen Maßnahmen die Reaktionen in den verschiedenen angesprochenen Kreisen durchaus verschieden sein können und daß es für psychologische Maßnahmen sehr enge Grenzen gibt.
Ich weiß nicht, ob es richtig ist, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister auf einer der großen Veranstaltungen, auf denen er sprach, davon redete, er fühle sich als Vorkämpfer psychologischer Meinungsbildung in der Wirtschaft, oder wenn er vor der deutschen Werbewirtschaft sagte, er sei sein eigener Werbeleiter,
und wenn er dann offenbar in Durchführung dieses Programms in der Presse nach Art der großen Markenartikelfirmen halbseitige Inserate veröffentlichte.
Meine Damen und Herren, es ist doch sehr die Frage, ob es richtig ist, ein Ministerium für Wirtschaftspolitik zu einer wirtschaftspsychologischen Versuchsanstalt abzuwerten.
Das Problem liegt doch tiefer, es liegt darin, daß in einer so kritischen Situation, wie wir sie durchmachen, von den Menschen in der Wirtschaft ein Verhalten verlangt wird, das man in der Wissenschaft als antizyklisch bezeichnet, d. h. ein Verhalten, das mit ihrer normalen privatwirtschaftlichen Denkungsweise nicht mehr übereinstimmt. Was verlangen Sie von dem Unternehmer? Sie verlangen von ihm, bei guter Absatzlage, wo sich für ihn privatwirtschaftlich eine Möglichkeit zur Preiserhöhung ergibt, plötzlich zu sagen: Nein, ich verzichte auf Preiserhöhung. — Sie verlangen auf einmal entgegen allen Ihren Darlegungen über die Bedeutung der Privatinitiative und der privatwirtschaftlichen Denkungsweise von dem Unternehmen in einem Zeitpunkt, in dem es hohe Gewinne hat, es dürfe diese Mittel keineswegs zu Investitionen verwenden. Sie verlangen von der Arbeitnehmerschaft in einem Augenblick, in dem ihre arbeitsmarktpsychologische Situation erstmalig günstiger ist, sie müsse ausgerechnet in diesem Augenblick auf Lohnerhöhungen verzichten.
— Richtig, Herr Bundeswirtschaftsminister, nicht verzichten! Aber Sie reden ihnen gut zu, sich in dem Rahmen zu halten, welcher usw., und das wird dann wieder' von allen Seiten jeweils völlig verschieden verstanden.
Herr Bundeswirtschaftsminister, man sollte einsehen, daß für die psychologische Beeinflussung sehr enge Grenzen gezogen sind. Es gibt einen lebendigen Gegenbeweis gegen die Wirksamkeit solcher psychologischer Maßnahmen. Dieser lebendige Gegenbeweis ist der Herr Präsident Berg, der mit unnachahmlicher Treffsicherheit dieses ganze psychologische Entspannungsgebäude des Herrn Bundeswirtschaftsministers zum wesentlichen Teil wieder zerstört hat.
Wir müssen uns hiernach darüber klar sein, daß der psychologischen Beeinflussung nicht die Bedeutung beigemessen werden kann, die ihr im Rahmen der Regierungserklärung gegeben wird, daß mit ihr die Erfolge, die der Bundeswirtschaftsminister meint erzielen zu können, nicht zu erreichen sind. Das gute Zureden hat seine Grenzen. Es kommt entscheidend darauf an, wirtschaftspolitische Tatsachen zu schaffen, die die psychologischen Reaktionen. verändern.
Die psychologische Wirkung der Zinsheraufsetzung und die Erhöhung der Mindestreservesätze durch die Bank deutscher Länder ist wesentlich größer gewesen als die Reden und psychologischen Versuche des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Dabei bin ich gerne bereit, diese Reden sämtlich zu addieren und dabei darauf zu verzichten, Negatives und Positives gegeneinander zu kompensieren.
Zu dem Erfolge dieser psychologischen Preissenkungstätigkeit hat sich der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Erklärung geäußert. Meine Damen und Herren, ich glaube, man muß diesen Satz aufmerksam lesen. Er lautet:
Diese teilweise belächelten Mittel der Konjunkturbeeinflussung
— das hat also auch der Herr Bundeswirtschaftsminister inzwischen erfahren müssen —
haben bereits gewisse Wirkungen gezeitigt. Eine Anzahl von Unternehmungen hat bereits Preissenkungen auch für solche Güter durchgeführt, die der breiten Masse der Bevölkerung zugute kommen, und andere haben ihre Bereitschaft bekundet.
Ich habe dargelegt, daß auch meine Fraktion auf effektive Preissenkungen entscheidenden Wert legt. Aber ich glaube nicht, daß z. B. die Senkung der Strompreise durch das RWE für Kleinstabnehmer—das sind, glaube ich, 1 % der Verbraucher von RWE-Strom — wirklich eine Bedeutung preispolitischer Art hat. Ich glaube nicht, daß die Senkung des Preises der Helmstedter Braunkohle für 600 000 t Briketts im Jahr bei einer Gesamtförderung an Kohle von 120 bis 130 Millionen t eine nennenswerte preispolitische Bedeutung hat. Ich kann nicht anerkennen, daß die Senkung der Preise für Sanella um 2 Pf für ein Pfund — d. h. etwa 1 % auf den gesamten Absatz von Margarine
— eine nennenswerte Bedeutung für das Preisklima und die Preisentwicklung hat. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir sind zutiefst davon überzeugt, daß Preissenkungen ein wichtiges Element der augenblicklichen Wirtschaftspolitik sind;
schiefe preispolitische Optik aber ist kein solches Mittel.
Zu den konkreten Punkten der Erklärung der Bundesregierung kann ich mich, da sie einen verhältnismäßig engen Rahmen im Zusammenhang der Ankündigungen enthalten, verhältnismäßig kurz fassen. Wir haben Kenntnis davon genommen, daß allgemeine Steuersenkungen nicht möglich sind, daß insbesondere nicht zu zusätzlichen Investitionen angereizt werden soll. Das scheint mir ein Gesprächsthema zwischen Bundesregierung und Koalitionsparteien zu sein, so daß ich mich nicht näher damit zu befassen brauche.
Zur Senkung der Verbrauchsteuern bedauern wir, daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage gesehen hat, uns irgendwelche konkreten Ansatzpunkte für diese Maßnahmen zu nennen.
Die Bundesregierung hat sich leider nach dreimonatiger Tätigkeit darauf beschränkt, ganz vage, allgemeine Grundsätze mitzuteilen.
Die Zollsenkung für Betriebsmittel der Landwirtschaft, für Baustoffe und Bedarfsgüter bleibt nach unserer Auffassung hinter dem Notwendigen zurück. Wir hätten gewünscht, daß die Bundesregierung unseren Vorschlag, diese Zölle aufzuheben, übernommen hätte.
Zu einem vierten Punkt gestatten Sie mir eine besondere Bemerkung. Hier spricht die Bundesregierung von ihrem Bemühen, staatlich gebundene Preise und Tarife nicht zu erhöhen. Wir werden Gelegenheit haben, im Laufe dieser Debatte in bezug auf den Milchpreis festzustellen, wie weit die Wirksamkeit dieses Bemühens geht.
Ein weiterer Punkt bedarf einer besonderen Erörterung. Die Bundesregierung hat unter ihren, ich glaube, elf Punkten keinen einzigen Punkt, der die Frage berührt, ob nicht durch die Erhöhung bestimmter niedriger Einkommen der Verbrauch angeregt und damit eine Steigerung der Verbrauchsgütererzeugung herbeigeführt werden kann. Ich habe mit einigem Erstaunen den Satz gehört, die Bundesregierung vertrete keine Konjunkturpolitik, die den Willen erkennen ließe, den Verbrauch bewußt zu verkürzen. Ich weiß nicht, ob der Ton auf „bewußt" oder auf „erkennen ließe" liegt. Aber ich darf doch darauf hinweisen, daß die Steuerreform des Jahres 1954 jedenfalls objektiv dahin geführt hat, daß der Verbrauch nicht die Entwicklung genommen hat, die er bei einer angemessenen Steuerpolitik hätte nehmen können und müssen.
Das Problem ist nicht, im Augenblick — bewußt oder unbewußt — die Verbrauchsgüterindustrie zu bremsen, das Problem ist, die Verbrauchsgüterindustrie zu fördern, um ihr wieder den Anschluß an die allgemeine Konjunkturentwicklung zu verschaffen.
Meine Damen und Herren, ich darf meine Bemerkungen zu den Vorschlägen der Regierung ab-
schließen. Mir scheint, diese Regierungserklärung war, wenn man sie als Programm zur Konjunkturpolitik betrachtet, kein Meisterstück.
Ich habe mich nun noch mit den Anträgen der verschiedenen Fraktionen dieses Hauses zu befassen. Wir bedauern, daß sich die Anträge der Koalitionsparteien fast ausschließlich auf allgemeine, unverbindliche Empfehlungen beschränken,
,daß insbesondere die größte Regierungspartei fast
ausschließlich die Bundesregierung bittet, gewisse
Dinge zu prüfen, zu untersuchen und zu erwägen.
Meine Damen und Herren, in der augenblicklichen Situation reicht das nicht als Dokumentation eines echten Willens zur konjunkturpolitischen Aktivität aus.
Ein Teil dieser Anträge kommt leider etwas zu spät.
Die CDU hat die Überprüfung von Baumaßnahmen verlangt. Sie wissen, daß der entsprechende Antrag der SPD — nur mit einer kleinen wichtigen Variation — seit langer Zeit vorliegt. Auch die Wissenschaftlichen Beiräte des Bundesfinanzministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums z. B. sind der Meinung, daß hier der Rüstungswirtschaft eine entscheidende Bedeutung zukommt.
Dieser entscheidende Punkt ist leider in Ihrem Antrag nicht besonders erwähnt, was bei seiner Bedeutung notwendig wäre.
Die Freie Demokratische Partei hat einen großen Anlauf unternommen, um die Beseitigung aller Verbrauchsteuern zu verlangen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß die entscheidenden Anträge — ich erinnere an die Zuckersteuer und an di& Zündwarensteuer — bereits seit langem von der Sozialdemokratie gestellt worden sind. Sie hätten auch am 13. Oktober dieses Jahres im Ausschuß Gelegenheit gehabt, aus Anlaß der Beratung unseres Antrags auf Beseitigung der Zuckersteuer die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu dokumentieren.
Darüber hinaus scheint mir eines bemerkenswert. Ich weiß nicht, ob es nicht doch etwas sehr schnell gegangen ist und sehr unüberlegt ist, wenn Sie in diese Beseitigung der Verbrauchsteuern auch die Branntweinsteuer einbeziehen. Mir scheint, daß im Augenblick Steuermittel, die freizumachen sind, in erster Linie anderen Kreisen der Bevölkerung zugeführt werden sollten.
Die CDU-Fraktion hat einen Antrag über Teilzahlungsgeschäfte eingebracht. Wir halten das für eine wertvolle Anregung und werden sie ernsthaft beraten und prüfen. Wir meinen allerdings, Sie hätten Gelegenheit gehabt, Ihre konjunkturpolitischen Anliegen vorzubringen, als unser Antrag zum Teilzahlungsgesetz in den Ausschüssen zur Beratung stand.
Nun komme ich zu einem Kreis von Anträgen, die wesentlich größere Bedeutung haben. Das sind
jene Anträge, die wir als konjunkturpolitisch und währungspolitisch gefährlich ansehen müssen, jene Anträge nämlich, die eine generelle Senkung der Einkommen- und der Gewerbesteuer entweder verlangen oder doch zumindest vorsehen, die eine generelle Erleichterung von Abschreibungen und eine Förderung des Exports zum Ziele haben. Es gibt niemanden unter den verantwortungsbewußten Stellen — Herrn Berg rechne ich in diesem Falle nicht dazu —, der nicht der Auffassung wäre, daß derartige Anträge konjunktur- und währungspolitisch gefährlich sind.
Ich habe dabei aber eine Frage an die beiden Herren Minister Erhard und Schäffer. Ich habe in der Presse gelesen, daß diese Anträge innerhalb der CDU-Fraktion in Anwesenheit oder gar unter Beteiligung der beiden Herren Minister beraten worden seien. Ich habe den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister mir soeben zustimmte. Diese Anträge stehen in einem ausgesprochenen Gegensatz zu den lapidaren Grundsätzen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister über die Ablehnung genereller Steuersenkungen hier verkündet hat. Meine Frage lautet: Ist den Herren Ministern die Bedeutung dieser Anträge entgangen, oder waren sie der Auffassung, sie könnten durchgehen, weil es sich doch nur um ganz unverbindliche Entschließungsentwürfe handle?
Ich sage das mit Absicht in dieser Überspitzung;
denn mir scheint eine solche Politik, von der größten Koalitionspartei betrieben, unmöglich zu sein.
Die Anträge enthalten darüber hinaus einige besondere Probleme, die einer eingehenden Bearbeitung in den Ausschüssen wert sind. Dazu gehört vor allen Dingen der Antrag, der die Schaffung eines Konjunkturbeirats vorsieht, um eine ständige Konjunkturbeobachtung und konjunkturpolitische Empfehlungen zu ermöglichen. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß zu einer solchen Konjunkturbeobachtung und zu solchen konjunkturpolitischen Empfehlungen ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument gehört; das ist nämlich eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Ich weiß nicht, ob Sie es übersehen haben: mein Kollege Schoettle hat in der Haushaltsdebatte am 23. Juni 1955 — das ist also noch keine vier Monate her — darauf hingewiesen, daß der Einfluß der Finanz- und Wirtschaftspolitik auf die Wirtschaft so groß ist, daß die Notwendigkeit einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von niemandem bestritten werden kann. Wir haben damals keine Resonanz gefunden. Ich hoffe, daß der vorliegende Antrag Ausdruck einer besseren Überzeugung ist. Wir sind gern bereit, alle Vorschläge auf diesem Gebiet aufzunehmen, die uns die Möglichkeit zu einer besseren Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung geben.
Das gleiche gilt für die Behandlung der Kassenbestände der öffentlichen Hand. Ich hoffe, wir sind uns darüber im klaren, daß das ein höchst vielschichtiges und höchst schwieriges Problem ist, insbesondere soweit nicht nur die Kassenbestände bei Bund und Ländern, sondern auch bei Gemeinden und Gemeindeverbänden in Frage kommen. Aber wir sind gern bereit, unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten den Kerngedanken dieser Anträge einer Überprüfung zu unterziehen.
Ein Antrag — der CDU/CSU, glaube ich —, befaßt sich mit der Kreditversorgung des Mittelstandes. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir dazu einige Sätze. Seit zwei Jahren befassen wir uns in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages — ich glaube, alle mit gleicher Besorgnis und mit gleichem Eifer — mit diesem Problem der Kreditversorgung der mittleren und kleineren Betriebe. Seit zwei Jahren werden draußen im Lande Kreditgarantiegemeinschaften für Handwerk und Handel gegründet, mit einem bis jetzt jedenfalls nicht überwältigendem Erfolge. Daß wir in diesen Arbeiten bisher nicht vorwärts gekommen sind, ist jedenfalls nicht Schuld der Opposition; das werden Sie mir zugeben. Aber ich bitte Sie: was soll bei dieser Situation ein Antrag, der weiter nichts enthält als die Bitte an die Bundesregierung, doch wieder einmal dieses Problem zu prüfen!
Dabei handelt es sich — das möchte ich unterstreichen — bei der Kreditversorgung der mittleren und kleineren Unternehmungen um ein außerordentlich ernstes Problem.
Aber das ist gar nicht so sehr ein konjunkturpolitisches Problem — es gehört eigentlich gar nicht in diese Debatte hinein —, das ist ein ernstes strukturpolitisches Problem. Es hängt mit der Struktur des gesamten Kapitalmarkts in den modernen großen Industriestaaten zusammen. Genau so wie es bei uns Schwierigkeiten bereitet, Personalkredit für das mittlere und kleinere Unternehmen zu schaffen, genau so haben Frankreich und England dieselben Schwierigkeiten, und die gleichen Schwierigkeiten sehen wir auch in einem Land wie Nordamerika, das einen gut funktionierenden Kapitalmarkt hat. Das liegt nämlich daran, daß auf dem Kapitalmarkt die großen Kapitalsammelstellen ein so großes Gewicht bekommen haben und daß diese Kapitalsammelstellen aus der Natur der Sache heraus auf eine gesicherte Anlage Wert legen müssen. Darum handelt es sich hier um ein wichtiges wirtschaftspolitisches Problem, das uns mindestens so am Herzen liegt wie Ihnen. Aber bitte: nicht solche weiße Salbe wie diesen Antrag.
Damit komme ich zu einigen abschließenden Bemerkungen. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, daß der Ablauf der Wirtschaft nicht allein der Automatik der privaten Wirtschaft überlassen bleiben kann. Wirtschaftspolitische Aktivität und staatliche Intervention sind in begrenztem Rahmen nötig, wenn nicht die Gefahr schwerer Schäden für die gesamte gesellschaftliche Ordnung aufkommen soll. Es gibt leider bei uns in Deutschland einflußreiche Kreise der Wirtschaft, die sich gegen diese staatliche Aktivität wehren, zumal dadurch Gewicht und Einfluß mächtiger Wirtschaftsgruppen stärker auf das Maß zurückgeschraubt wird, das ihnen nach demokratischen Spielregeln zukommt. Deshalb werden — darum habe ich das Beispiel aus der „Welt" angeführt — in der Öffentlichkeit Staat und öffentliche Wirtschaft diffamiert, obwohl die öffentliche Wirtschaftstätigkeit, insbesondere auf dem Baumarkt, für die Entwicklung der Konjunktur von untergeordneter Bedeutung gewesen ist und gerade eine aktive staatliche Wirtschaftspolitik das Gebot der Stunde ist.
Meine Damen und Herren, Sie sollten sich überlegen, ob die Politik der Bundesregierung nicht den Boden für eine solche Haltung mit bereitet hat, ob
nicht auch das Bundeswirtschaftsministerium mit seiner jahrelangen Diffamierung der staatlichen Einflußnahme auf die Wirtschaft einen erklecklichen Anteil Schuld an dieser Entwicklung auf sein Konto buchen muß.
Die Mehrheit des Hauses möge sich überlegen, ob sie mit ihrer Haltung beim Preistreibereiparagraphen und bei dem Antrag der CDU auf Beseitigung der Auskunftspflichtverordnung nicht ebenfalls ein Stück Schuld an dieser Entwicklung trägt.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister muß inzwischen erschütternde Erfahrungen gemacht haben; er hat sich vor kurzem, zwar nicht in Deutschland, aber in Ischl, also auf einer Tagung in Österreich, hierzu geäußert. Die „Neue Zürcher Zeitung" berichtet darüber:
Eindringlich klingt seine Warnung vor dem Überwuchern der Verbandsmacht. Indem die Organisationen zum Selbstzweck würden und einen eigenen Willen bekämen, sinke der Staat zum Spielball der Interessenten herab.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe den Eindruck, daß Sie in diesem Augenblick nicht die Gewerkschaften als die Interessentengruppen gemeint haben, deren Einfluß Sie zurückdrängen müßten.
Aber hier liegt ein ernstes Problem. Hier ist die Frage zu entscheiden, ob nicht durch eine solche Politik und eine solche passive Haltung der verantwortlichen Wirtschaftspolitik praktisch die Möglichkeit genommen wird, im entscheidenden Augenblick wirksam zu werden und sich, wie das der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung versprochen und wie das der Herr Bundeswirtschaftsminister heute wieder betont hat, gegen das Überwuchern von Interesseneinflüssen mit Erfolg zur Wehr zu setzen.
Meine Damen und Herren! Warum sage ich das an dieser Stelle? Wir wissen, daß uns in Berlin Millionen Menschen hören, die Wert darauf legen, daß in echt demokratischer Weise die verschiedenen Meinungen frei ausgetragen werden. Aber wir sollen uns über eines nicht täuschen. Millionen von diesen Menschen haben das Fegefeuer zweier Diktaturen mit offenen Sinnen durchgemacht, und bei ihnen besteht die Sorge, daß unsere wirtschaftliche Entwicklung nur zu einer Restauration von Zuständen der Vergangenheit führen könnte.
Darum sollte diese Debatte vor allen Dingen auch ein Bekenntnis zum sozialen Gehalt der Demokratie sein.
Die Bevölkerungsschichten, denen unsere Anträge besonders gelten, die kleineren Einkommens- und Rentenbezieher, müssen wissen, daß der demokratische Staat verhindern kann und wird, daß sie vielleicht wieder einmal das hilflose Opfer der konjunkturellen Entwicklung sein werden. Der demokratische Staat muß beweisen, daß er in der Lage ist, die wirtschaftliche Entwicklung mit politischen Mitteln zu gestalten und unabhängig von Interessengesichtspunkten eine gesunde soziale Ordnung zu gewährleisten.