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ID0210613100

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    2. Deutscher Bundestag — 106. Sitzung. Berlin-Charlottenburg, Mittwoch, den 19. Oktober 1955 5807 106. Sitzung Berlin-Charlottenburg, Mittwoch, den 19. Oktober 1955. Ansprache zum Beginn der Arbeitswoche in Berlin Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 5808 C Beurlaubte Abgeordnete (Anlage) 5849 A Frau Margarethe Hütter tritt an Stelle des ausgetretenen Dr. Pfleiderer in den Bundestag ein 5809 B Mitteilung über die Beantwortung der Kleinen Anfrage 195 (Drucksache 1726) betr. tarifpolitische Pläne des Bundesverkehrsministeriums (Drucksache 1800) 5809 C Fragestunde (Drucksache 1761): 1. betr. Wohnungsbewirtschaftung, Beschaffung von Wohnungen für kinderreiche Familien: Kahn-Ackermann (SPD) . . . 5809 C, 5810 B Dr. Wandersleb, Staatssekretär im Bundesministerium für Wohnungsbau 5809 C, 5810 B 2. betr. Maßnahmen zur Förderung des Fremdenverkehrs nach Berlin: Dr. Leiske (CDU/CSU) 5810 B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr . 5810 C 3. betr. Kulemeyer-Fahrzeuge der Deutschen Bundesbahn: Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 5811 A, B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr 5811 A, B 4. betr. Wiederverwendung der ehemali- Kasernen in Darmstadt für deutsche Streitkräfte: Hübner (FDP) 5811 C, D Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen 5811 D, 5812 A 5. betr. Zuwiderhandlungen gegen Bestimmungen des Güterkraftverkehrsgesetzes: Schmidt (Hamburg) (SPD) 5812 A Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr . 5812 A 6. betr. Ausschank von Alkohol in den Gaststätten an der Autobahn: Anfrage zurückgezogen 5812 C 7. betr. Erklärungen der Bundesregierung zur Beendigung des Beschlagnahmeverfahrens gegenüber deutschem Eigentum in den USA: Dr. Menzel (SPD) 5812 C, D Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 5812 C, D 8. betr. Vermögensstand der sozialen Rentenversicherung am 31. 12. 1954: Dr. Schellenberg (SPD) . . . . 5813 A, B, C Storch, Bundesminister für Arbeit 5813 A, B, C 9. betr. Befriedigung von Erstattungsansprüchen der Rentenversicherungsträger nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes: Dr. Schellenberg (SPD) . . . 5813 D, 5814 A Storch, Bundesminister für Arbeit 5813 D, 5814 A, B 10. betr. Auszahlung von Renten an alte, gebrechliche oder körperbehinderte Sozialrentner durch die Post oder die Sparkassen: Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) . . . 5814 B, D Storch, Bundesminister für Arbeit . . 5814 C 11. betr. Einheitliche Regelung für Richtungszeichen an Kraftfahrzeugen: Ritzel (SPD) 5814 D, 5815 B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr 5814 D, 5815 B 12. betr. Nichtbeachtung von Urteilen der Steuergerichte seitens der Finanzverwaltung: Dr. Bucher (FDP) 5815 C, D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 5815 C, D 13. betr. Umstellung und Auszahlung von im Ostsektor Berlins eingefrorenen Postscheck- und Bankguthaben: Stingl (CDU/CSU) 5816 A Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5816 A 14. betr. Überprüfung der Höhe der Verdienste von Arbeitnehmern aus dem Ostsektor Berlins oder der sowjetisch besetzten Zone: Stingl (CDU/CSU) 5816 B Storch, Bundesminister für Arbeit 5816 C 15. betr. Maßnahmen zum Ausgleich der Benachteiligung von Arbeitnehmern, die auf den Rat westlicher Persönlichkeiten ihre Arbeitsplätze im Osten behalten haben und später entlassen wurden: Stingl (CDU/CSU) 5816 D Storch, Bundesminister für Arbeit 5817 A 16. betr. Vorlage der Denkschrift über die Behebung der Not in den Zonenrandgebieten: Freidhof (SPD) 5817 B, C Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5817 B, C 17. betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes über die Erweiterung des Jugendarbeitsschutzes: Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) . . . 5817 C Storch, Bundesminister für Arbeit . 5817 C 18. betr. Verschärfung des Strafmaßes für Verbrechen an Kindern und Jugendlichen: Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) 5817 D, 5818 B Neumayer, Bundesminister der Justiz 5818 A, B 19. betr. Änderungen des Bundesnotaufnahmegesetzes: Frau Dr. Maxsein (CDU/CSU) . . . 5818 C Dr. Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte 5818 C Nächste Fragestunde 5818 D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung 5818 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5818 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung, Beratung der Anträge und Initiativgesetzentwürfe zur konjunkturpolitischen Lage 5823 D Dr. Deist (SPD) 5823 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 5835 A Scheel (FDP) 5842 B Nächste Sitzung 5848 D Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5849 A Die Sitzung wird um 14 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Gleisner (Unna) 19. November Frehsee 15. November Kühn (Bonn) 15. November Matthes 15. November Dr. Miessner 15. November Welke 15. November Hoogen 12. November Albers 5. November Dr.-Ing. E. h. Schuberth 5. November Jahn (Frankfurt) 29. Oktober Altmaier 28. Oktober Dr. Becker (Hersfeld) 28. Oktober Fürst von Bismarck 28. Oktober Erler 28. Oktober Even 28. Oktober Gräfin Finckenstein 28. Oktober Gerns 28. Oktober Höfler 28. Oktober Kalbitzer 28. Oktober Kiesinger 28. Oktober Dr. Kopf 28. Oktober Dr. Lenz (Godesberg) 28. Oktober Dr. Leverkuehn 28. Oktober Lücker (München) 28. Oktober Dr. Lütkens 28. Oktober Marx 28. Oktober Dr. Mommer 28. Oktober Frau Meyer-Laule 28. Oktober Dr. Dr. h. c. Pünder 28. Oktober Dr. Oesterle 28. Oktober Paul 28. Oktober Frau Rehling 28. Oktober Schütz 28. Oktober Graf von Spreti 28. Oktober Dr. Wahl 28. Oktober Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 28. Oktober Miller 24. Oktober Günther 23. Oktober Bauer (Wasserburg) 22. Oktober Brockmann (Rinkerode) 22. Oktober Diekmann 22. Oktober Dr. Dollinger 22. Oktober Gefeller 22. Oktober Hilbert 22. Oktober Dr. Horlacher 22. Oktober Kahn 22. Oktober Könen (Düsseldorf) 22. Oktober Leibfried 22. Oktober Dr. Löhr 22. Oktober Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 22. Oktober Müller (Worms) 22. Oktober Müser 22. Oktober Frau Nadig 22. Oktober Neuburger 22. Oktober Pelster 22. Oktober Dr. Pferdmenges 22. Oktober Frau Pitz 22. Oktober Raestrup 22. Oktober Schill (Freiburg) 22. Oktober Schlick 22. Oktober Schloß 22. Oktober Seidl (Dorfen) 22. Oktober Dr. Starke 22. Oktober Dr. Werber 22. Oktober Winkelheide 22. Oktober Stahl 22. Oktober Peters 22. Oktober Dr. Maier (Stuttgart) 22. Oktober Dr. Baade 22. Oktober Dr. Bärsch 22. Oktober Dr. Furler 22. Oktober Kemper (Trier) 22. Oktober Kroll 22. Oktober Dr. Wellhausen 20. Oktober Dr. Pohle (Düsseldorf) 19. Oktober Maucher 19. Oktober b) Urlaubsanträge Abgeordnete bis einschließlich Dr. Bucerius 31. Oktober Gibbert 30. Oktober Dr. Greve 29. Oktober Dr. Köhler 29. Oktober Dr. Preller 29. Oktober Frau Rösch 29. Oktober
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    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Beratung der konjunkturpolitischen Lage im Deutschen Bundestag


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

    zu diesem Zeitpunkt und hier in Berlin im Einvernehmen mit den Fraktionen des Hohen Hauses bewußt herbeigeführt, um von hier, aus der Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschland, dem deutschen Volke vor Augen zu führen, wie die Bundesregierung die derzeitige konjunkturelle Lage und die sich aus ihr abzeichnenden wirtschaftlichen Entwicklungen beurteilt, aber auch dazutun, welche wirtschafts- und finanzpolitischen Mittel ihr für diese spezifische Phase der Konjunktur geeignet erscheinen, um eine aktive Konjunkturbeeinflussung vorzunehmen und damit wieder mögliche Gefahren rechtzeitig zu bannen.
    Daß diese Konjunkturdebatte hier in Berlin stattfindet, erachtet die Bundesregierung als einen glücklichen Umstand. Die Grenze zwischen dem Wirtschaftssystem der Freiheit und dem Wirtschaftssystem des Zwanges geht mitten durch die Stadt Berlin. Trotz der besonders schwierigen Verhältnisse, unter denen sich der wirtschaftliche Aufbau dieser Stadt vollziehen mußte, und trotz der hier noch zu lösenden Probleme werden an dieser in der Welt sichtbarsten Nahtstelle von Freiheit und Unfreiheit die Erfolge einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik, wie sie die Bundesregierung eingeleitet hat, besonders deutlich sichtbar und spürbar. Sie mahnen uns gleichzeitig, der Sorgen Berlins und der großen Aufgaben eingedenk zu bleiben, die uns in einer hoffentlich recht nahen Zukunft gestellt werden. Wir werden auch auf dem wirtschaftlichen Felde und im sozialen Bereich mit Zuversicht und Entschlossenheit an die uns mit der Wiedervereinigung aufgegebenen Probleme herangehen. Wenn ich darum einleitend einige wirtschaftliche Daten und Fakten anführe, die den in sieben Jahren aus dem Zusammenbruch zurückgelegten Weg des Wiederaufbaus kennzeichnen sollen, dann geschieht das vornehmlich, um allen deutschen Menschen in Ost und West, die die Einheit unseres Vaterlandes in Frieden und Freiheit ersehnen, eine neue Hoffnung zu setzen.
    Von Mitte 1948, dem Beginn der Politik der Sozialen Marktwirtschaft, bis Mitte 1955 ist die industrielle Produktion von 63 % — Basis 1936 — auf nunmehr über 200 % gestiegen. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten von 13,4 Millionen auf 17,7 Millionen, also um über 4,3 Millionen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die deutsche Ausfuhr erhöhte sich von 2,9 Milliarden im Jahre 1948 auf schätzungsweise 24 Milliarden DM für das Jahr 1955. Die Bank deutscher Länder, die zum Zeitpunkt der Währungsreform über keinerlei materielle Reserven verfügte, weist heute einen Gold- und Devisenbestand von 12,5 Milliarden DM aus, während gleichzeitig die Spareinlagen von 1,6 Milliarden auf 19,4 Milliarden angewachsen sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Trotz dieser gewaltigen Aufbauleistung sind, vor allem auch in einem internationalen Vergleich, Preise und Lebenshaltungskosten trotz gewisser Erhöhungstendenzen, über die noch zu sprechen sein wird, bemerkenswert stabil geblieben. Auf Indexbasis 1950 erhöhten sich die Bruttostundenverdienste des deutschen Arbeiters vom zweiten Vierteljahr 1949 zum gleichen Quartal 1955 von 93,3 auf 137,1 % — das sind rund 47 % Steigerung —, während sich der Reallohn von 87,2 % auf 125,8 % — das sind rund 44 % — verbesserte.

    (Bravo! bei den Regierungsparteien.)

    Während im Jahre 1950 in der Bundesrepublik für soziale Leistungen 11,4 Milliarden DM aufgewendet wurden, errechnet sich für 1955 ein Betrag von 22 Milliarden DM. Ich möchte meinen, daß ein Volk und eine Volkswirtschaft, die unter so harten Bedingungen diese hier in wenigen Ziffern charakterisierte Aufbauleistung vollzogen haben, auch vom Ökonomischen her gesehen auf diesen Zustand vertrauen dürfen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Doch nun zur Konjunkturlage. Die Bundesregierung ist mit der Bank deutscher Länder der Auffassung, daß die bisherige tatsächliche Entwicklung der Erzeuger-, Handels- und Verbraucherpreise für sich allein betrachtet keinen Anlaß zu einer ernsten Besorgnis bietet.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Obwohl sich die Wirtschaft der Bundesrepublik in einer ausgesprochenen Hochkonjunktur befindet, ist das Preisniveau — und das besonders auf den Verbrauchsgütermärkten — im wesentlichen stabil geblieben.
    Was indessen die Bundesregierung in den letzten Wochen mit einer gewissen Beunruhigung erfüllt hat, ist das Verhalten der Menschen im wirtschaftlichen Prozeß. Die Maßstäbe für das, was jeder einzelne aus einer Hochkonjunktur für sich an Nutzen ziehen kann, und für das, was der gesamten Volkswirtschaft dienlich ist, drohten allenthalben verloren zu gehen. Der Widerstand gegen höhere Preise ist sowohl innerhalb der Wirtschaft selbst als auch bei der Verbraucherschaft schwächer geworden. Diese Haltung läßt darauf schließen, daß man in manchen Kreisen und Gruppen der Wirtschaft mit der Möglichkeit rechnet, höhere Kosten durch eigene Preiserhöhungen oder eine Verteuerung der Lebenshaltung durch die Erhöhung des eigenen Arbeitseinkommens wettmachen oder sogar überkompensieren zu können. Aus einer so gedankenlosen inneren Einstellung erwächst naturgemäß die große volkswirtschaftliche Gefahr, daß überhöhte Löhne gefordert und auch zugestanden werden,

    (Sehr richtig! rechts)

    die Preise aber dabei in eine wirtschafts- und sozialpolitisch gleichermaßen gefährliche Entwicklung geraten. Die bekannte Spirale, in der sich Preise und Löhne gegenseitig hochschrauben, ist in diesen letzten Wochen der breiten deutschen Öffentlichkeit wenn schon noch nicht sichtbar, so doch in ihrer möglichen Gefahr bewußt geworden. Diese Sorge war es denn auch, die zu einer sichtbaren Verschlechterung des Preisklimas beigetragen hat.
    In dieser Lage war die Bundesregierung zum Eingreifen entschlossen, und ich als verantwortlicher Minister habe es mir im besonderen angelegen sein lassen, alle Gruppen der Bevölkerung zunächst unmittelbar anzusprechen, um ihnen die Zusammenhänge und Konsequenzen eines leichtfertigen und bedenkenlosen Verhaltens deutlich vor Augen zu führen. So sind mit den Gewerkschaften Gespräche darüber geführt worden, in welchen Grenzen, gesamtwirtschaftlich gesehen, Lohnerhöhungen gerechtfertigt und tragbar erscheinen. Der Industrie, dem Handel und dem Handwerk ist zu ernster Überlegung anheimgegeben worden, ob nicht trotz mancher Kostenerhöhungen durch Vollbeschäftigung und Mengenkonjunktur doch auch Kostensenkungen bewirkt wor-


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

    den sind, die in individueller, unternehmerischer Verantwortung mancherorts auch Möglichkeiten der Preissenkung zulassen würden.
    Nicht zuletzt habe ich mich auch an die Verbraucher, insbesondere die Hausfrauen gewandt, daß sie wach sein und sich ihrer Macht als Käufer bewußt werden möchten, weil gerade ihr Verhalten im Markte ein preisstabilisierender Faktor erster Ordnung ist.
    Die Bundesregierung hat diesen undogmatischen Weg, der den Vorstellungen einer klassischen Konjunkturpolitik vielleicht nicht entspricht, dennoch bewußt beschritten, weil sie der Auffassung ist, daß der Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens weitgehend von dem Willen lebendiger Menschen gestaltet wird und daß der Appell an die wirtschaftliche Vernunft sehr wohl Gefahren zu beseitigen geeignet ist, denen jede Wirtschaft ausgesetzt sein muß, in der Maß und Besinnung verloren zu gehen drohen. Wenn jene psychologischen Mittel ein verändertes wirtschaftliches Verhalten der Bevölkerung bewirken, werden sie zu einer ökonomischen Realität und erfüllen den gleichen Zweck wie andere Maßnahmen der hergebrachten Konjunkturpolitik. Das Ziel der psychologischen Einflußnahme ist in jedem Fall, die Konjunktur, die Stabilität der Währung und ein gesundes Wachstum unserer Wirtschaft zu erhalten, schädliche Auswüchse aber zu beseitigen.
    Diese teilweise belächelten Mittel der Konjunkturbeeinflussung haben bereits gewisse Wirkungen gezeitigt. Eine Anzahl von Unternehmungen hat bereits Preissenkungen auch für solche Güter durchgeführt, die der breiten Masse der Bevölkerung zugute kommen, andere haben ihre Bereitschaft bekundet, so daß für die nächste Zukunft
    mit weiteren positiven Ergebnissen gerechnet werden kann.

    (Bravo! in der Mitte.)

    Auch die Arbeitnehmerschaft hat anerkannt, daß ihr persönliches Schicksal, die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze, von dem Erfolg jener Bemühungen abhängig ist, die die Sicherung der Stabilität unseres Preisniveaus auch für die Zukunft zum Ziele haben.
    Die Bundesregierung darf unter keinen Umständen zulassen — das hier zu erklären, ist meine Pflicht —, daß durch die Verfolgung von Gruppeninteressen, von welcher Seite auch immer sie vertreten werden mögen, die Stabilität unserer Währung gefährdet wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Millionen von Menschen haben trotz zweimaliger Geldentwertung im Vertrauen auf die Politik der Bundesregierung wieder die Tugend des Sparens geübt und nahezu 20 Milliarden DM zurückgelegt.

    (Bravo! bei der CDU/CSU.)

    Millionen von Rentnern insbesondere werden von jeder Preissteigerung in ihrem sozialen Sein aufs härteste betroffen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Diese Menschen dürfen nicht verraten und betrogen werden.

    (Allgemeiner lebhafter Beifall. — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Die Bundesregierung fühlt sich hier als Sachwalterin der wirtschaftlichen Interessen aller Bürger
    und möchte darum mit allem Nachdruck versichern, daß sie die Stabilität der Währung unter allen Umständen aufrechterhalten wird und aufrechterhalten kann.

    (Bravo! bei der CDU/CSU.)

    Sie verfügt in der Einheit von Wirtschafts- und Finanzpolitik über ein Instrumentarium von volkswirtschaftlichen Einwirkungsmöglichkeiten, die die notwendige Stabilität von Wirtschaft und Währung auch für die Zukunft gewährleisten.
    Die Bundesregierung wird aber auch auf dem internationalen Felde alle Anstrengungen unternehmen, um jener gefährlichen These zu begegnen, daß eine leichte, fortdauernde Verdünnung der Kaufkraft sogar als ein wertvoller Konjunkturimpuls gelten könne.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Solange diese Verwirrung nicht völlig überwunden ist, wird auch der Schrei nach dem Wohlfahrts- und Versorgungsstaat nicht verstummen können; wenn diesem gefährlichen Denken nicht Einhalt geboten wird, droht die Gefahr des allmählichen Erliegens eines freien Kapitalmarktes und eine Gefährdung der ausreichenden Versorgung der Volkswirtschaft mit Kapital. Unstabiles Geld zerstört die gesellschaftlichen und sozialen Grundlagen jeder freien staatlichen Ordnung.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung vertritt ferner die Auffassung, daß das gemeinsame Interesse Wege der Konjunkturpolitik vorschreibt, die der unterschiedlichen Lage der einzelnen Zweige unserer Wirtschaft und der verschiedenen sozialen Bevölkerungsschichten gerecht werden. Sie hat ein Programm aufgestellt, das diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen versucht. Dieses Programm geht davon aus, daß besondere Anspannungen und deshalb auch Störungen vor allem auf dem, Arbeitsmarkt, auf dem Baumarkt und teilweise auch im Investitionsgüterbereich zu verzeichnen sind. Es gilt zu vermeiden, daß diese bisher auf Teilgebiete beschränkten Spannungen auf die gesamte Wirtschaft übergreifen. Die Gefahr eines solchen Überflutens ist gegeben, da die inländischen Arbeitskraftreserven durch die stark angestiegene Bau- und Investitionstätigkeit weitgehend erschöpft und die Kapazitäten in wichtigen Teilen der Wirtschaft voll ausgenutzt sind, während die Nachfrage noch auf eine Steigerung der Produktion drängt.
    Das konjunkturpolitische Programm geht weiter davon aus, daß besondere Anstrengungen unternommen werden müssen, auch den Rentnern, Sozialversicherungsempfängern und allen Bevölkerungskreisen, die dem Produktionsprozeß ferner stehen und die deshalb mit ihrem Einkommen nicht automatisch an dem wirtschaftlichen Fortschritt und steigenden Wohlstand teilhaben können, dennoch das Gefühl und die Gewißheit einer immer besseren Existenzsicherung zu vermitteln.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    — Ich weiß gar nicht, welche Einwände Sie dagegen haben können.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung ist sich der besonderen Lage und Schwierigkeiten einzelner Wirtschafts-


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

    Bereiche wie z. B. der Landwirtschaft oder ähnlicher Zweige des Mittelstandes sehr wohl bewußt. Zwar hat die Landwirtschaft aus der konjunkturellen Entwicklung insoweit Nutzen gezogen, als mit dem wachsenden Volkseinkommen und der wachsenden Kaufkraft auch ihre Erlöse gestiegen sind; aber sie hat dafür auch Belastungen auf sich nehmen müssen, da die Produktionskosten und Löhne ebenfalls gestiegen sind. Diese Anliegen gehen indessen über die umfassende Fragestellung der Konjunkturpolitik hinaus; sie bedürfen einer speziellen Behandlung, für die die Bundesregierung innerhalb ihrer Ressorts eingehende Vorbereitungen getroffen hat.
    Die Bundesregierung läßt sich von dem Gedanken leiten, daß der hohe Grad unseres wirtschaftlichen Fortschritts, den die gemeinsame Arbeit aller ermöglicht hat, auch der gesamten Bevölkerung zugute kommen muß. Im Jahre 1945 war Deutschland politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich ein Trümmerfeld. Wenn der Wiederaufbau bis zu diesem sichtbaren Erfolg gelungen ist, sollten die Grundsätze dieser unserer Wirtschaftspolitik auch für die Zukunft Anwendung finden

    (Sehr wahr! in der Mitte)

    und nicht hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit gelegentlich in Zweifel gezogen werden.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das Erreichte könnte nur durch den Sieg der Gruppeninteressen gefährdet werden.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    I Die Bundesregierung handelt in ihrer Politik für das gesamte deutsche Volk und fühlt sich auch für dessen wirtschaftliche und soziale Zukunft voll verantwortlich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie wendet sich daher eindringlich gegen alle jene Bestrebungen, die Gruppenziele als konjunkturpolitische Erfordernisse deklarieren und Maßnahmen vorschlagen, deren Anwendung in der Tat gerade zu einer Übersteigerung der Konjunktur und damit auch zu Preissteigerungen unerwünschten, ja vielleicht sogar gefährlichen Ausmaßes führen müßten. Niemand wird verkennen wollen, daß angesichts unserer Arbeitsmarktlage weitere Fortschritte der Rationalisierung im Interesse aller liegen und jede Verbesserung der Lebensführung wesentlich nur aus Erfolgen dieser Art fließen kann. Aber dazu bedarf es in unserer derzeitigen Konjunkturlage keiner zusätzlichen Investitionsanreize, noch scheint es tunlich zu sein, die Nachfrage nach solchen Gütern durch besondere steuerliche Maßnahmen noch zu steigern, ja unter Umständen sogar übersteigern zu wollen. Wenn wir das Volumen der Investitionen — die Investitionsquote beträgt 27 % des Brutto-Sozialprodukts, die Zunahme der einschlägigen Produktion gegenüber dem Vorjahre ebenfalls 27 % —auf dem derzeitigen hohen Stand behaupten können, dann bewegen wir uns auch im internationalen Vergleich auf Rekordhöhe und haben das Menschenmögliche getan. Das Maßhalten bedeutet also beileibe keine Resignation und keinen Fatalismus, sondern zeugt nur von der notwendigen. Einsicht in die realen Gegebenheiten und Möglichkeiten.
    Da in dieser Beziehung fast eine Sprachverwirrung Platz gegriffen hat, erklärt die Bundesregierung, daß sie hinsichtlich der Investitionen also keineswegs an eine radikale Drosselung denkt, daß sie aber auch keiner Ausdehnung zustimmen kann, die die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die allgemeinen Störungstendenzen nur verschärfen müßte. Die Bundesregierung weiß also sehr wohl, daß die Rationalisierung das wichtigste Mittel darstellt, um konjunkturelle Spannungen zu beseitigen. Aber sie weiß auch, daß eine weitere Aufblähung des Investitionsanteils am Sozialprodukt zu Lasten des Verbrauchs den konjunkturellen, ökonomischen, sozialen und politischen Rahmen sprengen und daneben jene schon erwähnten gefährlichen Preisauftriebstendenzen auslösen muß.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das mit statistischem Material sehr wohl beweisbare Zurückhinken der Verbrauchsgütererzeugung und des Verbrauchs gegenüber der Investitionstätigkeit ist, wie ich wohl kaum zu versichern brauche, nicht etwa Ausfluß einer bewußt auf Begünstigung oder Benachteiligung abzielenden Politik, sondern vollzog sich in Konsequenz der wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die uns vor die sozial drängende Aufgabe stellten, für 10 Millionen Flüchtlinge Vorsorge zu treffen, für über 4 Millionen Menschen Arbeitsplätze zu schaffen und die Produktivität unserer Wirtschaft auf den hohen Stand zu bringen, der uns in der Welt wettbewerbsfähig werden ließ. Hier sind Schicksalsfragen des deutschen Volkes angesprochen, über die sich keine Regierung hinwegsetzen konnte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung kann und darf heute keine Konjunkturpolitik vertreten, die den Willen nach einer bewußten Verkürzung des Verbrauchs erkennen ließe; denn eine solche Zielsetzung wäre konjunkturpolitisch insofern sogar widerspruchsvoll, als die Spannungen und Preisauftriebstendenzen nicht in der Verbrauchs-, sondern fast ausschließlich in der Investitionsgütersphäre in Erscheinung treten. Eine solche Politik wäre auch unrealistisch, weil nach Maßgabe eines sich ständig ausweitenden Sozialprodukts eine Steigerung der Massenkaufkraft zur Erhaltung des Gleichgewichts sogar notwendig ist und eine moderne aufstrebende Volkswirtschaft des Fundaments einer breitgeschichteten Massenkaufkraft gar nicht entraten kann. Ich selbst kann wohl am wenigsten in den Verdacht geraten, verbrauchsfeindlich eingestellt zu sein.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Aber das wiederum kann nicht besagen, daß eine übermäßige Verbrauchssteigerung nicht ebenfalls konjunkturpolitische Gefahren zeitigen könnte. In jedem Fall aber würde eine nach dieser Richtung übersteigerte Politik im Hinblick auf die Sicherung des Fortschritts und die Mehrung des Wohlstandes auch für die Zukunft dem Interesse des ganzen deutschen Volkes wenig dienlich sein. Es ist darum nicht eine billige Redensart, sondern bedeutet oberstes volkswirtschaftliches Gebot, wenn die Bundesregierung von allen Schichten unseres Volkes Verständnis für das rechte Maßhalten und innere Disziplin fordert.
    Wenn die Bundesregierung zur Sicherung ihrer auf die Stabilität von Wirtschaft und Währung abgestellten Politik willens ist, auch Mittel der Handels- und besonders der Zollpolitik einzusetzen, ist sie sich bewußt, daß sie sich 'damit in keiner Weise


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

    der Zweckentfremdung dieser Instrumente schuldig macht. Wenn die Bundesregierung auch nicht daran denkt, sich des Trumpfes der Zollpolitik zur Aushandlung zollpolitischer Zugeständnisse seitens des Auslandes ohne Gegenleistung zu begeben, so würde doch ein Verzicht auf Anwendung von zollpolitischen Maßnahmen auch für rein innerwirtschaftliche Zwecke nicht verantwortet werden können. Eine recht angesetzte Zollpolitik vermag gerade in dier gegenwärtigen Konjunkturlage zu einem preisstabilisierenden Faktor von besonderem Gewicht zu werden; sie stellt sicher, daß beide Partner, d. h. in diesem Falle Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht aus der volkswirtschaftlichen Front gemeinsamer Verantwortung ausbrechen können.
    Nicht die Marktwirtschaft ist es, die in dieser Konjunkturphase versagt haben soll; diese Ordnung droht vielmehr dort gestört zu werden, wo ihr innerstes Element, der Wettbewerb, erlahmt. Darum ist es nur folgerichtig, diesen nach Kräften zu beleben und auch von außen in unsere Volkswirtschaft hereinzutragen. Der Preis wird nicht dort als überhöht empfunden, wo echter, vielgestaltiger Wettbewerb herrscht, sondern dort, wo der Wettbewerb eingeschränkt ist. Es erübrigt sich fast, dem hinzuzufügen, daß die Bundesregierung in der internationalen Zusammenarbeit stets in der Front derer stehen wird, die für eine Weitung und Befreiung der Märkte eintreten. Sind auf diesem Felde erst noch größere Erfolge erreicht, dann wird dieser Fortschritt nicht ohne Einfluß auf die innerwirtschaftlichen Konjunkturverhältnisse bleiben.
    Die vorstehenden Überlegungen sind neben den rein finanzpolitischen Notwendigkeiten auch der Grund dafür, weshalb die Bundesregierung in dier gegenwärtigen Konjunktursituation nicht zu größeren Zugeständnissen in der Richtung einer allgemeinen Steuersenkung bereit sein kann. Wenn sie sich trotzdem unter bestimmten Voraussetzungen zur Senkung von Verbrauchsteuern bereit erklärt, tut sie das, um auch ihrerseits einen Beitrag zur Preissenkung im Verbrauchsgütersektor zu leisten.
    Die Bundesregierung hat — entgegen den über Jahrzehnte reichenden Erfahrungen — die feste Absicht, die derzeitige Konjunktur nicht wieder in den wirtschaftlichen Abschwung, die Depression und die Krise einmünden zu lassen. Der gesunde Menschenverstand wehrt sich mit Recht dagegen, daß man in der für alle segensreichen guten Konjunktur eine Gefahr erblicken will. Aber der gleiche gesunde Menschenverstand müßte auch allen Schichten unseres Volkes deutlich machen, daß niemand aus einer illusionären Einschätzung der konjunkturpolitischen Möglichkeiten so viel verdienen kann, wie er mit Sicherheit verlieren muß, wenn es um der Sicherung der Währung willen notwendig werden sollte, einer sich verstärkenden und ausbreitenden Konjunkturüberhitzung mit den allgemein wirkenden Maßnahmen der Geld- und Kreditpolitik zu begegnen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung hegt vielmehr die feste Überzeugung, daß es ihr mit der Unterstützung aller Bevölkerungsschichten und aller wirtschaftlichen Gruppen möglich ist, die Hochkonjunktur zu erhalten und einen weiteren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu gewährleisten. Das Kernstück unserer neuen ökonomischen Ordnung beruht gerade darauf, die hektischen Konjunkturschwankungen aus dem Entfaltungsprozeß der
    Wirtschaft zu eliminieren und den Zustand einer vollen Beschäftigung bei gleichzeitiger Ausschöpfung aller Möglichkeiten des Fortschritts und des Wachstums als für die Volkswirtschaft normal zu konstituieren.
    Aus dieser Verantwortung heraus legt die Bundesregierung dem Hohen Hause das folgende konjunkturpolitische Programm vor.
    1. Die Bundesregierung wird im Zusammenwirken mit der Bank deutscher Länder die Stabilität von Wirtschaft und Währung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln gewährleisten
    2. Sie unternimmt selbst und unterstützt alle Bemühungen, Preissenkungen dort, wo sie betrieblich möglich sind, zu verwirklichen. Sie ist überzeugt, daß eine maßvolle Haltung der Unternehmen in ihrer Preispolitik dem eigenen Interesse und dem Nutzen aller mehr dient als eine bedenkenlose Ausschöpfung aller konjunkturellen Möglichkeiten.
    3. Gleichzeitig erwartet die Bundesregierung von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern und deren Organisationen, daß sie Lohnbewegungen in einem vernünftigen, gesamtwirtschaftlich vertretbaren Maße halten, das nicht zu Preissteigerung und Gefährdung des Lebensstandards der sozial schwächsten Schichten führt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    4. Die Bundesregierung wird ihrerseits darum bemüht sein, die staatlich gebundenen Preise und Tarife nicht zu erhöhen. Sie wird auf die Länderregierungen, die Städte, Kreise und Gemeinden einwirken, sich dem Beschluß der Bundesregierung für ihre Bereiche anzuschließen. Unbeschadet dieses Grundsatzes wird die Bundesregierung ihre Verpflichtungen aus dem Landwirtschaftsgesetz und dem Bundestagsbeschluß vom 8. Juli 1955 erfüllen.
    5. Auch die Bundesregierung wird einen Beitrag zur Preissenkung leisten, indem sie dem Bundestag Senkungen von Verbrauchsteuern da vorschlägt, wo die Sicherheit besteht, daß die Senkung dieser Steuern dem Verbraucher voll und dauernd zugute kommt.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    6. Die Fortführung der bisherigen erfolgreichen Außenhandelspolitik, die durch eine fortschreitende Liberalisierung und eine freizügige Zollpolitik gekennzeichnet ist, wird der Bundesregierung auch in der gegenwärtigen konjunkturellen Lage ein besonderes Anliegen bleiben.
    Die Bundesregierung hat ein Programm für Zollsenkungen vorbereitet, das eine 50%ige Senkung aller Zölle bei den sächlichen Betriebsmitteln der Landwirtschaft, den Baumaterialien und Baubedarfsgütern zum Ziele hat. Vorschläge zu weiteren Zollsenkungen bei Betriebsmitteln des Handwerks und des Handels wird die Bundesregierung ehestens dem Bundestag zuleiten.
    7. Wenn die finanzielle Vorsorge, die der Bundeshaushalt für die Zwecke der in den nächsten Jahren auf uns zukommenden Ausgaben zu treffen hat, nicht gefährdet werden soll, müssen weitere steuerliche Maßnahmen im Einklang mit den finanzwirtschaftlichen Erfordernissen gehalten werden. Aus diesen und zugleich auch aus konjunkturpolitischen Gründen kann die Bundesregierung zur Zeit keine allgemeinen Steuersenkungsmaßnahmen erwägen.


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard)

    Sie erachtet indessen die Förderung geeigneter Rationalisierungsmaßnahmen auf volkswirtschaftlich wichtigen Einzelgebieten für geboten.
    Sie will des weiteren dem Parlament Verbesserungen der Ehegattenbesteuerung und der Werbungskostenpauschale vorschlagen.
    8. Zur Entlastung des Baumarktes wird die Bundesregierung ihre eigenen Bauvorhaben erneut auf ihre Dringlichkeit prüfen und sie mit der Gesamtlage des Baumarktes in Einklang halten. Die Bundesregierung wird sich bei den Ländern, Kreisen, Städten und Gemeinden und den sonstigen öffentlichen Körperschaften dafür einsetzen, daß auch sie ihre Investitionsvorhaben daraufhin untersuchen, wieweit durch eine Zurückstellung eine Entlastung des Baumarktes erreicht werden kann. Die Bundesregierung hat die gleiche Aufforderung an die Bundesunternehmen und jene Firmen gerichtet, an denen der Bund maßgebend beteiligt ist.
    Zur Leistungssteigerung in der Bauwirtschaft fördert die Bundesregierung auch weiterhin mit allen Mitteln die kontinuierliche Beschäftigung durch Ausdehnung der Bausaison von neun auf elf Monate.
    9. Im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt wird die Bundesregierung unverzüglich Vorbereitungen treffen, um in bestimmten kritischen Arbeitsbereichen ausländische Arbeitskräfte und deutsche Arbeitskräfte im Auslande, die sich zu einer Rückkehr in die Bundesrepublik entschließen, heranzuziehen.
    10. Die Bundesregierung ersucht den Bundestag und den Bundesrat, den von der Bundesregierung am 24. März 1955 erneut zugeleiteten Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschleunigt zu verabschieden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    11. Die Bundesregierung hat die Frage der Einführung einer Vorschrift gegen Preisüberhöhungen in das Wirtschaftsstrafgesetz geprüft. Die von der Bundesregierung in Aussicht genommene Fassung der Vorschrift unterscheidet sich wesentlich von den früheren Preistreibereivorschriften. Sie erfaßt nicht die wettbewerbliche Preisbildung. Der Bundeswirtschaftsminister wird jedoch in die Lage versetzt, auf anderen Märkten im Bedarfsfalle gegen Preisüberhöhungen vorzugehen.
    Die Bundesregierung hat sich bei der Aufstellung dieses Programms davon leiten lassen, daß die vor uns liegenden großen Aufgaben der Wiedervereinigung und der Sicherung von Frieden und Freiheit die Stetigkeit der Konjunktur erfordern und nicht von einer schrumpfenden, sondern nur von einer wachsenden und noch produktiver werdenden Volkswirtschaft erfüllt werden können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das gleiche gilt auch für die Aufgaben, die uns heute noch im Wohnungs- und Straßenbau gestellt sind. Die Bundesregierung fühlt sich — ich wiederhole es noch einmal — als Sachwalterin der wirtschaftlichen Interessen aller Bürger; vor allem wird sie das Vertrauen der sozial schwachen Bevölkerungsschichten und der Sparer nicht enttäuschen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Sie weiß sich in diesem Streben mit dem gesamten Volk einig.
    Die Berliner Bevölkerung mag trotz aller wirtschaftlichen Fortschritte, die auch in dieser Stadt sichtbar geworden sind, angesichts einer noch bestehenden größeren Arbeitslosigkeit vielleicht das Empfinden haben, daß hier vorzugsweise Probleme debattiert werden, die sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung im Westen unseres Landes ergeben, die aber nicht voll mit ihren eigenen Sorgen übereinstimmen. Einer solchen Betrachtungsweise sei entgegengehalten, daß eine blühende Wirtschaft in der Bundesrepublik immer stärker auch auf Berlin ausstrahlt. Gerade die hohe, an die Kapazitätsgrenzen pressende Produktionsleistung wird immer mehr zu einer Auftragsverlagerung nach Berlin und, wie ich hoffe, auch zur Errichtung neuer Produktionsstätten in Berlin führen.

    (Beifall.)

    Die Bundesregierung wird auf die Wirtschaft einwirken, daß die in Berlin noch vorhandenen Kapazitätsreserven dem Aufbau unserer deutschen Volkswirtschaft auf die Dauer nutzbar gemacht werden.
    Wenn wir die wirtschaftlichen Sorgen des freien Deutschland hier in Berlin in aller Offenheit besprechen, so erkennt die ganze Welt, daß es jene glücklichen Sorgen sind, die sich aus dem erfolgreichen Wiederaufbau und der vollen Ausnutzung aller Produktivkräfte für Zwecke der menschlichen Wohlfahrt ergeben. Eine blühende deutsche Volkswirtschaft mag unseren deutschen Brüdern im Osten Hoffnung und die Gewißheit geben, daß hier im Materiellen, im Seelischen und im Geistigen die Kraft lebendig ist, die die Lebensmöglichkeiten der Menschen im deutschen Osten mit dem Tage der Wiedervereinigung schnell auf das Niveau des freien Deutschland heben kann.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese erste Sitzung des Deutschen Bundestages in Berlin, der Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschland, und die Verkündung einer Regierungserklärung, die die Sicherung des wirtschaftlichen Fortschritts und der sozialen Wohlfahrt zum Ziele hat, sei zugleich Symbol der Arbeit und der Ideale eines freien Volkes und bestärke uns alle in der heiligen Verpflichtung, alles daran zu setzen, das ganze Deutschland in Frieden und Freiheit vereinigt zu sehen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Sie haben die Erklärung der Bundesregierung gehört.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:

(Drucksachen 1627, 1628, 1672 bis 1678, 1686 bis 1688, 1695, 1696, 1699, 1746. 1748 his 1755, 1757 his 1760, 1762 bis 1762 bis 1770, 1775, 1776, 1780)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Deist.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um den Rahmen meiner Ausführungen abzugrenzen und Raum zu bekommen für die Behandlung der konkreten Fragen, die in der augenblicklichen Situation zur Diskussion stehen, möchte ich mit einigen grundsätzlichen Feststellungen beginnen, über die, soweit ich sehen kann, Übereinstimmung besteht, so daß sie — jedenfalls


    (Dr. Deist)

    soweit die Sozialdemokratische Partei in Frage kommt — keiner weiteren ausführlicheren Erörterung bedürfen.
    Zunächst möchte ich erklären: Wir sind stolz darauf, hier in Berlin feststellen zu können, daß die einmalige Entwicklung der deutschen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren die Frucht einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung war, die auf dem Fundament der Freiheit beruht.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Diese Entwicklung wäre ohne die gemeinsame Arbeit aller Schichten der Bevölkerung nicht möglich gewesen,

    (Sehr gut! in der Mitte)

    aber auch nicht möglich gewesen ohne das politische Kräftespiel der verschiedenen politischen Gruppen, das zu den wesentlichen Grundelementen der politischen Demokratie gehört.

    (Erneuter Beifall bei allen Parteien.)

    Ich möchte den Gedanken unterstreichen, daß die Sicherung der Stabilität der Währung eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Wirtschaftspolitik ist.

    (Abg. Dr. Dresbach: Bravo!)

    Alle unsere bisherige Arbeit wäre vergebens gewesen, wenn wir diesem Gedanken nicht unsere ganze Aufmerksamkeit widmeten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir werden daher alle Bemühungen unterstützen, die Stabilität der Währung zu sichern.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Ich möchte aber ergänzend sagen: Die Sozialdemokratie ist sich bei der Stellung ihrer Anträge zur augenblicklichen Konjunkturdebatte dieser ihrer Verpflichtung durchaus bewußt gewesen, und sie nimmt für sich in Anspruch, daß sie diesen Gesichtspunkt der Stabilisierung der Währung bei ihren Anträgen berücksichtigt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine dritte Feststellung. Wir leben im Zeichen einer Wirtschaft, die auf hohen Touren läuft. Wir stimmen darin überein, daß es falsch wäre, von einer Überhitzung der allgemeinen Konjunkturentwicklung zu sprechen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Die Tatsachen können noch nicht als alarmierend angesehen werden.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Aber das Problem, vor dem wir stehen, besteht darin, daß es erhebliche Spannungen in der Wirtschaft gibt und daß es unsere Aufgabe ist, diese Spannungen zu beseitigen.

    (Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Das Wirtschaftssystem der freien Welt kann sich nicht nur darin bewähren, daß in seinem Rahmen ein wirtschaftlicher Aufschwung aus der Tiefe möglich ist, sondern es hat sich darin zu bewähren, daß es einen hohen Grad der Beschäftigung bei stabilem Preisniveau und bei stabiler Währung erhalten und sichern kann.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.)

    Damit komme ich zu den konkreten Problemen, die heute und morgen vor uns stehen. Die Entwicklung der letzten Monate etwa seit der Mitte des vergangenen Jahres ist durch drei Tatsachen gekennzeichnet.
    Die starke, steigende Expansion hat die Ungleichgewichte, die in der deutschen Wirtschaft bestehen, verstärkt. Zu diesen Ungleichgewichten gehört die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitions- und der der Verbrauchsgüterindustrie; dazu gehören auch gewisse Spannungen in der Rohstoffversorgung.
    Die hohe Beschäftigung, die wir in gewissen zentralen Gebieten der Wirtschaft zu verzeichnen haben, hat zum Ergebnis geführt, daß hier keine großen Reserven an Arbeitskräften mehr vorhanden sind, d. h. daß die Position der Tarifpartner am Arbeitsmarkt verändert ist.
    Und eine weitere Feststellung! Insbesondere in der Investitionsgüterindustrie hat die große Nachfrage dazu geführt, daß kein Überangebot mehr vorherrscht, so daß sich hier nunmehr auch die Preissituation am Markte verändert hat.
    Meine Damen und Herren, das sind bei hoher Beschäftigung normale Erscheinungen, und die Zeiten, in denen wir preisend mit viel schönen Reden die Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft begleiten konnten, sind vorbei.

    (Bravo! bei der SPD.)

    Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, wirtschaftspolitisch zu handeln.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dabei möchte ich auf einen Gesichtspunkt besonders hinweisen: Es handelt sich nicht um einen Ausnahmezustand, dem man mit Ausnahmemitteln begegnen könnte, sondern es handelt sich um einen normalen Zustand in einer hochbeschäftigten Wirtschaft, bei dem es darauf ankommt, das normale Instrumentarium der Wirtschaftspolitik zu entwickeln, um den Schwierigkeiten zu begegnen, die eine hohe Beschäftigung nun einmal aufwirft.
    Gestatten Sie mir, daß ich hierzu einige wichtige Daten anführe, weil mir eine globale Behandlung der augenblicklichen konjunkturellen Situation nicht ausreichend erscheint. Das wichtigste Ungleichgewicht, das die Wirtschaft heute aufweist, ist das Ungleichgewicht zwischen der Entwicklung der Investitionsgüterindustrie und der der Verbrauchsgüterindustrie. Während sich die Produktion der Gesamtindustrie im Laufe des letzten Jahres um 17 % erhöht hat, ist die Verbrauchsgüter-industrie mit einer Zuwachsrate von 10 % erheblich zurückgeblieben; demgegenüber hat die Investitionsgüterindustrie eine Zuwachsrate von 25 % im ersten Halbjahr 1955 und von mehr als 27 % im August dieses Jahres zu verzeichnen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Entsprechend haben sich die Bruttoanlageinvestitionen entwickelt. Der Anteil der Anlageinvestitionen am gesamten Sozialprodukt ist seit dem Jahre 1951 ständig stark gestiegen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die augenblickliche Investitionsquote mit 27 % angegeben. Meine Damen und Herren, es gibt natürlich keine ewig und allgemein gültige Relation zwischen Investitionen und dem Sozialprodukt. Aber alle ernsthaften Beobachter der konjunkturellen Situation sind sich darin einig, daß unsere Investitionsquote für normale Verhältnisse überhöht ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)



    (Dr. Deist)

    Die Entwicklung der Investitionsquote erklärt sich selbstverständlich aus dem großen Nachholbedarf nach dem Kriege. Danach mußte die Investitionsquote in der ersten Zeit höher sein als normal. Aber seit dem Jahre 1953 steht das Problem vor uns, wiederum ein Gleichgewicht zwischen Investition und Verbrauch herzustellen. Meine Damen und Herren, das ist keine neue Erkenntnis. Im zweiten Quartal des Jahres 1953 haben wir erstmals einen großen Versuch gemacht, die Nachfrage, den privaten Bedarf durch erhebliche Konsumstöße anzuregen und damit zu einer Steigerung der Verbrauchsgüterproduktion zu kommen. Im zweiten Quartal des Jahres 1953 haben die Erhöhung der Beamtengehälter, die Erhöhung der Renten, die kleine Steuerreform und die ersten großen Vorschußzahlungen aus dem Lastenausgleich zu einer erheblichen Steigerung der Massenkaufkraft geführt. Das Ergebnis dieser Maßnahmen war, daß sich eine stärkere Nachfrage nach Konsumgütern geltend machte und daß wir erstmals Ansätze zu einer Verbrauchskonjunktur zu verzeichnen hatten.
    Es ist bedauerlich, daß es bei diesem einmaligen Impuls geblieben ist. Weitere Impulse zur Anregung der Verbrauchsgütererzeugung wurden jedenfalls durch die Wirtschaftspolitik nicht ausgelöst, und seither, seit dem Ende des Jahres 1953, wird unsere Konjunktur wieder einseitig durch die Investitionsgüterindustrie getragen. Seit dem Ende des Jahres 1953 steht daher stetig stärker das Problem vor uns, dieses Mißverhältnis zu beseitigen.
    Meine Damen und Herren! Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, der Kollege Ollenhauer, hat in seiner Antwort auf die Regierungserklärung am 28. Oktober 1953 folgendes ausgeführt:
    In der heutigen Situation wird der Ansatzpunkt für eine Ausweitung der Wirtschaft in erster Linie auf dem Gebiet der Konsumgüterindustrie liegen müssen.
    Und achten Sie bitte auf den nächsten Satz:
    Die erforderliche Stabilität der Wirtschaft kann daher nur durch ein harmonisches Entwicklungsverhältnis von Konsumgüter- und Investitionsgüterindustrie erreicht werden. Hierzu bedarf es des konstruktiven Einsatzes der wirtschaftspolitischen Mittel, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen.
    Das ist dieselbe Forderung, meine Damen und Herren, die heute wiederum erhoben werden muß.
    Im Laufe des Jahres 1954 haben die konjunkturwissenschaftlichen Institute in einem gemeinsamen Gutachten darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, wieder ein normales Wechselspiel zwischen Verbrauch und Investitionen herbeizuführen. Seither haben wir eine ständige Diskussion darüber, daß der private Verbrauch und die Verbrauchsgüterindustrie zurückstehen. Viele kompetente Stellen haben sogar auch im Jahre 1954 sehr ernsthafte Überlegungen angestellt, ob nicht Lohnsteigerungen das notwendige Korrekturelement sein müßten, um eine Ausweitung der Produktion in der Verbrauchsgüterindustrie anzuregen. Die Öffentlichkeit hat davon keine Kenntnis genommen. Die Bundesregierung — wir wissen nicht, ob sie Kenntnis genommen hat — hat jedenfalls keine wirtschaftspolitischen Konsequenzen gezogen.
    Die steigende Diskrepanz zwischen Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie birgt nunmehr so große latente Gefahren in sich, daß ihr mit energischen Mitteln entgegengewirkt werden muß.
    Die amtliche Konjunkturberichterstattung und auch ein Teil der privaten Konjunkturberichterstatter glaubten im zweiten Quartal dieses Jahres feststellen zu können, daß im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung allmählich auch die Konsumgüterindustrie wieder nachziehe und den Anschluß an die allgemeine Entwicklung finde. Die zwischenzeitlichen Feststellungen insbesondere über die Entwicklung im Juli und August haben gezeigt, daß es sich hier um eine vorübergehende, wahrscheinlich nur saisonal zu erklärende Entwicklung gehandelt hat. Es ist der Lagebericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers vom August, der sehr deutlich ausführt, daß von einem starken konjunkturellen Nachziehen, von neuen Impulsen für die Wirtschaftsentwicklung von seiten der Konsumgüterindustrie keine Rede mehr sein könne. Das Problem steht daher genauso wie Ende 1953, nur in verschärfter Form, vor uns.
    Das Ergebnis dieser kurzen Analyse ist, daß in der Produktions- und Investitionsgüterindustrie die Grenzen der Kapazität weithin erreicht sind, so daß das Angebot geringer als die Nachfrage ist. Es zeigen sich jetzt deutlich Versorgungsengpässe: der allgemeine Versorgungsengpaß Kohle, der besondere Versorgungsengpaß Baustoffe für die Bauwirtschaft. Außerdem treten in diesen Zweigen der Wirtschaft starke Spannungen am Arbeitsmarkt auf. Die Verbrauchsgüterindustrie zeigt demgegenüber ein anderes Bild. Im ganzen können wir sagen, daß die Kapazitäten der Verbrauchsgüterindustrie nicht voll ausgenutzt sind. Dabei darf man sich nicht davon verleiten lassen, daß naturgemäß im Augenblick im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft bei den Verbrauchsgüterindustrien eine verhältnismäßig hohe Beschäftigung herrscht. Die Investitionen in der Verbrauchsgüterindustrie stagnieren im Schnitt seit dem Jahre 1950. Das Angebot an Verbrauchsgütern ist — natürlich bei Differenzierungen hier und dort — größer als die Nachfrage. Auch die Arbeitsmarktprobleme sind auf dem Gebiet der Verbrauchsgüterindustrie geringer. Im Juli 1955 betrug die Arbeitslosenquote bei den bergmännischen Beschäftigten 0,3 %, in der Produktions- und Investitionsgüterindustrie 1,2 %, dagegen in der Verbrauchsgüter-, Nahrungs- und Genußmittelindustrie 4 %. Auf dem Gebiet der Konsumgüterindustrie sind überdies größere Reserven auf dem Markt der weiblichen Arbeitskräfte vorhanden als z. B. für die Produktions- und Investitionsgüterindustrie.
    Aus dieser verschiedenen Situation der beiden Wirtschaftsbereiche ergeben sich unterschiedliche Folgen für die Preisbildung. Das Bundeswirtschaftsministerium hat im August dieses Jahres in seinem Lagebericht über die Erzeugerpreise festgestellt, daß die Preise der Grundstoffe und Produktionsgüter gegenüber dem Vorjahr um 7 %, die der Investitionsgüter um 2,5 %, in der Bauwirtschaft um 11 %, dagegen die Preise der Verbrauchsgüter nur um 0,7 % gestiegen sind.
    Was ist das Fazit, das wir aus diesen Zahlen zu ziehen haben? Diese Übersicht zeigt, daß im Rahmen der Produktions- und Investitionsgüterindustrie der automatische Preismechanismus nicht mehr funktioniert, daß den zunehmenden Preis-


    (Dr. Deist)

    erhöhungen nicht mehr in dem Ausmaß, wie es möglich und notwendig wäre, Preissenkungen gegenübertreten, so daß wir generell mit einem steigenden Preistrend zu rechnen haben. Hingegen können wir feststellen, daß in der Konsumgüterindustrie keine wesentlichen Veränderungen des Preisstandes erfolgt sind. Wir dürfen uns diese Tatsache auch nicht durch die Erkenntnis verschleiern lassen, daß der Lebenshaltungsindex sich anders entwickelt hat; denn in dem Lebenshaltungsindex spielen die Ausgaben für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die um 3 % im Laufe eines Jahres gestiegen sind, sowie Hausbrand und Miete eine entscheidende Rolle, so daß für das Ende des Jahres 1955 mit einer Steigerung der Lebenshaltungskosten um insgesamt 3 % gerechnet wird.
    Nun scheint mir eines interessant zu sein. Dieser Entwicklung auf dem Gebiet der Produktion entsprechen ähnliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Einkommensströme. Die Frage der Einkommensströme, also die Frage der Lohnquote, des Sozialeinkommens und der Selbständigen-Einkommen, ist Gegenstand großer öffentlicher Auseinandersetzungen. Man kann nur bedauern, daß man sich in der Regel in diesen Auseinandersetzungen nicht die Mühe gibt, von den feststehenden Tatsachen auszugehen, über die die Konjunkturstatistik eindeutige Aussagen macht. Ich sehe mich daher genötigt, hierzu einige Worte zu sagen.
    Die Lohnquote, das ist also der Anteil der Lohn- und Einkommensbezüge am Gesamtsozialprodukt, hat sich im Laufe der letzten Jahre nicht wesentlich verändert. Sie bewegt sich zwischen 40 und 41 % des Nettosozialprodukts. Wir haben aber im ersten Halbjahr 1955 erstmalig ein Absinken der Lohnquote gegenüber dem ersten Halbjahr 1954 zu verzeichnen, und das ungeachtet der Lohnbewegungen, die im Laufe des Jahres 1954 und im Laufe des ersten Halbjahrs 1955 durchgeführt wurden. Die Konjunkturwissenschaftler sind der Auffassung, daß die Lohnquote im gesamten Jahr 1955 voraussichtlich niedriger sein wird als im Jahre 1954.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Erst einmal beweisen!)

    — Herr Kollege, ich habe soeben darauf hingewiesen. daß diese Voraussage auf verhältnismäßig eindeutigen konjunkturstatistischen Feststellungen beruht, und ich würde es sehr begrüßen, wenn wir in der Diskussion gemeinsam von festgestellten Tatsachen und nicht von Ressentiments ausgehen könnten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Dabei ist noch eines zu beachten. Wir haben nämlich eine strukturelle Veränderung im Beschäftigtenstand zu verzeichnen. Sie geht dahin, daß der Anteil der Unselbständigen an den Beschäftigten ständig steigt, so daß wir tendenziell eine steigende Lohnquote haben müßten. Wenn man diese Dinge objektiv beurteilt, so kann man von einer konjunkturellen Übersteigerung des Lohnniveaus in keiner Weise sprechen. Wir müssen vielmehr feststellen, daß es durch die Tarifbewegungen des letzten Jahres höchstens gelungen ist, den Anteil der Lohn- und Gehaltseinkommen am Sozialprodukt knapp zu halten. Unter diesen Umständen ist es sehr bemerkenswert, daß der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie am 4. Oktober in Hamburg von einer relativen Überhöhung des Anteils des Sozialprodukts, der auf die Unselbständigen entfällt, sprechen konnte. Meine Damen und Herren, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie braucht anscheinend nicht zu wissen, daß das Nettosozialprodukt je Beschäftigter um 6,6 % gestiegen ist, der Lohnanteil je Beschäftigter jedoch nur um 6,4%. Er braucht nicht zu wissen, daß der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände noch Ende September davor gewarnt hat, die Lohnbewegung zu dramatisieren, da sie sich bisher im Rahmen der Ertragskraft der Unternehmen gehalten hätte. Er braucht anscheinend auch nicht zu wissen, daß die Bundesregierung am 16. September 1955 in ihrem Bericht an die OEEC ausgeführt hat, die Steigerung der Löhne und Gehälter halte sich durchaus im Rahmen der Produktivitätssteigerung.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Zu den jetzigen Lohnbewegungen darf ich eine Bemerkung machen. Nach den vorliegenden Berechnungen sind in dem ersten Halbjahr 1955 Lohnbewegungen für etwa 23 °/o der Arbeitnehmer durchgeführt worden. Insgesamt haben diese Lohnbewegungen zur Erhöhung des gesamten Lohn- und Gehaltsniveaus um 2 % geführt — innerhalb eines halben Jahres meine Damen und Herren! Dabei vertreten maßgebliche konjunkturwissenschaftliche Beobachter die Auffassung, daß bei einer Steigerung. des Sozialprodukts von 8 bis 10 % Lohnerhöhungen um 5 % im Jahre durchaus unbedenklich sind.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Damit möchte ich meine Ausführungen über die Lohnquote abschließen.
    Tragischer und für unsere konjunkturpolitischen Überlegungen von größerer Bedeutung ist die Entwicklung des Sozialeinkommens, d. h. die Entwicklung des Einkommens jener Schichten, die auf die niedrigen Renten, deren Erhöhung bei uns so schwer durchzusetzen ist, angewiesen sind. Das Sozialeinkommen bleibt in seinem Anteil am Sozialprodukt seit Jahren ständig hinter der Entwicklung der übrigen Einkommensströme zurück.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es betrug im ersten Halbjahr 1954 rund 15 % des Nettosozialproduktes, im ersten Halbjahr 1955 nur noch 13,7 %.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Das sind die Kreise der Bevölkerung, deren Ausgaben nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes zu 72 % auf Lebensmittel, Wohnung, Heizung und Beleuchtung entfallen, d. h. auf die Ausgabeposten, die gerade in der letzten Zeit und in der Zukunft einer Preissteigerung unterliegen bzw. unterliegen werden. Es ist die Tragik dieser Bevölkerungsschicht, daß sie auf der einen Seite keinen angemessenen Anteil an der Steigerung des Sozialprodukts hat, daß aber auf der anderen Seite die Lasten aus Preiserhöhungen um so stärker auf sie heruntergehen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aus dieser Entwicklung ist es zu erklären, daß die Masseneinkommen — das sind also die Lohn- und Gehaltseinkommen und das Sozialeinkommen — im ersten Halbjahre 1955 erstmalig einen Tiefstand erreicht haben. Hier liegt die Quelle für die Tatsache, daß der private Verbrauch in Deutschland stetig abnimmt, nämlich von einem Satz von 63 % im zweiten Quartal 1953 auf weniger als 60 % im ersten Quartal 1955. In dieser Entwicklung


    (Dr. Deist)

    der Masseneinkommen und in dieser Entwicklung des privaten Verbrauchs liegt die Ursache für das Nachhinken der Einzelhandelsumsätze ebenso wie für das Nachhinken der Entwicklung in der Verbrauchsgüterindustrie.
    Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Diskussionen um diese Probleme etwas näher ansieht, dann kann man nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die sogenannten Selbständigen-Einkommen seit dem Jahre 1954 eine diametral entgegengesetzte Entwicklung genommen haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Zuwachsrate der Selbständigen-Einkommen betrug im zweiten Halbjahr 1955 gegenüber dem ersten Halbjahr 1955 20 % bei einer Steigerung des Sozialprodukts um nur 14 %. Das sind Tatsachen, die man bei einer konjunkturpolitischen Debatte nicht außer Betracht lassen kann.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Um den Zusammenhang der Daten, die ich soeben gegeben habe, stärker herauszustellen, möchte ich diese Analyse in sieben Zahlen zusammenfassen. Das Bruttosozialprodukt ist im zweiten Quartal 1955 gegenüber dem zweiten Quartal 1954 um 14 % gestiegen. In der gleichen Zeit zeigten das Masseneinkommen eine Zuwachsrate von nur 12 %, die Einzelhandelsumsätze eine solche von 10 % und der Produktionsindex der Verbrauchsgüterindustrie ebenfalls eine solche von 10 %. Beachten Sie aber bitte: Bei einem Zuwachs des Sozialprodukts von 14 % sind die Selbständigen-Einkommen um 10 %, die Anlageinvestitionen um 25 % und der Produktionsindex der Investitionsgüterindustrie um 24 % gestiegen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Hier liegt der Schlüssel für die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitionsgüterindustrie und der der Produktionsgüterindustrie, und die Feststellung, die wir zu treffen haben, ist, daß es in diesem wirtschaftlichen Aufschwung, in dem wir stehen, zahlreiche Gruppen gibt, die in der Sonne dieser Entwicklung stehen — das sind die Selbständigen-Einkommen, das ist im Rahmen der Industrie die Investitionsgüterindustrie —, und daß es eine große Gruppe gibt, die im Schatten dieser Entwicklung steht, das sind die Masseneinkommensempfänger und folgerichtig die Konsumgüterindustrie.
    Meine Damen und Herren! Wenn diese Analyse richtig ist, dann ergeben sich daraus entscheidende Konsequenzen. Dann ergibt sich zunächst einmal, daß die konjunkturpolitischen Maßnahmen so unterschiedlich sein müssen, wie die wirtschaftliche Lage unterschiedlich ist. Infolgedessen sind — und darin stimmen wir überein — kreditpolitische Maßnahmen zu grob und zu roh, als daß sie den augenblicklichen Tatbeständen Rechnung tragen könnten. Aber man soll der Bank deutscher Länder nicht vorwerfen, daß sie in der entscheidenden Situation die ihr gemäßen Mittel — und ihr stehen nur kreditpolitische Mittel zur Verfügung — anwendet, wenn die Wirtschaftspolitik es unterläßt, die ihr gemäßen wirtschaftspolitischen Mittel zum Einsatz zu bringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein zweites Ergebnis ergibt sich aus dieser Analyse: daß wir eine vorsichtige Dämpfung der Investitionspolitik vornehmen müssen. Aber, meine Damen und Herren — und ich werde darauf noch einmal zurückkommen —, wir müssen uns der Grenzen einer solchen Dämpfungsmöglichkeit bewußt sein.
    Die dritte Konsequenz, die sich ergibt, ist die Notwendigkeit einer Umschichtung der Einkommensströme, um eine Steigerung der Nachfrage nach den traditionellen Verbrauchsgütern herbeizuführen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nur durch solche gezielten Maßnahmen können wir die augenblicklichen Spannungen, die auf der unterschiedlichen Entwicklung von Investitionsgüterindustrie und Konsumgüterindustrie beruhen, beseitigen.
    Und dann eine vierte Konsequenz, meine Damen und Herren, die wir nicht vergessen sollten! In einer Situation wie der augenblicklichen, in der diese Spannungen eine Tatsache sind, werden wir auch auf ernsthafte preispolitische Maßnahmen nicht verzichten können.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das bedeutet nicht, daß wir eine Preisstarre wünschen. Aber wir wünschen, daß die Wirtschaftspolitik von den ihr zustehenden Mitteln Gebrauch macht. Sie muß ausschließen, daß Preissenkungen dort, wo sie durchaus möglich sind, im Hinblick auf die augenblickliche Marktlage unterbleiben, und dafür sorgen, daß Preiserhöhungen dort, wo sie nicht notwendig sind, unter allen Umständen vermieden werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Auf diesen Überlegungen beruhen die Vorschläge der Sozialdemokratie zur augenblicklichen konjunkturpolitischen Situation, die ich im einzelnen begründen darf. Es handelt sich dabei um eine Einheit von Vorschlägen. Es handelt sich um gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen, weil wir ebenfalls nicht wünschen, daß ohne Not von unmittelbaren verwaltungsmäßigen Eingriffen in die Wirtschaft Gebrauch gemacht wird.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Zu dem ersten Punkt: Dämpfung der Investitionsgüterkonjunktur. Auf die Frage, worauf die Übersteigerung in Teilen der Investitionskonjunktur, insbesondere im Rahmen der Bauwirtschaft, zurückzuführen ist, herrschen die merkwürdigsten Vorstellungen. Es scheint mir daher notwendig, die Zusammenhänge hier etwas deutlicher darzulegen, weil sich wieder einmal die Tendenz abzeichnet, die öffentliche Wirtschaft zum Sündenbock für Entwicklungen in der freien Wirtschaft zu machen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Von der Gesamtinvestitionsquote des ersten Halbjahres 1955 entfielen allein 60 % auf die sogenannten Ausrüstungsindustrien, d. h. auf den Bereich der privaten Wirtschaft. Nur 40 % der gesamten Investitionen spielen überhaupt eine Rolle für die öffentliche Wirtschaft, also für die Bauindustrie, — —

    (Zuruf von der Mitte.)

    — Bitte, nicht so früh! Ich habe gesagt: „kommen dafür überhaupt in Frage". Wie hoch der Anteil der öffentlichen Wirtschaft an diesen 40 % ist, das kann 'ich Ihnen leider nicht im selben Satz, sondern nur in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen sagen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Deist)

    Von den Bauinvestitionen, die insgesamt also nur 40 % des Investitionsvolumens ausmachen, entfallen, gemessen nach den Arbeitsstunden, 46 % auf den Wohnungsbau. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob einer hier im Saale ist, der ernsthaft verlangt, daß der Wohnungsbau gedrosselt werden soll,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

    zumal der soziale Wohnungsbau nicht einmal seinen Anteil an der gesamten Bauproduktion gehalten hat, sondern absolut zurückgegangen ist.

    (Zustimmung bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Meine Damen und Herren, diese 46 % der Bauproduktion fallen also für Dämpfungsmaßnahmen aus. Ich sehe, daß wir darüber einig sind.
    Die Bauinvestitionen der gewerblichen Industrie erstrecken sich auf 22,5 % des Bauvolumens — immerhin ein nicht sehr unwesentlicher Faktor —, und ich komme darauf zurück, ob nicht steuerpolitische Maßnahmen der Bundesregierung mit daran schuld sind, daß diese Investitionen so massiert im Jahre 1955 aufgetreten sind.

    (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Damit komme ich zum öffentlichen und zum Verkehrsbau.
    Der Verkehrsbau hat einen Anteil von 20 %. Das ist ein hoher Satz. Vielleicht aber ist doch allgemein bekannt, daß im Verkehrsbau der Einsatz von Maschinen eine entscheidende Rolle spielt und daß im gesamten Tiefbau wesentliche Anspannungen auf dem Arbeitsmarkt nicht aufgetreten sind. Hier ist also eine Gelegenheit, die Baumaßnahmen in gewissem Umfange auszudehnen, ohne daß sich ungünstige Folgen für die Entwicklung der Konjunktur zu ergeben brauchen.
    Auf den Hochbau der öffentlichen Hand — in ihn fallen auch die zwei oder drei oder vier Opernhausbauten, die wir genau wie Sie gern zurückgestellt wünschten — entfallen ganze 8 % des Bauvolumens.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Darin sind enthalten die Krankenhausbauten, die Schulhausneubauten und die zahlreichen Gesundheitseinrichtungen, die die Kommunen schaffen. In diesem Sektor des Hochbaues der öffentlichen Hand hat es eine Steigerung um 4 % gegeben, während die Investitionen in Gewerbe und Industrie um 20 % gestiegen sind.

    (Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Tatsachen. Und dann frage ich Sie, was von den Ausführungen eines Wirtschaftsjournalisten in der „Welt" mit Namen Ferdinand Fried zu halten ist, der am 14. Oktober folgendes schrieb:
    Derselbe Staat, der die Wirtschaft beschwor, Maß zu halten, war in seiner Bauwut einer Maßlosigkeit erlegen, die schließlich die ganze Wirtschaft hypnotisiert.
    Meine Damen und Herren, das ist eine maßlose Sprache, die mit den Tatsachen in keiner Weise in Übereinstimmung zu bringen ist.

    (Zuruf des Abg. Dr. Böhm Immer wieder derselbe Ferdinand Fried!)

    Der zweite Block von Anträgen, die wir eingebracht haben, befaßt sich mit idem Problem, der Verbrauchsgüterindustrie den Anschluß an die allgemeine Entwicklung der Wirtschaft zu schaffen. Wir stimmen überein, daß generelle Steuersenkungen heute währungs- und konjunkturpolitisch das Falscheste wären, was man unternehmen kann. Nötig sind gezielte Maßnahmen, die zur Folge haben, daß die Nachfrage nach den traditionellen Verbrauchsgütern angeregt wird. Es kann meines Erachtens kein Zweifel darüber bestehen, daß diese spezielle Nachfrage gestärkt werden würde, wenn man die ganz niedrigen Einkommen erhöht. Darum unsere Anträge, die Bezüge der Rentner zu erhöhen und die Einkommensteuerfreigrenze anzuheben. Das sind ganz gezielte Maßnahmen, ergriffen in der bewußten Absicht, nur die niedrigen Einkommen zu vergrößern, um jedenfalls in gewissem Umfang zu gewährleisten, daß die neugeschaffene Kaufkraft auf die Bereiche zuläuft, in idenen noch Produktionskapazitäten offen sind und bei denen nicht zu befürchten ist, daß eine unglückliche Entwicklung der Konjunktur eingeleitet wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Unsere Anträge auf Senkung der Zölle und Verbrauchsteuern gehen in die gleiche Richtung. Wir haben dabei das Bestreben, die neugeschaffene Kaufkraft in gewissem Umfang auf Einfuhrgüter zu verlagern und damit einen etwaigen Anreiz auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland zu vermindern.
    Der dritte Komplex von Anträgen, die meine Fraktion gestellt hat, befaßt sich mit der Normalisierung der Preisentwicklung. Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß es sich hier um ein entscheidendes Problem handelt und daß von der Preisentwicklung die größeren Gefahren für unsere konjunkturelle Weiterentwicklung drohen. Wir glauben aber, daß die Bundesregierung wirksamere wirtschaftspolitische Maßnahmen als in der Vergangenheit treffen müßte.

    (Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

    Unsere Anträge zielen dahin, die wesentlichen Verbrauchsteuern, die für die Verbraucher von Bedeutung sind, sowie die Zölle auf Kaffee, Tee und Kakao zu beseitigen. Bei Annahme unserer Anträge würde der Preis für ein Pfund Zucker von 68 auf 55 Pf gesenkt werden können, der Preis für eine Schachtel Streichhölzer von 10 auf 5 Pf. Uns ist es dabei ganz gleichgültig, ob die Senkung der Verbraucherpreise für Kaffee, Tee und Kakao auf dem Wege über idle Zölle oder auf dem Wege über die Verbrauchsteuer herbeigeführt wird. Darüber lassen wir durchaus mit uns reden. Uns kommt es darauf an, eine effektive Senkung der Verbraucherpreise auf diesen Gebieten zu erzielen.

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte.)

    Auf dem Gebiete der Landwirtschaft ist nach unserer Auffassung bei der augenblicklichen Konjunktursituation kein Platz für Preiserhöhungen für Lebensmittel jeder Art.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich sage das mit allem Nachdruck, weil nach unserer Auffassung ein empfindliches Element für die Gestaltung des Preisklimas auch der Milchpreis ist, der im Augenblick unter keinen Umständen erhöht werden darf. Wir sind uns durchaus klar darüber, daß auf dem Gebiete der Rationalisierung und Kostensenkung innerhalb der Landwirtschaft einiges getan werden muß. Wir haben uns darum auch nicht darauf beschränkt, zu beantragen, daß Preiserhöhungen verhindert werden, sondern wir haben


    (Dr. Deist)

    umfangreiche Vorschläge zur Rationalisierung der Landwirtschaft gemacht, und wir haben insbesondere nicht unwichtige Umsatzsteuersenkungen auf diesem Gebiete vorgeschlagen. Wir sind 'begierig darauf, die Regierungsvorschläge zu erhalten, die uns in der Regierungserklärung angesagt worden sind. Wir werden sie mit aller Objektivität und Gründlichkeit prüfen.

    (Abg. Kunze [Bethel] : Sehr gut!)

    Aber dann kommt ein vierter Punkt unseres Programms. Ein ,entscheidendes Kriterium für eine wirksame Konjunkturpolitik ist, daß schnell gehandelt wird. Das ist nur möglich, wenn der Regierung ein Instrumentarium zur Verfügung steht, das sie im gegebenen Augenblick ohne große Verzögerungen anwenden kann.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir 'bedauern sehr, daß die Erklärung der Bundesregierung auf diesem Gebiete, soweit ich sehen kann, nichts enthält. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Beginn dieses Jahres einen großen Feldzug für eine Ermächtigung zu Zollherabsetzungen gestartet. Er hat dafür aus der Gewalt seiner Sprache einen sehr prägnanten Ausdruck gebraucht. Er sprach von der „fleet in being", die in Zukunft jede Steigerung der Preise verhindern würde. Als wir im Juli/August wieder Preissteigerungen zu verzeichnen hatten, tauchte dieses Projekt erneut aus dem Kreise des Bundeswirtschaftsministeriums auf. Ich bedaure sehr, daß die Bundesregierung sich nicht hat entschließen können, ein solches wichtiges konjunkturpolitisches Mittel anzuwenden und damit den Interesseneinflüssen entgegenzutreten, von denen auch in der heutigen Regierungserklärung wieder gesprochen wurde.
    Wir wünschen weiter, daß die Bundesregierung von den Möglichkeiten der Preisprüfung, die insbesondere bei öffentlichen Aufträgen zur Verfügung stehen, etwas rasanter und wirksamer Gebrauch macht, als es ihrer Gepflogenheit entspricht.

    (Abg. Arnholz: Sehr gut!)

    Schließlich darf ich an ein weiteres Instrument erinnern, den bekannten Preistreiberei-Paragraphen. Da die Widerstände bei den verschiedenen Interessengruppen dieses Hauses gegen diesen Preistreiberei-Paragraphen offenbar sehr stark sind, hat der Herr Bundeswirtschaftsminister auch hier die Zuflucht zu schlagkräftigen Formulierungen gesucht und mehrfach von dem „Dolch im Gewande" gesprochen, der ihm nun endlich zur Verfügung gestellt werden müsse.

    (Lachen bei der SPD.)

    Wie wichtig der Preistreiberei-Paragraph ist, können wir der Vorlage der Bundesregierung entnehmen, die Sie seinerzeit leider abgelehnt haben. Darin hieß es nämlich:
    Auch in einer Marktwirtschaft können auf einzelnen Gebieten Engpässe auftreten, die von uneinsichtigen Elementen benutzt werden können, volkswirtschaftlich ungerechtfertigte Preise zu fordern. Ein solches Verfahren kann nicht geduldet werden.
    Ich bin durchaus der Auffassung, daß ein solches Verfahren nicht geduldet werden kann und nicht geduldet werden darf.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dann sollte sich aber die Bundesregierung bereit finden, in ihrer Regierungserklärung nicht nur vage und verklausulierte Zusagen und Versprechungen zu machen, sondern ernsthafte Vorschläge auszuarbeiten.

    (Erneter, lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    In diesem Zusammenhang möchte ich von einem weiteren Instrument der Wirtschaftspolitik sprechen, das von der Regierung auch nicht sonderlich tatkräftig ausgenutzt wird. Das ist die sogenannte Auskunftspflichtverordnung. Wir haben die akrobatischen Übungen des Herrn Vertreters des Bundeswirtschaftsministers in einer der letzten Sitzungen miterlebt, in denen er darzulegen versuchte, inwieweit er über die Kostenlage in der Mineralölindustrie im Bilde sei und inwieweit nicht. In diesem Zusammenhang erscheint es sehr tragisch — und damit wende ich mich an Sie, meine Herren hier in der Mitte des Hauses —, daß Sie im Oktober vorigen Jahres noch den Mut gefunden haben, einen Antrag einzubringen, der zum Ziel hatte, diese Auskunftspflichtverordnung zu beseitigen,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    eines der wenigen Mittel, mit denen eine Regierung, die auf unmittelbare Eingriffe in die Wirtschaft verzichtet, sich wenigstens einen Überblick über das verschaffen kann, was in der Wirtschaft vor sich geht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Anträge der SPD stellen, wie ich hoffe dargelegt zu haben, ein konjunkturpolitisches Gesamtprogramm dar; sie sind daher im Zusammenhang zu sehen. Sie werden unter ihnen auch alte Bekannte finden, manche alte Bekannte, Anträge, die wir, die Sozialdemokratie, Ihnen im Laufe der letzten Jahre mehrfach vorgelegt und die Sie mutig abgelehnt haben, wobei Sie heute überlegen müssen, ob Sie ernsthaft bei dieser Ablehnung bleiben sollen. Sie werden aber auch einige Bekannte finden, Anträge, die Anregungen der Bundesregierung bzw. des Herrn Bundeswirtschaftsministers entsprechen. Wir sind gar nicht so. Wenn gute Einfälle von der Bundesregierung kommen, sind wir gern bereit, sie im gegebenen Moment aufzunehmen.

    (Beifall und Heiterkeit in der Mitte.)

    Aber, meine Damen und Herren, wir möchten doch einmal feststellen, ob es zu den Richtlinien der Politik der Bundesregierung gehört — die hat ja wohl der Herr Bundeskanzler aufzustellen —, daß jeder Bundesminister je nach Belieben gelegentlich unverbindliche Vorschläge in die Welt setzen darf, ohne daß sie von der Bundesregierung ernsthaft gewollt waren oder aufgenommen werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, damit komme ich zu dem Programm der Bundesregierung. Ich möchte sagen: es ist ein legitimes Kind seiner Eltern.

    (Heiterkeit.)

    Es trägt etwas sehr stark die hektischen Züge der Unrast, Unsicherheit und Unklarheit der letzten drei Monate. Mir scheint, es ist nicht frei von der Erblast der Wirtschaftspolitik der letzten sechs Jahre.

    (Abg. Majonica: Sie haben sich von der eigenen freigemacht, Herr Dr. Deist! — Zuruf von der CDU/CSU: Der Rest ist zu ertragen!)



    (Dr. Deist)

    — Darüber werden wir uns etwas später unterhalten, nicht jetzt.

    (Abg. Dr. Dresbach: Aber von Nölting bis Deist ist auch ein Weg!)

    Es ist ein wichtiges Element der modernen Konjunktur- und Wirtschaftspolitik, daß sie frühzeitig und schlagkräftig handelt, um nicht eines schönen Tages gezwungen zu sein, schärfere und unerwünschtere Maßnahmen zu treffen. In dem Bericht der Wirtschaftsberater des amerikanischen Präsidenten, der sich mit der Bekämpfung der Recession im vergangenen Jahre befaßt, wird darauf hingewiesen, daß ein wesentliches Element der Wirksamkeit der Regierungsmaßnahmen das schnelle Handeln gewesen sei.
    Jetzt darf ich einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung der letzten drei Monate werfen. Im Juli zeigten sich die ersten stärkeren Spannungen, von denen ich gesprochen habe. Wenn die Presse richtig berichtet hat, hat auch der Herr Bundeskanzler im Juli den Herrn Bundeswirtschaftsminister darauf aufmerksam gemacht, daß ihm da einiges nicht ganz in Ordnung zu sein scheine. Die Bank deutscher Länder hat am 3. August 1955 mit den ihr angemessenen Mitteln prompt reagiert.

    (Zuruf von der Mitte: Beide zusammen!)

    Wir wollen nachher einmal untersuchen, welche Maßnahmen wirksamer gewesen sind, die Maßnahmen der Bundesregierung während dieser drei Monate oder die Maßnahme der Bank deutscher Länder am 3. August!

    (Beifall bei der SPD.)

    Nach diesem 3. August begann eine sehr geschäftige Ministertätigkeit. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hielt zahllose Besprechungen ab; er begann mit den Metzgermeistern und endete beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Er eilte von Tagung zu Tagung, von Messe zu Messe, von Rundfunk zu Rundfunk. Die übrigen Minister beteiligten sich in gemessenem Abstand an dieser Tätigkeit.

    (Heiterkeit.)

    Das ganze Kaleidoskop dieser drei Monate kann man an einem Abend nicht darbieten. Ich darf aber diese Entwicklung durch drei Beispiele charakterisieren. Der Herr Vizekanzler Blücher war einer der ersten, der sich äußerte und damals zu wissen gab, daß nur Steuersenkungen möglich seien, die nicht den Verbrauch anregten. Es hat nicht sehr lange gedauert, bis der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesfinanzminister Vorschläge für die Senkung von Verbrauchsteuern vorlegten.

    (Große Heiterkeit bei der SPD.)

    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Beginn dieser Aktion ein großes Programm für Jedermann-Einfuhren gestartet. Wir waren alle, glaube ich, erstaunt, als wir beinahe am selben Tage eine Verordnung des Herrn Bundesfinanzministers zu Gesicht bekamen, wonach nunmehr beim Grenzübergang nicht mehr ein halbes Pfund Kaffee ohne Verzollung mitgeführt werden darf!

    (Große Heiterkeit.)

    Ich habe nicht gehört, daß diese Verordnung des
    Herrn Finanzministers aufgehoben worden wäre.
    Aber von dem Jedermann-Programm habe ich beim
    aufmerksamen Verfolgen der Regierungserklärung ebenfalls nichts entdecken können.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Und nun die dritte Tatsache! Der Herr Bundeswirtschaftsminister führt seit Jahren einen anerkennenswerten Kampf .um Preissenkungen, und wenn die Presse wiederum richtig berichtet hat —ich habe keinen Zweifel daran —, dann hat der Herr Bundesernährungsminister ihm letzthin erklärt, er habe nun zwei Jahre lang von Preissenkungen gehört, er habe aber immer nur Preiserhöhungen für Betriebsmittel der Landwirtschaft gesehen; jetzt verlange er auch seinen Milchpreis. Da kann ich es verstehen, daß der Herr Bundeskanzler in einer, wie es in der Presse hieß, bewegten und temperamentvollen Sitzung am 28. September dieses Jahres zu dem Ergebnis kam, unter diese etwas hektische Tätigkeit müsse nun endgültig ein Schlußstrich gezogen werden, und irgend etwas müsse man dem Bundestag gelegentlich anbieten können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das war das Gegenteil von raschem, konjunkturbewußtem Handeln. Das war schlechteste Psychologie; denn sie hat den Maßnahmen der Bundesregierung von vornherein einen Teil ihrer Wirksamkeit genommen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)


    (Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

    Meine Damen und Herren! Ich kann mich nicht enthalten, auch ein Wort über die Investitionspolitik der Bundesregierung zu sagen. Die Bundesregierung scheut dieses Wort wie das Feuer das Wasser. Wir waren einmal so weit. Das war im Jahre 1951. Da wußten wir alle, und da begriff es auch die Bundesregierung, daß es notwendig sei, größere Investitionsmittel in gewisse Engpaßindustrien, insbesondere in die Grundstoffindustrien zu lenken. Ein kluger Mann, der nicht zur Sozialdemokratie gehört, der Herr Präsident Abs von der Wiederaufbaubank, entwickelte einen Plan über die Verwendung von Abschreibungen für Investitionszwecke. Der Herr Bundesfinanzminister, der in solchen Fällen erfreulicherweise prompt zu reagieren pflegt, hatte bereits, wie die Presse mitteilen konnte, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorbereitet. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister sagte: Was nicht sein darf, das kann nicht sein,

    (Heiterkeit)

    es darf keine Investitionslenkung geben, sondern wir müssen daraus so etwas wie eine freiwillige Selbsthilfe der deutschen Wirtschaft machen.
    Die sah nun folgendermaßen aus: Die freiwilligen Selbsthelfer weigerten sich in großer Zahl, dieses freiwillige Opfer zu bringen, und mußten von den Vollstreckungsbeamten der Finanzämter gezwungen werden, ihren Obolus zu entrichten. Ein Teil dieser freiwilligen Selbsthelfer ging zum Bundesverfassungsgericht, weil sie der Auffassung waren, das sei vielleicht doch eine verspätete Auflage jenes freiwilligen Zwanges, den wir längst hinter uns glaubten.

    (Heiterkeit.)

    Das Bundesverfassungsgericht hat erfreulicherweise sehr deutlich gesagt, was hier vorliegt. Es hat in einer Entscheidung, die dann veröffentlicht


    (Dr. Deist)

    worden ist, gesagt, es handle sich hier um ein Gesetz, mit dem der Staat ordnend und lenkend in die Wirtschaft eingreift, das bezwecke, Kapital zu Investitionszwecken aus einem bestimmten Bereich der Wirtschaft in einen anderen zu leiten, und hat abschließend gesagt, daß es sich dabei um eine durchaus legitime Aufgabe des modernen Staates handele.
    Meine Damen und Herren! Wir wären wesentlich weiter gewesen, wenn wir diese Investitionslenkung auf dem normalen Weg der Gesetzgebung durchgeführt hätten. Dann wäre sie einmal nicht zwei Jahre zu spät gekommen und dann wäre sie auch nicht zwei Jahre zu spät beendet worden. Ihnen, meine Damen und Herren, ist dann das Pech passiert, daß Sie in diesem Gesetz eine weitere Bestimmung verankert haben, die sich als konjunkturpolitisch außerordentlich gefährlich erwiesen hat, indem Sie nämlich die Wirksamkeit der Abschreibungsmöglichkeiten nach § 3 b des Gesetzes auf den 31. Dezember 1954 terminisierten. Nun gingen sämtliche Unternehmungen dazu über, Ende 1954 noch schnell ihre Aufträge unterzubringen; und darauf ist ein erheblicher Teil dieser massierten Investitionen, die wir in diesem Jahre 1955 erleben, zurückzuführen.
    Ich bin gerade bei der Steuerpolitik. Wir haben im letzten Jahr die Steuerreform verabschiedet zu einem Zeitpunkt, in dem die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitions- und der Konsumgüterindustrie ganz offen lag und die Bedeutung der Entwicklung der Unternehmenseinkommen ebenfalls klar war. In dieser Sitzung hat mein Freund Kurlbaum — es war die Sitzung vom 18. November 1954 — folgendes ausgeführt:
    Um so erstaunlicher ist es, daß die Regierungsvorlage und auch die Ausschußbeschlüsse wieder an der einseitigen und bevorzugten Entlastung gerade derjenigen Einkommen festhalten, die in erster Linie für die Investitionen in Frage kommen. Dabei läuft seit Anfang des Jahres wieder einmal die Investitionsgüterproduktion der stagnierenden Konsumgüterproduktion weg.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie diese Mahnungen beachtet hätten, brauchten wir nicht zu verzeichnen, daß im ganzen Ablauf des letzten Jahres die Belastung des Lohneinkommens gesteigert worden ist, während die selbständigen Einkommen wesentlich entlastet worden sind, so daß sich stetig neue Impulse für weitere Investitionen ergaben.
    In dem Steueraufkommen des zweiten Quartals 1955 wirkt sich das so aus: gegenüber 1954 ist das Lohnsteueraufkommen um 18 %, das Zoll- und Verbrauchsteueraufkommen um 17 %, dagegen sind die Einkommensteuer- und Körperschaftsteueraufkommen nur um 2 % gestiegen,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    obwohl die Gewinne und Einkünfte der Unternehmungen im vergangenen Jahr wesentlich gestiegen sind.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, das ist das Gegenteil einer konjunkturbewußten Steuerpolitik.
    Zum Schluß darf ich noch auf die Tragödie der Kohleversorgung hinweisen. Wir wissen seit langer Zeit, daß wir in der Kohleversorgung in einem Engpaß sind. Bei der Bundesregierung aber ist ein
    Optimismus anzutreffen, der in keiner Weise mit den Realitäten in Übereinstimmung zu bringen ist. Darauf ist es mit zurückzuführen, daß wir diesen Versorgungs- und Preiswirrwarr haben und daß wir im Endeffekt — dazu sehen Sie sich bitte die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Sozialdemokratie an — eine echte, wenn auch schlechte Bewirtschaftung der Kohle haben mit alten, überholten und unwirksamen Kontingentsvorstellungen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie müßten erkennen, daß der Verzicht auf aktive Maßnahmen der Wirtschaftspolitik schwerwiegende Folgen haben kann.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Regierungserklärung der Sorge über das Verhalten der Menschen im wirtschaftlichen Prozeß Ausdruck gegeben. Selbstverständlich wird die wirtschaftliche Entwicklung von Menschen gemacht, und infolgedessen spielt auch das menschliche Verhalten in der Wirtschaft eine Rolle. Darum ist eine psychologische Beeinflussung nicht unwichtig. Aber es ist einmal zu beachten, daß auf die gleichen psychologischen Maßnahmen die Reaktionen in den verschiedenen angesprochenen Kreisen durchaus verschieden sein können und daß es für psychologische Maßnahmen sehr enge Grenzen gibt.
    Ich weiß nicht, ob es richtig ist, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister auf einer der großen Veranstaltungen, auf denen er sprach, davon redete, er fühle sich als Vorkämpfer psychologischer Meinungsbildung in der Wirtschaft, oder wenn er vor der deutschen Werbewirtschaft sagte, er sei sein eigener Werbeleiter,

    (Lachen bei der SPD)

    und wenn er dann offenbar in Durchführung dieses Programms in der Presse nach Art der großen Markenartikelfirmen halbseitige Inserate veröffentlichte.

    (Zuruf von der SPD: Wer bezahlt die?)

    Meine Damen und Herren, es ist doch sehr die Frage, ob es richtig ist, ein Ministerium für Wirtschaftspolitik zu einer wirtschaftspsychologischen Versuchsanstalt abzuwerten.

    (Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD.)

    Das Problem liegt doch tiefer, es liegt darin, daß in einer so kritischen Situation, wie wir sie durchmachen, von den Menschen in der Wirtschaft ein Verhalten verlangt wird, das man in der Wissenschaft als antizyklisch bezeichnet, d. h. ein Verhalten, das mit ihrer normalen privatwirtschaftlichen Denkungsweise nicht mehr übereinstimmt. Was verlangen Sie von dem Unternehmer? Sie verlangen von ihm, bei guter Absatzlage, wo sich für ihn privatwirtschaftlich eine Möglichkeit zur Preiserhöhung ergibt, plötzlich zu sagen: Nein, ich verzichte auf Preiserhöhung. — Sie verlangen auf einmal entgegen allen Ihren Darlegungen über die Bedeutung der Privatinitiative und der privatwirtschaftlichen Denkungsweise von dem Unternehmen in einem Zeitpunkt, in dem es hohe Gewinne hat, es dürfe diese Mittel keineswegs zu Investitionen verwenden. Sie verlangen von der Arbeitnehmerschaft in einem Augenblick, in dem ihre arbeitsmarktpsychologische Situation erstmalig günstiger ist, sie müsse ausgerechnet in diesem Augenblick auf Lohnerhöhungen verzichten.


    (Dr. Deist)


    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf des Bundeswirtschaftsministers.)

    — Richtig, Herr Bundeswirtschaftsminister, nicht verzichten! Aber Sie reden ihnen gut zu, sich in dem Rahmen zu halten, welcher usw., und das wird dann wieder' von allen Seiten jeweils völlig verschieden verstanden.

    (Abg. Etzenbach: Maßhalten!)

    Herr Bundeswirtschaftsminister, man sollte einsehen, daß für die psychologische Beeinflussung sehr enge Grenzen gezogen sind. Es gibt einen lebendigen Gegenbeweis gegen die Wirksamkeit solcher psychologischer Maßnahmen. Dieser lebendige Gegenbeweis ist der Herr Präsident Berg, der mit unnachahmlicher Treffsicherheit dieses ganze psychologische Entspannungsgebäude des Herrn Bundeswirtschaftsministers zum wesentlichen Teil wieder zerstört hat.
    Wir müssen uns hiernach darüber klar sein, daß der psychologischen Beeinflussung nicht die Bedeutung beigemessen werden kann, die ihr im Rahmen der Regierungserklärung gegeben wird, daß mit ihr die Erfolge, die der Bundeswirtschaftsminister meint erzielen zu können, nicht zu erreichen sind. Das gute Zureden hat seine Grenzen. Es kommt entscheidend darauf an, wirtschaftspolitische Tatsachen zu schaffen, die die psychologischen Reaktionen. verändern.
    Die psychologische Wirkung der Zinsheraufsetzung und die Erhöhung der Mindestreservesätze durch die Bank deutscher Länder ist wesentlich größer gewesen als die Reden und psychologischen Versuche des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Dabei bin ich gerne bereit, diese Reden sämtlich zu addieren und dabei darauf zu verzichten, Negatives und Positives gegeneinander zu kompensieren.
    Zu dem Erfolge dieser psychologischen Preissenkungstätigkeit hat sich der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Erklärung geäußert. Meine Damen und Herren, ich glaube, man muß diesen Satz aufmerksam lesen. Er lautet:
    Diese teilweise belächelten Mittel der Konjunkturbeeinflussung
    — das hat also auch der Herr Bundeswirtschaftsminister inzwischen erfahren müssen —
    haben bereits gewisse Wirkungen gezeitigt. Eine Anzahl von Unternehmungen hat bereits Preissenkungen auch für solche Güter durchgeführt, die der breiten Masse der Bevölkerung zugute kommen, und andere haben ihre Bereitschaft bekundet.
    Ich habe dargelegt, daß auch meine Fraktion auf effektive Preissenkungen entscheidenden Wert legt. Aber ich glaube nicht, daß z. B. die Senkung der Strompreise durch das RWE für Kleinstabnehmer—das sind, glaube ich, 1 % der Verbraucher von RWE-Strom — wirklich eine Bedeutung preispolitischer Art hat. Ich glaube nicht, daß die Senkung des Preises der Helmstedter Braunkohle für 600 000 t Briketts im Jahr bei einer Gesamtförderung an Kohle von 120 bis 130 Millionen t eine nennenswerte preispolitische Bedeutung hat. Ich kann nicht anerkennen, daß die Senkung der Preise für Sanella um 2 Pf für ein Pfund — d. h. etwa 1 % auf den gesamten Absatz von Margarine
    — eine nennenswerte Bedeutung für das Preisklima und die Preisentwicklung hat. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir sind zutiefst davon überzeugt, daß Preissenkungen ein wichtiges Element der augenblicklichen Wirtschaftspolitik sind;

    (Beifall bei der SPD)

    schiefe preispolitische Optik aber ist kein solches Mittel.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zu den konkreten Punkten der Erklärung der Bundesregierung kann ich mich, da sie einen verhältnismäßig engen Rahmen im Zusammenhang der Ankündigungen enthalten, verhältnismäßig kurz fassen. Wir haben Kenntnis davon genommen, daß allgemeine Steuersenkungen nicht möglich sind, daß insbesondere nicht zu zusätzlichen Investitionen angereizt werden soll. Das scheint mir ein Gesprächsthema zwischen Bundesregierung und Koalitionsparteien zu sein, so daß ich mich nicht näher damit zu befassen brauche.
    Zur Senkung der Verbrauchsteuern bedauern wir, daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage gesehen hat, uns irgendwelche konkreten Ansatzpunkte für diese Maßnahmen zu nennen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Bundesregierung hat sich leider nach dreimonatiger Tätigkeit darauf beschränkt, ganz vage, allgemeine Grundsätze mitzuteilen.

    (Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

    Die Zollsenkung für Betriebsmittel der Landwirtschaft, für Baustoffe und Bedarfsgüter bleibt nach unserer Auffassung hinter dem Notwendigen zurück. Wir hätten gewünscht, daß die Bundesregierung unseren Vorschlag, diese Zölle aufzuheben, übernommen hätte.
    Zu einem vierten Punkt gestatten Sie mir eine besondere Bemerkung. Hier spricht die Bundesregierung von ihrem Bemühen, staatlich gebundene Preise und Tarife nicht zu erhöhen. Wir werden Gelegenheit haben, im Laufe dieser Debatte in bezug auf den Milchpreis festzustellen, wie weit die Wirksamkeit dieses Bemühens geht.
    Ein weiterer Punkt bedarf einer besonderen Erörterung. Die Bundesregierung hat unter ihren, ich glaube, elf Punkten keinen einzigen Punkt, der die Frage berührt, ob nicht durch die Erhöhung bestimmter niedriger Einkommen der Verbrauch angeregt und damit eine Steigerung der Verbrauchsgütererzeugung herbeigeführt werden kann. Ich habe mit einigem Erstaunen den Satz gehört, die Bundesregierung vertrete keine Konjunkturpolitik, die den Willen erkennen ließe, den Verbrauch bewußt zu verkürzen. Ich weiß nicht, ob der Ton auf „bewußt" oder auf „erkennen ließe" liegt. Aber ich darf doch darauf hinweisen, daß die Steuerreform des Jahres 1954 jedenfalls objektiv dahin geführt hat, daß der Verbrauch nicht die Entwicklung genommen hat, die er bei einer angemessenen Steuerpolitik hätte nehmen können und müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Problem ist nicht, im Augenblick — bewußt oder unbewußt — die Verbrauchsgüterindustrie zu bremsen, das Problem ist, die Verbrauchsgüterindustrie zu fördern, um ihr wieder den Anschluß an die allgemeine Konjunkturentwicklung zu verschaffen.
    Meine Damen und Herren, ich darf meine Bemerkungen zu den Vorschlägen der Regierung ab-


    (Dr. Deist)

    schließen. Mir scheint, diese Regierungserklärung war, wenn man sie als Programm zur Konjunkturpolitik betrachtet, kein Meisterstück.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich habe mich nun noch mit den Anträgen der verschiedenen Fraktionen dieses Hauses zu befassen. Wir bedauern, daß sich die Anträge der Koalitionsparteien fast ausschließlich auf allgemeine, unverbindliche Empfehlungen beschränken,

    (Zustimmung bei der SPD)

    ,daß insbesondere die größte Regierungspartei fast
    ausschließlich die Bundesregierung bittet, gewisse
    Dinge zu prüfen, zu untersuchen und zu erwägen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, in der augenblicklichen Situation reicht das nicht als Dokumentation eines echten Willens zur konjunkturpolitischen Aktivität aus.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein Teil dieser Anträge kommt leider etwas zu spät.
    Die CDU hat die Überprüfung von Baumaßnahmen verlangt. Sie wissen, daß der entsprechende Antrag der SPD — nur mit einer kleinen wichtigen Variation — seit langer Zeit vorliegt. Auch die Wissenschaftlichen Beiräte des Bundesfinanzministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums z. B. sind der Meinung, daß hier der Rüstungswirtschaft eine entscheidende Bedeutung zukommt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Dieser entscheidende Punkt ist leider in Ihrem Antrag nicht besonders erwähnt, was bei seiner Bedeutung notwendig wäre.

    (Abg. Arnholz: Sehr gut!)

    Die Freie Demokratische Partei hat einen großen Anlauf unternommen, um die Beseitigung aller Verbrauchsteuern zu verlangen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß die entscheidenden Anträge — ich erinnere an die Zuckersteuer und an di& Zündwarensteuer — bereits seit langem von der Sozialdemokratie gestellt worden sind. Sie hätten auch am 13. Oktober dieses Jahres im Ausschuß Gelegenheit gehabt, aus Anlaß der Beratung unseres Antrags auf Beseitigung der Zuckersteuer die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu dokumentieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darüber hinaus scheint mir eines bemerkenswert. Ich weiß nicht, ob es nicht doch etwas sehr schnell gegangen ist und sehr unüberlegt ist, wenn Sie in diese Beseitigung der Verbrauchsteuern auch die Branntweinsteuer einbeziehen. Mir scheint, daß im Augenblick Steuermittel, die freizumachen sind, in erster Linie anderen Kreisen der Bevölkerung zugeführt werden sollten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die CDU-Fraktion hat einen Antrag über Teilzahlungsgeschäfte eingebracht. Wir halten das für eine wertvolle Anregung und werden sie ernsthaft beraten und prüfen. Wir meinen allerdings, Sie hätten Gelegenheit gehabt, Ihre konjunkturpolitischen Anliegen vorzubringen, als unser Antrag zum Teilzahlungsgesetz in den Ausschüssen zur Beratung stand.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Nun komme ich zu einem Kreis von Anträgen, die wesentlich größere Bedeutung haben. Das sind
    jene Anträge, die wir als konjunkturpolitisch und währungspolitisch gefährlich ansehen müssen, jene Anträge nämlich, die eine generelle Senkung der Einkommen- und der Gewerbesteuer entweder verlangen oder doch zumindest vorsehen, die eine generelle Erleichterung von Abschreibungen und eine Förderung des Exports zum Ziele haben. Es gibt niemanden unter den verantwortungsbewußten Stellen — Herrn Berg rechne ich in diesem Falle nicht dazu —, der nicht der Auffassung wäre, daß derartige Anträge konjunktur- und währungspolitisch gefährlich sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich habe dabei aber eine Frage an die beiden Herren Minister Erhard und Schäffer. Ich habe in der Presse gelesen, daß diese Anträge innerhalb der CDU-Fraktion in Anwesenheit oder gar unter Beteiligung der beiden Herren Minister beraten worden seien. Ich habe den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister mir soeben zustimmte. Diese Anträge stehen in einem ausgesprochenen Gegensatz zu den lapidaren Grundsätzen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister über die Ablehnung genereller Steuersenkungen hier verkündet hat. Meine Frage lautet: Ist den Herren Ministern die Bedeutung dieser Anträge entgangen, oder waren sie der Auffassung, sie könnten durchgehen, weil es sich doch nur um ganz unverbindliche Entschließungsentwürfe handle?

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Ich sage das mit Absicht in dieser Überspitzung;
    denn mir scheint eine solche Politik, von der größten Koalitionspartei betrieben, unmöglich zu sein.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Die Anträge enthalten darüber hinaus einige besondere Probleme, die einer eingehenden Bearbeitung in den Ausschüssen wert sind. Dazu gehört vor allen Dingen der Antrag, der die Schaffung eines Konjunkturbeirats vorsieht, um eine ständige Konjunkturbeobachtung und konjunkturpolitische Empfehlungen zu ermöglichen. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß zu einer solchen Konjunkturbeobachtung und zu solchen konjunkturpolitischen Empfehlungen ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument gehört; das ist nämlich eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Ich weiß nicht, ob Sie es übersehen haben: mein Kollege Schoettle hat in der Haushaltsdebatte am 23. Juni 1955 — das ist also noch keine vier Monate her — darauf hingewiesen, daß der Einfluß der Finanz- und Wirtschaftspolitik auf die Wirtschaft so groß ist, daß die Notwendigkeit einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von niemandem bestritten werden kann. Wir haben damals keine Resonanz gefunden. Ich hoffe, daß der vorliegende Antrag Ausdruck einer besseren Überzeugung ist. Wir sind gern bereit, alle Vorschläge auf diesem Gebiet aufzunehmen, die uns die Möglichkeit zu einer besseren Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung geben.
    Das gleiche gilt für die Behandlung der Kassenbestände der öffentlichen Hand. Ich hoffe, wir sind uns darüber im klaren, daß das ein höchst vielschichtiges und höchst schwieriges Problem ist, insbesondere soweit nicht nur die Kassenbestände bei Bund und Ländern, sondern auch bei Gemeinden und Gemeindeverbänden in Frage kommen. Aber wir sind gern bereit, unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten den Kerngedanken dieser Anträge einer Überprüfung zu unterziehen.


    (Dr. Deist)

    Ein Antrag — der CDU/CSU, glaube ich —, befaßt sich mit der Kreditversorgung des Mittelstandes. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir dazu einige Sätze. Seit zwei Jahren befassen wir uns in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages — ich glaube, alle mit gleicher Besorgnis und mit gleichem Eifer — mit diesem Problem der Kreditversorgung der mittleren und kleineren Betriebe. Seit zwei Jahren werden draußen im Lande Kreditgarantiegemeinschaften für Handwerk und Handel gegründet, mit einem bis jetzt jedenfalls nicht überwältigendem Erfolge. Daß wir in diesen Arbeiten bisher nicht vorwärts gekommen sind, ist jedenfalls nicht Schuld der Opposition; das werden Sie mir zugeben. Aber ich bitte Sie: was soll bei dieser Situation ein Antrag, der weiter nichts enthält als die Bitte an die Bundesregierung, doch wieder einmal dieses Problem zu prüfen!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dabei handelt es sich — das möchte ich unterstreichen — bei der Kreditversorgung der mittleren und kleineren Unternehmungen um ein außerordentlich ernstes Problem.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Aber das ist gar nicht so sehr ein konjunkturpolitisches Problem — es gehört eigentlich gar nicht in diese Debatte hinein —, das ist ein ernstes strukturpolitisches Problem. Es hängt mit der Struktur des gesamten Kapitalmarkts in den modernen großen Industriestaaten zusammen. Genau so wie es bei uns Schwierigkeiten bereitet, Personalkredit für das mittlere und kleinere Unternehmen zu schaffen, genau so haben Frankreich und England dieselben Schwierigkeiten, und die gleichen Schwierigkeiten sehen wir auch in einem Land wie Nordamerika, das einen gut funktionierenden Kapitalmarkt hat. Das liegt nämlich daran, daß auf dem Kapitalmarkt die großen Kapitalsammelstellen ein so großes Gewicht bekommen haben und daß diese Kapitalsammelstellen aus der Natur der Sache heraus auf eine gesicherte Anlage Wert legen müssen. Darum handelt es sich hier um ein wichtiges wirtschaftspolitisches Problem, das uns mindestens so am Herzen liegt wie Ihnen. Aber bitte: nicht solche weiße Salbe wie diesen Antrag.

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit komme ich zu einigen abschließenden Bemerkungen. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, daß der Ablauf der Wirtschaft nicht allein der Automatik der privaten Wirtschaft überlassen bleiben kann. Wirtschaftspolitische Aktivität und staatliche Intervention sind in begrenztem Rahmen nötig, wenn nicht die Gefahr schwerer Schäden für die gesamte gesellschaftliche Ordnung aufkommen soll. Es gibt leider bei uns in Deutschland einflußreiche Kreise der Wirtschaft, die sich gegen diese staatliche Aktivität wehren, zumal dadurch Gewicht und Einfluß mächtiger Wirtschaftsgruppen stärker auf das Maß zurückgeschraubt wird, das ihnen nach demokratischen Spielregeln zukommt. Deshalb werden — darum habe ich das Beispiel aus der „Welt" angeführt — in der Öffentlichkeit Staat und öffentliche Wirtschaft diffamiert, obwohl die öffentliche Wirtschaftstätigkeit, insbesondere auf dem Baumarkt, für die Entwicklung der Konjunktur von untergeordneter Bedeutung gewesen ist und gerade eine aktive staatliche Wirtschaftspolitik das Gebot der Stunde ist.
    Meine Damen und Herren, Sie sollten sich überlegen, ob die Politik der Bundesregierung nicht den Boden für eine solche Haltung mit bereitet hat, ob
    nicht auch das Bundeswirtschaftsministerium mit seiner jahrelangen Diffamierung der staatlichen Einflußnahme auf die Wirtschaft einen erklecklichen Anteil Schuld an dieser Entwicklung auf sein Konto buchen muß.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Mehrheit des Hauses möge sich überlegen, ob sie mit ihrer Haltung beim Preistreibereiparagraphen und bei dem Antrag der CDU auf Beseitigung der Auskunftspflichtverordnung nicht ebenfalls ein Stück Schuld an dieser Entwicklung trägt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Herr Bundeswirtschaftsminister muß inzwischen erschütternde Erfahrungen gemacht haben; er hat sich vor kurzem, zwar nicht in Deutschland, aber in Ischl, also auf einer Tagung in Österreich, hierzu geäußert. Die „Neue Zürcher Zeitung" berichtet darüber:
    Eindringlich klingt seine Warnung vor dem Überwuchern der Verbandsmacht. Indem die Organisationen zum Selbstzweck würden und einen eigenen Willen bekämen, sinke der Staat zum Spielball der Interessenten herab.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe den Eindruck, daß Sie in diesem Augenblick nicht die Gewerkschaften als die Interessentengruppen gemeint haben, deren Einfluß Sie zurückdrängen müßten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber hier liegt ein ernstes Problem. Hier ist die Frage zu entscheiden, ob nicht durch eine solche Politik und eine solche passive Haltung der verantwortlichen Wirtschaftspolitik praktisch die Möglichkeit genommen wird, im entscheidenden Augenblick wirksam zu werden und sich, wie das der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung versprochen und wie das der Herr Bundeswirtschaftsminister heute wieder betont hat, gegen das Überwuchern von Interesseneinflüssen mit Erfolg zur Wehr zu setzen.
    Meine Damen und Herren! Warum sage ich das an dieser Stelle? Wir wissen, daß uns in Berlin Millionen Menschen hören, die Wert darauf legen, daß in echt demokratischer Weise die verschiedenen Meinungen frei ausgetragen werden. Aber wir sollen uns über eines nicht täuschen. Millionen von diesen Menschen haben das Fegefeuer zweier Diktaturen mit offenen Sinnen durchgemacht, und bei ihnen besteht die Sorge, daß unsere wirtschaftliche Entwicklung nur zu einer Restauration von Zuständen der Vergangenheit führen könnte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darum sollte diese Debatte vor allen Dingen auch ein Bekenntnis zum sozialen Gehalt der Demokratie sein.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Die Bevölkerungsschichten, denen unsere Anträge besonders gelten, die kleineren Einkommens- und Rentenbezieher, müssen wissen, daß der demokratische Staat verhindern kann und wird, daß sie vielleicht wieder einmal das hilflose Opfer der konjunkturellen Entwicklung sein werden. Der demokratische Staat muß beweisen, daß er in der Lage ist, die wirtschaftliche Entwicklung mit politischen Mitteln zu gestalten und unabhängig von Interessengesichtspunkten eine gesunde soziale Ordnung zu gewährleisten.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)