Rede:
ID0210613300

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2106

  • date_rangeDatum: 19. Oktober 1955

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 106. Sitzung. Berlin-Charlottenburg, Mittwoch, den 19. Oktober 1955 5807 106. Sitzung Berlin-Charlottenburg, Mittwoch, den 19. Oktober 1955. Ansprache zum Beginn der Arbeitswoche in Berlin Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . 5808 C Beurlaubte Abgeordnete (Anlage) 5849 A Frau Margarethe Hütter tritt an Stelle des ausgetretenen Dr. Pfleiderer in den Bundestag ein 5809 B Mitteilung über die Beantwortung der Kleinen Anfrage 195 (Drucksache 1726) betr. tarifpolitische Pläne des Bundesverkehrsministeriums (Drucksache 1800) 5809 C Fragestunde (Drucksache 1761): 1. betr. Wohnungsbewirtschaftung, Beschaffung von Wohnungen für kinderreiche Familien: Kahn-Ackermann (SPD) . . . 5809 C, 5810 B Dr. Wandersleb, Staatssekretär im Bundesministerium für Wohnungsbau 5809 C, 5810 B 2. betr. Maßnahmen zur Förderung des Fremdenverkehrs nach Berlin: Dr. Leiske (CDU/CSU) 5810 B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr . 5810 C 3. betr. Kulemeyer-Fahrzeuge der Deutschen Bundesbahn: Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . . 5811 A, B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr 5811 A, B 4. betr. Wiederverwendung der ehemali- Kasernen in Darmstadt für deutsche Streitkräfte: Hübner (FDP) 5811 C, D Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen 5811 D, 5812 A 5. betr. Zuwiderhandlungen gegen Bestimmungen des Güterkraftverkehrsgesetzes: Schmidt (Hamburg) (SPD) 5812 A Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr . 5812 A 6. betr. Ausschank von Alkohol in den Gaststätten an der Autobahn: Anfrage zurückgezogen 5812 C 7. betr. Erklärungen der Bundesregierung zur Beendigung des Beschlagnahmeverfahrens gegenüber deutschem Eigentum in den USA: Dr. Menzel (SPD) 5812 C, D Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 5812 C, D 8. betr. Vermögensstand der sozialen Rentenversicherung am 31. 12. 1954: Dr. Schellenberg (SPD) . . . . 5813 A, B, C Storch, Bundesminister für Arbeit 5813 A, B, C 9. betr. Befriedigung von Erstattungsansprüchen der Rentenversicherungsträger nach § 90 des Bundesversorgungsgesetzes: Dr. Schellenberg (SPD) . . . 5813 D, 5814 A Storch, Bundesminister für Arbeit 5813 D, 5814 A, B 10. betr. Auszahlung von Renten an alte, gebrechliche oder körperbehinderte Sozialrentner durch die Post oder die Sparkassen: Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) . . . 5814 B, D Storch, Bundesminister für Arbeit . . 5814 C 11. betr. Einheitliche Regelung für Richtungszeichen an Kraftfahrzeugen: Ritzel (SPD) 5814 D, 5815 B Dr. Bergemann, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr 5814 D, 5815 B 12. betr. Nichtbeachtung von Urteilen der Steuergerichte seitens der Finanzverwaltung: Dr. Bucher (FDP) 5815 C, D Schäffer, Bundesminister der Finanzen 5815 C, D 13. betr. Umstellung und Auszahlung von im Ostsektor Berlins eingefrorenen Postscheck- und Bankguthaben: Stingl (CDU/CSU) 5816 A Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5816 A 14. betr. Überprüfung der Höhe der Verdienste von Arbeitnehmern aus dem Ostsektor Berlins oder der sowjetisch besetzten Zone: Stingl (CDU/CSU) 5816 B Storch, Bundesminister für Arbeit 5816 C 15. betr. Maßnahmen zum Ausgleich der Benachteiligung von Arbeitnehmern, die auf den Rat westlicher Persönlichkeiten ihre Arbeitsplätze im Osten behalten haben und später entlassen wurden: Stingl (CDU/CSU) 5816 D Storch, Bundesminister für Arbeit 5817 A 16. betr. Vorlage der Denkschrift über die Behebung der Not in den Zonenrandgebieten: Freidhof (SPD) 5817 B, C Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5817 B, C 17. betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes über die Erweiterung des Jugendarbeitsschutzes: Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) . . . 5817 C Storch, Bundesminister für Arbeit . 5817 C 18. betr. Verschärfung des Strafmaßes für Verbrechen an Kindern und Jugendlichen: Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) 5817 D, 5818 B Neumayer, Bundesminister der Justiz 5818 A, B 19. betr. Änderungen des Bundesnotaufnahmegesetzes: Frau Dr. Maxsein (CDU/CSU) . . . 5818 C Dr. Dr. Oberländer, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte 5818 C Nächste Fragestunde 5818 D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung 5818 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 5818 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung, Beratung der Anträge und Initiativgesetzentwürfe zur konjunkturpolitischen Lage 5823 D Dr. Deist (SPD) 5823 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 5835 A Scheel (FDP) 5842 B Nächste Sitzung 5848 D Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5849 A Die Sitzung wird um 14 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Gleisner (Unna) 19. November Frehsee 15. November Kühn (Bonn) 15. November Matthes 15. November Dr. Miessner 15. November Welke 15. November Hoogen 12. November Albers 5. November Dr.-Ing. E. h. Schuberth 5. November Jahn (Frankfurt) 29. Oktober Altmaier 28. Oktober Dr. Becker (Hersfeld) 28. Oktober Fürst von Bismarck 28. Oktober Erler 28. Oktober Even 28. Oktober Gräfin Finckenstein 28. Oktober Gerns 28. Oktober Höfler 28. Oktober Kalbitzer 28. Oktober Kiesinger 28. Oktober Dr. Kopf 28. Oktober Dr. Lenz (Godesberg) 28. Oktober Dr. Leverkuehn 28. Oktober Lücker (München) 28. Oktober Dr. Lütkens 28. Oktober Marx 28. Oktober Dr. Mommer 28. Oktober Frau Meyer-Laule 28. Oktober Dr. Dr. h. c. Pünder 28. Oktober Dr. Oesterle 28. Oktober Paul 28. Oktober Frau Rehling 28. Oktober Schütz 28. Oktober Graf von Spreti 28. Oktober Dr. Wahl 28. Oktober Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 28. Oktober Miller 24. Oktober Günther 23. Oktober Bauer (Wasserburg) 22. Oktober Brockmann (Rinkerode) 22. Oktober Diekmann 22. Oktober Dr. Dollinger 22. Oktober Gefeller 22. Oktober Hilbert 22. Oktober Dr. Horlacher 22. Oktober Kahn 22. Oktober Könen (Düsseldorf) 22. Oktober Leibfried 22. Oktober Dr. Löhr 22. Oktober Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 22. Oktober Müller (Worms) 22. Oktober Müser 22. Oktober Frau Nadig 22. Oktober Neuburger 22. Oktober Pelster 22. Oktober Dr. Pferdmenges 22. Oktober Frau Pitz 22. Oktober Raestrup 22. Oktober Schill (Freiburg) 22. Oktober Schlick 22. Oktober Schloß 22. Oktober Seidl (Dorfen) 22. Oktober Dr. Starke 22. Oktober Dr. Werber 22. Oktober Winkelheide 22. Oktober Stahl 22. Oktober Peters 22. Oktober Dr. Maier (Stuttgart) 22. Oktober Dr. Baade 22. Oktober Dr. Bärsch 22. Oktober Dr. Furler 22. Oktober Kemper (Trier) 22. Oktober Kroll 22. Oktober Dr. Wellhausen 20. Oktober Dr. Pohle (Düsseldorf) 19. Oktober Maucher 19. Oktober b) Urlaubsanträge Abgeordnete bis einschließlich Dr. Bucerius 31. Oktober Gibbert 30. Oktober Dr. Greve 29. Oktober Dr. Köhler 29. Oktober Dr. Preller 29. Oktober Frau Rösch 29. Oktober
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    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um den Rahmen meiner Ausführungen abzugrenzen und Raum zu bekommen für die Behandlung der konkreten Fragen, die in der augenblicklichen Situation zur Diskussion stehen, möchte ich mit einigen grundsätzlichen Feststellungen beginnen, über die, soweit ich sehen kann, Übereinstimmung besteht, so daß sie — jedenfalls


    (Dr. Deist)

    soweit die Sozialdemokratische Partei in Frage kommt — keiner weiteren ausführlicheren Erörterung bedürfen.
    Zunächst möchte ich erklären: Wir sind stolz darauf, hier in Berlin feststellen zu können, daß die einmalige Entwicklung der deutschen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren die Frucht einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung war, die auf dem Fundament der Freiheit beruht.

    (Beifall bei allen Fraktionen.)

    Diese Entwicklung wäre ohne die gemeinsame Arbeit aller Schichten der Bevölkerung nicht möglich gewesen,

    (Sehr gut! in der Mitte)

    aber auch nicht möglich gewesen ohne das politische Kräftespiel der verschiedenen politischen Gruppen, das zu den wesentlichen Grundelementen der politischen Demokratie gehört.

    (Erneuter Beifall bei allen Parteien.)

    Ich möchte den Gedanken unterstreichen, daß die Sicherung der Stabilität der Währung eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Wirtschaftspolitik ist.

    (Abg. Dr. Dresbach: Bravo!)

    Alle unsere bisherige Arbeit wäre vergebens gewesen, wenn wir diesem Gedanken nicht unsere ganze Aufmerksamkeit widmeten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir werden daher alle Bemühungen unterstützen, die Stabilität der Währung zu sichern.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Ich möchte aber ergänzend sagen: Die Sozialdemokratie ist sich bei der Stellung ihrer Anträge zur augenblicklichen Konjunkturdebatte dieser ihrer Verpflichtung durchaus bewußt gewesen, und sie nimmt für sich in Anspruch, daß sie diesen Gesichtspunkt der Stabilisierung der Währung bei ihren Anträgen berücksichtigt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine dritte Feststellung. Wir leben im Zeichen einer Wirtschaft, die auf hohen Touren läuft. Wir stimmen darin überein, daß es falsch wäre, von einer Überhitzung der allgemeinen Konjunkturentwicklung zu sprechen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Die Tatsachen können noch nicht als alarmierend angesehen werden.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Aber das Problem, vor dem wir stehen, besteht darin, daß es erhebliche Spannungen in der Wirtschaft gibt und daß es unsere Aufgabe ist, diese Spannungen zu beseitigen.

    (Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Das Wirtschaftssystem der freien Welt kann sich nicht nur darin bewähren, daß in seinem Rahmen ein wirtschaftlicher Aufschwung aus der Tiefe möglich ist, sondern es hat sich darin zu bewähren, daß es einen hohen Grad der Beschäftigung bei stabilem Preisniveau und bei stabiler Währung erhalten und sichern kann.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und in der Mitte.)

    Damit komme ich zu den konkreten Problemen, die heute und morgen vor uns stehen. Die Entwicklung der letzten Monate etwa seit der Mitte des vergangenen Jahres ist durch drei Tatsachen gekennzeichnet.
    Die starke, steigende Expansion hat die Ungleichgewichte, die in der deutschen Wirtschaft bestehen, verstärkt. Zu diesen Ungleichgewichten gehört die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitions- und der der Verbrauchsgüterindustrie; dazu gehören auch gewisse Spannungen in der Rohstoffversorgung.
    Die hohe Beschäftigung, die wir in gewissen zentralen Gebieten der Wirtschaft zu verzeichnen haben, hat zum Ergebnis geführt, daß hier keine großen Reserven an Arbeitskräften mehr vorhanden sind, d. h. daß die Position der Tarifpartner am Arbeitsmarkt verändert ist.
    Und eine weitere Feststellung! Insbesondere in der Investitionsgüterindustrie hat die große Nachfrage dazu geführt, daß kein Überangebot mehr vorherrscht, so daß sich hier nunmehr auch die Preissituation am Markte verändert hat.
    Meine Damen und Herren, das sind bei hoher Beschäftigung normale Erscheinungen, und die Zeiten, in denen wir preisend mit viel schönen Reden die Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft begleiten konnten, sind vorbei.

    (Bravo! bei der SPD.)

    Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, wirtschaftspolitisch zu handeln.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dabei möchte ich auf einen Gesichtspunkt besonders hinweisen: Es handelt sich nicht um einen Ausnahmezustand, dem man mit Ausnahmemitteln begegnen könnte, sondern es handelt sich um einen normalen Zustand in einer hochbeschäftigten Wirtschaft, bei dem es darauf ankommt, das normale Instrumentarium der Wirtschaftspolitik zu entwickeln, um den Schwierigkeiten zu begegnen, die eine hohe Beschäftigung nun einmal aufwirft.
    Gestatten Sie mir, daß ich hierzu einige wichtige Daten anführe, weil mir eine globale Behandlung der augenblicklichen konjunkturellen Situation nicht ausreichend erscheint. Das wichtigste Ungleichgewicht, das die Wirtschaft heute aufweist, ist das Ungleichgewicht zwischen der Entwicklung der Investitionsgüterindustrie und der der Verbrauchsgüterindustrie. Während sich die Produktion der Gesamtindustrie im Laufe des letzten Jahres um 17 % erhöht hat, ist die Verbrauchsgüter-industrie mit einer Zuwachsrate von 10 % erheblich zurückgeblieben; demgegenüber hat die Investitionsgüterindustrie eine Zuwachsrate von 25 % im ersten Halbjahr 1955 und von mehr als 27 % im August dieses Jahres zu verzeichnen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Entsprechend haben sich die Bruttoanlageinvestitionen entwickelt. Der Anteil der Anlageinvestitionen am gesamten Sozialprodukt ist seit dem Jahre 1951 ständig stark gestiegen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat die augenblickliche Investitionsquote mit 27 % angegeben. Meine Damen und Herren, es gibt natürlich keine ewig und allgemein gültige Relation zwischen Investitionen und dem Sozialprodukt. Aber alle ernsthaften Beobachter der konjunkturellen Situation sind sich darin einig, daß unsere Investitionsquote für normale Verhältnisse überhöht ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)



    (Dr. Deist)

    Die Entwicklung der Investitionsquote erklärt sich selbstverständlich aus dem großen Nachholbedarf nach dem Kriege. Danach mußte die Investitionsquote in der ersten Zeit höher sein als normal. Aber seit dem Jahre 1953 steht das Problem vor uns, wiederum ein Gleichgewicht zwischen Investition und Verbrauch herzustellen. Meine Damen und Herren, das ist keine neue Erkenntnis. Im zweiten Quartal des Jahres 1953 haben wir erstmals einen großen Versuch gemacht, die Nachfrage, den privaten Bedarf durch erhebliche Konsumstöße anzuregen und damit zu einer Steigerung der Verbrauchsgüterproduktion zu kommen. Im zweiten Quartal des Jahres 1953 haben die Erhöhung der Beamtengehälter, die Erhöhung der Renten, die kleine Steuerreform und die ersten großen Vorschußzahlungen aus dem Lastenausgleich zu einer erheblichen Steigerung der Massenkaufkraft geführt. Das Ergebnis dieser Maßnahmen war, daß sich eine stärkere Nachfrage nach Konsumgütern geltend machte und daß wir erstmals Ansätze zu einer Verbrauchskonjunktur zu verzeichnen hatten.
    Es ist bedauerlich, daß es bei diesem einmaligen Impuls geblieben ist. Weitere Impulse zur Anregung der Verbrauchsgütererzeugung wurden jedenfalls durch die Wirtschaftspolitik nicht ausgelöst, und seither, seit dem Ende des Jahres 1953, wird unsere Konjunktur wieder einseitig durch die Investitionsgüterindustrie getragen. Seit dem Ende des Jahres 1953 steht daher stetig stärker das Problem vor uns, dieses Mißverhältnis zu beseitigen.
    Meine Damen und Herren! Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, der Kollege Ollenhauer, hat in seiner Antwort auf die Regierungserklärung am 28. Oktober 1953 folgendes ausgeführt:
    In der heutigen Situation wird der Ansatzpunkt für eine Ausweitung der Wirtschaft in erster Linie auf dem Gebiet der Konsumgüterindustrie liegen müssen.
    Und achten Sie bitte auf den nächsten Satz:
    Die erforderliche Stabilität der Wirtschaft kann daher nur durch ein harmonisches Entwicklungsverhältnis von Konsumgüter- und Investitionsgüterindustrie erreicht werden. Hierzu bedarf es des konstruktiven Einsatzes der wirtschaftspolitischen Mittel, die der Bundesregierung zur Verfügung stehen.
    Das ist dieselbe Forderung, meine Damen und Herren, die heute wiederum erhoben werden muß.
    Im Laufe des Jahres 1954 haben die konjunkturwissenschaftlichen Institute in einem gemeinsamen Gutachten darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, wieder ein normales Wechselspiel zwischen Verbrauch und Investitionen herbeizuführen. Seither haben wir eine ständige Diskussion darüber, daß der private Verbrauch und die Verbrauchsgüterindustrie zurückstehen. Viele kompetente Stellen haben sogar auch im Jahre 1954 sehr ernsthafte Überlegungen angestellt, ob nicht Lohnsteigerungen das notwendige Korrekturelement sein müßten, um eine Ausweitung der Produktion in der Verbrauchsgüterindustrie anzuregen. Die Öffentlichkeit hat davon keine Kenntnis genommen. Die Bundesregierung — wir wissen nicht, ob sie Kenntnis genommen hat — hat jedenfalls keine wirtschaftspolitischen Konsequenzen gezogen.
    Die steigende Diskrepanz zwischen Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie birgt nunmehr so große latente Gefahren in sich, daß ihr mit energischen Mitteln entgegengewirkt werden muß.
    Die amtliche Konjunkturberichterstattung und auch ein Teil der privaten Konjunkturberichterstatter glaubten im zweiten Quartal dieses Jahres feststellen zu können, daß im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung allmählich auch die Konsumgüterindustrie wieder nachziehe und den Anschluß an die allgemeine Entwicklung finde. Die zwischenzeitlichen Feststellungen insbesondere über die Entwicklung im Juli und August haben gezeigt, daß es sich hier um eine vorübergehende, wahrscheinlich nur saisonal zu erklärende Entwicklung gehandelt hat. Es ist der Lagebericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers vom August, der sehr deutlich ausführt, daß von einem starken konjunkturellen Nachziehen, von neuen Impulsen für die Wirtschaftsentwicklung von seiten der Konsumgüterindustrie keine Rede mehr sein könne. Das Problem steht daher genauso wie Ende 1953, nur in verschärfter Form, vor uns.
    Das Ergebnis dieser kurzen Analyse ist, daß in der Produktions- und Investitionsgüterindustrie die Grenzen der Kapazität weithin erreicht sind, so daß das Angebot geringer als die Nachfrage ist. Es zeigen sich jetzt deutlich Versorgungsengpässe: der allgemeine Versorgungsengpaß Kohle, der besondere Versorgungsengpaß Baustoffe für die Bauwirtschaft. Außerdem treten in diesen Zweigen der Wirtschaft starke Spannungen am Arbeitsmarkt auf. Die Verbrauchsgüterindustrie zeigt demgegenüber ein anderes Bild. Im ganzen können wir sagen, daß die Kapazitäten der Verbrauchsgüterindustrie nicht voll ausgenutzt sind. Dabei darf man sich nicht davon verleiten lassen, daß naturgemäß im Augenblick im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft bei den Verbrauchsgüterindustrien eine verhältnismäßig hohe Beschäftigung herrscht. Die Investitionen in der Verbrauchsgüterindustrie stagnieren im Schnitt seit dem Jahre 1950. Das Angebot an Verbrauchsgütern ist — natürlich bei Differenzierungen hier und dort — größer als die Nachfrage. Auch die Arbeitsmarktprobleme sind auf dem Gebiet der Verbrauchsgüterindustrie geringer. Im Juli 1955 betrug die Arbeitslosenquote bei den bergmännischen Beschäftigten 0,3 %, in der Produktions- und Investitionsgüterindustrie 1,2 %, dagegen in der Verbrauchsgüter-, Nahrungs- und Genußmittelindustrie 4 %. Auf dem Gebiet der Konsumgüterindustrie sind überdies größere Reserven auf dem Markt der weiblichen Arbeitskräfte vorhanden als z. B. für die Produktions- und Investitionsgüterindustrie.
    Aus dieser verschiedenen Situation der beiden Wirtschaftsbereiche ergeben sich unterschiedliche Folgen für die Preisbildung. Das Bundeswirtschaftsministerium hat im August dieses Jahres in seinem Lagebericht über die Erzeugerpreise festgestellt, daß die Preise der Grundstoffe und Produktionsgüter gegenüber dem Vorjahr um 7 %, die der Investitionsgüter um 2,5 %, in der Bauwirtschaft um 11 %, dagegen die Preise der Verbrauchsgüter nur um 0,7 % gestiegen sind.
    Was ist das Fazit, das wir aus diesen Zahlen zu ziehen haben? Diese Übersicht zeigt, daß im Rahmen der Produktions- und Investitionsgüterindustrie der automatische Preismechanismus nicht mehr funktioniert, daß den zunehmenden Preis-


    (Dr. Deist)

    erhöhungen nicht mehr in dem Ausmaß, wie es möglich und notwendig wäre, Preissenkungen gegenübertreten, so daß wir generell mit einem steigenden Preistrend zu rechnen haben. Hingegen können wir feststellen, daß in der Konsumgüterindustrie keine wesentlichen Veränderungen des Preisstandes erfolgt sind. Wir dürfen uns diese Tatsache auch nicht durch die Erkenntnis verschleiern lassen, daß der Lebenshaltungsindex sich anders entwickelt hat; denn in dem Lebenshaltungsindex spielen die Ausgaben für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die um 3 % im Laufe eines Jahres gestiegen sind, sowie Hausbrand und Miete eine entscheidende Rolle, so daß für das Ende des Jahres 1955 mit einer Steigerung der Lebenshaltungskosten um insgesamt 3 % gerechnet wird.
    Nun scheint mir eines interessant zu sein. Dieser Entwicklung auf dem Gebiet der Produktion entsprechen ähnliche Entwicklungen auf dem Gebiet der Einkommensströme. Die Frage der Einkommensströme, also die Frage der Lohnquote, des Sozialeinkommens und der Selbständigen-Einkommen, ist Gegenstand großer öffentlicher Auseinandersetzungen. Man kann nur bedauern, daß man sich in der Regel in diesen Auseinandersetzungen nicht die Mühe gibt, von den feststehenden Tatsachen auszugehen, über die die Konjunkturstatistik eindeutige Aussagen macht. Ich sehe mich daher genötigt, hierzu einige Worte zu sagen.
    Die Lohnquote, das ist also der Anteil der Lohn- und Einkommensbezüge am Gesamtsozialprodukt, hat sich im Laufe der letzten Jahre nicht wesentlich verändert. Sie bewegt sich zwischen 40 und 41 % des Nettosozialprodukts. Wir haben aber im ersten Halbjahr 1955 erstmalig ein Absinken der Lohnquote gegenüber dem ersten Halbjahr 1954 zu verzeichnen, und das ungeachtet der Lohnbewegungen, die im Laufe des Jahres 1954 und im Laufe des ersten Halbjahrs 1955 durchgeführt wurden. Die Konjunkturwissenschaftler sind der Auffassung, daß die Lohnquote im gesamten Jahr 1955 voraussichtlich niedriger sein wird als im Jahre 1954.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Erst einmal beweisen!)

    — Herr Kollege, ich habe soeben darauf hingewiesen. daß diese Voraussage auf verhältnismäßig eindeutigen konjunkturstatistischen Feststellungen beruht, und ich würde es sehr begrüßen, wenn wir in der Diskussion gemeinsam von festgestellten Tatsachen und nicht von Ressentiments ausgehen könnten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Dabei ist noch eines zu beachten. Wir haben nämlich eine strukturelle Veränderung im Beschäftigtenstand zu verzeichnen. Sie geht dahin, daß der Anteil der Unselbständigen an den Beschäftigten ständig steigt, so daß wir tendenziell eine steigende Lohnquote haben müßten. Wenn man diese Dinge objektiv beurteilt, so kann man von einer konjunkturellen Übersteigerung des Lohnniveaus in keiner Weise sprechen. Wir müssen vielmehr feststellen, daß es durch die Tarifbewegungen des letzten Jahres höchstens gelungen ist, den Anteil der Lohn- und Gehaltseinkommen am Sozialprodukt knapp zu halten. Unter diesen Umständen ist es sehr bemerkenswert, daß der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie am 4. Oktober in Hamburg von einer relativen Überhöhung des Anteils des Sozialprodukts, der auf die Unselbständigen entfällt, sprechen konnte. Meine Damen und Herren, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie braucht anscheinend nicht zu wissen, daß das Nettosozialprodukt je Beschäftigter um 6,6 % gestiegen ist, der Lohnanteil je Beschäftigter jedoch nur um 6,4%. Er braucht nicht zu wissen, daß der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände noch Ende September davor gewarnt hat, die Lohnbewegung zu dramatisieren, da sie sich bisher im Rahmen der Ertragskraft der Unternehmen gehalten hätte. Er braucht anscheinend auch nicht zu wissen, daß die Bundesregierung am 16. September 1955 in ihrem Bericht an die OEEC ausgeführt hat, die Steigerung der Löhne und Gehälter halte sich durchaus im Rahmen der Produktivitätssteigerung.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Zu den jetzigen Lohnbewegungen darf ich eine Bemerkung machen. Nach den vorliegenden Berechnungen sind in dem ersten Halbjahr 1955 Lohnbewegungen für etwa 23 °/o der Arbeitnehmer durchgeführt worden. Insgesamt haben diese Lohnbewegungen zur Erhöhung des gesamten Lohn- und Gehaltsniveaus um 2 % geführt — innerhalb eines halben Jahres meine Damen und Herren! Dabei vertreten maßgebliche konjunkturwissenschaftliche Beobachter die Auffassung, daß bei einer Steigerung. des Sozialprodukts von 8 bis 10 % Lohnerhöhungen um 5 % im Jahre durchaus unbedenklich sind.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Damit möchte ich meine Ausführungen über die Lohnquote abschließen.
    Tragischer und für unsere konjunkturpolitischen Überlegungen von größerer Bedeutung ist die Entwicklung des Sozialeinkommens, d. h. die Entwicklung des Einkommens jener Schichten, die auf die niedrigen Renten, deren Erhöhung bei uns so schwer durchzusetzen ist, angewiesen sind. Das Sozialeinkommen bleibt in seinem Anteil am Sozialprodukt seit Jahren ständig hinter der Entwicklung der übrigen Einkommensströme zurück.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es betrug im ersten Halbjahr 1954 rund 15 % des Nettosozialproduktes, im ersten Halbjahr 1955 nur noch 13,7 %.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Das sind die Kreise der Bevölkerung, deren Ausgaben nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes zu 72 % auf Lebensmittel, Wohnung, Heizung und Beleuchtung entfallen, d. h. auf die Ausgabeposten, die gerade in der letzten Zeit und in der Zukunft einer Preissteigerung unterliegen bzw. unterliegen werden. Es ist die Tragik dieser Bevölkerungsschicht, daß sie auf der einen Seite keinen angemessenen Anteil an der Steigerung des Sozialprodukts hat, daß aber auf der anderen Seite die Lasten aus Preiserhöhungen um so stärker auf sie heruntergehen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aus dieser Entwicklung ist es zu erklären, daß die Masseneinkommen — das sind also die Lohn- und Gehaltseinkommen und das Sozialeinkommen — im ersten Halbjahre 1955 erstmalig einen Tiefstand erreicht haben. Hier liegt die Quelle für die Tatsache, daß der private Verbrauch in Deutschland stetig abnimmt, nämlich von einem Satz von 63 % im zweiten Quartal 1953 auf weniger als 60 % im ersten Quartal 1955. In dieser Entwicklung


    (Dr. Deist)

    der Masseneinkommen und in dieser Entwicklung des privaten Verbrauchs liegt die Ursache für das Nachhinken der Einzelhandelsumsätze ebenso wie für das Nachhinken der Entwicklung in der Verbrauchsgüterindustrie.
    Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Diskussionen um diese Probleme etwas näher ansieht, dann kann man nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die sogenannten Selbständigen-Einkommen seit dem Jahre 1954 eine diametral entgegengesetzte Entwicklung genommen haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Zuwachsrate der Selbständigen-Einkommen betrug im zweiten Halbjahr 1955 gegenüber dem ersten Halbjahr 1955 20 % bei einer Steigerung des Sozialprodukts um nur 14 %. Das sind Tatsachen, die man bei einer konjunkturpolitischen Debatte nicht außer Betracht lassen kann.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Um den Zusammenhang der Daten, die ich soeben gegeben habe, stärker herauszustellen, möchte ich diese Analyse in sieben Zahlen zusammenfassen. Das Bruttosozialprodukt ist im zweiten Quartal 1955 gegenüber dem zweiten Quartal 1954 um 14 % gestiegen. In der gleichen Zeit zeigten das Masseneinkommen eine Zuwachsrate von nur 12 %, die Einzelhandelsumsätze eine solche von 10 % und der Produktionsindex der Verbrauchsgüterindustrie ebenfalls eine solche von 10 %. Beachten Sie aber bitte: Bei einem Zuwachs des Sozialprodukts von 14 % sind die Selbständigen-Einkommen um 10 %, die Anlageinvestitionen um 25 % und der Produktionsindex der Investitionsgüterindustrie um 24 % gestiegen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Hier liegt der Schlüssel für die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitionsgüterindustrie und der der Produktionsgüterindustrie, und die Feststellung, die wir zu treffen haben, ist, daß es in diesem wirtschaftlichen Aufschwung, in dem wir stehen, zahlreiche Gruppen gibt, die in der Sonne dieser Entwicklung stehen — das sind die Selbständigen-Einkommen, das ist im Rahmen der Industrie die Investitionsgüterindustrie —, und daß es eine große Gruppe gibt, die im Schatten dieser Entwicklung steht, das sind die Masseneinkommensempfänger und folgerichtig die Konsumgüterindustrie.
    Meine Damen und Herren! Wenn diese Analyse richtig ist, dann ergeben sich daraus entscheidende Konsequenzen. Dann ergibt sich zunächst einmal, daß die konjunkturpolitischen Maßnahmen so unterschiedlich sein müssen, wie die wirtschaftliche Lage unterschiedlich ist. Infolgedessen sind — und darin stimmen wir überein — kreditpolitische Maßnahmen zu grob und zu roh, als daß sie den augenblicklichen Tatbeständen Rechnung tragen könnten. Aber man soll der Bank deutscher Länder nicht vorwerfen, daß sie in der entscheidenden Situation die ihr gemäßen Mittel — und ihr stehen nur kreditpolitische Mittel zur Verfügung — anwendet, wenn die Wirtschaftspolitik es unterläßt, die ihr gemäßen wirtschaftspolitischen Mittel zum Einsatz zu bringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein zweites Ergebnis ergibt sich aus dieser Analyse: daß wir eine vorsichtige Dämpfung der Investitionspolitik vornehmen müssen. Aber, meine Damen und Herren — und ich werde darauf noch einmal zurückkommen —, wir müssen uns der Grenzen einer solchen Dämpfungsmöglichkeit bewußt sein.
    Die dritte Konsequenz, die sich ergibt, ist die Notwendigkeit einer Umschichtung der Einkommensströme, um eine Steigerung der Nachfrage nach den traditionellen Verbrauchsgütern herbeizuführen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nur durch solche gezielten Maßnahmen können wir die augenblicklichen Spannungen, die auf der unterschiedlichen Entwicklung von Investitionsgüterindustrie und Konsumgüterindustrie beruhen, beseitigen.
    Und dann eine vierte Konsequenz, meine Damen und Herren, die wir nicht vergessen sollten! In einer Situation wie der augenblicklichen, in der diese Spannungen eine Tatsache sind, werden wir auch auf ernsthafte preispolitische Maßnahmen nicht verzichten können.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das bedeutet nicht, daß wir eine Preisstarre wünschen. Aber wir wünschen, daß die Wirtschaftspolitik von den ihr zustehenden Mitteln Gebrauch macht. Sie muß ausschließen, daß Preissenkungen dort, wo sie durchaus möglich sind, im Hinblick auf die augenblickliche Marktlage unterbleiben, und dafür sorgen, daß Preiserhöhungen dort, wo sie nicht notwendig sind, unter allen Umständen vermieden werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Auf diesen Überlegungen beruhen die Vorschläge der Sozialdemokratie zur augenblicklichen konjunkturpolitischen Situation, die ich im einzelnen begründen darf. Es handelt sich dabei um eine Einheit von Vorschlägen. Es handelt sich um gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen, weil wir ebenfalls nicht wünschen, daß ohne Not von unmittelbaren verwaltungsmäßigen Eingriffen in die Wirtschaft Gebrauch gemacht wird.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Zu dem ersten Punkt: Dämpfung der Investitionsgüterkonjunktur. Auf die Frage, worauf die Übersteigerung in Teilen der Investitionskonjunktur, insbesondere im Rahmen der Bauwirtschaft, zurückzuführen ist, herrschen die merkwürdigsten Vorstellungen. Es scheint mir daher notwendig, die Zusammenhänge hier etwas deutlicher darzulegen, weil sich wieder einmal die Tendenz abzeichnet, die öffentliche Wirtschaft zum Sündenbock für Entwicklungen in der freien Wirtschaft zu machen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Von der Gesamtinvestitionsquote des ersten Halbjahres 1955 entfielen allein 60 % auf die sogenannten Ausrüstungsindustrien, d. h. auf den Bereich der privaten Wirtschaft. Nur 40 % der gesamten Investitionen spielen überhaupt eine Rolle für die öffentliche Wirtschaft, also für die Bauindustrie, — —

    (Zuruf von der Mitte.)

    — Bitte, nicht so früh! Ich habe gesagt: „kommen dafür überhaupt in Frage". Wie hoch der Anteil der öffentlichen Wirtschaft an diesen 40 % ist, das kann 'ich Ihnen leider nicht im selben Satz, sondern nur in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen sagen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Deist)

    Von den Bauinvestitionen, die insgesamt also nur 40 % des Investitionsvolumens ausmachen, entfallen, gemessen nach den Arbeitsstunden, 46 % auf den Wohnungsbau. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob einer hier im Saale ist, der ernsthaft verlangt, daß der Wohnungsbau gedrosselt werden soll,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

    zumal der soziale Wohnungsbau nicht einmal seinen Anteil an der gesamten Bauproduktion gehalten hat, sondern absolut zurückgegangen ist.

    (Zustimmung bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Meine Damen und Herren, diese 46 % der Bauproduktion fallen also für Dämpfungsmaßnahmen aus. Ich sehe, daß wir darüber einig sind.
    Die Bauinvestitionen der gewerblichen Industrie erstrecken sich auf 22,5 % des Bauvolumens — immerhin ein nicht sehr unwesentlicher Faktor —, und ich komme darauf zurück, ob nicht steuerpolitische Maßnahmen der Bundesregierung mit daran schuld sind, daß diese Investitionen so massiert im Jahre 1955 aufgetreten sind.

    (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Damit komme ich zum öffentlichen und zum Verkehrsbau.
    Der Verkehrsbau hat einen Anteil von 20 %. Das ist ein hoher Satz. Vielleicht aber ist doch allgemein bekannt, daß im Verkehrsbau der Einsatz von Maschinen eine entscheidende Rolle spielt und daß im gesamten Tiefbau wesentliche Anspannungen auf dem Arbeitsmarkt nicht aufgetreten sind. Hier ist also eine Gelegenheit, die Baumaßnahmen in gewissem Umfange auszudehnen, ohne daß sich ungünstige Folgen für die Entwicklung der Konjunktur zu ergeben brauchen.
    Auf den Hochbau der öffentlichen Hand — in ihn fallen auch die zwei oder drei oder vier Opernhausbauten, die wir genau wie Sie gern zurückgestellt wünschten — entfallen ganze 8 % des Bauvolumens.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Darin sind enthalten die Krankenhausbauten, die Schulhausneubauten und die zahlreichen Gesundheitseinrichtungen, die die Kommunen schaffen. In diesem Sektor des Hochbaues der öffentlichen Hand hat es eine Steigerung um 4 % gegeben, während die Investitionen in Gewerbe und Industrie um 20 % gestiegen sind.

    (Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Tatsachen. Und dann frage ich Sie, was von den Ausführungen eines Wirtschaftsjournalisten in der „Welt" mit Namen Ferdinand Fried zu halten ist, der am 14. Oktober folgendes schrieb:
    Derselbe Staat, der die Wirtschaft beschwor, Maß zu halten, war in seiner Bauwut einer Maßlosigkeit erlegen, die schließlich die ganze Wirtschaft hypnotisiert.
    Meine Damen und Herren, das ist eine maßlose Sprache, die mit den Tatsachen in keiner Weise in Übereinstimmung zu bringen ist.

    (Zuruf des Abg. Dr. Böhm Immer wieder derselbe Ferdinand Fried!)

    Der zweite Block von Anträgen, die wir eingebracht haben, befaßt sich mit idem Problem, der Verbrauchsgüterindustrie den Anschluß an die allgemeine Entwicklung der Wirtschaft zu schaffen. Wir stimmen überein, daß generelle Steuersenkungen heute währungs- und konjunkturpolitisch das Falscheste wären, was man unternehmen kann. Nötig sind gezielte Maßnahmen, die zur Folge haben, daß die Nachfrage nach den traditionellen Verbrauchsgütern angeregt wird. Es kann meines Erachtens kein Zweifel darüber bestehen, daß diese spezielle Nachfrage gestärkt werden würde, wenn man die ganz niedrigen Einkommen erhöht. Darum unsere Anträge, die Bezüge der Rentner zu erhöhen und die Einkommensteuerfreigrenze anzuheben. Das sind ganz gezielte Maßnahmen, ergriffen in der bewußten Absicht, nur die niedrigen Einkommen zu vergrößern, um jedenfalls in gewissem Umfang zu gewährleisten, daß die neugeschaffene Kaufkraft auf die Bereiche zuläuft, in idenen noch Produktionskapazitäten offen sind und bei denen nicht zu befürchten ist, daß eine unglückliche Entwicklung der Konjunktur eingeleitet wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Unsere Anträge auf Senkung der Zölle und Verbrauchsteuern gehen in die gleiche Richtung. Wir haben dabei das Bestreben, die neugeschaffene Kaufkraft in gewissem Umfang auf Einfuhrgüter zu verlagern und damit einen etwaigen Anreiz auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland zu vermindern.
    Der dritte Komplex von Anträgen, die meine Fraktion gestellt hat, befaßt sich mit der Normalisierung der Preisentwicklung. Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß es sich hier um ein entscheidendes Problem handelt und daß von der Preisentwicklung die größeren Gefahren für unsere konjunkturelle Weiterentwicklung drohen. Wir glauben aber, daß die Bundesregierung wirksamere wirtschaftspolitische Maßnahmen als in der Vergangenheit treffen müßte.

    (Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

    Unsere Anträge zielen dahin, die wesentlichen Verbrauchsteuern, die für die Verbraucher von Bedeutung sind, sowie die Zölle auf Kaffee, Tee und Kakao zu beseitigen. Bei Annahme unserer Anträge würde der Preis für ein Pfund Zucker von 68 auf 55 Pf gesenkt werden können, der Preis für eine Schachtel Streichhölzer von 10 auf 5 Pf. Uns ist es dabei ganz gleichgültig, ob die Senkung der Verbraucherpreise für Kaffee, Tee und Kakao auf dem Wege über idle Zölle oder auf dem Wege über die Verbrauchsteuer herbeigeführt wird. Darüber lassen wir durchaus mit uns reden. Uns kommt es darauf an, eine effektive Senkung der Verbraucherpreise auf diesen Gebieten zu erzielen.

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte.)

    Auf dem Gebiete der Landwirtschaft ist nach unserer Auffassung bei der augenblicklichen Konjunktursituation kein Platz für Preiserhöhungen für Lebensmittel jeder Art.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich sage das mit allem Nachdruck, weil nach unserer Auffassung ein empfindliches Element für die Gestaltung des Preisklimas auch der Milchpreis ist, der im Augenblick unter keinen Umständen erhöht werden darf. Wir sind uns durchaus klar darüber, daß auf dem Gebiete der Rationalisierung und Kostensenkung innerhalb der Landwirtschaft einiges getan werden muß. Wir haben uns darum auch nicht darauf beschränkt, zu beantragen, daß Preiserhöhungen verhindert werden, sondern wir haben


    (Dr. Deist)

    umfangreiche Vorschläge zur Rationalisierung der Landwirtschaft gemacht, und wir haben insbesondere nicht unwichtige Umsatzsteuersenkungen auf diesem Gebiete vorgeschlagen. Wir sind 'begierig darauf, die Regierungsvorschläge zu erhalten, die uns in der Regierungserklärung angesagt worden sind. Wir werden sie mit aller Objektivität und Gründlichkeit prüfen.

    (Abg. Kunze [Bethel] : Sehr gut!)

    Aber dann kommt ein vierter Punkt unseres Programms. Ein ,entscheidendes Kriterium für eine wirksame Konjunkturpolitik ist, daß schnell gehandelt wird. Das ist nur möglich, wenn der Regierung ein Instrumentarium zur Verfügung steht, das sie im gegebenen Augenblick ohne große Verzögerungen anwenden kann.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir 'bedauern sehr, daß die Erklärung der Bundesregierung auf diesem Gebiete, soweit ich sehen kann, nichts enthält. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Beginn dieses Jahres einen großen Feldzug für eine Ermächtigung zu Zollherabsetzungen gestartet. Er hat dafür aus der Gewalt seiner Sprache einen sehr prägnanten Ausdruck gebraucht. Er sprach von der „fleet in being", die in Zukunft jede Steigerung der Preise verhindern würde. Als wir im Juli/August wieder Preissteigerungen zu verzeichnen hatten, tauchte dieses Projekt erneut aus dem Kreise des Bundeswirtschaftsministeriums auf. Ich bedaure sehr, daß die Bundesregierung sich nicht hat entschließen können, ein solches wichtiges konjunkturpolitisches Mittel anzuwenden und damit den Interesseneinflüssen entgegenzutreten, von denen auch in der heutigen Regierungserklärung wieder gesprochen wurde.
    Wir wünschen weiter, daß die Bundesregierung von den Möglichkeiten der Preisprüfung, die insbesondere bei öffentlichen Aufträgen zur Verfügung stehen, etwas rasanter und wirksamer Gebrauch macht, als es ihrer Gepflogenheit entspricht.

    (Abg. Arnholz: Sehr gut!)

    Schließlich darf ich an ein weiteres Instrument erinnern, den bekannten Preistreiberei-Paragraphen. Da die Widerstände bei den verschiedenen Interessengruppen dieses Hauses gegen diesen Preistreiberei-Paragraphen offenbar sehr stark sind, hat der Herr Bundeswirtschaftsminister auch hier die Zuflucht zu schlagkräftigen Formulierungen gesucht und mehrfach von dem „Dolch im Gewande" gesprochen, der ihm nun endlich zur Verfügung gestellt werden müsse.

    (Lachen bei der SPD.)

    Wie wichtig der Preistreiberei-Paragraph ist, können wir der Vorlage der Bundesregierung entnehmen, die Sie seinerzeit leider abgelehnt haben. Darin hieß es nämlich:
    Auch in einer Marktwirtschaft können auf einzelnen Gebieten Engpässe auftreten, die von uneinsichtigen Elementen benutzt werden können, volkswirtschaftlich ungerechtfertigte Preise zu fordern. Ein solches Verfahren kann nicht geduldet werden.
    Ich bin durchaus der Auffassung, daß ein solches Verfahren nicht geduldet werden kann und nicht geduldet werden darf.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dann sollte sich aber die Bundesregierung bereit finden, in ihrer Regierungserklärung nicht nur vage und verklausulierte Zusagen und Versprechungen zu machen, sondern ernsthafte Vorschläge auszuarbeiten.

    (Erneter, lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    In diesem Zusammenhang möchte ich von einem weiteren Instrument der Wirtschaftspolitik sprechen, das von der Regierung auch nicht sonderlich tatkräftig ausgenutzt wird. Das ist die sogenannte Auskunftspflichtverordnung. Wir haben die akrobatischen Übungen des Herrn Vertreters des Bundeswirtschaftsministers in einer der letzten Sitzungen miterlebt, in denen er darzulegen versuchte, inwieweit er über die Kostenlage in der Mineralölindustrie im Bilde sei und inwieweit nicht. In diesem Zusammenhang erscheint es sehr tragisch — und damit wende ich mich an Sie, meine Herren hier in der Mitte des Hauses —, daß Sie im Oktober vorigen Jahres noch den Mut gefunden haben, einen Antrag einzubringen, der zum Ziel hatte, diese Auskunftspflichtverordnung zu beseitigen,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    eines der wenigen Mittel, mit denen eine Regierung, die auf unmittelbare Eingriffe in die Wirtschaft verzichtet, sich wenigstens einen Überblick über das verschaffen kann, was in der Wirtschaft vor sich geht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Anträge der SPD stellen, wie ich hoffe dargelegt zu haben, ein konjunkturpolitisches Gesamtprogramm dar; sie sind daher im Zusammenhang zu sehen. Sie werden unter ihnen auch alte Bekannte finden, manche alte Bekannte, Anträge, die wir, die Sozialdemokratie, Ihnen im Laufe der letzten Jahre mehrfach vorgelegt und die Sie mutig abgelehnt haben, wobei Sie heute überlegen müssen, ob Sie ernsthaft bei dieser Ablehnung bleiben sollen. Sie werden aber auch einige Bekannte finden, Anträge, die Anregungen der Bundesregierung bzw. des Herrn Bundeswirtschaftsministers entsprechen. Wir sind gar nicht so. Wenn gute Einfälle von der Bundesregierung kommen, sind wir gern bereit, sie im gegebenen Moment aufzunehmen.

    (Beifall und Heiterkeit in der Mitte.)

    Aber, meine Damen und Herren, wir möchten doch einmal feststellen, ob es zu den Richtlinien der Politik der Bundesregierung gehört — die hat ja wohl der Herr Bundeskanzler aufzustellen —, daß jeder Bundesminister je nach Belieben gelegentlich unverbindliche Vorschläge in die Welt setzen darf, ohne daß sie von der Bundesregierung ernsthaft gewollt waren oder aufgenommen werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, damit komme ich zu dem Programm der Bundesregierung. Ich möchte sagen: es ist ein legitimes Kind seiner Eltern.

    (Heiterkeit.)

    Es trägt etwas sehr stark die hektischen Züge der Unrast, Unsicherheit und Unklarheit der letzten drei Monate. Mir scheint, es ist nicht frei von der Erblast der Wirtschaftspolitik der letzten sechs Jahre.

    (Abg. Majonica: Sie haben sich von der eigenen freigemacht, Herr Dr. Deist! — Zuruf von der CDU/CSU: Der Rest ist zu ertragen!)



    (Dr. Deist)

    — Darüber werden wir uns etwas später unterhalten, nicht jetzt.

    (Abg. Dr. Dresbach: Aber von Nölting bis Deist ist auch ein Weg!)

    Es ist ein wichtiges Element der modernen Konjunktur- und Wirtschaftspolitik, daß sie frühzeitig und schlagkräftig handelt, um nicht eines schönen Tages gezwungen zu sein, schärfere und unerwünschtere Maßnahmen zu treffen. In dem Bericht der Wirtschaftsberater des amerikanischen Präsidenten, der sich mit der Bekämpfung der Recession im vergangenen Jahre befaßt, wird darauf hingewiesen, daß ein wesentliches Element der Wirksamkeit der Regierungsmaßnahmen das schnelle Handeln gewesen sei.
    Jetzt darf ich einen kurzen Rückblick auf die Entwicklung der letzten drei Monate werfen. Im Juli zeigten sich die ersten stärkeren Spannungen, von denen ich gesprochen habe. Wenn die Presse richtig berichtet hat, hat auch der Herr Bundeskanzler im Juli den Herrn Bundeswirtschaftsminister darauf aufmerksam gemacht, daß ihm da einiges nicht ganz in Ordnung zu sein scheine. Die Bank deutscher Länder hat am 3. August 1955 mit den ihr angemessenen Mitteln prompt reagiert.

    (Zuruf von der Mitte: Beide zusammen!)

    Wir wollen nachher einmal untersuchen, welche Maßnahmen wirksamer gewesen sind, die Maßnahmen der Bundesregierung während dieser drei Monate oder die Maßnahme der Bank deutscher Länder am 3. August!

    (Beifall bei der SPD.)

    Nach diesem 3. August begann eine sehr geschäftige Ministertätigkeit. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hielt zahllose Besprechungen ab; er begann mit den Metzgermeistern und endete beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Er eilte von Tagung zu Tagung, von Messe zu Messe, von Rundfunk zu Rundfunk. Die übrigen Minister beteiligten sich in gemessenem Abstand an dieser Tätigkeit.

    (Heiterkeit.)

    Das ganze Kaleidoskop dieser drei Monate kann man an einem Abend nicht darbieten. Ich darf aber diese Entwicklung durch drei Beispiele charakterisieren. Der Herr Vizekanzler Blücher war einer der ersten, der sich äußerte und damals zu wissen gab, daß nur Steuersenkungen möglich seien, die nicht den Verbrauch anregten. Es hat nicht sehr lange gedauert, bis der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesfinanzminister Vorschläge für die Senkung von Verbrauchsteuern vorlegten.

    (Große Heiterkeit bei der SPD.)

    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zu Beginn dieser Aktion ein großes Programm für Jedermann-Einfuhren gestartet. Wir waren alle, glaube ich, erstaunt, als wir beinahe am selben Tage eine Verordnung des Herrn Bundesfinanzministers zu Gesicht bekamen, wonach nunmehr beim Grenzübergang nicht mehr ein halbes Pfund Kaffee ohne Verzollung mitgeführt werden darf!

    (Große Heiterkeit.)

    Ich habe nicht gehört, daß diese Verordnung des
    Herrn Finanzministers aufgehoben worden wäre.
    Aber von dem Jedermann-Programm habe ich beim
    aufmerksamen Verfolgen der Regierungserklärung ebenfalls nichts entdecken können.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Und nun die dritte Tatsache! Der Herr Bundeswirtschaftsminister führt seit Jahren einen anerkennenswerten Kampf .um Preissenkungen, und wenn die Presse wiederum richtig berichtet hat —ich habe keinen Zweifel daran —, dann hat der Herr Bundesernährungsminister ihm letzthin erklärt, er habe nun zwei Jahre lang von Preissenkungen gehört, er habe aber immer nur Preiserhöhungen für Betriebsmittel der Landwirtschaft gesehen; jetzt verlange er auch seinen Milchpreis. Da kann ich es verstehen, daß der Herr Bundeskanzler in einer, wie es in der Presse hieß, bewegten und temperamentvollen Sitzung am 28. September dieses Jahres zu dem Ergebnis kam, unter diese etwas hektische Tätigkeit müsse nun endgültig ein Schlußstrich gezogen werden, und irgend etwas müsse man dem Bundestag gelegentlich anbieten können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das war das Gegenteil von raschem, konjunkturbewußtem Handeln. Das war schlechteste Psychologie; denn sie hat den Maßnahmen der Bundesregierung von vornherein einen Teil ihrer Wirksamkeit genommen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)


    (Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

    Meine Damen und Herren! Ich kann mich nicht enthalten, auch ein Wort über die Investitionspolitik der Bundesregierung zu sagen. Die Bundesregierung scheut dieses Wort wie das Feuer das Wasser. Wir waren einmal so weit. Das war im Jahre 1951. Da wußten wir alle, und da begriff es auch die Bundesregierung, daß es notwendig sei, größere Investitionsmittel in gewisse Engpaßindustrien, insbesondere in die Grundstoffindustrien zu lenken. Ein kluger Mann, der nicht zur Sozialdemokratie gehört, der Herr Präsident Abs von der Wiederaufbaubank, entwickelte einen Plan über die Verwendung von Abschreibungen für Investitionszwecke. Der Herr Bundesfinanzminister, der in solchen Fällen erfreulicherweise prompt zu reagieren pflegt, hatte bereits, wie die Presse mitteilen konnte, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorbereitet. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister sagte: Was nicht sein darf, das kann nicht sein,

    (Heiterkeit)

    es darf keine Investitionslenkung geben, sondern wir müssen daraus so etwas wie eine freiwillige Selbsthilfe der deutschen Wirtschaft machen.
    Die sah nun folgendermaßen aus: Die freiwilligen Selbsthelfer weigerten sich in großer Zahl, dieses freiwillige Opfer zu bringen, und mußten von den Vollstreckungsbeamten der Finanzämter gezwungen werden, ihren Obolus zu entrichten. Ein Teil dieser freiwilligen Selbsthelfer ging zum Bundesverfassungsgericht, weil sie der Auffassung waren, das sei vielleicht doch eine verspätete Auflage jenes freiwilligen Zwanges, den wir längst hinter uns glaubten.

    (Heiterkeit.)

    Das Bundesverfassungsgericht hat erfreulicherweise sehr deutlich gesagt, was hier vorliegt. Es hat in einer Entscheidung, die dann veröffentlicht


    (Dr. Deist)

    worden ist, gesagt, es handle sich hier um ein Gesetz, mit dem der Staat ordnend und lenkend in die Wirtschaft eingreift, das bezwecke, Kapital zu Investitionszwecken aus einem bestimmten Bereich der Wirtschaft in einen anderen zu leiten, und hat abschließend gesagt, daß es sich dabei um eine durchaus legitime Aufgabe des modernen Staates handele.
    Meine Damen und Herren! Wir wären wesentlich weiter gewesen, wenn wir diese Investitionslenkung auf dem normalen Weg der Gesetzgebung durchgeführt hätten. Dann wäre sie einmal nicht zwei Jahre zu spät gekommen und dann wäre sie auch nicht zwei Jahre zu spät beendet worden. Ihnen, meine Damen und Herren, ist dann das Pech passiert, daß Sie in diesem Gesetz eine weitere Bestimmung verankert haben, die sich als konjunkturpolitisch außerordentlich gefährlich erwiesen hat, indem Sie nämlich die Wirksamkeit der Abschreibungsmöglichkeiten nach § 3 b des Gesetzes auf den 31. Dezember 1954 terminisierten. Nun gingen sämtliche Unternehmungen dazu über, Ende 1954 noch schnell ihre Aufträge unterzubringen; und darauf ist ein erheblicher Teil dieser massierten Investitionen, die wir in diesem Jahre 1955 erleben, zurückzuführen.
    Ich bin gerade bei der Steuerpolitik. Wir haben im letzten Jahr die Steuerreform verabschiedet zu einem Zeitpunkt, in dem die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Investitions- und der Konsumgüterindustrie ganz offen lag und die Bedeutung der Entwicklung der Unternehmenseinkommen ebenfalls klar war. In dieser Sitzung hat mein Freund Kurlbaum — es war die Sitzung vom 18. November 1954 — folgendes ausgeführt:
    Um so erstaunlicher ist es, daß die Regierungsvorlage und auch die Ausschußbeschlüsse wieder an der einseitigen und bevorzugten Entlastung gerade derjenigen Einkommen festhalten, die in erster Linie für die Investitionen in Frage kommen. Dabei läuft seit Anfang des Jahres wieder einmal die Investitionsgüterproduktion der stagnierenden Konsumgüterproduktion weg.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie diese Mahnungen beachtet hätten, brauchten wir nicht zu verzeichnen, daß im ganzen Ablauf des letzten Jahres die Belastung des Lohneinkommens gesteigert worden ist, während die selbständigen Einkommen wesentlich entlastet worden sind, so daß sich stetig neue Impulse für weitere Investitionen ergaben.
    In dem Steueraufkommen des zweiten Quartals 1955 wirkt sich das so aus: gegenüber 1954 ist das Lohnsteueraufkommen um 18 %, das Zoll- und Verbrauchsteueraufkommen um 17 %, dagegen sind die Einkommensteuer- und Körperschaftsteueraufkommen nur um 2 % gestiegen,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    obwohl die Gewinne und Einkünfte der Unternehmungen im vergangenen Jahr wesentlich gestiegen sind.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, das ist das Gegenteil einer konjunkturbewußten Steuerpolitik.
    Zum Schluß darf ich noch auf die Tragödie der Kohleversorgung hinweisen. Wir wissen seit langer Zeit, daß wir in der Kohleversorgung in einem Engpaß sind. Bei der Bundesregierung aber ist ein
    Optimismus anzutreffen, der in keiner Weise mit den Realitäten in Übereinstimmung zu bringen ist. Darauf ist es mit zurückzuführen, daß wir diesen Versorgungs- und Preiswirrwarr haben und daß wir im Endeffekt — dazu sehen Sie sich bitte die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Sozialdemokratie an — eine echte, wenn auch schlechte Bewirtschaftung der Kohle haben mit alten, überholten und unwirksamen Kontingentsvorstellungen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie müßten erkennen, daß der Verzicht auf aktive Maßnahmen der Wirtschaftspolitik schwerwiegende Folgen haben kann.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Regierungserklärung der Sorge über das Verhalten der Menschen im wirtschaftlichen Prozeß Ausdruck gegeben. Selbstverständlich wird die wirtschaftliche Entwicklung von Menschen gemacht, und infolgedessen spielt auch das menschliche Verhalten in der Wirtschaft eine Rolle. Darum ist eine psychologische Beeinflussung nicht unwichtig. Aber es ist einmal zu beachten, daß auf die gleichen psychologischen Maßnahmen die Reaktionen in den verschiedenen angesprochenen Kreisen durchaus verschieden sein können und daß es für psychologische Maßnahmen sehr enge Grenzen gibt.
    Ich weiß nicht, ob es richtig ist, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister auf einer der großen Veranstaltungen, auf denen er sprach, davon redete, er fühle sich als Vorkämpfer psychologischer Meinungsbildung in der Wirtschaft, oder wenn er vor der deutschen Werbewirtschaft sagte, er sei sein eigener Werbeleiter,

    (Lachen bei der SPD)

    und wenn er dann offenbar in Durchführung dieses Programms in der Presse nach Art der großen Markenartikelfirmen halbseitige Inserate veröffentlichte.

    (Zuruf von der SPD: Wer bezahlt die?)

    Meine Damen und Herren, es ist doch sehr die Frage, ob es richtig ist, ein Ministerium für Wirtschaftspolitik zu einer wirtschaftspsychologischen Versuchsanstalt abzuwerten.

    (Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD.)

    Das Problem liegt doch tiefer, es liegt darin, daß in einer so kritischen Situation, wie wir sie durchmachen, von den Menschen in der Wirtschaft ein Verhalten verlangt wird, das man in der Wissenschaft als antizyklisch bezeichnet, d. h. ein Verhalten, das mit ihrer normalen privatwirtschaftlichen Denkungsweise nicht mehr übereinstimmt. Was verlangen Sie von dem Unternehmer? Sie verlangen von ihm, bei guter Absatzlage, wo sich für ihn privatwirtschaftlich eine Möglichkeit zur Preiserhöhung ergibt, plötzlich zu sagen: Nein, ich verzichte auf Preiserhöhung. — Sie verlangen auf einmal entgegen allen Ihren Darlegungen über die Bedeutung der Privatinitiative und der privatwirtschaftlichen Denkungsweise von dem Unternehmen in einem Zeitpunkt, in dem es hohe Gewinne hat, es dürfe diese Mittel keineswegs zu Investitionen verwenden. Sie verlangen von der Arbeitnehmerschaft in einem Augenblick, in dem ihre arbeitsmarktpsychologische Situation erstmalig günstiger ist, sie müsse ausgerechnet in diesem Augenblick auf Lohnerhöhungen verzichten.


    (Dr. Deist)


    (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf des Bundeswirtschaftsministers.)

    — Richtig, Herr Bundeswirtschaftsminister, nicht verzichten! Aber Sie reden ihnen gut zu, sich in dem Rahmen zu halten, welcher usw., und das wird dann wieder' von allen Seiten jeweils völlig verschieden verstanden.

    (Abg. Etzenbach: Maßhalten!)

    Herr Bundeswirtschaftsminister, man sollte einsehen, daß für die psychologische Beeinflussung sehr enge Grenzen gezogen sind. Es gibt einen lebendigen Gegenbeweis gegen die Wirksamkeit solcher psychologischer Maßnahmen. Dieser lebendige Gegenbeweis ist der Herr Präsident Berg, der mit unnachahmlicher Treffsicherheit dieses ganze psychologische Entspannungsgebäude des Herrn Bundeswirtschaftsministers zum wesentlichen Teil wieder zerstört hat.
    Wir müssen uns hiernach darüber klar sein, daß der psychologischen Beeinflussung nicht die Bedeutung beigemessen werden kann, die ihr im Rahmen der Regierungserklärung gegeben wird, daß mit ihr die Erfolge, die der Bundeswirtschaftsminister meint erzielen zu können, nicht zu erreichen sind. Das gute Zureden hat seine Grenzen. Es kommt entscheidend darauf an, wirtschaftspolitische Tatsachen zu schaffen, die die psychologischen Reaktionen. verändern.
    Die psychologische Wirkung der Zinsheraufsetzung und die Erhöhung der Mindestreservesätze durch die Bank deutscher Länder ist wesentlich größer gewesen als die Reden und psychologischen Versuche des Herrn Bundeswirtschaftsministers. Dabei bin ich gerne bereit, diese Reden sämtlich zu addieren und dabei darauf zu verzichten, Negatives und Positives gegeneinander zu kompensieren.
    Zu dem Erfolge dieser psychologischen Preissenkungstätigkeit hat sich der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Erklärung geäußert. Meine Damen und Herren, ich glaube, man muß diesen Satz aufmerksam lesen. Er lautet:
    Diese teilweise belächelten Mittel der Konjunkturbeeinflussung
    — das hat also auch der Herr Bundeswirtschaftsminister inzwischen erfahren müssen —
    haben bereits gewisse Wirkungen gezeitigt. Eine Anzahl von Unternehmungen hat bereits Preissenkungen auch für solche Güter durchgeführt, die der breiten Masse der Bevölkerung zugute kommen, und andere haben ihre Bereitschaft bekundet.
    Ich habe dargelegt, daß auch meine Fraktion auf effektive Preissenkungen entscheidenden Wert legt. Aber ich glaube nicht, daß z. B. die Senkung der Strompreise durch das RWE für Kleinstabnehmer—das sind, glaube ich, 1 % der Verbraucher von RWE-Strom — wirklich eine Bedeutung preispolitischer Art hat. Ich glaube nicht, daß die Senkung des Preises der Helmstedter Braunkohle für 600 000 t Briketts im Jahr bei einer Gesamtförderung an Kohle von 120 bis 130 Millionen t eine nennenswerte preispolitische Bedeutung hat. Ich kann nicht anerkennen, daß die Senkung der Preise für Sanella um 2 Pf für ein Pfund — d. h. etwa 1 % auf den gesamten Absatz von Margarine
    — eine nennenswerte Bedeutung für das Preisklima und die Preisentwicklung hat. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir sind zutiefst davon überzeugt, daß Preissenkungen ein wichtiges Element der augenblicklichen Wirtschaftspolitik sind;

    (Beifall bei der SPD)

    schiefe preispolitische Optik aber ist kein solches Mittel.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zu den konkreten Punkten der Erklärung der Bundesregierung kann ich mich, da sie einen verhältnismäßig engen Rahmen im Zusammenhang der Ankündigungen enthalten, verhältnismäßig kurz fassen. Wir haben Kenntnis davon genommen, daß allgemeine Steuersenkungen nicht möglich sind, daß insbesondere nicht zu zusätzlichen Investitionen angereizt werden soll. Das scheint mir ein Gesprächsthema zwischen Bundesregierung und Koalitionsparteien zu sein, so daß ich mich nicht näher damit zu befassen brauche.
    Zur Senkung der Verbrauchsteuern bedauern wir, daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage gesehen hat, uns irgendwelche konkreten Ansatzpunkte für diese Maßnahmen zu nennen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Bundesregierung hat sich leider nach dreimonatiger Tätigkeit darauf beschränkt, ganz vage, allgemeine Grundsätze mitzuteilen.

    (Abg. Arnholz: Sehr wahr!)

    Die Zollsenkung für Betriebsmittel der Landwirtschaft, für Baustoffe und Bedarfsgüter bleibt nach unserer Auffassung hinter dem Notwendigen zurück. Wir hätten gewünscht, daß die Bundesregierung unseren Vorschlag, diese Zölle aufzuheben, übernommen hätte.
    Zu einem vierten Punkt gestatten Sie mir eine besondere Bemerkung. Hier spricht die Bundesregierung von ihrem Bemühen, staatlich gebundene Preise und Tarife nicht zu erhöhen. Wir werden Gelegenheit haben, im Laufe dieser Debatte in bezug auf den Milchpreis festzustellen, wie weit die Wirksamkeit dieses Bemühens geht.
    Ein weiterer Punkt bedarf einer besonderen Erörterung. Die Bundesregierung hat unter ihren, ich glaube, elf Punkten keinen einzigen Punkt, der die Frage berührt, ob nicht durch die Erhöhung bestimmter niedriger Einkommen der Verbrauch angeregt und damit eine Steigerung der Verbrauchsgütererzeugung herbeigeführt werden kann. Ich habe mit einigem Erstaunen den Satz gehört, die Bundesregierung vertrete keine Konjunkturpolitik, die den Willen erkennen ließe, den Verbrauch bewußt zu verkürzen. Ich weiß nicht, ob der Ton auf „bewußt" oder auf „erkennen ließe" liegt. Aber ich darf doch darauf hinweisen, daß die Steuerreform des Jahres 1954 jedenfalls objektiv dahin geführt hat, daß der Verbrauch nicht die Entwicklung genommen hat, die er bei einer angemessenen Steuerpolitik hätte nehmen können und müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Problem ist nicht, im Augenblick — bewußt oder unbewußt — die Verbrauchsgüterindustrie zu bremsen, das Problem ist, die Verbrauchsgüterindustrie zu fördern, um ihr wieder den Anschluß an die allgemeine Konjunkturentwicklung zu verschaffen.
    Meine Damen und Herren, ich darf meine Bemerkungen zu den Vorschlägen der Regierung ab-


    (Dr. Deist)

    schließen. Mir scheint, diese Regierungserklärung war, wenn man sie als Programm zur Konjunkturpolitik betrachtet, kein Meisterstück.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich habe mich nun noch mit den Anträgen der verschiedenen Fraktionen dieses Hauses zu befassen. Wir bedauern, daß sich die Anträge der Koalitionsparteien fast ausschließlich auf allgemeine, unverbindliche Empfehlungen beschränken,

    (Zustimmung bei der SPD)

    ,daß insbesondere die größte Regierungspartei fast
    ausschließlich die Bundesregierung bittet, gewisse
    Dinge zu prüfen, zu untersuchen und zu erwägen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, in der augenblicklichen Situation reicht das nicht als Dokumentation eines echten Willens zur konjunkturpolitischen Aktivität aus.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein Teil dieser Anträge kommt leider etwas zu spät.
    Die CDU hat die Überprüfung von Baumaßnahmen verlangt. Sie wissen, daß der entsprechende Antrag der SPD — nur mit einer kleinen wichtigen Variation — seit langer Zeit vorliegt. Auch die Wissenschaftlichen Beiräte des Bundesfinanzministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums z. B. sind der Meinung, daß hier der Rüstungswirtschaft eine entscheidende Bedeutung zukommt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Dieser entscheidende Punkt ist leider in Ihrem Antrag nicht besonders erwähnt, was bei seiner Bedeutung notwendig wäre.

    (Abg. Arnholz: Sehr gut!)

    Die Freie Demokratische Partei hat einen großen Anlauf unternommen, um die Beseitigung aller Verbrauchsteuern zu verlangen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß die entscheidenden Anträge — ich erinnere an die Zuckersteuer und an di& Zündwarensteuer — bereits seit langem von der Sozialdemokratie gestellt worden sind. Sie hätten auch am 13. Oktober dieses Jahres im Ausschuß Gelegenheit gehabt, aus Anlaß der Beratung unseres Antrags auf Beseitigung der Zuckersteuer die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu dokumentieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darüber hinaus scheint mir eines bemerkenswert. Ich weiß nicht, ob es nicht doch etwas sehr schnell gegangen ist und sehr unüberlegt ist, wenn Sie in diese Beseitigung der Verbrauchsteuern auch die Branntweinsteuer einbeziehen. Mir scheint, daß im Augenblick Steuermittel, die freizumachen sind, in erster Linie anderen Kreisen der Bevölkerung zugeführt werden sollten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die CDU-Fraktion hat einen Antrag über Teilzahlungsgeschäfte eingebracht. Wir halten das für eine wertvolle Anregung und werden sie ernsthaft beraten und prüfen. Wir meinen allerdings, Sie hätten Gelegenheit gehabt, Ihre konjunkturpolitischen Anliegen vorzubringen, als unser Antrag zum Teilzahlungsgesetz in den Ausschüssen zur Beratung stand.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Nun komme ich zu einem Kreis von Anträgen, die wesentlich größere Bedeutung haben. Das sind
    jene Anträge, die wir als konjunkturpolitisch und währungspolitisch gefährlich ansehen müssen, jene Anträge nämlich, die eine generelle Senkung der Einkommen- und der Gewerbesteuer entweder verlangen oder doch zumindest vorsehen, die eine generelle Erleichterung von Abschreibungen und eine Förderung des Exports zum Ziele haben. Es gibt niemanden unter den verantwortungsbewußten Stellen — Herrn Berg rechne ich in diesem Falle nicht dazu —, der nicht der Auffassung wäre, daß derartige Anträge konjunktur- und währungspolitisch gefährlich sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich habe dabei aber eine Frage an die beiden Herren Minister Erhard und Schäffer. Ich habe in der Presse gelesen, daß diese Anträge innerhalb der CDU-Fraktion in Anwesenheit oder gar unter Beteiligung der beiden Herren Minister beraten worden seien. Ich habe den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister mir soeben zustimmte. Diese Anträge stehen in einem ausgesprochenen Gegensatz zu den lapidaren Grundsätzen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister über die Ablehnung genereller Steuersenkungen hier verkündet hat. Meine Frage lautet: Ist den Herren Ministern die Bedeutung dieser Anträge entgangen, oder waren sie der Auffassung, sie könnten durchgehen, weil es sich doch nur um ganz unverbindliche Entschließungsentwürfe handle?

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Ich sage das mit Absicht in dieser Überspitzung;
    denn mir scheint eine solche Politik, von der größten Koalitionspartei betrieben, unmöglich zu sein.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Die Anträge enthalten darüber hinaus einige besondere Probleme, die einer eingehenden Bearbeitung in den Ausschüssen wert sind. Dazu gehört vor allen Dingen der Antrag, der die Schaffung eines Konjunkturbeirats vorsieht, um eine ständige Konjunkturbeobachtung und konjunkturpolitische Empfehlungen zu ermöglichen. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß zu einer solchen Konjunkturbeobachtung und zu solchen konjunkturpolitischen Empfehlungen ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument gehört; das ist nämlich eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Ich weiß nicht, ob Sie es übersehen haben: mein Kollege Schoettle hat in der Haushaltsdebatte am 23. Juni 1955 — das ist also noch keine vier Monate her — darauf hingewiesen, daß der Einfluß der Finanz- und Wirtschaftspolitik auf die Wirtschaft so groß ist, daß die Notwendigkeit einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von niemandem bestritten werden kann. Wir haben damals keine Resonanz gefunden. Ich hoffe, daß der vorliegende Antrag Ausdruck einer besseren Überzeugung ist. Wir sind gern bereit, alle Vorschläge auf diesem Gebiet aufzunehmen, die uns die Möglichkeit zu einer besseren Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung geben.
    Das gleiche gilt für die Behandlung der Kassenbestände der öffentlichen Hand. Ich hoffe, wir sind uns darüber im klaren, daß das ein höchst vielschichtiges und höchst schwieriges Problem ist, insbesondere soweit nicht nur die Kassenbestände bei Bund und Ländern, sondern auch bei Gemeinden und Gemeindeverbänden in Frage kommen. Aber wir sind gern bereit, unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten den Kerngedanken dieser Anträge einer Überprüfung zu unterziehen.


    (Dr. Deist)

    Ein Antrag — der CDU/CSU, glaube ich —, befaßt sich mit der Kreditversorgung des Mittelstandes. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir dazu einige Sätze. Seit zwei Jahren befassen wir uns in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages — ich glaube, alle mit gleicher Besorgnis und mit gleichem Eifer — mit diesem Problem der Kreditversorgung der mittleren und kleineren Betriebe. Seit zwei Jahren werden draußen im Lande Kreditgarantiegemeinschaften für Handwerk und Handel gegründet, mit einem bis jetzt jedenfalls nicht überwältigendem Erfolge. Daß wir in diesen Arbeiten bisher nicht vorwärts gekommen sind, ist jedenfalls nicht Schuld der Opposition; das werden Sie mir zugeben. Aber ich bitte Sie: was soll bei dieser Situation ein Antrag, der weiter nichts enthält als die Bitte an die Bundesregierung, doch wieder einmal dieses Problem zu prüfen!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dabei handelt es sich — das möchte ich unterstreichen — bei der Kreditversorgung der mittleren und kleineren Unternehmungen um ein außerordentlich ernstes Problem.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Aber das ist gar nicht so sehr ein konjunkturpolitisches Problem — es gehört eigentlich gar nicht in diese Debatte hinein —, das ist ein ernstes strukturpolitisches Problem. Es hängt mit der Struktur des gesamten Kapitalmarkts in den modernen großen Industriestaaten zusammen. Genau so wie es bei uns Schwierigkeiten bereitet, Personalkredit für das mittlere und kleinere Unternehmen zu schaffen, genau so haben Frankreich und England dieselben Schwierigkeiten, und die gleichen Schwierigkeiten sehen wir auch in einem Land wie Nordamerika, das einen gut funktionierenden Kapitalmarkt hat. Das liegt nämlich daran, daß auf dem Kapitalmarkt die großen Kapitalsammelstellen ein so großes Gewicht bekommen haben und daß diese Kapitalsammelstellen aus der Natur der Sache heraus auf eine gesicherte Anlage Wert legen müssen. Darum handelt es sich hier um ein wichtiges wirtschaftspolitisches Problem, das uns mindestens so am Herzen liegt wie Ihnen. Aber bitte: nicht solche weiße Salbe wie diesen Antrag.

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit komme ich zu einigen abschließenden Bemerkungen. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, daß der Ablauf der Wirtschaft nicht allein der Automatik der privaten Wirtschaft überlassen bleiben kann. Wirtschaftspolitische Aktivität und staatliche Intervention sind in begrenztem Rahmen nötig, wenn nicht die Gefahr schwerer Schäden für die gesamte gesellschaftliche Ordnung aufkommen soll. Es gibt leider bei uns in Deutschland einflußreiche Kreise der Wirtschaft, die sich gegen diese staatliche Aktivität wehren, zumal dadurch Gewicht und Einfluß mächtiger Wirtschaftsgruppen stärker auf das Maß zurückgeschraubt wird, das ihnen nach demokratischen Spielregeln zukommt. Deshalb werden — darum habe ich das Beispiel aus der „Welt" angeführt — in der Öffentlichkeit Staat und öffentliche Wirtschaft diffamiert, obwohl die öffentliche Wirtschaftstätigkeit, insbesondere auf dem Baumarkt, für die Entwicklung der Konjunktur von untergeordneter Bedeutung gewesen ist und gerade eine aktive staatliche Wirtschaftspolitik das Gebot der Stunde ist.
    Meine Damen und Herren, Sie sollten sich überlegen, ob die Politik der Bundesregierung nicht den Boden für eine solche Haltung mit bereitet hat, ob
    nicht auch das Bundeswirtschaftsministerium mit seiner jahrelangen Diffamierung der staatlichen Einflußnahme auf die Wirtschaft einen erklecklichen Anteil Schuld an dieser Entwicklung auf sein Konto buchen muß.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Mehrheit des Hauses möge sich überlegen, ob sie mit ihrer Haltung beim Preistreibereiparagraphen und bei dem Antrag der CDU auf Beseitigung der Auskunftspflichtverordnung nicht ebenfalls ein Stück Schuld an dieser Entwicklung trägt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Herr Bundeswirtschaftsminister muß inzwischen erschütternde Erfahrungen gemacht haben; er hat sich vor kurzem, zwar nicht in Deutschland, aber in Ischl, also auf einer Tagung in Österreich, hierzu geäußert. Die „Neue Zürcher Zeitung" berichtet darüber:
    Eindringlich klingt seine Warnung vor dem Überwuchern der Verbandsmacht. Indem die Organisationen zum Selbstzweck würden und einen eigenen Willen bekämen, sinke der Staat zum Spielball der Interessenten herab.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe den Eindruck, daß Sie in diesem Augenblick nicht die Gewerkschaften als die Interessentengruppen gemeint haben, deren Einfluß Sie zurückdrängen müßten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber hier liegt ein ernstes Problem. Hier ist die Frage zu entscheiden, ob nicht durch eine solche Politik und eine solche passive Haltung der verantwortlichen Wirtschaftspolitik praktisch die Möglichkeit genommen wird, im entscheidenden Augenblick wirksam zu werden und sich, wie das der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung versprochen und wie das der Herr Bundeswirtschaftsminister heute wieder betont hat, gegen das Überwuchern von Interesseneinflüssen mit Erfolg zur Wehr zu setzen.
    Meine Damen und Herren! Warum sage ich das an dieser Stelle? Wir wissen, daß uns in Berlin Millionen Menschen hören, die Wert darauf legen, daß in echt demokratischer Weise die verschiedenen Meinungen frei ausgetragen werden. Aber wir sollen uns über eines nicht täuschen. Millionen von diesen Menschen haben das Fegefeuer zweier Diktaturen mit offenen Sinnen durchgemacht, und bei ihnen besteht die Sorge, daß unsere wirtschaftliche Entwicklung nur zu einer Restauration von Zuständen der Vergangenheit führen könnte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darum sollte diese Debatte vor allen Dingen auch ein Bekenntnis zum sozialen Gehalt der Demokratie sein.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Die Bevölkerungsschichten, denen unsere Anträge besonders gelten, die kleineren Einkommens- und Rentenbezieher, müssen wissen, daß der demokratische Staat verhindern kann und wird, daß sie vielleicht wieder einmal das hilflose Opfer der konjunkturellen Entwicklung sein werden. Der demokratische Staat muß beweisen, daß er in der Lage ist, die wirtschaftliche Entwicklung mit politischen Mitteln zu gestalten und unabhängig von Interessengesichtspunkten eine gesunde soziale Ordnung zu gewährleisten.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hellwig.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Fritz Hellwig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ,die Redezeit als ein Gradmesser der quotalen Beteiligung an der zur Verfügung stehenden Gesamtredezeit gilt, so, glaube ich, kann sich mein verehrter Kollege Dr. Deist zum mindesten an dieser Stelle nicht über eine Benachteiligung der von ihm vertretenen Quotenseite beklagen.

    (Unruhe und Zurufe bei der SPD.)

    — Verzeihen Sie, bitte, wir hatten uns auf 45 Minuten verständigt, und Sie werden mir zugeben, daß es nach der zeitlich stark ausgedehnten Rede, die der verehrte Kollege Deist gebracht hat, außerordentlich schwierig sein wird, nun in 45 Minuten dem allen zu entgegnen. Ich darf von Anfang an also schon bitten, es nicht als ein Ausweichen anzusehen, wenn ich auf gewisse Dinge einfach nicht eingehen kann, weil ich mich eben bemühe, dieser zeitlichen Situation zu entsprechen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Ich habe zunächst von der Rede des Herrn Dr. Deist den Eindruck gehabt — wenn ich mir insbesondere auch den Auftakt dieser Rede hier in Erinnerung zurückrufe —, ,daß wir in der konjunkturpolitischen Debatte, die der Bundestag hier durchführt, gegenüber Auseinandersetzungen auf diesem Gebiete etwa in früheren Jahren einen im ganzen erfreulichen Fortschritt zu verzeichnen haben.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube, wir sollten zunächst allseits darüber zufrieden sein, daß wir zu einer Versachlichung der gesamten Auseinandersetzung über die Konjunkturpolitik gekommen sind.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Daß es uns an dieser Versachlichung brennend liegt, darf ich hier nochmals unterstreichen, und so bitte ich auch meinerseits, ,das, was ich vortrage, genau so sachlich zu behandeln, wie es gebracht worden ist.
    Ich glaube aber, hier zunächst etwas ganz Allgemeines sagen zu müssen zu den Möglichkeiten, die ein Parlament hat, überhaupt zur Konjunkturpolitik zu sprechen. Ein Parlament ist kein konjunkturwissenschaftliches Forschungsinstitut,

    (Abg. Horn: Sehr richtig!)

    ein Parlament ist kein konjunkturpolitischer Beirat, mit dem kurzfristig mitunter sehr dringliche Entscheidungen durchgeführt werden können.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Ein Parlament kann lediglich die Aufträge formulieren, —

    (Zuruf von der SPD: Was für Schlagworte!)

    — Verzeihen Sie! Lassen Sie mich doch ausreden. Wir haben Sie ja auch ausreden lassen. — Ein Parlament kann, sage ich, lediglich die Aufträge formulieren, die es für den Einsatz des konjunkturpolitischen Instrumentariums durch die hierfür verantwortlichen Stellen von Regierung und Zentralnotenbank eben durchgeführt haben will. Es kann bei der Beobachtung der konjunkturellen Entwicklung, vor allem seiner politischen Gesamtverantwortung entsprechend, darauf achten, wo
    Spannungen, wo unterschiedliche Entwicklungen auftreten. Dann kann es sich durch entsprechende Maßnahmen der Gesetzgebung einschalten, um derartige Spannungen und unterschiedliche Beteiligungen am konjunkturellen Ablauf zu korrigieren. Vor allem eines aber hat das Parlament zu tun: als Kontrollorgan der öffentlichen Instanzen, die in der Exekutive die Konjunkturpolitik zu gestalten haben, darauf zu achten, daß die konjunkturpolitische Steuerung durch die verantwortliche Zentrale überall wirksam wird, auch dort, wo andere öffentliche Instanzen zunächst nicht unmittelbar erreicht werden können.
    Es ist das Problem der zentralen Konjunkturpolitik, daß wir in einem bundesstaatlichen Aufbau eben aber verschiedene Instrumente von der Seite der Bundesgesetzgebung und Bundesregierung aus nicht so verfügen können, wie es etwa gegenüber anderen Instanzen der öffentlichen Hand möglich wäre. Sie werden den Anträgen der CDU-Fraktion schon entnommen haben, daß es sich hier insbesondere um die Anlage öffentlicher Gelder handelt, um die Auftragserteilung der öffentlichen Hand an verschiedene Stellen. Ich glaube also, der Bundestag kann sich hier auch verantwortlich dafür fühlen, daß der Appell zu einer wirklich wirksamen, zentralen konjunkturpolitischen Steuerung gegenüber allen Bereichen der öffentlichen Hand ausgesprochen wird.
    Für den einzelnen Mann draußen im Lande, in der Bevölkerung, seien es Unternehmer, Arbeitnehmer, Steuerzahler, Rentner, Produzenten wie Verbraucher, Kreditnehmer wie Sparer, für sie alle ist die öffentliche Hand noch eine Einheit. Sie sehen die Gesamtverantwortung der öffentlichen Hand für den konjunkturellen Ablauf, und sie können sich nicht mit staats- und verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Wirksamkeit zentraler Mittel befassen. Das ist die Gesamtverantwortung, die alle öffentlichen Instanzen bei uns haben. Ich glaube, sie auszusprechen, ist ein Auftrag, den der Bundestag hat.
    In der jetzigen Situation, meine Damen und Herren, stellt sich nun eine 'doppelte Aufgabe. Wir sehen unterschiedliche konjunkturelle Entwicklungen, die eben zu bestimmten Spannungen führen. Sie rechtzeitig aufzufangen, rechtzeitig darauf einzuwirken, daß keine ungesunden, die gesamtwirtschaftliche Weiterentwicklung störenden Verschiebungen eintreten ist eine Aufgabe, die sowohl in der Regierungserklärung wie in den Worten des Herrn Dr. Deist zum Ausdruck gekommen ist.
    Ich kann hier nicht in die ganze breite Diskussion zur Kennzeichnung der derzeitigen konjunkturellen Lage eintreten. Es ist zur Genüge gesagt worden, daß die Investitionsgüterindustrien eine stärkere Entwicklung genommen haben als die Konsumgüterindustrien. Aber, Herr Kollege Dr. Deist, ist es wirklich richtig, daß die Konsumgüterindustrie so zurückgeblieben ist? Ist nicht im August, zum mindesten im Spätsommer 1955 der Auftragsbestand der gesamten Konsumgüterindustrie, selbst in der am stärksten zurückhinkenden Textilindustrie, wesentlich höher geworden, als er vor einem Jahr, im Sommer 1954 war? Ich glaube, man sollte also auch diese jüngste Entwicklung in der Gesamtentwicklung nicht vergessen.

    (Zurufe von der SPD.)

    Man hat über die hohe Investitionsquote gesprochen. Ich darf zunächst dazu folgendes sagen.


    (Dr. Hellwig)

    „Investitionsquote" ist ein Gesamtbegriff, der über die Zusammensetzung der Investitionen in den einzelnen Bereichen relativ wenig aussagt, und die Frage, ob die absolute Höhe der Investitionen hier zu gefährlichen Erwartungen Anlaß geben muß oder ob es nur bestimmte Spitzen in der Auftragserteilung sind, müßte doch einmal sorgfältiger geprüft werden.
    Sie haben von der Bautätigkeit gesprochen und gesagt, daß gerade die öffentliche Hand mit ihrem Anteil an dem Bauvolumen nicht so ausschlaggebend sein könne. Nun, bei den drei Vierteln des Bauvolumens, die auf Wohnungsbau, auf öffentlichen und Verkehrsbau entfallen, können schon relativ geringfügige Überschreitungen des Auftragsvolumens zu unerwünschten Erscheinungen führen. Das gleiche gilt im übrigen selbstverständlich auch für die Spitzen bei industriellen Investitionen. Wird überhaupt nicht bestritten! Ich glaube, wir sollten überhaupt hier nicht den Versuch machen, dem einen oder anderen nun besondere Pluspunkte oder besondere Minuspunkte in seinem konjunkturellen Verhalten zuzuteilen. Aber denken Sie doch bitte einmal daran, Herr Dr. Deist, was es bedeutet, wenn die öffentlichen Aufträge dort, wo die öffentliche Hand als Auftraggeber auftritt, in einen ganz bestimmten, durch die Haushaltsdispositionen bestimmten Zeitraum zusammenfallen. Sie laufen praktisch erst im Mai an, und dann soll alles noch bis zum Einbruch des Winters fertig sein. Gerade die von der öffentlichen Haushaltsdisposition her bestimmte Massierung ist es doch, die uns immer so zu schaffen macht. Ich glaube daher, daß wir auch Ihr Verständnis für den in unseren Anträgen enthaltenen Auftrag erwarten können, daß gerade die öffentliche Hand als größter Auftraggeber in der gesamten Bauwirtschaft auf eine längere Erstreckung ihrer Aufträge zunächst im Jahresablauf achtet, zum anderen aber, weil ihre Bauinvestitionen ja über Jahre hinausgehen, eine langfristige Planung des Bauvolumens vornimmt, damit sich die Bauwirtschaft ihrerseits auf dieses Bauvolumen einstellen kann.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Aber zurück zu dem, was ich über die Möglichkeiten des Bundestages sagte. Ich glaube, der Bundestag ist wesentlich auf das angewiesen, was die Institute und die amtlichen Stellen, die die Konjunkturpolitik zu beobachten haben, uns zur Verfügung stellen. Allerdings, verehrter Herr Kollege Deist, was man mit diesem Zahlenmaterial macht, das ist immer noch eine Frage der Interpretation und vielleicht auch eine Frage des Standpunktes. Ich will nicht in eine breite Erörterung der vielen von Ihnen gebrachten Zahlen eintreten; ich will nur einen Punkt, der jedoch eine Schlüsselstellung in Ihrer Argumentation einnahm, nämlich die angebliche Verringerung der Lohnquote, zur Sprache bringen. Nach den vom Statistischen Bundesamt in seinem letzten Heft veröffentlichten Angaben über das Bruttosozialprodukt 1955 im ersten Halbjahr ist der Anteil des Nettoeinkommens aus unselbständiger Arbeit am Nettosozialprodukt zu Faktorkosten gegenüber 1954 nicht gesunken, sondern von 48,0 auf 48,5 °/o gestiegen.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Ich will, verehrter Herr Kollege Deist, nun nicht auf der absoluten Aussagekraft dieser Rechnung fußen. Ich glaube, dann kann ich aber verlangen, daß auch von Ihrer Seite nicht auf umstrittene
    Rechnungen mit einer absoluten Gewißheit gepaukt
    wird und man uns diese Zahlen hier entgegenhält.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf hier auf einen Versuch zur Versachlichung dieser ganzen ja nun über Jahre gehenden Auseinandersetzung über die Lohn- und Gewinnquote zurückkommen. Vor mehreren Jahren, in einer ganz ähnlichen Situation, wie sie konjunkturell die heutige ist, im Sommer 1951, haben Spitzen der Arbeitgeberorganisationen mit denen der Gewerkschaften zusammengesessen und sich über die Möglichkeiten zur Versachlichung der lohnpolitischen Diskussion in ihren wissenschaftlichen Grundlagen unterhalten. Es war das berühmte Limburger Gespräch. Dieses Gespräch ist leider nicht mehr fortgesetzt worden. Die Unterlagen der Arbeitgeberseite sind damals den anwesenden Gewerkschaftsführern übergeben worden. Man verzichtete darauf, sie zu veröffentlichen, um zunächst eine interne sachliche Prüfung des Materials in die Wege zu leiten. Wäre das damals weitergegangen, ich glaube, wir könnten längst bei einer Versachlichung dieser ganzen zunächst noch wissenschaftlich fundierten Diskussion angelangt sein. Ich gebe die Hoffnung einfach nicht auf, daß es eines Tages beiden Seiten als wichtigstes Anliegen erscheint, die Versachlichung der lohn- und preispolitischen Diskussion bei uns auf den Stand zu bringen, wie es in anderen Ländern zum Teil schon der Fall ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß eine Einrichtung wie das amerikanische Bureau of Labor Statistics, das Büro für Arbeits- und Sozialstatistik, welches von beiden Sozialpartnern anerkannt wird, als eine wissenschaftlich neutrale Grundlage auch bei uns errichtet würde. Damit wäre dann allen gedient, und wir wären wirklich aus dieser die Öffentlichkeit zu Unrecht immer wieder sehr beunruhigenden Diskussion über die Aussagewerte bestimmter Zahlen heraus.
    Ich darf in diesem Zusammenhang auch schon kurz zu dem Antrag der FDP-Fraktion über die Errichtung eines Konjunkturrates Stellung nehmen. Ich gebe Ihnen, Herr Dr. Deist, völlig recht: Eine Institution allein tut es nicht, wenn nicht die Mittel der volkswirtschaftlichen Gesamtanalyse in Form einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erarbeitet werden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber ich erinnere daran, meine Damen und Herren, wie wir in vielen zentralen Stellen unserer volkswirtschaftlichen Gesamterfassung vorläufig mit Schätzungen arbeiten. Denken Sie etwa an die Unterlagen über die Vermögensberechnungen, Einheitswerte von 1935! Auf vielen anderen Gebieten fußen wir auf Vorkriegsdaten, die wir lediglich mit groben Schätzungen auf den heutigen Stand haben fortschreiben können. Hier müssen eben alle statistischen Ämter und sonstigen wissenschaftlichen Stellen eine Nachholarbeit führen, und dafür müssen allerdings auch gewisse Mittel bereitgestellt werden. Ich erinnere daran, daß die Aufarbeitung der Einkommensteuerstatistiken noch für Jahre aussteht und daß wir die Unterlagen dazu, ich glaube, erst für 1950 haben. Hier muß also an allen Stellen, die mit der volkswirtschaftlichen Gesamtdurchleuchtung befaßt sind, eine Aufarbeitung, eine Intensivierung des zur Verfügung stehenden Stoffs erfolgen, ehe wir hier von einem


    (Dr. Hellwig)

    wirklich ausreichenden Instrumentarium sprechen können. Mit Zahlen läßt sich trefflich streiten, habe ich vor Jahren einmal in einer ähnlichen Situation gesagt. Wir sollten alle, Sie wie wir, unseren Ehrgeiz darein setzen, den Streit mit Zahlen soweit als möglich aus der Welt zu schaffen, indem wir uns auf einheitliche wissenschaftliche Grundlagen einigen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Nun, meine Damen und Herren, zu den akuten Fragen, deren Behandlung und Formulierung sowohl gegenüber der Bundesregierung wie auch gegenüber der Öffentlichkeit ich als Aufgabe des Bundestages ansehe. Ich sprach davon, daß der Bundestag in einer solchen Situation zunächst die divergierenden Tendenzen in der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung erkennen und aus der Erkenntnis bestimmte Maßnahmen der Anpassung ableiten muß. Zum andern aber ist es die Aufgabe des Parlaments auch, rechtzeitig die gesetzlich und institutionell notwendigen Regelungen in die Wege zu leiten, die zur Sicherung der konjunkturellen Entwicklung über einen größeren Zeitraum für die Zukunft erforderlich sind. Ich werde auf diesen Punkt noch besonders zu sprechen kommen.
    Für die Durchführung der nun erkannten Fragestellung hat das Parlament, haben wir, gleichgültig, wo wir parteipolitisch stehen, folgende Grundgedanken zur Richtlinie zu machen und sie gegenüber der Regierung auch zu formulieren. Der erste ist, daß die Einheit der Wirtschaftspolitik zur Verwirklichung konjunkturpolitischer Maßnahmen über alle Ressortgrenzen hinweg zu wahren ist. Das ist ein Anliegen jeder Seite dieses Hauses. Es ist wohl auch kein Geheimnis, daß die weitgehende Aufteilung der gesamtwirtschaftlichen Aufgaben in einzelne Ressorts die Gefahr unterschiedlicher Maßnahmen im Hinblick auf die konjunkturell notwendigen Entscheidungen in sich birgt. Immer wieder die Einheit der Wirtschaftspolitik aus der konjunkturpolitischen Aufgabenstellung heraus zu verlangen und zu erzwingen, ist Aufgabe des Parlaments.

    (Abg. Dr. Schöne: Das müssen Sie mal Ihrer Fraktion sagen!)

    Das zweite ist die konjunkturpolitische Verantwortung der öffentlichen Hand, von der ich vorhin in anderem Zusammenhang schon einmal gesprochen habe. Der Bundestag hat diesen Appell auszusprechen und klarzustellen, daß er niemanden im öffentlichen Bereich aus der Mitverantwortung für den konjunkturell richtigen Verlauf entlassen kann.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Es ist, verehrter Herr Kollege Deist, keine Diffamierung, wenn hier auf bestimmte Bereiche der öffentlichen Hand oder der öffentlichen Wirtschaft hingewiesen wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Soll ich an die Entwicklung der Holzpreise erinnern mit der Wirkung auf dem Baukostensektor? Soll ich an die Standortwahl bestimmter öffentlicher oder unter öffentlicher Verwaltung stehender Unternehmungen bei der Anlage neuer Kapazitäten erinnern? Soll ich daran erinnern, daß es mitunter nur derartige einzelne Fehldispositionen sind, die konjunkturpolitisch in einem ganzen Bezirk schädlich durchschlagen können?

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    — Sicher, man darf es nicht verallgemeinern. Aber ich erinnere daran: Es ist manchmal die Spitze, es ist nur der Tropfen, der eine Flasche zum Überlaufen bringen kann, und da sollte' eigentlich alles, was im öffentlichen Wirtschaftsbereich wirkt, seinen Ehrgeiz darein setzen, nicht der Tropfen zu sein, der die Flasche zum Überlaufen bringt.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In einer solchen Situation hat das Parlament einen Appell auch an diejenigen Gruppen und Kräfte zu richten, in deren Hand ein großer Teil von Mitverantwortung für den konjunkturellen Ablauf und für die Sicherung des Ganzen liegt. Ich meine damit die Sozialpartner, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften, denen mit der Tarifautonomie ein hohes Maß von Selbstverwaltung und Selbstverantwortung in die Hand gegeben ist. Daß von diesem Instrument ein Gebrauch gemacht werde, der nicht die Stabilität der Währung, der nicht die Sicherung der Kaufkraft antastet, ist das ernsteste Anliegen, das Bundesregierung und Bundestag in dieser Stunde zum Ausdruck zu bringen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben gerade gestern in Straßburg eine Debatte gehabt über den Entwurf einer europäischen Sozialcharta. In dieser Sozialcharta ist ein großes Maß von staatlichen dirigistischen Eingriffen auch auf dem Gebiet der Lohnfindung und der Lohnfestsetzung vorgesehen. Kollege Birkelbach und ich waren in unseren Diskussionsbeiträgen übereinstimmend der Meinung, daß wir in Deutschland gegenüber diesen Tendenzen der westeuropäischen Länder unter allen Umständen den Grundsatz der Tarifautonomie der Sozialpartner, der Selbstverwaltung und' Selbstverantwortung der Sozialpartner für die Findung von Lohn- und Arbeitsbedingungen aufrechterhalten müssen. Aber an vielen Stellen dieser Sozialcharta steht ebenso eindeutig, daß alle sich ihr anschließenden Staaten die Verpflichtung haben sollen, für die Stabilität der Währung und die Erhaltung der Kaufkraft zu sorgen.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Unter diese Verpflichtung muß auch die Tarifhoheit der Sozialpartner gestellt sein; denn sonst würde sie sich ins Gegenteil verkehren, würde auf die Dauer wahrscheinlich doch nicht aufrechtzuerhalten sein.
    Eine weitere Aufgabe, die der Bundestag zu lösen haben wird, sehe ich in der Lösung der Frage, in welchem Maße die zentrale Notenbank durch Gesetz in den Stand gesetzt werden soll, sich kreditpolitisch auch dort durchzusetzen, wo ihr zunächst keine Zuständigkeit gegeben ist. Wir bedauern, daß wir bis heute noch kein neues deutsches Notenbankgesetz haben. Wir können in dieser Legislaturperiode wohl kaum noch mit der Verabschiedung eines solchen Gesetzes rechnen. Um so wi tiger ist aber, den Punkt vorzuziehen, der für die konjunkturpolitische zentrale Steuerung wesentlich ist, um so wichtiger ist es, daß auch diejenigen Überschüsse der öffentlichen Kassen währungs- und kreditpolitisch neutralisiert werden, die auf einer anderen als der Bundesebene anfallen. Das ist bei Anträgen zum Bundesnotenbankgesetz im 1. Bundestag schon zum Ausdruck gebracht worden. Bis heute aber ist, wie ich schon


    (Dr. Hellwig)

    sagte, nichts davon verwirklicht worden. Daher unser Antrag, die Bundesregierung möge uns eine entsprechende Vorlage machen.
    In diesem Zusammenhang eine Bemerkung nebenbei. Verehrter Herr Kollege Deist, wenn die Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Aufträge an die Bundesregierung wünschen, wenn sie nicht bereits in Paragraphen aufgeführte Gesetzesentwürfe sind, dann deswegen, weil nahezu jeder Punkt in unseren Anträgen sowohl die Legislative wie die Exekutive betrifft und weil hier bei den weiteren Beratungen sehr genau abgegrenzt werden muß, wo es um die Zuständigkeit des Gesetzgebers und wo es um die Verantwortung der Bundesregierung als Exekutive geht.

    (Abg. Mellies: Und dafür sollen Ihre Minister sorgen?! Vorsicht!)

    — Ich komme bei der Einzelbehandlung unserer Anträge noch auf diese Dinge zurück.
    Ich darf nun zunächst etwas über die Aufgabe sagen, die gesamte wirtschaftliche Entwicklung auch für die Zukunft nach richtigen Maßstäben zu sichern. Ich komme damit zu jenem Punkt, wo wir vielleicht jetzt schon, voraussichtlich aber auch in den kommenden Jahren die engste Begrenzung für eine weitere Expansion haben werden. Ich meine die Frage der Arbeitskräfte. Es nützt nichts, daß wir uns darüber hinwegtäuschen. Man mag die Investitionsquote zu hoch finden. Aber, verehrter Herr Kollege Deist, haben Sie auch einmal nachgerechnet, was die für einen Arbeitsplatz heute notwendige Investition kostet, etwa gegenüber den Preisen von 1950 oder gar denen von 1938? Ich glaube, auch von dieser Seite sollte man einmal die Höhe der Investitionen und der Investitionsquote prüfen.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich wollte gerade von einem Anliegen sprechen, von dem ich eigentlich annehmen dürfte, daß es Ihnen ganz besonders am Herzen liegt. Ich meine die Überlegung: Was und wie muß in Zukunft investiert werden, damit das Ergebnis des Apparats, der vorgenommenen Investierung zur Herstellung der Güter wesentlich vermehrt werden kann. An dieser Stelle ist die wesentliche Vermehrung der Produktion, der Produktivität und damit die Hebung des Lebensstandards zentral angesprochen.
    Wir werden in den kommenden Jahren mit einer wachsenden Verknappung der Arbeitskräfte rechnen müssen. Ich erinnere daran, daß die Zahl der Schulentlassenen Jahr für Jahr erheblich zurückgehen wird; es sind die geburtenschwachen Kriegsjahrgänge, die nunmehr aus der Schule entlassen werden. Wir werden also auf jeden Fall mit einer erheblichen Verknappung der Arbeitskräftezahl zu rechnen haben, ganz abgesehen von den Kräften, die zum Wehrdienst aus der Wirtschaft herausgezogen werden müssen.
    Die Aufrechterhaltung des heutigen Lebensstandards aber setzt dann voraus, daß für die in der Wirtschaft produktiv Tätigen durch entsprechende Investitionen am Arbeitsplatz eine wesentlich höhere Produktionsleistung möglich wird. Mit andern Worten: Es muß der Produktionsapparat intensiviert werden, und insofern sind wir tatsächlich an einem Wendepunkt in der Investitionspolitik unserer Wirtschaft angelangt. Die bisherige
    Investitionstätigkeit ging überwiegend in die Erstellung neuer Kapazitäten, sie ging in das Extensive. Es wurden neue Arbeitsplätze geschaffen, es wurden Millionen von Menschen zusätzlich in Arbeit gebracht. Nunmehr ist es die Aufgabe, an die Stelle extensiver Kapazitätsentwicklungen eine Intensivierung des Apparates am öffentlichen Arbeitsplatz herbeizuführen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Daß damit aber wesentlich höhere Aufwendungen notwendig sind als in der extensiven Kapazitätsausweitung, das darf ich Ihnen, meine Damen und Herren, an einem einzigen Beispiel zeigen.
    Die Investition für einen Arbeitsplatz in der Drahtziehereiindustrie hat früher 10 000 Reichsmark gekostet — vor dem Krieg. Wir müssen jetzt 50 000 DM für diesen einen Arbeitsplatz rechnen, allerdings dann auch bei einer Versiebenfachung der Leistung, die der einzelne an diesem Arbeitsplatz erbringen kann.

    (Na also! bei der SPD.)

    Wenn Sie sich die Kasten der Arbeitsplätze in einzelnen Industriezweigen ansehen, dann wird erst einmal deutlich, welches Ausmaß von Investitionen gerade durch die Steigerung der technischen Anforderungen an den einzelnen Arbeitsplatz verursacht worden ist.
    In der eisenschaffenden Industrie kostet der durchschnittliche Arbeitsplatz heute 80- bis 100 000 DM, im Maschinenbau 20 000 DM, beim Fahrzeugbau 25 000 DM, in der Elektroindustrie 25 000 DM. In der Holzverarbeitung sind wir noch auf dem ursprünglichen durchschnittlichen Satz von 10 000 DM. Insgesamt gesehen haben sich in den letzten fünf Jahren die durchschnittlichen Kosten der Investition für einen Arbeitsplatz der Industrie etwa um 50 % erhöht.

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

    Nun, ich will hier nicht auf allzu viele Einzelheiten in dieser Frage eingehen. Ich glaube aber, daß nur aus diesen Überlegungen heraus beurteilt werden kann: Was hat zu geschehen, um bei verringerter Arbeitskräftezahl die volkswirtschaftliche Gesamtleistung als Ganzes und insbesondere auch den für den Massenkonsum notwendigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten? Was hat zu geschehen, um das bei rückläufiger Arbeitskräftezahl zu ermöglichen? Daß das nur mit zusätzlicher Investition am einzelnen Arbeitsplatz stattfinden kann, ist, glaube ich, selbstverständlich.
    Ich glaube, dieser einzige Hinweis genügt auch, um die Besorgnisse, ,die ein führender Konsumgüterfabrikant hat, deutlich zu machen, ein Konsumgüterfabrikant, der, weil er diese Situation sieht, sich für die Aufrechterhaltung des Investitionsvolumens ausspricht und auch bereit ist, Konjunkturbelebungen zusätzlicher Art in der Konsumgüterindustrie selbst !zurückzustellen. Dieser Konsumgüterfabrikant ist allerdings der von Ihnen offenbar als Autorität nicht sehr geschätzte Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Berg. Ich glaube aber, es genügt, hier auszuführen, daß man nicht von einer momentanen Situation, etwa aus der Sicht von wenigen Monaten heraus Entscheidungen über das notwendige Investitionsvolumen treffen kann, wenn auf dieses Investitionsvolumen Aufgaben, die ich soeben geschildert habe, in Kürze zukommen. Ich bin auch überzeugt, daß ein nicht unerheblicher Teil


    (Dr. Hellwig)

    der derzeitigen Investitionstätigkeit bereits eine Vorwegnahme der kommenden Entwicklung am Arbeitsplatz darstellt. Ein großer Teil der Unternehmer macht sich seit langem Gedanken und Sorgen darüber, wie er seine Produktion aufrechterhalten kann, wenn er Arbeitskräfte verliert. So ist wohl auch ein nicht unerheblicher Teil des derzeitigen Investitionsvolumens begründet.
    Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf verschiedene Punkte in den Anträgen der CDU selbst eingehen.
    Ich habe schon von der zentralen Rolle gesprochen, die wir unserem Antrag betreffend die Anlage öffentlicher Gelder zuerkennen. Es handelt sich einfach darum, der zentralen Notenbank ihr Instrumentarium zur Kreditpolitik so zu vervollständigen, wie es nach Lage der Dinge eben einfach notwendig ist. Daß innerhalb der gesamten Stationen der öffentlichen Hand hier bestimmte Dinge einer Überprüfung bedürfen, wird man sicher nicht als Diffamierung betrachten können. Sehen Sie sich einmal das Steueraufkommen an, wie es in allen Instanzen erheblich über den Vorschätzungen liegt. Sehen Sie sich vor allem auch an, daß die Gewerbesteuer sich wesentlich stärker in ihrem Aufkommen erhöht hat als die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Sehen Sie sich an, daß durch die letzten Einkommensteuergesetze des Bundes Erhöhungen der Bemessungsgrundlagen für die Gewerbesteuer eingetreten sind, weil für die Gewerbesteuer wirksame Sondervergünstigungen — etwa der 7er-Gruppe — im Einkommensteuergesetz in Fortfall gekommen sind. Es ist nur natürlich, daß wir in eine Überprüfung dieser Dinge eintreten, daß wir nicht eine divergierende Entwicklung etwa der Gewerbesteuer auf der einen und der Bundes- und Länder-Einkommen- und Körperschaftsteuer auf der anderen Seite haben wollen.
    Bei dem Antrag, der von der Bundesregierung konjunkturpolitische Überprüfung der öffentlichen Ausgaben verlangt, unterscheiden wir einmal jene Ausgaben, bei denen die Bundesregierung nicht unmittelbaren Einfluß hat, bei denen sie also tatsächlich nur auf den guten Willen der beteiligten Instanzen angewiesen ist. Wir sind überzeugt, daß sich keine der öffentlichen Instanzen diesem Appell ,an den guten Willen verschließen wird. Wir unterscheiden dann jene öffentlichen Ausgaben für Investitionsvorhaben, wo Bundesmittel unmittelbar eingesetzt werden. Hier soll die Hergabe von Bundesmitteln von einer Überprüfung der Dringlichkeit und der Auftragslage in dem jeweiligen Baubereich abhängig gemacht werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir appellieren ferner in diesem Antrag daran, daß die Bundesregierung die im Eigentum des Bundes oder unter seiner Verwaltung stehenden Unternehmen zu einer stärkeren Anpassung an die konjunkturpolitischen Erfordernisse anhält, insbesondere dann, wenn zusätzlich neue Kapazitäten in Bezirken erstellt werden sollten — was nun leider geschieht —, wo ohnehin schon Engpaßbezirke durch starke industrielle Zusammenballung bestehen.
    Wir fordern weiterhin die Bundesregierung auf, alle öffentlichen Auftraggeber zu einer langfristigen Unterrichtung der Bauwirtschaft über ihre künftigen Bauvorhaben zu veranlassen, damit diese sich bei ihren Investitionen an arbeitssparenden Maschinen usw. auch auf eine Auftragsentwicklung auf lange Sicht einstellen kann.
    Zu dem Antrag über die Kreditversorgung des Mittelstandes wird mein Kollege Schmücker noch sprechen. Ich darf hier nur einen Gedanken kurz erwähnen, der auch in diesem Antrag mit angesprochen wird. Wir haben eine große Zahl öffentlicher Fonds, Fonds auf Landes- und anderen Ebenen, aus denen nun Gewerbe- oder andere Förderungsmaßnahmen gespeist werden sollen. Die starke Zersplitterung dieser Fonds ist diametral entgegengesetzt der Aufgabe, ,die sie haben, nämlich gegebenenfalls auch zentral gesteuert zur Erzeugung bestimmter wirtschaftspolitischer Wirkungen eingesetzt zu werden. Ich glaube, daß gerade diese Überprüfung der verschiedenen Fonds mit ein Anliegen dieses Antrags sein wird.
    Zu dem Thema Teilzahlungsgeschäfte kann ich mich kurz fassen. Ich freue mich über die Unterstützung, die hier zugesagt worden ist. Aber, verehrter Herr Kollege Dr. Deist, wenn wir dem Antrag der SPD nicht den Vorzug gegeben haben — er ist ja auch noch nicht abschließend beraten —, so aus folgender Überlegung. Ich glaube, mit einem Ausbau des Verbraucherschutzes beim Abschluß von Abzahlungsgeschäften allein kommt man dem konjunkturpolitischen Problem nicht näher; denn je leichter ich von einem Teilzahlungsvertrag zurücktreten kann, um so leichtfertiger kann ich unter Umständen einen solchen Vertrag abschließen,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    und das würde konjunkturpolitisch zu zusätzlichen Überspitzungen führen, indem Auftragsvolumina entstehen, die vielleicht nachher gar nicht realisiert werden können.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Daher halte ich die Übernahme von Regelungen, wie sie in USA und England und anderen Ländern bestehen, das Teilzahlungsgeschäft an die kreditpolitischen Instanzen anzuhängen — auch durch gesetzliche Vorschriften über Anzahlungshöhe und über Laufzeit der monatlichen Raten —, für den wirksameren Weg.
    Im ganzen darf ich sagen, daß die Entwicklung des Teilzahlungsgeschäftes als solche noch nicht zu Beunruhigungen Veranlassung gibt. Da wir aber auf diesem Sektor in einer sehr kurzfristigen, sehr raschen Entwicklung stehen, sollte man das Instrument der Steuerung dieses Geschäftsbereichs rechtzeitig schaffen und nicht erst dann kommen, wenn vielleicht schon eine Überhitzung auf diesem Gebiet eingetreten ist.
    Nun zu dem Antrag betreffend die Beschaffung von Arbeitskräften in der Bundesrepublik! Meine Damen und Herren, es gibt eine alte Regel, daß manche Dinge zu spät und zu wenig kommen, und ich befürchte, daß wir bei den Möglichkeiten, Arbeitskräfte aus Ländern mit starker Arbeitslosigkeit zu beschaffen, um eine Verstärkung unseres Arbeitskräftepotentials herbeizuführen, bereits zu spät kommen. Diese Anregungen sind vor Jahresfrist wiederholt erörtert worden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Sie sind auf starken Widerstand gestoßen, weil man offenbar befürchtete, daß damit die böse Absicht eines Lohn- oder Sozialdumpings verbunden sei. Daher haben wir, um derartigen Befürchtungen auch jetzt entgegenzutreten, in unserem Antrag ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte „ohne Beeinträchtigung des bestehenden Lohnniveaus


    (Dr. Hellwig)

    und der bestehenden arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen" zugelassen werden sollte. Leider sind wir gegenüber den Ländern, die noch Arbeitskräfte in größerem Umfang zur Verfügung stellen könnten, vermutlich jetzt nicht mehr in der günstigen Verhandlungsposition wie vor einem Jahr.
    Ich glaube aber, daß die gesamte Entwicklung der Arbeitskräftesituation, von der ich vorhin schon gesprochen habe, noch ganz andere Maßnahmen von uns verlangt, Maßnahmen, die auch in Verbindung mit der Sozialreform gesehen werden müssen: die Reaktivierung von nur teilweise einsatzfähigen Arbeitskräften, die Anpassung von Arbeitszeit und anderen Arbeitsbedingungen an nur in geringem Maß Erwerbsfähige, an nur teilweise zu wenigen Stunden am Tag zur Arbeit heranzuziehende Kräfte und nicht zuletzt auch durch die Auslagerung von industriellen Arbeitsplätzen in solche Bezirke, in denen zwar keine sichtbare Arbeitslosigkeit besteht, wohl aber keine gleichbleibende Vollbeschäftigung der Bevölkerung für das ganze Jahr. Ich meine damit die sogenannten Randgebiete und vor allem auch die landwirtschaftlichen Notstandsgebiete, wo die Bevölkerung wirklich nur wenige Monate im Jahr in der landwirtschaftlichen Produktion voll tätig ist, in den übrigen Monaten des Jahres aber durch industrielle Aussiedlung erhebliche Gelegenheiten für zusätzlichen Verdienst, zusätzliches Einkommen finden würde. Unsere dringende Bitte an die beteiligten Ressorts geht dahin, auf dieses Problem auch außerhalb der derzeitigen Konjunkturdebatte noch einmal zurückzukommen und konkrete Maßnahmen auf lange Sicht einzuleiten, die eine Umstrukturierung landwirtschaftlicher Notstandsgebiete durch erleichterte industrielle Ausssiedlung zum Gegenstand haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich komme dann zu dem schon von Herrn Dr. Deist allerdings nicht sehr positiv angekündigten Gesetzentwurf betreffend die Änderung des Einkommensteuergesetzes. Die Änderung des Einkommensteuergesetzes, die von unserer Fraktion beantragt wird, greift zunächst Vorschläge auf, bei denen wir uns auch mit der Opposition in Übereinstimmung befinden. Die Erhöhung der Freibeträge für freie Berufe und die unselbständig Tätigen soll auf diesem Gebiet nämlich eine stärkere Entlastung schaffen, weiterhin sind aber auch wesentliche Erleichterungen bei der Ehegattenbesteuerung vorgesehen. Hier müssen bestimmte Pläne endlich nachgezogen werden, die wir seinerzeit bei der Steuerreform haben zurückstellen müssen. Ich glaube, daß an dieser Stelle auch gesagt werden soll, daß nicht nur die mithelfende, die erwerbstätige, die mitverdienende Ehefrau gemeint ist, sondern daß auch die Ehefrau als Hausfrau bei diesen Überlegungen zur Reform der Ehegattenbesteuerung ihre gebührende Berücksichtigung finden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was unseren Antrag betreffend die Scheingewinnbesteuerung angeht, so darf ich hier auf Beschlüsse verweisen, die der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Bundestages bereits im letzten Jahre gefaßt hat, die aber, um die Sache nicht zu verzögern, bei der Einkommensteuerreform Ende des Jahres 1954 zurückgestellt werden mußten. Ich glaube, heute ist der Zeitpunkt da, diese Dinge wieder aufzugreifen.
    Dann hat Herr Dr. Deist vor allem Bedenken gegen die Aufnahme einer Aufforderung in bezug
    auf erleichterte Abschreibungen angemeldet. Ich bitte, doch den Wortlaut dieses Antrags nochmals genau zu lesen. Er beauftragt die Bundesregierung, bei der Handhabung der degressiven Abschreibung der konjunkturellen Lage entsprechend Sorge dafür zu tragen, daß die Finanzverwaltungen eine degressive Abschreibung auch bei beweglichen Wirtschaftsgütern mit einer Lebensdauer von sechs bis zehn Jahren usw. zulassen. Die Bundesregierung bzw. die Finanzverwaltung wird also lediglich darauf hingewiesen, von den bereits jetzt bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten administrativ den entsprechenden Gebrauch zu machen. Die Grenze für diese Möglichkeit ist, wie Sie wohl wissen, durch ein finanzgerichtliches Urteil inzwischen geklärt.
    Wir haben nun unter den steuerpolitischen Anträgen noch einen weiteren, der lediglich ganz allgemein geeignete Maßnahmen anregt, um Rationalisierungsinvestitionen sowie Beiträge für Forschung und Berufsausbildung zu erleichtern. Ich darf nochmals daran erinnern, welches die Investitionsaufgabe der deutschen Wirtschaft im Hinblick auf die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots sein wird, und Sie werden mir im Hinblick
    darauf recht geben, daß dieser Antrag lediglich den Auftrag beinhaltet, diese Dinge rechtzeitig in Arbeit zu nehmen. Daß dabei gerade auch besondere Aufwendungen für die industrielle Forschung, für die Forschung allgemein und für die Intensivierung der Berufsausbildung gemeint sind, das ist bei der Situation, in der wir uns befinden, doch selbstverständlich.
    Noch ein letztes Wort zu dem Thema Energiepreise. Ich glaube, daß man hier wirklich einmal sine ira et studio an die Frage herantreten muß, wieso die Energiepreise bei uns eine Höhe haben, die einmal angesichts der Poduktivitätsentwicklung der Energieerzeugung in den letzten Jahren und zum andern im Vergleich zu anderen Ländern überraschend erscheint. Hier sollte zumindest eine Überprüfung vorgenommen werden, damit man zu klaren Vorstellungen kommen kann. Es ist ja wohl kein Geheimnis, daß ein nicht unerheblicher Teil des Preises, den der Verbraucher für den Strom zu zahlen hat, in unmittelbare oder mittelbare kommunale oder sonstige öffentliche Abgaben fließt. Hier sollte also zumindest eine Überprüfung dieser Überlagerung der einheitlichen Energiepreise durch andere Abgaben vorgenommen werden.
    Die anderen Punkte, die im Antrag auf Überprüfung der Energiepreise genannt sind, beziehen sich vor allem auf das Auslaufen des § 36 des Investitionshilfegesetzes. Hier werden nach unseren Berechnungen erhebliche Beträge frei werden, die bisher im Energiepreis zur Speisung der notwendigen Investitionen enthalten waren.
    Herr Kollege Deist hat zum Investitionshilfegesetz noch einige kritische Bemerkungen gemacht, die ich hier nicht in aller Breite behandeln kann. Ich darf aber noch einmal darauf aufmerksam machen, daß Herr Kollege Deist von dem Investitionshilfegesetz, insbesondere von § 36, als konjunkturwidrig gesprochen hat. Ich glaube, wir können keinen einheitlichen Begriff des Konjunkturgemäßen und des Konjunkturwidrigen begründen, sondern die konjunkturelle Situation kann zur einen Zeit das eine Mittel und zur anderen Zeit ein anderes Mittel erforderlich machen. Beide Mittel haben aber die Eigenschaft, daß sie unter veränderten Bedingungen unter Umständen auch ne-


    (Dr. Hellwig)

    gative Wirkungen haben können. Ich gebe völlig zu, daß ein Auftragsstau, der durch das Auslaufen eines Termins — wie beim § 36 — entsteht, konjunkturpolitisch recht unangenehme Wirkungen haben kann und wohl auch gehabt hat. Aber das ist ja wohl immer in solchen Bereichen der Fall. Bei öffentlichen Investitionen oder bei der Bereitstellung öffentlicher Gelder haben wir häufig auch ganz bestimmte Terminierungen für öffentliche Gelder oder Subventionen, die dann zu einem Stau der Aufträge führen. Mir ist bekannt, daß in einem deutschen Bundesland die Bereitstellung von Landesmitteln für Schulhausbauten an Gemeinden bis Ende dieses Jahres ablaufen soll. Sie können sich vorstellen, wie ein solcher Termin zur Aufstauung von plötzlichen Schulhausbauaufträgen führt, die uns konjunkturpolitisch höchst unerwünscht kommen. Auch das als eine Illustration dafür, wie etwas normalerweise Konjunkturgemäßes unter veränderten Umständen konjunkturwidrig sein kann, und umgekehrt.
    Im ganzen darf aber abschließend über das Investitionshilfegesetz folgendes gesagt werden. Man mag diese vor vier Jahren eingeleitete Aktion aus der Sicht der Wirtschaftspolitik heraus als einen mehr oder weniger großen Schönheitsfehler, als eine Sünde wider den heiligen Geist oder auch als Tropfen auf den heißen Stein empfinden. Insgesamt dürfte aber wohl feststehen: Wenn in der jüngsten Expansion der gesamten deutschen Wirtschaft die Bereitstellung von Kohle, Eisen, Stahl und Energie in einem solchen Umfang möglich war, daß keine erwähnenswerten Engpaßerscheinungen von dort gekommen sind, so ist das ganz wesentlich die Wirkung des Investitionshilfegesetzes gewesen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich muß mich beeilen, zum Schluß zu kommen, und kann an dieser Stelle nur noch kurz etwas über zwei Bereiche sagen, die bei der wirtschaftspolitischen Gesamtdebatte vielleicht ungerechtfertigterweise etwas in den Hintergrund treten könnten. Das ist einmal die Landwirtschaft, und zum anderen sind es die Bereiche von Einkommensempfängern, bei denen die Anpassung ihrer Einkommen an das Tempo der industriellen Entwicklung und der von ihr ausgehenden Einkommenssteigerung nicht ohne weiteres möglich ist.
    Was die Landwirtschaft angeht, so ist durch den bei Verabschiedung des Landwirtschaftsgesetzes erteilten Auftrag bereits eingeleitet, daß hier noch weitere Maßnahmen zu ergreifen sind. Wie man das macht, ob man das an der einen oder der anderen Stelle durch einen Preis oder durch die steuerliche Entlastung zu erreichen versucht, wie verschiedene Anträge es anregen, oder auch durch die Übernahme bestimmter Dinge, die vorläufig im landwirtschaftlichen Bereich finanziert werden müssen, die aber mit öffentlichen Mitteln durchgeführt werden könnten — wie etwa die Tbc-Bekämpfung beim Rindvieh , das sind Fragen, die wir in Ausschußberatungen wohl klären können.
    Was zum andern die Einkommensentwicklung bei den Rentnern und dem Kreis der ihnen zuzurechnenden Bezieher von Festbeträgen angeht, so darf ich hier grundsätzlich zum Ausdruck bringen, was meine Fraktion mit ihrem Antrag zum Rentenmehrbetragsgesetz bereits zu erkennen gegeben hat: daß Anpassungsmaßnahmen dort, wo sie als Folge der Preisentwicklung dringend notwendig sind, selbstverständlich zu treffen sind.

    (Beifall in der Mitte.)

    Aber es soll nicht plötzlich eine Unruhewelle entstehen, durch die das, was mit der Sozialreform als gemeinsame Arbeit angestrebt wird — die Gesamtleistungen des Gesamthaushalts zu intensivieren —, verbaut oder durch Vorwegmaßnahmen an dieser oder jener Stelle zersplittert wird. Ich glaube, die Anpassung dort, wo es notwendig ist, betrachtet jeder in diesem Saal als ein berechtigtes Anliegen. Aber wir wollen nicht bereits jetzt durch Vorwegnahme und Zersplitterung von Maßnahmen, die mit der Sozialreform zu kommen haben, die Wirkung des Gesamtplans gefährden.
    Es liegt mir noch sehr am Herzen, hier ein Schlußwort zu sagen über die besondere Situation, in der wir uns hier befinden, nämlich in Berlin und im Angesicht der sowjetischen Besatzungszone. Es wird für Berlin und die Berliner Bevölkerung ein etwas merkwürdiges Bild sein, daß man sich im Deutschen Bundestag gewissermaßen über die Folgen einer zu schnellen, einer zu guten wirtschaftlichen Entwicklung streiten konnte. Die Berliner werden sagen: Eure Sorgen möchten wir auch haben!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich glaube aber, der enge Zusammenhang zwischen der Konjunktur in der Bundesrepublik, ihrer Aufrechterhaltung und Stabilisierung und der Lebensfähigkeit der Berliner Wirtschaft und damit des freien Berlins liegt schlechthin auf der Hand. Was Berlin erzeugt, wird überwiegend auf dem Markt der Bundesrepublik abgegeben und dort aufgenommen. Die Aufrechterhaltung und die weitere Ausdehnung der wirtschaftlichen Leistung Berlins ist also unmittelbar abhängig von der Aufnahmefähigkeit des westdeutschen Marktes. Daher ist dieser Zusammenhang gerechtfertigt, wenn auch hier das Thema völlig unter der Sicht der Bundesrepublik erörtert wird.
    Aber etwas anderes sollte in Berlin zum Ausdruck gebracht werden. Wir könnten, wenn wir uns hier über den Anteil 'der einen oder anderen Gruppe am Sozialprodukt oder am Zuwachs des Sozialprodukts auseinandersetzen, den Eindruck erwecken, als wenn für uns Wirtschaftspolitik lediglich ein Verteilungsproblem nach materiellen Gesichtspunkten wäre. Wir möchten ganz klar herausstellen, daß auch die Wirtschaftspolitik einer höheren Aufgabe untergeordnet ist, nämlich der, unter Beweis zu stellen, daß die freiheitliche Staats-, Gesellschafts- und Sozialordnung unter allen Umständen menschenwürdiger und daher wertvoller und es wert ist, verteidigt zu werden, als irgendeine andere.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das in Berlin zum Ausdruck zu bringen, sollte bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen werden.
    Ich darf hier an alle unsere Landsleute, die im Wirtschaftsleben in der Bundesrepublik stehen, einen anderen Appell richten. Es ist viel von dem Maßhalten gesprochen worden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister führt seinen psychologischen Feldzug, der von dem Kollegen Dr. Deist offenbar nicht ganz so geschätzt oder, ich möchte sagen, nicht für so ganz durchschlagend angesehen wird, wie es vielleicht sein sollte. Nun, über die psychologischen Kräfte in der Wirtschaft, die Gruppen und die Verbände, müssen wir uns bei anderer Gelegenheit einmal unterhalten. Ich möchte das Thema nicht vertiefen. Sie dürfen aber sicher sein, daß Sie in mir einen an diesem Thema ungemein interessierten Gesprächspartner haben, wie wir es


    (Dr. Hellwig)

    uns wiederholt bereits in Diskussionen versichert haben. In deh Worten des Bundeswirtschaftsministers liegt der Appell zum Maßhalten. Ich möchte es einmal anders sagen: Auch die Freiheit, die in unserer Wirtschaftsordnung das vorherrschende Merkmal ist — dazu gehört auch die Verbandsfreiheit, die Koalitionsfreiheit, die Tarifautonomie der großen Verbände — trägt in sich die Verpflichtung zu Bindungen, und sie trägt in sich auch die Verpflichtung, dann aufrechterhalten zu werden, wenn sie einmal zu Störungen oder zu Härten für den einen oder anderen führen sollte. Sich für die Freiheit einzusetzen, auch dann, wenn es einmal etwas kostet, ist der Appell, den wir wohl an alle unsere Landsleute, unter allen Umständen an die Gruppen und die Verbände zu richten haben. Vor allem ist diese Freiheit nicht isoliert aus dem Blickwinkel der einzelnen Gruppe oder des Einzelnen zu sehen, sondern sie ist nur zu sehen in der Verantwortung, in der Bindung an die Gemeinschaft. Denn diese Gemeinschaft, verkörpert durch den Staat und seine Organe, Parlament und Regierung, hat die Freiheit idem Einzelnen und den Gruppen erst zu garantieren. Wer diese Freiheit aufs Spiel setzt, riskiert, daß die Gemeinschaft diese Freiheit nicht mehr aufrechterhalten kann.
    Meine Damen und Herr, ein letztes Wort an dieser Stelle! Ich glaube, daß man auch in der sowjetischen Besatzungszone und darüber hinaus in allen jenen Gebieten, denen unsere Gedanken in dieser Stunde gelten, mit Leidenschaft und mit heißester Anteilnahme nicht so sehr die theoretischen Diskussionen über das eine oder andere unserer volkswirtschaftlichen Rechnung verfolgt, sondern daß man dort vor allem eines mit Leidenschaft verfolgt: daß die freiheitliche Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, wie die Bundesrepublik sie nunmehr seit Jahren zu verwirklichen sich bemüht hat, Bestand hat und eines Tages auch die Freiheit für das ganze deutsche Volk darstellen wird.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)