Rede von
Dr.
Heinrich
Lindenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ältestenrat hat für die heutige Debatte den Wunsch ausgesprochen, die Aussprache in der ersten Lesung möglichst kurz zu halten. Ich bin dadurch vor eine schwere Aufgabe gestellt in Ansehung der Fülle der Probleme, der Weitschichtigkeit der Materie und der komplexen Gesetzesfassung. Ich könnte mich meiner
heutigen Aufgabe allerdings sehr schnell entledigen, wenn ich dem vorliegenden Entwurf des Kriegsfolgenschlußgesetzes bedingungslos zustimmen könnte. Leider kann ich das nicht. Ich will eingangs nicht verkennen, daß dieser Entwurf doch schon in wesentlichen Punkten eine Verbesserung aufzeigt gegenüber den Gedankengängen, die früher im Bundesfinanzministerium erörtert worden sind, und einer Art Vorentwurf. Während man in diesen Vorentwürfen nur von einer sozialen Umstellung ausgehen wollte, zudem noch die juristischen Personen ausgeschlossen hat, ist man jetzt zu einer anderen Version durchgedrungen. Aber auch diese andere Version muß — leider, wie ich soeben schon sagte — in verschiedener Hinsicht von uns überprüft werden und kann so nicht übernommen werden.
Meine Bedenken richten sich in erster Linie gegen die grundlegende Konzeption und dann selbstverständlich auch gegen die einzelnen Folgerungen, gegen die Ausprägung gewisser Materien im Anschluß an diese grundlegende Konzeption. Ich darf zunächst einmal einige Worte zu dem Grundsätzlichen sagen, gewissermaßen zu der Generallinie, mit der wir uns abzufinden haben.
Das Kriegsfolgenschlußgesetz will, wie sein Name sagt, einen Schlußstrich ziehen unter eine restliche Konkursmasse, die aus dem Hitlerregime, aus dem verlorenen Krieg, aus dem Zusammenbruch auf den Bund überkommen ist. Dabei muß man aber von vornherein berücksichtigen, daß, wie auch der Herr Minister ausgeführt hat, einige Gebiete ausgeklammert werden mußten. Der Schlußstrich wird also nicht über die ganze Seite gezogen und kann auch nicht über die ganze Seite gezogen werden. Das Gebiet der Besatzungsschäden, der Restitutions- und Demontagegeschädigten und das Gebiet der Auslandsgläubiger- und anderer Fragen konnten nicht gleichzeitig mit dem Kriegsfolgenschlußgesetz geregelt werden. Wir wissen aber, daß z. B. über die Besatzungsschäden ein Gesetzentwurf vorliegt. Ich bin. dahin unterrichtet, daß über die rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Reiches ebenfalls ein Entwurf vorliegt. Weiter mußten ausgeklammert werden oder, richtiger gesagt, konnten noch nicht behandelt werden die Ansprüche gegen das NS-Vermögen und gegen die früheren Körperschaften des NS-Regimes. Wir müssen uns hier noch gedulden. Im übrigen erfaßt das Kriegsfolgenschlußgesetz in seinem Hauptpunkt die Ansprüche einer bestimmten Personengruppe, die bislang nicht zum Zuge gekommen ist.
Das Hohe Haus hat sich in dieser und auch in der vorigen Sitzungsperiode verschiedentlich mit Kriegsfolgeschäden im weiteren Sinne befassen müssen. Das war natürlich. Beim Zusammenbruch und später, als die Verfassung ein Arbeiten des Parlaments und der Bunderegierung erlaubte, mußte in erster Linie Vorsorge getroffen werden für den Schutz der Flüchtlinge, der Vertriebenen, der Heimkehrer, für den Schutz der unter dem NS-Regime politisch und rassisch verfolgten Menschen. Später kamen andere Probleme an uns heran: die Abfindung der Kriegsversehrten, der Witwen, und die Rentenaufbesserung. Die Probleme überstürzten sich. Hier mußte zunächst geholfen werden; denn hier handelte es sich um Fragen des Wiederanfangs eines staatlichen Zusammenlebens.
Darüber ist die andere Personengruppe in den Hintergrund getreten. Um welche Personengruppe bandet es sich? Der Herr Minister hat das vorhin
schon ausgeführt. Es sind in erster Linie die Reichsgläubiger, die Gläubiger aus konkreten Verträgen, es sind Gläubiger, die Ansprüche auf Enteignungsentschädigung geltend machen wollen, und überhaupt Kriegsgeschädigte generell, soweit nicht ihre besonderen Anliegen in den von mir erwähnten Gesetzen bereits berücksichtigt worden sind.
Wenn wir dieses jetzt feststellen, dürfen wir wohl sagen, daß wir dieser Personengruppe, diesen Menschen Dank dafür schulden, daß sie mit ihren Forderungen gewartet und uns Zeit gegeben haben, zunächst einmal die anderen, vordringlichen Probleme zu erledigen. Diesen Dank brauchen wir nicht damit einzuschränken, daß wir sagen: sie konnten ja gar nicht anders, weil ihnen § 14 des Umstellungsgesetzes die Geltendmachung ihrer Rechte verbot.
Wie will man nun dieser Personengruppe heute im Rahmen des Kriegsfolgenschlußgesetzes helfen? Daß ihnen geholfen werden soll, ist klar und von den federführenden Ministern verschiedentlich, nicht erst heute, sondern auch in anderen Diskussionen hier im Bundestag und auch in der Öffentlichkeit, erklärt worden. Der Herr Minister hat wiederholt gesagt, daß eine faire und gerechte Lösung gefunden werden sollte. Meine Damen und Herren, das ist ein großes Wort. Dieses große Wort schließt auch eine schwere Verpflichtung in sich. Ich glaube, daß sich der Herr Minister dieser Verpflichtung bewußt ist.
Um die Größe dieser Verpflichtung zu zeigen, darf ich noch einmal kurz die Zahlen zusammenstellen, die Erbmasse registrieren, um die es sich hier handelt. Die Zahlen sind genannt; ich will sie addieren, in einem anderen Zusammenhang aufzeigen.
Da sind zunächst einmal diejenigen, die Ansprüche allgemeiner Art gegen das Reich — und heute gegen den Bund — geltend machen können: ein Komplex von rund 400 Milliarden R-Mark. Dazu kommen als weiterer Komplex die sogenannten verbrieften Verbindlichkeiten, deren Umfang schätzungsweise auch bei etwa 390 bis 400 Milliarden R-Mark liegt. Als letzte Gruppe erwähne ich die Demontagegeschädigten und Restitutionsgeschädigten, diejenigen Geschädigten, die Verluste an Auslandsvermögen haben, Geschädigte, die durch Besatzungsmaßnahmen usw. Verluste erlitten haben, eine Gruppe, deren Schäden man mit 40 Milliarden DM beziffern kann. Diese Schäden sind zum Teil erst nach 1948 durch Demontage und Restitution eingetreten.
Rechne ich aber diese 40 Milliarden DM auf R-Mark zurück, dann komme ich zu 3 gleich großen Gruppen mit je 400 Milliarden R-Mark. Multipliziert ergibt das 1,2 Billionen R-Mark. Meine Damen und Herren, wir sind wieder bei den Billionen, und damit wird eine beängstigende Erinnerung an die Zeiten der ersten Inflation hervorgerufen. 1,2 Billionen R-Mark in unserem heutigen Staatswesen zu verkraften, ist gänzlich ausgeschlossen. Eine mechanische Umstellung dieses Betrages etwa nach den Grundsätzen des Umstellungsgesetzes würde einen Betrag von 120 Milliarden DM ausmachen. Es bedarf keines Wortes, daß ich den Ausführungen des Ministers in diesem Punkte völlig beitreten kann. Es ist unmöglich, überhaupt nur daran zu denken, auf der Basis des Umstellungsgesetzes mit diesen Forderungen fertig zu werden. Es sind praktisch Kapitalverluste. Kapitalverluste könnte ich nur aus anderen Kapitalquellen stopfen. Die sind nicht da. Die einzige Kapitalquelle, das deutsche Volksvermögen, ist in erster Linie mit der Hypothek des Lastenausgleichs belastet. Es bliebe also nur der Rückgriff auf die Steuereinnahmen übrig. Das würde auf der einen Seite eine unmenschliche Überforderung des Steuerzahlers bedeuten, auf der anderen Seite aber — und das ist entscheidend — die Grundlagen unserer Währung erschüttern. Das kann nicht sein. Diese Grenze muß respektiert werden.
Eine andere Frage ist es, ob die Hilfsmaßnahmen, die dem Herrn Minister vorschweben, ausreichend sind. Wir haben gehört, daß, rein etatmäßig gesehen, für die Abgeltung aller dieser Schäden im Rahmen des vorliegenden Gesetzes 200 Millionen DM jährlich vorgesehen sind. Ich weiß nicht, ob damit die äußerste Grenze dessen erreicht worden ist, was man von dem Herrn Minister und von dem Bund insbesondere verlangen kann, nachdem uns gesagt worden ist, daß eine faire und gerechte Lösung angestrebt werden soll. Ich bin hier bei einem Zentralproblem in der grundsätzlichen Debatte. Wir kennen die obere Grenze, die einer Lösung gezogen ist. Wir kennen aber nicht die untere Grenze. Ich bin der Auffassung, daß wir in den Ausschußberatungen und weiter in der zweiten und dritten Lesung um diese äußerste Grenze ringen müssen.
Ich vermisse in den Ausführungen zur Begründung des Gesetzes und auch gerade in den heutigen Darlegungen des Ministers einen plausiblen Grund dafür, daß nicht mehr als 200 Millionen DM gezahlt werden können. Herr Minister, Sie kennen meine Wünsche. Sie sind, geldlich gesehen, nicht allzu hoch, sie sind vertretbar. Ich komme im einzelnen nachher noch darauf, sehe aber bis heute immer noch nicht ein, warum man auf alle Fälle an diesen 200 Millionen DM haften will. Gewiß: Etatgründe! Wir wissen das. Wir wissen auch um das Gesetz der Kette. Es handelt sich ja hier nicht nur um die 200 Millionen DM. Sie sind vielmehr ein Schlußpunkt in einer Reihe immenser Aufwendungen, die der Bund im Laufe der Jahre hat auf sich nehmen müssen. Wir haben die Zahl gehört. Wir wollen sie nicht verkleinern. Gezahlt worden sind vom Bund für diese Aufgaben der Kriegsfolgen insgesamt 100 Milliarden DM, eine gewaltige Summe, für deren Aufbringung das deutsche Volk auch an dieser Stelle Dank verlangen kann.
— Sich selbst, weniger dem Herrn Minister, der ja nur verteilt, in erster Linie dem deutschen Volk.
Aber wenn man mit Zahlen redet, dann soll man auch mit Zahlen erwidern. Ich darf in diesem Zusammenhang einige Zahlen nennen, die etwas optimistischer klingen, die auch in mir persönlich die Hoffnung wachhalten, daß wir zu einer Erhöhung dieses Betrages kommen. Erstens: 200 Millionen DM jährlich sind effektiv nur 0,6 % des Jahresetats. Zweitens. Wenn man solche Gesetze macht, ist es gut, sie nicht in der Hausse zu machen, sondern in der Baisse. Aber wir sind in einer Hausse der Steuereinnahmen. Allein im August sind die Bundessteuereinnahmen um 245 Millionen höher als im Vorjahr. Und eine dritte Zahl, die in diesem Zusammenhang wichtig ist, weil in der Öffentlichkeit häufig darauf hingewiesen worden ist: Das Bundesvermögen stellt immerhin noch
einen stattlichen Fundus dar. Die Schätzungen darüber gehen auseinander, aber man wird nicht fehlgehen, wenn man einen Betrag von 3 bis 5 Milliarden als richtig ansieht. Wir werden das in den Ausschüssen feststellen; der Ausschuß „Bundesbeteiligungen" ist noch an der Arbeit. Aber ich glaube, die unterste Grenze von 3 und die oberste Grenze von 5 Milliarden wird ungefähr stimmen.
Wenn man diese Zahlen mit dem bescheidenen Jahresbetrag von 200 Millionen vergleicht, dann sollte, meine ich, die Möglichkeit gegeben sein, diesen Betrag zu erhöhen. Um wieviel er erhöht werden muß, um zu einer vernünftigen Regelung und zu einer angemessenen, dem Grundsatz fairer und loyaler Behandlung entsprechenden Lösung zu gelangen, werde ich sofort auseinandersetzen.
Ich möchte damit das Grundsätzliche beschließen und nochmals folgendes festhalten: Entsprechend der Zusage einer fairen und gerechten Lösung auch für diese Gruppe von Personen, die jahrelang auf ihr Recht gewartet haben und die durch den Zusammenbruch ebenfalls schwer betroffen sind, muß man versuchen., die äußerste Grenze des in geldlicher Hinsicht Zumutbaren zu ermitteln. Erst wenn das möglich ist, wird man auch die Einzelprobleme leichter lösen können, als das jetzt der Fall ist.
Ich darf nun im Anschluß an das Grundsätzliche zu dem Gesetz selbst übergehen. Wenn man absieht von den Restitution- und Demontagegeschädigten sowie von den Besatzungsgeschädigten, also von der Gruppe, deren Schäden ich vorhin mit 40 Milliarden DM bezifferte, dann sind es vor allen Dingen zwei Gruppen von Ansprüchen, die auf den Bund zukommen. Die eine sind die allgemeinen Ansprüche, die andere die verbrieften. Lassen Sie mich zunächst von den allgemeinen Ansprüchen sprechen. Hier gilt der Grundsatz, daß die allgemeinen Ansprüche, die nicht verbrieften, entschädigungslos untergehen sollen. Aber dieser Grundsatz wird etwas gemildert dadurch, daß verschiedene Ausnahmen vorgesehen sind. So sollen nach den Grundsätzen des Umstellungsrechtes behandelt werden die nicht bereinigten Grundstücksfälle, dann gewisse Versorgungsansprüche und Ansprüche aus Rechtsgeschäften, die die Verwalter des Reichsvermögens nach dem Zusammenbruch abgeschlossen haben.
Der wichtigste Teil dieser Kategorien scheint mir der Teil der nicht bereinigten Grundstücksfälle zu sein. Wie sieht die Lösung des Entwurfs hier aus? Der Entwurf will sich im wesentlichen an das Umstellungsrecht halten und die Unterscheidung mitmachen, die hier schon der alliierte Gesetzgeber getroffen hat. Wenn ein Grundstück verkauft und der Erlös noch nicht gezahlt ist, dann soll unterschieden werden, ob das Eigentum schon übergegangen ist — dann ist erfüllt, dann gibt es nur eine Umstellung 10:1 — oder ob das Eigentum nicht übergegangen ist, dann 1:1. Gegen diese Lösung hat der Bundesrat bereits Einspruch erhoben. Ich glaube, den Bedenken des Bundesrates sollte man sich nicht verschließen. Denn wie sieht der Fall in der Praxis aus? Es gibt verschiedene Arten, in denen der Grundbesitz der Staatsbürger damals vom NS-Regime in Anspruch genommen worden ist. Entweder ist ein Kaufvertrag abgeschlossen worden oder es ist enteignet worden oder dem Grundstückseigentümer ist es mit List und Tücke gelungen, sowohl sich der Enteignung zu
entziehen wie aber auch keinen Kaufvertrag abzuschließen. Wenn jetzt nach den Vorschriften dieses Gesetzes eine Entschädigung gezahlt wird, dann ergibt sich eine unterschiedliche Behandlung der Berechtigten. Derjenige, der sich der Enteignung hat entziehen können, muß den vollen Wert bekommen, oder das Grundstück wird enteignet, aber auch wieder zum vollen Wert. Derjenige, der es wenigstens fertiggebracht hat, das Eigentum zu behalten, bekommt eine Umstellung 10:1 zu den damaligen Wertverhältnissen. Und derjenige, der schließlich getreu den Vertrag erfüllt hat, bekommt eine Umstellung 10:1.
Meine Damen und Herren, wie wollen Sie das im einzelnen verantworten, insbesondere die Abgeordneten, die einem Wahlkreis verantwortlich sind und ihren Wählern Rede und Antwort stehen müssen? Ich glaube nicht, daß sich diese Lösung aufrechterhalten läßt. Wir werden im Ausschuß versuchen, eine Verbesserung dieser Vorschriften zu finden, wobei wir die Vorschläge des Bundesrates entsprechend beachten werden.
Ein anderer Punkt, der interessant ist, betrifft die Entlastung der Rüstungslieferanten. Ich meine nicht die Rüstungslieferanten in spe, sondern die Rüstungslieferanten a. D., die Rüstungslieferanten aus dem vergangenen Krieg! Rüstungslieferant zu sein, ist offensichtlich kein großes Vergnügen. Sie wissen, daß man im vergangenen Kriege die Rüstungslieferungen erfüllen mußte, ob man wollte oder nicht. Für einen großen Teil dieser Rüstungslieferungen stand beim Zusammenbruch die Bezahlung aus. Vom Reich ist dafür nichts gezahlt worden. Nun sind die Rüstungslieferanten, die ich hier erwähne, sehr vernünftig und wollen auch gar keine Bezahlung mehr. Das ist nicht das Problem, um das es hier geht. Um die Rüstung durchzuführen und die Lieferungen zu bewirken, mußten sehr häufig auf Veranlassung, auf Wunsch und auf Zwang des damaligen Reiches Kredite aufgenommen werden. Das Eigenartige ist, daß der Einzellieferant, obwohl er vom Reich nichts bekommen hat und auch heute vom Bund nichts erhalten wird, doch seine aufgenommenen Kredite 10:1 umstellen muß — international in vollem Umfange —, auch wenn von dem erstellten Werk nichts mehr vorhanden ist.
— Ich kenne viele Fälle aus der Praxis,
wo um diese Dinge schwer gefochten worden ist, wo es sich darum handelte, Existenzen zu erhalten, und wo Existenzen daraufhin zerstört worden sind.
Wenn man schon den Rüstungslieferanten nichts geben will und kann, dann muß man auch dafür sorgen, daß sie von ihren Kreditverpflichtungen entbunden werden. Der Entwurf verweist sie auf das allgemeine Vertragshilfeverfahren und will dieses Verfahren dadurch etwas schmackhafter machen, daß auch dingliche Forderungen einbezogen werden können. Ich bin der Auffassung, daß hier eine Sonderregelung gefunden werden muß.
Nichts sagt der Entwurf über die Aufhebung der Kriegsgesellschaften, obwohl auch dieses Kapitel dringend der Lösung harrt. Wir werden auch darüber in den Ausschüssen sprechen.
In § 10 Abs. 2 in Verbindung mit § 61 Abs. 1 Nr. 3 wird das Problem eines Härteausgleichs für Schäden berührt, die durch die von der Besatzungsmacht angeordnete Rückerstattung entstanden sind. Es handelt sich hier ebenfalls um ein sehr wichtiges Problem, mit dem wir uns im Bundestag bereits beschäftigt haben. Man kann darüber streiten, ob man diese Frage in das Kriegsfolgenschlußgesetz einarbeiten soll. Jedenfalls sind es Kriegsfolgeschäden. Will man — worüber man sich schlüssig werden muß — ein Sondergesetz machen, dann muß zum mindesten dieses Sondergesetz im Kriegsfolgenschlußgesetz vorbehalten werden, andernfalls diese Ansprüche untergehen würden.
Noch kurz ein Hinweis auf den Grundsatz, daß alle allgemeinen Forderungen entschädigungslos untergehen sollen. Das Prinzip ist richtig; ich habe mich zu diesem Prinzip bekannt. Man darf aber nicht vergessen, daß es außer den einigen Ausnahmen, die ich vorhin erwähnt habe, doch Einzelfälle gibt, in denen eine mäßige Umstellung recht und billig, mit dem Ausdruck des Herrn Finanzministers: fair und loyal wäre. Das Bundesfinanzministerium verkennt nicht, daß der Grundsatz des entschädigungslosen Untergangs im Einzelfall zu Härten führen kann, meint aber, daß es technisch unmöglich sei, hier eine andere Regelung zu treffen. Ich bin der Ansicht, daß es gehen müßte. Das Rechtsverhältnis von Gläubiger und Schuldner stand immer unter der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Wenn nicht gezahlt wurde oder wenn nicht ordnungsgemäß geleistet wurde, hatte jede Partei das Recht, ihren Fall dem Richter vorzutragen. Weshalb sollte man nicht auf diese an sich schon vorhandene Regelung zurückgreifen und ähnlich wie bei der Aufwertungsgesetzgebung von 1925 Aufwertungskammern bei den ordentlichen Gerichten schaffen, deren Aufgabe es wäre, im Einzelfall zu prüfen, ob aus der Härte des Tatbestandes heraus eine mäßige Aufwertung im Rahmen bis zu 10 % gewählt werden kann oder nicht gewährt werden kann? Gewiß, diese Regelung hängt davon ab, daß wir eine sogenannte objektive Härteklausel finden. Die ist schwer zu finden. Aber ich könnte mir denken, daß es der Arbeit im Ausschuß würdig ist, sich mit diesem Problem zu befassen und daran zu denken, auch hier noch zu helfen.
Der nächste Punkt sind der von mir schon erwähnte Vorbehalt nach § 5 und die damit verbundenen wirtschaftsfördernden Maßnahmen nach § 81 des Entwurfs. Die Regelung wäre annehmbar unter zwei Voraussetzungen: erstens, daß die Form der Übergangsmaßnahmen zugunsten dieser Personengruppe das spätere Entschädigungsgesetz nicht präjudiziert, und zweitens, daß der Erlaß des Entschädigungsgesetzes nun auch in absehbarer Zeit erfolgt.
Zum Schluß noch ein Wort zu den sogenannten verbrieften Forderungen. Wir sind uns mit dem Herrn Minister darüber einig — das ist auch eben hier zum Ausdruck gekommen —, daß es sich um eine besondere Art von Schulden des Reiches, Preußens, der Bahn und der Post handelt. Es handelt sich um langfristige, über den Kapitalmarkt fundierte Schulden, in Wertpapieren verbrieft, börsenfähig, mündelsicher. Der Entwurf sieht eine Umstellung — hier „Ablösung" genannt — im Verhältnis 100 : 6,5 vor, der Kapitaldienst ebenfalls 6,5 %, nämlich 4 % Verzinsung und 2,5 % Tilgung, also eine Tilgungszeit von etwa 25 Jahren. Im Gegensatz zu der ersten Gruppe bewegt man sich hier
auf dem festen Boden von Zahlen; man kann hier besser operieren, und das Problem ist deshalb leichter übersehbar, vielleich deshalb auch leichter lösbar. Abzulösen sind zirka 18 Milliarden Reichsmark, gegenüber einer Gesamtsumme von 390 Milliarden Reichsmark, weil verschiedene Forderungsträger — Geldinstitute, Gebietskörperschaften, Sozialversicherungsträger — ihre Ordnung in der Währungsreform gefunden haben. Es bleibt also ein entschädigungsberechtigter Privatbesitz von 27 Milliarden, der sich letzten Endes auf 9 Milliarden ermäßigt, wenn man die Ostgläubiger ausscheidet.
Die quotale Umstellung ist schon eine wesentliche Verbesserung gegenüber der früheren Konzeption des Bundesfinanzministeriums, auch diese Schulden nur rein sozial umzustellen.
Wenn man die Ablösung auf dem Boden des Entwurfs rechnungsmäßig erfaßt — die Zahl ist uns vorhin auch gesagt worden —, so ergibt sich, daß jährlich 76 Millionen DM nötig sind. Bei dem Vortrage des Herrn Ministers haben wir vorhin hören müssen, daß er hiermit die Grenze der Leistungsfähigkeit des Bundes festgestellt hat; über 6,5 % könne bei der Umstellung nicht hinausgegangen werden. Ich bin der Auffassung, daß die Gründe, die wir eben gehört haben, nicht überzeugend sind. Ich bin der Auffassung, daß auch etatmäßig eine mäßige Anhebung dieses Umstellungssatzes durchaus zu vertreten ist. Der Satz von 6,5 % ist uns ja aus der Währungsumstellung bekannt. Aber wir wissen auch, daß er für Geldbesitz und Kontengelder gewährt worden ist und daß alle anderen Forderungen im Verhältnis 10 : 1 umgestellt worden sind. Wir wissen auch, daß die Kapitaltitel der Länder und Kommunen seit der Währungsreform ohne weiteres mit 10 : 1 umgestellt worden sind. Die private Wirtschaft hat ihre Anleihen auch dann im Verhältnis 10 : 1 umgestellt, selbst wenn sie wertvolle Objekte im Osten verloren hat, während gerade bei der Umstellung der Reichstitel die Ostgläubiger zunächst ausgeschlossen bleiben sollen.
Die vierprozentige Verzinsung, die der Entwurf vorsieht, liegt mit 1,5 % unter dem landesüblichen Zinssatz des Kapitalmarktes. Was bedeutet das, meine Damen und Herren? Das bedeutet, daß die umgestellten Titel nicht einen Kurs von 100 %, sondern nur einen solchen von 80 % aufweisen würden. Eine Veräußerung des so umgestellten Wertpapiers, wenn es überhaupt Wertpapiere geben sollte, was noch fraglich ist, würde also nicht einen Betrag von 6,5 %, bezogen auf den Nennbetrag von 100 RM, erbringen, sondern praktisch nur etwas mehr als 5 %.
Das Problem der Altsparerentschädigung ist überhaupt nicht angeschnitten worden. Aber auch darüber müssen wir uns im Ausschuß Gedanken machen. Jeder Altsparer, in welcher Form auch immer er sein Geld angelegt hat, erhält eine Umstellung bis zu 20 %, während der Inhaber von Reichsanleihen, der auch Sparer ist, nur eine Umstellung von 6,5 % bekommen würde. Deshalb werden wir uns im Ausschuß sehr ernst mit diesem Problem beschäftigen müssen, und ich glaube sagen zu können, daß viele Umstände dazu zwingen, auf eine zehnprozentige Umstellung zu kommen. Das kann man entweder in der Form machen, daß generell auf 10 % umgestellt wird — dann könnte der Beginn des Zinsendienstes auf dem 1. April 1955 bestehenbleiben —, oder man löst das Problem, indem man das Kapital mit 6,5 % umstellt und auch eine entsprechende Umstellung der
Zinsen vornimmt. Wenn die seit der Währungsreform rückständigen Zinsen ebenfalls mit dem Satz von 6,5 % umgestellt werden, ergibt das rechnungsmäßig einen Umstellungssatz für Zinsen und Kapital von ungefähr 9,7 bis 9,8 %, also praktisch auch 10 %. Beide Wege führen zu dem gleichen Ziel. Daß man auch die Zinsen mit berücksichtigen muß, ergibt sich zwangsläufig. Alle diejenigen, die bei der Währungsreform durch das Umstellungsgesetz erfaßt worden sind, sind in den Genuß ihrer Zinsen seit dem Stichtag gekommen. Die Gewährung von Ausgleichsforderungen durch den Bund hat denselben Erfolg gehabt.
Eine andere Frage ist, wie man den Kurs auf 100 % bringen kann. Man könnte den Zinssatz erhöhen. Das würde wieder eine Erhöhung der Leistung des Bundes bedeuten. Das brauchte man, glaube ich, nicht einmal zu tun. Man sollte bei dem Zinssatz von 4 % bleiben; aber man soll sich auch gleichzeitig daran erinnern, daß alle bisher umgestellten Anleihen aus der Vorkriegszeit in Deutschland hinsichtlich der Zinsen steuerfrei gestellt worden sind. Weshalb will man nicht die gleiche Vergünstigung auch den Inhabern der Reichstitel gewähren? Daß das Kriegsfolgenschlußgesetz erst nach der Steuerreform vorgelegt worden ist, ist sicherlich nicht ein Verschulden dieser Personengruppen. Wäre das Gesetz einige Zeit vorher eingebracht und von uns verabschiedet worden, dann wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen, die Zinsen steuerfrei zu halten.
Sind nun die Belastungen, die aus meinen Vorschlägen erwachsen, wirklich unzumutbar? Überschreiten sie die Grenze des äußerst Zumutbaren? Ich kann diese Frage selbst mit Nein beantworten. Nach dem Vorschlag der Regierung würden jährlich 76 Millonen DM aufzuwenden sein. Würde man eine Umstellung von 10 % statt 6,5 % gewähren, wäre eine Erhöhung von 41 Millionen DM jährlich zu erwarten. Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, daß er schon aus währungstechnischen Gründen keineswegs über 6,5 % gehen könnte. Ich weiß nicht, ob die Währung erschüttert wird, wenn jährlich aus dem Etat 40 Millionen DM mehr ausgeschüttet werden. Aber diese Ausschüttung hätte einen anderen Erfolg. Es steht ja hier nicht nur die reine Umstellung von Titeln zur Diskussion, sondern berührt wird in erster Linie der Bundeskredit. Man kann natürlich den Grundsatz vertreten, daß man kreditwürdiger ist, je besser es einem gelingt, mit seinen alten Gläubigern fertig zu werden. Sicherlich steigt dadurch die Leistungsfähigkeit. Aber das ist nicht die allgemeine Auffassung. Es gilt noch auf diesem Gebiete der alte Grundsatz von Treu und Glauben, und wer im Rahmen des Möglichen seine früheren Gläubiger gut bedient, der kann auch erwarten, daß diese alten Gläubiger ihm wieder neues Geld geben. Ich glaube, das ist auch die Auffassung, die in der Bankenwelt vorherrscht. Ich bin unterrichtet, daß der Bund im nächsten Jahr mit 1,5 Milliarden DM an den Kapitalmarkt herantreten wird. Er wird an dieselben Personen herantreten müssen, die jetzt noch seine Gläubiger sind und die er statt mit 10 % mit 6,5 % abfinden will.
Ich habe damit im wesentlichen die wichtigsten Punkte des Gesetzes berührt. Mehr zu bringen, verbietet der Sinn der ersten Lesung. Abschließend will ich aber noch auf etwas hinweisen, was mir wichtig erscheint. Die Aufgabe des Parlaments, in diesem Falle sorgfältig die Probleme zu durchdenken und zu einer Lösung zu kommen, ist besonders deshalb wichtig, weil der Staat sich hier
in seiner eigenen Funktion als Schuldner entlasten will. Er hat nicht nur eine Ordnungsfunktion, sondern er betont hier hauptsächlich seine Schuldnerfunktion, und wir haben es hier nicht wie bei den anderen Gesetzen mit rein sozialen Maßnahmen zu tun, sondern es stehen konkrete Rechtsansprüche im Vordergrund, die befriedigt werden sollen oder die man untergehen lassen muß. Nach den Prinzipien des sozialen Rechtsstaates müssen wir deshalb diese Fragen außerordentlich behutsam anfassen und versuchen, eine Lösung zu schaffen, die in den breiten Kreisen des Publikums auf Verständnis stößt.
Ich möchte deshalb mit dem Wunsch schließen, daß uns bei dieser Arbeit, die uns im Ausschuß bevorsteht, der Minister mit seinen Referenten weiter unterstützt. Der Entwurf ist nicht so schlecht, wie es manchesmal vielleicht aus meinen Darlegungen zu entnehmen ist. Er enthält Ansatzpunkte, und aus diesen Ansatzpunkten kann man den Willen schließen, ihn weiter zu verbessern und zu vervollkommnen. Im Hinblick auf eine so günstige Zusammenarbeit möchte ich den Minister bitten, durch seine Mitarbeit zu helfen und dafür zu sorgen, daß bei dieser Personengruppe nicht die ärgerliche und böse Vorstellung zurückbleibt, sie würden, weil sie die letzten seien, auch am schlechtesten behandelt werden.