Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung dieser Großen Anfrage.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Freifahrscheine noch getauscht werden müssen. Der größere Teil der Mitglieder des Hauses hat noch keinen Gebrauch davon gemacht. Die Karten können draußen in der Wandelhalle während der Plenarsitzung getauscht werden.
Wir kommen zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Mineralölpreise .
Ich frage, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. — Bitte schön, Herr Abgeordneter Schmidt .
Schmidt (SPD), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Großen Anfrage über die Mineralölpreise liegen drei Motive zugrunde, zunächst einmal ein rein verkehrspolitisches Motiv. Man stelle sich vor, welche Not wir in Deutschland haben und in Zukunft erst recht haben werden, den Ausbau unseres Straßennetzes zu finanzieren. Angesichts dieser Finanznot ist es eine wenig erfreuliche Vorstellung, daß es auf der anderen Seite gewisse Bereiche unserer Verkehrswirtschaft gibt, in denen schon jetzt an diesem Straßenverkehr sehr erheblich verdient wird und wo man in der Lage ist, diese sehr erheblichen Verdienste zu investieren, nun aber leider nicht in den Straßenbau, sondern in die Erweiterung der Kapazitäten in der Automobilproduktion und der Mineralölproduktion, was auf deutsch heißt: am Verkehr insgesamt lassen sich Gewinne machen, es lassen sich aus diesem Verkehr erhebliche Investitionen finanzieren, nur fließen sie leider nicht in die Straßen, nicht einmal zu einem Teil, sondern eben überwiegend in Fahrzeuge und Betriebsstoffe, mit denen man auf den Straßen fahren will, was in Zukunft noch zu einem größeren Mißverhältnis als bisher führen wird.
Man könnte das breiter ausführen; aber es soll heute keine verkehrspolitische Debatte abgehalten werden.
Ich wende mich dem zweiten Motiv zu, das für unsere Anfrage maßgebend war; dem kartellpolitischen Motiv. Wir haben auf dem Gebiet des Mineralölverkaufs — ich rede hier nicht von der Rohölnroduktion, nicht von dem Raffineriesektor, sondern ich rede von dem Verkaufssektor — einen Markt ohne Gleichgewicht, einen Markt, auf dem gewisse Gesellschaften marktbeherrschende Stellungen haben. Aus dieser Situation ergeben sich ganz bestimmte tatsächliche Konsequenzen, über die zu reden sein wird.
Das dritte Motiv ist ein preispolitisches, konjunkturpolitisches. Wir sind der Auffassung, daß
sich gerade in der jetzigen Situation, wo man allenthalben nach Möglichkeiten sucht, auf solche Preise zu drücken, die allgemeine Bedeutung für die Volkswirtschaft haben, die Mineralölpreise für einen solchen Versuch anbieten, und ich hoffe, es bleibt nicht beim Versuch, Herr Staatssekretär Westrick.
Die Anfrage über die Mineralölpreise ist schon einige Monate alt; sie stammt aus der Zeit vor den Ferien. Auch schon vorher ist von unserer Seite auf diese ganze Frage hingewiesen worden, und in der Folge hat sich ein außerordentlich reges öffentliches Interesse für die Verhältnisse auf dem innerdeutschen Mineralölmarkt ergeben. Es ist leider nicht dazu gekommen, daß, wie ich es gewünscht hätte, die großen Gesellschaften, die in Deutschland Mineralöl verkaufen, in den Zustand der öffentlichen Anklage versetzt worden sind. Soweit ist es nicht oder vielleicht noch nicht. Aber immerhin, es hat sich ein erhebliches öffentliches Interesse für das gefunden, was dort vorgeht. Ich glaube, daß dieses öffentliche Interesse auch nicht mit der heutigen Debatte abebben wird, sondern ich sehe den Höhepunkt eigentlich erst in der Zukunft kommen.
Zunächst darf ich noch ein paar Bemerkungen zu diesem gleichgewichtslosen Markt machen. Übrigens ist das ein vielleicht etwas theoretisches Wort aus der Nationalökonomie. Es ist jüngst in einem ganzseitigen Aufsatz, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung über diese Frage veröffentlicht hat, wieder hervorgeholt worden. Ich glaube, es ist ein zutreffendes Wort.
Wir haben in Deutschland drei große Konzerne mit zu Buch schlagenden Marktanteilen, ferner einen, der ungefähr halb so groß ist wie jeder der erstgenannten drei, und dann noch einen kleinen, der am Rande mitmarschiert, zu schweigen von den paar zerquetschten, die wir nicht mitzählen wollen, die keinen Einfluß haben. Es handelt sich also um ein Oligopol von drei großen, einem mittleren und einem kleineren Unternehmen.
Auf einem solchen Markt kann es kein Gleichgewicht geben, wie es sich sonst aus dem Wettbewerb, aus dem Spiel von Angebot und Nachfrage ergibt. Auf solchen Märkten — das sagen alle Schulen der Nationalökonomie, das lesen Sie nicht nur bei Herrn Professor Böhm, aber gerade auch bei ihm — kann es kein Einspielen von Angebot und Nachfrage geben. Das sind Märkte, die der Manipulation des Preises und des Angebotes nicht nur offenstehen, sondern diese Manipulation geradezu herausfordern. Es geschehen auf diesen gleichgewichtslosen Märkten immer interessante Dinge, und weil es sich um so wenige Unternehmen handelt, geschehen diese interessanten Dinge im verborgenen.
Das Bundeswirtschaftsministerium scheint im großen und ganzen unsere Auffassung zu teilen, daß da gewisse Dinge im verborgenen geschehen, die man einmal prüfen müßte. Ich darf einmal, Herr Präsident, aus der Drucksache 1666 zitieren. Das ist eine Antwort, die das Bundeswirtschaftsministerium vor wenigen Tagen auf eine Kleine Anfrage erteilt hat, die von Angehörigen mehrerer Fraktionen gemeinsam gestellt war. In dieser Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums — wie gesagt, sie ist zehn Tage alt — steht z. B. in bezug auf die Tankstellenverträge dieser großen Konzerne:
Derartige, lediglich die eine Vertragspartei
begünstigende Vertragsbestimmungen sind meistens Indiz für das Bestehen einseitiger Marktmacht. Die Aufhebung bzw. Verhütung von Verträgen, durch welche der stärkeren Partei wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Vorteile gesichert werden . . .
usw. usw. streben wir, die Bundesregierung, durch das Kartellgesetz an.
An einer anderen Stelle heißt es:
. . . beobachtet das Bundeswirtschaftsministerium seit langem das häufige Auftreten solcher Vertragsbestimmungen mit Sorge und hat die Frage der Zulässigkeit von Ausschließlichkeitsklauseln wiederholt zum Gegenstand von Besprechungen mit Kreisen der Mineralölwirtschaft gemacht.
Es heißt an einer dritten Stelle:
Soweit Tankstellenverträge mit solchen Ausschließlichkeitsklauseln die Tankstelleninhaber in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit unbillig einschränken . . ., sind sie nach Ansicht der Bundesregierung mit den Grundsätzen einer sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar.
An einer vierten Stelle wird Ähnliches ausgeführt, und immer wieder wird darauf hingewiesen: Aber, liebe Fragesteller, das können wir nur in Ordnung bringen, wenn wir ein Kartellgesetz haben, — wenn ich die Antwort richtig verstanden habe.
Im übrigen aber — auch das verdient hervorgehoben zu werden — ist diese Antwort, die der Herr Bundeswirtschaftsminister erteilt, recht sorgfältig ausgewogen, d. h. zu 50 % gibt man den Fragestellern recht, wenn auch sehr wenig konzis und sehr wenig konkret, und mit den anderen 50 % sagt man etwas Freundliches zur Deckung und Entlastung der Mineralölkonzerne, so daß ich das Empfinden habe: in dem Augenblick, Herr Westrick, als Ihr Haus dieses Dokument abfaßte, hatten Sie sich jedenfalls noch nicht ganz entschieden, wie Sie sich in der Zukunft einstellen würden. Wir sind sehr interessiert, ob man heute wird klar erkennen können, daß Sie sich inzwischen ganz entschieden haben. Man raunt hier im Hause, Sie hätten heute nacht noch bis in die frühen Morgenstunden über diese Frage konferiert. Ich hoffe, mit dem Ergebnis, daß Sie zu einer eindeutigen Stellungnahme kommen werden.
Meine Damen und Herren, dabei handelt es sich nicht darum, eine eindeutige Stellungnahme jetzt und hier zu diesen Tankstellenverträgen zu finden. Diese sind zwar keine unwichtige Sache, aber sie sind vor allem eine für die Marktsituation kennzeichnende Tatsache. Sie sind nicht unwichtig, sie haben Bedeutung, aber in dieser Debatte vor allem deshalb, weil sie kennzeichnen, daß auf diesem Markt des Mineralöls kein Gleichgewicht herrscht, daß auf diesem Markte einige wenige Große eine unerhörte Marktmacht innehaben, die sie ausnutzen. Die Frage ist: Wird diese Macht richtig ausgenutzt?, oder aber: ist es notwendig, sie von hier aus, von Staats wegen, zu kontrollieren oder zu beschränken?
Ich glaube, ich darf auch im Namen der nicht meiner Fraktion angehörigen Unterzeichner der seinerzeitigen Kleinen Anfrage, die durch die erwähnte Antwort ihre Erledigung finden sollte, sagen, daß sie damit eigentlich nicht erledigt ist und daß man sich vorbehalten muß, zum gegebenen Zeitpunkt darauf zurückzukommen.
In dem Zusammenhang darf ich eine Bemerkung außerhalb des Gedankenganges machen. Die Mineralölwirtschaft hat in ihren Hausmitteilungen und Hauszeitschriften, die sie an den Tankstellen verteilt, die Abgeordneten, die jene Kleine Anfrage gestellt haben, aber auch die sozialdemokratische Fraktion, die die Große Anfrage gestellt hat, verdächtigt und diesen Kollegen unterstellt, sie seien aufgeputscht und vorgeschickt von irgendeinem Verband von Tankstellenbesitzern, den es hier in Köln gibt. Das ist ein Irrtum, meine Damen und Herren, und ich benutze die Gelegenheit, das einmal klarzustellen, weil die Verunglimpfungen in dieser Richtung in Publikationen, die die Mineralölwirtschaft herausgegeben oder veranlaßt hat, allzu zahlreich geworden sind. Was beispielsweise meine Person angeht, so habe ich erst ein Vierteljahr, nachdem zum erstenmal in diesem Hause von Mineralölpreisen und Mineralölmärkten die Rede gewesen ist, von der Existenz dieses Verbandes gehört. Aber ich möchte das alles nur in Klammern sagen, um mich gegen die Verunglimpfungen zu wehren, denen unsere Fraktion, aber auch ein Teil der Kollegen der CDU-Fraktion in dieser Hinsicht ausgesetzt gewesen ist.
Ich muß die Gelegenheit benutzen, mich auch zu wehren gegen einen noch viel unverschämteren Vorwurf, der aus den Reihen der Bosse der deutschen Mineralölkonzerne erhoben worden ist gegen ein Mitglied dieses Hauses, das es gewagt hat, sich in der Öffentlichkeit mit den deutschen Mineralölpreisen auseinanderzusetzen. Ich darf darauf hinweisen, daß zwei Vorstandsmitglieder eines großen deutschen Mineralölkonzerns, d. h. einer deutschen Tochtergesellschaft eines amerikanischen Konzerns, in einem Rundfunkinterview in einer Diskussion zu dritt über die vorher im Parlament stattgefundene Mineralölpreisdebatte des Frühjahrs zum Ausdruck brachten, im allgemeinen kämen solche Angriffe auf die Mineralölwirtschaft aus einem Raum, wo die großen Ölgesellschaften als Symbole des westlichen Imperialismus betrachtet würden. In dieser Tonart geht es weiter. Die Leute, die es hier in Deutschland wagen, einmal etwas Kritisches zur Mineralölpreissituation zu sagen, werden also an die Seite der Kommunisten gestellt. Das finde ich einfach unverschämt.
Es geht uns allerdings nicht allein so. In demselben Rundfunkvortrag werden beispielsweise der Professor Myrdal und das European Economic Committee der UN in Genf, das EEC, das einen Mineralölbericht nicht über die Situation in Deutschland oder in England oder in Frankreich, sondern über die Situation in Europa insgesamt gemacht hat — dieser Bericht hat sicherlich manche Fehler und Mängel, aber er gibt es auch zu, er hat das Mißfallen sämtlicher großen Mineralölkonzerne in der Welt erregt —, an die Seite der Kommunisten gerückt. Das wird sehr geschickt gemacht. Man kann daraufhin keine Beleidigungsklage anstrengen, denn es wird sehr klug formuliert. Ich darf einmal vorlesen:
Bei der EEC in Genf hat Westdeutschland nur zwei Beobachter, die Ostzone aber sechs, und die Sowjetunion sowie die Satellitenstaaten zeigen sehr warmes Interesse für Herrn Myrdals Bestrebungen.
Das sind so die Formulierungen, mit denen man dem Hörer am Radio nahelegt, das seien in Wirklichkeit nur die Helfershelfer der Kommunisten, die es wagten, etwas gegen die deutschen Tankstellenpreise zu sagen. Wenn die deutschen Mineralölkonzerne glauben, sich auf die Art und Weise für die Dauer den Rücken freihalten zu können, wenn sie glauben, so auf die Dauer auf die konkreten Fragen antworten zu können, die wir stellen, dann möchte ich das wiederholen, was ich hier vor vier oder fünf Monaten schon einmal gesagt habe: Wir müssen diese Dinge unter die Anklage der öffentlichen Meinung stellen.
Es ist notwendig, daß hier einmal die Sonde angesetzt und genau geprüft wird, was da eigentlich los ist. Bisher haben die big bosses der deutschen Mineralölwirtschaft — ich sage immer „deutsche"; ich habe nicht die Absicht, das Problem über die deutschen Grenzen hinaus auf internationale Verflechtungen zu erweitern, ich spreche immer nur von den deutschen Mineralölverkaufskonzernen — kaum eine einzige konkrete Antwort auf die Fragen gegeben, die hier im Parlament, aber auch überall in der Öffentlichkeit, z. B. von der Wirtschaftspresse, an sie gerichtet worden sind.
Immerhin, mit Wirkung vom 1. September — Sie konnten das gestern in der Presse lesen — haben sie nun nachträglich und, wie es scheint, alle gleichmäßig, die Tankstellenprovision erhöht. Das heißt, sie zahlen ihren Tankstelleninhabern, die angeblich so furchtbar zu Unrecht geklagt haben, daß sie nicht leben könnten, plötzlich pro Liter einen halben Pfennig mehr, so ganz stikum. Sie zahlen diesen halben Pfennig zu Lasten ihrer eigenen bisherigen Handelsspanne, von der sie in den letzten fünf Monaten behauptet haben, daß sie überhaupt nicht gesenkt werden könne, weil sie keine Gewinne mehr machten, sondern zum Teil in den roten Ziffern seien. Ich rede wiederum nur ausdrücklich von den Mineralölverkaufskonzernen. Daß die unabhängigen deutschen Raffinerien — „unabhängig" kann man da nur noch in Parenthese sagen — zum Teil tatsächlich in den roten Ziffern sind, ist eine ganz andere Sache.
In diesem Zusammenhang darf ich mir erlauben, Ihnen einmal die Preise vorzulesen, wie sie sich heute im Vergleich zwischen Deutschland' und den umliegenden europäischen Ländern stellen, und zwar die Preise an den Tankstellen, von denen wir vorher Zoll, Mineralölsteuer, Umsatzausgleichssteuer und was es an fiskalischen Belastungen geben mag, in allen Ländern abgezogen haben. Dann ergibt sich, daß beispielsweise in Deutschland das Benzin jetzt 29,2 Pf kostet, in Belgien 19,2 Pf — eine Differenz von mehr als 50 % —, in Dänemark 20,7 Pf — eine Differenz von 50 %, um die das deutsche Benzin teurer ist —, in England 20,5 Pf; das deutsche Benzin ist also um 50 % teurer als das englische. Die gleiche Größenordnung haben wir in Frankreich und in Holland. Es gibt nur drei Länder in Europa, in denen das Benzin teurer ist als bei uns. Das sind Finnland — jeder kann verstehen, warum das an der äußersten Ecke Europas der Fall ist —, Österreich und Portugal. Tm übrigen verkaufen sämtliche europäische Länder ihr Benzin wesentlich billiger, als es in Deutschland der Fall ist. Auf dem Dieselsektor sieht es ähnlich aus.
Ich darf einmal darauf hinweisen, daß es beispielsweise in Portugal eine Raffinerie gibt, die einer amerikanischen Mutter gehört, die im wesentlichen auf Diesel arbeitet, und daß es in Portugal möglich ist, den Liter Dieselöl — ich ziehe auch hier Zoll und Steuer ab — mit 13,9 Pf zu verkaufen, während er in Deutschland 21,5 Pf
kostet. Auch dort handelt es sich um eine amerikanische Tochtergesellschaft, die ihren Rohstoff zu denselben Weltmarktpreisen und zu denselben Weltmarkttankerfrachten bezahlen muß wie auch die deutsche Raffinerie.
Auf diese Zahlen, die man noch sehr weitgehend ausbreiten könnte, kann man eben nicht noch und noch und noch mit verbalen Argumenten antworten, was alles die Gründe seien, sondern da muß man einmal eine Kostenträgerrechnung auf den öffentlichen Tisch legen, da muß man eben nachweisen, was denn im Liter Benzin Pfennig für Pfennig an Kosten drinsteckt und was nachher übrigbleibt. Sonst ist alles andere unglaubwürdig, was uns die Mineralölwirtschaft im Laufe der letzten Wochen und Monate vorgetragen hat.
Es ist die unbefriedigende Situation entstanden, daß auf der einen Seite die Mineralölwirtschaft ihre seit Jahren beobachtete vornehme Zurückhaltung aufgegeben und sich auf den Markt des Meinungsstreites begeben hat, z. B. mit Rundfunkvorträgen und mit Zeitungsartikeln, die sie angeregt hat — angesehene große deutsche Zeitungen haben sich mit der Frage beschäftigt —, während auf der anderen Seite sehr viele Fragen offenbleiben. So erfreulich die Tatsache der Veröffentlichungen sein mag, so ist doch konkret nichts erklärt worden. So schreibt z. B. infolgedessen die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor wenigen Tagen aus der Feder ihres Wirtschaftsressortchefs in einem ganzseitigen Aufsatz über die Mineralölfrage:
Mit Investitionsnotwendigkeiten kann man jeden Preis begründen.
— Das war nämlich eine der Antworten von seiten der Industrie. — Oder sie schreibt z. B.:
Es bleibt ein Rest, den aufzuklären Außenstehenden nicht möglich ist.
Ich rufe Ihnen zu, Herr Westrick: hoffentlich sind Sie kein Außenstehender in dieser Frage!
Oder aber Herr Eick schreibt am Schluß:
Die Mineralölwirtschaft wird aus ihrer bisherigen Reserve heraustreten müssen. Sie wird einiges tun müssen, um die Ungereimtheiten in der Preisbildung verständlich zu machen; denn bisher hat sie offiziell kaum etwas Konkretes dazu gesagt.
Das schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, meine Damen und Herren, nicht ein sozialdemokratisches Oppositionsblatt!
Wir haben aber noch einen viel besseren Kronzeugen, wir haben den Rheinischen Merkur vom 9. September. Der Rheinische Merkur, der sich in der Besprechung dieser Dinge sehr windet, weil es ihm nicht paßt, daß die Große Anfrage von unserer Seite des Hauses kam, schreibt immerhin auch, es gebe gewisse Mißstände. Er unterstellt in seinem Kommentar ausdrücklich, daß die Mineralölwirtschaft dem Bundeswirtschaftsminister eine zahlenmäßig detaillierte Rechnung aufgestellt hat. Hoffentlich kommt sie gleich, Herr Westrick! Das Blatt fährt fort:
Nur diese ist beweiskräftig und befähigt den Bundeswirtschaftsminister, auf die Anfrage mit exakten Angaben zu antworten.
So wortwörtlich der Rheinische Merkur! Hoffentlich werden wir nicht gleich enttäuscht. Ich glaube,
Herr Westrick, Sie werden es sehr schwer haben, die Ansprüche des Rheinischen Merkur zu befriedigen.
Ich wiederhole, Sie können auch unsere Ansprüche hier nur befriedigen, wenn entweder Sie eine klare Rechnung Pfennig für Pfennig auf den Liter Benzin und den Liter Diesel hier vorlegen — vielleicht können Sie es nicht heute, trotz Ihrer nächtlichen Konferenz; ich glaube gern, daß Sie es noch nicht können —, oder aber wenn Sie die Leute durch moralischen Druck und öffentlichen Druck — wenn Sie schon kein Kartellgesetz haben — dazu bringen, daß sie einmal Zahlen auf den Tisch legen und nicht versuchen, mit allgemeinen Redensarten aus der Sache herauskommen.
Ich zitiere ein anderes angesehenes deutsches Blatt, die Deutsche Zeitung aus Stuttgart. Sie schreibt:
Zwar gibt es angeblich kein internationales Erdölkartell; aber die Preise verhalten sich so, als gäbe es eins.
Ich sagte vorhin schon, wir haben nicht die Absicht, an dieser Stelle und in diesem Stadium die Frage auf das internationale Feld auszuweiten. Wir möchten die Frage zunächst einmal ganz ausdrücklich auf das beschränkt sehen, was innerhalb der deutschen Grenzen, bei den deutschen Tochtergesellschaften und bei deren Preispolitik und Preis-Kosten-Relationen sich abspielt, was sich auf dem innerdeutschen Mineralölmarkt abspielt — so interessant es sein könnte, den Blick über die deutschen Grenzen zu tun. Kollege Müller-Hermann, ich habe gehört, Sie hätten das neulich in der Schweiz getan und mit Herrn Duttweiler gesprochen. Vielleicht wäre es ganz interessant, einmal ein paar Parallelen aus dieser Richtung hier beigesteuert zu bekommen. Ich selber kann mir auch nicht verkneifen, doch wenigstens eine kleine Bemerkung über die Grenzen hinaus zu machen. Eine der größten deutschen Mineralölgesellschaften hat, nachdem die öffentliche Debatte losging und sie gerade daran war, ihren Geschäftsbericht für 1954 zu veröffentlichen und ihre Bilanz abzuschließen, folgendes in ihrem Geschäftsbericht geschrieben: „Was sind wir doch arm! Soundso viele Aktiengesellschaften haben im Durchschnitt soundso viel Investitionen finanzieren können und soundso viel Abschreibungen und soundso viel Dividende; und wir Armen" — ich will den Namen nicht nennen —, „wir haben nur soundso viel investieren und nur soundso viel abschreiben können, und Dividende können wir eigentlich gar nicht zahlen, das machen wir nur aus dem Gewinnvortrag des letzten Jahres." Diese Gesellschaft hat einen Umsatz von 11/4 Milliarden DM, oder genauer ca. 1,2 Milliarden DM im Jahr, hat eine Bilanzsumme von 500 Millionen DM im Jahre 1954 und weist einen aktienrechtlich ausgewiesenen Jahresreingewinn von 0,11 Millionen DM aus. Da lachen ja wohl die Hühner! 500 Millionen DM Bilanzsumme und 0,11 Millionen DM ausgewiesener Reingewinn — das ist grotesk, meine Damen und Herren; das sage ich gerade zu Ihnen, die Sie in der Industrie Bescheid wissen und zum Teil aus der Industrie kommen. So etwas gibt es nicht, meine Damen und Herren, daß eine Gesellschaft mit einem Umsatz von 1,2 Milliarden DM einen Reingewinn von 113 000 DM macht. Mit solchen Sachen kann man uns doch hier nicht überzeugen. Bitte, ich bin überzeugt, daß diese Bilanz aktien-
rechtlich voll in Ordnung ist — damit man nicht falsch versteht —; die wird selbstverständlich in Ordnung sein, und der Bestätigungsvermerk des Wirtschaftsprüfers ist sicherlich voll und ganz zu Recht geschehen. Das ist sicherlich nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen alles richtig. Aber welche Reserven darin stecken, das ist eine ganz andere Frage, und welche Beweiskraft infolgedessen diese Bilanz und ähnliche Behauptungen in diesem Geschäftsbericht für die Frage haben könnten, ob die Mineralölpreise zu hoch sind, das zu beurteilen überlasse ich Ihnen.
Es ist auch interessant, daß diese selbe Gesellschaft, die z. B. behauptet, nur aus dem Vorjahrsgewinnvortrag eine bescheidene Dividende zahlen zu können, ganz wenige Prozenterchen bloß, eine amerikanische Mutter hat, die für das gleiche Jahr eine acht mal so hohe Dividende zahlt, nämlich 32 oder 33 °/o. Ähnlich liegt es auch bei den anderen Gesellschaften. Die deutschen sind ja alle Töchter ausländischer Konzerne, mit Ausnahme von BV Aral, der keine Tochter eines ausländischen Konzerns ist. Es liegt auch bei den anderen so, daß die Muttergesellschaften drüben in England und Amerika Dividenden ausschütten, die bei 14, 16, 30 %
liegen, und daneben Reingewinne ausweisen, die noch etwas höher liegen als die ausgeschütteten Dividenden, während die Töchter alle gerade eben bei plus minus Null abschneiden. Eine ganz eigenartige Situation!
Aber, wie gesagt, wir wollen dieses internationale Gebiet ruhig einmal ausklammern. Wir legen im Augenblick gar keinen Wert darauf, daß es weiter beackert wird. Denn vielleicht muß man hier resignieren, wie das auch der englische Handelsminister kürzlich getan hat, als dasselbe Problem im englischen Parlament behandelt wurde, dort übrigens auf Grund des Myrdal-Berichts der ECE. Der englische Handelsminister hat bei dieser Gelegenheit dem englischen Parlament gesagt: „Meine Damen und Herren, was regen Sie sich so auf? Es hat keinen Zweck. Das, was in diesem Bericht steht, ob es richtig oder falsch ist, bezieht sich im wesentlichen auf Fakten und Zusammenhänge, auf die England keinen Einfluß hat." Also wenn die Engländer das schon nicht können und resignieren und wenn sogar Mossadek gescheitert ist — von Duttweiler werden wir es ja noch hören —, dann würde ich nicht empfehlen, sich allzusehr auf dieses internationale Feld zu begeben.
Meine Damen und Herren! Ich weiß — und ich möchte das mit aller Anerkennung zum Ausdruck bringen —, daß sich das Bundeswirtschaftsministerium gerade in den letzten Wochen, als nämlich der Termin dieser Debatte immer näher rückte und als die Preis- und Konjunktursituation es immer interessanter machte, wirklich bemüht hat, durch moralischen Druck, durch Überredung hier etwas zu ändern, jedenfalls was den Preis angeht. Ich weiß ferner — das braucht man nicht in Bonn zu erfahren; das kann man auch in Hamburg erfahren, wo die Mineralölkonzerne ihren Sitz haben —, daß die Gesprächspartner auf der anderen Seite sehr hartnäckig gewesen sind und gesagt haben: „Was, wir sollen unter dem Druck des Parlaments unsere Preise senken? Das machen wir nicht; da verlieren wir ja unser Gesicht!" Meine Damen und Herren, das wird sich ja noch zuspitzen, und es wird darauf ankommen, wer hier sein Gesicht zu wahren hat, entweder das Parlament und die Regierung oder eine Branche von drei, vier, fünf Konzernen, die einen sehr wichtigen Markt der deutschen Volkswirtschaft mehr oder minder autonom beherrschen.
Ich will die Dinge nicht vorzeitig dramatisieren und ich gebe — ich sage das noch einmal — dem Bundeswirtschaftsminister, einstweilen jedenfalls, Kredit auf diesem Gebiet, weil ich das Gefühl habe, daß er hier etwas ändern möchte. Die Frage, Herr Westrick, ist aber: Womit wollen Sie das eigentlich machen? Welche Gesetze haben Sie eigentlich? Sie haben keinen § 19 im Wirtschaftsstrafgesetz und Sie haben kein Kartellgesetz. Welche Mittel hätten Sie denn, wenn Sie zu dem Ergebnis kämen, es müßte etwas geschehen? Welche Mittel hätten Sie denn einzusetzen? Vielleicht ist die Frage nicht so sehr an Sie zu richten wie an die Mehrheit dieses Hauses. Wie lange wird es denn noch dauern, bis wir ein Kartellgesetz bekommen,
in dem Maßnahmen und Sanktionen gegen marktbeherrschende Unternehmen vorgesehen sind und in dem der Exekutive Mittel an die Hand gegeben werden? Vielleicht ist die ganze Frage sogar überwiegend an das Parlament oder an die Mehrheit des Parlaments zu richten statt an den Herrn Bundeswirtschaftsminister, mit dem wir uns jedenfalls in der letzten Zeit immer besser verstehen, wie Sie aus der Presse ersehen haben werden.
Ich möchte zum Schluß noch eine kleine Bemerkung machen, nur damit wir nicht wieder in Rundfunkinterviews unter mißverständlichen Auslegungen angegriffen werden. Wir sind nicht der Meinung, daß man den Herren, die die deutschen Mineralölgesellschaften leiten und die ich zu einem erheblichen Teil kenne und schätze, Vorwürfe, etwa moralischer Art, machen kann. Die tun das, was ihnen im Rahmen der bestehenden Rechts- und Wirtschaftsordnung möglich ist, und sie wären dumm, wenn sie es nicht täten. Jeder versucht im Rahmen der Gesetze, im Rahmen der bestehenden Rechts- und Wirtschaftsordnung für seine Gesellschaft das herauszuholen, was herauszuholen ist. Das ist sein gutes Recht. Wenn wir der Meinung sind, daß sich dabei Erscheinungen zeigen, die wir nicht wollen, dann ist es unsere Sache, diese Rechts- und Wirtschaftsordnung zu verbessern.