Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Kollege Dr. Mende hat soeben vor diesem Hause mit klaren und zutreffenden Argumenten das Todesurteil über das Freiwilligengesetz in der von der Bundesregierung vorgelegten Fassung ausgesprochen.
Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Diese Art der Gesetzesvorlage, über die wir heute schon gesprochen haben und noch weiterhin sprechen müssen, verstößt im wahrsten Sinne des Wortes gegen die Würde des Rechtes und damit auch gegen die Würde des Gesetzgebers;
denn auch der Bundesrat ist ein Teil des Gesetzgebers. Wir haben ihn hier vor der Tribüne des deutschen Volkes auch in seinen Rechten zu schützen und zu verteidigen, wenn er gekränkt wird.
Es ist ein wahres Glück, daß wir außer dem Freiwilligengesetz dann doch noch als verspätete Begründung die Regierungserklärung am gestrigen Tage bekommen haben. Sonst hätte der Debatte heute so ziemlich jede Substanz gefehlt, sonst würde ,dieses Freiwilligengesetz in seiner ganzen
Nacktheit und Bloßheit vor uns stehen und damit noch deutlicher vor unserem Volk und vor uns allen sichtbar werden, daß diese Vorlage unter gar keinen Umständen geltendes Gesetz werden kann und werden darf. Wer eigentlich auf den Bänken dieses Hauses hat heute für diese Vorlage der Regierung gesprochen? Niemand! Ich habe hier !buchstäblich nur Opposition in der Koalition gehört, und ich wäre wirklich erfreut, wenn wir diese Opposition in der Koalition nicht nur hören, sondern bei den entscheidenden Abstimmungen dann vielleicht auch einmal sehen würden.
Der Herr Verteidigungsminister hat gestern ein schlechtes Gesetz mit einer ganzen Reihe von guten Vorsätzen für die Zukunft vertreten. Die Vorsätze in allen Ehren; es sind eine ganze Reihe von Gedanken in der Regierungserklärung aufgeklungen, um die zu diskutieren es sich lohnt, wie die heutige Debatte gezeigt hat. Aber es kommt nach allem, was wir erlebt haben, nicht auf die Vorsätze an, sondern es kommt auf die Sicherung der Durchführung dieser Absichten an.
Da ist uns auch nach der Regierungserklärung selbst bisher immer noch nicht sichtbar geworden, wo jene gesetzlichen Sicherungen geschaffen, wo jene Grundpfeiler in die Ordnung unseres Grundgesetzes eingebaut werden, die vorhanden sein müssen, bevor ein bewaffnetes Instrument entsteht; denn hinterher können Sie die durch den Aufbau einer bewaffneten Ordnung sich verändernde gesellschaftliche Verfassung gar nicht mehr in die richtige Form bringen, wenn Sie das nicht an den Anfang setzen.
Die Sicherungen, von denen ich sprach, die uns allen unabweisbar erscheinen, finden sich jedenfalls in der uns vorgelegten Fassung des Freiwilligengesetzes nicht. Dieses Freiwilligengesetz soll der Regierung Handlungsfreiheit geben; die einzige Beschränkung ist ein Termin. Was nützt ein Termin? Sie haben selbst oft und oft hier erlebt, wie rasch dann, wenn man uns allen eine Sache dringlich gemacht hat, ein solcher Termin verlängert worden ist. Meine Damen und Herren, mit dem Aufbau der Wehrordnung dürfen Sie erst beginnen, wenn Sie die entscheidenden rechtlichen Fundamente für den Standort eines Wehrinstrumentes in der 'demokratischen Wirklichkeit geschaffen haben, nicht vorher. Was die Regierung nach diesem Gesetz entgegennehmen würde, wäre die Ermächtigung zum Handeln, teils direkt auf Grund des Gesetzes, teils durch die Ermächtigung zum Erlaß von weiteren Verordnungen.
Wir sind damit zu einem innerpolitischen Problem von größter Tragweite vorgedrungen. Der Herr Kollege Dr. Jaeger sprach mit Recht von der Empfindlichkeit der deutschen Jugend auf diesem Gebiet, und er hielt es — und ich teile seine Meinung — für ein Zeichen der Reife dieser Jugend, daß sie mit großer Skepsis alles das beobachte, was da entsteht und was eines Tages auch Leistungen von ihr zu fordern imstande ist. Aber gerade wenn wir uns über diese Geistesverfassung derer, auf die es letzten Endes 'ankommen wird, vollkommen im klaren sind, dann müssen wir doch begreifen, wie besonders schädlich in dieser Situation unbegründete Eile ist.
Meine Damen und Herren, an die große Aufgabe, die Sie sich und damit uns allen gestellt haben, kann man nur mit einem Höchstmaß an Nüchternheit und frei von jeder Mystik rund Verbrämung herangehen. Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, daß ich mich, wenn ich auch mit weiten Teilen der Reden, ,die jene beiden Kollegen, von denen ich jetzt sprechen werde, heute hier gehalten haben, nicht einverstanden bin, dennoch über den in den Jungfernreden der Kollegen Berendsen und Kliesing großenteils zum Ausdruck gekommenen Geist der Nüchternheit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung, zum Gespräch gefreut habe. Beide werden natürlich durchaus begreifen, daß sie, wenn sie sich hier ins parlamentarische Gefecht begeben haben — jedem von uns ist es ja einmal so gegangen, daß er von einer gewissen Nervosität befallen war —, damit rechnen müssen: Wer eine scharfe Klinge schlägt, der bekommt ab und zu auch einen Kratzer lab. Das werde ich mir nachher mindestens bei einem der beiden Herren, nämlich bei dem Kollegen Kliesing, herausnehmen müssen, obwohl es seine Jungfernrede war.
Wenn wir an die Aufgabe dieser Verwirklichung, wie Sie sagen, der Pariser Verträge herangehen — sie sind eine Realität, sie sind in der Welt, sie sind da —, wenn wir uns über die Meinungsverschiedenheiten unterhalten, die nach wie vor zwischen dieser und jener Seite des Hauses über die Zweckmäßigkeit dieser Verträge bestehen, dann lassen Sie sich bitte eins gesagt sein: Selbst wer ein Anhänger der Politik des Bundeskanzlers ist, selbst wer die Verträge in jeder Weise für richtig hält, der sollte dennoch die Verpflichtung begreifen, an den Anfang der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland eine richtige und eine gute Gesetzgebung zu setzen und nicht ein gefährliches Provisorium.
Auf die Gleise, die jetzt gelegt werden, kommt es an.
Man sage uns nicht: es ist ein lächerlicher Prozentsatz der künftigen Streitkräfte! Meine Damen und Herren, machen wir uns doch gar nichts vor: von den ersten 6000 hängt es ab, wie der Rest des Ganzen später aussehen wird.
Das gilt für die Personen, und das gilt für die Institutionen. Deshalb dürfen Sie weder die Institutionen noch die Personen allein zur Disposition der Bundesregierung oder auch des Verteidigungsministeriums stellen, sondern Sie müssen sich in beiden das entscheidende Wort des Gesetzgebers vorbehalten.
Das ist das, was man, glaube ich, als allgemeinen Gesichtspunkt vor diese ganze Debatte um den innerpolitischen Fragenkomplex stellen muß.
Es ist — und in der viel zitierten Broschüre des Verteidigungsministeriums wird ,das hervorgehoben — eine ganze Reihe von Versprechungen gerade gegenüber der jungen Generation über den Zustand gemacht worden, in dem sich die bewaffnete Macht künftig befinden wird. Die Zeitschrift der evangelischen Jugend, die „Junge Stimme", hat in diesem Zusammenhang einige sorgenvolle Fragen an den Herrn Verteidigungsminister gerichtet. Ich finde, diese Fragen sind so wichtig, daß wir sie durchaus aufgreifen sollten. Die „Junge Stimme" wollte unter anderem wissen: Sind eigentlich alle
bisherigen Erklärungen noch voll glaubwürdig, wenn der Anfang der Gesetzgebung nicht in Übereinstimmung mit dem steht, was in den Bundestagsausschüssen besprochen worden ist? Denn, meine Damen und Herren — ich wiederhole hier noch einmal ausführlich die Erklärung —, nicht einmal der Gedanke eines dem jetzigen Freiwilligengesetz auch nur von fern ähnlich sehenden Gesetzes ist jemals im Sicherheitsausschuß des Bundestages besprochen worden, zu keiner Zeit und zu keiner Stunde. Es ist wichtig, das zu wissen, damit wir begreifen, daß dieser Akt der Gesetzgebung mit Recht Mißtrauen erweckt hat, weil er mit einer Zerstörung der Atmosphäre begann, in der man früher eine gewisse Bereitschaft zu erkennen glaubte, daß die künftigen gesetzgeberischen Akte der Bundesregierung in ihren großen Linien mit dem Ausschuß des Parlamentes besprochen würden, bevor sie den weiteren Weg in der normalen Maschine der Gesetzgebung machen würden. Von dieser Absicht war nie die Rede.
Das zweite, was hierher gehört, ist die Stellung jener Männer im Verteidigungsministerium, deren Namen für die junge Generation geradezu zu einem
Symbol für die guten Absichten nicht für die
bösen — geworden sind. Ich will einen nennen: den Grafen Baudissin, der von der Bundesregierung beauftragt worden ist, überall, landauf, landab, der jungen Generation ihre Absichten auf diesen Gebieten darzulegen, und der wahrscheinlich nur dadurch einen großen Teil an Skepsis bei manchen jungen Leuten hat überwinden können, daß er sich wacker und mannhaft für eine bestimmte Konzeption ides Geistes, der inneren und äußeren Verfassung dieser Streitkräfte eingesetzt hat. Wir hören mit Bestürzung, daß bei der Umorganisation des Ministeriums die Bedeutung und das Gewicht dieses Mannes erheblich verkürzt worden sind,
und sehen darin für uns einen Anlaß zu größter Wachsamkeit. Allein Erklärungen des Ministers, so gut gemeint sie sein mögen, können uns nicht jene Sicherheit schaffen, die wir in einer Organisation des Ministeriums sehen würden, in der sich die Bedeutung dieser Fragen für jeden von uns deutlich sichtbar abzeichnen könnte.
Ein Punkt, der heute hier umstritten gewesen ist—ich will mich gar nicht zum Inhalt, sondern nur zur Methode äußern —, ist z. B. die Frage des Eides. Mit einer Reihe von Gründen — es gibt für, es gibt wider — war der Sicherheitsausschuß des Bundestages übereinstimmend zu 'der Erkenntnis gekommen, man solle nicht den Eid +an den Beginn der Aufstellung von Streitkräften stellen, sondern eine andere Form der Verpflichtung wählen. Ob nun diese oder der Eid, das ist im Augenblick nicht die Frage, darüber können wir uns noch später unterhalten. Aber die Frage, die mich hier bewegt, ist, daß beim ersten gesetzgeberischen Vorgehen der Bundesregierung eine monatelange Diskussion in einem Ausschuß dieses Hauses einfach als nichtexistent vom Tisch gefegt worden ist, ohne ein Wort der Begründung.
Die Regierung will es so. „J` y suis, j' y reste",
„hier bin ich, und hier bleibe ich", war ungefähr die
Position der Bundesregierung zu diesem Gesetz mit
allem, was an Kritik inzwischen dazu vorgebracht worden ist.
Gestatten Sie mir ein Wort zu dem Zwischenspiel am heutigen Vormittag. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß er gehofft habe, die Sozialdemokratie zur Mitarbeit auf dem Boden der Demokratie zu gewinnen. Meine Damen und Herren, was soll das heißen? Wenn der Herr Bundeskanzler, so wie es da steht, darin seine Meinung ausdrückt, daß die Sozialdemokraten bisher in Deutschland nicht auf dem Boden der Demokratie mitgearbeitet hätten,
dann stellt er damit ein Drittel der Nation außerhalb dieses Staates. Aber das hat er zu verantworten, nicht wir.
Meine Damen und Herren, die demokratische Legitimation, der Kampf um Freiheit und Recht, der Kampf für eine rechtsstaatliche Gestaltung nicht erst nach den bitteren Erfahrungen in der nationalsozialistischen und der kommunistischen Gewaltherrschaft, sondern auch vorher schon,
das gehört weiß Gott zu den größten Traditionen der deutschen Sozialdemokratie.
Ich weiß, daß ich wahrscheinlich auch aus dem Herzen meiner Parteifreunde spreche. Aber nehmen Sie es wirklich als das ganz persönliche Bekenntnis eines Mannes hin: Diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers hat mich auf das tiefste persönlich verletzt.
Es muß doch wohl noch möglich sein, daß ein Mann seiner Sorge um die Entwicklung in unserem Volke hier an dieser Stelle Ausdruck gibt! Wo denn sonst?!
— Ja eben, das bitte ich gelegentlich dem Herrn Bundeskanzler zu sagen!
Meine Damen und Herren, es sind heute eine ganze Reihe kritischer Reden zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gehalten worden. Der Herr Kollege Dr. Arndt hat — genau wie ich das auch jetzt mit großer Freude feststelle — die Aufmerksamkeit des ganzen Hauses gehabt, und so manches Argument hat sicher Einfluß auch auf den späteren Gang der Dinge. Ich weiß, daß wir dennoch gelegentlich Treueschwüre hören werden. Nun, auch das gehört zur politischen Auseinandersetzung. Aber in dieser Debatte um den Zwischenfall hat nun einer unserer Jungfernredner es für gut befunden, an einen früheren Zwischenfall zu erinnern. Weil es ungut ist, wenn hier ein falscher Eindruck im Raum stehenbleibt, möchte ich mich zu diesem Zwischenfall noch einmal äußern.
Ich habe vor mir ein Dokument, das die Unterschriften zweier bedeutender Männer trägt, des verstorbenen Vorsitzenden der Sozialdemokrati-
schen Partei Deutschlands, Dr. Kurt Schumacher, und des Herrn Bundeskanzlers, Dr. Konrad Adenauer. Dieses Dokument bezieht sich auf den Zwischenfall, der hier vorhin heraufbeschworen worden ist gewissermaßen als eine Generalentschuldigung für künftige und spätere Entgleisungen. So dürfen wir das nicht behandeln. Es lautet:
In der Sitzung des Bundestages vom 24. auf den 25. November war der Bundeskanzler der Ansicht, daß ohne Eintritt der Bundesrepublik in die Ruhrbehörde ein Demontagestop nicht zu erreichen sei. Die SPD war der Ansicht, daß ein Demontagestop auch ohne bedingungslosen Eintritt in die Ruhrbehörde zu erreichen sei.
Der Bundeskanzler ist überzeugt, daß sich die sozialdemokratische Fraktion bei ihrer Haltung von der Überzeugung hat leiten lassen, auf diese Weise das Beste für das deutsche Volk zu leisten, und hält Formulierungen, die anders verstanden worden sind, nicht aufrecht. Dr. Schumacher ist seinerseits der Auffassung, daß der Bundeskanzler überzeugt war, daß nur der Eintritt der Bundesrepublik in die Ruhrbehörde den Demontagestop bewirken könne. Er hält daher den Zwischenruf „Bundeskanzler der Alliierten" nicht aufrecht.
Meine Damen und Herren, wenn zwei Männer in dieser Weise einen Zwischenfall, bei dem die Reihenfolge der Ereignisse hier auch noch klargestellt worden ist, aus der Welt geschafft haben, dann sollte es niemanden im politischen Leben in Deutschland geben, der diesen Vorfall wieder ausgräbt, um gewissermaßen für die Zukunft immer wieder daraus das Recht abzuleiten, nun erneut mit irgendwelchen persönlichen Unterstellungen arbeiten zu können. Jener Vorfall ist durch eine beiderseitige Erklärung beigelegt worden, in der der Herr Bundeskanzler zuerst seine Äußerung zurücknahm. Ich finde es unfair, daß man zu Lasten eines Toten einseitig nun nur dessen Äußerung wieder ausgräbt.
Wir haben diese Frage hier erörtert anläßlich des das deutsche Volk bewegenden Problems: Gibt es in bestimmten Lebensfragen der Nation die Möglichkeit, die Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit der entscheidenden, diesen Staat — ob in Opposition .oder Regierung — tragenden demokratischen Kräfte? Nach dem, was ich heute vormittag hier wieder erlebt habe, gestatten Sie mir, daß ich eine Überzeugung ausspreche, die Ihnen sicher nicht gefallen mag, aber in der ich nach vielen Ereignissen der letzten Monate bestärkt worden bin. Es gibt tatsächlich ein Haupthindernis für eine Zusammenarbeit der großen staatstragenden Kräfte in den Lebensfragen der Nation. Das Hindernis liegt nämlich dort, wo seit einer Reihe von Jahren bewußt darauf hingearbeitet worden ist, diesen Staat nach innen und außen ohne und sogar gegen die Sozialdemokratie zu bauen, auch wenn man gelegentlich einmal Beschwörungen über eine sagenhafte Zusammenarbeit ausspricht, die ja durch die Form, in der man jeweils erst Tatsachen schafft und hinterher zum Anschluß auffordert, von Anfang an entwertet werden.
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, wo diese Kraft ist, eine Kraft, die soweit wirkt, daß jetzt schon der künftige bremische Wahlkampf trotz der unbestrittenen Aufbauleistungen der sozialdemokratisch geführten Stadtregierung in Bremen im wesentlichen nur unter der Parole stattzufinden hat: Wie bringen wir alle anderen Kräfte, auch die, die mit der Sozialdemokratie in Bremen bisher zusammengearbeitet haben, nun dazu, künftig die Sozialdemokratie aus der Verantwortung in diesem Stadtstaat herauszudrängen? — Das ist doch nur ein Beispiel in einer ganzen Kette von Ereignissen. Ich will Ihnen ganz offen sagen, daß viele sehr persönliche Gespräche mit einer Reihe Ihrer Freunde mich in der Erkenntnis bestärkt haben, daß das Haupthindernis für eine Zusammenarbeit zwischen den großen demokratischen Kräften in Lebensfragen der Nation nichts anderes ist als die Person des Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer.