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ID0209303000

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    2. Deutscher Bundestag — 93. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. Juni 1955 5223 93. Sitzung Bonn, Dienstag, den 28. Juni 1955. Beurlaubte Abgeordnete (Anlage) . . . . 5303 A Eintritt des Abg. Berg in den Bundestag . 5223 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften (Freiwilligengesetz) (Drucksachen 1467, 1499) 5223 C Zur Sache: Dr. Jaeger (CDU/CSU) . 5223 C, 5230 B Erler (SPD) 5230 A, 5281 D, 5284 D, 5291 C, 5297 A, 5301 C Ollenhauer (SPD) 5231 B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 5236 A von Manteuffel (Neuß) (FDP) . . 5237 B Feller (GB/BHE) 5244 B Matthes (DP) 5247 C Berendsen (CDU/CSU) 5252 B Unterbrechung der Sitzung . 5255 B Dr. Arndt (SPD) . . . 5255 B, 5273 C, D Blank, Bundesminister für Verteidigung 5263 C Dr. Kliesing (CDU/CSU) 5264 B Heye (CDU/CSU) 5267 C Dr. Mende (FDP) . . . 5272 B, 5273 C, D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 5284 C Kiesinger (CDU/CSU) . . .. 5291 B, C, D, 5.300 C, 5301 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 5291 D Unterbrechung der Sitzung . . 5301 D Zur Abstimmung: Dr. Menzel (SPD) 5302 A Stücklen (CDU/CSU) 5302 A, C Überweisung an den Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit, an den Ausschuß für Beamtenrecht und den Rechtsausschuß 5302 B Beschlußfassung über den Antrag Druck- sache 1499 5302 C, D Nächste Sitzung 5302 D Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 89. Sitzung 5302 B Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5303 A Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den I Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 89. Sitzung Seite 4973 B Zeile 12 ist zu lesen: Frau Kalinke (DP) 4981 B Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich D. Dr. Gerstenmaier 15. August Dr. Blank (Oberhausen) 30. Juli Dr. Pohle (Düsseldorf) 30. Juli Dr. Vogel 30. Juli Albers 23. Juli Dr. Graf Henckel 23. Juli Dr. Jentzsch 23. Juli Koenen (Lippstadt) 16. Juli Morgenthaler 16. Juli Pelster 16. Juli Dr. Dr. h. c. Pünder 9. Juli Schuler 9. Juli Griem 2. Juli Held 2. Juli Margulies 2. Juli Scheel 2. Juli Eberhard 1. Juli Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 1. Juli Berlin 30. Juni Elsner 30. Juni Dr. Gille 30. Juni Frau Kalinke 30. Juni Frau Keilhack 30. Juni Mühlenberg 30. Juni Müller (Wehdel) 30. Juni Neuburger 30. Juni Rademacher 30. Juni Schulze-Pellengahr 30. Juni Müller (Erbendorf) 29. Juni Dannemann 28. Juni Dr. Eckhardt 28. Juni Dr. Friedensburg 28. Juni Dr. Gleissner (München) 28. Juni Heiland 28. Juni Frau Dr. Jochmus 28. Juni Dr. Kather 28. Juni Klingelhöfer 28. Juni Kunz (Schwalbach) 28. Juni Dr. Leiske 28. Juni Lemmer 28. Juni Meyer-Ronnenberg 28. Juni Frau Dr. Maxsein 28. Juni Müser 28. Juni Raestrup 28. Juni Schloß 28. Juni Schmidt (Hamburg) 28. Juni Schoettle 28. Juni Dr. Starke 28. Juni Wehking 28. Juni Zühlke 28 Juni b) Urlaubsanträge Dr. Dresbach vom 4. bis zum 16. Juli
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Georg Kliesing


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich Sie von den geistigen Höhenpfaden, die der Kollege Dr. Arndt mit der Erörterung verfassungsrechtlicher und, fast möchte man sagen, theologischer Probleme hier beschritten hat, hinabführe in die Niederungen eines vielleicht sehr simplen,

    (Abg. Wehner: Sehr simpel!)

    aber doch wohl sehr schwerwiegenden Problems, nämlich der Frage nach den Auswahlprinzipien für unsere künftigen Offiziere, eine Frage, die wohl durch die heutige Diskussion in ein sehr akutes Stadium rückt.
    Zuvor aber erlauben Sie mir eine Bemerkung zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Arndt. Er hat hier auf das Verhältnis zwischen
    Regierung und Opposition in England und in den USA hingewiesen, und durch seine Worte klang ein gewisses Bedauern darüber hindurch, daß dieses Verhältnis bei uns nicht so ist wie in diesen Ländern. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich darf hier versichern, daß auch meine Freunde diesen Zustand sehr bedauern. Aber wenn man schon die Schuldfrage erörtert, dann darf man die Gewichte nicht so einseitig verlagern, wie das hier geschehen ist, und vor allen Dingen darf man die Dinge nicht so simplifizieren,

    (Zurufe von der SPD)

    als ob es nun einfach einzig und allein die Schuld des Herrn Bundeskanzlers sei. Man darf auch nicht seinen Worten von heute vormittag einen Sinn unterschieben oder, wie Herr Kollege Arndt sagt, einen Untersinn geben, den, des bin ich gewiß, der Herr Bundeskanzler ihnen weder geben wollte noch gegeben hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD. — Abg. Hermsdorf: Ganz wohl fühlen Sie sich bei Ihren Ausführungen wohl nicht?!)

    — Nun, meine Damen und Herren, Ihre Unruhe überrascht mich keineswegs. Aber darf ich Sie in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß die Waage zwei Schalen hat; nicht nur die eine, die der Kollege Arndt in einer etwas einseitigen Weise belastet hat, sondern auch jene andere, die er verständlicherweise freihielt. Ich möchte hier keine Gegenrechnung aufmachen. Es ließe sich sehr vieles sagen, meine Damen und Herren, angefangen von jenem bösen Wort vom „Kanzler der Alliierten" bis hin zu dem Lachen, dem höhnischen Lachen, das in Ihren Reihen aufklang, als vor wenigen Monaten der Herr Bundeskanzler an dieser Stelle in ernsten und bewegten Worten sein Bekenntnis zur Politik der deutschen Wiedervereinigung ablegte.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Aber lassen Sie mich an dieser Stelle dieses Thema verlassen und Ihnen sagen: wenn wir um unserer Demokratie willen das Verhältnis zwischen Regierungskoalition und Opposition verbessern wollen, dann sollten wir es nicht dadurch versuchen, daß wir gegenseitig Rechnungen aufmachen, sondern wir sollten versuchen, verantwortungsbewußt hier und in den Ausschüssen zusammenzuarbeiten. Dazu gibt die jetzt anlaufende Wehrgesetzgebung eine sehr günstige Gelegenheit.

    (Abg. Seuffert: Sagen Sie das dem Bundeskanzler!)

    In diesem Sinne möchte ich mit meinen nunmehr folgenden Ausführungen zur Sache einen Beitrag zur Zusammenarbeit in einem versöhnlichen Geiste leisten.
    Meine Damen und Herren, die gestrige Regierungserklärung enthält unter anderem die Feststellung, daß der Charakter der neuen Streitkräfte nicht nur durch die Gesetze, sondern ebenso durch die führenden Persönlichkeiten bestimmt werde. Man wird über die Grenzen der Fraktionen hinweg dieser Auffassung der Bundesregierung grundsätzlich nur zustimmen können. Denn die geschichtliche Erfahrung beweist eindeutig, daß der Geist der Gesetze, möge er noch so sehr unsere Zustimmung finden, nicht wirksam werden kann, wenn


    (Dr. Kliesing)

    die Persönlichkeiten fehlen, die ihm zu dieser Wirksamkeit verhelfen sollen. Daher scheint mir insbesondere im Hinblick auf die Situation unserer jungen Demokratie die Frage nach dem militärischen Führungspersonal wichtiger und entscheidender zu sein als alles übrige.
    Man sollte nicht einwenden, es handle sich doch nur um einen zahlenmäßig unbedeutenden Personalkörper, der nicht imstande sei, den künftigen deutschen Streitkräften ihr inneres und äußeres Gepräge zu geben. Mir scheint, daß ein Hinweis auf die in der Regierungserklärung angeführte Zweckbestimmung dieser etwa 6000 Mann genügt, um die Wichtigkeit dieses personalpolitischen Problems hervorzuheben. Denn schließlich handelt es sich bei Offizieren, die den militärischen Bestandteil des Verteidigungsministeriums ausmachen sollen, oder bei jenen, die zu internationalen Stäben und Lehrgängen abkommandiert werden sollen, doch wohl um Leute, die jedenfalls zum Teil wichtige Schlüsselstellungen einnehmen sollen.
    Hinzukommt — und die Geschichte beweist es wiederum —, daß einem jeden militärischen Führungsgremium, sei es auch einer zahlenmäßigen Einschränkung unterworfen eine starkc Virulenz inne
    wohnt, die ein bestimmtes Klima der Anschauungen und Beurteilungen entwickelt, das sich doch wohl auf die nachfolgenden militärischen Kräfte weitgehend und vielleicht sogar richtungbestimmend auswirken kann. Schließlich wissen wir doch alle, daß bei solchen Gremien immer die Gefahr besteht, daß sie sich in der personalpolitischen Praxis, in der personellen Entwicklung von der Ausgangsposition entfernen und verselbständigen. Alle verantwortungtragenden Stellen in Regierung und Parlament sollten daher das Problem der Personalentwicklung von seinen Anfängen an sehr ernst nehmen, damit nicht wir alle miteinander eines Tages in einer Situation stehen, in der wir dann nur noch mit Mephisto sprechen könnten: „Du glaubst zu schieben und Du wirst geschoben."
    Außerdem bleibt zu bedenken, daß namentlich die Offiziere, welche die künftige Bundeswehr oder Wehrmacht oder wie der Name sein wird im Ausland repräsentieren sollen, nach den Erfahrungen der Vergangenheit mit größter Sorgfalt ausgewählt werden sollten. Denn schließlich sind sie es, die die Visitenkarte einer neuen deutschen Truppe draußen abzugeben haben. Das Bild, das die ausländische Öffentlichkeit sich von den neuen deutschen Streitkräften machen wird, wird weitgehend von der Haltung der deutschen Offiziere bei den internationalen Stäben bestimmt werden.
    Insbesondere sollte man auch diejenigen sehr kritisch aussuchen, die bei Lehrgängen ihre Qualifizierung als Leiter und Lehrer späterer Ausbildungsstäbe erhalten sollen. Es ist wohl jedem klar, daß diese Männer einen ganz entscheidenden Einfluß auf den Charakter künftiger deutscher Verbände haben werden und daß es zu einem nicht geringen Teil von ihrer politischen Haltung abhängen wird, in welchem Maße es uns gelingt, die neuen Streitkräfte in das Gefüge unserer demokratischen Ordnung einzuordnen, ohne daß ernste Störungen und Gefahren auftreten können. Von diesen Persönlichkeiten, die einmal Lehrer unserer Offiziere sein sollen, wird man ein hohes Maß von Aufgeschlossenheit für unsere soziologischen und sozialen Fragen und eine umfassende Kenntnis jugendpsychologischer und pädagogischer Probleme erwarten müssen. Ich möchte meinen, daß diese
    Männer über ihrem militärischen Denken nicht das Gefühl für die Sorgen unserer Frauen und Mütter verlieren sollten.
    Hinsichtlich des Personals, das mit der Annahme der Außenhilfe beauftragt werden soll, sollten wir uns im Ausschuß einmal darüber klarwerden, ob und in welchem Maße hier militärisches Personal durch ziviles ersetzt werden kann.
    Schließlich bleibt noch etwas zu sagen zu dem geplanten Ausbau des Verteidigungsministeriums. In dem Brief, den der Herr Bundesfinanzminister am 6. des Monats dem Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses geschickt hat, ist die Rede von 574 Personen. Es ist nicht in unser Vermögen gestellt, die Berechtigung dieser Forderung im einzelnen nachzuprüfen oder anzuzweifeln. Jedoch erscheinen mir einige Feststellungen in diesem Zusammenhang wichtig. Mit dem Aufbau des Ministeriums ist unlösbar verbunden das Prinzip der zivilen Kontrolle. Die Vielfältigkeit der Kontrollfunktionen in einer modernen Armee und die Kompliziertheit des Aufbaues eines Verteidigungsapparates lassen eine Prüfung des geplanten organisatorischen Schemas hinsichtlich der Wirkungsmöglichkeit einer zivilen Kontrolle meines Erachtens
    unerläßlich erscheinen. Es wird daher notwendig sein, daß wir uns im Ausschuß bei der Erörterung dieses Punktes auch mit der Frage der Organisation des Ministeriums befassen.
    Weiter: Der Personalgutachterausschuß soll bekanntlich die Aufgabe haben, hinsichtlich der Auswahl der Offiziere vom Obersten an aufwärts der Bundesregierung Vorschläge zu machen. Da aber das Gros des 6000-Mann-Kontingentes, das hier zur Erörterung steht, zweifellos unter dem Range eines Obersten stehen wird, gehe ich wohl nicht fehl in der Auffassung, daß Auswahl und Annahme dieses Gros Stellen innerhalb des Ministeriums vorbehalten bleibt. Der Personalgutachterausschuß wird daher der Auswahl dieser Auswähler seine ganz besondere Aufmerksamkeit schenken müssen.
    Sclließlich: In allen Verteidigungsministerien der Welt bestand und besteht eine gewisse Tendenz der einseitigen Heranziehung der Generalstabsoffiziere. Zweifellos gibt es in einem solchen Ministerium eine Menge von Aufgaben, die eben nur von Generalstabsoffizieren gelöst werden können. Meine Freunde und ich sind aber der Meinung, daß angesichts der schwierigen inneren Probleme, die der Neuaufbau deutscher Verteidigungskräfte mit sich bringt, die Heranziehung von erfahrenen Truppenoffizieren zur Arbeit im Ministerium eine unbedingte Notwendigkeit ist. Man wird mit den psychologischen und geistigen Problemen, die an uns herantreten, einfach nicht fertig werden, wenn man dazu nicht den mitbestimmenden Rat erfahrener militärischer Führer einholt, die aus einem jahrelangen Truppen- und Fronterleben heraus fähig sind, sich in die geistige und seelische Situation des Soldaten einzufühlen.
    Gestatten Sie mir nun im Zusammenhang mit der Erörterung des vorliegenden Gesetzentwurfs einige Bemerkungen zu den Prinzipien, an welche meines Erachtens die Auswahl gebunden sein muß. Der Entwurf des Gesetzes beruft sich lediglich auf das Pflichtgefühl des künftigen Soldaten. Zweifellos ist Pflichterfüllung die erste und grundlegende Voraussetzung jeder soldatischen Ordnung. Ich halte aber die Beschränkung, die der Gesetzentwurf sich in diesem Punkt auferlegt, für zu weitgehend und glaube, daß der Appell an das


    (Dr. Kliesing)

    Pflichtbewußtsein allein als tragende Basis zu schwach ist. Wir dürfen eben nicht die Katastrophen übersehen, durch die unser Volk hindurchgegangen ist, und dürfen insbesondere nicht vergessen, daß so manches schwere Einzelschicksal im vergangenen Jahrzehnt auch weithin belastet war durch die Erschütterung der ethischen Grundlagen. Mir scheint, eine Berufung nur auf das Pflichtbewußtsein kann ausreichend sein in einer belagerten Festung, die kurz vor der Kapitulation steht, aber aus kriegswichtigen Gründen noch gehalten werden muß. Man kann darauf allein aber nicht eine Wehrmacht im Jahre 1955 und den folgenden aufbauen. Wollten wir uns darauf beschränken, meine Damen und Herren, so würde das einen a-priori-Rückzug auf die ultima ratio bedeuten. Ich vermag deshalb auch gar nicht einzusehen, was uns hindern sollte, bereits in diesen Gesetzentwurf jene Bestimmungen des Soldatengesetzes einzuarbeiten, wonach der soldatische Führer die Charaktereignung für sein Amt besitzen und die Gewähr dafür bieten muß, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt.
    Ich möchte an dieser Stelle das Problem der charakterlichen und staatspolitischen Voraussetzungen nicht bis ins einzelne verfolgen, weil das wohl noch im Zusammenhang mit der Erörterung des Soldatengesetzes erforderlich sein wird, aber einiges sollte doch schon jetzt gesagt werden.
    Wir legen größten Wert darauf, daß bei der nun bald zu treffenden Auswahl nur solche Persönlichkeiten Berücksichtigung finden, die durch ihre charakterliche Haltung in Kriegs- und Nachkriegszeit und durch die Art, wie sie nach 1945 im Lebenskampf ihren Mann gestanden haben, das Vorhandensein bestimmter charakterlicher Qualitäten bewiesen haben. Wir möchten von vornherein alle jene zurückweisen, die eben nicht mehr den Mut und die Willenskraft gefunden haben, sich dem bürgerlichen Leben zu stellen, und die nun wirklich nichts anderes fertiggebracht haben, als nur auf ihre erworbenen Rechte zu pochen.
    Ein Wort zu der Broschüre! Ich kann mich der hier geübten Kritik nicht anschließen, weil ich es begrüßenswert finde, daß die deutsche Öffentlichkeit durch diese Broschüre über die Pläne und Absichten der Bundesregierung unterrichtet wird. Ich bin auch der Auffassung — lassen Sie mich das in aller Höflichkeit sagen —, daß es sehr schlecht aussieht, wenn man seitens der Opposition auf der einen Seite der Bundesregierung fortgesetzt Geheimnistuerei und Zwielichtigkeit vorwirft und dann dagegen protestiert, daß sie ihre Pläne nun ins Rampenlicht der Öffentlichkeit stellt.

    (Abg. Hermsdorf: Herr Kliesing, was hat Vorrang: das Parlament oder die Zeitung?)

    — Lieber Kollege Hermsdorf, hier handelt es sich doch nicht um geltende Gesetze, sondern hier geht es um die Pläne und Gedanken der Bundesregierung. Wenn Sie mit den in der Broschüre geäußerten Auffassungen nicht einverstanden sind, dann sollten Sie doch zufrieden sein, daß die Bundesregierung sie Ihnen schon so rechtzeitig zur Kenntnis bringt, daß Sie sich auf die Abwehr und Bekämpfung dieser Pläne vorbereiten können.
    Erfreulich an der Broschüre scheint mir zu sein, daß das Ideengut darin seinen Niederschlag gefunden hat, das wir im Ausschuß für Sicherheit in gemeinsamer Arbeit mit der Abteilung „Inneres Ge-
    füge" des Grafen Baudissin erarbeitet haben und von dem wir auch erwarten — das möchte ich hier betonen —, daß es sich in der Praxis durchsetzt.
    Mich persönlich hat gefreut, daß der Einband dieser Broschüre das schwarzrotgoldene Emblem trägt. Ich möchte dabei der Hoffnung und der Überzeugung Ausdruck geben — und weiß mich darin mit der Bundesregierung einig —, daß dieses Bekenntnis nicht auf dem Papier stehenbleibt, sondern — ich möchte es mit aller Leidenschaftlichkeit hier sagen — dieses Bekenntnis zu unseren schwarzrotgoldenen Farben und den durch sie symbolisierten staats- und nationalpolitischen Ideen muß unbedingt das Charakteristikum für die künftigen deutschen Streitkräfte und insbesondere für die geistige und politische Haltung ihrer Offiziere werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich sage das hier nicht nur, um Staatsfeinde abzuwehren, die von vornherein als solche erkannt werden. Es gibt auch den Begriff der sogenannten Loyalität, und, meine Damen und Herren, mit einer nur loyalen Einstellung zur Demokratie ist uns nicht gedient.

    (Beifall in der Mitte und bei Abgeordneten der SPD.)

    Wir fürchten, wenn wir uns darauf einmal einließen, dann würden sich uns bald wieder jene schwankenden Gestalten nahen, die wir in der Vergangenheit zur Genüge kennengelernt haben.

    (Erneuter Beifall in der Mitte. — Abg. Eschmann: Die werden sich jetzt wahrscheinlich melden!)

    — Dann ist es eben unsere Aufgabe, aufzupassen, Herr Kollege Eschmann.

    (Erneuter Zuruf von der SPD.)

    — Das müssen wir eben abwarten. Außerdem, Herr Kollege Eschmann, kennen weder Sie noch ich das Gesetz, sondern wir kennen bisher erst den Text des Gesetzentwurfes.
    Nun aber folgendes. Ich habe diesen Gedanken hier auch aus einem anderen Grunde angeführt. Es gibt Fälle, denen man eine gewisse Tragik nicht absprechen kann. Es mag nämlich auch heute noch ehemalige Offiziere geben, die aus echter innerer Anteilnahme heraus wieder in ihren alten Beruf zurückkehren möchten, die aber durch Tradition und Erziehung so in ihrer charakterlichen Haltung und politischen Auffassung von ehedem festgehalten werden, daß sie innerlich nicht mehr den Weg zu unserer Demokratie ganz finden können, ohne sich dabei den Vorwurf der Untreue gegen sich selbst zu machen, und die daher unserem demokratischen Staat mit einer gewissen Reserviertheit gegenüberstehen. Ich möchte hier sagen, daß ich vor der persönlichen Ehrenhaftigkeit dieser Männer allen Respekt habe, daß ich sie aber als Offiziere in den neuen deutschen Streitkräften für untragbar halte.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Nun zur Frage des Personalausschusses. Meine Freunde haben den Wunsch, daß dieser Ausschuß
    — aus leicht erklärlichen Gründen — zu seinem Vorsitzenden eine Persönlichkeit wählen möge, die nicht der Gruppe ehemaliger Berufssoldaten angehört. Wir nehmen mit Befriedigung die Erklärung der Bundesregierung zur Kenntnis, wonach


    (Dr. Kliesing)

    sie sich in ihren Entscheidungen durch ein negatives Votum des Personalgutachterausschusses gebunden fühlen wird. Es ist in den letzten Wochen und auch heute in diesem Hause wiederholt die Frage einer gesetzlichen Verankerung des Personalausschusses angesprochen worden. Auch meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß viele Argumente, die ich hier im einzelnen nicht aufzuführen brauche, für die Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung sprechen. Über die Form, in der diese Regelung erfolgen soll, müssen wir natürlich im zuständigen Ausschuß beraten. Es ist unser besonderes Anliegen, daß niemand ohne Prüfung durch den Personalgutachterausschuß ins Ausland geschickt oder als Lehrer für künftige Offiziere ausgewählt wird. Wir sind aber auch der Auffassung — und das möchte ich hier sehr nachdrücklich betonen —, daß der Personalgutachterausschuß, wenn er den an ihn zu stellenden Forderungen gerecht werden soll, nun aber auch möglichst schnell konstituiert werden und in allerkürzester Zeit mit seinen Arbeiten anfangen muß. Wir schenken dieser Institution unser Vertrauen und bekennen uns zu dem Gedanken, der diesem Personalgutachterausschuß zugrunde liegt. Das soll jedoch nicht bedeuten, daß wir uns damit unserer eigenen weiteren Verantwortung entziehen und sie eben nur auf ein neu zu gründendes Gremium abwälzen wollen. Wir werden uns unserer Verantwortung gerade bei den personalpolitischen Fragen sehr bewußt bleiben.

    (Vizepräsident D r. Jaeger übernimmt den Vorsitz.)

    Aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer klang ein gewisses und sehr verständliches Mißtrauen gegenüber künftigen Offizieren, ein Mißtrauen, das sich auf die Erfahrungen der Vergangenheit stützte. Der Herr Kollege Ollenhauer sagte, es sei in der Vergangenheit nicht gelungen, die Militärs in d i e Positionen zu verweisen, die sie in einer Demokratie einzunehmen hätten. Niemand von uns wird das bestreiten. Aber der Herr Kollege Ollenhauer versäumte, die Gründe dafür anzugeben. Einer dieser Gründe, das betone ich, mag doch wohl auch darin zu suchen sein, daß die demokratischen Parteien der Weimarer Zeit gegenüber den Fragen der Reichswehr zum Teil eine gewisse Abstinenz und Reserviertheit übten, daß damals eine Fremdheit und eine Voreingenommenheit, um nicht zu sagen, eine Feindseligkeit bestanden, die sich zum Nachteil der Demokratie ausgewirkt haben. Wir sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und deshalb den künftigen Offizieren keineswegs mit einem unberechtigten Mißtrauen begegnen. Im Gegenteil, die gespannte Aufmerksamkeit, mit der wir die personelle und organisatorische Entwicklung von ihren Anfängen an verfolgen, soll eben dazu beitragen, von vornherein jenes ungesunde Mißtrauen gar nicht erst aufkommen zu lassen, das die Atmosphäre der Weimarer Republik weitgehend vergiftet hat.
    Zu dieser Aufmerksamkeit fühlen wir uns darüber hinaus auch deshalb verpflichtet, weil wir sie als Ausgangspunkt einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den politischen und den militärischen Stellen auf der Grundlage der Unterordnung des militärischen Elements unter die politische Entscheidung betrachten. Diese vertrauensvolle Zusammenarbeit aber, meine Damen und
    Herren, erscheint uns deshalb so unerläßlich, weil nur sie den Schutz unserer demokratischen Ordnung und damit der Freiheit des Staatsbürgers gewährleistet.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Heye.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hellmuth Guido Alexander Heye


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wünschte mir für meine Ausführungen die forensische Beredsamkeit der hervorragenden Redner dieses Hauses; leider verfüge ich nicht über sie.
    Nachdem die Dinge alle schon so im einzelnen erörtert worden sind und die Hauptarbeit jetzt in den Ausschüssen geleistet werden muß, möchte ich mich auf einige allgemeine Gesichtspunkte beschränken, die ich, ich will mal sagen, aus meiner persönlichen Erfahrung heraus aufzeigen möchte, um zur Beurteilung all dieser Fragen einen Beitrag zu leisten.
    Ich glaube, daß ich von den früheren Soldaten hier im Hause der mit der vielseitigsten, vielleicht auch längsten Berufserfahrung bin.

    (Zuruf von der SPD: Der „Dienstälteste"!)

    — Auch der mit den längsten Erfahrungen, nicht nur der Dienstälteste! — Ich meine aber auch, daß es für uns Altere eine Aufgabe ist, der jüngeren Generation, die die Führung zu übernehmen hat, in erster Linie mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
    Ich bin der Ansicht, daß man gerade bei dem Aufbau einer Wehrmacht der Erfahrung eine besondere Rolle zugestehen sollte. Ich glaube, daß sich die Richtigkeit der Konzeption einer Wehrmacht oder die Fehler, die man gemacht hat, erst in einem Krisenfalle oder in einem Kriegsfalle — der, so Gott will, nicht eintritt — beweisen lassen. Bis dahin besteht die Gefahr, daß die gesamte Konzeption, nach der die Wehrmacht aufgebaut wird, ihre Struktur, ihre Organisation, ihre Planung, unter Umständen eine falsche Investition bedeutet. Kein Mensch weiß, wie die Zukunft aussehen wird. Ich glaube aber, daß gerade wir auf Grund unserer — in diesem Falle kann man ja sagen: leider — sehr vielseitigen Erfahrung auch mit den wechselnden politischen Formen, die wir in unserem Leben erfahren haben, in der Lage sind, gerade auf diesem Gebiete einen Beitrag für die Zukunft zu leisten, natürlich einen Beitrag, der allein nicht beweiskräftig ist, der sich aber doch auf die lebendigen Erfahrungen der letzten vierzig Jahre stützt. So möchte ich denn meine Ausführungen heute nur unter diesem Gesichtspunkt machen.
    Selbstverständlich maße ich mir nicht alleine ein maßgebendes Urteil über all diese Fragen an. Ich glaube, daß bei der ungeheuren Aufgabe, vor der wir stehen, nämlich eine Verteidigungsorganisation völlig neu aufzubauen, jeder die Pflicht hat, an dieser Aufgabe mitzuarbeiten. Es muß eine selbstverständliche Aufgabe sein, alle Erfahrungsquellen, die überhaupt zur Verfügung stehen, auszunutzen, um der wahrscheinlich richtigen Konzeption Rechnung zu tragen.
    Ich darf vielleicht gerade hier ein Bild aus meiner eigenen Vergangenheit bringen: den Aufbau der damaligen kaiserlichen Flotte 1914. Die kaiserliche Flotte war auf der Konzeption aufgebaut,


    (Heye)

    daß der Engländer im Kriegsfalle mit seiner gesamten Flotte nach Helgoland fahren und dort eine Schlacht mit der deutschen Flotte schlagen würde. Der Engländer tat dies nicht, und infolgedessen wurde die damalige Flottenleitung vor die Frage gestellt, wie sie die ihr gestellte Aufgabe, nämlich die Sicherung der Zufuhr nach Deutschland und die Störung der feindlichen Zufuhr, lösen wolle. Sie konnte es nicht, weil die Flotte, ein Milliardenobjekt, auf Grund einer falschen Konzeption aufgebaut war. Der Engländer begnügte sich damit, die Zufuhren weit draußen zu unterbinden und Deutschland von den Weltmeeren abzuriegeln. Sie überließen es der deutschen Flotte, diesen Riegel aufzubrechen. Da die Flotte damals diese Aufgabe technisch nicht erfüllen konnte, hatten die Engländer auch ohne Schlacht ihre Einfuhr gesichert und die des Gegners unterbrochen.
    Ich führe dieses Beispiel nur an, um die Bedeutung klarzumachen, die der richtigen Konzeption für den Aufbau einer Verteidigungsorganisation auf Jahre hinaus zukommt. Eine solche Konzeption bedeutet unter Umständen nicht nur eine Fehlinvestition von Material, sondern sie bedeutet auch, daß man den organisatorischen Aufbau, wenn man erkennt, daß er falsch ist, also in einem Krisenfalle, nicht so schnell ändern kann, wie es dann notwendig wäre.
    Lassen Sie mich deshalb von diesem allgemeinen Gesichtspunkt aus nur einige Punkte, ich möchte sagen: beinahe schematisch aufzählen, die vielleicht ein Beitrag zur richtigen Beurteilung der Aufgabe sind, die vor uns steht. Ich mache noch einmal die Einschränkung, daß ich nicht behaupte, das Rezept allein zu besitzen. Ich bin vielmehr der Auffassung,
    31 daß nur durch die Zusammenarbeit aller Stellen, zu denen ich vor allem auch das Parlament rechne. die richtige Konzeption, die ja zum großen Teil eine politische Konzeption ist, gefunden werden kann. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe. diese richtige Konzeption, jedenfalls die wahrscheinlich richtige Konzeption, zu finden.
    Meine Damen und Herren, der Beginn der deutschen Wiederbewaffnung fällt nach meiner Überzeugung mit einer Zeitwende zusammen, deren Ausmaß sich überhaupt noch nicht übersehen läßt. Die Wandlung des bisherigen Weltbildes umfaßt alle Gebiete der menschlichen Existenz. Sie hat nur noch wenig mit den politischen und wirtschaftlichen, auch nicht mit den sozialen Vorstellungen der Vergangenheit gemeinsam, weder mit denen von 1914 noch mit denen von 1933 und 1939 und selbst nicht mit denen von 1945. Die deutsche Wiederbewaffnung muß unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden. Zum erstenmal in der neueren Geschichte steht eine Nation von der Bedeutung der Bundesrepublik vor der Aufgabe, eine gewaltsame und totale Unterbrechung ihrer militärischen Vergangenheit zu beenden und ohne den Ballast veralteter Strukturen einen von den Erfordernissen der Zeit diktierten Anfang zu finden.
    Diese Zäsur im politischen Leben der Bundesrepublik ist Chance und Gefahr zugleich. Die Chance besteht darin, daß die geistige Konzeption für die zukünftigen Streitkräfte einer im Fluß befindlichen Entwicklung auf weite Sicht entspricht, eine Aufgabe, die in erster Linie schöpferische, phantasiebegabte Kräfte mit politischem Instinkt innerhalb der Streitkräfte verlangt. Es gehört zur Charakteristik aller Streitkräfte, daß sie auf Grund des ihnen innewohnenden Beharrungsvermögens und ihrer strukturellen Schwerfälligkeit sich den Entwicklungen der Zeit nur allmählich anpassen. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, welche Kräfte mit welchen Vorstellungen neu beginnen.
    Damit wird aber zugleich auch die Gefahr sichtbar, die ein neuer Start in sich birgt. Zunächst gilt es, der naheliegenden Versuchung zu begegnen, es brauche nur dort begonnen zu werden, wo man einmal aufgehört habe. Die größte Gefahr liegt zweifellos darin, daß entsprechend den Anschauungen der Vergangenheit die Vorbereitung und die Durchführung der Verteidigungsmaßnahmen eine ausschließliche Sache der Militärs bzw. auch des hierfür zuständigen Spezialministeriums und nicht eine lebenswichtige Aufgabe des gesamten Volkes und jedes einzelnen Bürgers sei. Die Kämpfe um die Lebensformen der Völker werden künftighin sehr viel stärker als in der Vergangenheit von den Völkern als Ganzes und nicht allein von ihren Armeen getragen. Sie lassen sich daher nicht mehr mit den Gedankengängen oder den Konzeptionen von Militärs zurückliegender Epochen erfassen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Ich möchte gerade im Hinblick auf das, was mehrfach heute angeklungen ist, noch einmal einen Punkt herausstellen. Die künftige Stellung des Soldaten erfordert eine Änderung in der bisherigen Auffassung von der Stellung des Soldaten im Staate. Ich möchte unsere bisherige Auffassung, die auch heute noch nicht ganz überwunden ist, als die kontinentale Auffassung ansprechen im Gegensatz zur Auffassung der großen seefahrenden Völker. Bei uns und ähnlich bei anderen rein kontinental eingestellten Nationen herrschte die jedenfalls im ersten Weltkrieg noch keineswegs überwundene Auffassung, daß ein Krieg die Auseinandersetzung zwischen den beiderseitigen Streitkräften sei. Aus dieser Einstellung heraus wurde der Soldat mehr oder weniger zum allein verantwortlichen Träger der Verteidigung. Er wurde — durchaus verständlich aus dieser Anschauung heraus — in Friedenszeiten überbewertet als Angehöriger des Berufes, der sich im Ernstfall zunächst und vielleicht sogar ausschließlich für die Sicherheit der Gemeinschaft zu opfern hätte.
    Diese Grundeinstellung zum Wesen des Krieges hatte aber noch eine sehr viel weiterreichende Folgerung. Der Soldat wurde nicht nur mit der Verantwortung für die Vorbereitung der Landesverteidigung belastet; er wurde auch für Erfolg oder Mißerfolg einer kriegerischen Aktion verantwortlich gemacht.
    Im Gegensatz zu den Bürgern in Staaten wie England oder den USA fühlte sich der durchschnittliche Staatsbürger für die Fragen der Verteidigung nicht verantwortlich, und ebenso überließ es der Staatsmann — der erste Weltkrieg ist ein treffender Beweis hierfür — dem militärischen Befehlshaber, die Schwerpunkte der Kriegführung zu bestimmen. Ein Land wie England oder auch wie die USA kennt seit langem nur die eine Auffassung, daß eine kriegerische Auseinandersetzung eine totale Auseinandersetzung ist, d. h. zwischen Volk und Volk. Damit wird die Verantwortung von allen Staatsbürgern gemeinsam getragen. Der Soldat hat keine übergeordnete Funktion, sondern nur eine unter vielen Funktionen im Auftrage der Gemeinschaft.


    (Heye)

    Es bedarf keiner besonderen Erläuterung, wie weitreichend die Auswirkungen einer solchen Auffassung sind und daß aus der verschiedenen Auffassung der jeweils kriegführenden Völker weitreichende Mißverständnisse entstanden sind. Ich erinnere nur an den ersten Weltkrieg, wo die Blokkade, die sogenannte Hungerblockade, von uns als eine perfide Form der Kriegführung verstanden wurde, während sie nur der natürliche Ausdruck der Auffassung vom Wesen des Krieges seitens der anglo-amerikanischen Seemächte ist, daß nämlich der Krieg sich gegen das ganze Volk richtet und nicht nur den Soldaten als Objekt erfaßt.
    Durch das Zusammenwachsen der freien Welt verstärkt sich der Einfluß der Völker, deren Blick seit jeher auf die Meere gerichtet ist, auch auf ihre kontinentalen Partner. So wird auch die Bundesrepublik in steigendem Maße von der politischen Auffassung dieser Völker beeinflußt und wird in Abwandlung oder Oberwindung früherer Grundsätze dem Soldaten den seinen Aufgaben und Pflichten entsprechenden Platz im staatlichen Leben, genau wie es in England und in den USA bereits der Fall ist, einräumen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
    Es ist vielleicht zweckmäßig, zu betonen — man kann es, glaube ich, nicht oft genug sagen —, daß die Zeiten kriegerischer Auseinandersetzung zwischen unseren westlichen Nachbarn und uns der Vergangenheit angehören. Ich glaube, es gibt in der Bundesrepublik keinen denkenden Menschen, der solche Möglichkeit auch nur in Erwägung zieht. Ich sehe darin nicht nur einen Erfolg des europäischen Gedankens, der trotz aller Rückschläge auf organisatorisch-politischem Gebiet ständig und unaufhaltsam an Boden gewinnt, sondern auch eine Auswirkung der langjährigen Verhandlungen für das Zustandekommen der inzwischen gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Ich persönlich habe den Wert dieser Verteidigungsgemeinschaft als einen Meilenstein auf dem Wege zum geeinten Europa immer höher eingeschätzt als die militärischen Abmachungen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ein Wort zur Jugend. Ich bin sicher nicht der einzige, der ein besonderes Verständnis dafür hat, wenn die Jugend gegenüber einer neuen staatsbürgerlichen Verpflichtung zum Waffendienst skeptisch ist. Ich sehe es sogar als ein Zeichen wachsender geistiger Selbständigkeit an, wenn die eigenen Überlegungen und Zweifel bei unserer Jugend bereits in den Jahren erkennbar sind, in denen wir noch viel zu viel unkritische Begeisterung und Autoritätsgläubigkeit besaßen. Ich glaube allerdings auch, daß mehr als alle Diskussionen und alle Vorträge und Auseinandersetzungen die ersten stehenden Einheiten einer Verteidigungsorganisation, ich möchte sagen: als Modelltruppe den Beweis dafür liefern werden, daß der Geist, der in dieser neuen Truppe lebendig ist, ein Geist ist, der durchaus von jedem jungen Menschen unserer Bundesrepublik respektiert werden kann. Ich glaube deshalb, daß die Anziehungskraft der künftigen Streitkräfte gewinnen wird, daß sich eine große Propaganda erübrigt, wenn erst mal die ersten Einheiten sozusagen als lebendiger Anschauungsunterricht sichtbar werden.
    Ein Wort noch — weil es hier mehrfach angesprochen worden ist — zur Beurteilung des Soldaten. Meine Damen und Herren, ich habe die in der
    zurückliegenden Zeit immer wieder beobachtete und allen Soldaten bekannte, sagen wir einmal: Minderbewertung des Soldaten als Beruf nicht sehr tragisch genommen. Das ist eine Erscheinung, die nach jedem verlorenen Kriege bemerkbar ist. Wenn Sie in der Geschichte nachblättern, so werden Sie finden, daß es eigentlich fast in allen Staaten so gewesen ist. Der Soldat, vor allem der Berufssoldat, muß damit rechnen, daß er nach einem verlorenen Kriege in erster Linie als der Verantwortliche hingestellt wird und die Folgen zu tragen hat. Gerade aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß wir allmählich zu der englischen und amerikanischen Auffassung kommen sollten, nach der die Verantwortung für Verteidigung wie überhaupt für den gesamten militärischen Apparat vom Staat und von jedem Bürger getragen wird und nicht vom Soldaten. Der einzelne Soldat ist überfordert, wenn man das von ihm verlangt.
    Die praktische Folgerung, die ich daraus ziehe — meine Damen und Herren, nicht erst seit der Zeit nach dem Kriege! —, ist die, daß die soldatische Organisation — in diesem Falle das Verteidigungsministerium — um so stärker wird, je mehr sie sich
    auf die rein militärischen Aufgaben konzentriert
    und alle anderen tragenden Kräfte eines staatlichen Lebens zur Verantwortung mit heranzieht. Wenn die anderen Partner — ob es sich um Ministerien oder andere Organisationen handelt — nicht selber eine Verantwortung tragen, werden sie sich dieser Verantwortung auch nicht bewußt werden. Ich glaube, es ist eine Stärkung der militärischen Organisation, wenn sie sich auf die rein militärischen Aufgaben konzentriert.
    Eine Frage noch, die vielleicht in das strategische oder operative Gebiet fällt: Reicht die Stärke der vorgesehenen Wehrmacht und die der vorgesehenen Kräfte aus, um eine wirkliche Sicherung des deutschen Bodens gegenüber sowjetischen Aggressionen zu bilden? Ich will mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen; ich möchte nur darauf hinweisen, daß nach meinem Gefühl — im übrigen ein allgemein gültiger Standpunkt, der noch viel zu wenig beachtet wird — gerade die Bundesrepublik und Europa in Verbindung mit den weitreichenden Möglichkeiten der großen Seemächte wie USA und Großbritannien in der Lage sind, mit Hilfe der den sowjetischen Block umgebenden Meere und ihrer lebenswichtigen Seeverbindungswege eine militärpolitische Lage zu schaffen, die in Krisenfällen eine Überflutung unserer Heimat durch östliche Aggressoren unwahrscheinlich erscheinen läßt. Die See bietet weitreichende strategische und politische Möglichkeiten für den, der sie zu benutzen versteht. In den letzten beiden Kriegen hat die deutsche politische und militärische Führung die Bedeutung der Seeverbindungen für die militärischen Entscheidungen verkannt. Zum ersten Male in der neueren Geschichte sind wir Partner der großen seefahrenden Nationen und gewinnen dabei auch bei geringeren Stärken der stehenden Streitkräfte einen militärpolitischen Vorteil, der von den Sowjets durch die geographische Lage nicht ausgeglichen werden kann, auch nicht kräftemäßig. Machen wir uns frei von der Vorstellung, die Kraft eines Gegners nur nach den Zahlen der Menschen oder der Divisionen zu messen, die er unter den Waffen hat und ,die aus den bekanntgewordenen Beständen seiner Panzer, seiner Flugzeuge und seiner Schiffe ablesbar sind!


    (Heye)

    Bei dieser Gelegenheit darf ich kurz auch auf die Bedeutung hinweisen — zu diesem Hinweis sehe ich mich als früherer Angehöriger der Marine besonders verpflichtet —, die innerhalb unserer künftigen Streitkräfte die Marinestreitkräfte haben werden. Sie haben keinen Selbstzweck, sondern sie schließen in einem für die Gesamtverteidigung entscheidenden Brückenkopfgebiet, das Norddeutschland, Dänemark und Norwegen umfaßt, eine heute noch vorhandene Lücke in der nordatlantischen Seeverteidigung.

    (Abg. Dr. Kliesing: Sehr richtig!)

    Als meinen persönlichen Wunsch darf ich den nennen, daß ich mir auch auf anderen Gebieten eine stärkere Betonung der in der früheren Marine, in der Seefahrt überhaupt gesammelten Erfahrungen gewünscht hätte. Ich glaube, daß die Marine, und zwar die Kriegs- und die Handelsmarine, ebenso wie 'alle im Weltverkehr eingesetzten Menschen und Organisationen besonders dazu berufen sind, die Brücken zu anderen Völkern zu schlagen. Ich bin überzeugt, daß das, was wir heute Demokratie nennen, zu einem großen Teil die Staatsform der seefahrenden Völker ist, wie schon im Altertum das seefahrende Athen eine Demokratie im Gegensatz zum binnenländischen Sparta war. In seinen Vorträgen an der Frankfurter Universität hat der frühere amerikanische Botschafter George Kennan ähnliche Gedanken ausgesprochen.
    Ein kurzes Wort zum Thema Miliz und Streitkräfte. Ich glaube, es gibt keinen nüchtern denkenden Fachmann, der entgegen allen historischen Erfahrungen einer Wehrmacht, die milizartig aufgebaut ist, den gleichen Kampfwert zuerkennt wie einer aktiven Wehrmacht. Der Kern einer zu diesen Aufgaben befähigten Verteidigungsorganisation wird also immer auf stehenden Streitkräften beruhen, die sich entweder auf der Wehrpflicht oder auf der freiwilligen Dienstleistung aufbauen. Eine milizartige Organisation erscheint mir aber dort zweckmäßig und aus psychologischen Gründen begrüßenswert, wo die zahlreichen Aufgaben der Heimatverteidigung und der Zivilverteidigung in einer aufgelockerteren Form, als es in den Streitkräften möglich ist, eine stärkere Zusammenfassung verlangen. Unter diesen Aufgaben verstehe ich — um mich klar auszudrücken — nicht nur den Luftschutz und die Luftabwehr. Nach meiner Auffassung bilden die Heimatverteidigung und die Zivilverteidigung von Anfang an eine notwendige Ergänzung der Streitkräfte; das eine ist nicht ohne das andere möglich. Es muß also hier eine Form gefunden werden, bei der sowohl die Kosten niedrig sind wie die zeitliche Inanspruchnahme der ihr angehörenden Menschen kurz ist.
    Ich habe in meinen bisherigen Ausführungen, die ich auf Grund der vorangegangenen Debatte erheblich gekürzt habe, einige grundsätzliche Fragen berührt, die auch bei der Bearbeitung des Freiwilligengesetzes den Hintergrund bilden wenden. Nachdem aber heute bereits so viele Ansichten zu Einzelheiten vorgebracht worden sind, auch Gedankengänge außerhalb meiner Fraktion, Gedankengänge, die ich, wie z. B. bei meinem Kollegen von Manteuffel, durchaus teile, möchte ich mich auf die Punkte beschränken, die meiner Ansicht nach noch nicht behandelt sind oder vielleicht einer erneuten Unterstreichung bedürfen.
    Es ist auch für mich kein Zweifel, daß das Freiwilligengesetz, auch wenn es nur den Charakter
    eines vorläufigen, nach Zeit und Zweck begrenzten Einleitungsgesetzes haben soll, kein sehr glücklicher psychologischer Start für die große und gewaltige Aufgabe des Aufbaus deutscher Streitkräfte ist. Seine Form und seine Entstehungsgeschichte können nur mit den dringenden Forderungen der Außenpolitik begründet werden. Es bedarf keiner Worte, daß das deutsche Interesse an einem wohldiurchdachten Aufbau der Verteidigung durch ein solches unter Zeitdruck stehendes Gesetz nur sehr schwer gewahrt werden kann. Es wird deshalb — und ich glaube, daß ich mich mit der großen Zahl meiner Parteifreunde in Übereinstimmung befinde — zunächst die Aufgabe der zuständigen Ausschüsse dieses Hauses sein, das vorliegende Kurzgesetz dort, wo es notwendig ist, so zu ergänzen, daß die psychologischen und personalmäßigen Nachteile ausgeglichen werden. Entsprechend meinen Ausführungen zu Beginn dieser Darlegungen bestehen meine Bedenken in erster Linie darin, daß das Gesetz in dieser Form nicht die notwendige Anziehungskraft auf die Kräfte ausüben wird, die bei einem völligen Neubeginn einer so einmaligen Aufgabe als Kern der Streitkräfte notwendig sind. Sicher im Gegensatz zu manchen anderen Auffassungen in diesem Hause rechne ich zu den formgebenden Kräften nicht nur die Spitzen der militärischen Hierarchie, so wichtig sie für Geist und Menschenführung sind, sondern auch einen Kern von Persönlichkeiten in allen Dienstgraden und Laufbahnen der Wehrmacht. Ich glaube, daß keine private, keine wirtschaftliche und keine staatliche Institution auf einen solchen Kern von Persönlichkeitswerten, die dem Ganzen das Gesicht geben, verzichten kann. Eine Wehrmacht bedarf ihrer um so mehr, je größere Anforderungen an den Neuaufbau, wie er vor uns liegt, gestellt werden müssen. Nach meiner Auffassung muß ein solcher Kern von formbildenden Persönlichkeiten auch unter den 6000 Männern in finden sein — und zwar auf allen Ebenen —, die den Wehraufbau einleiten. Wir brauchen zu einem gewissen Prozentsatz Menschen, die ihre soldatische Aufgabe nicht nur als Beruf, sondern als Berufung ansehen. Ich vertrete den Standpunkt, daß gerade die früheren Soldaten jeder Rangklasse, die sich in den Nachkriegsjahren eine zivile Lebensstellung, ganz gleich, auf welcher sozialen Ebene, geschaffen haben, eine besonders wertvolle Bereicherung der künftigen Führungskräfte der Wehrmacht sein werden. Sie haben eine Erweiterung ihres gesamten Gesichtskreises erfahren, die für die Aufgaben der Menschenführung von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.
    Ich gebe ganz offen der Sorge Ausdruck, daß das Gesetz in der vorliegenden Form für diese Kräfte vielleicht nicht genügend Anziehungskraft besitzt,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    also für jenen Typ der ehemaligen Soldaten, deren Name nur in Ausnahmefällen auf den Bewerbungslisten des Verteidigungsministeriums zu finden sein wird. Wir müssen uns vor Augen halten, daß bei der Charakteristik jeder militärischen Organisation die erste Weichenstellung die Fahrtrichtung für die nächsten Jahre entscheidend beeinflussen kann.

    (Sehr richtig! beim GB/BHE.) Deshalb: Wehret den Anfängen!

    Um das Gewicht meiner Ausführungen zu unterstreichen, darf ich darauf hinweisen, daß der Neuaufbau der deutschen Verteidigungsorganisation


    (Heye)

    schon an sich entgegen der Gesetzlichkeit eines organischen und natürlichen Aufbaues von oben nach unten erfolgen muß. Allein aus dieser Tatsache wird die Gefahr erkennbar sein, die darin besteht, daß die Organisation über den Menschen, in diesem Fall die Truppe, triumphiert. Gerade bei uns Deutschen, die wir als Meister der Organisation einen Ruf genießen, besonders auch auf militärischem Gebiet, ist diese Gefahr stark ausgeprägt. Sie kann dazu führen, daß die Funktion des Kästchens und des Schemas jede lebendige Entwicklung hemmt. Sie züchtet unter Umständen jenen Typ von Spezialisten, die als Ausgangspunkt für die Beurteilung dieses oder jenes Problems zunächst einmal die Frage stellen: Wer untersteht wem?, statt der Frage: Wer arbeitet mit wem zusammen?
    Der Mensch muß im Mittelpunkt aller Planungen stehen. Jeder, der den Soldatenberuf ergreifen will, muß zunächst danach streben, Menschen zu führen, und bereit sein, Verantwortung zu tragen. Man kann nicht Menschen nur vom Schreibtisch aus führen. Heute — im Zeitalter der Technik — muß der Soldat mehr denn je Kontakt mit dem Menschen haben, auf dessen Befehl hin er seine Pflichten erfüllen soll. Ich bin keineswegs der Ansicht, wie sic heute mehrfach zum Ausdruck gekommen
    ist, daß der Kompaniechef der höchste sozusagen sichtbare Vorgesetzte für den Landser sein soll. Je mehr der Divisionskommandeur und auch seine höheren Vorgesetzten bereits im Frieden dem Soldaten als Mensch und Persönlichkeit vertraut sind, um so stärker wird sich die Einheit zu einem großen Team zusammenschließen, zu einem Team, in dem auch ohne Befehle der Untergebene im Sinne der Führung handeln kann. Ich kann daher in Ergänzung der Ausführungen des Kollegen Jaeger nur darauf hinweisen, daß die Mehrzahl der Fronttruppen ihren Divisionskommandeur, oft auch den Armeebefehlshaber, als Mensch durchaus gekannt und ihm vertraut haben. Gerade in kritischen Lagen ist dieses wechselseitige Vertrauen die Basis jeden Erfolges, nicht nur bei der Wehrmacht. In der Marine war es schon deshalb so, weil der Kommandant eines Schiffes durch das ständige Zusammenleben mit den ihm anvertrauten Menschen auf engem Schiffsraum mit ihrem Schicksal untrennbar verbunden war.
    Die Tragweite der personellen Auswahl für die künftige Wehrmacht läßt sich aus dem Aufbau der Reichswehr nach der Niederlage von 1918 erkennen. Damals gab es keine totale Auflösung der Wehrmacht. Die von den damaligen Siegern festgesetzte Größe der Reichswehr und die Zahl ihrer Offiziere ergab sich durch die allmähliche Verringerung der noch vorhandenen Einheiten des kaiserlichen Heeres, mit der naturgemäß eine Einschränkung der freien Auswahl unter den Führungspersönlichkeiten verbunden war. Im 'Gegensatz zu heute blieb das Fundament als Faktor der Beharrung und auch die damals noch sehr lebendige Tradition des Kaiserreichs erhalten. Ein Grund für die isolierte Stellung der Reichswehr im Weimarer Staat ist nach meiner Auffassung in diesen beiden Faktoren zu suchen, wobei die Absonderung — und darin stimme ich mit anderen Rednern überein — keineswegs einseitig die Schuld des Soldaten war. Es ist verständlich, daß z. B. die sich nach 1918 oder nach den Revolutionserscheinungen auch im damaligen Offizierskorps der Wehrmacht bemerkbar machenden Wünsche auf eine Strukturänderung, auf eine Reform allein an der Tatsache scheitern
    mußten, daß durch das übernommene Fundament die Beharrungskräfte damals zu groß waren.
    Ich glaube, daß Tausende von ehemaligen und auch die Eltern von zukünftigen Soldaten dankbar sein werden für die Ausführungen in der Regierungserklärung, in denen die Anerkennung und Würdigung des ehemaligen Soldaten zum Ausdruck gebracht wird. Sie werden mit uns allen die in der Regierungserklärung ausgesprochene Hoffnung teilen, daß baldigst eine Regelung der Kriegsverurteiltenfrage, die unserer Souveränität und unserer Partnerschaft mit den freien Ländern Rechnung trägt, erwartet wird. Eine befriedigende Lösung gerade der Kriegsverurteiltenfrage und ein sichtbares Bestreben der zuständigen Stellen in der Hinsicht, daß auch die Strafvollstreckung und Strafbeendigung bei den Verurteilten in Spandau nach den Gesichtspunkten geregelt werden, wie sie in den Ländern der am Nürnberger Prozeß beteiligten Staaten üblich sind, wird nach meiner Ansicht die Qualität künftiger Lehrkaders der Wehrmacht günstig beeinflussen. Die endgültige Regelung dieser unsere Souveränität beeinträchtigenden Fragen ist nicht etwa nur ein Anliegen einzelner Offiziersverbände, sondern ist allgemein — wie man immer
    wieder erfährt — der Wunsch weiter Kreise unseres Bürgertums, dem eine gesunde Grundlage für die Entwicklung künftiger Streitkräfte am Herzen liegt.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Ich appelliere an dieser Stelle noch einmal an unsere heutigen Partner und darüber hinaus an die Gewahrsamsmächte überhaupt, durch Entlassung der Kriegsverurteilten und auch der Kriegsgefangenen, gegebenenfalls auf dem Gnadenwege, einen klaren Horizont für die Beendigung der Nachkriegspsychose zu schaffen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Als einen guten Beitrag unsererseits zu diesem Komplex würde ich es ansehen, wenn auch die Kollektivbeurteilung, wie sie bei uns z. B. noch hinsichtlich der Waffen-SS gilt, praktisch beendet würde. Ich bin in dieser Hinsicht der Auffassung des verstorbenen Dr. Schumacher, daß man nicht etwa an die Stelle einer Kollektivschuld eine Kollektivunschuld setzen solle, sondern daß man diese Fragen nur nach den Grundsätzen eines Rechtsstaates und nach der individuellen Behandlung klären kann. Ich erinnere daran, daß ein großer Prozentsatz der Angehörigen der Waffen-SS durch Befehl zu ihr einberufen wurden und, soweit sie als Soldaten tätig waren, keine andere Aufgaben erfüllt haben als jeder andere Soldat, der zu seiner Formation einberufen wurde.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich unterstreiche den heute schon von verschiedenen Seiten geäußerten Wunsch, daß die Versorgung derjenigen ehemaligen Soldaten und der Kriegsopfer, bei denen sie noch nicht befriedigend gelöst worden ist, geregelt wird, da sie mittelbar einen Einfluß auf die Qualität der späteren Freiwilligen haben wird. Daß über diese noch notwendige Ergänzung der Versorgung hinaus die Ehrenpflicht von uns allen nicht beeinträchtigt werden darf, auf eine baldige Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus zu drängen, halte ich für eine Selbstverständlichkeit.
    Aus meinen Erfahrungen heraus möchte ich noch einmal auf die unbedingte Notwendigkeit hinwei-


    (Heye)

    sen, daß der Aufbau der kommenden Streitkräfte sich auf alle demokratischen Kräfte stützt. Ich hoffe deshalb, daß auch die SPD selbst bei Ablehnung des jetzigen außenpolitischen Kurses an der Verwirklichung der Wehrverfassung genau so beteiligt wird und sich beteiligt, wie sie es bisher im Ausschuß getan hat.
    Ich stelle abschließend meinen besonderen Wunsch heraus, daß das vorliegende Gesetz im Interesse der Gewinnung formprägender Menschen auf allen Ebenen des militärischen Lebens so weit ergänzt wird, daß es auch für diese Kräfte eine Anziehungskraft ausübt. Auf die weiteren Ergänzungen auf rechtlichem oder auf psychologischem Gebiet, die hier bereits angesprochen worden sind, will ich nicht weiter eingehen. Diese Dinge müssen in schärfster Konzentration in den kommenden Ausschußsitzungen behandelt werden. Dabei bin ich allerdings der Meinung, daß die Überweisung des vorliegenden Gesetzes an die Ausschüsse die Verpflichtung bedeutet, dieses Gesetz selbst unter Verschiebung der Parlamentsferien zu Ende zu bringen. Man kann nicht der Auffassung der Regierung zustimmen, daß die außenpolitische Lage eine solche Eile in der Behandlung dieses Gesetzes erfordere, wenn man nicht auch zu der Folgerung bereit ist, daß dieses Gesetz trotz der Eile mit der gebotenen Sorgfalt ausgearbeitet werden muß.
    In meinen Ausführungen habe ich mich darauf beschränkt, einige Probleme anzuschneiden, um eine gewisse Linie abzustecken, die ich auf Grund meiner eigenen Erfahrungen angestrebt sehen möchte. Der Mensch ist auch im Zeitalter der Technik entscheidend. Wir brauchen überall und vor allem in der Wehrmacht Menschen, die ihre Autorität nicht nur dem Gesetz verdanken, sondern ihrer Persönlichkeit. Nur diese Kräfte werden in Krisenzeiten das tragende Element des gesamten Aufbaus bilden. Sie werden anderen Haltung und Form geben und damit auch das Ganze halten.

    (Beifall in der Mitte.)