Rede:
ID0209302600

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2093

  • date_rangeDatum: 28. Juni 1955

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    8. Verteidigung.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 93. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. Juni 1955 5223 93. Sitzung Bonn, Dienstag, den 28. Juni 1955. Beurlaubte Abgeordnete (Anlage) . . . . 5303 A Eintritt des Abg. Berg in den Bundestag . 5223 C Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften (Freiwilligengesetz) (Drucksachen 1467, 1499) 5223 C Zur Sache: Dr. Jaeger (CDU/CSU) . 5223 C, 5230 B Erler (SPD) 5230 A, 5281 D, 5284 D, 5291 C, 5297 A, 5301 C Ollenhauer (SPD) 5231 B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 5236 A von Manteuffel (Neuß) (FDP) . . 5237 B Feller (GB/BHE) 5244 B Matthes (DP) 5247 C Berendsen (CDU/CSU) 5252 B Unterbrechung der Sitzung . 5255 B Dr. Arndt (SPD) . . . 5255 B, 5273 C, D Blank, Bundesminister für Verteidigung 5263 C Dr. Kliesing (CDU/CSU) 5264 B Heye (CDU/CSU) 5267 C Dr. Mende (FDP) . . . 5272 B, 5273 C, D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 5284 C Kiesinger (CDU/CSU) . . .. 5291 B, C, D, 5.300 C, 5301 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 5291 D Unterbrechung der Sitzung . . 5301 D Zur Abstimmung: Dr. Menzel (SPD) 5302 A Stücklen (CDU/CSU) 5302 A, C Überweisung an den Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit, an den Ausschuß für Beamtenrecht und den Rechtsausschuß 5302 B Beschlußfassung über den Antrag Druck- sache 1499 5302 C, D Nächste Sitzung 5302 D Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 89. Sitzung 5302 B Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5303 A Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den I Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
  • folderAnlagen
    Berichtigung zum Stenographischen Bericht der 89. Sitzung Seite 4973 B Zeile 12 ist zu lesen: Frau Kalinke (DP) 4981 B Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich D. Dr. Gerstenmaier 15. August Dr. Blank (Oberhausen) 30. Juli Dr. Pohle (Düsseldorf) 30. Juli Dr. Vogel 30. Juli Albers 23. Juli Dr. Graf Henckel 23. Juli Dr. Jentzsch 23. Juli Koenen (Lippstadt) 16. Juli Morgenthaler 16. Juli Pelster 16. Juli Dr. Dr. h. c. Pünder 9. Juli Schuler 9. Juli Griem 2. Juli Held 2. Juli Margulies 2. Juli Scheel 2. Juli Eberhard 1. Juli Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 1. Juli Berlin 30. Juni Elsner 30. Juni Dr. Gille 30. Juni Frau Kalinke 30. Juni Frau Keilhack 30. Juni Mühlenberg 30. Juni Müller (Wehdel) 30. Juni Neuburger 30. Juni Rademacher 30. Juni Schulze-Pellengahr 30. Juni Müller (Erbendorf) 29. Juni Dannemann 28. Juni Dr. Eckhardt 28. Juni Dr. Friedensburg 28. Juni Dr. Gleissner (München) 28. Juni Heiland 28. Juni Frau Dr. Jochmus 28. Juni Dr. Kather 28. Juni Klingelhöfer 28. Juni Kunz (Schwalbach) 28. Juni Dr. Leiske 28. Juni Lemmer 28. Juni Meyer-Ronnenberg 28. Juni Frau Dr. Maxsein 28. Juni Müser 28. Juni Raestrup 28. Juni Schloß 28. Juni Schmidt (Hamburg) 28. Juni Schoettle 28. Juni Dr. Starke 28. Juni Wehking 28. Juni Zühlke 28 Juni b) Urlaubsanträge Dr. Dresbach vom 4. bis zum 16. Juli
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    Rede von Dr. Adolf Arndt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man der Debatte heute vormittag folgte, so konnte man sich mit Ausnahme der Rede des Herrn Kollegen Berendsen fragen, wer eigentlich hinter diesem Gesetz steht. Ich weiß nicht, ob die Abwesenheit der gesamten Bundesregierung mit Ausnahme des Herrn Verteidigungsministers bedeutet, daß auch sie nicht mehr zu dem Gesetz steht.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Es sieht beinahe so aus.
    Für uns Sozialdemokraten habe ich zu dieser Vorlage zu sagen: „Nicht jetzt!" und „Nicht so!".
    Nicht jetzt! Damit ist gesagt: diese Vorlage kommt außenpolitisch zur Unzeit. Die Pariser Verträge sind völkerrechtlich verbindlich; aber sie zwingen
    uns in keiner Weise, blindlings eine solche Gesetzgebung zu überstürzen. Darüber hat mein Freund Erich Ollenhauer heute morgen das Notwendige gesagt.
    Nicht so! Das heißt, die Art dieser Vorlage ist ungeeignet zur Beratung.
    Nicht so! Das bedeutet jedoch weit darüber hinaus, daß wir hier innerpolitisch und staatspolitisch vor einer außerordentlichen Entscheidung stehen. Oft schon ist von der öffentlichen Meinung beklagt worden, wie der außenpolitische Streit unseren Blick von den innenpolitischen Aufgaben und Gefahren abgelenkt hat. Ich will deshalb hier in meinen Ausführungen jetzt ausschließlich davon sprechen, welche staatspolitischen Probleme, welche Grundfragen unserer Demokratie durch eine Bewaffnung aufgeworfen werden.
    Uns bewegt die Sorge, daß durch die Art dieser Gesetzesvorlage und durch die Art der weiteren Gesetzentwürfe die geschichtliche Stunde versäumt wird, in der es gilt, ein solches Gesetz überhaupt erst beratungsfähig zu machen. Die gleiche Beunruhigung hat offenbar auch den Bundesrat ergriffen Der Bundesrat hat in seiner einhellig beschlossenen Stellungnahme erklärt:
    Dieser Gesetzentwurf . . .
    — ich darf es wörtlich zitieren —
    versucht die Regelung eines Teilproblems ohne Klarheit über die Wehrverfassung als Ganzes.
    Diese Klarheit hat auch die gestern von dem Herrn Verteidigungsminister hier iabgegebene Regierungserklärung nicht gebracht, oder man muß sagen: diese Regierungserklärung war eine klare Absage, durch die alles abgelehnt und verneint worden ist, was den Namen einer Wehrverfassung verdienen würde.

    (Beifall bei der SPD.)

    In der 17. Sitzung des Bundestages am 26. Februar 1954 hat mein Freund Fritz Er 1 er im Namen der sozialdemokratischen Fraktion unsere Vorstellungen zu einer Wehrverfassung entwickelt. Erler hat hierbei zwei gesetzgeberische Vorhaben eindeutig unterschieden. Das eine ist die Verwirklichung einer bewaffneten Macht, die von der Mehrheit dieses Bundestages auf ihre Verantwortung hin beschlossen ist. Das andere ist die uns dadurch n e u gestellte Aufgabe: wie sichern wir unsere Demokratie vor den Gefahren, die notwendig für die Freiheit daraus erwachsen, und wie schützen wir die Menschen, denen ein Wehrdienst auferlegt werden soll?
    Auch dieses von uns frühzeitig vorgetragene Anliegen hat der Bundesrat sich zu eigen gemacht. In seiner einmütigen Stellungnahme zu diesem Gesetz hat der Bundesrat gesagt:
    Die Aufstellung 'deutscher Truppen — lautet sein Beschluß —
    muß so erfolgen, daß sie in die rechtsstaatliche, demokratische und bundesstaatliche Grundordnung der Bundesrepublik eingefügt werden.
    „Einfügen in die Grundordnung" kann doch wohl nur heißen: im Grundgesetz sind Einrichtungen zu schaffen, die gewährleisten, daß die bewaffnete Macht kein Fremdkörper im Staate wird, der die Freiheit gefährdet.


    (Dr. Arndt)

    Demokratie und Militär sind bei allen Völkern und zu allen Zeiten schwer miteinander vereinbare Gegensätze gewesen. Demokratie ist ihrem Wesen nach Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Das Gesetz des Militärs aber ist der Gehorsam in einem Verband, der durch Befehl regiert wird. Demokratie ist Aufteilung der Macht und Gleichgewicht durch gegenseitige Kontrolle. Militär ist Zusammenballung der Macht und Unterordnung.
    Das ist kein Werturteil nach der einen oder anderen Seite; das sind harte Wirklichkeiten, die gemeistert werden wollen. Ein noch so guter Wille allein genügt dazu nicht, auch keine beiderseitigen Ehrenerklärungen. Die Ehrenerklärung, die gestern der Herr Bundesminister für Verteidigung hier für die Soldaten abgab, entspricht unseren Überzeugungen. Aber hätte sie nicht auch zur Besinnung zwingen müssen, welche Ursachen es denn hatte, daß deutsche Soldaten und mit ihnen unser gesamtes Volk in eine so tragische Lage geraten konnten?

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Denn beide Seiten, Demokratie und Militär, haben ein Anrecht darauf, vor der Wiederkehr solcher Tragik bewahrt zu bleiben. Wir tun beiden damit einen besseren, einen notwendigen Dienst, erst und vorher die Fehlerquellen, die Schwächen und Anfälligkeiten zu untersuchen und die daraus drohenden Konflikte zu vermeiden, damit es nicht erst nachträglich einer Ehrenerklärung bedarf.
    Unter diesem Gesichtspunkt war die Regierungserklärung nichtssagend und unbefriedigend.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Am Ende konnte man sich nur fragen: War das alles? Denn dann war es ja nichts! Hätten wir nicht erwarten dürfen, daß die Bundesregierung sich zu den Gedanken äußerte, die von uns Sozialdemokraten bereits im Februar 1954 hier dargelegt worden sind?
    Im Anschluß an jene Bundestagsdebatte habe ich den sozialdemokratischen Standpunkt in der 9. Sitzung des Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht am 16. März 1954 nochmals unterstrichen. Damals hat mir der Herr Kollege von Merkatz darin zugestimmt, daß man — wie er sich kriegerisch ausdrückte - keine „Panzerwagentaktik" machen solle. Nun, die Art, wie dieses Gesetz hier zusammengehauen worden ist und wie man es rücksichtslos durchzustoßen versucht, — ich glaube, die ist das Sturste, was es je gab.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber mehr und ernster noch: diese Art widerlegt alle wortreichen Aufforderungen, die man dann und wann an uns zur Mitarbeit zu richten pflegt. Sie mögen es damit halten, wie Sie wollen, — uns wird nichts hindern, 'hier den Auftrag zu erfüllen, den uns 8 Millionen Wähler erteilt haben. Unsere Pflicht ist es daher, aufzuzeigen, daß die Regierungserklärung keineswegs die Mängel behoben hat, die auch der Bundesrat gerügt hat.
    Wenn sich Westdeutschland bewaffnen soll, so befindet es sich nicht nur außenpolitisch durch die Spaltung, sondern auch verfassungspolitisch in einer Lage, für die es in der Geschichte der kontinentaleuropäischen Verfassungsstaaten kein Vorbild und keinen Vergleich gibt. In den freien Ländern Westeuropas ist überall das Bestehen einer bewaffneten Macht den gegenwärtigen Staatsverfassungen vorausgegangen. Einzig in Deutschland haben wir eine
    Verfassungsurkunde, die, abgesehen von einigen späteren Einsprengseln aus dem Frühjahr 1954, die Frage eigener Streitkräfte nicht kennt, weil es in dem Zeitpunkt, als das Bonner Grundgesetz geschaffen wurde, keine deutsche Bewaffnung gab. Somit entsteht für uns ganz neu die Frage, ob die bisherige Grundordnung ausreicht und ob die Verfassungsorgane schon hinreichende Befugnisse besitzen. Hierzu hat der Herr Verteidigungsminister gesagt — ich darf das wörtlich zitieren —:
    Die parlamentarische Kontrolle soll stärker durchgeführt werden, als das früher in Deutschband der Fall war.
    Nach diesen vielversprechenden Worten durfte man gespannt erwarten, wodurch diese Zielsetzung bewerkstelligt werden sollte.
    Weil die Streitkräfte ein Teil der Exekutive sind, hieß es dann später in der Regierungserklärung,
    unterstehen sie der dem Parlament verantwortlichen Bundesregierung und damit der Kontrolle des Parlaments.
    Ich darf Sie bitten, sich der Rechtslage unter der Weimarer Reichsverfassung zu erinnern. Damals gab es eine echte parlamentarische Verantwortlichkeit des Reichswehrministers, der vom Vertrauen des Reichstages abhängig war. Was es allerdings damals noch nicht gab, waren parlamentarisch unkontrollierte Geheimfonds, wie sie jetzt üblich geworden sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die rechtliche Stellung des Reichstages war also dem Reichswehrminister gegenüber erheblich stärker als jetzt die Rechtsstellung des Bundestages gegenüber dem Bundesverteidigungsminister. Trotzdem entwickelte sich die Reichswehr zu einem Staat im Staate. Ich will aber gar nicht die Schuldfrage untersuchen; hier kommt es nur auf die geschichtlichen Tatsachen an. Obwohl also die Weimarer Reichsverfassung dem Reichstag mehr Rechte gegenüber der Reichswehr einräumte, als das Bonner Grundgesetz sie dem Bundestag gewährt, konnte jene Fehlentwicklung der Reichswehr nicht verhindert werden. Diese Fehlentwicklung war gewiß nicht die einzige Ursache für den Untergang der Weimarer Republik, aber war eine der Ursachen, die zu der staatspolitischen Katastrophe der Jahre 1932/1933 führten und die Rechtlosigkeit der folgenden Jahre sowie das immer noch unermeßliche Unheil der Hitlerverbrechen heraufbeschworen.
    Daher kann man sich für die parlamentarische Kontrolle bewaffneter Streitkräfte nicht lediglich darauf berufen, daß der Bundestag dem Bundeskanzler gegenüber das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum besitzt. Weder der erste noch der zweite Bundestag ist bisher in der Lage gewesen, auch nur die Bürokratie zu kontrollieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Woher nimmt man da die Kühnheit, daß ein mit einer Wehrmacht überhaupt nicht rechnendes Grundgesetz das notwendige Mindestmaß an rechtlichen und wohlgemerkt wirksamen Handhaben biete, um eine solche parlamentarische Kontrolle in die Tat umzusetzen? .
    Der Herr Verteidigungsminister hat ferner gesagt:
    Wir wollen Streitkräfte in der Demokratie, die sich dem Vorrang der Politik fügen.


    (Dr. Arndt) Und:

    Die zivile Leitung muß den Vorrang der Politik sichern.
    Hier ist ein richtiger Gedanke zumindest etwas unklar ausgedrückt. Es geht doch nicht um einen Vorrang der Politik — denn, um einen Namen zu nennen: der General von Schleicher der Weimarer Zeit hat ja mit Vorrang Politik getrieben —,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern es geht darum, daß die bewaffnete Macht keine Politik treiben darf,

    (erneuter Beifall bei der SPD)

    keine andere Politik als die zu den politischen Entscheidungen berufenen Verfassungsorgane, und deshalb darum, sicherzustellen, daß sich die militärische Gewalt der zivilen unterordnet. Auch insoweit haben wir nicht mehr zu hören bekommen als bloß den frommen Wunsch des Herrn Verteidigungsministers, daß es so werden möge und daß er die Hoffnung hegt, die zivile Gewalt werde sich stärker erweisen als die militärische. Aber Wünsche und Hoffnungen sind nicht genug. Worum es geht, ist die Forderung nach verfassungsrechtlichen Institutionen, die in der Hand demokratischer Politiker sowie mit Unterstützung der öffentlichen Meinung und eines demokratisch denkenden Volkes wenigstens die Möglichkeit gewährleisten, daß das Bestehen einer bewaffneten Macht kein Staat im Staate wird und sich nicht wieder zu einer Bedrohung der inneren Freiheit auswächst.
    Selbst in gewachsenen Demokratien wie in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Schweden kennen die Staatsverfassungen mit Grund sehr wohl überlegte und mit außerordentlichen Befugnissen ausgestattete rechtliche Einrichtungen, die das Ziel einer Eingliederung der bewaffneten Macht in die demokratische Grundordnung sichern sollen. Ausgerechnet wir in Deutschland sollten trotz aller bitteren Erfahrungen unserer Geschichte solche Vorsorge entbehren können? Hierzu wußte der Herr Verteidigungsminister nur zu sagen: aus rechtlichen Gründen bedürfe es keiner formellen Ergänzung des Grundgesetzes. Diese rechtlichen Gründe sind uns nicht genannt worden. In den Wortprotokollen des Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verf assungsrecht kann man aber nachlesen, daß im 1. Bundestag der Kollege Herr Professor Dr. Wahl als Berichterstatter zum EVG-Vertrag den Standpunkt verfochten hat, nur die supranationale Form der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ermögliche die Bewaffnung durch einfaches Gesetz, dagegen würde das Aufstellen eigener westdeutscher Streitkräfte einer verfassungsrechtlichen Fundierung im Grundgesetz bedürfen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich empfehle dem Herrn Bundesminister für Verteidigung, einmal diese Protokolle nachzulesen und darin zu sehen, was sein Fraktionsfreund als Berichterstatter im 1. Bundestag hierzu gesagt hat. Diese Fundierung kann nicht darin gefunden werden, daß inzwischen dem Bund die Kompetenz für eine Gesetzgebung zur Verteidigung zugesprochen wurde; denn auch die Fraktionen der Regierungskoalition waren sich im Februar 1954, also noch zur Zeit des EVG-Vertrages, darüber einig, daß es sich dabei um ein unvollendetes Stückwerk handele. Nicht die verfassungsrechtliche Lage hat sich
    inzwischen geändert, sondern nur die Einigkeit der Koalition mit dem Gesamtdeutschen Block/BHE. Damals hat Herr von Merkatz in der 17. Sitzung des Bundestages am 26. Februar 1954 die bekannte Erklärung abgegeben, die ich doch noch einmal mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten im Wortlaut in Ihr Gedächtnis rufen darf. Herr von Merkatz hat — das gehörte an sich nicht in seine Berichterstattung hinein — damals gesagt:
    Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich eine die Koalitionsparteien bindende Erklärung zum Protokoll der heutigen Sitzung abgeben. Die Koalitionsparteien, d. h. die Mehrheit auch des Ausschusses, sind sich darüber einig, daß folgende drei Problem k r eise bei der Schaffung einer später auszuarbeitenden Wehrverfassung einer ausdrücklichen Regelung in der Verfassung bedürfen. Die Koalitionsparteien stimmen darin überein, daß die künftige Wehrverfassung eindeutig klarstellen m u ß , daß die Wehrverwaltung eine Bundesverwaltung sein muß, daß ferner die erforderliche Regelung des Oberbefehls gemäß der deutschen Verfassungstradition ausdrücklich im Grundgesetz erfolgen muß und daß außerdem die in der Drucksache 124 unter Ziffer 1 angesprochene Frage der landsmannschaftlichen Gliederung im Rahmen der Wehrverfassung eine verfassungsrechtliche Entscheidung finden muß.
    Ich will jedoch auf diese Rechtsfrage nicht weiter eingehen; denn es ist eine unzureichende Begründung, wenn es in der Regierungserklärung heißt, rechtliche Gründe erforderten keine Umgestaltung des Grundgesetzes. Selbst wenn es zuträfe, daß rechtlich eine formelle Verfassungsänderung entbehrlich wäre — was gar nicht diskutabel ist —, so besagt diese juristische Argumentation noch nichts über die politischen Erfordernisse.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Die wirkliche, von dem Herrn Bundesverteidigungsminister überhaupt nicht berührte Frage ist staatspolitischer Art und lautet: Ergeben sich aus dem Aufstellen einer bewaffneten Macht verfassungspolitische Notwendigkeiten?
    Meine Damen und Herren, man braucht nur den Entwurf des Soldatengesetzes zur Hand zu nehmen — des Soldatengesetzes, das ja auch in der heute zur Debatte stehenden Regierungserklärung seinen Platz hat und das dem Bundesrat schon eingereicht ist —, um gewahr zu werden, daß aus der Eigenart und dem Wesen des Soldatischen notwendig verfassungspolitische Probleme entstehen. Diese Probleme zwingen zu Lösungen sowohl durch eine Um- und Neugestaltung der Verfassungsorgane als auch durch eine Anpassung an die Grundrechte. Dieser Problematik läßt sich nicht dadurch ausweichen, daß man die bewaffnete Macht als bloße Einrichtung der Verwaltung behandelt und den Soldaten als Verwaltungsangehörigen verkleidet.
    Gleich eingangs muß die Begründung zum Soldatengesetz selbst eingestehen, daß sich auf den Soldaten die für Beamte geltenden Rechtsgrundsätze nicht einfach übertragen lassen. Der soldatische Dienst — sagt die Begründung — ist durch das Begriffspaar Befehl und Gehorsam gekennzeichnet. Dieser Gehorsam, der in der Tat einen Kern des Soldatischen ausmacht und ohne den es in der ganzen Welt keine bewaffnete Streitmacht geben kann und geben wird, ist in seiner Substanz, seinem Ge-


    (Dr. Arndt)

    halt wesensverschieden von der Weisungsgebundenheit des Beamten. Die Hingabe, die vom .beamten an seinen Dienst erwartet wird und die man mit Recht ein Treueverhältnis nennt, beruht auf seiner Selbstbestimmung und auf eigenem Entschluß, so daß es ihm jederzeit freistehen muß, aus dem Dienst zu scheiden. Gewiß mögen in der Lebenswirklichkeit praktische Gründe, insbesondere sozialer Art, einen solchen Entschluß bis zur tatsächlichen Unmöglichkeit hin erschweren. Aber die Idee des Beamtentums, sein Ethos, sein Bewußtsein bleiben von dieser letzten Rechtsgrundlage her doch ein anderes als das Soldatische, das über die Hingabe hinaus seinen Rechtscharakter und seinen sittlichen Gehalt aus einer gewissen Selbstaufgabe empfängt. Denn es kann durchaus auch eine die menschliche Würde wahrende Tugend sein, das eigene Ich einer Aufgabe aufzuopfern. Daß dieses einer Selbstbestimmung weitgehend Entsagen dem Soldatischen innewohnt, zeigt sich in der Regel, daß der Soldat, auch der sonst grundsätzlich freiwillige Berufssoldat, kein uneingeschränktes Recht auf jederzeitige Entlassung haben soll, wie die Begründung zum Soldatengesetz feststellt. Dieses Entsagen wird noch deutlicher durch das ebenfalls von der Begründung zum Soldatengesetz hervorgehobene Notstandsrecht des Vorgesetzten, der sich Gehorsam selbst mit der Waffe zu erzwingen befugt ist. Dieses Einschmelzen des eigenen Ich in den geschlossenen Verband der bewaffneten Einheit zeigt sich ferner in der grundsätzlich entlastenden Wirkung des dienstlichen Befehls mit der Folge, daß der Soldat insoweit aufhört, als Person selbständig zu sein und für sein Tun und Lassen insoweit eigene Verantwortung zu tragen. Dieser Selbstverzicht geht, wie die Begründung zum Soldatengesetz ausspricht, bis zum Opfer von Leib und Leben, wenn dieses Opfer erforderlich ist, um mit allen leiblichen und geistigen Kräften der soldatischen Aufgabe gerecht zu werden. Durch dieses Soldatische wird also ein Herrschaftsverband zusammengeschweißt, über den zu gebieten ungleich verantwortungsvoller ist und unvergleichlich mehr Macht verleiht als die Weisungsbefugnis über einen Beamtenkörper;

    (Zustimmung bei der SPD)

    und dies um so gewaltiger, weil jener Verband als einziger ein Monopol einer Bewaffnung besitzt, der innerhalb des Staates heutzutage einfach nichts sonst entgegengesetzt werden kann, eine Bewaffnung, die dazu befähigt, jeden anderen Willen zu brechen und alles, was sich ihr widersetzt, zu vernichten.
    Die Begründung zum Soldatengesetz sagt deshalb: „Die Streitkräfte verfügen über die Waffen des Staates. Diese Funktion und die Geschlossenheit ihres Aufbaus verleihen ihnen Macht." Das Soldatengesetz zieht daraus allerdings nur den Schluß, daß die staatsbürgerlichen Rechte der untergebenen Soldaten eingeschränkt werden müßten. Wie aber diese Macht zu einer i m Staat und d e m Volke dienenden Macht beherrscht, beaufsichtigt, eingeordnet und eingefriedet werden soll, davon schweigen erstaunlicherweise die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung. Als ob ihr dieses uralte Verfassungsproblem völlig unbekannt sei, ja als ob in der deutschen Geschichte die Versuchung dieser Macht, ein Staat im Staate zu werden, mehr noch, sich selbst den Staat einzuverleiben, noch niemals Unheil über das Volk heraufbeschworen hätte!

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das ist keine Frage des guten Willens. Die politische Pathologie lehrt uns, welche Eigengesetzlichkeit, welche Eigendynamik jeder Macht und ,dieser militärischen als der stärksten Macht innewohnt, wenn nicht das Menschenmögliche geschieht, diese Kräfte institutionell einzugliedern durch die Einrichtungen, die ihren rechtlichen Ort in der Verfassung haben und der Aufgabe dienen, aus Macht und Verantwortlichkeit das staatserhaltende Gleichgewicht immer neu zu erschaffen.
    Keiner von uns wird sich dem trügerischen Wahn hingeben, daß man Normen schmieden könnte, die kein Geschichtssturm zerreißt. Die Rechtsgedanken einer Verfassung Wirklichkeit werden zu lassen, das gesetzliche Wort mit Leben zu erfüllen, dieser geschichtliche Auftrag beginnt erst jenseits der gesetzgeberischen Arbeit und bleibt stets das schwerste Stück eines niemals aufhörenden Weges, der ein Werk auch der Verfassungsmoral ist. Aber schlechterdings 'auf jedweden Versuch zu verzichten, diese verfassungspolitische Frage mit verfassungsgerechten Mitteln, den Mitteln, die man in allen gleichartigen Verfassungen der Welt finden kann, zu lösen, das ist noch nicht ,dagewesen.
    Hier soll mit verbundenen Augen ein unwiderruflicher Schritt ins Ungewisse getan werden, und das in einem innerpolitisch ohnehin schlechten Klima und .auf die Gefahr hin, für dieses Klima geradezu einen Wettersturz hervorzurufen. Unser Volk leidet nicht nur unter der Spaltung, die in der Regierungserklärung mit keiner einzigen Silbe erwähnt wurde; uns zerklüftet auch der außenpolitische Streit. Aber dieser außenpolitische Streit erklärt weder noch rechtfertigt er innerpolitische Erscheinungen, die uns ,damit bedrohen, daß wir selbst in Westdeutschland bald kaum mehr wissen, ob wir noch ein einziges Volk oder im äußeren Rahmen desselben Staates zwei verschiedene Völker sind. Wenn man die Landtagswahlen, ja sogar die Gemeindewahlen der letzten Jahre verfolgt, stellt man fest: ihnen allen ist gemeinsam, daß die gegenwärtige Bundesregierung ein auch innerpolitisches Hauptziel daran erblickt, negativ und unter allen Umständen 08/15 gegen die Sozialdemokratie zu Felde zu ziehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich will Ihnen nur zwei Beispiele dafür nennen, bis zu welchen Auswüchsen das geht, — oder drei Beispiele; wir sind heute morgen um das dritte „'bereichert" worden,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    wenn man es eine „Bereicherung" nennen kann. Mein Freund Ollenhauer hat heute morgen schon von dieser Broschüre „Vom künftigen Soldaten" gesprochen und gesagt, daß es doch wohl untunlich war und verfrüht erschien, eine solche Broschüre herauszugeben, ehe das Parlament sich zu den Grundsätzen über das künftige Soldatentum geäußert hat. Aber damit nicht genug! Wenn Sie die ersten Seiten lesen, dann werden Sie finden: das ist reinste Parteipropaganda der Bundesregierung, etwa so nach der Melodie: „Der gute, liebe Bundeskanzler, der hat immer recht, und er macht eine Politik, die in Deutschland ¡die allerbeste ist". Ja, meine Damen und Herren — Herr Bausch, da ist nichts zu lachen! —, das ist Parteipropaganda am Kasernentor!

    (Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Arndt)

    Wenn sie so anfangen, schon ehe der erste Rekrut eingekleidet ist, dann werden Sie eine Armee parteipolitischer Art der Regierungskoalition bekommen, aber keine, die Angelegenheit des ganzen Volkes ist.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Ich bedaure sehr, daß der Herr Bundeskanzler nicht anwesend ist; aber es stört mich nicht. Ich muß trotzdem in diesem Zusammenhang bei der Behandlung des innerpolitischen Klimas, in das diese Frage hineingestellt wird, auf einiges von dem eingehen, was der Herr Bundeskanzler heute morgen gesagt hat. Ich wollte es eigentlich im Anschluß an eine Äußerung tun, die er unwidersprochen kürzlich in Washington gemacht hat. Aber wir haben heute morgen noch einiges Weitere dazu gehört. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, der Chef der Opposition in Deutschland, unser all e r Kollege Erich Ollenhauer, übersehe „in sehr versöhnlicher Weise", daß es in der sowjetisch besetzten Zone 150 000 Deutsche gebe, die schon bewaffnet seien. Nun, der Sinn oder Untersinn dieser Äußerung war für alle unmißverständlich. Der Herr Kollege Ollenhauer, der Ihrer aller Kollege ist, sollte hier in eine Tuchfühlung mit dem Regime in dier sowjetisch besetzten Zone gebracht werden.

    (Zuruf von der Mitte: Das ist eine falsche Unterstellung! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Erlauben Sie mal, warum spricht denn der Herr Bundeskanzler von einer „sehr versöhnlichen Weise", obgleich Herr Ollenhauer von der Bewaffnung in der sowjetischen Zone weder gesprochen hat noch zu sprechen in diesem Zusammenhang irgendeinen Anlaß besaß? Aber seien Sie ganz beruhigt, es kommt ja mehr! Der Herr Bundeskanzler hat dann weiter gesagt — ich will auch das mit aller Gelassenheit zitieren; Sie brauchen nicht zu erwarten, daß ein Sozialdemokrat sich über diese Äußerungen erzürnt, denn diese Äußerungen sind nicht wert, daß ein Sozialdemokrat sich ihretwegen
    erzürnt —,

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von den Regierungsparteien)

    die Politik der Sozialdemokratischen Partei hätte — wenn sie sie hätte ausführen können — dazu geführt, daß 50 Millionen Deutsche im Westen und 18 Millionen Deutsche im sowjetisch besetzten Gebiet wie Lämmer !in das Schlachthaus geführt worden wären.

    (Zuruf von der SPD: Ungeheuerlich!)

    Nun, ich habe einen Trost hierbei. Ich weiß, daß es in dieser Frage eine interfraktionelle Auffassung gibt und auch in Ihren Fraktionen, wenn Sie es auch nicht sagen, manch einer, ,ich hoffe, eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen sitzt, die beim Anhören dieser Äußerungen dasselbe fühlten und dachten, was wir Sozialdemokraten empfinden mußten, daß nämlich im günstigsten Fall der Herr Bundeskanzler sich nicht klar war über das, was er hier äußerte, und daß er auch die Auswirkung solcher Äußerungen nicht übersah.
    Ich stelle aber diese Äußerungen, die ja nicht das erste Mal gefallen sind, sondern die wir jetzt seit 1949 in jeder Debatte dieser Art erleben, als Fakten hin gegenüber den Worten, mit denen wir dann und wann und gelegentlich zur sogenannten Mitarbeit aufgefordert werden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sehen Sie, Mitarbeit gibt es in demokratischen Ländern und Staaten. Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen die Frage aufgeworfen, ob wir etwa über Demokratie verschiedene Meinungen hätten. Nun, ich fürchte, diese Meinungen sind in der Tat verschieden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Denn was wir uns unter Demokratie vorstellen, entspricht ungefähr dem, was man in England und was man in den Vereinigten Staaten von Amerika darüber denkt. Das heißt nämlich, daß sich eine Mehrheit in staatspolitischen Fragen um die Minderheit bemühen und sie als gleichrangig anerkennen muß.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir sehen Beispiele dafür etwa in der Art, wie Sir Winston Churchill, als er Premierminister war, gegen Ende des Krieges seinen möglichen oder präsumtiven Nachfolger Mr. Attlee schon auf eine internationale Konferenz mitnahm. Oder das Beispiel in den Vereinigten Staaten ist in diesem Zusammenhang anzuführen, daß der gewählte Präsident seinen durchgefallenen Gegenkandidaten als seinen Sonderbotschafter auf eine Weltreise
    schickte oder daß Präsident Truman gerade seinen parteipolitischen Gegner Mr. Dulles, der inzwischen selbst später Außenminister wurde, mit besonderen diplomatischen Missionen betraute.
    In diesem Zusammenhang ist ein Vorfall wichtig, der sich genau mit dem deckt, was wir heute morgen hier erlebt haben. Nach unwidersprochenen Zeitungsberichten — ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus der „Süddeutschen Zeitung", einem angesehenen Blatt, in ihrer Ausgabe vom 18./19. Juni zitieren; sie bringt es als einen namentlich gezeichneten Bericht ihres in Washington damals anwesenden Korrespondenten Walter Gong — ist der Herr Bundeskanzler bei seinem letzten amerikanischen Aufenthalt gefragt worden: „Werden Sie Herrn Ollenhauer nach Moskau mitnehmen?" Und der Herr Bundeskanzler hat darauf geantwortet:
    Na, haben Sie denn nicht gehört, was Renner zu seinen Kommunisten gesagt hat? Er hätte schon immer prophezeit, daß der Adenauer schneller nach Moskau kommt als die deutschen Kommunisten.
    Sehen Sie, Herr Kollege — ich unterbreche einmal die Verlesung —, Sie haben sich vorhin so aufgeregt über diese Tuchfühlung mit den Kommunisten. Der Herr Bundeskanzler wird gefragt, ob er den Chef der demokratischen Opposition zu einer außerordentlich wichtigen Auslandsreise mitnehmen will, und die erste Antwort, die ihm auf die Zunge kommt, ist: Er spricht von den deutschen Kommunisten, von denen ja gar nicht die Rede war, und dann fügt er hinzu:
    Ja, und Ollenhauer? Man kann nie wissen, aber, wissen Sie, ich müßte dann noch zu sehr aufpassen.

    (Zurufe von der SPD: Das ist Denunziation! — Das sind die deutschen Staatsmänner!)

    Nun überlegen Sie einmal selbst: Glauben Sie, daß Sir Winston Churchill oder der jetzige britische Premierminister Eden, im Auslande gefragt, ob er Mr. Attlee irgendwohin mitnehmen würde, ant-


    (Dr. Arndt)

    worten könnte, er müßte dann auf Mr. Attlee noch zu sehr aufpassen?

    (Abg. Kiesinger: Er hätte ja auch keinen Grund!)

    Mehr will ich nicht dazu sagen.
    Ich glaube, die Auffassungen über Demokratie unterscheiden sich doch ganz erheblich dadurch, daß nach unserer Meinung Demokratie nicht persönliche Verunglimpfung des Andersdenkenden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, das war notwendig, weil wir uns klar sein müssen über das politische Klima, das innerpolitische Klima, in das man dieses Gesetzgebungswerk hier hineinstellen will.
    Zu diesem Klima gehört noch eins, was ich doch nicht unter den Tisch fallen lassen möchte. Ich muß noch einmal zurückkommen auf die Broschüre vom künftigen Soldaten, weil in den Einleitungssätzen der Broschüre etwa sichtbar wird, worum es geht: eine ganz bestimmte Ideologie, fast schon ein Mythos, die Illusion der westdeutschen Sicherheit. Um dieser Illusion willen soll die Opposition gegen die Regierungspolitik — und das ist doch der Unterton immer unter allem —, die demokratische Opposition gegen die Regierungspolitik auch als eine diffamierte Opposition gegen die eigene Sicherheit erscheinen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Glaubt man denn im Ernst, auf diesem Wege etwas anderes zu bekommen als eine Regierungstruppe statt einer Streitkraft, die vom Vertrauen des ganzen Volkes getragen ist? Es geht also nicht um einen juristischen Streit darüber, ob formell das Grundgesetz einer Neugestaltung bedarf, sondern um eine einmalige Aufgabe der Verfassungsmoral und Verfassungspolitik.
    Die Notwendigkeit, jedweder bewaffneten Macht im Grundgesetz das Fundament zu schaffen, hat staatspolitische Ursachen. Hier ist die erste Frage die: Wer beruft die Befehlshaber und wer beaufsichtigt sie? Diese Frage enthält viel mehr als das Ernennungsrecht allein. Auch wäre es eine Verkennung dieser Frage, wollte man sie nur unter dem negativen Gesichtspunkt des Mißtrauens oder sogar des Mißtrauens nur gegen die Militärs sehen. Unser Bestreben wird vielmehr sein, eine bewaffnete Macht vor der Abkapselung und vor dem Mißbrauch zu bewahren. Wenn schon von Mißtrauen oder von Mangel an Vertrauen die Rede ist, so kann man ihm nicht so begegnen, wie die Regierungserklärung es unternommen hat. Letzten Endes will uns die Regierungserklärung glauben machen: es wird schon alles gut gehen, weil die gegenwärtige Bundesregierung sich dafür verbürgt. Oder wenn ich die Worte des Herrn Verteidigungsministers zusammenfassen kann, so lauten sie eigentlich so: Wo ich stehe, ist es immer zivil. Aber es handelt sich doch nicht um eine Augenblicksfrage. Auch müssen sich die Bundesregierung und ihre Mehrheit eins sagen lassen: die gegenwärtig in Westdeutschland herrschenden politischen und gesellschaftlichen Kräfte sind der Opposition allzuviele Beweise schuldig geblieben, so daß wir diese Ermächtigung zum Vertrauen auf Vorschuß keineswegs erteilen können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Frage des Ernennungsrechtes kann deshalb nicht als eine Angelegenheit formaler Art oder der
    Repräsentation behandelt werden. Sie hängt unlösbar mit einer gesetzlich gesicherten und dauernden Institution, dem Personalausschuß, zusammen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Im Soldatengesetz ist vorgesehen, daß der Herr Bundespräsident die Berufssoldaten, die Soldaten auf Zeit und die Reserveoffiziere ernennt. Gewiß wird es rechtspolitisch keinen Zweifel daran geben, daß eine formelle Befugnis dieser Art nur vom Staatsoberhaupt ausgeübt werden kann. Aber damit ist die bedeutendere Frage noch nicht geklärt, welche materiellen Erfordernisse, d. h. welche Mitwirkungen anderer Verfassungsorgane die Ernennung voraussetzt. Keinesfalls kann man eine solche Befugnis des Herrn Bundespräsidenten aus Art. 60 des Grundgesetzes ableiten; denn Soldaten sind keine Beamte.
    Die Kompetenzen des Staatshauptes wie die aller Verfassungsorgane sind im Grundgesetz ausdrücklich und ausschließlich geregelt. Daher ist es nicht zulässig, durch einfaches Gesetz dem Herrn Bundespräsidenten weitere Befugnisse oder Aufgaben zu übertragen. Es unterliegt nicht der Entscheidung des Gesetzgebers, ob der Herr Bundespräsident zusätzliche Rechte erhalten soll. Wäre es dem Gesetzgeber erlaubt, durch einfaches Gesetz über das Ernennungsrecht zu verfügen und es dem Herrn Bundespräsidenten von sich aus anzuvertrauen, so ergäbe sich auf dem Wege des Umkehrschlusses, daß der Gesetzgeber auch befähigt wäre, dem Herrn Bundespräsidenten ebenso durch einfaches Gesetz das Ernennungsrecht wieder zu entziehen und es nach eigenem Ermessen auf den Bundeskanzler oder den Verteidigungsminister zu übertragen. Das kann nicht sein.
    Wir haben hier eine Kostprobe für die Art, wie die Militärjuristen an eine solche Grundfrage herangehen und wie das Bundesministerium der Justiz sie leider nach Gutdünken mit dem Grundgesetz schalten und walten läßt.
    Nun, Oberbefehl ist ein Stichwort für ein ganzes Bündel sehr verschiedenartiger Fragen. Ich möchte hier den Herren Kollegen von Manteuffel und Feller nur erwidern: Mit der Gegenzeichnung ist die parlamentarische Kontrolle nicht gewahrt, so daß sie nicht auf den Gedanken verfallen sollten, den Herrn Bundespräsidenten mit diesem ganzen Bündel sehr verschiedenartiger Befugnisse, die man Oberbefehl nennt, zu beschweren und sich dann damit zu trösten, daß ja die Gegenzeichnung die parlamentarische Kontrolle sicherstelle.
    Genau so war es in Weimar, wo es die Gegenzeichnung gab, die sogar für die Fragen militärischer und oberbefehlsmäßiger Art in der Reichsverfassung ausdrücklich vorgeschrieben war. Sie hat nicht verhindern können, daß sich die Reichswehr zu einer Nebenregierung entwickelte.
    In dem Augenblick, in dem Sie den Herrn Bundespräsidenten, der seiner ganzen institutionellen Eingliederung in das Grundgesetz nach hier gar nicht in Betracht kommen kann, materiell zum Oberbefehlshaber machen, eröffnen Sie den militärischen Spitzengruppen notwendigerweise den Weg zum direkten Vortrag beim Staatshaupt mit der Folge, daß sich selbst beim besten Willen eine militärische Nebenregierung neben der parlamentarischen entwickeln muß. So kann man die Dinge nicht regeln.
    Es ist nicht möglich, dieses Problem mit kurzen Worten erschöpfend zu behandeln; denn in der


    (Dr. Arndt)

    Frage nach dem Oberbefehl stecken mehrere: Wer verfügt über die bewaffnete Macht? Wer soll der Kommandeur der Kommandeure und wer und wie sein Kontrolleur sein? Die Frage des Oberbefehls kann im Frieden eine andere sein als im Verteidigungsfall und nach innen eine andere sein als nach außen. Nach außen ist sie mit der Frage verknüpft: Wer bestimmt, ob ein Gefahrenzustand oder gar der Zustand der Verteidigung eingetreten ist? Das sind alles Fragen, bei denen wir darauf dringen müssen, daß das Parlament an der Entscheidung institutionell beteiligt ist. Nach innen ist die Frage mit der Entscheidung darüber verbunden, an welchen Voraussetzungen ein Notstand erkennbar ist, ob für den Fall eines Notstandes besondere Rechte eingeräumt werden sollen — wenn ja, welche — und wer berufen sein kann, den Notstand zu erklären.
    Meine Damen und Herren, man ist auf einem fatalen Wege, wenn man die Verfassung instrumental handhaben will, wie es in der Regierungserklärung geschieht, und wenn man meint, die Verfassung erlaube alles, was nicht ausdrücklich verboten sei. Es heißt doch die Einheit des Grundgesetzes als cines in sich geschlosenen und
    teilbaren Ganzen verkennen, dem es um eine ausgewogene Ordnung einander ausgleichender, helfender und hemmender Organe, um den friedenschaffenden und freiheiterhaltenden Ausgleich von Gewichten und Gegengewichten geht, wenn man annimmt, eine bewaffnete Macht lasse sich dem Grundgesetz ohne Verbiegen aller Strukturen bloß äußerlich anfügen, angeblich als ein „Teil der Exekutive".
    Über den Notstand — und ein Notstand wäre doch der Probefall, ob der Oberbefehl verfassungspolitisch richtig geregelt ist — hat uns die Bundesregierung weiter nichts zu sagen gewußt, als daß er einer verfassungsrechtlichen Regelung bedarf, die irgendwann einmal später kommen soll. Dieses Dunkel ist nicht dazu angetan, unser Vertrauen zu wecken. Wir Sozialdemokraten unsererseits haben im Februar 1954, wie ich immer wieder betone, klare Vorstellungen entwickelt. Ein Verteidigungsminister müßte dem Bundestag politisch und rechtlich dadurch verantwortlich sein, daß er von einem echten Vertrauensvotum abhängig ist. Er müßte für das Ernennungsrecht auf einen ständigen Personalausschuß gesetzlich angewiesen sein. Die Rechte des Parlaments können nur gewahrt werden, wenn man seinen Sicherheitsausschuß, so wie es der Auswärtige Ausschuß in der Weimarer Zeit war, zu einem Verfassungsorgan mit verfassungskräftigen Befugnissen ausstattet und wenn es außerdem nach schwedischem Vorbild Wehrmachtbeauftragte des Parla. ments gibt. Alle diese verfassungspolitischen Notwendigkeiten sind unlösbar ineinander verzahnt. Man kann ihnen nur gerecht werden, wenn man das runde Ganze erwägt und einheitlich behandelt.
    Dazu gehört — damit komme ich auf den letzten Teil meiner Ausführungen — auch der Schutz der Grundrechte. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat insoweit gesagt: „Die Beschränkungen, denen sie" — die Soldaten — „bei der Ausübung der allgemeinen staatsbürgerlichen Befugnisse notwendig unterworfen sind ...." Also sind sie Beschränkungen unterworfen. Herr Kollege Jaeger hat heute morgen, als er die Debatte eröffnete, sehr eindeutig gesagt, es gebe keine demokratische Wehrmacht, sondern nur eine in die Demokratie
    eingeordnete Wehrmacht. In diesen beiden Äußerungen liegt das Anerkenntnis, daß sich die Grundrechte in ihrer sonst gewährten Vollkommenheit mit dem besonderen Wesen des durch Befehl und Gehorsam bedingten Soldatischen nicht unversehrt und ohne Einbuße vereinbaren lassen. Die Weimarer Nationalversammlung hat dies ernstlich geprüft und bejaht. Deshalb hatte die Weimarer Reichsverfassung eine Sonderregelung getroffen. Das war ein Gebot verfassungsrechtlicher und verfassungsmoralischer Sauberkeit. Aber die Bundesregierung versucht auch hier, das Grundgesetz zu umgehen, und gerät dabei auf die abschüssige Bahn, die Grundrechte dadurch zu entwerten, daß sie ihnen ungeschriebene und angeblich immanente Grenzen unterlegt. Notwendig wäre aber, jedes einzelne Grundrecht sorgfältig zu prüfen, wie es sich zu den unvermeidlichen und auch bejahenswerten Pflichten eines Soldaten verhält. Hierbei wird die grundsätzliche Richtschnur die sein müssen, die Grundrechte im Rahmen des Möglichen möglichst vollständig und jedenfalls in ihrem Kern zu erhalten. Wo aber ein andernfalls unlösbarer Konflikt entstehen würde, ist die offene und ehrliche Regelung in der Verfassungsurkunde selbst das schlichte Gebot des verfassungspolitischen Anstands.
    Mein Freund Ollenhauer hat heute morgen in seiner Rede schon darauf hingewiesen, daß wir in diesem Zusammenhang über die Frage der Kriegsdienstverweigerer sprechen müssen. Denn schon in dieser Stunde und in diesem Zusammenhang muß dieses Grundsatzproblem von beträchtlicher Schwierigkeit zur Sprache gebracht werden, das in Art. 4 des Grundgesetzes gewährleistete Grundrecht, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensnot zu verweigern. Dazu hat der Herr Bundesverteidigungsminister lediglich gesagt, das Grundrecht sei „unverrückbar". Das reicht nicht. Welche innerpolitischen und staatspolitischen Gefahren heraufbeschworen werden, falls man den Versuch fortsetzte, die unteilbare Entscheidung über die Wehrverfassung und die Wehrmoral in vereinzelte, selbständige und zeitlich voneinander losgelöste Gesetze bruchstückweise aufzusplittern, das wird nirgends so deutlich wie in dieser Frage der Kriegsdienstverweigerung.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Hier sind in öffentlichen Äußerungen aus dem parteipolitischen Lager der Regierungsanhänger und aus dem Munde einzelner Regierungsmitglieder, aber auch in amtlichen Verhandlungen der Dienststelle Blank mit Kreisen der Evangelischen Kirche Auffassungen und Absichten lautgeworden, die zu schwersten Besorgnissen Grund bieten. Ich muß deshalb in großen Zügen einen Umriß jener Meinungen geben, um darzutun, warum wir sie für so bedenklich halten und wodurch sie geeignet sind, eine staatspolitische und verfassungsmoralische Gefahr zu werden.
    In öffentlichen Vorträgen hat man die eigenartige und ungeheuer folgenreiche Unterscheidung gemacht, daß der Staat die Kriegsdienstverweigerer nicht billige, sondern nur achte und toleriere. Ich sehe nicht, wie und wodurch dieser spitzfindige Unterschied aus dem Grundgesetz gerechtfertigt werden könnte. Dieser Unterschied ist erdacht, um von vornherein den Kriegsdienstverweigerer moralisch an die Wand zu stellen,

    (Beifall bei der SPD)



    (Dr. Arndt)

    J ihn auszusondern und ihm Lasten aufzubürden, die ihn benachteiligen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Im Gefolge dieser Unterscheidung erscheint alsbald die Unterstellung, daß jeder Kriegsdienstverweigerer die Vermutung der Feigheit, der Drückebergerei und der Unwahrhaftigkeit gegen sich habe. Er seinerseits soll deshalb beweispflichtig werden, daß er überhaupt ein Gewissen besitze und ein anständiger Mensch sei. Er, der Kriegsdienstverweigerer, seinerseits schulde deshalb, wie man gesagt hat, die Probe der Echtheit.
    Meine Damen und Herren, das sind alles wörtliche Zitate, die ich hier anführe. Erlauben Sie mir bitte hier die Zwischenbemerkung, daß dadurch nach meiner Ansicht die grundgesetzliche Entscheidung des Art. 4 in ihr Gegenteil verkehrt und daß auch Art. 1, die Würde des Menschen, verletzt wird. Denn es ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar, ihn bis zum Beweise des Gegenteils als bloßen Schweinehund einzuschätzen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Auch die Gleichheit vor dem Gesetz steht solchen Unterstellungen entgegen. Denn keiner wird auf den Einfall kommen, den Wehrwilligen und Waffenfreudigen anzusinnen, ebenfalls erst mögliche Mißdeutungen ihrer Denkungsweise zu entkräften. Der Herr Bundesverteidigungsminister hat in seiner Regierungserklärung gesagt, der Soldat als Person dürfe nicht als ein Übel, auch nicht als ein notwendiges Übel im Staate angesehen werden. Da sind wir sicher mit ihm einig. Aber, Herr Minister, wir wünschen, daß auch der Kriegsdienstverweigerer nicht als ein Übel-im Staate angesehen wird.
    Nebenbei gesagt, kommen hierbei Auffassungen zutage, die nach unser aller Erfahrungen aus der Schlußzeit des letzten Weltkrieges und erst recht angesichts der Atomwaffen längst sinnlos geworden sind. Denn unser Zeitalter hat jede Trennung zwischen Front und Heimat in einem Verteidigungsfall aufgehoben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ja, es wird im Kriegsfalle, wenn überhaupt noch irgendwo, vielleicht am ehesten im Verband der bewaffneten Streitkräfte Schutz geben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber diese Bestrebungen, den Kriegsdienstverweigerer auszusondern, sind erst ein Anfang. Man hat bereits von diesem Ansatz aus ein ganzes System zur Einkreisung der Kriegsdienstverweigerer entwickelt, dem die weitere Unterscheidung zugrunde liegt, politische Überzeugungen von den Gewissensentscheidungen zu trennen. Aus dem Wesen der parlamentarischen Demokratie — so behauptet man — ergebe sich, daß die politischen Entscheidungen stellvertretend von den allein dazu berufenen Verfassungsorganen getroffen werden; diesen politischen Entscheidungen werde Gehorsam geschuldet, so daß sie nicht von jedem einzelnen um seines Gewissens willen in Frage gestellt werden dürften.
    Infolgedessen plant man im Bundesverteidigungsministerium, als Kriegsdienstverweigerer allein diejenigen anzuerkennen, die sich unabhängig von ieder politischen Lage allgemein und unter allen Umständen zur Gewaltlosigkeit bekennen. Wer dagegen aus seiner politischen Überzeugung heraus aktuell und im Einzelfall eine Gewissensnot wegen
    eines Waffendienstes gerade unter diesen besonderen Verhältnissen oder gerade angesichts eines bestimmten Krieges geltend mache, der wird schon im voraus abgewertet, weil es ihm angeblich gar nicht um sein Gewissen gehe, sondern er sich bloß aus politischen Gründen so verhalten wolle.
    Auf diese ideologischen Planungen, denen wir allenthalben begegnen, ist zu erwidern, daß sie obrigkeitsstaatlich gedacht, daß sie von der Wurzel her undemokratisch ersonnen sind und die freiheitliche Verfassungsordnung gefährden. Denn es gibt keine Stellvertretung im Gewissen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Gewissen ist das eigenste, das innerste, das unnachprüfbare Geheimnis eines jeden Menschen, der unmittelbare und unbeschreibbare Anruf, durch den ein jeder Mensch für sich mutterseelenallein sich vor das Sittengesetz oder vor Gott gefordert weiß. Es entzieht sich der gesetzlichen Bestimmung, der gerichtlichen Feststellung, der staatlichen Bevormundung, ob einem Menschen das Gewissen schlägt und warum. Die Frage des Kriegsdienstes ist zu allen Zeiten eine Gewissensfrage gewesen, weil ein jeder in der eigenen Brust darum ringen und es selbst verantworten muß und nur allein verantworten kann, ob er sich irrt, wenn er Familie, Freunde, Volk und Heimat ohne schützende Hand läßt, oder ob er gerade dadurch schuldig wird, daß er die Hand zum Töten eines Nächsten erhebt.
    Der Art. 4 des Grundgesetzes schützt auch das irrende Gewissen; denn es gibt keine Instanz unter uns, die sich erlauben dürfte, zu entscheiden, welches Gewissen nicht irrt und welches irrt.
    An der Schwelle des Atomzeitalters, das unentrinnbar den Kriegsdienst in eine Vernichtungstechnik verwandeln muß, stellt sich deshalb die jahrhundertealte Fraie nach der Gerechtigkeit eines Krieges in einer bisher noch unbekannten und unausdenkbar fürchterlichen Weise. Diese Frage nach der Gerechtigkeit eines Krieges war zu allen Zeiten die konkrete, die aktuelle, die auch politische Frage: ob ein bestimmter Krieg, ob gerade dieser besondere Krieg nach Grund, Art und Ziel gerechtfertigt sei. Dabei geht es keineswegs nur um die stets auch politische Beurteilung, ob Angriffs- oder Verteidigungskrieg — das entscheidet bekanntlich immer der Kriegsausgang —, sondern ebenso um die Überzeugung davon, ob dieser Krieg vermeidbar ist oder war und ob er nach der Art seiner Mittel, gegenwärtig also der Atomwaffen, verantwortet werden kann.
    Gegenüber der Propaganda, daß eine politische Überzeugung keine Gewissensnot auslösen könne, hat jüngst Kirchenpräsident Martin Niemöller aus seiner kirchlichen Sicht in einem Brief an Bundesminister Tillmanns ausgesprochen, jene Behauptung sei absolut anti-lutherisch, antievangelisch, antiprotestantisch, weil Gewissensentscheidungen immer das Verhältnis zum Mitmenschen betreffen und deshalb notwendig irgendwie politisch sind. Diese ideologische Planung, die darauf ausgeht, politische Überzeugung und Gesinnung vom Gewissen zu trennen. entspringt bewußt oder unbewußt selbst einer politischen Ansicht, um deren Aufhellung willen es unerläßlich ist, heute schon von diesen Fra gen zu sprechen. Wenn man es vermeidet, das Wehrproblem als ein unteilbares Ganzes zum einheitlichen Gegenstand unserer gesetzgeberischen Beratungen und Entscheidungen zu machen, und wenn man statt dessen in sozusagen „schräger


    (Dr. Arndt)

    Schlachtordnung" einzelne Gesetzesvorlagen bruchstückweise nacheinander zu Verabschiedung bringen will, so könnte damit bewerkstelligt werden, daß zuallerletzt ein Ausführungsgesetz zu Art. 4 des Grundgesetzes den Schluß bildet, ein Ausführungsgesetz, das dieses Grundrecht im Sinne jener ideologischen Planung verstümmelt und aushöhlt.
    Es ist oft genug gesagt worden, daß die deutsche Sozialdemokratie keine pazifistische Partei ist. Ich kann im Namen aller meiner Freunde hinzufügen, daß wir ein Unterfangen, das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung zu mißbrauchen oder gar als politischen Sprengstoff zu handhaben, mißbilligen. Darüber ist mit uns nicht zu reden. Denn es wäre ein unverzeihlicher Frevel, die Gewissen zur politischen Waffe zu erniedrigen. Geopfert würden durch eine solche Überdehnung und sinnlose Entstellung eines Grundrechts nur die unter uns, deren Gewissen zu schützen uns aufgegeben ist.
    Wir können aber auch nicht die Augen verschließen vor der Einsicht, wie schwierig und heikel diese Frage ist, gerade in unserer geschichtlichen Not eines zwischen West und Ost geteilten Volkes
    und gerade angesichts der unseligen Zerklüftung
    innerpolitischer Art, die selbst im westdeutschen Teil unseres deutschen Staates fast zwei verschiedene Völker aus uns gemacht hat.
    Darum müssen wir hier und heute der Gefahr ins Auge sehen, daß jene ideologische Planung, die auf kaltem Wege das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung auszumanövrieren bestrebt ist, eines bösen Tages dazu zu führen droht, daß Menschen, für die wir uns mitverantwortlich fühlen, ungeachtet ihrer Gewissensnot eingekerkert werden,
    weil man sie als bloß politische Deserteure diffamiert. Eine derartige Entwicklung müßte das innerpolitische Klima bis ins Unerträgliche vereisen und in den Fundamenten des gemeinsamen Staates Risse entstehen lassen, die kaum noch überbrückt werden können.
    Noch sollte es möglich sein, einem solchen Unheil Einhalt zu gebieten. Eben deshalb bitte ich um Ihrer aller Aufmerksamkeit und Ihrer aller Mitwirkung und um ein gemeinsames Verständnis dafür, daß es unmöglich und unzumutbar ist, ins Ungewisse hinein erste und einzelne Schritte im unteilbaren Bereich des Wehrproblems zu tun, ohne daß die Gesamtheit des Gesetzgebungswerks überschaubar und vor uns ausgebreitet wird und ohne daß wir die Gewißheit gewonnen haben, wie die Bundesregierung und wie die Mehrheit sich eine verfassungstreue und dem Grundrecht aus Art. 4 gerecht werdende Lösung vorstellen.
    Dieses Grundrecht ist keine zufällige und absonderliche Ausnahmebestimmung in unserer Verfassungsordnung. In ihm wird das für unsere Demokratie elementare sittliche Prinzip sichtbar, daß dieser Staat auf der Menschenwürde beruht und es ihm ziemt. einen Verzicht auf das Gewissen, ein Gewissensopfer nicht zu fordern.
    Daraus folgt zweierlei.
    Dieses Grundrecht ist keine Entpflichtung von Volk und Staat. Aber eben darum sind die Kriegsdienstverweigerer auch keine Staatsbürger minderen Rechts. Sie haben insbesondere die gleiche Meinungsfreiheit zur Bewährung ihrer Überzeugung wie jedermann sonst.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir sehen es daher als unsere Aufgabe und Pflicht an, uns in gleicher Weise zu Fürsprechern der Menschen zu machen, die zum Waffendienst bereit sind, und derer, die ihn aus Gewissensnot ablehnen. Über allem aber steht die brennende Frage um die Zukunft unserer freiheitlichen Demokratie. Aus dieser Sorge heraus halten wir das Freiwilligengesetz für ein Unglück und werden wir wieder und immer wieder unseren Auftrag darin erblicken, das unteilbare Ganze unserer freiheitlichen Ordnung als eine einheitliche Frage zur Sprache und zur Geltung zu bringen. Aber wenn Sie es ablehnen sollten, die Unteilbarkeit dieser demokratischen Grundfragen anzuerkennen, dann wird diese Vorlage für uns beratungsunfähig werden.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Arndt nur in einigen Punkten eine kurze Erwiderung geben, damit seine Worte nicht unwidersprochen stehenbleiben. Der Herr Kollege Arndt hat seine Rede damit eingeleitet, daß er zu dem Problem, das heute hier zur Debatte steht, sagte: Nicht jetzt! Nun, das „Nicht jetzt" wissen wir seit dem 27. Mai, seit dem Antrag, den die sozialdemokratische Fraktion damals hier ,eingebracht hatte. Er hat weiter gesagt: Nicht so; er wolle sich mit diesem „Nicht so" und er wolle sich ausdrücklich mit der staatsrechtlichen Angelegenheit der Frage beschäftigen. Ich habe Ihre Ausführungen, Herr Kollege Arndt, sehr aufmerksam verfolgt, und ich habe mir vor allen Dingen eine Stelle angemerkt, bei der Sie gesagt haben, es gehe hier nicht um die juristische Frage der formellen Verfassungsergänzung, sondern urn &e Verfassungspolitik und die Verfassungsmoral. Ich stelle also fest, daß Sie zum mindesten den von der Regierung hier .ausgesprochenen Standpunkt, daß es aus rechtlichen Gründen einer Ergänzung des Grundgesetzes nicht bedürfe, offensichtlich teilen.

    (Lachen und Widerspruch bei der SPD.)

    Die zweite Frage: ob man aus verfassungspolitischen Gründen

    (fortdauernde Zurufe von der SPD)

    eine Änderung der Verfassung vornehmen möchte.

    (Abg. Dr. Arndt: Herr Blank, Sie haben mich ,gänzlich mißverstanden! — Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist blanker Unsinn!)

    — Genau so, wie Sie mich mißverstanden haben! Darauf komme ich noch zurück, Herr Arndt!

    (Abg. Dr. Arndt: Bitte schön!)

    Dazu hat die Regierung ja in ihrer Regierungserklärung die Koalitionsvereinbarung angesprochen.
    Ich habe mich zum Wort gemeldet, weil Sie, Herr Arndt, mit Ihren Ausführungen über die Frage der Kriegsdienstverweigerer hier dartun wollten, daß von der Regierung quast ein Attentat 'auf diejenigen geplant sei, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe in der Hand verwei-


    (Bundesverteidigungsminister Blank)

    gern. Ich darf doch den Art. 4 Ziffer 3 des Grundgesetzes zitieren. Da heißt es:
    Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
    Das Grundgesetz selber ist doch wohl der Ausdruck dafür, daß das Nähere durch ein Gesetz zusätzlich zu regeln sei. Nun haben Sie meine Regierungserklärung nicht richtig zitiert. Ich bitte Sie, Ihre eigenen Ausführungen noch einmal zur Hand zu nehmen. In der Regierungserklärung ist gesagt — ich zitiere mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch einmal —, daß „Wehrdienstausnahmen — insbesondere aus gesundheitlichen, persönlichen und Ausbildungsgründen — gesetzlich klar umrissen werden." Daran schließt sich der Satz: „Das gleiche gilt für :das Recht der Kriegsdienstverweigerung." Das heißt doch wohl, Herr Dr. Arndt: es soll gesetzlich klar umrissen werden, und die Bestimmung des Art. 4 des Grundgesetzes, daß niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe 'gezwungen werden darf, ist dabei die unverrückbare Grundlage. Die Bundesregierung hat sich :also in ihrer Regierungserklärung ganz klar an :die Bestimmungen des Grundgesetzes gehalten.
    Nun, bei der Frage, wie man solche Ausnahmebestimmungen in einem Gesetz, und zwar in dem zukünftigen Wehrpflichtgesetz, zu regeln hätte, befinden wir uns, Herr Dr. Arndt, allerdings nicht auf so 'unbekanntem Boden, wie Sie offenbar meinen, sondern es 'gibt in einer ganzen Reihe von Staaten, und zwar von Staaten, die eine alte rund festgefügte Demokratie haben, Bestimmungen über diese Kriegsdienstverweigerung.

    (Abg. Kiesinger: Sehr richtig!)

    Sie dürfen gewiß sein, daß wir uns zur Rechtsvergleichung dieses Material schon besorgt haben, und Sie dürfen gewiß sein, daß 'es fleißig studiert wird und daß das Hohe Haus auch in dieser Frage kein Gesetz beschließen wird, das der Regierung quasi die Möglichkeit eines Attentats auf die Gewissen gibt, sondern daß es ein Gesetz beschließen wird, :das :den Gesetzen in anderen gewachsenen Demokratien der Welt entspricht. Ihre diesbezügliche Besorgnis wollte ich mit diesen meinen Ausführungen beheben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)