Rede von
Anton
Storch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Professor Schellenberg hat gesagt, bei meinen Darlegungen über die Beteiligung der Versicherten an den Krankenkosten sei ich sehr vorsichtig vorgegangen. Nun möchte ich ihn bitten, sich auf Grund seiner geographischen Kenntnisse von der freien Welt die Länder in Europa zu vergegenwärtigen, die ich genannt habe. Wenn ich unten anfange, dann ist das erste die Schweiz, danach kommt Frankreich, dann kommen Belgien und Luxemburg, und oben als unser Nachbar kommt Dänemark. Es fehlen also von unseren direkten Nachbarn, soweit ich sehe, nur Holland und Österreich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich immer, wenn der Herr Kollege Schellenberg in sehr temperamentvoller Art hier seine Ausführungen macht; aber heute ist er doch an dem eigentlichen Grundproblem vorbeigegangen. Ich habe in meinen Darlegungen gesagt, daß das, was wir auf dem Gebiete der Krankenversicherung der Rentner haben, die Gesetzgebung eines totalitären Staates ist, der eben das Geld für seine Kriegsausgaben dort genommen hat, wo er es vorfand. Jedes verantwortliche Parlament hätte, wenn es eine derartige Gesetzesvorlage, wie sie 1941 verabschiedet worden ist, bekommen hätte, zumindest die Frage gestellt: Wer sorgt für die Deckung, wer gibt hierfür die Geldmittel? Man kann doch nicht hingehen, Herr Professor Schellenberg, und draußen den Rentnern sagen: Eure Rente ist zu niedrig, wenn man auf der anderen Seite sagt: die Mittel, die für eure Rente zusammengetragen werden, werden für versicherungsfremde Aufgaben verausgabt! Das ist doch die ganze Geschichte.
— Herr Professor Schellenberg, Sie wollten mir eine Frage stellen? — Ich habe in meinen Ausführungen vorhin gesagt: wir haben früher in unseren Rentenversicherungen, bewußt vom Gesetzgeber, nur eine Zuschußrente für den alten Mann festgelegt, der in seiner Familiengemeinschaft blieb und in diese Familiengemeinschaft einen kleinen Zuschuß in Gestalt der Rente hineingebracht hat. Wir stehen heute auf Grund der ganz anderen Verhältnisse bei uns und in der Welt vor der Aufgabe, dem Rentner eine Rente zu geben, mit der er letzten Endes auch seinen Lebensunterhalt decken kann.
— Herr Professor, Sie sagen, das gehört in die Rentenversicherung. Früher, als Ihre Partei und die Partei, zu der ich gehört habe, im wesentlichen die soziale Gesetzgebung getragen haben, hat niemand an eine derartige Regelung gedacht, niemand, weil man sich vor allen Dingen dessen bewußt war, daß man durch die Rentenversicherung eine Rente für die Invaliden und Alten sichern wollte. Man wollte nicht den Staat, die Gemeinden und alle diejenigen, die die Fürsorgeleistungen zu erbringen haben, entlasten. Das ist doch hier eingetreten. Wenn der Mann früher seine Invalidenrente bekam — ich weiß das, weil ich letzten Endes unter den Arbeitern gelebt habe —, ging er hin und meldete sich bei der Krankenkasse als freiwilliges Mitglied an und bezahlte seinen Beitrag im Verhältnis zu seiner Rente, die damals
kaum 40 Mark ausmachte. Das war der praktische Zustand. Wenn der Mann sich nicht versichern konnte, hatte die Fürsorge für ihn einzutreten. Wenn man diese Rentnerkrankenversicherung auf Kosten der Fürsorgeträger im Jahre 1941 zwangsweise eingeführt hätte, würde ich sie als einen Fortschritt angesehen haben.
Nun hat Herr Professor Schellenberg — darüber habe ich mich sehr gefreut — selbst davon gesprochen, daß es sich bei dem Krankenhausaufenthalt der Rentner in vielen Fällen um Fälle handelt, die mit einem akuten Krankheitszustand gar nichts zu tun haben. Es handelt sich hier nach dem, was mir die Ärzte und die Leute aus den Krankenhäusern sagen, um einen Kreis von Menschen, die eigentlich in ein Siechenhaus oder in ein Altersheim gehören. Sollen wir denn nun aus den Mitteln der zwangsweise Sozialversicherten auch noch diese Aufgabe übernehmen? Hätten wir nicht allen Grund, die Forderung zu stellen, daß der Gesundheitsdienst in erster Linie eine Aufgabe der Gemeinschaft, d. h. des gesamten Volkes ist? Früher haben wir die soziale Gesetzgebung auf allen Gebieten doch gemacht, dem arbeitenden Menschen eine Sicherung für die Wechselfälle des Lebens zu geben. Gehen Sie doch her und sehen Sie sich unsere gesamten Sozialleistungen an! Die Fürsorge ist heute noch mit 640 Millionen DM beteiligt, bei einem Gesamtbetrag von 21 1/2 Milliarden DM.
Wir haben in die Sozialversicherung mehr und mehr die Leistungen der Fürsorge übernommen. Was Sie hier fordern, ist ein weiterer Schritt auf diesem falschen Wege. Wenn Sie mir sagen, daß Sie das notwendige Geld, nämlich diese 540 Millionen DM, die die Rentnerkrankenversicherung heute tatsächlich kostet, in irgendeiner Form als Einnahme für die Rentenversicherungsträger sicherstellen wollen, dann kann ich einen ganz großen Weg mit Ihnen gehen. Aber wir haben es ja vorhin gehört. Der Herr Professor Schellenberg hat sich in einer wirklich netten Geste an die Vertreter des Handwerks gewandt und hat gesagt: Ihr armen Luder, ihr seid ja nicht krankenversicherungspflichtig. Herr Professor Schellenberg, wie stellen Sie sich denn die Lösung dieser Dinge vor? Wenn man in der Altersversorgung des Handwerks die Halbversicherung eingerichtet hat, bekommt der Mann nachher auf Grund eines halben Beitrags eine Rente. Die Privatversicherung, die die Hälfte seines Altersversorgungsrisikos mit einer Verdienstchance gehabt hat, braucht für die Krankenversicherung des Rentners keinen Pfennig aufzubringen. Aber die anderen, die pflichtversichert waren, müssen das Geld aufbringen, um auch an diese Halbversicherten die Leistungen der Rentnerkrankenversicherung zu zahlen.
Das sind alles Dinge, Herr Professor, an denen wir nicht vorbeigehen können. Wir wissen doch, daß wir unter den freiwillig Weiterversicherten Leute haben, die in Wirklichkeit gar nicht das Schutzbedürfnis in der Sozialversicherung haben.
Wir haben immer auf dem Standpunkt gestanden, Herr Professor, daß 'das, was in einer Rentenversicherung durch Beitragsleistung erworben wird, ein Rechtsanspruch ist. Sollen wir jemandem, der 15 Jahre in der Volkswirtschaft in einem versicherungspflichtigen Verhältnis gestanden hat, dann 25 Jahre als Selbständiger in der Wirtschaft tätig war und dort gut verdient hat, so daß er die Krankenversicherung nicht nötig hatte, nachher, wenn er die Rente bekommt, die im Verhältnis zu seinem Einkommen vielleicht gar nicht allzu viel ausmacht, nun den ganzen Gesundheitsdienst für seinen Lebensabend zusätzlich geben? Wenn Sie so sehr auf die Tränendrüsen gedrückt haben mit dem armen, armen Rentner, der nachher, wenn er ins Krankenhaus kommt, 40 % seiner Rente eventuell aufgeben muß, dann muß ich fragen: Wer bekommt denn die Rente, wenn der Rentner im Krankenhaus ist? Das sind doch in .den meisten Fällen diejenigen, die die alten Leute vor allem im Winter nicht zu Hause haben wollen.
Wir werden ja im Ausschuß die Möglichkeit haben, uns mit den Menschen, die in den Rentenversicherungsträgern, entweder in der Geschäftsführung oder in ,der Selbstverwaltung, tätig sind, zu unterhalten. Ich glaube, Herr Professor, bei dieser Aussprache wird Ihnen ein großer Teil ihrer ,eigenen Parteifreunde, die sich in der Sozialversicherung durch jahrzehntelange Tätigkeit einen Namen erworben haben, etwas ganz anderes sagen als das, was man sagt, wenn man die Dinge nur theoretisch nimmt.
Herr Professor Schellenberg, lassen Sie mich zum Schluß — (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Er hat doch
wirklich aus der Praxis gesprochen!)
— Ja, das wollte ich eben gerade noch sagen: Wenn Ihr Parteifreund, der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Professor Reuter nicht das Ende aufgefangen hätte, dann hätten Sie den kompletten Bankrott des Berliner Experiments erlebt.