Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verkennt nicht, daß der Gesetzentwurf für die Krankenversicherung der Rentner in einigen Punkten Nachteile beseitigt. So ist es auch nach Ansicht meiner Fraktion — darin stimmen wir dem Herrn Minister zu — zu begrüßen, daß dem Rentner die Möglichkeit gegeben wird, bei seiner früheren Kasse, Betriebs- oder Ersatzkasse, zu bleiben. Wir halten das im Rahmen des Systems der sozialen Krankenversicherung, wie es hier besteht, für sinnvoll, wenn wir uns auch darüber klar sind, daß sich durch das neue System, das geschaffen werden soll, möglicherweise eine Komplizierung des Verwaltungsapparats ergibt.
Wir sind weiter mit der Bundesregierung und dem Sprecher der CDU der Ansicht, daß es zu begrüßen ist, wenn durch diesen Gesetzentwurf der Mißstand, auf den wir schon bei früherer Gelegenheit hingewiesen haben, daß die Leistung der Rentnerkrankenversicherung bisher erst mit Erteilung des Rentenbescheids einsetzte, beseitigt wird. Wir haben in anderem Zusammenhang hier im Hause, zuletzt in einer Fragestunde, darauf hinweisen müssen, daß leider zwischen Antragstellung und Bewilligung der Rente viele Monate vergehen. Der Herr Minister hat in Aussicht gestellt, daß der Zeitraum kürzer werden soll. Wir hoffen sehr, daß das bald Wirklichkeit werden wird.
Wir sind sehr froh, daß die große soziale Belastung der Menschen, die nicht mehr arbeiten, einen Rentenantrag stellten und bisher ohne Leistungen der Krankenhilfe waren, nun durch diesen Gesetzentwurf beseitigt werden soll, indem keine Unterbrechung des Krankenversicherungsschutzes mehr eintritt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt auch mit der Regierung darin überein, daß nun in bezug auf die Gewährung der Leistungen
im Rahmen der Rentnerkrankenversicherung grundsätzlich der Rentner dem sonstigen Versicherten gleichgestellt werden soll. Wir haben das, meine Damen und Herren, darauf darf ich aufmerksam machen, hier im Hause am 18. März 1953 beantragt. Seinerzeit wurde dieser unser Antrag auf Umdruck Nr. 802 insgesamt abgelehnt. Um so mehr erfreut sind wir heute, daß die Bundesregierung im Grundsatz der vollen Leistungsanpassung zwischen Rentner und Pflichtversichertem zustimmt. „Vollen" ist leider nicht ganz richtig — ich muß da eine Einschränkung machen —, denn leider enthält der Gesetzentwurf — darauf werde ich noch zu sprechen kommen — auch in bezug auf die Gleichstellung der Leistung in zwei sehr wichtigen Punkten ein für den Rentner nachteiliges Recht.
Mit diesen von mir erwähnten Verbesserungen, die wir, wie gesagt, anerkennen, erschöpfen sich aber die Punkte, die wir begrüßen können. Hätte die Bundesregierung in ihrer Gesetzesvorlage diese Dinge, diese bisherigen Mißstände geregelt, so hätte sie die Zustimmung aller Rentner und auch die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gefunden. Das hat aber die Bundesregierung leider nicht getan, sondern sie nimmt die Beseitigung von Mißständen in der Rentnerkrankenversicherung, diesen Gesetzentwurf, zum Anlaß, eine strukturelle Veränderung im Bereich der Rentnerkrankenversicherung durchzuführen. Nicht nur das, sondern auch der gesamte Leistungsbereich in der Krankenversicherung auch für die Versicherten wird beschnitten. Die Presse hat mit Recht schon vor Monaten darauf hingewiesen, daß es sich um einen Modellversuch für die Sozialreform handle, und Herr Kollege Dr. Franz hat das noch konkretisiert. Sie haben das, was uns hier vorliegt, sogar als einen konstruktiven Beginn für die Sozialreform bezeichnet; ich werde darauf noch zu sprechen kommen, Herr Kollege Dr. Franz. Das erfüllt uns mit sehr großer Sorge; das darf ich jetzt schon sagen.
Nun hat der Herr Bundesarbeitsminister in seiner Begründung darauf hingewiesen, daß diese strukturelle Änderung gegenüber dem geltenden Recht wegen der Systematik der Sozialversicherung und der Versicherungszweige, wenn ich ihn recht verstanden habe, notwendig sei. Damit kommen wir zu einer prinzipiellen Frage, nämlich: was ist die Aufgabe der Rentenversicherung? In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns von dem Herrn Bundesarbeitsminister. Wir stehen nämlich auf dem Standpunkt, daß zur Sicherung des Alters des Menschen auch seine volle gesundheitliche Sicherung gehört.
Von uns wird die Frage, wer diese Aufgabe zu übernehmen hat — Träger der Rentenversicherung oder Träger der Krankenversicherung —, in dieser Hinsicht nicht so sehr theoretisch, sondern unter dem Gesichtspunkt einer sozialpolitischen Zweckmäßigkeit gesehen. Es ist aber ein Irrtum, Herr Kollege Dr. Franz, wenn Sie der Meinung sind, daß das, was heute in der Krankenversicherung der Rentner geltendes Recht ist, Staatsbürgerversorgung sei. Davon kann gar keine Rede sein, denn die Leistung der Rentnerkrankenversicherung erhält nur der Rentner, nicht jeder Staatsbürger, nur derjenige, der einen Rechtsanspruch auf Rente durch Beiträge erworben hat.
Das ist auch eine versicherungsmäßige Leistung; darüber muß man sich im klaren sein.
Nun kommt die Strukturveränderung, die die Bundesregierung vollziehen will, gesetzestechnisch darin zum Ausdruck, daß die Rentnerkrankenversicherung nicht im Vierten Buch der Reichversicherungsordnung — Rentenversicherung —, sondern im Zweiten Buch — Krankenversicherung — geregelt werden soll und damit, wie der Herr Bundesarbeitsminister hier ausgeführt hat und wie wir auch in der Begründung zur Regierungsvorlage nachlesen können, zu einer Aufgabe der Krankenversicherung werden soll. Der Herr Bundesarbeitsminister hat sowohl hier wie in der Regierungsbegründung darauf hingewiesen, daß das den Funktionen der Krankenversicherung entspringe, und gesagt — ich darf aus der Begründung der Regierungsvorlage vorlesen —:
Dies entspricht dem die Sozialversicherung beherrschenden Grundsatz der Solidarität, von der die Rentner nicht ausgeschlossen sein dürfen.
Das ist die Regierungsbegründung.
Herr Bundesarbeitsminister, dieser Ausdruck „Solidarität", von der die Rentner nicht ausgeschlossen werden dürfen, ist ein imposantes Wort. Aber wie sieht — und damit habe ich mich auseinanderzusetzen — die sozialpolitische Realität nach diesem Gesetzentwurf aus? Ich muß dazu einige ganz wenige Bemerkungen über den Unterschied zwischen den Aufgaben von Krankenversicherung und Rentenversicherung machen, weil der Herr Bundesarbeitsminister darauf so großen Wert legt.
Die Krankenversicherung deckt ihrem Wesen nach heute ein kurzfristiges Risiko: Krankheit; darauf ist sie in ihrer gesamten Technik eingestellt. Dagegen hat die Rentenversicherung — das ist ihre Aufgabe und Technik — ein langfristiges Risiko zu decken. Jetzt soll durch diesen Gesetzentwurf die Krankenversicherung der Rentner aus dem Zweig der langfristigen Versicherung dem Versicherungszweig, der ein typisch kurzfristiges Risiko deckt, zugeführt werden. Das ist der eine Tatbestand.
Zweitens kommt der Unterschied in der Struktur zwischen Krankenversicherung und Rentenversicherung heute darin zum Ausdruck, daß in der Rentenversicherung der einzelne Versicherte im Grundsatz sein ganzes Arbeitsleben bei dem gleichen Träger verbleibt; im Grundsatz, abgesehen von den Fällen der Wanderversicherung, in denen jemand vom Arbeiter zum Angestellten wird. Das ist aber bei der Krankenversicherung, der nun das Altersrisiko des alten Menschen durch dieses Gesetz auferlegt werden soll, keineswegs der Fall. Es besteht hier eine außerordentlich starke, wie man technisch sagt: Fluktuation der Versicherten. Fast mit jedem Arbeitsplatzwechsel tritt ein Wandel ein. Ein Versicherter arbeitet in einem Betrieb, bei dem er in einer Betriebskrankenkasse versichert ist, und dann kommt er in einen anderen Betrieb, bei dem er in der Allgemeinen Ortskrankenkasse versichert sein muß. Wir haben also in der Krankenversicherung eine viel stärkere Fluktuation als in der Rentenversicherung. Nun wird durch diesen Gesetzentwurf die altersmäßige Belastung des Rentners der Krankenkasse auferlegt, bei der er mehr oder weniger zufällig in den letzten fünf Jahren vor Stellung des Ren-
tenantrags versichert war. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Systematik, auf den der Herr Bundesarbeitsminister solchen Wert gelegt hat, zu erörtern und zu prüfen.
Wirtschaftlich — darauf haben sowohl der Herr Bundesarbeitsminister wie der Herr Kollege von der CDU Wert gelegt — stellt sich die Lage so dar, daß die Krankenversicherung entsprechend ihren Aufgaben nur verhältnismäßig geringe Rücklagen für kürzere saisonbedingte Schwankungen bildet, während — jedenfalls nach Ihrer Konzeption ist das so; ich will hier nicht über Deckungspolitik der Rentenversicherung sprechen — nach der Konzeption der Mehrheit dieses Hauses die Rentenversicherung Reserven für längere Zeiträume bereitzuhalten hat. Wenn Sie der Krankenversicherung als einer Institution mit einem sehr schnellen Umschlag die Alterslast für einen Rentner auferlegen wollen, der zufälligerweise bei dieser Krankenkasse versichert war, dann begründen Sie finanzwirtschaftlich die Notwendigkeit, Altersreserven in der Krankenversicherung zu bilden. Wir können das im einzelnen noch erörtern, Herr Minister. Sie haben sich jedenfalls in anderem Zusammenhang — ich möchte das hier nicht im einzelnen zitieren — nachdrücklich gegen gewisse Versuche gewandt, nach dem bisher geltenden Recht Altersreserven in der Krankenversicherung zu bilden. Ungeachtet dieser Tatbestände sagt der Gesetzentwurf, die Rentnerkrankenversicherung soll in Zukunft eine Angelegenheit der Krankenversicherung werden. Damit wird — und das ist der Sinn; Sie haben sogar gesagt, das sei im Interesse des Versicherungsgedankens außerordentlich wichtig — einem Bereich, der auf kurzfristige Dinge eingestellt ist, der keine Rücklagen bildet, dieses Altersrisiko auferlegt.
Nun kommt das für uns Entscheidende, die Folgerung daraus: Man nimmt die Rentnerkrankenversicherung von dem Bereich der Rentenversicherung fort, der finanziell verhältnismäßig der stärkste ist und der ein Ausgleichsverfahren hat. Da nimmt man diese Alterslast unserer Rentner fort und überträgt sie auf eine große Anzahl von Institutionen der Krankenversicherung, auf über 1000, fast 2000 einzelne Krankenkassen, die untereinander keinen Finanzausgleich haben. Wirtschaftlich ist die Sache so, daß man die Rentnerkrankenversicherung aus all den Gründen, die wir noch zu erörtern haben, auf das finanziell schwächste Glied der deutschen Sozialversicherung überträgt. Das scheint uns keine sehr glückliche Sache zu sein.
Es kommt noch etwas anderes hinzu. In der Rentenversicherung ist gesetzlich der Staatszuschuß, die Staatsgarantie verankert. Für die Rentner hat letztlich der Bund die Sicherung zu tragen. Wir haben uns darüber in anderem Zusammenhang schon oft unterhalten. Jetzt wird durch dieses Gesetz von einem Bereich mit Staatszuschüssen, mit Staatsgarantie der Rentenversicherung die Aufgabe der altersmäßigen Sicherung bei Krankheit, die im Alter, wie wir wissen, einen erhöhten Bedarf nach sich zieht, von den Einrichtungen mit Staatsgarantie und mit Bundesmitteln wegverlegt. Wir sehen da Hintergründe, Herr Bundesarbeitsminister,
von einem anderen Ministerium her, die Tendenz
— das kann man nicht bestreiten, und jeder, der
die Dinge intern kennt, weiß das —, den Versuch,
den Staatszuschuß und die Staatsgarantie für die Rentenversicherung zu entlasten. Das scheint uns eine sozialpolitisch und finanzwirtschaftlich schlechte Sache zu sein. Dafür, Herr Bundesarbeitsminister, sollte man nicht das Wort „Solidarität" verwenden,
um das ganz klar und deutlich zu sagen.
Nun hat aber die grundsätzliche Veränderung, die in Aussicht genommen werden soll, vielfältige sozialpolitische Auswirkungen: einmal die Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises.
Wir haben uns in diesem Hause in den Jahren 1952 und 1953, als wir die Fragen der Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner besprochen haben, darüber sehr eingehend unterhalten. Damals kam von den Regierungsparteien ein Antrag, der uns sehr in Erstaunen versetzte, durch den der Begriff der Schutzbedürftigkeit, dieser fragwürdige Begriff, in die Rentnerkrankenversicherung eingebaut werden sollte. Wir haben darüber sehr ernste Auseinandersetzungen gehabt, und, Herr Kollege Horn, Sie selbst haben dabei gesagt — und haben dadurch unsere Sorgen vermindern wollen —, es sei doch nicht zu vertreten, daß Menschen, die heute die Rente als eine angenehme Zugabe zu ihrem sonstigen Einkommen bezeichnen, die also nicht schutzbedürftig sind, die Leistung der Rentnerkrankenversicherung bekommen. Wir haben damals Bedenken dagegen geäußert, und auch Herr Minister Dr. Schäfer hat seinerzeit gegen den Begriff „Schutzbedürftigkeit" vom Standpunkt seiner Fraktion Bedenken erhoben. Aber was hier in dem Regierungsentwurf steht, Herr Minister — muß ich jetzt sagen —, ist noch viel weitergehend und sozialpolitisch viel unerfreulicher als das, was mit „Schutzbedürftigkeit" umrissen war.
Gegen unsere Stimmen wurde seinerzeit beschlossen, die Regierung zu beauftragen, einen Gesetzentwurf über die Neuordnung der Rentnerkrankenversicherung vorzulegen, in den der Begriff der Schutzbedürftigkeit der Rentner aufgenommen wurde. Offenbar in Ausführung dieses Beschlusses des Bundestags vom Februar 1953 hat nun die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf den Kreis der anspruchsberechtigten Rentner eingeschränkt, und zwar nicht nach dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit, sondern nach anderen Merkmalen, die uns sehr schwer verständlich sind. Künftig soll Leistungen der Rentnerkrankenversicherung nur der erhalten, der in den letzten fünf Jahren ein Jahr krankenversichert war. Was bedeutet das praktisch? — und das ist unser sozialpolitisches Anliegen —: es bedeutet erstens, daß alle die, die eine Rente auf Grund freiwillig entrichteter Beiträge erhalten — das ist beispielsweise die große Masse der Hausfrauen, die, wie wir sagen, freiwillig weiterkleben, die in der Regel selbst nicht Mitglieder eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung sind —, primär keinen Anspruch auf Rentnerkrankenversicherung erwerben. Das bedeutet zweitens, daß die Angestellten — Herr Kollege Schneider, ich hoffe, Sie haben sich damit auseinandergesetzt —, die wegen Überschreitens der Einkommensgrenze zwar rentenversichert, aber nicht mehr krankenversichert
sind und die vielleicht eine private Krankenversicherung wählen, nicht mehr leistungsberechtigt sind. Das ist wichtig, weil uns eine Vorlage zur Änderung von § 178 RVO vorliegt, nach der die Möglichkeit, freiwillige Versicherung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu wählen, eingeschränkt werden soll. Sie nehmen also den Menschen die Möglichkeit, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bleiben, und dann sagen Sie durch diesen Gesetzentwurf: Derjenige erhält auch später keine Leistungen der Rentnerkrankenversicherung. Das ist außerordentlich bedenklich.
Drittens möchte ich hier einmal die Vertreter des Handwerks ansprechen. Wir haben eine Handwerkerpflichtversicherung. Darüber muß noch vieles gesagt werden, und dazu wird in diesem Hause bei anderer Gelegenheit etwas gesagt werden müssen. Diejenigen, die die Handwerkerpflichtversicherung gewählt und nicht eine Lebensversicherung abgeschlossen haben, sind also rentenversichert. Die überwiegende Mehrzahl dieser Personen ist aber nicht gleichzeitig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Handwerker verlieren durch diesen Gesetzentwurf, wenn er Wirklichkeit wird, den Leistungsanspruch auf die Rentnerkrankenversicherung. Heute erhalten alle Rentner die Leistung der Rentnerkrankenversicherung.
Durch diesen Gesetzentwurf wird also für drei nicht unwichtige Personengruppen diese Leistungsgewährung in Frage gestellt, nämlich dann, wenn sie nicht zufälligerweise in einer gesetzlichen Krankenversicherung sind. Das ist um so merkwürdiger — das bitte ich auch zu überlegen —, als für denselben Personenkreis, nämlich die sogenannten Markenkleber, vom 1. April dieses Jahres an der Beitrag zur Rentenversicherung tatsächlich um 10 % erhöht worden ist. Das sind diejenigen, die nicht gleichzeitig arbeitslosenversichert sind. Die Personen zahlen also mehr, und was wollen Sie tun? Sie beschränken auf der andern Seite die Leistungsberechtigung dieser Menschen, indem Sie sie von der Leistungsberechtigung in der Rentnerkrankenversicherung, die sie jetzt haben, ausschließen wollen. Wir halten das also für keine glückliche Lösung und sind der Meinung, daß die „Schutzbedürftigkeit", gegen die wir schon vor Jahren gekämpft haben, hier eine Konkretisierung, findet, die noch viel verhängnisvoller ist, als wir jemals geahnt haben. Denn das sind keine sozialen Maßstäbe nach Einkommen, sondern hiervon kann auch die Frau betroffen werden, die freiwillig weitergeklebt hat und die Mindestrente erhält, die vielleicht Zimmer vermietet hat usw., die also sozial in hohem Maße schutzbedürftig ist. Und diesen Frauen wird der Leistungsanspruch auf die Rentnerkrankenversicherung durch diesen Gesetzentwurf genommen.
Wir sind der Überzeugung, daß diese Vorschriften, die theoretisch mit einer Leistungsabgrenzung zwischen Kranken- und Rentenversicherung begründet werden, im sozialpolitischen Ergebnis — und darauf kommt es uns an — sehr bedenklich sind.
Es ist ein sehr schwacher Trost, meine Damen und Herren, wenn Sie in den Übergangsvorschriften die Möglichkeit vorsehen, daß sich derjenige, der bei Inkrafttreten des Gesetzes Rentner ist, freiwillig
weiterversichern kann, auf seine eigenen Kosten, von seiner Rente, mit dem vollen Beitrag. Für denjenigen, der arbeitet, wird über den Betrieb in der Regel immerhin die Hälfte gezahlt; ob aus seinem eigenen Arbeitsergebnis oder nicht, wollen wir nicht untersuchen. Also dieser Mensch, der Rentner ist und diese technischen Voraussetzungen nicht erfüllt, kann sich seinen Krankenversicherungsschutz, den er als alter Mensch dringend benötigt, nur dadurch weiter erhalten, daß er von seiner vielleicht sehr bescheidenen Rente einen Beitrag zur freiwilligen Krankenversicherung leistet. Das halten wir für außerordentlich bedenklich. Wir sehen darin — das müssen wir Ihnen, meine Damen und Herren, mit allem Nachdruck sagen — eine Beeinträchtigung der Lebenshaltung sehr vieler alter Menschen. Die Regierung wird uns nicht sagen, wie groß der Personenkreis ist. Dazu ist die Regierung nicht in der Lage. Wir werden im Ausschuß natürlich versuchen, genauer festzustellen, wie groß der Personenkreis ist. Nach all dem, was ich weiß, muß ich befürchten, daß der Personenkreis erheblich ist.
Nun kommt etwas, was mir unter den Prinzipien, die der Herr Minister als Versicherungsprinzipien bezeichnet hat, völlig unverständlich ist. Nach dem Gesetzentwurf sollen die Träger der Rentenversicherung an die Krankenkassen für die Aufgaben der Rentnerkrankenversicherung einen bestimmten Beitrag, wenn er auch unzureichend ist — darüber werden wir uns auch noch zu unterhalten haben —, leisten. Aus dem Beitragsaufkommen der Rentenversicherten, aller Rentenversicherten, wird nicht für alle Rentenversicherten, nicht für alle, die die Beiträge zahlen, ein Teil für Beiträge der Rentnerkrankenversicherung abgezweigt. Diese Leistung — denn was die Rentenversicherung an Beitrag zahlt, ist eine Leistung aus dem Beitragsaufkommen der Rentenversicherung; ob sie nun 5 DM oder 6 DM monatlich beträgt, das ist eine technische Frage — erhält nur ein Teil der Rentner, und zwar nach Merkmalen, die mit der Rentenversicherung nicht das geringste zu tun haben, nämlich damit, ob er zufällig — unter dem Gesichtspunkt der Rentenversicherung zufällig — in den letzten fünf Jahren vor dem Rentenantrag ein Jahr bei irgendeiner Krankenkasse versichert war. Das schlägt doch den Grundsätzen der versicherungstechnischen Gerechtigkeit, für die Sie in diesem Hause immer mit besonderem Nachdruck eintreten, geradezu ins Gesicht. Es ist doch unmöglich, daß die Rentenversicherung einem Teil ihrer Versicherten bestimmte Leistungen nicht gewährt. Ich weiß nicht, was da herauskommen soll, wenn das einmal zu einer Klage vor den höchsten Gerichten führt. Das scheint mir — um es mal deutlich zu sagen — in der Konsequenz nicht gründlich genug überlegt worden zu sein, obwohl der Auftrag zu dem Gesetzentwurf schon 1953 an die Regierung gegeben worden ist.
In Auswirkung der Prinzipien dieses Gesetzes werden aber auch noch unmittelbar Leistungseinschränkungen vorgenommen; Herr Kollege Dr. Franz hat das als sehr sinnvoll bezeichnet. Bisher hatte der Rentner unbedingt einen eigenen Leistungsanspruch. Jetzt wird dieser Leistungsanspruch mit einer Rangfolge 1 zu einem Anspruch, der gegenüber dem Anspruch auf Familienhilfe zurücktritt. Wer nämlich einen Anspruch auf Familienhilfe hat, erhält die Leistung der Rentnerkrankenversicherung nicht mehr. Meine Damen und
Herren, das ist keine theoretische Sache. Herr Kollege Schneider, Sie werden es mir bestätigen: die Leistungen der Familienhilfe sind Leistungen nicht nur minderen Rechtes, sondern auch minderer Güte in der Krankenversicherung. Anspruch auf Familienhilfe besteht, wenn die Ehefrau, die früher gearbeitet hat, weiterklebt. Sie erhält keine Leistungen der Rentnerkrankenversicherung nach diesem Gesetzentwurf, sondern sie wird verwiesen auf die Leistungen der Familienhilfe mit all den Kann-Vorschriften, Kostenbeteiligungen, Beschränkungen bezüglich der Krankenhauspflege usw., die wir dort leider haben. Das scheint uns auch eine empfindliche Leistungsbeschränkung zu sein, die sachlich in keiner Weise vertreten werden kann.
Dabei bin ich erst am Anfang der Leistungseinschränkungen. Jetzt kommt das ganze Register, über das die sozialpolitische Diskussion geht. Wie es in der Begründung knapp heißt, wird im gesamten Bundesgebiet eine Krankenscheingebühr eingeführt, die in Angleichung an die veränderten Lohn- und Preisverhältnisse auf 50 Pfennig erhöht werden soll, während heute überwiegend keine Krankenscheingebühr erhoben wird. Der Sinn — das hat sowohl der Herr Minister gesagt wie Herr Kollege Dr. Franz von der CDU — der Einführung der Krankenscheingebühr ist, Bagatellfällen .zu begegnen.
Meine Damen und Herren, wir von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion verkennen gar nicht, daß in einer vielleicht nicht unerheblichen Zahl von Fällen ein Krankenschein unnütz genommen wird und damit auch der Arzt vielleicht unnütz in Anspruch genommen wird. Man kann das statistisch nicht genau feststellen, aber die anwesenden Damen und Herren Ärzte werden das aus ihrer Berufserfahrung bestätigen. Nun entsteht aber folgende Frage. Wenn also Versicherte — wenige oder viele, ich kann es nicht untersuchen — es am Verantwortungsbewußtsein mangeln lassen, vielleicht auch veranlaßt durch gewisse Praktiken, die man als Krankenscheinmacherei bezeichnet — ich will das gar nicht hier anrühren —, wenn dem so ist, soll dann die Gesamtheit der Versicherten einschließlich der Rentner — also auch die sozial Schwachen — für die Verantwortungslosigkeit eines Teils der Versicherten in dieser Weise belastet werden? Herr Dr. Franz hat gesagt, diese Regelung im Hinblick auf die Bagatellfälle sei sehr sinnvoll, und er habe keine Sorge, daß dadurch — so haben Sie wörtlich ausgeführt — die Früherfassung von schweren Krankheiten unterbleibe. Herr Dr. Franz, das ist sehr theoretisch gesprochen. Ob eine Krankheit eine leichte oder eine schwere wird, das weiß man erst, wenn sie zu Ende ist.
Das ist doch das entscheidende Merkmal: niemand weiß, ob gewisse Krankheitsbeschwerden, die den einzelnen veranlassen, zum Arzt zu gehen, zu einer schweren oder leichten Krankheit führen. Wir Sozialdemokraten stehen auf dem Standpunkt, daß es der Früherfassung von Krankheiten und damit der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge dient, die bei uns — ich glaube, das ist einheitliche Meinung im Hause — noch sehr zurückgeblieben ist, wenn Krankenscheine auch in leichten Fällen in Anspruch genommen werden. Wir haben uns im Ausschuß in anderem Zusammenhang damit beschäftigt. Ich möchte Ihnen die Dinge ganz klar und unmißverständlich sagen. Wir meinen, daß es besser ist, wenn Ärzte vielleicht hundertmal voreilig
aufgesucht werden, als daß nur einmal der Arzt zu spät aufgesucht wird.
Das ist für uns eine sehr wichtige Angelegenheit.
Durch die Einführung dieser Krankenscheingebühr wird die Früherfassung von Krankheiten bei den sozial Schwachen beeinträchtigt. Darauf kommt es an. Denn 50 Pfennig spielen bei einer Familie mit geringerem Einkommen, vielleicht mit mehreren Kindern, insbesondere am Tage vor der Lohnzahlung und bei den Rentnern am Monatsende eine beachtliche Rolle.
Ich glaube, das ist eine Lebenserfahrung. Wir wollen die Dinge doch einmal ganz praktisch sehen. Familie mit einigen Kindern! Wer mehrere Kinder hat, weiß, daß, wie wir Berliner sagen, alle Nase lang ein Kind krank ist. Es hat Fieber, erhöhte Temperatur. Die Methode der Krankenscheingebühr verhindert die frühzeitige Inanspruchnahme des Arztes. Dann besteht gerade in sozial schwachen Bevölkerungskreisen die Gefahr, daß man denkt: Ach, das Fieber geht schon wieder weg, das war x-mal so, wir warten! — Und das wollen wir gerade nicht. Ich wäre sehr dankbar dafür, wenn die Damen und Herren Ärzte, mit denen wir uns bei einem anderen Gesetz sehr ernsthaft unterhalten haben, hier von der Tribüne des Hauses zu dieser Frage der Früherfassung von Krankheiten ihre Meinung sagten.
Wir halten die Krankenscheingebühr für eine bedenkliche Sache, und zwar nicht nur wegen der zusätzlichen Belastung der versicherten Rentner — deswegen auch —, sondern gerade unter dem Gesichtspunkt einer aktiven Gesundheitspolitik. Ich hoffe, daß wir uns in diesem Hause wenigstens in dieser Hinsicht einig sind. Wir halten den Regierungsentwurf deshalb für verhängnisvoll.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben auf ausländische Beispiele hingewiesen. Da sind sorgfältig die Fälle zusammengestellt worden, in denen es eine Krankenscheingebühr gibt. Diese Fälle sind auch im Ausland selten, und das Material, das wir im Ausschuß sehr gern im einzelnen diskutieren werden, ist, wenn ich so sagen darf, ein bißchen einseitig zusammengestellt.
In dem Gesetzentwurf ist weiter vorgesehen, daß die Versicherten an den Kosten für Arzneien beteiligt werden sollen. Es wird gesagt, daß dadurch dem steigenden Arzneimittelverbrauch begegnet werden soll. Die Höhe der Kostenbeteiligung ist klar. Der Herr Minister hat das ausgeführt. Aber was bedeutet das wirtschaftlich gesehen? Die Mindestgebühr von 50 Pfennig bedeutet, daß praktisch jeder Versicherte, der vor der Entscheidung steht, ob er zum Arzt gehen soll, nicht nur mit 50 Pfennig, sondern praktisch mit einer Mark zu rechnen hat; denn der Normalfall ist, daß der Onkel Doktor etwas verschreibt. Folglich muß der Versicherte schon von vornherein mindestens mit einer Mark und der Rentner mit mindestens 75 Pfennig rechnen, abgesehen davon, daß bei lange dauernder Krankheit die Arzneiverordnungsgebühren sehr ansteigen. Wenn wir auch zugestehen, daß die Verhältnisse hinsichtlich des Verbrauchs von Arzneien keineswegs immer voll befriedigend sind, so sind wir doch der Meinung, daß durch eine Arzneiver-
ordnungsgebühr von 50 Pf bis 3 DM, für die Rentner von 25 Pf bis 1,50 DM — und das ist für uns das Entscheidende — die sozial Schwachen und die Menschen, die laufend ärztliche Hilfe und Arzneien benötigen, am schwersten betroffen werden. Das halten wir für ein sehr unglückliches und sehr unerfreuliches System.
Jetzt zu der anderen Leistungseinschränkung: Kostenbeteiligung an der Krankenhauspflege der Rentner. Ich bin sehr froh, daß Herr Dr. Franz hier offen zum Ausdruck gebracht hat, daß also auch innerhalb der CDU-Fraktion dagegen Bedenken bestehen. Ich habe dann aber zu sagen: Offenbar waren doch die Bedenken nicht so stark, daß es Ihnen gelungen ist, Ihren Herrn Minister, der dieses Gesetz vorgelegt hat, zu veranlassen, hier zu sagen, daß er die Bedenken seiner Fraktion teilt. In dieser Hinsicht sind die Dinge sozialpolitisch katastrophal. Es handelt sich um eine Sondervorschrift gegen Rentner. Wie wir wissen, wird praktisch jeder Rentner bei Krankenhausaufenthalt davon betroffen, denn der Krankenhausaufenthalt eines Rentners dauert immer mehr als 10 Tage.
Nach Auffassung der Regierung — der Herr Minister hat das hier von der Tribüne verteidigt — und nach der Begründung der Regierungsvorlage — so steht es dort wörtlich — ist die Heranziehung des Rentners zu diesen Kosten unerläßlich, „da der Rentner erfahrungsgemäß das Krankenhaus nicht nur zur Heilung akuter Krankheiten, sondern auch zur Gewährleistung etwa erforderlicher Pflege aufsucht".
Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Begründung der Regierung wird der Notlage unserer Alten nicht gerecht. Die Aufgabe der Regierung — darüber habe ich hier sehr ihr Wort vermißt — müßte darauf gerichtet sein, in Verbindung mit den Ländern und mit allen Stellen, die dafür Verantwortung mittragen, dafür zu sorgen, daß mehr Altersheime und Pflegeheime für die Alten geschaffen werden, um etwas Positives für die Alten zu tun, und nicht hier mit einem wirtschaftlichen Druck an diese Probleme heranzugehen.
Herr Minister, solange die Renten so niedrig sind, wie sie jetzt sind, ziehen Ihre Argumente nicht. Wenn wir eine Rente von 75 % des Arbeitsverdienstes hätten, dann sähe die Sache anders aus. Wir haben aber von den harten Tatsachen des Lebens der Rentner von heute auszugehen. Was ist die Wirkung von dem, was Sie, Herr Minister, sagen? Die Wirkung davon ist, daß der Rentner, der ins Krankenhaus muß, in einen Konflikt gerät: Wenn ich ins Krankenhaus gehe, dann ist das Geld für die Miete nicht da, oder wie kann ich dann dieses oder jenes wirtschaftliche Problem lösen? — Von diesem Stand der Lebenshaltung, der heute leider noch besteht, haben wir auszugehen und nicht von den Idealen, denen wir vielleicht gemeinsam zustreben.
Nun wird in dem Gesetz gesagt – und das bezeichne ich, um es mal deutlich zu sagen, als ein Bonbon —: die Regelung soll der Selbstverwaltung der Kasse überlassen bleiben, die einen Höchstbetrag für die Kostenbeteiligung — die bis zu 40 % der Rente ausmacht — festsetzen kann. Es steht auch im Entwurf, daß das nach dem Familienstand und nach den sozialen Verhältnissen gestaffelt werden soll und daß bestimmte Krankheiten von der Beteiligung ausgenommen werden sollen. Um es einmal ganz deutlich auszusprechen: Ich habe den Eindruck, daß hier die Bundesregierung die Verantwortung auf die Organe der Selbstverwaltung verlagert.
— Herr Kollege Horn, man verlagert zwar die Verantwortung auf die Organe der Selbstverwaltung; aber dieses Gesetz bringt die Selbstverwaltung in eine wirtschaftliche Zwangslage in bezug auf die Rentnerkrankenversicherung, so daß Situationen entstehen, die der Selbstverwaltung einen Zwang auflegen. Denn wie ist die praktische Finanzierung? Es gibt einen Beitrag, den zahlt die Rentenversicherung. Der Beitrag beträgt zwei Drittel des sonstigen Beitrags unter Zugrundelegung von 60 % des durchschnittlichen Grundlohns, also im wirtschaftlichen Ergebnis — auf das kommt es ja an — 40 % des Beitrags, den sonstige Versicherte zahlen. Meine Damen und Herren, ich nehme an, auch Sie von der Regierungskoalition werden detaillierte Berechnungen von Trägern der sozialen. Krankenversicherung erhalten haben, in denen Ihnen die Fehlbeträge dargelegt wurden. Ich nehme an, daß einige von Ihnen selbst als Vertreter der Arbeitgeber oder der Versicherten in den Organen mitarbeiten und die Dinge aus eigenster Erfahrung kennen. Überall, wo solche Berechnungen angestellt werden — ob sie auf den Pfennigbetrag richtig sind, will ich gar nicht untersuchen —, zeigen sie, daß im wirtschaftlichen Ergebnis die Träger der Krankenversicherung für die Zukunft stärker belastet werden, als sie es bisher sind. Dias ist doch die gesamte Tendenz. Die wirtschaftliche Belastung der Rentnerkrankenversicherung, die jetzt im Grundsatz auf der Rentenversicherung liegt, wird stärker auf ,die Krankenversicherung verlagert. Deshalb werden die Organe der Krankenkassen einfach vor eine Zwangslage gestellt. Formal gesehen, Herr Kollege Horn, sind sie zwar frei; aber sie haben die Verpflichtung, mit den Mitteln nach Gesetz und Satzung zu wirtschaften, und kommen deshalb in diese Zwangslage. Darum meine ich: es ist nicht gut, in dieser Weise die Dinge zu verlagern, wenn wir sehen, daß solche Situationen entstehen, in denen eine erhebliche Zahl von Kassen die vollen, wie ich sagen muß, unsozialen Möglichkeiten, die hier geschaffen werden sollen — Rentenkürzungen —, ausschöpfen müssen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß eine grundsätzliche Bemerkung. Alle diese Dinge betreffend Krankenscheingebühr, Kostenbeteiligung bei Arzneien, Kostenbeteiligung bei Krankenhausaufenthalt, stehen unter dem Motto: Stärkung der Selbstverantwortung. Man hört im Gespräch oder liest in der Zeitung, wir müßten die Selbstverantwortung stärken. Herr Kollege Franz hat es :auch erwähnt. Da wird immer das Beispiel gebraucht, der Mensch solle doch mal daran gewöhnt werden, im Interesse seiner Gesundheit auf eine Schachtel Zigaretten oder auf einen Kinobesuch zu verzichten. Das ist das übliche Beispiel, das wir alle kennen. Meine Damen und Herren, dazu. ein ernstes Wort. Ich glaube, eine
solche Betrachtungsweise verkennt die Lage der sozial schwachen Bevölkerungskreise und der überwiegenden Mehrzahl der Rentner. Für diese Menschen, insbesondere die Rentner, die in ihrer überwiegenden Mehrzahl jeden Pfennig umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben,
lautet die Fragestellung eben leider heute nicht so: „Kinobesuch oder ärztliche Behandlung?", sondern sie lautet: „Dringendster Lebensbedarf oder Zahlung von 50 Pfennig plus 25 Pfennig für die ärztliche Behandlung?"
Das ist die Fragestellung im Leben der sozial schwachen Kreise unseres Volkes; und für die tragen wir in erster Linie die Verantwortung.
Meine Damen und Herren, ich muß es ganz deutlich sagen: die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält es für einen verhängnisvollen Schritt, bei der Stärkung des sozialen Verantwortungsbewußtseins gerade mit den sozial Schwächsten, den Rentnern, dazu noch den Rentnern, die Krankenhauspflege benötigen, zu beginnen.
Wir wollen uns über Stärkung des sozialen Verantwortungsbewußtseins in jedem Bereich gerne unterhalten, aber wir glauben, es ist ein schlechtes Ding, hiermit bei den sozial Schwächsten zu beginnen.
Herr Kollege Dr. Franz hat die Dinge als einen konstruktiven Beginn für die Sozialreform bezeichnet. Die Bevölkerung hat von Sozialreform andere Vorstellungen; sie hat die Vorstellung einer Verbesserung der Leistungen, zumal für die sozial Schwächsten. Mindestens das! Aber dias, was hier vorgelegt wird, ist im entscheidenden Teil — ich habe die positiven Seiten des Gesetzentwurfs gewürdigt — keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung der sozialen Leistungen. Deshalb halten wir das für einen schlechten Beginn einer Sozialreform. Wir glauben nicht, daß dieser Gesetzentwurf mit den Vorstellungen, die wir, so hoffe ich, gemeinsam von sozialer Gerechtigkeit haben, vereinbar ist.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion trotz ihrer sehr starken Bedenken gegen den Gesetzentwurf mit der Überweisung an den Ausschuß einvenstanden ist, so deshalb, weil wir die Hoffnung haben, Sie bei den Ausschußberatungen überzeugen zu können. Herr Kollege Franz hat gewisse Schwierigkeiten in seiner eigenen Fraktiondargelegt. Daran werden wir also sehr intensiv anknüpfen. Wir haben die Hoffnung, daß dann ein Gesetz beschlossen wird, das die jetzigen Nachteile der Rentnerkrankenversicherung beseitigt und somit Verbesserungen, aber keine Verschlechterungen für die Rentner und für alle Versicherten schafft.