Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Franz hat am Beginn seiner Ausführungen davon gesprochen, daß dieses Gesetz über die Rentnerkrankenversicherung ein Teil der kommenden Sozialversicherungsreform sei. Er hat am Ende seiner Rede wieder davon gesprochen. Wenn ich nicht ganz schlecht zugehört habe, dann hat der Herr Arbeitsminister persönlich eine solche Aussage nicht gemacht. Ich halte es mit ihm. Ich bin überzeugt, daß in der Form dieser Kabinettsvorlage der Stein nicht in das Gebäude der künftigen Sozialreform einzupassen ist,
sondern daß er durch die Parteien dieses Hauses ganz erheblich behauen und modelliert werden muß.
Kurz in Erfüllung des Wunsches des Herrn Präsidenten: Kostenträger! Die Fama berichtet, daß im Jahre 1941, als die Verordnung über die derzeitige Rentnerkrankenversicherung herauskam, ein Anhören des Deutschen Städtetages stattgefunden habe. Dort hätten die Vertreter des Städtetages erklärt, diese Neuregelung würde sie ganz erheblich von Fürsorgeaufgaben entlasten, und sie hätten sich bereit erklärt, als Äquivalent eine Senkung der Verpflegungssätze in den kommunalen Krankenhäusern zu bieten. Das haben sie nicht getan. Im Gegenteil, Sie wissen, daß die Bewegung im Augenblick leider Gottes anders herum geht. Immerhin sind diese Leute damals nicht der Ansicht gewesen, die der Herr Professor Schellenberg hier vorgetragen hat; daß die Solidarität allein genügt hätte. Sie waren jedenfalls der Ansicht, daß in den Kapitalien der Rentenversicherungsanstalten keine Dekkungsmittel oder zweckgebundene Mittel für die Rentnerkrankenversicherung enthalten waren. Sonst wären sie nicht der Ansicht gewesen, sie würden von ihren kommunalen Pflichten entlastet werden.
Die Konstruktion ist jetzt doch so, daß die Rentenversicherung nach einem neugeschaffenen System der Krankenversicherung die Mittel zur Verfügung stellen soll. Ich will auf das System nicht im einzelnen eingehen: eine fingierte Grundlohnsumme, davon noch hohe Rabatte. Ich gehe nur auf das Entscheidende ein. Es herrscht gar kein Zweifel darüber, daß das, was hier an die Krankenversicherungsträger gegeben wird, unter keinen Umständen dazu ausreicht, die tatsächlichen Aufwendungen der Krankenversicherung für die Rentner zu decken. Wenn die Mittel nicht ausreichend sind, dann gibt es in der Krankenversicherung nur zwei Möglichkeiten: man erhöht die Beiträge oder man senkt die Leistung.
Es gibt noch eine dritte, etwas unfaire Methode; ich hoffe, daß ihre Zeit bald vorbei ist. In den letzten Jahren ist man seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen. Man hat den Ärzten einfach nur die Hälfte ihres Honorars gegeben. Die Zeiten scheinen jetzt vorbei zu sein. Genau genommen gibt es aber nur zwei Möglichkeiten: Beitragserhöhung oder Leistungssenkung.
Was die Frage der Beitragserhöhung angeht, so habe ich den Eindruck, daß zwei entscheidende und bedeutsame Gruppen in Deutschland — Arbeitgeber und Arbeitnehmer — die nach dem Gesetz zur Wiederherstellung der Selbstverwaltung gemeinsam diese Dinge bestimmen, gar nicht bereit sind, in irgendeiner Form an die Erhöhung des Beitrags heranzugehen.
Das Kabinett hat sich in der Vorlage Mühe gegeben, den Kreis der Leute, die einen Anspruch auf die Rentnerkrankenversicherung haben sollen, klein zu halten. Auch von der Frage der Rechtmäßigkeit ganz abgesehen, ist an den Ausführungen des Herrn Professors Schellenberg einiges richtig. Mit dem Grundsatz des Versicherungsprinzips deckt sich die Vorlage nicht ganz.
Ich will ferner darauf hinweisen, daß das vorgeschlagene Experiment, nur die Rentner mit einem Anspruch an die Rentnerkrankenversicherung auszustatten, die mindestens zwölf Monate in den letzten fünf Jahren vor ,dem Eintritt ihrer Invalidität versichert gewesen sind, wenn man damit die Zahl der Anspruchsberechtigten verringern wollte, zwecklos sein dürfte. Man bietet für diese zwölf Monate Mitgliedschaft eine ganz hervorragende Leistung. Man bietet dieser Personengruppe einen Krankenschein vom 65. Lebensjahr bis zum Tage ihres seligen Endes ohne den Zwang zur laufenden Beitragszahlung. Ich bin überzeugt, daß die Aufforderung, so zu verfahren, eine ganz große Anzahl von Leuten, die zwar später einmal einen Anspruch auf eine Altersrente haben, aber nicht pflichtversichert sind, veranlaßt, in irgendeiner Form wieder Kontakt mit den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung zu bekommen. Also das, was Gegenstand einer ernsthaften Überlegung war: wie schränkt man den Personenkreis, der nach § 176 in der Krankenversicherung versichert ist, ein, weil seine Ansprüche über den Rahmen des in der Krankenversicherung Üblichen hinausgehen?, wird hier preisgegeben. In Zukunft wird die Gruppe der sogenannten freiwillig Versicherten immer größer und immer größer werden, aber niemals wird die Krankenversicherung ausreichende Mittel zur Abdeckung dieser neuen Risiken erhalten. Diese Mittel können letzten Endes, wenn sich an dem System nichts ändert, nur durch eine Beschränkung der Leistungen der übrigen Versicherten der Versicherungsträger gewonnen werden.
Wir sind doch der Ansicht, daß es eigentlich nur eine saubere Lösung gibt. Da wir die Rentnerkrankenversicherung für notwendig halten, sollte man dafür sorgen, daß die echten Kosten dieser Versicherung durch die Gewährung eines Rentenzuschlages an jeden Rentner aufzubringen sind. Der eine kann in Fortsetzung seines alten Versicherungsverhältnisses die Mittel zur Beitragszahlung verwenden. Der andere kann von irgendeinem Angebot einer privaten Krankenversicherung oder einer Ersatzkasse Gebrauch machen. Das mag ihm überlassen bleiben. Eine solche Regelung hätte zwei große Vorteile. Erstens könnte niemals 'der Einwand gemacht werden, sie widerspreche dem Gedanken der Versicherung. Zweitens brächte sie die Träger der Krankenversicherung niemals in die Verlegenheit, Leistungen ohne echten Anspruch zu bewilligen.
Um die Ausgaben zu mindern, ist die Bundesregierung zu den Bestimmungen über die Selbstbeteiligung der Versicherten gekommen. Sie gelten jetzt, wenn das Gesetz so beschlossen wird — was ich bezweifle —, für alle Versicherten in der Bundesrepublik. Aber das Gesetz 'ist doch angekündigt
worden als ein Gesetz über die Rentnerkrankenversicherung!
Das ist von den Millionen Rentnern in Deutschland an den Lautsprechern gehört und aus den Zeitungen entnommen worden, und ausgerechnet sie bekommen in diesem Moment diese merkwürdige Kostenbeteiligung präsentiert. Meine Damen und Herren, Selbstbeteiligung, Tragen des eigenen Risikos, ist ja nicht eine Erfindung dieses Kabinetts, das begann ja mit den Brüningschen Notverordnungen. Aber immer stand in diesen Verordnungen ein Befreiungskatalog, und in diesem Befreiungskatalog waren die Rentner aufgeführt. Ausgerechnet unter der Parole „Rentnergesetzgebung" beginnt man mit dieser Maßnahme!
Ich bin ohne Namensnennung, aber wegen meines Berufs von Herrn Professor Schellenberg verschiedentlich angesprochen worden, und ich will darauf gleich antworten. Herr Minister Storch hat vorhin von Bagatellfällen gesprochen. Ich muß dazu eines ergänzend nachtragen. Auch ganz schwere Erkrankungen insbesondere die gefürchteten
Krebserkrankungen und die Tuberkulose, fangen als Bagatellfälle an!
Das Problem der Früherfassung kann nicht mit einer Handbewegung beseitigt werden. Die Frage lautet nur so: Würde denn eine Krankenscheingebühr dazu führen, daß eine so große Entlastung der Kassenärzte vom Rezeptschreiben für Leute, die Pfefferminztee verlangen und die mit jedem Schnupfen gelaufen kommen, eintritt, daß der Arzt Zeit hätte, sich der Diagnostik mehr zu widmen, als das im Augenblick bei überfüllten Warteräumen möglich ist? Das könnte sein, meine Damen und Herren! Wir werden uns im Ausschuß sehr reiflich zu überlegen heben: was dient der Früherkennung der Erkrank ungen im Augenblick besser, die Krankenscheingebühr oder das Weglassen der Krankenscheingebühr?
Anders und präzise kann ich mich jetzt schon über die Frage der Krankenhauskostenbeteiligung der Rentner ausdrücken. — Ich bitte, Seite 3 aufzuschlagen, in der linken Spalte unten —: „Dem § 184 wird folgender Abs. 6 angefügt." Der letzte Satz lautet:
Sie kann Richtlinien festlegen, nach denen der Vorstand zur Vermeidung unbilliger Härten in Einzelfällen die Beteiligung ermäßigen oder von ihr absehen kann.
Das ist die Einführung der Bedürfnisprüfung in die deutsche Sozialversicherung!
Dieser Gedanke ist der deutschen Sozialversicherung bis jetzt völlig fremd gewesen.
Sehr viele, die allermeisten der Rentner, bei denen eine Krankenhauseinweisung in Frage kommt, werden sagen, daß bei ihnen eine unbillige Härte bestehe. Ich glaube, die meisten werden so argumentieren. Dann werden Sie erleben, daß die Prüfung für die Anwendung eines solchen Paragraphen zu einer Reihe von Streitfällen, zu endlosen Streitfällen an den Schaltern der Krankenkassen führt und daß die Streitfälle bis in die Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit hinein endlos weiterlaufen. Sie werden dann etwas erleben, was wir in der deutschen Krankenversicherung bis
heute noch nicht erlebt haben: den Zwang zu einer
ungeheuren Aufblähung des Verwaltungsapparats.
Vor einigen Jahren habe ich mich in den Vereinigten Staaten mit einer Reihe von Sozialpolitikern darüber unterhalten, warum eigentlich die Amerikaner in den Krisenjahren ihre große Altersrentenversicherung eingeführt haben. An Mitteln hat es ihren karitativen Verbänden nicht gefehlt; die haben spendefreudig pro anno ruhig 4 Milliarden Golddollar aufgebracht. Das war nicht der Grund. Der Grund war ein anderer. Diese Organisationen, die das freiwillig taten, konnten das nicht anders machen als unter Durchführung einer fortgesetzten Bedürftigkeitsprüfung. Und diese Situation, daß ein großer Teil von Staatsbürgern einer fortgesetzten Überwachung seiner Lebensverhältnisse ausgesetzt war, war so unerträglich für das Empfinden eines demokratischen Volkes, daß man lieber die genormte Versicherung schuf.
Wir kennen die Anwendung eines solchen Grundsatzes bei uns auch. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer gibt es bekanntlich bekanntlich auch Richtlinien und Normen. Denken Sie an die Veranlagungsgrundsätze für die Landwirtschaft: Hektargrößen, Bonitäten usw. Auch da haben die klugen Finanzminister schon lange darauf verzichtet, die Idee des Rechts ganz besonders perfektionistisch anzuwenden; denn das Resultat wäre fürchterlich gewesen. Diese Idee eines perfektionistischen Rechts ist ja doch die Mutter zahlloser Beamtengeschlechter gewesen.
§ 184 Abs. 6 wird nicht durchzuführen sein; das Maß der wirtschaftlichen Vorteile wird den schlechten Eindruck nicht auswischen.
Ich glaube, wir werden nach allem, was man hier gehört hat, im Ausschuß eine Mehrheit finden, die diese Beteiligung an den entstandenen Krankenhauskosten ablehnt.
Noch einmal Grundsätzliches zu der Kostenbeteiligung. Der Herr Arbeitsminister und die Bundesregierung haben damit unserer Ansicht nach einen Weg beschritten, den man, wenn auch langsam, weiter beschreiten muß. Der Gedanke, daß der Versicherte das wirtschaftliche Risiko mitzutragen hat, wird bei uns ernsthaft diskutiert werden. Der Herr Arbeitsminister hat eine Reihe von Gründen dafür angegeben; es werden auch noch andere genannt werden. Auch ich will Ihnen noch einen anderen vortragen.
Wenn man etwa die Idee entwickeln würde, die Naturalleistung, die in der Krankenbehandlung gewährt wird, in der Fürsorge zu gewähren, und wenn man den Fürsorgeunterstützten einen Korb mit Brot oder mit Fleisch in der Woche aushändigen wollte, dann möchte ich das Gelächter hören, das bei allen fortschrittlichen Sozialpolitikern sofort ausbräche. Naturalleistungen gehören in einen Katalog von Vorstellungen, die heißen: Deputat und Dienstbarkeit und Obrigkeit. Sie paßt letzten Endes nicht in einen Staat, von dem wir und alle Parteien dieses Hauses erwarten, daß er von selbstbewußten und freien demokratischen Leuten bewohnt wird. Keiner wird auf die Idee kommen, jetzt etwa die Forderung aufzustellen, in der deutschen Krankenversicherung die Naturalleistung abzuschaffen und die Erstattung einzuführen. Wir wissen ganz genau, daß dazu Reallöhne gehören,
die wir im Augenblick nicht aufzuweisen haben. Aber niemals sollte bei einer kommenden Reform der Weg verlassen werden, den das Kabinett jetzt beschritten hat.
Das Gesetz enthält auch auf der Leistungsseite eine Reihe sehr lobenswerter Verbesserungen: die Verbesserung des Sterbegeldes, die sehr hübsche Sache, daß nun auch der Anspruch des alten Menschen auf Zahnersatz erfüllt wird. Meine Damen und Herren, wer von Ihnen noch nicht die ersten grauen Haare hat, weiß nicht ganz genau, was das bedeutet. Im Alter hat der Mensch viel Bedürfnis nach Keramik, nach dreierlei Keramik: nach Tassen für den Bohnenkaffee, nach Gläschen, um ein paar Schlücke aus der Kelter des Dionysos zu bekommen, und nach den kleinen Porzellandingern: wenn man die im Mund hat, kann man kauen, und wenn man keine drin hat, kriegt man Leibweh. Übersehen Sie also nicht Dinge, die dem Praktiker in der Menschenbehandlung eigentlich nicht entgehen dürften.
Meine Damen und Herren, die Stunde ist vorgerückt. Ich hoffe, daß bei den Beratungen im Ausschuß die Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause dazu führen wird, daß eine Regelung der Krankenversorgung der Rentner in Deutschland so zustande kommt, daß sie allen alten Leuten in Deutschland gestattet, ihren Lebensabend in Ruhe zu verbringen.