Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus meiner advokatorischen Praxis ist mir der Satz bekannt: Je länger ein Plädoyer, desto höher die Strafe. Es hätte daher nicht des Hinweises des Herrn Präsidenten bedurft, daß ich mich möglichst kurz fassen möge. Ich kann das schon deshalb tun, weil meine Herren Vorredner bereits die strittigen Fragen sehr eingehend behandelt haben.
Ich möchte vom GB/BHE aus erklären, daß wir die Bundesrechtsanwaltsordnung begrüßen, weil sie schon längst fällig ist, und daß wir dem Bundesjustizministerium dafür dankbar sind; denn der jetzige Zustand, daß in verschiedenen Zonen und verschiedenen Ländern verschiedene Rechtsanwaltsordnungen gelten, ist einfach unhaltbar. Daher ist eine bundeseinheitliche Regelung dringend notwendig. Die alte Rechtsanwaltsordnung aus dem Jahre 1878, auf die sich die derzeit geltenden Rechtsanwaltsordnungen im wesentlichen stützen, ist zumindest leicht ergraut und 'deshalb dringend reformbedürftig. Es muß eine bundeseinheitliche Rechtsanwaltordnung geschaffen werden, welche dem Geist und den Verhältnissen unserer heutigen Zeit entspricht, dabei besonders überlebte Begriffe abschafft und alte Zöpfe abschneidet, was ebenfalls bereits gesagt wurde.
Die Kompetenz des Bundes ergibt sich klar und deutlich aus Art. 74 Ziffer 1 des Grundgesetzes, in dem die Rechtsanwaltschaft ausdrücklich genannt ist.
Die wichtigsten Grundsätze und Grundgedanken der alten Rechtsanwaltsordnung gelten auch noch in diesem Jahrhundert. Das ist vor allem eine freie, unabhängige, freizügige, standesbewußte, fachlich und persönlich qualifizierte Advokatur, die neben dem Gericht und der Staatsanwaltschaft ein Fundament unserer Justiz darstellt. Auch der Grundsatz der Selbstverwaltung muß heute mehr denn je gelten, und vor allem anderen muß nach all den Wirrungen und Irrungen der letzten Jahrzehnte eine wohldurchdachte Ehrengerichtsbarkeit geschaffen werden. Der Advokatenstand hat leider in den letzten Jahren an seinem Ansehen und an seiner Würde, an seinem, sagen wir, noblen Charakter
etwas gelitten. Ich denke da nicht nur an den alten Vers von Heinrich Heine:
Siebenundsiebzig Advokaten —
Vaterland, du bist verraten!
Siebenundsiebzig Professoren —
Vaterland, du bist verloren!,
sondern mir fallen da auch Namen neueren Datums ein wie z. B. Kemritz oder Klibansky. Es ist höchste Zeit, daß wir Rechtsanwälte nicht nur immer fremde Rechte vertreten, sondern auch unsere eigenen Rechte endlich festlegen und damit dem ganzen Stand die Bedeutung geben, die ihm gebührt.
Ich anerkenne alle Verbesserungen und alles Positive des vorliegenden Regierungsentwurfs, muß aber auch schon heute in der ersten Lesung gegen einzelne Bestimmungen ernstliche Bedenken vorbringen, die im Rechtsausschuß noch gründlich behandelt werden müssen. Das gilt vor allem hinsichtlich der hier heute schon oft betonten sogenannten Simultanzulassung zum Oberlandesgericht — §§ 37, 64, 253. Im alten Österreich und in seinen Nachfolgestaaten konnte jeder Advokat bei jedem Gericht bei allen Instanzen über alle Länder,
Nationen und Sprachen hinweg vertreten — von Innsbruck bis nach Czernowitz, von Triest bis nach Reichenberg und auch in der Tschechoslowakei von Eger bis hinter Kaschau. Das hat sich jahrzehntelang bewährt, das gilt in diesen Staaten auch heute noch; ebenso ist es in der Schweiz und auch drüben in der Sowjetzone.
Ich muß Ihnen offen sagen: Ich bin jetzt schon acht Jahre in Deutschland, aber ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum ein Rechtsanwalt seinen Prozeß aus erster Instanz, in dem er die Partei, den Tatbestand, die Rechtsfragen und alles andere ganz genau von Anfang an kennt, nicht auch in der Berufungsinstanz beim Oberlandesgericht vertreten könnte; das kann ich absolut nicht einsehen.
Überdies soll nach der vorliegenden Regelung die Simultanzulassung in einzelnen Ländern und Bezirken, in denen sie bereits ist, weiterbestehen, in anderen aber nicht. Wo bleibt hier die bundeseinheitliche Regelung? Dadurch entstehen nur weitere Kosten und weitere Komplikationen, die dem rechtsuchenden Publikum in keiner Weise dienen. Und dann wissen wir doch auch sehr gut, wie das in 'der Praxis ausgeübt wird; z. B. die nach § 64 Abs. 2 vorgesehene Regelung, wonach beim Oberlandesgericht nur unter Beistand des dort zugelassenen Vertreters plädiert werden kann, ist doch eine auf der Hand liegende Verlegenheitslösung. § 37 wäre also nach meiner Ansicht dahin zu ändern, daß es dort heißt — diesen Änderungsantrag melde ich heute schon an —:
Ein bei einem Landgericht zugelassener Rechtsanwalt ist auf seinen Antrag zugleich beim Oberlandesgericht zuzulassen, in dessen Bezirk das Landgericht seinen Sitz hat.
Eine zweite Frage ist die Doppelgleisigkeit in der Ehrengerichtsbarkeit, die auch bereits besprochen wurde. Das Ehrengericht bei der Rechtsanwaltskammer soll nur über Warnung, Verweis und Geldbußen erkennen, nicht aber über Ausschluß und Berufs- und Vertretungsverbot, wofür nur der Ehrengerichtshof beim Oberlandesgericht zuständig sein soll. Meiner Ansicht nach soll dieser Ehrengerichtshof beim Oberlandesgericht nur zweite Instanz, nur Rechtsmittelinstanz sein; denn
ich glaube, daß normalerweise im Falle eines Ausschlusses und eines Vertretungs- und Berufsverbotes der Betroffene sowieso in die Berufungsinstanz, in die weitere Instanz gehen wird; und schließlich kann ja noch eine dritte und letzte Instanz — das ist der Senat beim Bundesgerichtshof — hier eingeschaltet werden.
Ein weiteres, gerade uns sehr am Herzen liegendes, sehr wichtiges soziales, kollegiales und vor allem auch menschliches Problem ist die Frage der Alters- und Hinterbliebenenversicherung der Rechtsanwälte. Das muß allerdings durch ein besonderes Gesetz geregelt werden, das bereits, wie ich weiß, im Bundesjustizministerium in Vorbereitung ist, das aber auch schon hier bei der Bundesrechtsanwaltsordnung erscheinen muß, damit Kompetenzen geschaffen werden können. In den §§ 103 und 203 wird nur festgestellt, daß die Kammerversammlung und die Bundesrechtsanwaltskammer Fürsorgeeinrichtungen für Rechtsanwälte und deren Hinterbliebene zu schaffen haben. Mit einer bloßen Fürsorge ist heute sehr vielen Rechtsanwälten und deren Hinterbliebenen wirklich nicht gedient. Sie brauchen eine obligatorische, gesicherte Altersversorgung für sich und ihre Erben. Darf ich nur, meine Damen und Herren, darauf hinweisen, daß sehr viele ältere Kollegen, ,die heimatvertrieben sind, ihr ganzes Vermögen, ihren ganzen Kundenkreis verloren haben, jetzt hier bei irgendeinem kleinen Amtsgericht draußen kümmerlich leben und für den Fall ihres Alters und für den Fall der Todes in keiner Weise gesichert sind. Sollen sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind? Auch andere Berufsstände, wie Ärzte, Apotheker und auch die Steuerbevollmächtigten und Wirtschaftsprüfer, haben schon oder wollen in den vorliegenden Gesetzentwürfen, die im Rechtsausschuß schon anhängig sind, diese Altersversorgung. Es wird daher Aufgabe unseres Gesetzeswerkes sein, diese Altersversicherung auch hier schon, in der Bundesrechtsanwaltsordnung, kompetent festzulegen. Daß dafür von anderen Kollegen Opfer gebracht werden müssen, ist klar. Aber es handelt sich dabei, wie ich bereits sagte, nicht nur um eine Standesfrage, sondern auch um ein sehr wichtiges soziales und menschliches Problem, das eben Opfer erfordert. Ich verweise hier auf einen bereits ausgearbeiteten Entwurf eines gesonderten Ausschusses über eine eigene Versorgungsstelle für Rechtsanwälte, der in den Kammerversammlungen schon lebhaft diskutiert wurde. Ich weiß, daß es sich dabei um ein sehr umstrittenes Problem handelt — auch verfassungsrechtlich —; aber gerade in dieser Frage wird sich zeigen, ob ein echtes Standesbewußtsein, eine echte Kollegialität besteht oder nicht. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß Österreich, ein gewiß weit ärmeres Land als wir, bereits eine gesetzliche Altersversorgung für Rechtsanwälte hat.
Sehr mit Recht bestritten wurde auch heute die vom Bundesrat gewünschte und von der Bundesregierung dann auch angenommene Ergänzung des § 19, die sogenannte politische Klausel. Danach ist die Zulassung zu versagen, wenn die Besorgnis begründet ist, daß er als Rechtsanwalt die verfassungsmäßige Ordnung gefährden werde. Wer soll das feststellen, ob tatsächlich die verfassungsmäßige Ordnung gefährdet wurde, wo bei uns — wir hören das doch jeden Tag — nichts umstrittener ist als gerade die Bestimmungen des Grundgesetzes? Ein Rechtsanwalt, der in Ausübung seines Mandats über verfassungsrechtliche Fragen anderer Meinung ist
als ,die gerade herrschende Regierung, soll hiernach eventuell seine Existenz verlieren. Meine Damen und Herren, ich erinnere mich dabei an ein Lied, das wir als junge Studenten seinerzeit im alten Österreich gesungen haben:
Der Staat, der Staat ist in Gefahr,
der Staat, der niemals sicher war.
Um dem Appell des Herrn Präsidenten zu folgen, will ich damit abschließen und nur nochmals auf die bereits erwähnte Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins und auf die Denkschrift des Präsidiums der Arbeitsgemeinschaft verweisen, worin alle diese Einwendungen näher ausgeführt sind.
Zum Schluß möchte ich noch einmal feststellen: wir bejahen die Notwendigkeit dieser Gesetzesregelung und bejahen auch die Grundgedanken der neuen Bundesrechtsanwaltsordnung, haben aber in einzelnen Fragen ernstliche Bedenken. Wir wollen vor allem ein Gesetzeswerk schaffen, das ebenso wie die alte Rechtsanwaltsordnung womöglich auch über 70 Jahre alt wird und nicht nur dem Ansehen des ganzen Standes, sondern in erster Linie dem Recht dient; denn wir Rechtsanwälte sind geradezu fanatische Anhänger des Rechts unid müssen es sein.
Auch ich beantrage Überweisung an den Rechtsausschuß.