Danke schön, Herr Präsident! — Meine Damen und Herren, das entscheidende Problem ist: Wann darf überhaupt geschossen werden? Hier muß ich sagen, Herr Minister: Der Entwurf könnte auch noch aus dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 stammen. Damals wäre er mit seiner Regelung des Schußwaffengebrauchs sicher ein Fortschritt gewesen, aber in unserer Zeit sichert er der Bevölkerung nicht das grundgesetzlich verbriefte Recht auf die Unversehrtheit des Lebens und der Person. Die dehnbaren Bestimmungen, die Sie hier gebracht haben, überfordern doch auch den einzelnen Beamten; sie setzen juristische Kenntnisse voraus, die Sie von dem 'einfachen Polizeibeamten gar nicht verlangen können. Ich darf Ihnen idas an einigen Beispielen darlegen. In § 7 Abs. 1 Ziffer 1 heißt es: „. . . ., die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt, zu verhindern". Ja, Herr Minister, es gibt eine ganze Reihe von Paragraphen im Strafgesetzbuch, wo die Frage, ob ein Verbrechen oder ein Vergehen vorliegt, erst im Strafmaß zum Ausdruck kommt. Wie soll der einzelne Beamte nun erkennen, ob es sich hier bereits um ein Verbrechen oder nur um ein Vergehen handelt? Ich denke an Einbruchsdiebstahl, an Körperverletzung.
Denken Sie auch an § 7 Abs. 2 Buchstabe c: „eines Verbrechens dringend verdächtig ist"! Das ist korrespondierend zu dem, was ich eben gesagt habe. Daß Sie das Wildern sofort mit dem Schießen ahnden wollen, sollte man auch noch einmal gesondert untersuchen.
Besondere Bedenken habe ich aber gegen § 7 Abs. 3. Hier soll „zur Vereitelung der Flucht oder zur Wiederergreifung einer Person, die sich zum Vollzug der gerichtlich angeordneten Sicherungsverwahrung in amtlichem Gewahrsam befindet", sofort geschossen werden. Herr Minister, Anwälte aus diesem Hause werden Ihnen sicher bestätigen können, daß Fälle vorkommen — ich kenne einen solchen Fall aus der Praxis der letzten Tage —, wo eine alleinstehende Frau, die bei Verwandten gewohnt hat und von diesen Verwandten — hier aus der Umgebung des Hauses — entfernt werden sollte, plötzlich morgens um 8 Uhr aus dem Bett geholt und zum Gericht geschleppt wird, ohne daß sie irgend etwas von der Vorführung weiß. Wenn sie sich nun plötzlich wehrt und versucht wegzulaufen, obwohl die Vorführung gerichtlich angeordnet ist, so scheint mir das doch ganz verständlich zu sein. Sie soll ja erst vorgeführt werden. Soll dann sofort geschossen werden? Dann wollen Sie auf jeden, der sich ,,wegen eines Verbrechens oder Vergehens oder des dringenden Verdachts eines Verbrechens oder Vergehens im 'amtlichen Gewahrsam befindet oder befand", schießen lassen!? Eine Einschließungsstrafe, Herr Minister, ist auch Jugendarrest. Soll, wenn der Junge 'entspringt, nun sofort geschossen werden? Soll bei jedem, der zwei Monate Gefängnis hat und versucht zu fliehen, soll in jedem Fall, wenn einer, wie es hier heißt, „eines Verbrechens dringend verdächtig ist und sich der Feststellung seiner Person zu entziehen versucht", sofort geschossen werden?
Dann wollen Sie nach Ziffer 4 schießen lassen auf „eine Person, die 'einen Festgenommenen oder Gefangenen mit Gewalt aus amtlichem Gewahrsam zu befreien versucht". Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß nach dem Strafgesetzbuch Familienangehörige bei solchen Versuchen straffrei bleiben. Aber in jedem Fall wollen Sie also nun schießen lassen. Dias geht doch wirklich zu weit. Beispielsweise auch der Abs. 5. Wann besteht nun eine solche Gefahr, daß Gewalttaten unmittelbar bevorstehen?
Wir sollten uns den Katalog, Herr Minister, sehr genau ansehen. Ich glaube, die ganze Aufzählung ist unter dem Gesichtspunkt gemacht worden — vor allem der § 7 Abs. 3 —: hier ist der Staat, und wenn du dich in dessen Händen befindest und wenn du nicht alles befolgst, dann mußt du eben damit rechnen, daß du totgeschossen wirst. — Aber das verträgt sich nicht mit den Grundgedanken unseres Grundgesetzes. Ich meine, wenn auch einmal ein Dieb entflieht und er wird erst drei oder acht Tage später verhaftet und er wird nicht auf der Flucht erschossen, dann ist das auch nicht schlimm. Deshalb brauchen wir — Sie haben das mit Recht gesagt — im Interesse der Beamten ganz klare und einfache Bestimmungen, die dier Beamte handhaben kann. Wir wünschen daher, daß diese Bestimmungen so gefaßt werden, daß — außer den Fällen der Nötigung und des Notstandes, über die wohl bei allen Fraktionen Übereinstimmung besteht — nur in den Fällen geschossen werden soll, wenn eine Person, die sich der Festnahme durch
Flucht zu entziehen versucht, bei einem Verbrechen wider das Leben — außer § 218 — betroffen oder wenn sie unmittelbar nach einer solchen Tat verfolgt wird. Vielleicht könnten wir uns auf dieser Grundlage einigen, daß nur in dem entscheidenden Fall, wenn das Leben eines Beamten oder wenn das Leben anderer Menschen bedroht ist, geschossen wird. Das ist die Grundlage, von der aus wir den Katalog des § 7 bei den Beratungen behandelt wissen möchten.
Ich will davon absehen, Ihnen, Herr Minister, eine Sammlung von Fällen vorzulegen, in denen auf Grund dieser sehr dehnbaren Bestimmungen tatsächlich Schwierigkeiten aufgetreten sind. 99,99 % der fast 200 000 Vollzugsbeamten handeln verantwortungsbewußt nach den bestehenden Bestimmungen, das wissen wir. Gerade im Interesse dieser Beamten müssen die Bestimmungen, wie ich schon sagte, klar und eng begrenzt sein. Sie dürfen nur ein Minimum an Risiko haben. In einer Zeit, in der idas Grundgesetz die Todesstrafe abschafft, soll die Schußwaffe nur gebraucht werden, wenn gar keine andere Möglichkeit besteht, eine Gefahr für das Leben des Beamten oder anderer Personen abzuwenden. Ich meine, in unserem technischen Zeitalter muß es auch einmal möglich sein, einen Mann nach einigen Tagen noch zu verhaften oder sonst irgendwie zu kriegen, selbst wenn er 50 Pfund Kaffee unter dem Arm hat.
Im übrigen, Herr Minister, fehlen ,eine ganze Reihe 'entscheidende Anweisungen und Bestimmungen. Sie haben den Schußwaffengebrauch und die Fesselung sehr 'eingehend geregelt. Aber wie ist das mit den Hieb- und Stoßwaffen? Die Frage, wann geschlagen werden soll und wann Stoßwaffen angewandt werden sollen, ist derart wichtig,