Rede von
Dr.
Gerhard
Schröder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Durch die Anwendung des unmittelbaren Zwanges muß nicht nur in die Freiheit der Person, sondern unter Umständen in die körperliche Unversehrtheit, äußerstenfalls sogar in das Leben eingegriffen werden. Die Bundesregierung hielt es daher mit Rücksicht auf Art. 19 des Grundgesetzes für notwendig, Ihnen den Entwurf eines Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt vorzulegen. Seine Verabschiedung ist dringlich, weil gegenwärtig außer dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz und dem noch geltenden Gesetz über den Waffengebrauch der Reichsfinanzverwaltung vom 2. Juli 1921 keinerlei gesetzliche Vorschriften vorhanden sind. Es bestehen lediglich in der Form von Erlassen der zuständigen Minister ergangene Dienstanweisungen z. B. für den Bundesgrenzschutz und für das Grenzaufsichtspersonal der Bundesfinanzverwaltung.
Die Behandlung des vorgelegten Entwurfs bietet dem Hohen Hause zugleich Gelegenheit, zu den von Zeit zu Zeit immer wieder aufkommenden Diskussionen über die Berechtigung unid den Umfang des Waffengebrauchsrechts Stellung zu nehmen und die teilweise erhobenen Forderungen nach einer Lockerung bestehender Vorschriften mit den Staatsnotwendigkeiten in Einklang zu bringen.
Das Gesetz über den unmittelbaren Zwang wird lediglich im Rahmen der Bundesverwaltung Geltung haben. Da der Bund nach dem Grundgesetz nicht die Kompetenz hat, die Materie auch für die Länderverwaltungen, also besonders für die Polizei der Länder zu regeln, werden bei Verabschiedung des Gesetzes unterschiedliche landesrechtliche Regelungen leider nicht vereinheitlicht. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch für Länderpolizei besteht aber nach Auffassung der Bundesregierung unter den Voraussetzungen des Art. 91 Abs. 2 des Grundgesetzes, d. h. für den Fall, daß sich die Bundesregierung zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes die Polizeikräfte der Länder unterstellen sollte. Die Bundesregierung hält es für notwendig, in § 10 ides Gesetzentwurfs auch diese Gesetzgebungskompetenz des Bundes auszuschöpfen, weil es im Ernstfall zu den größten Schwierigkeiten führen würde, wenn sich die Polizeikontingente der Länder bei überörtlichem Einsatz mit neun verschiedenen Waffengebrauchsvorschriften vertraut machen müßten.
Vorschriften über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt müssen zwei Hauptgesichtspunkten Rechnung tragen. Sie müssen den Staatsbürger schützen, indem sie idem Vollzugsbeamten klar und eindeutig sagen, unter welchen Voraussetzungen der unmittelbare Zwang angewendet werden darf, und damit gewährleisten, daß die Schußwaffe nur in unvermeidbaren Fällen gebraucht wird. Der Staatsbürger darf nicht das Opfer unzweckmäßiger oder willkürlicher Vollzugsmaßnahmen werden. Sie müssen aber auch den Beamten schützen, indem sie gegenüber ungerechtfertigten Angriffen in der Öffentlichkeit oder gegenüber strafrechtlichen Untersuchungen sein Recht zum Waffengebrauch klar umreißen.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der dem Hohen Haus vorgelegte Entwurf diesen Ansprüchen gerecht wird. Der Entwurf stellt in den allgemeinen Vorschriften zunächst deklaratorisch fest, daß die vom Gesetz erfaßten Vollzugsbeamten bei Ausübung öffentlicher Gewalt unmittelbaren Zwang anwenden dürfen, unid zählt dann die wichtigsten Gruppen von Beamten auf, die als Vollzugsbeamte im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind. Eine abschließende Aufzählung dieser Beamtengruppen war weder möglich noch notwendig, da weder das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz noch dieser Entwurf Zwangsbefugnisse verleihen, sondern lediglich das Verfahren bei Ausübung dieser Befugnisse regeln.
Der Entwurf definiert sodann den Begriff des unmittelbaren Zwanges und erläutert den Begriff der körperlichen Gewalt und ihrer Hilfsmittel einschließlich der Waffen. In dien besonderen Vorschriften wird klargestellt, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, wenn eine Freiheitsbeschränkung durch Fesselung vorgenommen werden soll. Als Kernstück des Entwurfs sind dann
biss ins einzelne gehenden Bestimmungen über den Gebrauch von Schußwaffen und Explosivmitteln anzusehen.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der Schußwaffengebrauch im wesentlichen nur zulässig sein sollte zur Verhinderung von Verbrechen, zum Anhalten von Personen, die ein Verbrechen begangen haben, gegen Personen, die zur Strafverbüßung oder wegen dringenden Tatverdachts einsitzen und sich ihrer Aburteilung oder der Strafverfolgung durch die Flucht zu entziehen ver-
suchen, bei versuchter gewaltsamer Gefangenenbefreiung, unter gewissen Voraussetzungen auch gegen eine gewalttätige Menschenmenge, darüber hinaus schließlich im Grenzdienst, wenn sich Personen einem Anhaltegebot oder der Überprüfung durch die Flucht entziehen.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, noch einige Worte darüber, warum die Bundesregierung es für notwendig hält, in § 4 des Entwurfs auch die Gehorsamspflicht der Beamten im Vollzugsdienst abweichend von der allgemeinen Vorschrift Ides § 56 des Bundesbeamtengesetzes zu regeln. Zunächst gilt diese allgemeine Regelung für die im Vollzugsdienst eingesetzten Bundesbediensteten im Angestellten- und Lohnempfängerverhältnis überhaupt nicht. Sie ist für den Vollzugsdienst aber auch nicht brauchbar, weil nach § 56 des Beamtengesetzes der Beamte alle Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen unverzüglich bei seinem Vorgesetzten geltend zumachen hat. Wird die Anordnung aufrechterhalten, bestehen aber seine Bedenken fort, so braucht er sie erst auszuführen, wenn sie von dem nächsthöheren Vorgesetzten bestätigt wird, der auf Verlangen hierüber eine schriftliche Bescheinigung zu erteilen hat. Diese Regelung, die für den allgemeinen Verwaltungsdienst annehmbar sein mag, ist für den Vallzugsdienst, bei dem es auf rasches Handeln ankommt, selbstverständlich unbrauchbar. Die Bundesregierung war daher bestrebt, eine für die Bedürfnisse des Vollzuges geeignete Regelung zu schaffen. Der hier maßgebende § 4 des Entwurfs ist im übrigen auf die Beratungen der Kornmission für die große Strafrechtsreform abgestimmt.
Ich glaube, meine Damen und Herren, zusammenfassend feststellen zu können, daß dieser Entwurf modernen rechtsstaatlichen Grundsätzen Rechnung trägt und daß er den praktischen Notwendigkeiten der Verwaltung entspricht. Ich darf mit der Hoffnung schließen, daß es dem Hohen Hause gelingen möge, ihn bald zu verabschieden.