Rede von
Dr.
Ernst
Müller-Hermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich Herrn Kollegen Schmidt richtig verstanden habe, wird seine Fraktion dem Verkehrsfinanzgesetz in seiner Gesamtheit zustimmen. Ich begrüße das außerordentlich, weil auch in meiner Fraktion von vornherein der Wunsch bestanden hat, ein Gesetz zu verabschieden, das die Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses erhält.
Wir sind uns darüber im klaren, daß das Gesetz nicht in jeder Beziehung ideal ist. Das wird uns nicht nur von den verschiedensten Kreisen, die an den Verkehrsdingen interessiert sind, vorgehalten, sondern das haben wir auch bei den Diskussionen in den eigenen Reihen immer wieder feststellen können. Es gibt verschiedene Auffassungen zu Einzelprojekten, und aus diesem Grunde haben wir uns — wie mir scheint, mit Erfolg — bemüht, einen Kompromiß zustande zu bringen, der zwar erhebliche, zum Teil schwerste Belastungen auf einzelne Teile der Wirtschaft legen wird, aber doch an der Grenze des Vertretbaren und Tragbaren liegt, wobei die Belastungen im Interesse der Ziele, die wir mit diesem Gesetz verfolgen, notwendig sind.
Das Verkehrsfinanzgesetz ebenso wie der Antrag auf Abnahme der betriebsfremden politischen Lasten der Bundesbahn, den wir gleichzeitig behandeln, ist ein Teilstück des Verkehrsneuordnungs-Programms, dessen Bewältigung wir im Bundestag — ich betone das ausdrücklich: wir im Bundestag — uns zur Aufgabe gesetzt haben. Wir werden im Laufe der nächsten Monate noch verschiedentlich Diskussionen über Einzelfragen des Verkehrs haben, einfach deshalb, weil das Problem
in verschiedenster Gestalt immer wieder auf uns zukommt. Es besteht in diesem Hause Übereinstimmung, daß gerade eine arbeitsteilige Wirtschaft einen funktionsfähigen und qualifizierten Verkehrsapparat braucht. Wir sind uns auch darüber einig, daß dieser Verkehrsapparat heute zwar funktioniert, aber doch zum Teil mit Mängeln behaftet ist, die wir abstellen müssen. Gerade auf dem Gebiet des Verkehrs gilt es, die technische Entwicklung, neue technische Möglichkeiten zu nutzen. Aber es gilt desgleichen, dafür zu sorgen, daß die Menschen nicht zu einem Opfer einer solchen technischen Entwicklung werden. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß die Entwicklung der Schienenwege in allen Ländern der Welt wesentlich zu einer Förderung des Wohlstandes und zu der Entwicklung unserer großen Wirtschaftszentren und Industrien beigetragen hat, aber es gibt ebensowenig einen Zweifel darüber, daß auch die Entwicklung des Kraftwagens wesentliche Vorteile für die Weiterentwicklung dieser Industrien gebracht hat.
Die Vorteile des Kraftwagens liegen insbesondere darin, daß er in der Lage ist, die Gebiete zu erschließen, die nicht günstig an Schienenwegen gelegen sind. Das gilt auch für unser verhältnismäßig dicht mit Schienenwegen überzogenes Land, wenn wir hören, daß 70 % aller Gemeinden in der Bundesrepublik heute ausschließlich auf den Straßenverkehr, auf die Straßenverkehrsverbindung angewiesen sind. Der. Kraftwagen hat zweifellos gerade in den Nachkriegsjahren wesentlich dazu beigetragen, verkehrsschwache Gebiete zu erschließen, er hat zu einer Entballung unserer Wirtschaftszentren, zu einer Entmassung unserer Städte beigetragen und nicht zuletzt auch dazu gedient, einer großen Zahl von mittelständischen Existenzen die Möglichkeit des Aufbaus zu geben.
Die Aufgabe der Verkehrspolitik liegt darin, die verschiedenen Verkehrsträger, die jeder für sich ihre wichtigen Funktionen zu erfüllen haben, sowohl die Schienenverkehrsmittel als auch die Kraftwagen, die Schiffahrt und die Luftfahrt oder noch neue auf uns zukommende Verkehrsmittel, zu einer Zusammenarbeit und zu einer Ergänzung zu bringen, dabei neuen Fakten Rechnung tragend und mit dem Blick auf die Gesamtheit und in die Zukunft gerichtet. Wir brauchen einen Leistungswettbewerb, einen echten Leistungswettbewerb der verschiedenen Verkehrsträger, der sich in gewissen geordneten Bahnen vollzieht. Es gibt keinen Zweifel, daß sich auf dem Gebiete des Verkehrs vielseitige Einzelinteressen gegenüberstehen. Um so mehr ist es unsere Aufgabe als Gesetzgeber, mit kühlem, abwägendem Verstand, ohne politische Leidenschaften und ohne Einseitigkeiten eine Regelung zu finden, die jedem dieser Verkehrsträger seine Aufgabe zuweist und die Zusammenarbeit und Ergänzung im Interesse der Gesamtheit ermöglicht.
Die offizielle Verkehrspolitik der Bundesregierung ist, darüber kann man ganz offen sprechen, von den verschiedensten Seiten einer heftigen Kritik ausgesetzt, und ich stehe nicht an zu erklären, zumindest für meine eigene Person, daß die offizielle Verkehrspolitik in der Zusammenführung und Ergänzung der Verkehrsträger und in der Zuführung auf gemeinsame Aufgaben nicht immer eine sehr glückliche Hand gezeigt hat.
Wir haben uns immer wieder dagegen wenden
müssen, daß Übertreibungen der verschiedensten
Art und in den verschiedensten Formen durchgesetzt werden sollten. Ich denke dabei zunächst einmal an die Tatsache, daß in den ersten Jahren des Bestehens der Bundesrepublik die Schienenwege und insbesondere die Bundesbahn sehr benachteiligt und vernachlässigt wurden. Daß wir erst heute — nach wiederholten Vorstößen aus den Reihen des Parlaments diesen Antrag, der Bundesbahn ihre betriebsfremden politischen Belastungen abzunehmen, behandeln müssen, ist ein Symptom unter anderen. Zu der gleichen Zeit, als die Bundesbahn, die Schienenverkehrsträger keine sehr starke Förderung durch den Bund erhielten, wurde der Kraftverkehr systematisch begünstigt. Ich denke nur daran, daß der Knick nach unten in der Kraftverkehrssteuer Geltung behielt, eine steuergesetzliche Maßnahme, die in der Aufrüstungsperiode des „Dritten Reiches" beschlossen wurde, um die schwerlastigen Fahrzeuge zu fördern. Ich denke an die vielfältigen Abschreibungsmöglichkeiten, die gerade in der Kraftverkehrswirtschaft die Anschaffung schwerer und schwerster Fahrzeugtypen ermöglichten. Ich denke daran, daß wir uns heute genötigt sehen, über das Thema zu diskutieren, inwieweit überhaupt der Kraftverkehr seine anteiligen Straßenkosten bezahlt; es gibt keinen Zweifel darüber, daß er sie in bestimmten Beziehungen nicht in vollem Umfang aufbringt. Ich denke nicht zuletzt daran, daß mit wärmster Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums wir in diesem Hause den Beschluß gefaßt haben, die Fahrzeuglängen auf 20 m und die Gesamtgewichte für Lastzüge auf 40 t festzusetzen, d. h. zu einem Zeitpunkt, wo wir in Anbetracht anderer vordringlicher Investitionsaufgaben nicht in der Lage waren, wesentliche Mittel im Straßenbau zu investieren, daß wir darangegangen sind, gerade den schwerlastigen Straßenverkehr über Gebühr zu fördern. Ich möchte dem Herrn Kollegen Schmidt allerdings sagen, wenn er meint, diesen Vorwurf nur auf den Herrn Bundesverkehrsminister beziehen zu müssen, daß wir alle hier im Bundestag, quer durch alle Reihen und einschließlich Ihrer eigenen Partei, Herr Kollege Schmidt, eine Schuld auf uns geladen haben, als wir erstens den Verkehrsproblemen in den vergangenen Jahren nicht die genügende Beachtung geschenkt haben und zum anderen Gesetze unterstützt haben, die gerade diese Situation auf den Straßen mit verursacht haben.
— Herr Kollege Schmidt, Sie werden nicht abstreiten können, daß z. B. gerade Herr Kollege Rechenberg bei seinem Kampf bezüglich der Ladegefäße auf den Straßen auf den heftigsten Widerstand aus Ihren Reihen gestoßen ist.
Aber wir wollen uns hier nicht darüber streiten, in welchen Proportionen die Schuld auf uns alle zu verteilen ist. Ich möchte mich nur dagegen verwahren, daß die Schuld an der heutigen Situation einseitig und völlig auf die Schultern des Herrn Bundesverkehrsministers abgewälzt wird.
Um so wichtiger scheint es mir aber zu sein, daß in Anbetracht der tatsächlich heute vorhandenen Situation von seiten des Herrn Bundesverkehrsministers immer wieder der ernsthafte Versuch gemacht wird, die Verkehrsträger und die Wirtschaft zusammenzubringen und Verhandlungen in einer Atmosphäre zu führen, die Erfolg verspricht. Hier sind zweifellos Versäumnisse zu verzeichnen, und die Form ,der Auseinandersetzung, die wir mitunter auch im Finanz- und Steuerausschuß kennengelernt haben, läßt manche Schlüsse darauf zu, aus welchem Grunde eine Verständigung zwischen den Verkehrsträgern und der Wirtschaft über das Verkehrsneuordnungsprogramm nicht zustande gekommen ist. Es ist bedauerlich, wenn heute gegen die offizielle Verkehrspolitik der Vorwurf erhoben werden kann, daß sie eine einseitige Eisenbahnpolitik betreibt und ihre Abteilung für den Straßenverkehr praktisch eine Abteilung gegen den Straßenverkehr ist.
Ich würde dem Bundesverkehrsministerium wirklich dankbar sein, wenn es sich in jeder seiner Aktionen und Verlautbarungen vor idem Vorwurf schützen würde, daß es eine einseitige Verkehrspolitik betreibe, nicht eine übergeordnete Verkehrspolitik. Wenn wir die hier schon zitierte sogenannte „Sprachregelung" innerhalb des Ver kehrsministeriums lesen und dann davon Kenntnis erhalten, daß die Planung in diesem Ministerium darauf hingeht, unabhängig von der Ablösung der Kraftfahrzeugsteuer, 'also unter Beibehaltung der heutigen Kraftfahrzeugsteuersätze zur angemessenen Belastung des Straßenverkehrs den Dieselpreis bis auf 30 Pfennig heraufzusetzen, möglichst noch in einem Gesetz, das in diesem Jahre zusätzlich zu diesem verabschiedet 'werden soll, dann muß man sagen, daß der Vorwurf einer einseitigen Politik zumindest gegen einen der Verkehrsträger natürlich nicht ganz zu Unrecht besteht. Hier würde ich also nachdrücklich warnen.
Ich möchte — und hier glaube ich im Namen der gesamten CDU-Fraktion zu sprechen — meine und unser aller Bereitschaft gegenüber dem Herrn Bundesverkehrsminister betonen, mit ihm zusammenzuarbeiten, damit wir zu einer vernünftigen Lösung der anstehenden Verkehrsprobleme kommen.
Allerdings hat die Zusammenarbeit zur Voraussetzung, daß auf allein Seiten, sowohl von der Regierung als auch vom Parlament und, wie wir hoffen, worauf wir jedoch nicht immer einen Einfluß haben, von den interessierten Teilen der Wirtschaft, mit ehrlichen und sauberen Argumenten gearbeitet wird.
Ich muß 'in diesem Zusammenhang den Versuch anführen, die außerordentlich bedrohliche und bedauerliche Unfallsituation heute zum Anlaß zu nehmen, eine bestimmte Verkehrspolitik mit wirtschaftspolitischen Ausrichtungen zu betreiben. Wir wissen alle in diesem Haus, daß Entscheidendes geschehen muß, um eine erhöhte Sicherheit auf den Straßen zu erreichen. Aber wir müssen uns mit aller Entschiedenheit dagegen verwahren, daß die Unfalltoten zum Anlaß für eine irgendwie geartete Geschäftemacherei benutzt werden.
Zum Zweiten scheint mir wichtig zu sein, wenn wir zu einer vernünftigen Arbeit auf dem Gebiete des Verkehrs kommen wollen, daß wir einwandfreie Arbeitsunterlagen haben. Auch hier müssen Sie mir schon gestatten, gewisse Zweifel anzumelden, ob mit der Fülle von Theorien, Gutachten, Doktrinen und Veröffentlichungen, die wir von offizieller Seite auf den Tisch bekommen haben, immer sehr viel mehr ,anzufangen ist als mit manchen tendenziösen Veröffentlichungen aus den
Bereichen der Wirtschaft. Wenn wir zu einer vernünftigen Ordnung der Verkehrssituation kommen wollen, dann müssen wir uns hüten sowohl vor Schlagworten als auch vor der Verzerrung von Tatbeständen. Es ist nicht abzustreiten, daß wir, was sich auch bei den Beratungen im Finanz- und Steuerausschuß immer wieder gezeigt hat, in entscheidenden Fragen auf Vermutungen, auf nicht bis zuletzt durchgearbeitete Stellungnahmen und Ausarbeitungen angewiesen waren, zumindest soweit sie vom Verkehrsministerium kommen, während wir vom Bundesfinanzministerium stets mit sehr detaillierten und sehr genauen Angaben informiert worden sind, auch wenn man über Einzelfragen dieser Angaben mitunter in Streit geriet. Denn wir wissen ja, wie vorsichtig das Bundesfinanzministerium in seinen ,Schätzungen vorzugehen pflegt. Aber ich muß Ihnen noch einmal wiederholen, daß bisher einwandfreies Unterlagenmaterial für wesentliche Entscheidungen, die wir auf dem Gebiete des Verkehrs zu treffen haben, von seiten des Bundesverkehrsministeriums leider nicht hat vorgelegt werden können. Ich denke hierbei sowohl —
— Ja, zentnerweise, aber, wie gesagt, das ist alles nicht bis ins letzte durchgearbeitetes Material. Denken Sie z. B. daran, Herr Kollege Schneider, daß wir ein Wetzler Gutachten über die Situation der Bahn haben, das die Frage der betriebsfremden und gemeinwirtschaftlichen Lasten behandelt. Dieses Gutachten muß jetzt erneut überprüft und im einzelnen durchgearbeitet werden, eben weil das Resultat nicht genau ist und nicht zu einer Grundlage einer angemessenen Bewertung der gemeinwirtschaftlichen Belastung der Bahn gemacht werden kann. Denken Sie ebenso an das Gutachten des Wissenschaftlichen .Beirates des Bundesverkehrsministeriums über die Straßenkostenanlastung, über diese ganzen Zinstheorien. Sie müssen mir recht geben — man mag zu den Dingen stehen, wie man will —: Das Ganze ist noch nicht so ausgegoren, daß wir es zur Grundlage einer gesetzgeberischen Arbeit haben machen können. Der Finanz-und Steuerausschuß hat daher, nachdem wir im Verkehrsausschuß drei Monate darüber diskutiert haben, das ganze Gutachtenmaterial sehr folgerichtig zur Seite gelegt und gesagt: Wir wollen an die praktische Arbeit gehen; das andere Material ist noch nicht ausgereift.
Die dritte Voraussetzung für das gedeihliche Zusammenarbeiten mit dem Bundesverkehrministerium ist Klarheit darüber, welche Absichten in der Bundesregierung und im Bundesverkehrsministerium auf den verschiedenen Gebieten der Verkehrsneuordnung bestehen. Es trifft nicht zu, daß wir ein Gesamtprogramm zur Verkehrsneuordnung vorliegen haben. Bisher liegen uns nur das Verkehrsfinanzgesetz, das sogenannte Straßenentlastungsgesetz und ein Personenbeförderungsgesetz vor. Alles andere bewegt sich in allgemein gehaltenen Deklamationen. Es ist für uns, den Bundestag, zweifellos nicht ganz einfach, jetzt finanzpolitische, steuerpolitische Entscheidungen zu treffen, ohne zu wissen, welche Absichten auf den anderen Gebieten bestehen. Ich denke z. B. an die Frage der Investitionen sowohl bei der Straße als auch bei der Bahn. Ich denke an das Problem der Organisation der Bahn, ich denke an die Tarifmaßnahmen und auch an die Frage, welche Lastzug-längen und Lastzuggewichte in Zukunft zugelassen sein sollen. Für uns als Parlament gehören alle diese Teile einer Verkehrsneuordnung zusammen. Wir können eine sinnvolle Neuordnung nur dann zustande bringen, wenn alle Maßnahmen wie Zahnräder ineinandergreifen. Wir vermissen aber ein klares Ineinandergreifen des Gesamtprogramms des Bundesverkehrsministeriums.
Ich habe das Straßenentlastungsgesetz erwähnt und möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß ein maßgeblicher Arbeitskreis meiner Fraktion einen sehr eindeutigen Beschluß gefaßt hat, daß die Beförderungsverbote des Straßenentlastungsgesetzes auf eine Unterstützung meiner Fraktion nicht rechnen können. Ich möchte von mir aus nur versichern, daß Beförderungsverbote zwar ein bequemer Weg sind, zu einer Verkehrsordnung zu kommen, aber dieser Weg ist der unorganischste und muß deshalb unvermeidlich mit besonderen Gefahren verbunden sein.
Aber noch ein anderes zu dem Thema: Welche Ladegefäße sollen in unserem Straßenverkehr in Zukunft zugelassen werden? Wir sind uns völlig darüber einig, daß wir zu einer Beschränkung kommen müssen, und die heutigen Auswüchse und Übertreibungen müssen so schnell wie möglich beseitigt werden. Aber auch dieses Thema „Neuregelung der Ladegefäße" ist ein wesentlicher Bestandteil eines Gesamtprogramms zur Neuordnung unseres Verkehrswesens. Schon aus diesem Grunde wäre es meines Erachtens nicht vertretbar — nachdem der Bundestag so eindeutig seinen Willen zu erkennen gegeben hat, ein Gesamtneuordnungsprogramm durchzuziehen —, wenn jetzt der Bundesverkehrsminister diesen Teil des Gesamtprogramms auf dem Verordnungswege unter Ausschaltung des Bundestages allein lösen würde.
Es kommt dazu, daß in dem Gesetz zur Bekämpfung von Unfällen im Straßenverkehr bereits ein konkreter Vorschlag zu dieser Spezialfrage gemacht und dem Bundestagsausschuß für Verkehrswesen überwiesen worden ist. Ferner kommt hinzu, daß die Bundesregierung am 25. Februar 1954 dem Bundestag ein Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu einem internationalen Abkommen über den Straßenverkehr zugeleitet hat, in dem auch die Frage der Zulassung der Ladegefäße ausdrücklich geregelt worden ist.
Mit aus diesen Gründen möchte ich, nachdem das bereits einmal im Verkehrsausschuß und auch im Finanz- und Steuerausschuß von den Vertretern aller Fraktionen zum Ausdruck gebracht worden ist, nochmals betonen, daß eine Ausschaltung des Parlaments bei der Regelung dieser Frage einer — na, ich möchte es einmal sehr brutal ausdrücken und bitte das Wort mit dem nötigen Vorbehalt aufzunehmen — Brüskierung des Parlaments gleichkommen müßte.
Nun werden Sie mir gestatten, zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Verkehrsfinanzgesetzes doch einmal ganz offen die Frage aufzuwerfen, ob die parlamentarische Initiative aus den Reihen der CDU/CSU auf dem Gebiet der Verkehrsneuordnung ihre Berechtigung gehabt hat oder nicht. Ich persönlich würde heute genau so handeln wie vor einem Jahr. Wir haben nun einmal als Parlament das Recht zur gesetzgeberischen Initiative, und von diesem Recht sollen wir dann Gebrauch
machen, wann es uns notwendig erscheint. Wir haben schließlich die einzige Möglichkeit, der Macht, die durch die Bürokratie der Exekutive verkörpert ist, ein wirkungsvolles Gegengewicht entgegenzusetzen, indem wir eben von diesem Recht der parlamentarischen gesetzgeberischen Initiativen im gegebenen Fall Gebrauch machen.
Ich möchte meinen, daß auch eine Verpflichtung zu dieser parlamentarischen Initiative bestanden hat, eben weil ausreichende und umfassende Regierungsvorlagen fehlten. Wir sind uns mit dem Herrn Bundesverkehrsminister und bestimmt mit der gesamten Bundesregierung völlig einig in der Zielsetzung. Wir wollen eine Gesundung der Bahn erreichen, wir wollen vernünftige Verhältnisse auf der Straße schaffen, und wir wollen eine gedeihliche Zusammenarbeit der Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserweg.
Der wesentliche Unterschied zwischen den Auffassungen und den Konzeptionen des Bundesverkehrsministeriums und der Alternativvorlagen ist der, daß in den Alternativvorlagen der Versuch gemacht wird, die notwendigen Maßnahmen elastisch und biegsam zu gestalten, während auf der Seite des Bundesverkehrsministeriums mehr die Neigung besteht, mit unmittelbaren und daher unorganischen staatlichen Eingriffen einen Zustand zu schaffen, den man nach der vorausgegangenen Entwicklung eben nicht von heute auf morgen, sondern nur auf dem Wege einer zielbewußten, aber elastischen und biegsamen Verkehrspolitik herstellen kann. Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß wir zwar darangehen sollten, sofort offensichtliche Mißstände abzustellen, daß wir aber, statt mit einer Art Holzhammermethode vorzugehen, doch den elastischen Weg einer kontinuierlichen Entwicklung beschreiten sollten, um das Ziel zu erreichen, das uns allen vorschwebt. Die Alternativvorlagen sind nichts anderes als eine Diskussionsgrundlage. Mir liegt völlig fern, hier irgendwelche Privilegien für mich in Anspruch zu nehmen oder rechthaberisch auf den Vorlagen zu bestehen. Es wird heute so viel von den Interessenten gesprochen. Es schiene mir gerade in Anbetracht der Situation im Bereich des Verkehrs das Allerverkehrteste und das „Interesse" das Gefährlichste zu sein, unbedingt recht haben zu wollen.
Nun zu der Frage: Ist das von uns verabschiedete Verkehrsfinanzgesetz mit den Ergänzungswünschen, die heute interfraktionell noch an uns herangetragen werden, ein schlechtes Gesetz, ein verwässertes Gesetz, wie das mitunter in der Presse anklingt? Ich glaube, es ist ein im Grunde richtiges Gesetz. Ich möchte den Dank wiederholen, den der Kollege Schmidt hier bereits an die Vertreter der Ministerien und insbesondere an die Vertreter des Bundesfinanzministeriums für die verschiedenen Formen der technischen Hilfe ausgesprochen hat, die sie uns gewährt haben, um ein solches Gesetz zustande zu bringen. Das Gesetz bringt zweifellos schwere Härten mit sich. Man spricht heute davon, diese 450 Millionen DM könnten doch unter keinen Umständen zu preislichen Auswirkungen führen. Ich möchte mich einer derartigen Argumentation nicht so ohne weiteres anschließen. Ich bin fest davon überzeugt, daß eine Belastung der Wirtschaft oder bestimmter Teile der Wirtschaft mit 450 Millionen DM nicht nur durch bisher erzielte Überschüsse aufgefangen werden kann, sondern daß sich ganz natürlicherweise gewisse preisliche
Auswirkungen ergeben werden. Wir haben daher die Verpflichtung, die Lage sehr sorgfältig zu prüfen und zu überwachen und durch weitere Maßnahmen zu versuchen, einer solchen Entwicklung vorzubeugen und sie aufzufangen. Wir dürfen immerhin nicht vergessen, daß das Verkehrsfinanzgesetz seit langen, langen Jahren das erste Gesetz ist, das wir verabschieden, das wesentliche zusätzliche Belastungen der Wirtschaft bringt. Diese Tatsache zwingt uns, wie ich meine, alle dazu, behutsam und vorsichtig zu Werke zu gehen und nicht mit überstürzten und vielleicht allzu leichtfertigen Beschlüssen eine Belastung vorzusehen, die eben nicht, oder nur sehr schwer, ohne Schwierigkeiten verkraftet werden kann. Wir werden daher die weitere Entwicklung, die durch dieses Gesetz ausgelöst wird, beobachten und nach einiger Zeit überprüfen müssen, inwieweit das Gesetz eventuell in bezug auf eine verstärkte oder eine verminderte Belastung reformbedürftig ist.
Nun darf ich mir erlauben, einmal elf Punkte kurz aufzuführen, die meines Erachtens mit Hilfe dieses Verkehrfinanzgesetzes erreicht werden: Einmal eine Annäherung der Startbedingungen zwischen Schiene und Straße. Zum zweiten eine gerechte Besteuerung der schwerlastigen Fahrzeuge, die bisher zweifellos zu gut weggekommen sind, und die Vermeidung eines Knicks in der Kraftfahrzeugsteuer. Zum dritten die Unterstreichung der Tendenz, vom Anhänger ab- und nach Möglichkeit zu einer Beschränkung oder Einengung des Anhängerverkehrs zu kommen und dafür mehr den Sattelschlepper zu fördern. Wir kommen viertens zu einer angemessenen steuerlichen Sonderbelastung des Werkfernverkehrs. Wir kommen fünftens zu einer Angleichung der Steuerbelastungen beim Vergaser und beim Dieselkraftstoff.
Wir gehen sechstens zu auf eine Ablösung der Kraftfahrzeugsteuer für die Personenkraftwagen, und wir werden gerade diesem Projekt einer völligen Beseitigung der Kraftfahrzeugsteuer für die Personenkraftwagen wieder nähertreten, sobald die Finanzreform durchgezogen und die Kraftfahrzeugsteuer eine Bundessteuer geworden ist.
Siebtens kommen wir nicht zu einer Begünstigung, aber mindestens zu einer Nichtschlechterstellung der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Mir scheint gerade diese Tatsache von einer nicht zu unterschätzenden verkehrspolitischen Bedeutung. Denn wenn wir heute über die Erhöhung der Dieselölpreise und über die Kraftfahrzeugsteuererhöhung hinausgehende Belastungen gerade der öffentlichen Betriebe vornehmen, wird sich das bei der Situation dieser Unternehmen in einer Anhebung der Tarife auswirken müssen, die wiederum die Förderung des Übergangs zu individuellen Verkehrsmitteln zur Folge haben wird, und wir wissen, daß die weitere Förderung der Benutzung von Rädern, Krädern, Mopeds, Pkws usw. gerade in den geschlossenen Ortschaften die verkehrspolitische Situation weiter erschwert.
Mit Hilfe dieses Gesetzes kommen wir achtens zu einer Art von Aufgabenteilung, indem wir den Nahverkehr auf der Straße von weiteren steuerlichen Belastungen ausnehmen, dafür auf der anderen Seite den Kohlenverkehr auf ,der Straße einer besonderen steuerlichen Belastung unterziehen. Wir kommen damit in der verkehrspolitischen Tendenz einem sehr vernünftigen Ziel nahe, nämlich den Kraftverkehr nach Möglichkeit in den Nahbereich, in den Flächenverkehr einfließen zu
lassen und den Massentransport auf weite Entfernungen nach Möglichkeit der Bahn zuzuführen.
Das Neunte, was wir mit diesem Gesetz erreichen, ist, daß der Bundesbahn für ihre Modernisierung und Rationalisierung auf dem Wege der Vorfinanzierung ein Betrag von 1,5 Milliarden DM, und das Zehnte, daß für die nichtbundeseigenen Bahnen ein Betrag von 100 Millionen DM zur Verfügung gestellt wird.
Wir kommen elftens mit Hilfe dieses Gesetzes und, wie ich hoffe, des interfraktionellen Zusatzantrags dazu, daß in einem möglichst hohen Umfang auch für den Ausbau unseres Straßennetzes Mittel zur Verfügung gestellt werden. Meine Damen und Herren, wenn der Versuch gemacht wird, so zu tun, als ob nach den Beschlüssen der zweiten Lesung oder auch nach den Beschlüssen des Finanz-und Steuerausschusses für den allgemeinen Straßenausbau nichts mehr übrigbliebe, so muß man dem doch sehr energisch entgegentreten. Wir werden mit Hilfe dieses Gesetzes einen Betrag von etwa 450 Millionen DM zusammenbringen, und zwar im 'ersten Jahr des Bestehens dieses Gesetzes, wenn man in den bisherigen Zahlenaufstellungen vor allem noch folgende Tatsache berücksichtigt. Nicht berücksichtigt 'worden ist bisher, daß dem Bund auch Mehreinnahmen aus der Anhebung des Diesel- und Benzinkraftstoffpreises von Bereichen der Wirtschaft außerhalb der Kraftverkehrswirtschaft zufließen. Wir werden mit Hilfe einer gewissen Form von Zweckbindung — ich möchte diesen Ausdruck nach Möglichkeit vermeiden — die Gewähr dafür erhalten, daß der Zweck dieses Gesetzes erreicht wird, nicht nur der Bahn, sondern tatsächlich auch dem Straßenbau in einem erheblichen Umfang Mittel zuzuführen.
Der Herr Kollege Schmidt hat sich auch über die Situation der Bundesbahn verbreitet, der wir natürlich mit diesem Gesetz mittelbar auch helfen wollen.' Ich darf, wenn Herr Präsident gestatten, hier mal einige Zeilen aus der neuesten Ausgabe des Internationalen Archivs für das Verkehrswesen zur Verlesung bringen. In dieser Ausgabe wird die Situation der Bundesbahn meines Erachtens in einer sehr klaren und eindeutigen Weise gekennzeichnet. Es wird vorausgeschickt, daß es selbst in einem Konjunkturjahre nicht gelingen würde, die Bundesbahn allein mit Hilfe dieses Gesetzes aus ihrer jetzigen Finanzmisere herauszubringen. Es heißt dann aber weiter:
. . . dann zeigt es sich auch, daß eine finanzielle Gesundung der Eisenbahn auf der Einnahmenseite nicht mehr zu erwarten ist. Auch die Verkehrsgesetze werden nicht mehr so viel Verkehr bringen, daß ein solches Defizit noch ausgeglichen werden kann.
Der Rückblick der Bundesbahn läßt so auch erkennen, daß im Jahre 1954 die Kostenseite stärker expandiert hat wie die Einnahmenseite. Vor allem gilt dies von der mehrfachen Erhöhung der Personalkosten, die im Jahre 1954 erst mit ihrer vollen Last die Bundesbahn trafen. Die Entlastung aus der planmäßig fortschreitenden Personalverminderung — es wurde der Personalbestand immerhin um 16 000 Köpfe verringert — war zwar spürbar, konnte aber auch nicht annähernd einen Ausgleich für das Ansteigen der Ausgaben je Kopf bringen. Auch bei den Sachkosten des laufenden Betriebes wurden die Rationalisierungserfolge durch Kostensteigerungen, vor allem bei Kohle
und Eisen, überdeckt. Das alles sind Momente, die auf die Bundesbahn von außen zukommen und gegen die sie sich deshalb nicht wehren kann. Ihr Trachten muß deshalb darauf gerichtet sein, an anderer Stelle Einsparungen vorzunehmen.
Im Grunde bedarf die Bahn . . . einer durchgreifenden Rationalisierung und Modernisierung. Voraussetzungen hierfür aber sind Investitionen. Die Rationalisierungsreserven, die im Organisatorischen liegen, sind bereits ausgeschöpft. Die Bundesbahn muß deshalb auf einen Stand gebracht werden, der ihr zumindest erlaubt, die vollen Abschreibungen zu verdienen. Das aber ist nicht möglich, solange sie über politische Lasten ständig finanziell ausgehöhlt wird. Es hat in Deutschland kaum ein Wirtschaftsunternehmen gegeben, das seinen Wiederaufbau betreiben und gleichzeitig hohe Dividenden bezahlen konnte. Man sollte deshalb ein solches Wunder auch nicht von der Bundesbahn erwarten. Der Bund muß einige Jahre diese Last von der Schulter der Bundesbahn nehmen, damit diese ihren technischen und organisatorischen Apparat auf einen modernen Stand bringen kann. Solange der Eigentümer der Bundesbahn, d. h. der Bund, eine entsprechende Einsicht nicht nach außen hin zu erkennen gibt, kann er auch nicht erwarten, daß von dritter Seite aus in Form von Anleihen und Krediten seiner Bundesbahn geholfen wird. Ohne die Aufnahme von Anleihen aber ist eine finanzielle und technische Gesundung der Bundesbahn nicht zu erreichen. Es liegen immerhin zwanzig Jahre Verschleißwirtschaft hinter ihr. Wie sollen unter solchen Umständen die normalen Abschreibungen ausreichen, um die dadurch entstandenen Verluste wieder auszugleichen? Das läßt sich nur durch die Zuführung zusätzlichen Kapitals erreichen. Der Kapitalmarkt bietet hierfür jetzt wieder Chancen. Es ist deshalb an der Zeit, die Kreditfähigkeit der Bundesbahn wiederherzustellen, wozu in erster Linie gehört, daß sich der Bund selbst als ein pflichtbewußter Eigentümer erweist.
Meine Damen 'und Herren, diesen Ausführungen des Archivs für Verkehrswesen ist tatsächlich nur sehr wenig hinzuzufügen. Mein Antrag, 'der Bundesbahn die 'betriebsfremden Lasten im Haushalt abzunehmen, ist nur die Konsequenz aus einer richtigen Beurteilung der Bahn.
Wir wissen aber — abgesehen davon, daß eine Modernisierung der Anlagen der Bahn notwendig ist, um Verkehr von dem Kraftverkehr zurückzugewinnen —, daß sich auch die Bundesbahn selbst in ihrer Aufgabenstellung konzentrieren muß. Die Bundesbahn muß sich auf die Aufgaben konzentrieren, die auch im Zuge der weiteren technischen Entwicklung bahneigen sind bzw. bei denen eine Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Straße auch in Zukunft bestehen wird. Die Bundesbahn muß sich deshalb selbst von bestimmten Aufgaben entlasten, die vom Kraftwagen besser und rationeller bewältigt werden können als von ihr. Ich will mich hier bei dieser Debatte nicht auf Einzelheiten einlassen.
Wir werden deshalb — Herr Kollege Jahn hat dieses Thema bereits angeschnitten — auch dazu kommen müssen, die Gemeinwirtschaftlichkeit der Bundesbahn in bestimmten Relationen zu über-
prüfen und uns zu fragen, ob nicht der Bahn gewisse gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen abgenommen werden müssen.
Aber, meine Damen und Herren, was mir noch wesentlicher erscheint, um eine Gesundung der Bahn herbeizuführen, ist eine Umstellung auch im Denken der Bahn selbst. Herr Kollege Schmidt hat bereits darauf hingewiesen, daß die Bahn Kaufleute und kaufmännisches Denken braucht. Die Bahn verfügt über ausgezeichnete Juristen, über ausgezeichnete Techniker und Verwaltungsfachleute. Aber sie verfügt über zuwenig Kaufleute, die in der Lage sind, sie auf die heutige Konkurrenzsituation umzustellen.
In diesem Zusammenhang werden wir uns — wie ich hoffe, recht bald — auch über ,die Frage der Organisation der Bahn unterhalten müssen. Nach meinem Dafürhalten gehört an die Spitze der Bahn ein verantwortlicher Generaldirektor, es gehört an die Seite dieses Generaldirektors ein möglichst unabhängiger, von erstklassigen Experten besetzter Verwaltungsrat, und es gehört, damit die Bahn ein kaufmännisches Denken praktizieren kann, dazu auch eine gewisse Unabhängigkeit von den politischen Instanzen, d. h. insbesondere vom Bundesverkehrsministerium.
Vielleicht gestatten Sie mir, da mir ja mitunter der Vorwurf gemacht wird, ich sei so besonders bahnfeindlich eingestellt, darauf hinzuweisen, daß ich in engster Zusammenarbeit mit einer ganzen Reihe von Bahnexperten stehe und daß bei den verschiedenen Diskussionen, die ich im Laufe der letzten Monate geführt habe, mir keine oder kaum eine soviel Freude bereitet hat wie eine in Frankfurt geführte Diskussion mit dem Gesamtvorstand der Eisenbahnergewerkschaft.
Ich darf hier vielleicht einmal ein Schreiben an mich zitieren, das ein Mann mir hat zukommen lassen, der über 30 Jahre in einer der wichtigsten Stellen der ehemaligen Reichsbahn gestanden hat. Er schreibt mir — wenn ich das mit Zustimmung des Herrn Präsidenten verlesen darf —:
Die Eisenbahn ist ein Körper eigener Art, der sich nicht gern in die Karten sehen läßt. Aber je länger, desto mehr bildet sich bei den Außenstehenden das Gefühl, daß etwas Grundlegendes nicht mehr stimmt und daß die Leitung nicht die Kraft aufbringt, das entscheidend Neue anzusetzen, das der Bahn eine fernere Zukunft sichert. Es fehlt nicht an sehr bedenklichen Anzeichen dafür, daß die Überzeugung von dem, was nottut, ja, die Bereitwilligkeit zu Opfern
— jetzt bitte ich mal aufzumerken —
in den mittleren und unteren Kreisen der Eisenbahnerschaft stärker ist als oben. Zu sehr herrscht in der Führung der Bundesbahn ein Traditionalismus, der die goldene Vergangenheit in eine Zukunft hinüberzuretten versucht, für die sie nicht mehr paßt. Die möglichst innige technische Verschmelzung mit der Straße blieb jahrzehntelang unentwickelt. Für die Elektrifizierung aus dem Landesnetz, wie sie sich auf der ganzen Welt vollzieht, fehlen ernste Ansätze. Die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, wie sie das Gesetz ,auferlegt, werden über Gebühr ausgespielt und bilden einen Wandschirm. hinter dem man sich ebensogut bergen wie verstecken kann. Die Überzeugung, daß viele kleine Bahnhöfe ihre Existenzberechtigung verloren haben, ist auch in Kreisen der Eisenbahn weit verbreitet. Die Bahn muß in Zukunft Betätigungsformen finden, die ihrem Personal eine sichere Existenz gewähren, ohne dessen Kräfte über Gebühr zu beanspruchen. Wir wissen, 'daß es ein langer und dornenvoller Weg ist, aber es muß endlich damit ein Anfang gemacht werden.
Die Eisenbahn fühlt sich noch immer als eine Gemeinschaft durchaus eigenen Rechts, eigener Verantwortung und eigener Vollmacht mit dem Anspruch, das ganze Verkehrswesen zu Lande führend zu beeinflussen. Sie hat aber heute im Verkehrswesen die Stellung nicht mehr, die ihr früher diesen Rang sicherte. Es wird die unabdingbare Aufgabe jetzt des Gesetzgebers sein, im weiteren Verlauf darüber zu wachen, daß der Durchbruch zu neuen Formen nicht steckenbleibt.
Herr Kollege Jahn, Sie sehen mich prüfend an. Ich hoffe, daß dieser Brief eines alten Eisenbahners auch von Ihnen gebilligt und unterstützt wird und daß wir mit Hilfe dieses Parlaments und gemeinsam mit der Bundesbahn neue Formen finden, die der Bundesbahn und den Bediensteten der Bundesbahn ihre Zukunft sichern.
Wenn Herr Kollege Jahn hier heute über die Überlastung des Personals auf Lastkraftwagen und Omnibussen gesprochen hat, so ist ihm sicherlich in vielen Fällen recht zu geben, obwohl — wie ich hier wenigstens am Rande einflechten muß — die Statistiken Übermüdung als Unfallursache nur zu einem minimalen Prozentsatz angeben. Vielleicht setzt sich aber Herr Kollege Jahn auch einmal mit der ÖTV in Verbindung; denn was er hier zum Ausdruck gebracht hat, war immerhin ein ziemlich deutlicher Vorwurf gegenüber seiner Konkurrenz zur Eisenbahnergewerkschaft, nämlich der Gewerkschaft ÖTV.
Aber, Herr Kollege Jahn, wir werden uns ja, wie ich hoffe, auch einmal über die Arbeitszeitbedingungen bei der Bundesbahn unterhalten können und müssen. Ich weiß aus vielen persönlichen Gesprächen, 'daß auch hier heute noch Härten und Unzumutbarkeiten bestehen, die wir so schnell wie möglich abstellen müssen. Meine persönliche Meinung geht dahin, daß wir erst im Zuge der Modernisierung und der Rationalisierung die Voraussetzungen schaffen, auch bei der Bundesbahn selber Arbeitszeitbedingungen einzuführen, wie sie dem heutigen Stand unserer Sozialpolitik entsprechen.
Nun darf ich noch einige Worte zu dem Thema Tarifpolitik sagen. Wir werden nach der Verabschiedung des Verkehrsfinanzgesetzes der Frage der Gesundung der Bundesbahn unsere Aufmerksamkeit widmen müssen und insbesondere auch der Frage der Tarifpolitik; denn nur über die Tarifpolitik ist eine vernünftige Aufgabenteilung zwischen den Verkehrsträgern möglich. Zum andern machen die Belastungen, die wir mit diesem Verkehrsfinanzgesetz beschließen, im Straßenverkehr eine Anpassung der Tarife unbedingt notwendig. Ohne mich hier jetzt auf Einzelheiten einzulassen, möchte ich auf die konkreten Vorschläge hinweisen, die in der Drucksache 615 zum Thema Tarifpolitik bereits von mir gemacht worden sind. Diese Vorschläge gehen letzten Endes darauf hinaus, in
Anlehnung an die effektiven Selbstkosten der Verkehrsträger selbständige Eisenbahn- und Kraftwagentarife zu schaffen.
Ich möchte auch noch ein paar Worte zu dem Thema Unfallbekämpfung anfügen, ohne aber dieses Thema hier zu vertiefen. Wie Sie wissen, ist im Rahmen der Alternativvorlagen dem Bundestag eine Vorlage über die Bekämpfung von Unfällen im Straßenverkehr zugeleitet worden. Ich bedauere immer wieder, daß der Verkehrsausschuß des Bundestages wegen Überlastung mit anderen Aufgaben bisher nicht dazu gekommen ist, gerade dieses Gesetz zur Unfallbekämpfung zu behandeln und zu verabschieden.
Immerhin darf ich ohne eine Überheblichkeit feststellen, daß der Herr Bundesverkehrsminister in seinen eigenen Vorarbeiten und Vorschlägen einen großen Teil dieser Vorschläge — ich sage ausdrücklich nicht: übernommen, denn wahrscheinlich haben ähnliche Vorstellungen auch bei ihm bereits vorher bestanden — verankert hat. Es scheint mir, als ob wir verhältnismäßig schnell zu einer Übereinstimmung über wirksame Maßnahmen zur Unfallbekämpfung kommen könnten. Nur soll man endlich auch auf diesem Gebiet aufhören mit der ständigen Abhaltung von Konferenzen, mit der Herausgabe von Broschüren und Denkschriften, sondern endlich einmal zu konkreten Maßnahmen kommen.
Meine Damen und Herren! Eine wirksame Unfallbekämpfung scheitert zu einem großen Teil leider - ich bitte meine bayerischen Freunde, mir diese Ausführungen zu verzeihen — auch etwas an den Zuständigkeitsfragen, wie sie durch das
Grundgesetz geschaffen sind. Zum Beispiel die Fragen der Verkehrspolizei und verschiedene andere Ordnungsmaßnahmen liegen in der Zuständigkeit der Länder, und es ist nicht ganz einfach, hier eine Koordinierung zu erreichen.
In Anbetracht der außerordentlich ernsten Situation, der wir gegenüberstehen, bei einer Zahl von 12 000 bis 13 000 Verkehrsunfalltoten im Jahr scheint es mir wichtig zu sein, daß der Herr Bundeskanzler selbst seine persönliche Autorität mit einschaltet, um gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder zu Entscheidungen zu kommen, die wirksame Abhilfe dort schaffen, wo eine wirksame Abhilfe möglich ist. Wir wissen, daß die Hauptursachen für die Unfälle in der Disziplinlosigkeit, in der Rücksichtslosigkeit, in der Umgehung und Übertretung von bestehenden Vorschriften liegen; deshalb sollten wir tatsächlich einmal den Versuch machen, einen vielleicht in dieser Frage überspitzten Föderalismus zu überwinden, indem die verantwortlichen Führer des Bundes und der Länder sich zusammensetzen und ihre Autorität gemeinsam für schnelle und durchgreifende Maßnahmen einsetzen.
Aber, meine Damen und Herren — und damit komme ich zum Schluß meiner Ausführungen —: die wirksamste Form der Unfallbekämpfung ist und bleibt der Ausbau unseres Straßennetzes. Sie wissen, daß ich bereits bei der zweiten Lesung einen Appell an das Hohe Haus gerichtet habe, uns doch einmal unter Überwindung formaler Bestimmungen und herkömmlicher Prinzipien zusammenzufinden in dem gemeinsamen Bemühen, das Äußerste dazu beizutragen, daß für den Straßenbau etwas geschieht; und es scheint mir wichtig zu sein, wenn wir heute der Kraftverkehrswirtschaft eine Belastung von 450 Millionen DM zumuten, daß wir diesem Teil der Wirtschaft zugleich eine Gewähr dafür bieten, daß die Mittel auch für den Zweck verwandt werden, mit dem wir für die Belastung argumentieren. Aus diesem Grunde freue ich mich, daß es gelungen ist, zum mindesten in den Reihen der Koalition und nicht zuletzt durch das Zureden auch des Herrn Bundeskanzlers, einen Antrag zustande zu bringen, der praktisch die Bindung der Mittel für Verkehrszwecke im Gesetz sicherstellt.
Ich weiß, daß damit allein das Problem nicht gelöst ist, daß wir auf dem Gebiete des Straßenbaues auch zu einer Vorfinanzierung mit Hilfe des Kapitalmarktes kommen müssen, daß wir das Problem lösen müssen, wie wir den schwächeren Baulastträgern Hilfestellung geben, den Baulastträgern wie den Gemeinden und den Landkreisen, die bereits heute den größten Teil der Straßenbauausgaben tragen, ohne irgendwelche spezifischen Einnahmen von den Straßennutzern zu haben, während sich gerade durch dieses Verkehrsfinanzgesetz, verstärkt durch die Finanzreform, die Mittel mehr und mehr in der Hand des Bundes konzentrieren. Wir werden also, Herr Bundesfinanzminister, ob es Ihnen gefällt oder nicht, im Laufe der nächsten Zeit an die Prüfung der Frage herangehen müssen, inwieweit von seiten des Bundes den schwächeren Baulastträgern Hilfestellung bei der Lösung ihrer Straßenbauprobleme gegeben werden kann. Aber wir sollten heute, meine Damen und Herren — und damit möchte ich meine Ausführungen zu diesem Verkehrsfinanzgesetz schließen —, einmütig sein in dem Bemühen, zur Beseitigung der Hauptunfallgefahrenpunkte und zu einer wirksamen Unfallbekämpfung die Mittel, die wir aus diesem Verkehrsfinanzgesetz gewinnen, soweit sie nicht für die Sanierung der Bundesbahn eingesetzt werden m ü s s en, effektiv dem Straßenbau zugute kommen zu lassen.