Rede von
Dr.
Ernst
Müller-Hermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Antrag auf Umdruck 319*) kommen wir an einen Kernpunkt des gesamten Verkehrsfinanzgesetzes, nämlich zu der Frage: Was soll mit den Mitteln geschehen, die durch dieses Gesetz aufgebracht werden? Mir scheint es wichtig zu sein, daß wir angesichts dieser nicht unerheblichen Belastung der Wirtschaft denjenigen, die diese Mittel aufzubringen haben, eine Gewähr dafür geben, daß sie auch für den Zweck verwandt werden, für den wir eine Begründung zum Gesetz geliefert haben. Ich bin der Meinung, daß die bisherigen Abschnitte IV, IVa und IVb diesen Anforderungen nicht genügen.
Darf ich noch einmal die grundsätzliche Frage stellen: Was wollten wir mit dem Verkehrsfinanzgesetz erreichen? Zweierlei: einmal eine Annährung der Startbedingungen von Schiene und Straße und zum anderen die Möglichkeit, vermehrte Investitionsmittel in der Hand ides Staates zu konzentrieren, um unseren Verkehrsapparat zu modernisieren, der Bundesbahn zu helfen, aber auch für den Ausbau des Straßennetzes die Voraussetzungen zu schaffen.
Was die Annäherung der Startbedingungen betrifft, so möchte ich sagen, daß das Verkehrsfinanzgesetz, wie es jetzt zustande gekommen ist, trotz der von allen Seiten vorgetragenen sicherlich be-
*) Siehe Anlage 7.
stehenden Mängel ein gutes Gesetz ist, ein Anfang, ein Teilstück, das sich einordnen muß in ein Gesamtneuordnungsprogramm für unser Verkehrswesen. Über die weiteren Maßnahmen, die nach dem Verkehrsfinanzgesetz getroffen werden müssen, werden wir uns noch sehr eingehend unterhalten.
Nun die zweite Aufgabe dieses Gesetzes: Mittel bereitzustellen für den Ausbau unseres Verkehrswesens! Wir haben uns gestern hier in diesem Hause mit dem Herrn Bundesfinanzminister etwas darüber unterhalten, wieviel an Mehraufkommen aus diesem Gesetz zu erwarten ist. Auf Grund der effektiv ermittelten Zahlenunterlagen möchte ich davon ausgehen — wie ich annehme, auch in Übereinstimmung mit den Ministerien —, daß wir ein Mehraufkommen von etwa 460 bis 470 Millionen DM erwarten dürfen, wovon 30 bis 35 Millionen durch die Beschlüsse bezüglich einer Sonderübergangsregelung für die Anhänger abzusetzen wären.
Meine Damen und Herren, wir legen in den zuletzt aufgerufenen Abschnitten dieses Gesetzes fest, daß für die Dauer von 10 Jahren der Deutschen Bundesbahn eine jährliche Spritze von 145 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden soll, für den gleichen Zeitraum ein Betrag von 10 Millionen DM für die nichtbundeseigenen Bahnen und für die Dauer von 14 Jahren ein Betrag von 115 Millionen DM für den Ausbau des Bundesbahnnetzes. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht eine Anmerkung gegenüber Vorwürfen aus der Öffentlichkeit machen. Es wird uns vorgeworfen, wir finanzierten mit Hilfe dieses Gesetzes durch die Straße die Konkurrenz, die Bahn. Wenn wir der Bundesbahn auf diesem Gebiet eine Kreditspritze von rund 1,5 Milliarden DM zur Verfügung stellen, so tun wir das schon aus sehr vernünftigenÜberlegungen. Es geschieht einmal, um die Bahn modernisieren und konkurrenzfähig machen zu können. Ich halte es auch für durchaus berechtigt, daß diese Übertragung von Mitteln aus einem Gesetz erfolgt, das eine Belastung des Straßenverkehrs bedeutet, einfach aus der Überlegung, daß die Bundesbahn gewisse gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen hat und behalten soll, die der Straßenverkehr nicht hat und für die, wenn wir eine Angleichung der Startbedingungen erreichen wollen, ein Ausgleich, ein Äquivalent geschaffen werden muß. Ich sehe gerade in dieser Mittelübertragung an die Bahn eine Form, diesen Ausgleich zu vollziehen.
Theoretisch bleibt, auch wenn wir die Beträge an die Bundesbahn und an die nichtbundeseigenen Eisenbahnen absetzen, bereits im ersten Jahr des Inkrafttretens des Gesetzes ein Betrag von rund 300 Millionen DM für den Straßenbau übrig. Das hat, wie gesagt, insofern eine theoretische Bedeutung, als einzelne Abschnitte des Gesetzes erst einen bzw. zwei Monate später in Kraft treten und damit sich das Gesamtaufkommen im ersten Jahr entsprechend verringert.
Es kommt hinzu, daß ein Betrag von 90 Millionen DM über die Kraftfahrzeugsteuer den Ländern zufließt, zumindest solange die Kraftfahrzeugsteuer eine Ländersteuer bleibt. Wir haben leider von dieser Stelle aus keine Möglichkeit, Einfluß darauf zu nehmen, daß die Länder diese Mittel effektiv dem Straßenbau zuführen. Wir haben nur die Möglichkeit, in Form einer Entschließung die Länder aufzufordern, dementsprechend zu verfahren. Wir werden das auch tun, und mein Appell geht insbesondere an die Haushaltsberater in den Landtagen, sich des Mehraufkommens, das ihnen aus diesem Gesetz zufließt, anzunehmen.
Das Thema Unfallbekämpfung steht heute mit vollem Recht häufig im Vordergrund der berlegungen der Öffentlichkeit und auch im Vordergrund unserer eigenen Bemühungen. Die Zahl von 13 000 Toten durch den Verkehr ist eine ernste Mahnung an dieses Haus, etwas Entscheidendes zu tun, um mit wirksamen Mitteln Unfallbekämpfung zu betreiben. Wenn wir gerade aus neuen Statistiken erfahren, daß ein Viertel aller Sterbefälle in der Altersgruppe zwischen 15 und 25 Jahren seine Ursache in Verkehrsunfällen hat, dann beweist das ganz besonders unsere Verpflichtung, die wir hier zu sehen haben. Sie ergibt sich aus der Zahl von 2283 Verkehrstoten in der Altersgruppe von 15 bis 25 Jahren im Jahre 1953. Es ist sehr interessant, die Statistiken weiter zu verfolgen und festzustellen, daß über 80 % der Unfalltoten in dieser Altersgruppe Radfahrer und Motorradfahrer gewesen sind. Angesichts dieser Zahlen scheint es mir wirklich wichtig zu sein, daß wir bei unseren Unfallbekämpfungsmethoden und den Wegen, die wir beschreiten wollen, mit aller nur möglichen Energie gegen die bei uns allzu stark grassierende Disziplinlosigkeit und Rücksichtslosigkeit vorgehen
und eine Erziehung der Verkehrsteilnehmer auf breiter Basis betreiben.
Ich bedauere außerordentlich, daß wir nicht dazu gekommen sind, den Entwurf eines Verkehrsunfallbekämpfungsgesetzes, den wir seit Juni des vergangenen Jahres im Bundestag vorliegen haben — aus Gründen, die ich hier nicht erörtern will —, weiter zu behandeln. Andererseits bin ich sehr froh, daß der Herr Bundesverkehrsminister und die Verkehrssicherheitskonferenzen sich bereits einen großen Teil der Vorschläge, die in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, zu eigen gemacht haben; denn es sind nun einmal die vernünftigen Vorschläge, die gemacht werden müssen und über die man sich wahrscheinlich sehr leicht auch in diesem Hause wird verständigen können.
Es gibt aber keinen Zweifel, meine Damen und Herren: die beste Art der Unfallbekämpfung ist eine Verbesserung unseres Straßennetzes.
Die beste Art der Unfallbekämpfung ist die Beseitigung der Hauptunfallgefahrenpunkte in unserem Straßennetz.
Wenn wir wissen, daß sich 80 % aller Unfälle innerhalb geschlossener Ortschaften ereignen, wo sich der Verkehr besonders massiert,
so ergibt sich bereits daraus logischerweise, daß wir den Schwerpunkt des ersten Straßenbauprogramms unbedingt darauf legen müssen, verbesserte Ortsdurchfahrten sowie Ortsumgehungen zur Entlastung der Stadt- und Gemeindekerne zu schaffen, die schienengleichen Bahnübergänge zu beseitigen und dort, wo es der Verkehr erfordert, auch Radfahrwege anzulegen.
Meine Damen und Herren! Wir werden dieses Programm einer systematischen Unfallbekämp-
fung durch den Straßenbau allerdings nur dann wirkungsvoll realisieren können, wenn wir eine langfristige Planung des Straßenbaues vorbereiten und eine langfristige Finanzierung eines solchen Straßenbauprogramms sicherstellen, und zwar in einer ähnlichen Form, wie wir es durch hervorragende Leistungen der Bundesregierung insbesondere auf dem Gebiete des Wohnungsbaues haben erreichen können. Wir werden daher meines Erachtens so schnell wie möglich dazu kommen müssen, ein Verkehrswegegesetz zu schaffen, das mit Hilfe möglichst auch des Kapitalmarktes eine langfristige Finanzierung des Straßenbauprogramms ermöglicht.
Nun ergibt sich in diesem Zusammenhang ein zweites Problem, das bereits im Finanz- und Steuerausschuß sehr eingehend diskutiert worden ist, wo man aber nicht zu einer abschließenden Meinung gekommen ist. Das ist die Tatsache, daß ein großer Teil der Straßenbauaufgaben heute bei den Gemeinden und den Landkreisen liegt, d. h. bei schwachen Baulastträgern, die aus der Kraftverkehrswirtschaft keine spezifischen Einnahmen bekommen, während sich insbesondere im Zuge der Finanzreform die Einnahmen aus der Kraftverkehrswirtschaft mehr und mehr beim Bund konzentrieren. Wir können feststellen, daß z. B. im Jahre 1952 — dem letzten Jahr, für das eine ganz klare Statistik vorliegt — bei Gesamtstraßenbauausgaben von 1,5 Milliarden DM die Gemeinden und Landkreise etwa 760 Millionen DM allein aufgebracht haben. Für das Jahr 1954 schätzen wir die Gesamtstraßenbauausgaben in einer Größenordnung von 1,8 Milliarden DM; von diesem Betrag ist 1 Milliarde DM von den Gemeinden und den Landkreisen aufgebracht worden.
Ich glaube, diese Feststellung allein müßte Anlaß sein, uns zu überlegen, wie wir bei einem systematischen Ausbau des Straßennetzes und der Beseitigung der Unfallgefahrenpunkte insbesondere den schwächeren Baulastträgern eine Hilfestellung geben können, und es bliebe die Frage zu klären, ob man eventuell mit Hilfe eines Zweckverbandes die Möglichkeit schafft, hier Mittel vom Bund auf die anderen Baulastträger zu übertragen. Dieses Problem wird um so mehr akut werden, wenn die Kraftfahrzeugsteuer nicht mehr eine Ländersteuer ist, sondern zu einer Bundessteuer gemacht worden ist.
Ich weiß, daß vor allem von seiten des Bundesfinanzministeriums hier staatsrechtliche grundgesetzliche Einwände erhoben werden. Wir müssen uns mit diesen Dingen auseinandersetzen; aber wir können nicht an dem Gestrüpp von Paragraphen — auch des Grundgesetzes, meine Damen und Herren — die Aufgabe scheitern lassen, durch den Straßenbau etwas Entscheidendes zur Bekämpfung der Unfälle zu tun.
Meine Damen und Herren! Heute, bei diesem Antrag, der Ihnen in Umdruck 319 vorliegt, geht es zunächst einmal nicht um die Frage des Grundgesetzes, wie Mittel übertragen werden können. Das Problem ist ausgeklammert dadurch, daß in der Überschrift und im Text vom allgemeinen Straßenbau geredet ist, wobei der Gesetzgeber je nachdem, wie seine rechtlichen Überlegungen ausfallen, die Möglichkeit einer Übertragung von Mitteln an die schwächeren Baulastträger beurteilt. Aber ich halte es — sowohl aus sachlichen als auch, das sage ich ganz offen, aus gewissen optischen Gründen - für nötig, sicherzustellen, daß die Mittel, die mit diesem Gesetz aufgebracht werden, effektiv den Verkehrswegen, d. h. der Bundesbahn, den nichtbundeseigenen Bahnen und dem Straßenbau wiederum zugute kommen.
Wenn ich das hier so besonders betone, so nicht zuletzt aus folgender Überlegung. Allein aus der Mineralölsteuer — der Mineralölzoll ist hier schon gar nicht berücksichtigt — hat der Bund im Jahre 1952 Einnahmen von 498 Millionen DM gehabt. Der Bund hat aber für den Straßenbau nur 237 Millionen DM, das sind etwa 46,5 % verausgabt. Die entsprechenden Ansätze für das Haushaltsjahr 1955 lauten: Einnahmen aus der Mineralölsteuer ohne die Erhöhungen, die wir hier in dem Verkehrsfinanzgesetz beschließen, 755 Millionen DM und Ausgaben für den Straßenbau 310 Millionen DM, d. h. ein Prozentsatz von 41 v. H. der Einnahmen allein aus der Mineralölsteuer. Wir haben da also offensichtlich eine sinkende Tendenz zu verzeichnen. Um so mehr scheint es mir notwendig zu sein, daß wir die Mittel, die aus diesem Gesetz aufkommen, unbedingt für den Straßenbau und die anderen im Gesetz bereits vorgesehenen Zwecke verankern. Wenn wir schon daran gehen, eine Verankerung der Einnahmen festzulegen, indem wir bestimmte Beträge für die Bundesbahn, für die nichtbundeseigenen Bahnen und die Bundesautobahnen binden, dann scheint es mir nur folgerichtig und berechtigt zu sein, daß wir Entsprechendes auch für den Straßenbau tun.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß der Herr Bundesfinanzminister sich an jeder Art der Zweckbindung stößt und wir wahrscheinlich von seiner Seite auch bei diesem Antrag mit einem entsprechenden Einwand zu rechnen haben. Nun, es liegt nicht sehr lange zurück — es war der 9. Dezember 1954 —, als wir uns in der ersten Lesung über den Bundeshaushaltsplan 1955 unterhielten. Damals hat Herr Staatssekretär Hartmann in der Debatte des Bundestages folgenden sehr richtigen Grundgedanken ausgesprochen — ich verlese mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:
Sollte es also möglich sein, daß sich eine breite Mehrheit in diesem Hause für einen Ausbau des Verkehrsfinanzgesetzes findet, so wären wir, wie ich jetzt schon erklären kann, entgegen allen geheiligten Etatprinzipien mit einer Zweckbindung für Straße, Autobahn, Bundesbahn einverstanden.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren; ich bitte Sie nur, nachdem wir meines Erachtens mit vollem Recht eine Verankerung der Mittel für drei bestimmte Zwecke in diesem Gesetz beschlossen und damit praktisch eine Zweckbindung vorgeschrieben haben, nun auch konsequenterweise etwas für den allgemeinen Straßenbau hier zu verankern. Wir können dieses Gesetz unter keinen Umständen vor der Öffentlichkeit vertreten, wenn wir denen, die diese Mittel aufbringen, sagen müssen: Wir verankern zwar die Ausgaben für die Bahnen, aber für den Straßenbau belassen wir es bei einer allgemeinen Empfehlung an die Bundesregierung, auch für ihn bei passender Gelegenheit etwas zu tun.
Meine Damen und Herren, wir müssen, wenn wir es mit der Bekämpfung der Unfälle und mit dem Ausbau unseres Straßennetzes ernst meinen,
auch einmal bereit sein, gewisse Prinzipien zu überspringen. Ich bin der Meinung, daß wir quer durch die Reihen dieses Hauses unabhängig von allen Einzelmeinungen in politischer Beziehung gemeinsam Hand anlegen sollten, um dem Unfalltod durch den Straßenbau einen energischen Kampf anzusagen.