Rede von
Dr.
Karl
Mommer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr von Merkatz, es ist richtig, daß die gesamtdeutsche Regierung erst dasein muß, ehe der Friedensvertrag abgeschlossen werden kann. Aber ob er abgeschlossen werden kann, hängt ja dann auch von der französischen Regierung ab.
Ich habe hier referiert, Herr von Merkatz! Ich habe nicht etwa meiner Meinung Ausdruck gegeben, sondern in der Essenz das wiedergegeben, was in der Nationalversammlung in Paris zu diesem Thema gesagt worden ist. Ich werde Ihnen jetzt gleich in Beantwortung Ihrer Frage auch das vorlesen, was Herr Mendès-France gesagt hat, nachdem er das gesagt hat, was Herr Lenz hier soeben zitiert hat. Er hat da nämlich gesagt, daß es natürlich keinen absoluten Zwang gegenüber der Bevölkerung im Saargebiet geben könne und daß man ihr nicht etwas aufzwingen könne, was sie absolut nicht wolle. Aber er hat dann gesagt — und das ist eine wörtliche Übersetzung —:
Es erscheint mir wahrscheinlich, anzunehmen, daß, wenn eine Lösung die Zustimmung der Kriegführenden, insbesondere der Deutschen und Franzosen, fände, die Saarbevölkerung ihrerseits nicht die Zustimmung verweigern würde.
Das ist die Strategie, mit Druckmitteln von der gesamtdeutschen Regierung — übrigens auch unter Hilfsstellung der englischen und der amerikanischen Regierung — die Fortführung dieses Statuts zu erreichen und dann das so Vereinbarte der Saarbevölkerung zur Abstimmung vorzulegen.
Und nachdem die gesamtdeutsche Regierung hat unter Druck gesetzt werden können, glaubt Herr Mendès-France, wird man auch von der Saarbevölkerung nichts anderes erwarten können, als daß sie dem zustimmt, was alle Mächte dort einschließlich einer gesamtdeutschen Regierung beim Abschluß des Friedensvertrages vereinbart haben.
Im Rechtsausschuß ist diese Sache völlig falsch dargestellt worden.
Dort heißt es in dem Text, der dem Auswärtigen Ausschuß zugeleitet wurde, daß, wenn die Saarbevölkerung bei der in Art. VII vorgesehenen Volksabstimmung sich einfach für die Rückgliederung der Saar in Deutschland ausspreche, dann die Volksabstimmung sich gegenüber dem Friedensvertrag durchsetze. Davon ist in diesem Art. IX in keiner Weise die Rede!
In diesem Zusammenhang muß auch ein Wort zu den Versprechungen gesagt werden, die von den Regierungen der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs in den Jahren 1947 bis 1950 in bezug auf das Saargebiet Frankreich gemacht worden sind. Diese Regierungen haben versprochen, bei Friedensvertragsverhandlungen den französischen Standpunkt in, der Saarfrage zu unterstützen. Im Bericht des Auswärtigen Ausschusses heißt es, daß diese Versprechungen für überholt gehalten werden. Ich wünschte, daß das nicht reines Wunschdenken wäre. Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, wenn die Bundesregierung in Verhandlungen mit diesen beiden Mächten hätte erreichen können, daß diese Versprechungen ausdrücklich widerrufen werden. Das wäre klarer als der Ausdruck des Wunsches, daß diese Versprechungen überholt seien. Wir wissen, daß diese Mächte solche Versprechungen auf Kosten des deutschen Gebietes im Osten und im Westen gemacht haben, und ich meine, daß bei diesen ganzen Vertragsverhandlungen, nicht nur beim Saarvertrag, es eine Pflicht der Bundesregierung gewesen wäre, über diese Versprechungen zu reden und Klarheit darüber zu schaffen, daß die Westmächte insbesondere auch nicht dem Osten gegenüber — ich nenne nur Königsberg — ihre Versprechungen weiter aufrechterhalten.
Ich darf dann einige kurze Bemerkungen zu der Verfassungsmäßigkeit des Saarabkommens machen. Im Gegensatz zu den anderen Pariser Verträgen handelt es sich hier um ein Regierungsabkommen. Man hat diese Form gewählt, weil die Bundesregierung ursprünglich glaubte, durch diese Wahl an der Notwendigkeit der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrats vorbeizukommen. Es ist keine Frage, daß dieses Abkommen die politischen Beziehungen des Bundes regelt, daß deswegen der Art. 59 des Grundgesetzes hier zur Anwendung kommen muß und daß es sich um eine reine Zuständigkeit des Bundespräsidenten handelt. Hier ist ein schwerer Formfehler gemacht worden, und das Abkommen bleibt auch dann im Rechtssinne nichtig, wenn der Bundestag ihm zustimmt. Das kann seine praktischen Konsequenzen haben.
Nach unserer Überzeugung und nicht allein nach der sozialdemokratischen Überzeugung verstößt dieses Abkommen auch gegen den Art. 23 des Grundgesetzes. Das Grundgesetz wurde auch für die Deutschen geschaffen, denen durch Besatzungsgewalt verwehrt wurde, dabei mitzuwirken. Das Grundgesetz hat den nicht mitwirkenden Deutschen ausdrücklich das Recht des Beitritts zum Geltungsbereich des Grundgesetzes eingeräumt. Wir sind der Überzeugung, daß dieses Recht auch nicht vorübergehend durch einen freiwilligen Vertrag verweigert werden kann.
Deshalb haben wir als Zusatzantrag zum Ratifizierungsgesetz auf Umdruck 294 Ziffer 3 einen Antrag gestellt, mit dem wir fordern, daß durch zusätzliche Verhandlungen klargestellt wird, daß das Recht eines frei gewählten Saarlandtages, von den Möglichkeiten des Art. 23 des Grundgesetzes Gebrauch zu machen, durch dieses Abkommen nicht geschmälert wird.. Man kann sagen, das laufe nun gerade dem Ziel des Abkommens zuwider. Das ist aber dann kein Argument; wenn der Vertrag auch in diesem Punkte verfassungswidrig ist, dann darf man ihn nicht abschließen.
Meine Damen und Herren! Alle diejenigen, die wie wir der Überzeugung sind, daß dieses Abkommen in mehreren Punkten verfassungswidrig ist, werden für den Fall seiner Annahme in der dritten Lesung prüfen müssen, welche Konsequenzen sie daraus zu ziehen haben.
Seit der ersten Lesung hat die Frage der Stellung des Saarvertrags in dem Gesamtvertragswerk eine besondere Rolle gespielt. In der ersten Lesung ist der Versuch des Bundeskanzlers auf dramatische Art gescheitert, dieses Abkommen aus sich selbst zu erklären und es so darzustellen, als sei es ein aus sich selbst zu begreifender Abschluß im Interesse der deutsch-französischen Verständigung. Im Auswärtigen Ausschuß hat uns der Zusammenhang sehr beschäftigt. Es ist klargestellt worden, daß Frankreich regierungsoffiziell seit Januar 1953 diese Koppelung des Saarproblems mit den übrigen Verträgen vorgenommen hat. Wir haben auch klargestellt, daß die Bundesregierung, als sie das Saarabkommen unterzeichnete, unter dem Druck eines Kabinettsbeschlusses der französischen Regierung stand,
aus dem hervorging, daß der Kanzler nur die Wahl hatte, entweder mit gänzlich leeren Händen wieder nach Hause zu fahren — ohne Verträge — oder aber ein Saarabkommen mit zu unterschreiben.