Rede von
Hellmut
Kalbitzer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat dem Hause mit der Drucksache 551 eine allgemeine 20%ige Zollsenkung vorgeschlagen. Die Bundesregierung und die Mehrheit des Ausschusses für Außenhandelsfragen haben sich für eine individuelle Zollsenkung ausgesprochen. Dabei ist interessant, daß, wie sich in den Ausschußsitzungen herausgestellt hat, der Herr Bundeswirtschaftsminister für den Vorschlag meiner Fraktion, also einer allgemeinen linearen Zollsenkung, durchaus Interesse gezeigt und mit diesem Gedanken, wie man sagte, geliebäugelt hat. Leider ist es im Ausschuß unbekannt geblieben, weshalb diese Meinung des Bundeswirtschaftsministers sich in der Praxis nicht durchgesetzt hat. Es kann nur vermutet werden — und diese Vermutung wird, wie ich Ihnen noch ausführen werde — bestätigt —, daß sich leider die Interessentenstandpunkte gegenüber einer solchen linearen Zollsenkung durchgesetzt haben.
Unser Vorschlag einer allgemeinen Zollsenkung, bei der Ausnahmen durchaus möglich gewesen wären, unterscheidet sich von dem mit der Neunzehnten Zollverordnung beschrittenen Weg mit seinen Einzelzollsenkungen in Hunderten von Fällen im Prinzip dadurch, daß der Nachweis, daß eine Zollsenkung nicht möglich sei, bei den Interessenten gelegen hätte. Die Interessenten — diejenigen also, die das Beibehalten eines hohen Zolles von sich aus wünschten — hätten den Nachweis führen müssen, daß sie auf einen so hohen Zoll angewiesen sind. So wie die Dinge jetzt gelaufen sind, hat die Beweislast, wenn man einen Zollsatz senken wollte, im allgemeinen bei der Regierung gelegen. Diejenigen, die an einem höheren Zoll interessiert sind, haben sich auf den Standpunkt gestellt — und dieser Standpunkt scheint mir leider von dem Ausschuß in seiner Mehrheit im allgemeinen anerkannt zu werden —, daß vor Jahr und Tag und in einer innen- und außenwirtschaftlich völlig anderen Situation hoch angesetzte Zölle zu einem guten Gewohnheitsrecht der davon Profitierenden geworden seien. Eine solche Grundhaltung, meine ich, steht jeder Zollherabsetzung, wie sie heute außenwirtschaftlich und innenwirtschaftlich notwendig ist, entgegen.
Bei der Neunzehnten Zollverordnung, wie sie Ihnen jetzt zur Entscheidung vorliegt, sind die Zölle der Landwirtschaft von vornherein ausgenommen. Die Landwirtschaft hat also das Dogma aufrechterhalten, daß an hohen Zöllen für landwirtschaftliche Produkte nicht gerüttelt werden darf. Dazu muß, ohne diese Debatte in eine Agrardebatte abbiegen zu wollen, doch gesagt werden: 80 Jahre Agrarzollpolitik in Deutschland haben bewirkt, daß die deutsche Landwirtschaft heute — als vor 80 Jahren die Zollschutzpolitik für die Landwirtschaft begann, war die deutsche Landwirtschaft eine der modernsten der Welt —, wie Fachleute sagen, beinahe 50 Jahre hinter die weltwirtschaftliche Agrarentwicklung zurückgefallen ist.
Ich glaube, die Landwirtschaft müßte sich in ihrer Zollpolitik einen neuen Gedanken wirklich ernsthaft überlegen, nämlich den, daß der Landwirtschaft mit niedrigen Industriezöllen, die die Produktionsmittel, die landwirtschaftlichen Maschinen, den Kunstdünger und all diese Dinge, erheblich verbilligen, weitaus mehr geholfen wäre als mit ihrem jetzigen Zollschutz. Wir geben ohne weiteres zu, daß in derSituation, in der sich die deutsche Landwirtschaft heute nun einmal befindet, neben einer wesentlichen Ermäßigung der Industriezölle sicher auch direkte Rationalisierungshilfen notwendig wären. Aber dann wüßte man, was es kostet, die Landwirtschaft rationell zu gestalten, und würde die Frage: Was kostet es? nicht hinter dem Schleier allgemein überhöhter Agrarzölle belassen. Heute ist das Spiel im Gange, daß sich eine Versicherung auf Gegenseitigkeit zwischen Landwirtschaft und Industrie herausgebildet hat. Die Landwirtschaft behält ihre hohen Zölle und moniert nicht die zu hohen Industriezölle, und umgekehrt geht es genau so.
Ein anderes Argument, das gegen die heutigen überhöhten Zölle generell vorgebracht werden muß, ist, daß sich unser Außenhandel glücklicherweise in den letzten Jahren so gut entwickelt hat, daß wir heute jährlich Milliarden-Exportüberschüsse haben. Eine wirksame internationale Zusammenarbeit erfordert aber, daß die wirtschaftlich entwickeltsten Gebiete, die, wie Deutschland, keinerlei Autarkie haben, sondern deren Wohlstand seine wesentliche Ursache im internationalen Warenaustausch hat, mit Zollsenkungen vorangehen, in erster Linie Deutschland. Es wäre jedenfalls, meine ich, ein gutes Zeichen, wenn sich in unserem Lande der Geist internationaler Zusammenarbeit in diesem Sinne durchsetzte und nicht dort, wo die internationale Zusammenarbeit auch nur etwas kostet, von deutscher Seite die Interessen über eine internationale Politik dominierten.
Meine Damen und Herren, ich will Sie nicht etwa mit einer kritischen Darstellung dieser Hunderte von Einzelpositionen langweilen, sondern nur zwei Beispiele herausgreifen, die mir zu zeigen scheinen, daß hier Interessentenstandpunkte wichtiger waren als die allgemeinen volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten.
In der Position 83 der Vorlage ist der Zollsatz für Holzpflasterklötze, also für ein geringes Produkt, das nur kleinindustriell hergestellt wird, auf Vorschlag der Bundesregierung von 15 auf 3 % gesenkt worden. Diese Kleinindustrie war natürlich ohne einen wesentlichen Fürsprecher, rund so hat man sich in diesem Punkte zueiner wirklich sehr radikalen Zollsenkung durchgerungen.
In zwei anderen Positionen dagegen, den Positionen 104 und 129 — es handelt sich dabei um Linoleum — ist man von einem Zollsatz von 25 % mit Hängen und Würgen auf einen Zollsatz von 20 % heruntergegangen und hat mit diesen 20 % nicht einmal den Vorschlag der Regierung, der immerhin bei 18 % lag, erreicht. Die Linoleumindustrie zeichnet sich dadurch aus, daß sie eine ausgesprochene Monopolindustrie ist. Die führende Firma dieser Branche stellt allein über 75 % der deutschen Produktion. Sie ist durch ihre Übermacht imstande, von sich aus jede ernsthafte Konkurrenz niederzuhalten. Sie ist damit auch in der Preisgestellung durchaus führend, d. h. nach ihrer Preisgestellung richtet sich und muß sich alles Weitere
richten. Diese führende Firma hat ihre Dividende in den letzten Jahren von 6 % über 8 % auf jetzt 10 % heraufschrauben können
und hat zur selben Zeit, in der sie eine so günstige Gewinnentwicklung gehabt hat, außerdem ihre Produktionwesentlich rationalisiert und ausgebaut. Es list also eine Industrie mit günstigster Konjunktursituation. Dieser Industrie ist es gelungen, ihren zweifellos überhöhten Zollsatz zu halten. Die Mehrheit des Ausschusses hat zu meinem größten Erstaunen nicht einmal dem Vorschlag der Regierung Folge geleistet. In diesem Zusammenhang muß noch hinzugefügt werden, daß die genannte Firma, der es ungewöhnlich gut geht, mit ihrer Produktion sieben Monate im voraus ausverkauft ist; d. h. sie hat lange Lieferfristen. Sie ist ein wesentlicher Betrieb für die deutsche Bauwirtschaft, und ihre Preise haben Einfluß auf den allgemeinen deutschen Bauindex. Insofern geht die Frage der Linoleumpreise auch unsere Bauwirtschaft, insbesondere denSozialen Wohnungsbau, an.
Der Herr Vertreter der Freien Demokraten hat im Ausschuß, nachdem all dies zur Sprache gekommen war: die ungewöhnlich gute Konjunktur, die Tatsache, daß dieses Produkt monatelang im voraus ausverkauft ist, und die gute wirtschaftliche Gewinnentwicklung des genannten Unternehmens, vorgeschlagen, zeitweise, bis der Engpaß Linoleum überwunden ist, den Zollsatz von 25 auf 12 % herabzusetzen, und zwar mit der naheliegenden und einleuchtenden Begründung, daß man bei einem solchen Engpaß im Interesse des Wohnungsbaues eine Einfuhr in beschränktem Maße zulassen muß, damit nicht Verzögerungen im Bau eintreten. Wie gesagt, diesem Vorschlag der FDP ist die Mehrheit des Ausschusses nicht .gefolgt. Ich muß offen sagen, es wäre für mich von Interesse, wenn ich hier im Plenum von den Herren Vertretern der CDU hören könnte, weshalb sie diesem fairen Vorschlag der FDP nicht gefolgt sind; denn das, was man uns im Ausschuß in dieser Hinsicht erklärt hat, habe ich einfach nicht begreifen können. Vielleicht gelingt es mir dieses Mal, in dieser Frage mehr zu verstehen.
Ich möchte deshalb die Mehrheit dieses Hauses darauf aufmerksam machen, daß es bei der Frage der Linoleumzölle darum geht, der freien Marktwirtschaft, der Opfer zu bringen man doch bereit ist, hier zum Durchbruch zu verhelfen, daß es außerdem darauf ankommt, in der Wohnungswirtschaft einen ausgesprochenen Engpaß zu beseitigen, und daß es sich hier schließlich darum handelt, daß die Baugelder, die, wie Sie alle wissen, durch die öffentliche Hand subventioniert werden, nicht zu einem gewissen Teil, anstatt damit möglichst schnell und möglichst preiswert zu bauen, von einer Monopolfirma vorher absorbiert werden. Die Wohnungsuchenden sind in doppelter Hinsicht die Leidtragenden dieser unverständlichen Maßnahme. Sie müssen einmal die Wohnungen zu teuer bezahlen und sie müssen wegen der Verzögerungen in der Fertigstellung der Bauten unter Umständen unnötigerweise auf ihre Wohnungen warten. Mir scheint, daß bei denjenigen, die hier einen überhöhten Zollsatz für Linoleum vertreten, die beruflichen Interessen — wenn ich mich so ausdrücken darf — im Widerspruch zu der Aufgabe stehen, die sie als Abgeordnete zu erfüllen haben. Da wir
in der Neunzehnten Zollverordnung noch mehrere solche Fälle haben, auf die ich der Zeit halber nicht eingehen will, sollte man in diesem speziellen Fall der Linoleumzölle ein Exempel statuieren.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus, dem Vorschlag der FDP, den die Sozialdemokratische Partei damals unterstützt und jetzt erneut in Umdruck 284 *) aufgegriffen hat, zuzustimmen und mit dieser Änderung der Neunzehnten Zollverordnung die Zustimmung zu geben.