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    2. Deutscher Bundestag — 61. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1954 3111 61. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1954. Geschäftliche Mitteilungen 3112 B Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg Spies (Brücken) und Wagner (Deggenau) 3112 B Mitteilung über Bestätigung des Zweiten Gesetzes über die Altersgrenze von Richtern an den oberen Bundesgerichten und Mitgliedern des Bundesrechnungshofes durch den Vermittlungsausschuß (Drucksache 1076) . 3112 C Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 75 und 130 (Drucksachen 607, 1075; 989, 1071) 3112 C Mitteilung über Zurückziehung des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP betr. Ergänzung des Schwerbeschädigtengesetzes (Drucksache 96) 3112 C Zur Tagesordnung: Präsident D. Dr. Gerstenmaier 3112 C, 3114 C Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 3112 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 3114 C Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Vorrang von Verhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 1017, Umdruck 280) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands (Drucksache 997), mit der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Saar (Drucksache 1007, Umdruck 281), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 1000, zu 1000), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 1060), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag (Drucksache 1061), mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar (Drucksache 1062) und mit der Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Londoner Abkommen und Außenpolitik der Bundesrepublik (Drucksachen 958, zu 958, 863) . . . . 3114D, 3120 B Wehner (SPD), Anfragender 3114 D, 3149 D, 3151 C, 3153 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3120 C, 3131 B Erler (SPD) . . . 3131 A, 3150 D, 3155 A Dr. Furler (CDU/CSU), Berichterstatter (Schriftlicher Bericht) . . 3169 Unterbrechung der Sitzung . 3135 D Ollenhauer (SPD) 3135D 3138 C Dr. Friedensburg (CDU/CSU) . . . 3138 B Kiesinger (CDU/CSU) . . 3146 B, 3149 D, 3150 A, D, 3151 D, 3153 A, 3155 A, B, D, 3159 C Walter (DP) . 3155 A Dr. Baade (SPD) 3155 C Dr. Dehler (FDP) 3157 C, 3159 C Weiterberatung vertagt 3164 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder (Drucksache 1058) 3164 B Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 3164 B Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zum Fünften Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (Drucksachen 1077, 483, 963, 993, 1045) . 3164 B Dr. Arndt (SPD), Berichterstatter 3164 B Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 3165 A Beschlußfassung . 3165 B Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/ BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Art. 107 des Grundgesetzes (Drucksache 1078) . 3165 B Dr. Gülich (SPD) 3165 C Beschlußfassung . 3165 D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes (Drucksachen 716 [neu], 717, 836, 859, 887); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen (Drucksache 1068) 3166 A Pohle (Eckernförde) (SPD): als Berichterstatter 3166 A Schriftlicher Bericht . 3170 als Abgeordneter . 3166 I) Petersen (GB/BHE) 3166 B Abstimmungen . 3166 B, 3167 B Zweite Beratung des von ,der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Sonderzulage an Kriegsopfer und Angehörige von Kriegsgefangenen (Drucksache 793); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen (Drucksache 1069) . 3167 B Maucher (CDU/CSU), Berichterstatter 3167 C Petersen (GB/BHE) 3167 1) Pohle (Eckernförde) (SPD) . . . 3168 A, B Rasch (SPD) . 3168 C Abstimmungen 3168 D Nächste Sitzung 3168 D Anlage 1: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Fraktion der SPD (Drucksache 863) betr. Londoner Abkommen und Außenpolitik der Bundesrepublik (zu Drucksache 958) 3169 Anlage 2: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen über die Gesetzentwürfe der Fraktion der FDP (Drucksachen 716 [neu], 717), der Fraktion der SPD (Drucksache 836), der Fraktion des GB/BHE (Drucksache 859) und der Abg. Frau Dr. Probst u. Gen. (Drucksache 887) zur :nderung des Bundesversorgungsgesetzes (Drucksache 1068) 3170 Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
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    Anlage 1 zu Drucksache 958 (C) (vgl. S. 3120 C, 3135 C) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (4. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Londoner Abkommen und Außenpolitik der Bundesrepublik (Drucksache 863) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Furler In der 47. Sitzung des Deutschen Bundestages, deren Gegenstand die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung zur Londoner Konferenz vom 5. Oktober 1954 war, haben die SPD den Antrag Drucksache 863 und die Koalitionsparteien den Antrag Drucksache 864 gestellt. Beide Anträge befaßten sich mit der Londoner Schlußakte. Der Koalitionsantrag wurde vom Bundestag angenommen, der Antrag der SPD jedoch mit Mehrheit dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten überwiesen. Der Ausschuß hat sich in seinen Sitzungen vom 13. Oktober und 9. November 1954 mit diesem Antrag befaßt. Er schlägt — und zwar auf Grund einstimmigen Beschlusses — dem Hohen Hause vor, diesen Antrag als gegenstandslos zu bezeichnen. Die Sprecher der SPD legten in der Plenarsitzung vom 7. Oktober 1954 und in den Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses dar, ihr Antrag gehe von den Ziffern 3 und 4 des Teiles V der Londoner Schlußakte aus, in denen die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich und Frankreich erklären, es bleibe ein wesentliches Ziel ihrer Politik, eine frei vereinbare friedensvertragliche Regelung für Gesamtdeutschland herbeizuführen, und es sei weiterhin ein grundsätzliches Ziel ihrer Politik, durch friedliche Mittel ein völlig freies und vereinigtes Deutschland zu schaffen. In diesem Zusammenhang habe der Antrag drei Aufgaben: 1. festzustellen, welches Gewicht diesen Erklärungen der drei Mächte im Rahmen der Londoner Akte zukomme; 2. zu sichern, daß die in dieser Erklärung niedergelegten politischen Grundsätze lebendig gehalten und konkret gestaltet würden; 3. zur Durchsetzung dieser Politik und für ihre vertragliche Festlegung schon in der Zeit zwischen der Londoner Konferenz und den in Aussicht stehenden Pariser Verhandlungen beizutragen. Von ,den vier Ziffern des Antrags stehen die beiden ersten in einem engen, funktionellen Zusammenhang. Während die Ziffer 1 Besprechungen mit den drei westlichen Besatzungsmächten fordert, um die Grundlagen einer gemeinsamen Politik zu klären, die in den kommenden Vier-Mächte-Verhandlungen die Wiedervereinigung Deutschlands herbeiführen soll, schlägt die Ziffer 2 vor, zu diesem Zweck neben den in der Londoner Akte vorgesehenen speziellen Verhandlungskommissionen eine weitere Kommission zu bilden, deren Aufgabe es sei, gemeinsame Richtlinien festzustellen und eine einheitliche Politik für die Wiedervereinigung zu ermöglichen. Im Auswärtigen Ausschuß herrschte zwischen den Parteien und mit der Regierung im Grundsätzlichen Einverständnis über das Anliegen der Ziffer 1 des Antrags. Die Aussprache beseitigte auch Meinungsverschiedenheiten über Art und Aufgaben der angestrebten Kommission. Es wurde geklärt, daß ein solches Gremium wegen seiner hohen politischen Aufgabe nicht den zur Durchführung der Londoner Beschlüsse und zur Vorbereitung der Pariser Konferenz gebildeten Kommissionen gleichgestellt werden könne, zumal diese Expertenkommissionen zeitlich auf wenige Wochen begrenzt waren. Es ergab sich auch die allseits anerkannte Notwendigkeit, in dem gesamten Antrag nicht von den drei westlichen Besatzungsmächten zu sprechen, sondern klar herauszustellen, daß diese gemeinsame Aufgabe und alle vorbereitenden Schritte Sache der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland seien. Der Auswärtige Ausschuß konnte erst in seiner Sitzung vom 9. November 1954 damit beginnen, die Ziffern 3 und 4 des Antrags zu beraten. In diesem Zeitpunkt war die Pariser Konferenz schon abgeschlossen. Das dritte Ziel der Antragsteller war daher nicht mehr erreichbar. Der Antrag konnte nicht „die Grundlage für eine Aktivität in der Zeit zwischen der Londoner und der Pariser Konferenz" bilden. Er war unter diesem Gesichtspunkt gesehen gegenstandslos geworden, woraus der Ausschuß widerspruchslos die Folge zog und dem Hohen Haus den in Drucksache 958 formulierten Vorschlag macht. Nachdem der Antrag gegenstandslos geworden war, schied eine weitere Beratung seines Inhalts aus. Dieses formelle Schicksal des Antrags besagt allerdings nichts über die Bedeutung und die Wertung der in ihm enthaltenen politischen Fragen. Selbstverständlich behält das Anliegen einer gemeinsamen, auf die Wiedervereinigung Deutschlands gerichteten Politik mit den Vereinigten Staaten von Amerika, England und Frankreich, ja mit allen Staaten der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, die gerade die Ziffern 3 und 4 des Teiles V der Londoner Schlußakte als auch sie bindend übernommen haben, seine große Bedeutung. Selbstverständlich spielt auch nach Abschluß und Ratifizierung der Pariser Verträge die Frage eine wichtige Rolle, auf welche Weise diese gemeinsame Politik konkret gestaltet und durchgeführt werden kann, und ob es zweckmäßig ist, hier eine spezielle Institution zu schaffen, die diese Politik der Mächte aktiviert und konkretisiert oder wenigstens Vorschläge ausarbeitet, die der Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands dienen sollen. Auch die politischen Hauptpunkte der Ziffer 3 des Antrags werden noch lange im Mittelpunkt des politischen Ringens stehen; die Fragen nämlich, in welchem Zeitpunkt Verhandlungen über die Wie- (Dr. Furler) dervereinigung auch mit Sowjetrußland zweckmäßig erscheinen, welches die möglichen Bedingungen für die Wiedervereinigung sind, was unter einem „europäischen Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen" zu verstehen ist, ob und unter welchen Bedingungen ein solches System realisierbar und ob es überhaupt geeignet ist, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit herbeizuführen und diesem wiedervereinigten Deutschland die Sicherheit zu gewähren, die unerläßlich ist. Bonn, den 9. Dezember 1954 Dr. Furler Berichterstatter Anlage 2 Drucksache 1068 (vgl. S. 3166 A) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen (29. Ausschuß) über 1. den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (Drucksache 716 [neu]), 2. den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (Drucksache 717), 3. den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (Drucksache 836), 4. den von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (Drucksache 859), 5. den von den Abgeordneten Frau Dr. Probst, Maucher, Lücke und Genossen eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (Drucksache 887) Berichterstatter: Abgeordneter Pohle (Eckernförde) I. Allgemeines Am 15. Oktober 1954 wurden dem Bundestagsausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen die oben aufgeführten Initiativ-Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung im Bundestag zur weiteren Beratung überwiesen. Die Beratungen litten in der ersten Verhandlungsperiode unter der noch ausstehenden Stellungnahme der Bundesregierung. Erst am 2. Dezember 1954 wurde dem Ausschuß eine Kabinettsvorlage des Bundesministeriums für Arbeit als Material mit dem Hinweis des Herrn Bundesarbeitsministers vorgelegt, er habe vom Kabinett die Vollmacht erhalten, gemeinsam mit dem Kriegsopferausschuß ein Beratungsergebnis zu erzielen, das dem Bundestag als Beschlußvorlage zugeleitet werden könne. Gleichzeitig wurde dem Ausschuß für Kriegsopfer-. und Heimkehrerfragen ein Kompromißvorschlag der Koalitionsfraktionen überreicht, der ebenfalls als Verhandlungsgrundlage bei den weiteren Beratungen diente. Da bei allen Mitgliedern des Ausschusses das Bedürfnis bestand, dem Bundestag noch möglichst vor den Weihnachtsferien das Beratungsergebnis zur Beschlußfassung zuzuleiten, standen die Beratungen unter einem Zeitdruck, der in einigen Fällen die antragstellenden Fraktionen zwang, Teile ihrer Anträge zurückzuziehen, da die Probleme nicht ausdiskutiert werden konnten und keine der antragstellenden Fraktionen die Verantwortung dafür tragen zu können glaubte, durch ein Festhalten an den gestellten Anträgen die äußerst dringliche Verabschiedung einer Dritten Novelle zum Bundesversorgungsgesetz hinauszuzögern. II. Der Gesetzentwurf im einzelnen Zu Artikel I Zu Nrn. 1 bis 4: Der Ausschuß stimmte mit Änderungen den Vorschlägen des Bundesministers für Arbeit zu den genannten Nummern bzw. den §§ 14 Abs. 7, 17 Abs. 3, 18 Abs. 1 und 2 und 21 Satz 1 zu. Zu Nr. 5: Die Änderung des § 31 Abs. 1 über die Höhe der Grundrenten hat im Ausschuß zu sehr eingehenden Erörterungen geführt. Die jetzt vorgesehenen Beträge der Grundrente sind ein Mehrheitsbeschluß des Ausschusses, die den Sätzen des Kompromißvorschlages entsprechen. Zu Nr. 6: Einstimmig bekannte sich der Ausschuß in § 32 Abs. 2 (s. Nr. 6 Buchst. a) zu der. vorgeschlagenen Erhöhung der Ausgleichsrenten. Die Ergänzung zu § 32 Abs. 4 (s. Nr. 6 Buchst. b) war durch das vom Bundestag am 8. Dezember 1954 verabschiedete Kindergeldanpassungsgesetz notwendig geworden. Lediglich mit einigen redaktionellen Änderungen wurde diese Ergänzung in die Dritte Novelle zum Bundesversorgungsgesetz übernommen. Der Beschluß hierzu wurde mit Mehrheit gefaßt. Zu Nr. 7: Die in Buchst. a durch die Erhöhung der Ausgleichsrenten notwendig gewordene Ausweitung der Einkommensgrenzen wurde einstimmig beschlossen. (Pohle [Eckernförde]) Zu Buchst. b bestand Einmütigkeit im Ausschuß in der grundsätzlichen Auffassung. Strittig waren die festzusetzenden Beträge, bis zu denen die Einkünfte aus früheren Dienst- oder Arbeitsverhältnissen oder zusätzlichen Versorgungsleistungen einer berufsständischen Organisation bzw. die Einkünfte aus Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherungen Freibleiben sollten. Zu Nr. 8: Der Vorschlag, hinter § 34 einen neuen § 34 a einzufügen, entspricht ebenfalls einer bereits durch das Kindergeldanpassungsgesetz erfolgten Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes, die durch den Ausschuß lediglich eine redaktionelle Klarstellung erfahren hat. Der Beschluß wurde mit Mehrheit gefaßt. Zu Nr. 9: Einstimmig beschloß der Ausschuß, den Höchstsatz der Pflegezulage auf 200 DM festzusetzen. Zu Nr. 10: Die Änderung stellt eine Verbesserung der Regelung über die Bezüge für das Sterbevierteljahr dar. Sie wurde vom Bundesminister für Arbeit vorgeschlagen und vom Ausschuß einstimmig gebilligt. Zu Nr. 11: Die Grundrente der Witwen, die bisher in Höhe von 40 DM gewährt wurde, ist auf 48 DM angehoben worden. Für Witwen, die weder erwerbsunfähig sind noch für mindestens ein Kind im Sinne des § 41 Abs. 1 Buchst. c zu sorgen und das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wurde die Grundrente gleichfalls um 20 v. H. von 20 auf 24 DM erhöht. Weitergehende Erhöhungsanträge zu dieser Position wurden bei Stimmengleichheit abgelehnt. Zu Nr. 12: Die volle Ausgleichsrente der Witwen betrug bisher 60 DM. Sie wird durch die vorgeschlagene Änderung um 10 DM verbessert. Während die Ausgleichsrente bisher nur insoweit zu gewähren war, als sie zusammen mit dem sonstigen Einkommen 95 DM nicht überstieg, ist dieser Betrag nunmehr auf 100 DM erhöht worden. Wie bei den Beschädigten wurde auch hier die Nichtberücksichtigung der Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes vorgesehen. Von diesen Einkünften soll künftig ein Teilbetrag in Höhe von 15 DM anrechnungsfrei bleiben. Diese Bestimmung hat zu ausgedehnten Erörterungen im Ausschuß geführt, da erhebliche Bedenken wegen der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes geltend gemacht wurden. Das vorliegende Ergebnis beruht auf einem Mehrheitsbeschluß. Zu §§ 42 und 44: Die zu den genannten Vorschriften vorliegenden Anträge wurden von den Antragstellern aus den schon in der Einleitung zu diesem Bericht angeführten Gründen zurückgezogen. Die Vertreter der Bundesregierung haben zugesagt, in den Fällen des § 42 weitgehend von den Möglichkeiten des Härteausgleichs Gebrauch zu machen. Die gesetzliche Verankerung soll einer späteren Novellierung vorbehalten bleiben. . Zu Nr. 13: Die Grundrenten der Waisen wurden um 20 v. H. erhöht. Zu Nr. 14: Die Ausgleichsrenten der Waisen erhielten eine Aufbesserung um je 10 Deutsche Mark. Die Einkommensgrenzen wurden bei Waisen, deren Vater oder Mutter noch lebt, von 41 auf 46 DM und bei Waisen, ,deren Vater und Mutter nicht mehr leben, von 65 auf 70 DM erhöht. Nach der Neufassung des § 33 Abs. 2 gelten als sonstiges Einkommen auch freiwillige Leistungen, die mit Rücksicht auf ein früheres Dienst- oder Arbeitsverhältnis oder eine frühere selbständige Berufstätigkeit oder als zusätzliche Versorgungsleistung einer berufsständischen Organisation gewährt werden. Für § 47 finden diese Bestimmungen insoweit Anwendung, als der 10 DM monatlich übersteigende Betrag als sonstiges Einkommen angerechnet wird. Zu Nr. 15: Zu § 51 beschloß der Ausschuß, die volle Elternrente bei einem Elternpaar von 84 DM auf 100 DM und bei einem Elternteil von 60 DM auf 70 DM zu erhöhen sowie eine entsprechende Anhebung der Einkommensgrenzen vorzunehmen. Die Einfügung des neuen Absatzes 4 beabsichtigt, auch den Eltern bei der Berechnung des sonstigen Einkommens monatlich einen Freibetrag zu gewähren. Zu Nr. 16: Es handelt sich hierbei um eine notwendige Klarstellung, da es möglich ist, daß neben einem Anspruch auf Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz ein Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach dem Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe von Kriegsgefangenen besteht, die nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes bemessen wird. Zu Nr. 17: Auch diese Vorschrift dient zur Klarstellung der bisherigen Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes zu § 57 Abs. 1. Zu Nr. 18: Übereinstimmend wurde eine Verlängerung der Anmeldefrist für den Anspruch auf Elternversorgung, die mit dem 31. Dezember 1954 abläuft, um weitere zwei Jahre für notwendig erachtet. Zu Nr. 19: Diese Ergänzung hält der Bundesarbeitsminister für notwendig, denn solange der ehemalige Wehrmachtsangehörige sich in Kriegsgefangenschaft oder in ausländischem Gewahrsam befindet, haben die Angehörigen Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach dem Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen. Zur Vermeidung einer Doppelversorgung kann dem beschädigten Wehrmachtsangehörigen daher Versorgung frühestens vom Monat der Entlassung ab gewährt werden. Da eine ausdrückliche gesetzliche Regelung bisher nicht bestand, erscheint die vorgeschlagene Ergänzung auch im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung der noch nicht zurückgekehrten Kriegsgefangenen und Festgehaltenen geboten, zumal die noch in der Sowjetunion befindlichen Kriegsgefangenen Versorgungsansprüche gar nicht geltend machen können. Zu Nr. 20: Die Vorschrift ist notwendig, um eine Doppelversorgung auszuschließen. Ansprüche auf Heilbehandlung und Krankenbehandlung nach § 10 (Pohle [Eckernförde]) Abs. 5 und § 28 BVG werden durch die Vorschrift nicht berührt. Zu Nr. 21: Die Ergänzung des § 71 a dient der Klarstellung. Zu Nr. 22: Der § 78 a hat sich in der bisherigen Fassung als zu eng erwiesen. Künftig soll Kapitalabfindung auch Witwen mit Anspruch auf Witwenbeihilfe in Höhe der Rente und Ehefrauen Verschollener gewährt werden können. Für die Ehefrauen Verschollener ist zur Vermeidung von Härten mit Zustimmung des Bundesministers der Finanzen bereits die Gewährung von Darlehen zugelassen worden, die nach erfolgter gesetzlicher Regelung in Kapitalabfindungen umzuwandeln sind. Zu Nr. 23: Zur Klarstellung des § 81 Abs. 2 wird das Wort „Versorgungsbezüge" in das Wort „Leistungen" umgewandelt. Den gleichen Grund hat die Einfügung des Satzes: „Dies gilt nicht bei Ansprüchen, die aus Schwangerschaft und Niederkunft erwachsen sind." Zu Nr. 24: Die vorgesehene Möglichkeit zur Übertragung der Gewährung von Härteausgleichen auf nachgeordnete Dienststellen in den näher bezeichneten Fällen entspricht nach Meinung des Bundesministers für Arbeit einem dienstlichen Bedürfnis. Der Ausschuß hat dieser Anregung zugestimmt. Zu Artikel II Die Einfügung dieses Artikels wurde vom Bundesminister für Arbeit mit folgender Begründung vorgeschlagen: In Artikel V Abs. 2 unter Buchstabe a war vorgesehen, daß die Änderung des § 20 BVG mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 in Kraft treten soll. Die Durchführung hätte einen Verwaltungsaufwand verursacht, der in keinem Verhältnis zu dem erzielbaren finanziellen Ergebnis stehen würde. Die Vorschrift soll daher erst mit dem Tage nach der Verkündung des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes in Kraft treten. Der Ausschuß hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Zu Artikel III Nach § 4 des Grundbetragserhöhungsgesetzes vom 17. April 1953 waren die Grundbetragserhöhungen bei der Ermittlung des für die Höhe der Ausgleichs- und Elternrenten maßgebenden sonstigen Einkommens unberücksichtigt zu lassen. Diese Vorschrift soll im Hinblick auf die in § 33 Abs. 2 und § 41 Abs. 5 vorgesehenen weiteren Freibeträge sowie auf die Erhöhung der für die Waisen- und Elternversorgung maßgebenden Einkommensgrenzen aufgehoben werden. Nach Meinung des Bundesministers für Arbeit wird mit .dieser Vorschrift erreicht, daß für alle Versorgungsberechtigten wieder einheitliche Grundsätze für die Feststellung des sonstigen Einkommens gelten. In diesem Punkt standen sich im Ausschuß gegenteilige Auffassungen gegenüber. Die Entscheidung in dem vorgeschlagenen Sinne beruht auf einem Mehrheitsbeschluß. Zu Artikel IV Mit dieser Vorschrift werden die vom Bundestag im Kindergeldanpassungsgesetz beschlossenen Ergänzungen des Bundesversorgungsgesetzes wieder aufgehoben, da eine entsprechende Regelung in Artikel I Nr. 6 Buchst. b und Nr. 8 dieses Gesetzes aufgenommen wurde. Zu Artikel V Der Artikel enthält die für den Übergang notwendigen Vorschriften. Zu Artikel VI Mit dieser Vorschrift wird der Bundesminister für Arbeit ermächtigt, den Wortlaut des Bundesversorgungsgesetzes in der aus diesem Gesetz sich ergebenden Neufassung bekanntzumachen. Zu Artikel VII In diesem Artikel ist die Anwendung des Gesetzes auf das Land Berlin bestimmt. Zu Artikel VIII Einstimmig beschloß der Ausschuß, die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung ab 1. Januar 1955 wirksam werden zu lassen, die Ergänzung des § 65 durch einen Absatz 3 jedoch erst am 1. April 1955. III. Schlußbemerkungen Die durch diesen Gesetzentwurf bewirkten Verbesserungen verursachen im Bundeshaushalt voraussichtlich die nachstehend aufgeführten Mehraufwendungen: 1. Erhöhung der GRUNDRENTEN: Mehraufwand in Mio DM a) für Beschädigte 116,1 b) für Witwen 111,6 c) für Waisen 31,7 259,4 2. Erhöhung der AUSGLEICHSRENTEN und EINKOMMENSGRENZEN: a) für Beschädigte Mehraufwand in Mio DM Ausgleichsrenten 8,2 Einkommensgrenzen 17,3 25,5 b) für Witwen Ausgleichsrenten 46,2 Einkommensgrenzen 22,6 68,8 c) für Waisen Ausgleichsrenten 20,6 Einkommensgrenzen 43,8 64,4 3. Erhöhung des Höchstsatzes der PFLEGEZULAGE auf 200 DM: 0,5 0,5 4. Erhöhung der a) ELTERNRENTEN bei einem Elternpaar 3,0 bei einem Elternteil 7,0 10,0 b) EINKOMMENSGRENZEN bei einem Elternpaar 17,5 bei einem Elternteil 2,0 19,5 5. FREIBETRÄGE für Empfänger von SOZIALRENTEN usw. für Beschädigte 22,0 für Witwen 47,3 69,3 517,4 abzüglich Minderausgaben 108,3 bleibt ein jährlicher Mehrbedarf von 409,1 (Pohle [Eckernförde]) Der Kriegsopferausschuß hat seine Arbeiten so beschleunigt, daß der Bundestag Gelegenheit hat, den Gesetzentwurf noch am 15. Dezember 1954 zu verabschieden, und der Bundesrat in seiner letzten Sitzung des Jahres am 17. Dezember 1954 dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben kann. In einem Schreiben des Herrn Präsidenten des Bundesrates vom 10. Dezember 1954 an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages wird jedoch mitgeteilt, daß der Bundesrat nur dann die Möglichkeit hätte, den Gesetzentwurf am 17. Dezember dieses Jahres zu beraten, wenn der Bundestag bereits zu einem früheren Termin eine Verabschiedung der Novelle hätte vornehmen können. Nach dem Schreiben des Herrn Präsidenten des Bundesrates ist es aber aus technischen und aus Gründen der Notwendigkeit von vorhergehenden Beratungen in den Länderkabinetten unmöglich, selbst wenn der Bundestag das Gesetz am 15. Dezember verabschieden würde, zwei Tage später bereits die Zustimmung des Bundesrates zu erreichen. Es ist der Wunsch des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen, daß der Bundesrat trotz der für ihn entstehenden Schwierigkeiten eine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf noch vor Weihnachten erwägen möge, damit eine Verkündung des Gesetzes im Monat Januar 1955 gesichert ist. Unabhängig davon, wie die gegebenen Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, werden seitens des Bundesarbeitsministeriums alle Maßnahmen vorbereitet werden, die eine raschere Durchführung des Gesetzes nach seiner Verkündung sicherstellen. Einer Anregung des Ausschusses folgend, werden nach Abstimmung mit den zuständigen Stellen Anweisungen des Bundesministers für Arbeit ergehen, um die Erhöhung der Grundrenten baldmöglichst zur Auszahlung gelangen zu lassen. Bonn, den 10. Dezember 1954 Pohle (Eckernförde) Berichterstatter
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    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich habe die Tatsache, daß es eine Aufrüstung in der Sowjetzone gibt, überhaupt nicht bestritten. Ich habe nur festgestellt, daß bis heute dieser Teil Deutschlands nicht definitiv in das sowjetische Militärsystem eingegliedert ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube, das ist ein sehr wesentlicher Unterschied jedenfalls im Zusammenhang mit einer so ernsten außenpolitischen Debatte, wie der Deutsche Bundestag sie zu führen hat.
    Es ist das gute Recht des deutschen Volkes, wenn es den Westmächten durch die Bundesregierung sein dringendes Verlangen nach einer erneuten Anstrengung in bezug auf die Wiederherstellung seiner nationalen und staatlichen Einheit unterbreitet. Aber es ist wahrlich nicht nur ein nationales Anliegen. Entspannung, Sicherheit und Frieden in Europa und in der Welt sind auf die Dauer nicht zu erreichen, solange Deutschland gespalten ist und der Eiserne Vorhang mitten durch Europa geht.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)

    Der Versuch, das normale Nebeneinanderleben von Völkern verschiedener Systeme und Ordnungen zu ermöglichen, mit der offenen Wunde der Spaltung eines großen Volkes im Herzen Europas kann nur mit einem Mißerfolg enden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Den größten und fruchtbarsten Beitrag, den wir in der heutigen Lage für den Frieden und für die Sicherheit der Völker leisten können, ist unser Appell an alle, die das Schicksal der nationalen Einheit unseres Volkes in ihren Händen halten, eine friedliche Lösung dieses schwersten Problems der europäischen Politik mit allem Ernst zu versuchen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Das ist richtig!)

    Der Herr Bundeskanzler hat in bezug auf die Lage der Bundesrepublik, im Hinblick auf ihre Sicherheit einige Bemerkungen in seiner Rede gemacht, indem er einen Vergleich unserer Gegenwart mit der Lage in der Weimarer Zeit gezogen hat. Erstaunlicherweise hat der Herr Bundeskanzler heute morgen geglaubt, daß wir heute im Vergleich zu Weimar mit Genugtuung auf die Lage in der Bundesrepublik sehen können. Er hat gemeint, daß jetzt die Nachkriegsperiode durch die Pariser Verträge formal abgeschlossen werde, wobei er zur Begründung ausgeführt hat, daß diese Verträge angeblich Deutschland in ein weltweites Verteidigungssystem führten, in dem Deutschland den höchsten Grad an Sicherheit finde.
    Nun, man wird mancherlei über die innen- und außenpolitische Unruhe sagen können, unter der die Weimarer Republik litt; aber zweierlei darf man hierbei doch nicht verschweigen: Zur Weimarer Zeit drohte kein Weltkrieg.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Erst die Haltung jener Kräfte, die heute schon wieder bei uns die Oberhand gewinnen wollen, beschwor die weltpolitischen Gefahren dadurch herauf, daß Hitler zur Macht kam und mit seiner Aufrüstung begann.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die andere Tatsache, die nicht verschwiegen werden darf, ist die, daß es nach 1918 dank der ge-


    (Ollenhauer)

    schichtlichen Leistung z. B. eines Mannes wie Friedrich Ebert gelungen war, die Einheit Deutschlands zu erhalten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf rechts: Wer hat sie denn bedroht? — Abg. Arnholz: Gewisse Rheinländer in der Rheinischen Republik!)

    Unsere Lage ist leider heute im Vergleich zu Weimar viel weniger gesichert und sowohl wegen der Abtrennung der Saar als auch wegen der Spaltung Deutschlands unendlich viel mehr ungesichert und unbefriedigend als je zuvor in der deutschen Geschichte;

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    denn es gibt keine Sicherheit allein für die Bundesrepublik.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Frage der Wiedervereinigung ist die Frage der Sicherheit nicht nur für uns, sondern für die ganze westliche Welt. Wir bedauern auf das tiefste, daß durch solche Erklärungen, wie sie der Herr Bundeskanzlerabgegeben hat, Sicherheitsvorstellungen in unserer Bevölkerung erweckt werden können, die keine reale Grundlage haben.
    Wir bedauern es insbesondere, daß — wie ich schon gesagt habe — die Bundesregierung es versäumt hat, den Mächten der freien Welt des Westens immer wieder klarzumachen, daß eben die Wiedervereinigung Deutschlands keineswegs nur ein deutsches Anliegen ist.
    Wenn nun die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diese Schlußfolgerungen aus der gegenwärtigen internationalen Situation zieht, so ist daraus bereits zu ersehen, daß sie das Pariser Vertragswerk, das ja als ein Ganzes betrachtet werden muß, als nicht vereinbar mit einer deutschen Politik ansieht, !die die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit als ihre vordringlichste Aufgabe betrachtet. Es wird nach unserer Überzeugung die Sicherheit der Bundesrepublik nicht erhöht, aber es wird die Wiedervereinigung Deutschlands aufs äußerste gefährdet. Ein Vertragswerk, das weder der Sicherheit noch der Einheit des deutschen Volkes dient, ist unannehmbar.

    (Beifall bei der SPD.)

    In dieser Überzeugung sind wir leider durch die heutigen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers noch bestärkt worden. Der Herr Bundeskanzler hat am Anfang seiner Rede als eines der ersten Ziele der Bundesregierung bezeichnet, Freiheit und Selbstbestimmung für die Bundesrepublik zu gewinnen. Mit dieser Zielsetzung können wir uns durchaus einverstanden erklären, und zwar um so mehr, als der Herr Bundeskanzler selbst diese Freiheit und Selbstbestimmung für die Bundesrepublik als ein Mittel bezeichnet hat, durch das die Bundesrepublik auch die Freiheit ,des Handelns zugunsten ganz Deutschlands erlangen soll. Nun aber hat der Herr Bundeskanzler im weiteren Verlauf seiner Rede diese Grundlage für eine Politik der Wiedervereinigung leider verlassen;

    (Abg. Dr. Arndt: Sehr richtig!)

    denn in seinen Erläuterungen zu dem Pariser Vertragswerk hat er plötzlich den Standpunkt aufgegeben, daß die Bundesrepublik noch keineswegs das ganze Deutschland ist, sondern lediglich ein Provisorium mit der Aufgabe, die Einheit des gesamtdeutschen Staates zu wahren. Zwar hat der
    Herr Bundeskanzler in sehr bemerkenswerter Weise die Souveränität lediglich als eine erweiterte politische Selbständigkeit, Verantwortlichkeit und Handlungsfähigkeit bezeichnet sowie ausdrücklich festgestellt, daß es sich bei dieser so eingeschränkten Souveränität nur um Souveränität für einen Teil Deutschlands handelt. Aber dann hat er im Widerspruch dazu davon gesprochen, daß Deutschland in die NATO aufgenommen werde,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und am Schluß seiner Rede behauptet, die Verträge führten Deutschland in ein mächtiges, weltweites Verteidigungssystem, in dem Deutschland den höchsten Grad an Sicherheit finde, der bei der gegenwärtigen Weltlage zu erreichen sei.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Diese Vertauschung der Begriffe: Bundesrepublik und Deutschland,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    diese plötzliche Gleichsetzung des ganzen Deutschland nur mit der Bundesrepublik, verdunkelt aber das Problem, weil es eben nicht Deutschland ist, das als Ganzes durch diese Verträge Freiheit und Sicherheit erlangt.
    Wenn es nach den anfangs geäußerten Worten des Herrn Bundeskanzlers der Sinn einer Souveränität als einer erweiterten politischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik als nur eines Teiles von Deutschland sein soll, gerade mit größerer Wirksamkeit und Überzeugungskraft die Wiedervereinigung Deutschlands zu betreiben, so steht hiermit in Widerspruch, daß die Verträge nach wie vor diese eigene Initiative von deutscher Seite auf die Wiedervereinigung ausschließen. Es ist bemerkenswert, daß der Herr Bundeskanzler es vermieden hat, hier sich mit dem Art. 7 Abs. 2 des Generalvertrags auseinanderzusetzen. Diese Vorschrift ist unverändert so geblieben, wie sie bereits 1952 vereinbart wurde. Ich frage: Ist dem Herrn Bundeskanzler nicht bekannt, daß dieser Art. 7 Abs. 2 des Generalvertrags nach der amtlichen Begründung, mit der seinerzeit die französische Regierung, als noch Herr Bidault Außenminister war, diese Vertragsbestimmung ihrer Nationalversammlung vorlegte, bedeutet, daß sich dadurch die Regierung der Bundesrepublik verpflichtet, keiner Formel der Einheit Deutschlands zuzustimmen, welche die europäische Integration wieder in Frage stellen könnte?

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    In diesem Zusammenhang hat der Herr Bundeskanzler namens der Bundesregierung eine Behauptung zurückgewiesen, die von keiner Seite je aufgestellt wurde, jedenfalls nicht von unserer Seite. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, die Bundesregierung weise nachdrücklich 'die Behauptung zurück, daß die Spaltung Deutschlands durch die Wiederherstellung der Souveränität für einen Teil Deutschlands vertieft oder verhärtet werde. Niemals ist jedenfalls von uns derartiges gesagt worden. Was die Spaltung Deutschlands zu vertiefen und zu verhärten droht, ist doch etwas ganz anderes, nämlich die Einbeziehung eines Teils von Deutschland in eine Militärallianz, nämlich in die NATO.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dieser ernsten Sorge und Befürchtung kann man unmöglich in der Weise entgegentreten, wie es der Herr Bundeskanzler zu tun versucht hat, indem


    (Ollenhauer)

    man nämlich plötzlich von der Bundesrepublik als von Deutschland spricht und so tut, als trete Deutschland selbst in die NATO ein und als sei es Deutschland selbst, das durch die Verträge in dieses Verteidigungssystem geführt werde und dort den höchsten Grad an Sicherheit finde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verträge schließen nicht nur jede eigene deutsche Wiedervereinigungspolitik aus, sondern sie lassen auch jede konkrete Verpflichtung der Vertragspartner vermissen, auf welche Weise und durch welche Politik denn nun die Wiedervereinigung gefördert und erreicht werden soll.

    (Zuruf: Londoner Schlußakte!)

    — Einen Augenblick, ich komme darauf. Die Behauptung des Herrn Bundeskanzlers, erst das Vertragswerkmache die Bundesrepublik fähig, die Spaltung Deutschlands zu beseitigen und die sich mit der Wiedervereinigung stellenden Aufgaben zu bewältigen, entbehrt leider jedweder Grundlage. Hier aber war und ist die Bundesregierung dem Bundestage und dem deutschen Volk Aufschluß darüber schuldig, wieso und in welcher Art denn die Einbeziehung nur des westlichen Teils von Deutschland in eine westliche Militärallianz zur Wiedervereinigung beitragen könnte. An diesem für unsere Politik entscheidenden Punkte kann es uns keineswegs genügen, daß der Herr Bundeskanzler versichert hat, die großen Mächte setzten sich entsprechend ihren Verpflichtungen bei kommenden Verhandlungen für unsere Wiedervereinigung solidarisch ein. Welche Verpflichtungen haben denn in dieser Beziehung die Westmächte über eine bloße Proklamation hinaus übernommen? Meine Damen und Herren, das Wort Proklamation stammt nicht von mir; es stammt vom Herrn Bundeskanzler.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Er hat selbst wörtlich gesagt, daß die Mitgliedstaaten der NATO sich die Erklärung der drei Westmächte zu eigen gemacht hätten, die die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands als ein grundlegendes Ziel ihrer Politik proklamierten. Es handelt sich also um eine bloße Proklamation, ohne daß im geringsten eine konkrete Verpflichtung der Vertragspartner ersichtlich ist, was sie denn nun praktisch zu tun haben und auf welcher politischen Grundlage mit der Sowjetunion verhandelt werden soll.
    Die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers, erst durch die Verträge als Ganzes besäßen wir genügend Gewicht und Energie, um mit den Sowjets erfolgreich zu verhandeln, ist doch eine bloße Vertröstung, weil sie schlechterdings nichts darüber besagt, wann denn mit der Sowjetunion zu verhandeln ist und in welcher Weise, durch welche Vorschläge, mit welchem Angebot, auf welcher konkreten politischen Grundlage man glaubt, die Zustimmung der Sowjetunion zu freien Wahlen in ganz Deutschland und zur Wiedervereinigung in Freiheit erwirken zu können. Zwar hat der Herr Bundeskanzler betont: „Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß alles unternommen werden muß, um die sowjetische Verhandlungsbereitschaft auf ihren echten Gehalt hin zu prüfen." Aber er hat uns leider nichts darüber gesagt, was denn dieses „alles" sein soll,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    wodurch eine Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion auf die Probe gestellt wird. Man kann es
    doch nicht als „alles" bezeichnen, wenn ausdrücklich vor der Ratifikation der Verträge, ja, möglicherweise vor ihrer Jahre in Anspruch nehmenden Verwirklichung sogar die notwendigen Verhandlungen abgelehnt werden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    An der für uns wichtigsten Stelle, nämlich dort, wo es sich um den Weg und die Mittel zur Einheit Deutschlands in Freiheit handelt, findet sich zu unserem schmerzlichsten Bedauern in den Vertragswerken nichts als eine große Lücke.

    (Beifall bei der SPD.)

    Weder gewinnen wir soviel Souveränität, um eine eigene deutsche Politik der Wiedervereinigung treiben zu dürfen, noch ist im geringsten eine konkrete Verpflichtung unserer Vertragspartner ersichtlich, welche Maßnahmen sie ihrerseits zu treffen oder welche Vorschläge sie von sich aus zu machen haben, um auch nur mit einiger Aussicht auf Erfolg die Einheit Deutschlands auf dem Verhandlungswege wiederherzustellen.
    Meine Damen und Herren, darüber hinaus haben wir auch schwerwiegende Einwände gegen das Vertragswerk an sich. Es ist nicht die Aufgabe einer ersten Lesung, die Verträge und Vereinbarungen im einzelnen kritisch zu beleuchten. Aber zu einigen wesentlichen Punkten des Ganzen möchte ich den Standpunkt meiner Fraktion darlegen. In der außenpolitischen Debatte am 7. Oktober, nach der Londoner Konferenz, habe ich an den Herrn Bundeskanzler die Frage gerichtet, welche Leistungen die Bundesrepublik noch zu vollziehen haben wird, ehe die deutsche Aufrüstung in der neuen Form vertraglich festgelegt werden wird. Der Herr Bundeskanzler hat sich damals mit keinem Wort zu der Saarfrage geäußert, obwohl der Standpunkt der französischen Regierung zu dieser Zeit schon bekannt war, daß für sie eine Regelung der Saarfrage die Voraussetzung für ihre Zustimmung zu neuen Verträgen über die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik sein werde. Der Herr Bundeskanzler hat damals auf meine direkte Frage geschwiegen. Dafür hat er uns heute das sogenannte Saarstatut vorgelegt.

    (Abg. Dr. Menzel: Das ist auch danach!)

    Meine Damen und Herren, dieses Saarstatut ist das merkwürdigste Vertragsdokument, das je in einem demokratischen Staat den parlamentarischen Körperschaften vorgelegt wurde.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es hat überhaupt keine sachliche Beziehung zu den Angelegenheiten, die durch die Pariser Verträge geregelt werden sollen. Es ist weder für die vertragliche Regelung des militärischen Beitrags der Bundesrepublik noch für die Festlegung des zukünftigen Status der Bundesrepublik in ihren Beziehungen zu den Westmächten notwendig. Es ist einfach der Preis, den die Bundesrepublik für die französische Zustimmung zu der deutschen Mitgiedschaft in der NATO zu zahlen hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir machen dem Herrn Bundeskanzler keinen Vorwurf daraus, daß er mit der französischen Regierung Verhandlungen über die Regelung der Saarfrage geführt hat. Wir haben seit langem eine Beseitigung dieser schweren Belastung in den Beziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Volk gefordert, und wir haben es hier


    (Ollenhauer)

    oft genug bedauert, daß man immer wieder einer Lösung dieser Frage durch Ausklammerung ausgewichen ist. Die jetzt unterschriebene Regelung zeigt, daß die Sache durch das Hinausschieben nicht besser, sondern schlechter geworden ist.

    (Abg. Dr. Arndt: Sehr wahr!)

    Wir haben auch immer anerkannt, daß es in dieser Frage zu einer Kompromißlösung kommen muß. Deshalb haben wir dafür plädiert, zum erstenmal durch Dr. Kurt Schumacher von dieser Stelle aus im Februar 1950, durch eine großzügige Regelung auf dem Wege von Wirtschaftsabkommen zwischen Bonn. und Paris den besonderen wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar Rechnung zu tragen. Das ist auch heute noch unser Standpunkt. Ebenso halten wir an der Auffassung fest, daß eine aufrichtige freundschaftliche Beziehung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk eine der elementarsten Voraussetzungen für eine europäische Zusammenarbeit darstellt. Wir unterstreichen das, was der Herr Bundeskanzler selbst heute darüber gesagt hat. Wir wissen auch, daß viele Beweise des guten Willens von unserer Seite notwendig sind, um das aus der Vergangenheit erklärliche und verständliche Mißtrauen zu überwinden.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen]: Also!)

    Aber, meine Damen und Herren, auf der anderen Seite ist doch unter Völkern, die die Prinzipien der Freiheit und der Gerechtigkeit zur Grundlage ihres Gemeinschaftslebens gemacht haben, eine Lösung von Spannungen und Interessengegensätzen nur möglich unter gegenseitiger Respektierung der Grundrechte der Völker und der Menschen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Im Falle des Saargebiets kann es keinen ernsthaften Streit darüber geben, daß es sich an der Saar um deutsches Gebiet und um deutsche Menschen handelt. Ebenso unbestritten sollte sein, daß diesen Menschen, die umgeben sind von demokratischen Völkern wie dem französischen und dem deutschen, die demokratischen Grundrechte und Freiheiten ohne Einschränkung und Vorbehalt gewährt werden müssen.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)

    Im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers möchte ich sagen, daß das Saarstatut keine dieser unerläßlichen Voraussetzungen für eine befriedigende Lösung erfüllt.

    (Abg. Dr. Arndt: Sehr richtig!)

    Zunächst geht es in seinem wirtschaftlichen Teil weit über die notwendige, auch von uns anerkannte Regelung der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar hinaus. In Wirklichkeit wird doch in dem Statut die schon im Vertrag über die Montan-Union festgelegte Einbeziehung des Saargebiets in das französische Wirtschaftsgebiet noch einmal vertraglich untermauert. Es bleibt bei dieser einseitigen Bindung. Wir kennen auch die Gründe. Sie sind auf französischer Seite nie verheimlicht worden. Frankreich glaubt, daß durch eine Einbeziehung der Wirtschaft des Saargebiets in die Wirtschaft der Bundesrepublik das Gleichgewicht des wirtschaftlichen Potentials Frankreichs und der Bundesrepublik in einer für Frankreich unerträglichen Weise zugunsten der Bundesrepublik verschoben würde. Das ist ein Argument, aber es ist eine machtpolitische Entscheidung und keine Verständigung.

    (Beifall bei der SPD.)

    Weiter: Von einer Anerkennung der Tatsache, daß es sich beim Saargebiet um einen Teil deutschen Staatsgebiets handelt, ist in dem Statut mit keinem Wort die Rede. Es bleibt damit hinter der Erklärung der Alliierten vom Jahre 1945 zurück, die das Gebiet in den Grenzen von 1937 als deutsches Staatsgebiet bezeichnet hat. Allein schon durch die Vermeidung dieser grundsätzlichen Anerkennung wird doch der angeblich provisorische Charakter des Statuts in Frage gestellt.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)

    Der jetzt im Statut vorgesehene Status bedeutet in der Praxis und durch das Gewicht der nach dem Statut zu schaffenden Institutionen und Regelungen die Herauslösung dieses Teiles Deutschlands aus dem Gebiet der französisch besetzten Zone Deutschlands.

    (Abg. Dr. von Brentano: Jetzt erst? — Gegenruf von der SPD: Ja, jetzt erst!)

    — Ja, jetzt erst! Vertraglich, Herr von Brentano! Das ist ja wohl ein wesentlicher Unterschied.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Vom Standpunkt der notwendigen Politik der europäischen Zusammenarbeit und der europäischen Einheit kann man nur auf das tiefste bedauern, daß die an der Saar durch das Statut angestrebte Regelung mit dem Begriff „europäisch" belegt worden ist. Selten ist einer guten Sache ein so schlechter Dienst erwiesen worden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Menschen an der Saar werden unter diesem Zustand nicht glücklich sein. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich wird nicht befriedet werden, soweit es um die Saar geht. Aber der Begriff der Europäisierung, den wir alle hüten sollten, weil er die große Idee unserer Zukunft sein kann, — dieser Begriff wird diskreditiert.
    Die demokratischen Grundrechte der Bevölkerung an der Saar — Herr Bundeskanzler, es tut mir leid, das sagen zu müssen — sind nach unserer Auffassung durch dieses Statut nicht garantiert.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wer daran noch Zweifel haben konnte, kann sich vielleicht durch die Kontroverse zwischen dem saarländischen Abgeordneten Heinz Braun und unseren Kollegen Erler und Trittelvitz in den Verhandlungen der Beratenden Versammlung des Europarats aufklären lassen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die demokratischen Grundrechte und Freiheiten wird es an der Saar nicht geben, wenn das Statut in dem jetzigen Wortlaut erhalten bleibt.
    Das Bedenklichste aber ist, daß schon jetzt, bevor das Statut von den beteiligten Parlamenten ratifiziert worden ist, zwischen den Unterzeichnern die stärksten Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt und die Auslegung des Statuts bestehen. Eine der Ursachen ist, daß wohl noch niemals ein Vertrag so überstürzt und leichtfertig formuliert und unterschrieben worden ist wie dieses Statut.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Die Beteiligten wissen am besten, daß dieses harte Urteil nicht übertrieben ist.
    Die beste Bestätigung dafür ist die heutige Ankündigung des Herrn Bundeskanzlers über Besprechungen mit dem französischen Ministerpräsidenten. Meine Damen und Herren, diese Mitteilung


    (Ollenhauer)

    bedeutet doch, daß wir hier aufgefordert werden, einen Vertrag zu beraten und zu ratifizieren, von dem einer der Unterzeichner, nämlich der Herr Bundeskanzler selbst, dem Parlament erklärt, über Sinn und Inhalt wichtiger Bestimmungen müsse noch verhandelt werden.

    (Hört!-Hört!-Rufe und Beifall bei der SPD. — Frau Dr. h. c. Weber [Aachen]: Das ist doch gut, daß noch verhandelt wird!)

    — Ich bin sehr für Verhandlungen; aber ehe man dem Parlament eine Entscheidung zumutet, muß man doch wissen, was aus diesen Verhandlungen herauskommt!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ich meine, diese Methode der parlamentarischen Behandlung so wichtiger internationaler Verträge ist tatsächlich einmalig.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, dieser Tatbestand ist um so bedauerlicher, weil eine Notwendigkeit, die Saarfrage in diesem Augenlick und in dieser Form zu lösen, aus der Sache selbst nicht gegeben war.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber wie ist die Lage? Vor die Wahl gestellt, die französische Unterschrift unter die Verträge über die Aufrüstung nur unter der Bedingung der Unterzeichnung dieses Saarstatuts erhalten zu können oder die Unterzeichnung des gesamten Vertragswerks hinauszuschieben, hat der Herr Bundeskanzler sich für die Annahme des Ultimatums der Unterzeichnung des Saarstatuts entschieden;

    (Hört! Hört! und Zustimmung bei der SPD.)

    und wir sind der Meinung: der hier gezahlte Preis ist nicht zu verantworten.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Er ist zu hoch sowohl im Hinblick auf das Schicksal der Bevölkerung an der Saar als auch im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen, die dieser Schritt bei zukünftigen Friedensverhandlungen für die Verhandlungsposition einer gesamtdeutschen Regierung haben kann.
    Meine Damen und Herren, das Saarstatut ist ein Opfer, und wir meinen, es ist unter jedem Gesichtspunkt ein unzumutbares Opfer.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Denn was wird seine Folge sein? Eine befriedigende Regelung an der Saar? Eine Befriedung des Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland? Ein Musterbeispiel für einen europäischen Status? Keines von dreien! Übrigbleiben werden immer neue Kontroversen, Differenzen und Bitternisse zwischen Frankreich und Deutschland, weil unter den Worten und Begriffen, die man unterschrieben hat, jeder der Beteiligten etwas anderes versteht.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Für welchen Zweck wurde das Opfer dieses Saarstatuts gebracht? Für die Unterschrift unter die Verträge, die heute außer dem Saarstatut hier zur Beratung stehen. Über die Konsequenzen der Ratifizierung dieser Verträge im Hinblick auf die Aussichten auf eine deutsche Wiedervereinigung habe ich schon gesprochen. Unabhängig davon möchte ich meine Bernerkungen verstanden wissen, die ich hier zu den Verträgen selbst zu machen habe.
    Was den neuen Generalvertrag angeht, so begrüßen wir Sozialdemokraten wie Sie alle jede vertragliche Regelung, die das Besatzungsstatut ablöst und uns die Möglichkeiten der freien Entscheidung über unser Schicksal zurückgibt. Eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Westmächten ist einem uns auferlegten Besatzungsstatut vorzuziehen. Aber die Form der vertraglichen Regelung erhöht auch unsere Verantwortung. Sie verpflichtet uns als Partner. Aber sie gibt uns auch das Recht einer eingehenden Prüfung des Inhalts und der Konsequenzen. Wir behalten uns das Recht ausdrücklich für die Ausschußberatungen und für die zweite Lesung vor. Ich möchte aber heute in diesem Zusammenhang noch einmal davor warnen, das neue Vertragswerk als die Basis unserer wiedergewonnenen Souveränität zu feiern. Die Vorbehaltsrechte der Westmächte bleiben auch bei liberalster Auslegung so weitgehend, daß von einer Souveränität im üblichen Sinne des Wortes nicht gesprochen werden kann. Es entspricht mehr dem tatsächlichen Sachverhalt, wenn wir den durch den neuen Generalvertrag zu schaffenden Zustand als das Recht zur Ordnung unserer eigenen inneren Angelegenheiten bezeichnen. Allerdings, auch hier müssen wir, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, erhebliche Rudimente einer alliierten Gesetzgebung der ersten Nachkriegszeit übernehmen. Sie sind vor allem deshalb schwer zu ertragen, weil sie mehr in die Periode der Morgenthau-Politik als in die Periode der Partnerschaft in einer freien Welt gehören.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Inzwischen hat sich weiter herausgestellt, daß sich die optimistische Auffassung des Herrn Bundeskanzlers über die Konsequenzen des Fortfalls der sogenannten Notstandsklausel nicht bestätigt hat. Als ich ihn in der Debatte am 7. Oktober fragte, ob diese Aufhebung der Notstandsklausel nicht die Konsequenz eines neuen Artikels 48 habe, antwortete der Herr Bundeskanzler mit einem geradezu fröhlichen: „Nein!" Heute stellt sich heraus, daß das offensichtlich ein Irrtum war; denn heute finden wir in seiner Rede die Ankündigung einer entsprechenden Gesetzgebung.

    (Abg. Dr. von Brentano: Aber kein Art. 48!)

    — Wir nehmen Kenntnis, Herr Kollege von Brentano, von der Mitteilung des Herrn Bundeskanzlers, daß die Bundesregierung nicht die Einführung einer fast unbeschränkten Gewalt nach dem Muster des Art. 48 der Weimarer Verfassung beabsichtigt; aber wir bleiben skeptisch. Auf das Nein von Gestern ist das Ja von Heute gefolgt, und wir sind sehr gespannt, wie das Ja praktisch aussieht.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir haben da auch unsere eigenen Besorgnisse. Es gibt in der Bundesrepublik schon wieder Leute, die sich auf einen Ausnahmezustand vorbereiten.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr wahr!)

    Ich denke dabei z. B. an die sogenannten Manöver des Grenzschutzes.

    (Lachen und Oho-Rufe in der Mitte. — Zuruf rechts: Machen Sie doch aus der Mücke keinen Elefanten!)



    (Ollenhauer)

    — Vielleicht hören Sie zwei Minuten zu; ich will ja diese Bemerkung auch begründen. — Die Öffentlichkeit ist bei dieser Gelegenheit in verschiedener Beziehung überrascht worden. Bis jetzt glaubte sie, es handle sich um eine Polizeitruppe. Jetzt hören wir von Divisionen, von der Notwendigkeit einer Verstärkung auf 60 000 Mann, von schwerer Ausrüstung und ähnlichen Dingen. Aber noch aufschlußreicher ist das angenommene Manöverziel. Die Aufgabe des Grenzschutzes war es, zu verhindern, daß im Industriegebiet Nürnberg — Fürth ein Aufruhr aus der sowjetisch besetzten Zone Unterstützung erhält.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Diese Unterstützung sollte verhindert und der Aufruhr unterdrückt werden.

    (Erneute Rufe bei der SPD: Hört! Hört! — Zurufe rechts.)

    Meine Damen und Herren, wir werden der Bundesregierung noch die Gelegenheit geben, sich zu dieser Angelegenheit in aller Ausführlichkeit und Öffentlichkeit zu äußern, damit das Volk weiß, was hier für ein Spiel getrieben wird und von wem es gespielt wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich hoffe, daß in der Zwischenzeit der Herr Bundeskanzler schon auf Grund seiner Abneigung gegenüber allen militaristischen Spielereien hier einmal nach dem Rechten sieht und diesen Unfug schnellstens abstellt.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Wenn nämlich solche Vorstellungen Schule machen, dann kann die Sache unter einem neuen deutschen Ausnahmerecht ja sehr munter werden.

    (Wiederholter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem neuen Status der Bundesrepublik interessiert uns nun auch noch eine andere Frage. Es ist z. B. im Saarstatut davon die Rede, daß die in dem Statut vorgesehene Regelung bis zum Abschluß eines Friedensvertrages —eines Friedensvertrages! — in Geltung bleiben soll. Früher sprach man immer von dem Friedensvertrag, der zwischen einem wiedervereinigten Deutschland und den früheren Kriegsgegnern Deutschlands abgeschlossen werden muß. Nun ist in amtlichen Erläuterungen ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß diese jetzige Änderung bewußt erfolgt sei, weil man ja nicht wisse, wann und ob ein Friedensvertrag für ganz Deutschland zustande komme, so daß man auch die Möglichkeit eines Friedensschlusses zwischen der Bundesrepublik und den drei Westmächten ins Auge fassen müsse.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, eine solche Auffassung steht in striktem Widerspruch zu der bisher von allen Beteiligten vertretenen Auffassung, daß die Bundesrepublik eine provisorische Lösung darstelle und daß der Friedensvertrag nur mit einer gesamtdeutschen Regierung verhandelt werden könne. Wir wenden uns ausdrücklich und in aller Form gegen eine Politik, die den Abschluß eines Friedensvertrages zwischen einem Teil Deutschlands und ,den Westmächten zum Ziel hat. Angesichts der wachsenden Tendenz, europäische und internationale Regelungen auf der Basis des Status quo, der Teilung Deutschlands, zu suchen, gewinnt
    diese Frage eine erhöhte aktuelle Bedeutung, und wir erwarten hier von der Bundesregierung eine eindeutige Erklärung, daß eine solche Auslegung der Änderung des Textes nicht ihren Auffassungen entspricht.
    Meine Damen und Herren, ich möchte einige Bemerkungen zu den beiden anderen Verträgen machen. Was den sogenannten Truppenvertrag angeht, so möchte ich nur sagen, daß die Anwesenheit ausländischer Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik angesichts der gegenwärtigen internationalen Situation von uns bejaht wird. Die Gemeinsamkeit unserer Interessen mit denen der Westmächte schließt die Stationierung alliierter Truppen auf deutschem Boden ein. Daß diese Auffassung von der großen Mehrheit unserer Bevölkerung geteilt wird, beweist das im ganzen gute Verhältnis zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Truppen. Soweit die notwendige vertragliche Regelung des Status dieser Truppen auf dem Boden der Bundesrepublik in Frage kommt, finden wir aber auch nach den neuen Vertragstexten keine Erklärung dafür, warum der Status der in der Bundesrepublik stationierten Truppen nicht in der gleichen Weise geregelt werden kann wie der Status der in Frankreich oder Großbritannien stationierten amerikanischen Truppen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die bis jetzt dafür gegebenen Erklärungen befriedigen uns in keiner Weise. Im Grunde ist wohl in diesem Vertrag am deutlichsten das Bestreben sichtbar, möglichst viel von den Vorrechten des Besatzungsregimes in einer solchen vertraglichen Regelung sicherzustellen. Hoffentlich wird hier in den von dem Herrn Bundeskanzler angekündigten neuen Verträgen eine grundlegende Änderung getroffen.
    Die Aufnahme der Bundesrepublik in den Brüsseler Pakt und in den Nordatlantikpakt ist auch eine innenpolitische Frage von größter Bedeutung; denn die Aufrüstung der Bundesrepublik bedeutet auch die Einbeziehung der Bundesrepublik in die wirtschaftliche Wiederaufrüstung. Wir bejahen gerade auf diesem Gebiet den Versuch einer internationalen Kontrolle; denn sie kann eine gewisse Garantie dafür sein, daß Militär und Rüstungsindustrielle nicht ihre eigene Politik betreiben. Wir gehen dabei allerdings davon aus, daß alle Beteiligten in der gleichen Weise und unter den gleichen Bedingungen dieser Kontrolle unterworfen werden.
    In unserem speziellen Fall wird freilich noch zu untersuchen sein, welche Auswirkungen Rüstungskontrolle und Rüstungspool für die deutsche Wirtschaft haben werden. Wir wünschen nicht, daß das Ruhrgebiet noch einmal eine Waffenschmiede wird. Aber wenn sich im Zuge der strategischen Planungen von NATO und der Konzentration der Schwerindustrie im Westen Europas ein neuer, verstärkter Sog nach dem Westen entwickelt, wenn sich eine Art Schumanplan der Aufrüstung entwickelt, dann entstehen Gefahren für die gesamte deutsche Wirtschaft, die leicht zu einer schweren sozialen Erschütterung des Gefüges unserer Bundesrepublik führen könnten. Wir werden diesen ganzen Fragenkomplex erst dann in seiner vollen Bedeutung übersehen können, wenn wir die Resultate der im Januar beginnenden Verhandlungen über einen Rüstungspool übersehen können. Aber die Frage erscheint uns so wichtig, daß wir sie heute schon angeschnitten haben möchten.


    (Ollenhauer)

    Ein anderes Kapitel, meine Damen und Herren, ist die finanzielle Auswirkung der deutschen Aufrüstung. Mein Freund Erwin Schoettle hat diese Frage bei der ersten Lesung des Haushalts in der vorigen Woche angeschnitten. Damals ist uns eine ausführliche Stellungnahme in dieser Debatte in Aussicht gestellt worden. Wir haben sie heute nicht erhalten.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Der Hinweis, man wolle die Lasten der Verteidigung begrenzen, um eine Gefährdung der sozialen Sicherheit zu vermeiden, ist in keiner Weise ausreichend.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind sehr daran interessiert, zu erfahren, welche Vorstellungen — konkret — die Regierung für die Lösung des finanziellen Problems hat. Wir brauchen uns wohl nicht darüber zu unterhalten, daß die im Etat für 1955 vorgesehenen 9 Milliarden DM unsere Verpflichtungen nicht decken werden. Nach alliierten Berechnungen, die gerade heute veröffentlicht worden sind, wird der deutsche Verteidigungsbeitrag den Bundeshaushalt in den ersten drei Jahren des Aufbaus der deutschen Streitkräfte jährlich 15,9 Milliarden DM kosten.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das ist schon erheblich mehr. Aber auch dabei sind die Kosten der Erstausstattung nicht einbegriffen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Gehen wir den Weg, den Sie, meine Damen und Herren (zu den Regierungsparteien), gehen wollen und den die Pariser Verträge vorsehen, dann stehen wir im zweiten Abschnitt der Aufstellung der Streitkräfte, also etwa in drei Jahren — dem Zeitraum, von dem man immer spricht —, vor Ausgaben von insgesamt rund 100 Milliarden DM.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Bei dem Gesamtaufwand von rund 27 Milliarden DM in einem Etatsjahr ist offensichtlich, daß diese Leistungen auf normalem Wege nicht aufzubringen sind. Meine Damen und Herren, ich glaube, es kommt darauf an, daß wir auch diese Seite in ihrem vollen Ernst sehen.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

    Die Kosten der Verteidigung sind eine schwere Last für jedes Land. Wenn wir überzeugt wären, daß es sich bei dieser Form der deutschen Wiederaufrüstung um eine sinnvolle Verteidigung handelt, dann würden wir auch konkret über die Möglichkeit der finanziellen Lösung dieses Problems hier zu verhandeln haben. In unserem Fall geht es aber noch um ein ganz anderes Problem. Bis heute hat das deutsche Volk überhaupt keine Klarheit über die Kosten des Experiments und über die Vorstellungen der Regierung darüber, wie sie diese Kosten aufzubringen gewillt ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Eine so schwere und weittragende Angelegenheit wie die Wiederaufrüstung in Deutschland in all ihren Aspekten ist nur zu lösen mit einem Maximum von Vertrauen und Offenheit gegenüber der Bevölkerung.

    (Beifall bei der SPD.)

    In dieser Beziehung ist nichts geschehen. Der Herr
    Bundeskanzler hat uns auch nicht andeutungsweise
    darüber aufgeklärt, wie er und seine Regierung
    die Lösung sich vorstellen. Allerdings, ich gebe zu, für Sie mit Ihrer Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik ist diese Antwort außerordentlich schwer; denn in einer Demokratie unserer Tage können Sie ohne die Gefahr einer Staatskrise solche Rüstungslasten nur durchsetzen, wenn Sie ein vernünftiges Verhältnis zwischen den Kosten der militärischen Verteidigung und den Kosten für eine Politik der sozialen Sicherheit finden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist bei diesem Ausmaß der Lasten nur zu erreichen mit einer Politik der Planung, die die Verteidigung nach außen und die soziale Sicherheit
    nach innen als ein Ganzes sieht. Nur so kann eine
    Demokratie im Kalten Krieg erfolgreich bestehen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Die Schwierigkeit des Problems liegt natürlich darin, daß die gegenwärtige Wirtschafts-, Finanz-und Steuerpolitik der Bundesregierung dieses Problem bis jetzt nicht einmal gesehen hat.

    (Widerspruch und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben nichts darüber an Aufklärung und konkreten Vorstellungen erfahren,

    (Abg. Euler: Alles zu seiner Zeit!)

    und wir sind auf dem besten Wege, unter anderen Umständen und mit anderen Fehlleistungen wieder in eine Politik der unabsehbaren Konsequenzen hineinzuschliddern.

    (Zurufe von der Mitte und rechts.)

    Die materiellen Auswirkungen des Beschlusses, die Bundesrepublik wieder aufzurüsten, werden das soziale Gefüge unseres Landes bis in seine Grundfesten erschüttern, wenn Sie die finanzielle Seite nicht mit der allergrößten Sorgfalt und mit dem allergrößten Ernst in Angriff zu nehmen bereit sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn wir die Verantwortung als Regierungspartei hätten und wenn wir von der Notwendigkeit eines Verteidigungsbeitrags im Sinne der Pariser Verträge überzeugt wären, dann würden wir Ihnen mit den Ratifizierungsverträgen eine Finanz- und Steuervorlage unterbreiten, damit jeder in der Bundesrepublik wüßte, was sein persönliches finanzielles Opfer für eine solche Politik darstellte.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es ist unmöglich, in einer Demokratie, die ihre Verteidigung nur auf der Basis des Vertrauens des Volkes aufbauen kann, ein Volk über die Konsequenzen solcher Entscheidungen im unklaren zu lassen und nicht offen die Tatbestände auf den Tisch zu legen.
    Die Regierung hat offensichtlich die Hoffnung, daß diese Last wesentlich erleichtert wird durch die Hilfe aus dem Ausland, vor allem bei der Erstausstattung, durch die Lieferung der Waffenarten, die wir nicht selbst herstellen dürfen. Wir werden in den Ausschüssen noch über dieses Problem reden. Aber wäre es nicht an der Zeit für Sie, meine Damen und Herren, die Sie diese Verträge wollen, daß Sie den jungen Menschen, die nach Ihrem Willen den Waffenrock wieder anziehen sollen, auch einmal sagen, mit welchen Waffen sie ausgerüstet werden?!

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte und rechts.)



    (Ollenhauer)

    Ich will mich hier auf keine militärtechnische Debatte einlassen. Aber ich sage Ihnen eins: als Staatsbürger habe ich ein Recht, zu fragen, ob mein Junge, wenn er schon nach Ihrem Willen Soldat werden sollte, nicht wenigstens die Chance hat, die leistungsfähigsten Verteidigungsmittel zu besitzen, die es gibt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es gibt in dieser Beziehung — das möchte ich zum Abschluß sagen — noch ein anderes Problem. Es handelt sich um die psychologische Seite dieser Angelegenheit.

    (Abg. Dr. Mende: Sehr richtig!)

    Ich hoffe, niemand in diesem Haus ist sich heute noch darüber im Zweifel, daß die große Mehrheit der jungen Menschen in unserem Volk einen neuen Militärdienst nicht will.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es handelt sich hier um eine elementare Bewegung von einer Breite und Tiefe, wie wir sie selten in unserem Volk erlebt haben.

    (Erneuter Beifall bei der SPD. — Unruhe in der Mitte und rechts.)

    Das Törichtste, meine Damen und Herren, was Sie, die Sie für die Verträge sind, tun könnten, wäre, wenn Sie sich damit beruhigen wollten, daß es sich hier um kommunistische Machenschaften oder um eine unpolitische „Ohne-mich-Stimmung" handelt.

    (Abg. Dr. von Brentano: Das tun wir nicht!)

    Die Kommunisten sind bisher mit ihrem Versuch, auf dieser Ebene die junge Generation für ihre Infiltrationspolitik zu gewinnen, gescheitert.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Dafür sind die Wahlresultate der letzten Wochen ein erfreuliches Zeichen, und ich nehme für die Sozialdemokratie in Anspruch, daß dieses Resultat auch ein Erfolg unserer Politik ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Bei aller Ablehnung der Außenpolitik der Bundesregierung haben wir nie einen Zweifel über unseren unüberbrückbaren Gegensatz zu den Kommunisten gelassen.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Euler.)

    Bei dieser Kampfstellung gegenüber den Kommunisten wird es bleiben, weil es keine Gemeinschaft zwischen dem totalitären Kommunismus und dem demokratischen und freiheitlichen Sozialismus geben kann.

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!)

    Diese Position werden wir behaupten trotz der Diffamierungsversuche, die wir auch in den letzten Wahlkämpfen wieder aus den Reihen der Koalitionsparteien erlebt haben.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.— Zuruf des Abg. Euler.)

    Das gemeinsame Interesse an der Erhaltung und Stärkung der Demokratie entdeckt man auf Ihrer Seite (zu den Regierungsparteien) immer erst, wenn man die eigene Niederlage bei den Wahlen in der Tasche hat.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei den Regierungsparteien. — Abg. Stücklen: Wie in Bayern!)

    Der Widerstand gegen die deutsche Aufrüstung bei den jungen Menschen beruht auf einer ganz anderen Ebene. Da ist zunächst ein Denken und Fühlen in diesen jungen Menschen, das ich als Demokrat aus ganzem Herzen begrüße.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie haben den Barras satt. Sie wollen nicht noch einmal die ganzen idiotischen Auswüchse eines geistlosen Militarismus erleben,

    (lebhafter Beifall bei der SPD)

    der die Achtung v or der Würde des Menschen zerstört.

    (Zuruf von der Mitte: Wer will denn das? — Gegenrufe von der SPD.)

    Diese Haltung der jungen Menschen ist mir viel lieber als die jener jungen Deutschen nach dem ersten Weltkrieg, die schon wenige Monate und Jahre nach dem Ende des Schreckens sich wieder wohlfühlten in Uniform und im militärischen Schliff. Wir fanden sie in den Freikorps wieder.

    (Zurufe rechts.)

    In der heutigen Haltung der großen Mehrheit der jungen Menschen liegt eine große Chance für den Fall, daß wir wieder als freie Nation auch militärische Verpflichtungen zu übernehmen haben. Diese jungen Menschen werden die Miltiärdienstzeit immer als ein Opfer und nicht als eine Krönung ihres Lebens empfinden.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Opfer für die Freiheit!)

    Sie werden auch in der Uniform Staatsbürger und Menschen bleiben wollen.

    (Beifall bei der SPD und bei den Regierungsparteien.)

    Wenn dieser Geist lebendig bleibt, dann wären wir in Deutschland endlich auf dem Wege zu einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen Armee und Volk.

    (Zuruf von der Mitte: Ja, dann machen Sie doch einmal einen Anfang!)

    Aber wer diese Quellen der Haltung unserer jungen Menschen nicht begreift, der soll nicht zu ihnen über deutsche Aufrüstung sprechen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Es gibt noch ein zweites Element in der Haltung dieser jungen Menschen. Es ist eine politische Überlegung. Es ist ein Argument, das Sie alle kennen, nämlich das Argument: Hat das Opfer, das man von uns verlangt, noch einen Sinn? Solange diese jungen Menschen nicht durch eine überzeugende Anstrengung der Mächtigen dieser Welt für eine friedliche Lösung des deutschen Problems sich selbst überzeugt fühlen, daß es keinen anderen Weg gibt als den, durch die Organisation der freien Welt unsere Freiheit und unser Leben zu verteidigen, so lange werden sie ihre Skepsis nicht überwinden können.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Und diese überzeugende Anstrengung ist bisher nicht gemacht worden, von beiden Seiten nicht.

    (Zuruf von der Mitte: Und von der SPD nicht!)

    Das Unverständnis der Sowjets für die Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Freiheit überrascht die jungen Menschen nicht.

    (Abg. Dr. Becker [Hersfeld]: Na also!)



    (Ollenhauer)

    Viele von ihnen haben nach den schrecklichsten Erfahrungen, die ein junger Mensch machen kann, nichts anderes erwartet. Aber, meine Damen und Herren, sie zweifeln auch an uns, an dem Westen.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: An Ihnen?)

    Das ist bitter. Sie sind nicht davon überzeugt, daß es unausweichlich und sinnvoll ist, das von ihnen verlangte Opfer zu bringen.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, das ist nicht nur die Sorge einer Jugend, die in ihrem Skeptizismus viel reifer ist, als viele Erwachsene es wahrhaben wollen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Millionen von Menschen, die unser politisches Leben mit Leidenschaft und Anteilnahme verfolgen
    — vor allem auch gläubige Christen beider Konfessionen, darunter bewährte und angesehene Männer in hohen kirchlichen Funktionen —, bangen doch auch um zwei Dinge: Können wir es vor unserem Gewissen verantworten, mit dieser Aufrüstung der Bundesrepublik vielleicht für lange Zeit den Trennungsstrich zwischen uns und den Brüdern in der sowjetisch besetzten Zone zu ziehen, und können wir unseren Jungen das Opfer
    — jeder Militärdienst ist ein Opfer im Leben eines freien Menschen — zumuten, das jetzt verlangt wird? Meine Damen und Herren, wir sind vor eine Entscheidung gestellt worden, die nicht nur eine politische Entscheidung ist, sondern die zugleich Millionen von Menschen in unserem Volke auch als eine letzte menschliche Entscheidung empfinden.

    (Beifall bei der SPD.)

    In dieser sehr ernsten Lage ist es unser Anliegen, daß wir auch aus diesem Grunde nicht fortfahren in der Behandlung dieser Verträge vor einem neuen Versuch zu einer friedlichen Regelung der deutschen Frage und zu einer friedlichen Regelung der europäischen Sicherheit durch Verhandlungen zwischen den vier Besatzungsmächten. Die Verantwortung, die die Durchführung der Politik der Pariser Verträge und ihre Auswirkungen für das gesamtdeutsche Schicksal und für das persönliche Schicksal so vieler Menschen enthalten, kann man nur tragen, wenn jeder menschenmögliche Versuch gemacht worden ist, um die Gefahr einer dauernden Teilung unseres Volkes und die Gefahr schwerer seelischer Konflikte für Millionen von Menschen unseres Volkes zu vermeiden. Heute liegt die Entscheidung noch in unserer Hand. Morgen kann es zu spät sein.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich wieder einmal versammelt, um zu den großen schicksalhaften Problemen der deutschen Außenpolitik und der Politik der deutschen Wiedervereinigung Stellung zu nehmen. Wir haben eine Regierungserklärung gehört, die fest, klar, nach meiner Meinung eindrucksvoller denn je

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    die außenpolitischen Erfolge der bisherigen Politik dargestellt hat und das kommende Programm de] deutschen Außenpolitik und der deutschen Wiedervereinigungspolitik klargelegt hat. Ich beglück wünsche den Herrn Bundeskanzler zu dieser Erklärung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben im Anschluß daran die Erklärungen des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei gehört. Es ist meine Aufgabe, mich vor allen Dingen mit ihnen auseinanderzusetzen; denn das deutsche Volk hat ein Recht darauf, daß wir unsere verschiedenen Standpunkte so klar wie möglich vor ihm darlegen.
    Der Herr Kollege Ollenhauer hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, gesagt, das Pariser Vertragswerk diene weder der Sicherheit noch der Einigung Deutschlands. Das ist natürlich eine außerordentlich kühne These, und ich will versuchen, mich gerade mit ihr zu beschäftigen. Ich kann das aber nicht tun, indem ich das Problem dei deutschen Wiedervereinigung aus dem Zusammenhang der großen und schwierigen Weltsituation herauslöse.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Man kann über dieses Problem nur sprechen, indem man es hineingestellt sieht in das Ganze der heutigen Weltwirklichkeit, wenn man nicht illusorische und utopische Politik machen will.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich will mich nicht allzulange in geschichtliche Erinnerungen verlieren. Aber einige Bemerkungen seien mir dazu, bitte, erlaubt. Wir stehen in Europa zunächst einmal vor dem beängstigenden Faktor, daß östlich von uns ein kommunistischer Block von 800 Millionen Menschen über einen ungeheuren Raum verteilt lebt und daß diese Menschen erfüllt sind — und von Jahr zu Jahr mehr erfüllt werden — von einer fanatischen Ideologie,

    (Abg. Wehner: 800 Millionen?)

    der, Herr Wehner, an Kampfkraft und innerer Überzeugungskraft die westliche Welt leider nur wenig entgegenzusetzen hat. Herr Wehner, ich gebe Ihnen zu, daß es noch nicht aller Tage Abend ist, und ich hoffe mit Ihnen, daß etwa das weite chinesische Reich eines Tages zu seiner eigenen Tradition zurückfinden wird und daß es sich aus dem kommunistischen Denken, in dem es heute steckt, lösen wird. Aber es kann doch gar kein Zweifel, darüber sein, daß es vorläufig diesen roten Block von der Elbe bis an das Ufer des pazifischen Ozeans gibt,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    und mit dieser Tatsache haben wir zu rechnen.

    (Zuruf von der SPD: Gehört Indien auch dazu?)

    — Ich komme darauf zu sprechen, Herr Kolllege!
    Aber auch wenn wir nicht mit der Tatsache des Bolschewismus zu rechnen hätten, müßten wir der heutigen Weltwirklichkeit Rechnung tragen und müßten wir in diesem Westeuropa, das — ich wiederhole es — ein Russe des 19. Jahrhunderts einmal verächtlich ein „Furunkelchen am Körner Asiens" genannt hat, unter allen Umständen auf Einigung bedacht sein, einfach deshalb, um angesichts der Größe des politischen Raumes, der sich östlich von uns gebildet hat, nicht erdrückt zu werden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)



    (Kiesinger)

    Wie liegen die Tatsachen? Das muß man auch zuweilen unseren europäischen Nachbarn ins Gedächtnis rufen. Zur Zeit Napoleons gab es in ganz Europa einschließlich Rußlands bis zum Ural etwa 40 Millionen slawische Bevölkerung, weniger, als damals Deutschland und Frankreich zusammen Einwohner hatten. Heute zählt diese slawische Bevölkerung 250 Millionen Menschen, und sie stehen fast alle unter sowjetrussischer Herrschaft. Die Bevölkerungsbewegung Westeuropas war demgegenüber unendlich viel geringer. Ich könnte auf Zahlen eingehen, die die Entwicklung der industriellen Produktionskraft Westeuropas im Vergleich zu Rußland zeigen. Während noch im Jahre 1913 Europa einen Anteil von 52 % der industriellen Produktion der Welt hatte, Rußland 4 %, die Vereinigten Staaten von Nordamerika 34 %, hat sich dieses Verhältnis von Jahr zu Jahr zuungunsten Westeuropas gewandelt. Wir haben heute noch einen Anteil von 25 % der industriellen Weltproduktion, während Rußland und seine Satelliten 24 %, die Vereinigten Staaten um die 40 % haben. Meine Damen und Herren, das zeigt klar eine Tatsache, und diese Tatsache ist im 19. Jahrhundert von vielen einsichtsvollen Menschen erkannt worden, und sie haben daraus politische Folgerungen abgeleitet; es ist die Tatsache, daß sich das Gesicht der Welt in einer Weise gewandelt hat, daß Westeuropa gar nichts anderes übrigbleibt, wenn es überdauern will, als sich zu seiner eigenen Sicherheit zusammenzuschließen.
    Nun kommt aber hinzu, daß man es mit Sowjetrußland heute nicht mehr nur als einer expansiven Macht im traditionellen Sinne zu tun hat. Wäre das so, dann wäre unsere Politik Sowjetrußland gegenüber leichter. Das zaristische Rußland hatte auch weitgesteckte expansive Ziele, gewiß! Es drängte über den Balkan zu den Dardanellen, es drängte zu einer Verbreiterung seiner Ostseeküste, aber diese Ziele waren immerhin beschränkt. Heute wird niemand in diesem Saale die Kühnheit haben, zu behaupten, daß Sowjetrußlands Ziele beschränkt seien.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Gewiß, meine Damen und Herren, es ist die Rede von der Koexistenz. Sowjetrußland hat es wieder einmal für richtig gefunden, an Stelle massiver Drohungen gegenüber der westlichen, der angeblich aggressorischen Welt darauf hinzuweisen, man könne wenigstens für eine Weile friedlich nebeneinander existieren. Aber, meine Damen und Herren, wer nimmt diesen Ausspruch Sowjetrußlands wirklich ernst? Erinnern wir uns daran, daß es die sowjetische Lehre bis auf den heutigen Tag geblieben ist — verzeihen Sie, daß ich Sie daran erinnere, denn es ist ja furchtbare Wirklichkeit für uns —, daß es die sowjetrussische These geblieben ist, der Kommunismus könne in einem Land auf die Dauer nicht existieren, es sei für die Sicherung des Kommunismus nötig, die Welt für den Kommunismus zu erobern.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Diese These von der Unmöglichkeit des Kommunismus in einem Land ist immer nur aus taktischen Gründen für eine kleine Zeit aufgegeben worden. Aber noch im letzten Jahr, wenn ich mich recht erinnere, hat der sowjetrussische Programmredner zum Jahrestag der sowjetrussischen Revolution Saburoff ausdrücklich bestätigt, daß man nach wie vor an den außenpolitischen Grundsätzen des großen Lenin festhalte. Und Lenin — dar-
    über, meine Damen und Herren, kann kein Zweifel sein — hat gesagt, daß Krieg und Frieden im Verhältnis zur westlichen Welt für Sowjetrußland etwas seien, was man je nach den taktischen Erfordernissen abwechselnd anwenden könne.

    (Abg. Wehner: Diese Frage sollte Sie dazu zwingen, sie mit sozialen Mitteln zu lösen!)

    — Herr Wehner, ich bin vollkommen mit Ihnen einverstanden, daß die westliche Welt Anstrengungen machen muß, um überall da, wo Not und Elend herrschen, diese zu beheben. Aber, Herr Wehner, ich bin ebenfalls felsenfest davon überzeugt, daß heute schon in den weitesten Gebieten der freien Welt die sozialen Verhältnisse bei weitem besser sind als in der Sowjetunion

    (lebhafter Beifall in der Mitte — Zuruf des Abg. Wehner)

    und daß trotzdem die Suggestionskraft der Propaganda des irdischen Paradieses, die von der Sowjetunion ausgeht und im Westen eine Menschheit findet, die weithin nicht mehr weiß, woher sie kommt und wohin sie geht, die einen inneren Trend zum Nihilismus hat, — daß diese bolschewistische Ideologie auch dann fruchtbaren Boden finden kann, wenn die größten Anstrengungen zu sozialen Reformen im Westen gemacht werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber wer es noch nicht glauben sollte, daß unter dem Begriff der Koexistenz in Sowjetrußland etwas ganz anderes verstanden wird, als manche Vogel-Strauß-Politiker des Westens glauben, den darf ich an den Besuch der britischen Parlamentarier in Sowjetrußland in der allerjüngsten Zeit erinnern. Wir haben Berichte von ihnen, insbesondere den Bericht — ich betone es, verehrter Herr Kollege Ollenhauer — des britischen Labour-Abgeordneten Mayhew, der uns gesagt hat, auf bohrende Fragen an seinen Gesprächspartner, einen sehr bedeutenden Mann in der Sowjetunion, habe dieser ihm lediglich zugestanden, Koexistenz gebe es nur auf eine gewisse Dauer.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Man hat diesen Abgeordneten zu ihrer Überraschung noch etwas anderes geoffenbart. Man hat gesagt, Koexistenz bedeute nur den Verzicht auf eine gewaltsame kriegerische Einmischung. Dagegen müsse der geschichtliche Prozeß der Selbstzersetzung der kapitalistischen Welt von Moskau aus mit allen politischen und propagandistischen Mitteln gefördert werden.

    (Hört! Hört! in der Mitte. — Abg. Mellies: Haben Sie denn je geglaubt, daß uns die Auseinandersetzung erspart bliebe?)

    — Nein, Herr Mellies, das habe ich nicht geglaubt.

    (Abg. Mellies: Na also!)

    Was ich Ihnen jetzt sage, soll Ihnen nur etwas von dem allzugroßen Optimismus nehmen, daß man mit Sowjetrußland aus einem Ausgangspunkt der Schwäche heraus verhandeln könne.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Sie nehmen nur diese Dinge aus Moskau ernst, aber anscheinend nicht die Noten Moskaus!)

    — Ich nehme auch die Noten ernst, Herr Mellies, genau so ernst, wie sie es nach der Geschichte der Sowjetunion seit ihrem Bestehen verdienen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



    (Kiesinger)

    Die Sowjetrussen machen es sich sogar leicht. Uns gegenüber verbergen sie gar nicht, was sie mit uns vorhaben, wenn es in allen ihren Reden, auch in der Rede Molotows, jüngst heißt, daß man ein friedliebendes, demokratisches Deutschland will. Wir wissen doch, was mit diesem Vokabular gemeint ist. Er nennt ja friedliebende, demokratische Länder und Völker nur diejenigen hinter dem Eisernen Vorhang.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Wehner: Glauben Sie ihm jedes Wort?)

    Sie werden mir entgegnen: Das sehen wir auch. Sie werden mir sagen: Die Sozialdemokratische Partei — ich gebe Ihnen das zu — hat sich immer gegen den Kommunismus gewandt. Ich gebe Ihnen sogar zu, daß Sie mit uns zusammen in dieser Nachkriegszeit ein Verdienst erworben haben, das in der Geschichte unseres Volkes unverlöschlich stehenbleiben wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber, Herr Kollege Ollenhauer, es sind zwei Dinge: das eine, sich mit Mut und Einsicht gegen die bolschewistische Ideologie zu wenden, und das andere, eine Politik zu treiben, die uns nicht der Gefahr aussetzt, daß wir eines Tages in den Sog der bolschewistischen Machtpolitik hineingerissen werden.

    (Zuruf von der Mitte: So ist es!)

    Darum geht es ja heute bei dieser Auseinandersetzung. Auch die Führer, jedenfalls einige Führer der Siegermächte des letzten Krieges haben ja an die Koexistenz geglaubt, haben sich darauf verlassen, daß man durch Abmachungen mit Sowjetrußland zu einem dauernden Frieden auf dieser Welt kommen könne. Sie haben gebannt auf das schon zusammengebrochene Deutschland gestarrt, ohne zu sehen, daß sie dieser ungeheuer expansiven Macht dabei erlaubten, tief in das Herz Europas vorzustoßen. Sie sind bitter darüber belehrt worden, wie falsch sie die Dinge damals gesehen haben.
    Welches sind denn die bisherigen Erfolge der sowjetrussischen Expansionspolitik mit dem endgültigen Ziel der Weltrevolution, der Unterwerfung des ganzen Planeten unter kommunistische Herrschaft? Wir tun gut daran, uns zu erinnern: Der Westen hatte abgerüstet, die amerikanischen Mütter hatten ihre Söhne nach Hause gefordert und hatten sie zurückerhalten. Sowjetrußland hat keinen Tag daran gedacht, die Waffen zu vermindern oder gar niederzulegen. Es hat aufgerüstet, und es hat Schlag um Schlag dazu ausgeholt, seine Machtsphäre auszudehnen hier in Europa, auf das, was wir heute die Welt der Satelliten an unseren Grenzen nennen. Drüben in Asien ist es Sowjetrußland gelungen, mit seiner kommunistischen Propaganda das Riesenreich China an seine Seite zu ziehen. Aber nicht nur das. Wir haben in Westeuropa einige Länder, in denen Moskau zahlreiche und gefährliche Hilfstruppen unterhält. Wir müssen immer wieder daran erinnern: In Italien bis zu einem Drittel kommunistische und prokommunistische Wähler! In Frankreich sitzen an die hundert kommunistische Abgeordnete im Parlament, und die Wähler sind sehr viel mehr an Zahl — entsprechend dem französischen Wahlsystem —, als dieser Abgeordnetenzahl der Kommunisten im Parlament entspricht. Welche Gefahr liegt allein in diesen beiden Tatsachen!
    Wenn die Russen sagen, man müsse mit allen Mitteln die Selbstzersetzung der kapitalistischen Welt fördern, dann wissen wir, was sie damit meinen: die Anwendung aller Mittel, um zu erreichen, daß in den Ländern der sogenannten kapitalistischen Welt die Voraussetzung für einen internen kommunistischen Sieg geschaffen wird. Das heißt: man darf diese Länder nicht in Ruhe lassen, man muß stören, man muß Krisenfeuer schüren, man muß einen Zustand herbeiführen, der schließlich soviel Verwirrung und Not bringt, daß die Unentschlossenen, die Verwirrten, der Kommunistischen Partei zuströmen. Eines Tages könnten wir Deutsche dann aufwachen und uns in Europa umgeben sehen — Gott verhüte es! — von einer roten Flut.

    (Zuruf von der SPD: Das haben wir alles hinter uns!)

    — „Das haben wir hinter uns", sagen Sie? Ich halte das für einen außerordentlich bedenklichen Zwischenruf. Ich fürchte, mein sehr verehrter Herr Kollege, daß Sie damit der Wirklichkeit Westeuropas wahrhaftig nicht Rechnung getragen haben.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wenn Sie uns schon gelegentlich vorwerfen, daß wir das eine oder andere Warnzeichen unserer Zeit nicht genügend beachteten, dann kann ich Ihnen nur sagen: Blicken Sie nicht immer nur gebannt auf das eine einzige isolierte Problem, das Sie uns hier vortragen, sondern sehen Sie das Ganze und die Gefahr des Ganzen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie reden immer wieder von Sicherheit. Aber, meine Damen und Herren, sagen wir es doch lieber deutlicher: es geht nicht um unsere Sicherheit, es geht nach wie vor um unsere einfache nackte Existenz.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Vielleicht merken das manche Leute nicht mehr so genau. Vielleicht haben sie sich im Lauf der Jahre an diesen Zustand gewöhnt, so wie sich ein unheilbar Kranker schließlich an seine Krankheit gewöhnt, weil er eben mit ihr weiterleben muß. Aber die Gefahr ist doch nicht geringer geworden, als sie jemals war, und sie kann uns jeden Augenblick überwältigen.
    Und die Folgerungen? Die Folgerungen sind für uns wie für jedes westeuropäische Land ganz offenkundig. Angesichts dieser Lage einer expansiven imperialistischen Macht in unserem Osten und einer noch expansiveren damit verbundenen ideologischen Macht bleibt gar nichts anders übrig, als daß sich Europa zusammenschließt. Unter Europa verstehe ich natürlich das freie Europa. Daß dazu — Gott sei's geklagt! — die 18 Millionen jenseits des Eisernen Vorhangs noch nicht gehören,

    (Abg. Blachstein: Europa bis zur Elbe!)

    kann uns doch nicht daran hindern, diesen Weg zunächst einmal allein zu gehen. Wenn Sie schon immer wieder sagen, daß dieser Weg gefährlich sei für die deutsche Wiedervereinigung, dann darf ich Sie auch hier wieder erinnern — ich habe es schon einmal getan — an das sehr richtige Wort Ihres Parteifreundes, des verstorbenen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, der da sagte: „Macht mir die Bundesrepublik stark!" Und er wußte, warum er das sagte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



    (Kiesinger)

    Wenn Sie mir erlauben, diesen Gedankengang abzuschließen, dann darf ich darauf hinweisen, daß die Notwendigkeit des politischen und natürlich auch militärischen — denn das gehört zusammen — Zusammenschlusses Westeuropas nicht nur im Hinblick auf Sowjetrußland und China gegeben ist. Überall in der Welt bilden sich nach dem zweiten Weltkrieg politische Großräume, die uns Europäern einfach nicht mehr erlauben, im Stadium der sieben Zwerglein zu verharren.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Wir haben den politischen Großraum, dessen Mittelpunkt die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind. Auch sie haben zur Zeit Napoleons wenige Millionen Einwohner gezählt und bilden heute die stärkste Macht der Welt. Ich will von dem britischen Weltreich, das ja immer noch steht, wenn es auch mühsam an seinen Fronten um seine Behauptung kämpft, nicht länger sprechen. Aber ich darf darauf hinweisen, daß es auch anderswo diese Großräume gibt, daß sie in Bildung begriffen sind: Indien und vielleicht auch die islamische Welt, die sich von Jahr zu Jahr mehr zu integrieren bemüht. In der Welt dieser Giganten bleibt für uns .gar nichts anderes übrig, als uns zusammenzutun.
    Vielleicht werden Sie mir das alles zugeben. Vielleicht werden Sie mir sagen, Herr Ollenhauer, das sei eine Aufgabe für die Zukunft. Denn Sie haben, wenn ich Sie recht verstanden habe, gesagt, die europäische Idee könnte einmal die Idee der Zukunft sein. — Ich glaube nicht, daß wir soviel Zeit haben. Ich glaube, daß die europäische Idee und ihre Verwirklichung das dringendste Gebot der Stunde ist. Die Zentren der Weltpolitik liegen schon lange nicht mehr in Europa, und ich fürchte, sie werden auch nicht mehr nach . Europa, wenigstens nach Kontinentaleuropa, zurückkehren. Wir müssen umlernen. Das politische Denken von Europa her, das Europa als das Zentrum der Weltpolitik sah, ist tot oder sollte tot sein. Aber wir haben noch eine Aufgabe; wir haben die Aufgabe — sie ist uns übriggeblieben —, Europa davor zu bewahren, daß es nun auch vollends als selbständiger politischer Faktor in dieser Welt untergeht.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Selbstverständlich wird Sowjetrußland diese Einigung zu verhindern suchen. Das ist der eigentliche Grund seines ständigen Bemühens, das wir nun seit Jahren kennen und das immer dann aggressive Formen annimmt, wenn ,die europäische Einigung, von Sowjetrußland aus gesehen, droht Wirklichkeit zu werden. Wenn es wahr ist, daß zum sowjetischen Programm die Vollendung der kommunistischen Weltrevolution gehört, dann ist es nicht so sehr der militärische Zusammenschluß Westeuropas, den Rußland fürchtet, sondern dann ist es die politische Integration, vor der es Angst hat, weil durch diese politische Integration sicherlich verhindert werden würde. daß in Westeuropa die Voraussetzungen für das Gelingen einer inneren kommunistischen Revolution weiter geschaffen würden.
    Ich habe jüngst einmal in einer Auseinandersetzung mit einem sozialdemokratischen Kollegen von ihm das Wort gehört: „Wir Deutsche, die Bundesrepublik, sind eben für den Westen wie für den Osten als Rekrutierungsreserve interessant." — Meine Damen und Herren, welch bedenkliche einseitige Vorstellung! Es mag sein, daß auch das interessant ist in einer Welt, die von Waffen starrt. Aber wir haben ein viel, viel stärkeres Interesse der Welt an uns festzustellen. Es ist das Interesse daran, daß das deutsche Volk in der großen ideologischen Auseinandersetzung unserer Gegenwart sich endgültig und ohne jeden Zweifel auf die Seite der freien Welt stellt und daß niemals der Tag kommen wird, wo es der bolschewistischen Ideologie zufällt. Denn wenn in Deutschland die Entscheidung zugunsten des Ostens fiele, dann allerdings, fürchte ich, wäre sie auch schon für die ganze Welt gefallen.
    Sie zitieren gern in der letzten Zeit, meine Herren Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, die Äußerungen des auch von mir geschätzten amerikanischen Politikers George Kennan. Ich weiß, daß er gewisse, von der zur Zeit offiziellen amerikanischen Außenpolitik abweichende Vorstellungen hat. Aber ich finde, daß Sie viel zuviel in seine Äußerungen — auch Sie haben es heute früh getan, Herr Kollege Wehner — hineingeheimnissen. Wenn man seine Verlautbarungen liest, dann findet man sehr viel Bestätigung für unsere Auffassung von der politischen Situation. Aber dazu, daß die Entscheidung, die in Deutschland fällt, auch für die neue Welt schicksalhaft werden könnte, dazu, Herr Präsident, bitte ich um die Erlaubnis, nur wenige Sätze Kennans aus dem Vortrag, den er hier vor deutschen Studenten gehalten hat, vorlesen zu dürfen. Er sagt da:
    Es liegt auf der Hand, daß die Vereinigten Staaten sich keineswegs mit einer unbegrenzten Expansion der Sowjetmacht in Europa oder Asien abfinden können. Dazu ist der eurasische Erdteil viel zu wichtig, viel zu entscheidend, nicht nur vom machtpolitischen, sondern auch vom kulturellen und politischphilosophischen Standpunkt aus. Die Grenzen, bis zu denen sich die faktische russische Herrschaft infolge der Auswirkungen des letzten Krieges und der chinesischen Revolution ausgedehnt hat, bilden schon eine schwerwiegende Verschiebung des internationalen Kräfteverhältnisses, eine schwere Belastung der Stabilität der internationalen Beziehungen und folglich einen Zustand, der die Sicherheit auch des nordamerikanischen Kontinents auf das empfindlichste berührt. Aber die Bedeutung dieser Expansion für die Vereinigten Staaten wird mit dem machtpolitischen Moment nicht erschöpft. Bei einem vom Kommunismus beherrschten Europa würden die Vereinigten Staaten auch in geistiger und kultureller Hinsicht isoliert dastehen. Denn ich kann nicht glauben, daß in der kommunistischen Welt für die humane und christliche Tradition des Abendlandes ein Platz vorhanden wäre, und ich weiß nicht, ob Amerika ohne das Band, das es immer mit Europa wie mit einer Mutter verbunden hat, stark genug sein würde, allein die abendländische Tradition am Leben zu erhalten und unversehrt für eine bessere Zukunft zu bewahren.