Rede von
Erich
Ollenhauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich habe die Tatsache, daß es eine Aufrüstung in der Sowjetzone gibt, überhaupt nicht bestritten. Ich habe nur festgestellt, daß bis heute dieser Teil Deutschlands nicht definitiv in das sowjetische Militärsystem eingegliedert ist.
Ich glaube, das ist ein sehr wesentlicher Unterschied jedenfalls im Zusammenhang mit einer so ernsten außenpolitischen Debatte, wie der Deutsche Bundestag sie zu führen hat.
Es ist das gute Recht des deutschen Volkes, wenn es den Westmächten durch die Bundesregierung sein dringendes Verlangen nach einer erneuten Anstrengung in bezug auf die Wiederherstellung seiner nationalen und staatlichen Einheit unterbreitet. Aber es ist wahrlich nicht nur ein nationales Anliegen. Entspannung, Sicherheit und Frieden in Europa und in der Welt sind auf die Dauer nicht zu erreichen, solange Deutschland gespalten ist und der Eiserne Vorhang mitten durch Europa geht.
Der Versuch, das normale Nebeneinanderleben von Völkern verschiedener Systeme und Ordnungen zu ermöglichen, mit der offenen Wunde der Spaltung eines großen Volkes im Herzen Europas kann nur mit einem Mißerfolg enden.
Den größten und fruchtbarsten Beitrag, den wir in der heutigen Lage für den Frieden und für die Sicherheit der Völker leisten können, ist unser Appell an alle, die das Schicksal der nationalen Einheit unseres Volkes in ihren Händen halten, eine friedliche Lösung dieses schwersten Problems der europäischen Politik mit allem Ernst zu versuchen.
Der Herr Bundeskanzler hat in bezug auf die Lage der Bundesrepublik, im Hinblick auf ihre Sicherheit einige Bemerkungen in seiner Rede gemacht, indem er einen Vergleich unserer Gegenwart mit der Lage in der Weimarer Zeit gezogen hat. Erstaunlicherweise hat der Herr Bundeskanzler heute morgen geglaubt, daß wir heute im Vergleich zu Weimar mit Genugtuung auf die Lage in der Bundesrepublik sehen können. Er hat gemeint, daß jetzt die Nachkriegsperiode durch die Pariser Verträge formal abgeschlossen werde, wobei er zur Begründung ausgeführt hat, daß diese Verträge angeblich Deutschland in ein weltweites Verteidigungssystem führten, in dem Deutschland den höchsten Grad an Sicherheit finde.
Nun, man wird mancherlei über die innen- und außenpolitische Unruhe sagen können, unter der die Weimarer Republik litt; aber zweierlei darf man hierbei doch nicht verschweigen: Zur Weimarer Zeit drohte kein Weltkrieg.
Erst die Haltung jener Kräfte, die heute schon wieder bei uns die Oberhand gewinnen wollen, beschwor die weltpolitischen Gefahren dadurch herauf, daß Hitler zur Macht kam und mit seiner Aufrüstung begann.
Die andere Tatsache, die nicht verschwiegen werden darf, ist die, daß es nach 1918 dank der ge-
schichtlichen Leistung z. B. eines Mannes wie Friedrich Ebert gelungen war, die Einheit Deutschlands zu erhalten.
Unsere Lage ist leider heute im Vergleich zu Weimar viel weniger gesichert und sowohl wegen der Abtrennung der Saar als auch wegen der Spaltung Deutschlands unendlich viel mehr ungesichert und unbefriedigend als je zuvor in der deutschen Geschichte;
denn es gibt keine Sicherheit allein für die Bundesrepublik.
Die Frage der Wiedervereinigung ist die Frage der Sicherheit nicht nur für uns, sondern für die ganze westliche Welt. Wir bedauern auf das tiefste, daß durch solche Erklärungen, wie sie der Herr Bundeskanzlerabgegeben hat, Sicherheitsvorstellungen in unserer Bevölkerung erweckt werden können, die keine reale Grundlage haben.
Wir bedauern es insbesondere, daß — wie ich schon gesagt habe — die Bundesregierung es versäumt hat, den Mächten der freien Welt des Westens immer wieder klarzumachen, daß eben die Wiedervereinigung Deutschlands keineswegs nur ein deutsches Anliegen ist.
Wenn nun die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diese Schlußfolgerungen aus der gegenwärtigen internationalen Situation zieht, so ist daraus bereits zu ersehen, daß sie das Pariser Vertragswerk, das ja als ein Ganzes betrachtet werden muß, als nicht vereinbar mit einer deutschen Politik ansieht, !die die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit als ihre vordringlichste Aufgabe betrachtet. Es wird nach unserer Überzeugung die Sicherheit der Bundesrepublik nicht erhöht, aber es wird die Wiedervereinigung Deutschlands aufs äußerste gefährdet. Ein Vertragswerk, das weder der Sicherheit noch der Einheit des deutschen Volkes dient, ist unannehmbar.
In dieser Überzeugung sind wir leider durch die heutigen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers noch bestärkt worden. Der Herr Bundeskanzler hat am Anfang seiner Rede als eines der ersten Ziele der Bundesregierung bezeichnet, Freiheit und Selbstbestimmung für die Bundesrepublik zu gewinnen. Mit dieser Zielsetzung können wir uns durchaus einverstanden erklären, und zwar um so mehr, als der Herr Bundeskanzler selbst diese Freiheit und Selbstbestimmung für die Bundesrepublik als ein Mittel bezeichnet hat, durch das die Bundesrepublik auch die Freiheit ,des Handelns zugunsten ganz Deutschlands erlangen soll. Nun aber hat der Herr Bundeskanzler im weiteren Verlauf seiner Rede diese Grundlage für eine Politik der Wiedervereinigung leider verlassen;
denn in seinen Erläuterungen zu dem Pariser Vertragswerk hat er plötzlich den Standpunkt aufgegeben, daß die Bundesrepublik noch keineswegs das ganze Deutschland ist, sondern lediglich ein Provisorium mit der Aufgabe, die Einheit des gesamtdeutschen Staates zu wahren. Zwar hat der
Herr Bundeskanzler in sehr bemerkenswerter Weise die Souveränität lediglich als eine erweiterte politische Selbständigkeit, Verantwortlichkeit und Handlungsfähigkeit bezeichnet sowie ausdrücklich festgestellt, daß es sich bei dieser so eingeschränkten Souveränität nur um Souveränität für einen Teil Deutschlands handelt. Aber dann hat er im Widerspruch dazu davon gesprochen, daß Deutschland in die NATO aufgenommen werde,
und am Schluß seiner Rede behauptet, die Verträge führten Deutschland in ein mächtiges, weltweites Verteidigungssystem, in dem Deutschland den höchsten Grad an Sicherheit finde, der bei der gegenwärtigen Weltlage zu erreichen sei.
Diese Vertauschung der Begriffe: Bundesrepublik und Deutschland,
diese plötzliche Gleichsetzung des ganzen Deutschland nur mit der Bundesrepublik, verdunkelt aber das Problem, weil es eben nicht Deutschland ist, das als Ganzes durch diese Verträge Freiheit und Sicherheit erlangt.
Wenn es nach den anfangs geäußerten Worten des Herrn Bundeskanzlers der Sinn einer Souveränität als einer erweiterten politischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik als nur eines Teiles von Deutschland sein soll, gerade mit größerer Wirksamkeit und Überzeugungskraft die Wiedervereinigung Deutschlands zu betreiben, so steht hiermit in Widerspruch, daß die Verträge nach wie vor diese eigene Initiative von deutscher Seite auf die Wiedervereinigung ausschließen. Es ist bemerkenswert, daß der Herr Bundeskanzler es vermieden hat, hier sich mit dem Art. 7 Abs. 2 des Generalvertrags auseinanderzusetzen. Diese Vorschrift ist unverändert so geblieben, wie sie bereits 1952 vereinbart wurde. Ich frage: Ist dem Herrn Bundeskanzler nicht bekannt, daß dieser Art. 7 Abs. 2 des Generalvertrags nach der amtlichen Begründung, mit der seinerzeit die französische Regierung, als noch Herr Bidault Außenminister war, diese Vertragsbestimmung ihrer Nationalversammlung vorlegte, bedeutet, daß sich dadurch die Regierung der Bundesrepublik verpflichtet, keiner Formel der Einheit Deutschlands zuzustimmen, welche die europäische Integration wieder in Frage stellen könnte?
In diesem Zusammenhang hat der Herr Bundeskanzler namens der Bundesregierung eine Behauptung zurückgewiesen, die von keiner Seite je aufgestellt wurde, jedenfalls nicht von unserer Seite. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, die Bundesregierung weise nachdrücklich 'die Behauptung zurück, daß die Spaltung Deutschlands durch die Wiederherstellung der Souveränität für einen Teil Deutschlands vertieft oder verhärtet werde. Niemals ist jedenfalls von uns derartiges gesagt worden. Was die Spaltung Deutschlands zu vertiefen und zu verhärten droht, ist doch etwas ganz anderes, nämlich die Einbeziehung eines Teils von Deutschland in eine Militärallianz, nämlich in die NATO.
Dieser ernsten Sorge und Befürchtung kann man unmöglich in der Weise entgegentreten, wie es der Herr Bundeskanzler zu tun versucht hat, indem
man nämlich plötzlich von der Bundesrepublik als von Deutschland spricht und so tut, als trete Deutschland selbst in die NATO ein und als sei es Deutschland selbst, das durch die Verträge in dieses Verteidigungssystem geführt werde und dort den höchsten Grad an Sicherheit finde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verträge schließen nicht nur jede eigene deutsche Wiedervereinigungspolitik aus, sondern sie lassen auch jede konkrete Verpflichtung der Vertragspartner vermissen, auf welche Weise und durch welche Politik denn nun die Wiedervereinigung gefördert und erreicht werden soll.
— Einen Augenblick, ich komme darauf. Die Behauptung des Herrn Bundeskanzlers, erst das Vertragswerkmache die Bundesrepublik fähig, die Spaltung Deutschlands zu beseitigen und die sich mit der Wiedervereinigung stellenden Aufgaben zu bewältigen, entbehrt leider jedweder Grundlage. Hier aber war und ist die Bundesregierung dem Bundestage und dem deutschen Volk Aufschluß darüber schuldig, wieso und in welcher Art denn die Einbeziehung nur des westlichen Teils von Deutschland in eine westliche Militärallianz zur Wiedervereinigung beitragen könnte. An diesem für unsere Politik entscheidenden Punkte kann es uns keineswegs genügen, daß der Herr Bundeskanzler versichert hat, die großen Mächte setzten sich entsprechend ihren Verpflichtungen bei kommenden Verhandlungen für unsere Wiedervereinigung solidarisch ein. Welche Verpflichtungen haben denn in dieser Beziehung die Westmächte über eine bloße Proklamation hinaus übernommen? Meine Damen und Herren, das Wort Proklamation stammt nicht von mir; es stammt vom Herrn Bundeskanzler.
Er hat selbst wörtlich gesagt, daß die Mitgliedstaaten der NATO sich die Erklärung der drei Westmächte zu eigen gemacht hätten, die die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands als ein grundlegendes Ziel ihrer Politik proklamierten. Es handelt sich also um eine bloße Proklamation, ohne daß im geringsten eine konkrete Verpflichtung der Vertragspartner ersichtlich ist, was sie denn nun praktisch zu tun haben und auf welcher politischen Grundlage mit der Sowjetunion verhandelt werden soll.
Die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers, erst durch die Verträge als Ganzes besäßen wir genügend Gewicht und Energie, um mit den Sowjets erfolgreich zu verhandeln, ist doch eine bloße Vertröstung, weil sie schlechterdings nichts darüber besagt, wann denn mit der Sowjetunion zu verhandeln ist und in welcher Weise, durch welche Vorschläge, mit welchem Angebot, auf welcher konkreten politischen Grundlage man glaubt, die Zustimmung der Sowjetunion zu freien Wahlen in ganz Deutschland und zur Wiedervereinigung in Freiheit erwirken zu können. Zwar hat der Herr Bundeskanzler betont: „Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß alles unternommen werden muß, um die sowjetische Verhandlungsbereitschaft auf ihren echten Gehalt hin zu prüfen." Aber er hat uns leider nichts darüber gesagt, was denn dieses „alles" sein soll,
wodurch eine Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion auf die Probe gestellt wird. Man kann es
doch nicht als „alles" bezeichnen, wenn ausdrücklich vor der Ratifikation der Verträge, ja, möglicherweise vor ihrer Jahre in Anspruch nehmenden Verwirklichung sogar die notwendigen Verhandlungen abgelehnt werden.
An der für uns wichtigsten Stelle, nämlich dort, wo es sich um den Weg und die Mittel zur Einheit Deutschlands in Freiheit handelt, findet sich zu unserem schmerzlichsten Bedauern in den Vertragswerken nichts als eine große Lücke.
Weder gewinnen wir soviel Souveränität, um eine eigene deutsche Politik der Wiedervereinigung treiben zu dürfen, noch ist im geringsten eine konkrete Verpflichtung unserer Vertragspartner ersichtlich, welche Maßnahmen sie ihrerseits zu treffen oder welche Vorschläge sie von sich aus zu machen haben, um auch nur mit einiger Aussicht auf Erfolg die Einheit Deutschlands auf dem Verhandlungswege wiederherzustellen.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus haben wir auch schwerwiegende Einwände gegen das Vertragswerk an sich. Es ist nicht die Aufgabe einer ersten Lesung, die Verträge und Vereinbarungen im einzelnen kritisch zu beleuchten. Aber zu einigen wesentlichen Punkten des Ganzen möchte ich den Standpunkt meiner Fraktion darlegen. In der außenpolitischen Debatte am 7. Oktober, nach der Londoner Konferenz, habe ich an den Herrn Bundeskanzler die Frage gerichtet, welche Leistungen die Bundesrepublik noch zu vollziehen haben wird, ehe die deutsche Aufrüstung in der neuen Form vertraglich festgelegt werden wird. Der Herr Bundeskanzler hat sich damals mit keinem Wort zu der Saarfrage geäußert, obwohl der Standpunkt der französischen Regierung zu dieser Zeit schon bekannt war, daß für sie eine Regelung der Saarfrage die Voraussetzung für ihre Zustimmung zu neuen Verträgen über die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik sein werde. Der Herr Bundeskanzler hat damals auf meine direkte Frage geschwiegen. Dafür hat er uns heute das sogenannte Saarstatut vorgelegt.
Meine Damen und Herren, dieses Saarstatut ist das merkwürdigste Vertragsdokument, das je in einem demokratischen Staat den parlamentarischen Körperschaften vorgelegt wurde.
Es hat überhaupt keine sachliche Beziehung zu den Angelegenheiten, die durch die Pariser Verträge geregelt werden sollen. Es ist weder für die vertragliche Regelung des militärischen Beitrags der Bundesrepublik noch für die Festlegung des zukünftigen Status der Bundesrepublik in ihren Beziehungen zu den Westmächten notwendig. Es ist einfach der Preis, den die Bundesrepublik für die französische Zustimmung zu der deutschen Mitgiedschaft in der NATO zu zahlen hat.
Wir machen dem Herrn Bundeskanzler keinen Vorwurf daraus, daß er mit der französischen Regierung Verhandlungen über die Regelung der Saarfrage geführt hat. Wir haben seit langem eine Beseitigung dieser schweren Belastung in den Beziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Volk gefordert, und wir haben es hier
oft genug bedauert, daß man immer wieder einer Lösung dieser Frage durch Ausklammerung ausgewichen ist. Die jetzt unterschriebene Regelung zeigt, daß die Sache durch das Hinausschieben nicht besser, sondern schlechter geworden ist.
Wir haben auch immer anerkannt, daß es in dieser Frage zu einer Kompromißlösung kommen muß. Deshalb haben wir dafür plädiert, zum erstenmal durch Dr. Kurt Schumacher von dieser Stelle aus im Februar 1950, durch eine großzügige Regelung auf dem Wege von Wirtschaftsabkommen zwischen Bonn. und Paris den besonderen wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar Rechnung zu tragen. Das ist auch heute noch unser Standpunkt. Ebenso halten wir an der Auffassung fest, daß eine aufrichtige freundschaftliche Beziehung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk eine der elementarsten Voraussetzungen für eine europäische Zusammenarbeit darstellt. Wir unterstreichen das, was der Herr Bundeskanzler selbst heute darüber gesagt hat. Wir wissen auch, daß viele Beweise des guten Willens von unserer Seite notwendig sind, um das aus der Vergangenheit erklärliche und verständliche Mißtrauen zu überwinden.
Aber, meine Damen und Herren, auf der anderen Seite ist doch unter Völkern, die die Prinzipien der Freiheit und der Gerechtigkeit zur Grundlage ihres Gemeinschaftslebens gemacht haben, eine Lösung von Spannungen und Interessengegensätzen nur möglich unter gegenseitiger Respektierung der Grundrechte der Völker und der Menschen.
Im Falle des Saargebiets kann es keinen ernsthaften Streit darüber geben, daß es sich an der Saar um deutsches Gebiet und um deutsche Menschen handelt. Ebenso unbestritten sollte sein, daß diesen Menschen, die umgeben sind von demokratischen Völkern wie dem französischen und dem deutschen, die demokratischen Grundrechte und Freiheiten ohne Einschränkung und Vorbehalt gewährt werden müssen.
Im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers möchte ich sagen, daß das Saarstatut keine dieser unerläßlichen Voraussetzungen für eine befriedigende Lösung erfüllt.
Zunächst geht es in seinem wirtschaftlichen Teil weit über die notwendige, auch von uns anerkannte Regelung der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar hinaus. In Wirklichkeit wird doch in dem Statut die schon im Vertrag über die Montan-Union festgelegte Einbeziehung des Saargebiets in das französische Wirtschaftsgebiet noch einmal vertraglich untermauert. Es bleibt bei dieser einseitigen Bindung. Wir kennen auch die Gründe. Sie sind auf französischer Seite nie verheimlicht worden. Frankreich glaubt, daß durch eine Einbeziehung der Wirtschaft des Saargebiets in die Wirtschaft der Bundesrepublik das Gleichgewicht des wirtschaftlichen Potentials Frankreichs und der Bundesrepublik in einer für Frankreich unerträglichen Weise zugunsten der Bundesrepublik verschoben würde. Das ist ein Argument, aber es ist eine machtpolitische Entscheidung und keine Verständigung.
Weiter: Von einer Anerkennung der Tatsache, daß es sich beim Saargebiet um einen Teil deutschen Staatsgebiets handelt, ist in dem Statut mit keinem Wort die Rede. Es bleibt damit hinter der Erklärung der Alliierten vom Jahre 1945 zurück, die das Gebiet in den Grenzen von 1937 als deutsches Staatsgebiet bezeichnet hat. Allein schon durch die Vermeidung dieser grundsätzlichen Anerkennung wird doch der angeblich provisorische Charakter des Statuts in Frage gestellt.
Der jetzt im Statut vorgesehene Status bedeutet in der Praxis und durch das Gewicht der nach dem Statut zu schaffenden Institutionen und Regelungen die Herauslösung dieses Teiles Deutschlands aus dem Gebiet der französisch besetzten Zone Deutschlands.
— Ja, jetzt erst! Vertraglich, Herr von Brentano! Das ist ja wohl ein wesentlicher Unterschied.
Vom Standpunkt der notwendigen Politik der europäischen Zusammenarbeit und der europäischen Einheit kann man nur auf das tiefste bedauern, daß die an der Saar durch das Statut angestrebte Regelung mit dem Begriff „europäisch" belegt worden ist. Selten ist einer guten Sache ein so schlechter Dienst erwiesen worden.
Die Menschen an der Saar werden unter diesem Zustand nicht glücklich sein. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich wird nicht befriedet werden, soweit es um die Saar geht. Aber der Begriff der Europäisierung, den wir alle hüten sollten, weil er die große Idee unserer Zukunft sein kann, — dieser Begriff wird diskreditiert.
Die demokratischen Grundrechte der Bevölkerung an der Saar — Herr Bundeskanzler, es tut mir leid, das sagen zu müssen — sind nach unserer Auffassung durch dieses Statut nicht garantiert.
Wer daran noch Zweifel haben konnte, kann sich vielleicht durch die Kontroverse zwischen dem saarländischen Abgeordneten Heinz Braun und unseren Kollegen Erler und Trittelvitz in den Verhandlungen der Beratenden Versammlung des Europarats aufklären lassen.
Die demokratischen Grundrechte und Freiheiten wird es an der Saar nicht geben, wenn das Statut in dem jetzigen Wortlaut erhalten bleibt.
Das Bedenklichste aber ist, daß schon jetzt, bevor das Statut von den beteiligten Parlamenten ratifiziert worden ist, zwischen den Unterzeichnern die stärksten Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt und die Auslegung des Statuts bestehen. Eine der Ursachen ist, daß wohl noch niemals ein Vertrag so überstürzt und leichtfertig formuliert und unterschrieben worden ist wie dieses Statut.
Die Beteiligten wissen am besten, daß dieses harte Urteil nicht übertrieben ist.
Die beste Bestätigung dafür ist die heutige Ankündigung des Herrn Bundeskanzlers über Besprechungen mit dem französischen Ministerpräsidenten. Meine Damen und Herren, diese Mitteilung
bedeutet doch, daß wir hier aufgefordert werden, einen Vertrag zu beraten und zu ratifizieren, von dem einer der Unterzeichner, nämlich der Herr Bundeskanzler selbst, dem Parlament erklärt, über Sinn und Inhalt wichtiger Bestimmungen müsse noch verhandelt werden.
— Ich bin sehr für Verhandlungen; aber ehe man dem Parlament eine Entscheidung zumutet, muß man doch wissen, was aus diesen Verhandlungen herauskommt!
Ich meine, diese Methode der parlamentarischen Behandlung so wichtiger internationaler Verträge ist tatsächlich einmalig.
Meine Damen und Herren, dieser Tatbestand ist um so bedauerlicher, weil eine Notwendigkeit, die Saarfrage in diesem Augenlick und in dieser Form zu lösen, aus der Sache selbst nicht gegeben war.
Aber wie ist die Lage? Vor die Wahl gestellt, die französische Unterschrift unter die Verträge über die Aufrüstung nur unter der Bedingung der Unterzeichnung dieses Saarstatuts erhalten zu können oder die Unterzeichnung des gesamten Vertragswerks hinauszuschieben, hat der Herr Bundeskanzler sich für die Annahme des Ultimatums der Unterzeichnung des Saarstatuts entschieden;
und wir sind der Meinung: der hier gezahlte Preis ist nicht zu verantworten.
Er ist zu hoch sowohl im Hinblick auf das Schicksal der Bevölkerung an der Saar als auch im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen, die dieser Schritt bei zukünftigen Friedensverhandlungen für die Verhandlungsposition einer gesamtdeutschen Regierung haben kann.
Meine Damen und Herren, das Saarstatut ist ein Opfer, und wir meinen, es ist unter jedem Gesichtspunkt ein unzumutbares Opfer.
Denn was wird seine Folge sein? Eine befriedigende Regelung an der Saar? Eine Befriedung des Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland? Ein Musterbeispiel für einen europäischen Status? Keines von dreien! Übrigbleiben werden immer neue Kontroversen, Differenzen und Bitternisse zwischen Frankreich und Deutschland, weil unter den Worten und Begriffen, die man unterschrieben hat, jeder der Beteiligten etwas anderes versteht.
Meine Damen und Herren! Für welchen Zweck wurde das Opfer dieses Saarstatuts gebracht? Für die Unterschrift unter die Verträge, die heute außer dem Saarstatut hier zur Beratung stehen. Über die Konsequenzen der Ratifizierung dieser Verträge im Hinblick auf die Aussichten auf eine deutsche Wiedervereinigung habe ich schon gesprochen. Unabhängig davon möchte ich meine Bernerkungen verstanden wissen, die ich hier zu den Verträgen selbst zu machen habe.
Was den neuen Generalvertrag angeht, so begrüßen wir Sozialdemokraten wie Sie alle jede vertragliche Regelung, die das Besatzungsstatut ablöst und uns die Möglichkeiten der freien Entscheidung über unser Schicksal zurückgibt. Eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Westmächten ist einem uns auferlegten Besatzungsstatut vorzuziehen. Aber die Form der vertraglichen Regelung erhöht auch unsere Verantwortung. Sie verpflichtet uns als Partner. Aber sie gibt uns auch das Recht einer eingehenden Prüfung des Inhalts und der Konsequenzen. Wir behalten uns das Recht ausdrücklich für die Ausschußberatungen und für die zweite Lesung vor. Ich möchte aber heute in diesem Zusammenhang noch einmal davor warnen, das neue Vertragswerk als die Basis unserer wiedergewonnenen Souveränität zu feiern. Die Vorbehaltsrechte der Westmächte bleiben auch bei liberalster Auslegung so weitgehend, daß von einer Souveränität im üblichen Sinne des Wortes nicht gesprochen werden kann. Es entspricht mehr dem tatsächlichen Sachverhalt, wenn wir den durch den neuen Generalvertrag zu schaffenden Zustand als das Recht zur Ordnung unserer eigenen inneren Angelegenheiten bezeichnen. Allerdings, auch hier müssen wir, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, erhebliche Rudimente einer alliierten Gesetzgebung der ersten Nachkriegszeit übernehmen. Sie sind vor allem deshalb schwer zu ertragen, weil sie mehr in die Periode der Morgenthau-Politik als in die Periode der Partnerschaft in einer freien Welt gehören.
Meine Damen und Herren! Inzwischen hat sich weiter herausgestellt, daß sich die optimistische Auffassung des Herrn Bundeskanzlers über die Konsequenzen des Fortfalls der sogenannten Notstandsklausel nicht bestätigt hat. Als ich ihn in der Debatte am 7. Oktober fragte, ob diese Aufhebung der Notstandsklausel nicht die Konsequenz eines neuen Artikels 48 habe, antwortete der Herr Bundeskanzler mit einem geradezu fröhlichen: „Nein!" Heute stellt sich heraus, daß das offensichtlich ein Irrtum war; denn heute finden wir in seiner Rede die Ankündigung einer entsprechenden Gesetzgebung.
— Wir nehmen Kenntnis, Herr Kollege von Brentano, von der Mitteilung des Herrn Bundeskanzlers, daß die Bundesregierung nicht die Einführung einer fast unbeschränkten Gewalt nach dem Muster des Art. 48 der Weimarer Verfassung beabsichtigt; aber wir bleiben skeptisch. Auf das Nein von Gestern ist das Ja von Heute gefolgt, und wir sind sehr gespannt, wie das Ja praktisch aussieht.
Wir haben da auch unsere eigenen Besorgnisse. Es gibt in der Bundesrepublik schon wieder Leute, die sich auf einen Ausnahmezustand vorbereiten.
Ich denke dabei z. B. an die sogenannten Manöver des Grenzschutzes.
— Vielleicht hören Sie zwei Minuten zu; ich will ja diese Bemerkung auch begründen. — Die Öffentlichkeit ist bei dieser Gelegenheit in verschiedener Beziehung überrascht worden. Bis jetzt glaubte sie, es handle sich um eine Polizeitruppe. Jetzt hören wir von Divisionen, von der Notwendigkeit einer Verstärkung auf 60 000 Mann, von schwerer Ausrüstung und ähnlichen Dingen. Aber noch aufschlußreicher ist das angenommene Manöverziel. Die Aufgabe des Grenzschutzes war es, zu verhindern, daß im Industriegebiet Nürnberg — Fürth ein Aufruhr aus der sowjetisch besetzten Zone Unterstützung erhält.
Diese Unterstützung sollte verhindert und der Aufruhr unterdrückt werden.
Meine Damen und Herren, wir werden der Bundesregierung noch die Gelegenheit geben, sich zu dieser Angelegenheit in aller Ausführlichkeit und Öffentlichkeit zu äußern, damit das Volk weiß, was hier für ein Spiel getrieben wird und von wem es gespielt wird.
Ich hoffe, daß in der Zwischenzeit der Herr Bundeskanzler schon auf Grund seiner Abneigung gegenüber allen militaristischen Spielereien hier einmal nach dem Rechten sieht und diesen Unfug schnellstens abstellt.
Wenn nämlich solche Vorstellungen Schule machen, dann kann die Sache unter einem neuen deutschen Ausnahmerecht ja sehr munter werden.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem neuen Status der Bundesrepublik interessiert uns nun auch noch eine andere Frage. Es ist z. B. im Saarstatut davon die Rede, daß die in dem Statut vorgesehene Regelung bis zum Abschluß eines Friedensvertrages —eines Friedensvertrages! — in Geltung bleiben soll. Früher sprach man immer von dem Friedensvertrag, der zwischen einem wiedervereinigten Deutschland und den früheren Kriegsgegnern Deutschlands abgeschlossen werden muß. Nun ist in amtlichen Erläuterungen ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß diese jetzige Änderung bewußt erfolgt sei, weil man ja nicht wisse, wann und ob ein Friedensvertrag für ganz Deutschland zustande komme, so daß man auch die Möglichkeit eines Friedensschlusses zwischen der Bundesrepublik und den drei Westmächten ins Auge fassen müsse.
Meine Damen und Herren, eine solche Auffassung steht in striktem Widerspruch zu der bisher von allen Beteiligten vertretenen Auffassung, daß die Bundesrepublik eine provisorische Lösung darstelle und daß der Friedensvertrag nur mit einer gesamtdeutschen Regierung verhandelt werden könne. Wir wenden uns ausdrücklich und in aller Form gegen eine Politik, die den Abschluß eines Friedensvertrages zwischen einem Teil Deutschlands und ,den Westmächten zum Ziel hat. Angesichts der wachsenden Tendenz, europäische und internationale Regelungen auf der Basis des Status quo, der Teilung Deutschlands, zu suchen, gewinnt
diese Frage eine erhöhte aktuelle Bedeutung, und wir erwarten hier von der Bundesregierung eine eindeutige Erklärung, daß eine solche Auslegung der Änderung des Textes nicht ihren Auffassungen entspricht.
Meine Damen und Herren, ich möchte einige Bemerkungen zu den beiden anderen Verträgen machen. Was den sogenannten Truppenvertrag angeht, so möchte ich nur sagen, daß die Anwesenheit ausländischer Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik angesichts der gegenwärtigen internationalen Situation von uns bejaht wird. Die Gemeinsamkeit unserer Interessen mit denen der Westmächte schließt die Stationierung alliierter Truppen auf deutschem Boden ein. Daß diese Auffassung von der großen Mehrheit unserer Bevölkerung geteilt wird, beweist das im ganzen gute Verhältnis zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Truppen. Soweit die notwendige vertragliche Regelung des Status dieser Truppen auf dem Boden der Bundesrepublik in Frage kommt, finden wir aber auch nach den neuen Vertragstexten keine Erklärung dafür, warum der Status der in der Bundesrepublik stationierten Truppen nicht in der gleichen Weise geregelt werden kann wie der Status der in Frankreich oder Großbritannien stationierten amerikanischen Truppen.
Die bis jetzt dafür gegebenen Erklärungen befriedigen uns in keiner Weise. Im Grunde ist wohl in diesem Vertrag am deutlichsten das Bestreben sichtbar, möglichst viel von den Vorrechten des Besatzungsregimes in einer solchen vertraglichen Regelung sicherzustellen. Hoffentlich wird hier in den von dem Herrn Bundeskanzler angekündigten neuen Verträgen eine grundlegende Änderung getroffen.
Die Aufnahme der Bundesrepublik in den Brüsseler Pakt und in den Nordatlantikpakt ist auch eine innenpolitische Frage von größter Bedeutung; denn die Aufrüstung der Bundesrepublik bedeutet auch die Einbeziehung der Bundesrepublik in die wirtschaftliche Wiederaufrüstung. Wir bejahen gerade auf diesem Gebiet den Versuch einer internationalen Kontrolle; denn sie kann eine gewisse Garantie dafür sein, daß Militär und Rüstungsindustrielle nicht ihre eigene Politik betreiben. Wir gehen dabei allerdings davon aus, daß alle Beteiligten in der gleichen Weise und unter den gleichen Bedingungen dieser Kontrolle unterworfen werden.
In unserem speziellen Fall wird freilich noch zu untersuchen sein, welche Auswirkungen Rüstungskontrolle und Rüstungspool für die deutsche Wirtschaft haben werden. Wir wünschen nicht, daß das Ruhrgebiet noch einmal eine Waffenschmiede wird. Aber wenn sich im Zuge der strategischen Planungen von NATO und der Konzentration der Schwerindustrie im Westen Europas ein neuer, verstärkter Sog nach dem Westen entwickelt, wenn sich eine Art Schumanplan der Aufrüstung entwickelt, dann entstehen Gefahren für die gesamte deutsche Wirtschaft, die leicht zu einer schweren sozialen Erschütterung des Gefüges unserer Bundesrepublik führen könnten. Wir werden diesen ganzen Fragenkomplex erst dann in seiner vollen Bedeutung übersehen können, wenn wir die Resultate der im Januar beginnenden Verhandlungen über einen Rüstungspool übersehen können. Aber die Frage erscheint uns so wichtig, daß wir sie heute schon angeschnitten haben möchten.
Ein anderes Kapitel, meine Damen und Herren, ist die finanzielle Auswirkung der deutschen Aufrüstung. Mein Freund Erwin Schoettle hat diese Frage bei der ersten Lesung des Haushalts in der vorigen Woche angeschnitten. Damals ist uns eine ausführliche Stellungnahme in dieser Debatte in Aussicht gestellt worden. Wir haben sie heute nicht erhalten.
Der Hinweis, man wolle die Lasten der Verteidigung begrenzen, um eine Gefährdung der sozialen Sicherheit zu vermeiden, ist in keiner Weise ausreichend.
Wir sind sehr daran interessiert, zu erfahren, welche Vorstellungen — konkret — die Regierung für die Lösung des finanziellen Problems hat. Wir brauchen uns wohl nicht darüber zu unterhalten, daß die im Etat für 1955 vorgesehenen 9 Milliarden DM unsere Verpflichtungen nicht decken werden. Nach alliierten Berechnungen, die gerade heute veröffentlicht worden sind, wird der deutsche Verteidigungsbeitrag den Bundeshaushalt in den ersten drei Jahren des Aufbaus der deutschen Streitkräfte jährlich 15,9 Milliarden DM kosten.
Das ist schon erheblich mehr. Aber auch dabei sind die Kosten der Erstausstattung nicht einbegriffen.
Gehen wir den Weg, den Sie, meine Damen und Herren , gehen wollen und den die Pariser Verträge vorsehen, dann stehen wir im zweiten Abschnitt der Aufstellung der Streitkräfte, also etwa in drei Jahren — dem Zeitraum, von dem man immer spricht —, vor Ausgaben von insgesamt rund 100 Milliarden DM.
Bei dem Gesamtaufwand von rund 27 Milliarden DM in einem Etatsjahr ist offensichtlich, daß diese Leistungen auf normalem Wege nicht aufzubringen sind. Meine Damen und Herren, ich glaube, es kommt darauf an, daß wir auch diese Seite in ihrem vollen Ernst sehen.
Die Kosten der Verteidigung sind eine schwere Last für jedes Land. Wenn wir überzeugt wären, daß es sich bei dieser Form der deutschen Wiederaufrüstung um eine sinnvolle Verteidigung handelt, dann würden wir auch konkret über die Möglichkeit der finanziellen Lösung dieses Problems hier zu verhandeln haben. In unserem Fall geht es aber noch um ein ganz anderes Problem. Bis heute hat das deutsche Volk überhaupt keine Klarheit über die Kosten des Experiments und über die Vorstellungen der Regierung darüber, wie sie diese Kosten aufzubringen gewillt ist.
Eine so schwere und weittragende Angelegenheit wie die Wiederaufrüstung in Deutschland in all ihren Aspekten ist nur zu lösen mit einem Maximum von Vertrauen und Offenheit gegenüber der Bevölkerung.
In dieser Beziehung ist nichts geschehen. Der Herr
Bundeskanzler hat uns auch nicht andeutungsweise
darüber aufgeklärt, wie er und seine Regierung
die Lösung sich vorstellen. Allerdings, ich gebe zu, für Sie mit Ihrer Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik ist diese Antwort außerordentlich schwer; denn in einer Demokratie unserer Tage können Sie ohne die Gefahr einer Staatskrise solche Rüstungslasten nur durchsetzen, wenn Sie ein vernünftiges Verhältnis zwischen den Kosten der militärischen Verteidigung und den Kosten für eine Politik der sozialen Sicherheit finden.
Das ist bei diesem Ausmaß der Lasten nur zu erreichen mit einer Politik der Planung, die die Verteidigung nach außen und die soziale Sicherheit
nach innen als ein Ganzes sieht. Nur so kann eine
Demokratie im Kalten Krieg erfolgreich bestehen.
Die Schwierigkeit des Problems liegt natürlich darin, daß die gegenwärtige Wirtschafts-, Finanz-und Steuerpolitik der Bundesregierung dieses Problem bis jetzt nicht einmal gesehen hat.
Wir haben nichts darüber an Aufklärung und konkreten Vorstellungen erfahren,
und wir sind auf dem besten Wege, unter anderen Umständen und mit anderen Fehlleistungen wieder in eine Politik der unabsehbaren Konsequenzen hineinzuschliddern.
Die materiellen Auswirkungen des Beschlusses, die Bundesrepublik wieder aufzurüsten, werden das soziale Gefüge unseres Landes bis in seine Grundfesten erschüttern, wenn Sie die finanzielle Seite nicht mit der allergrößten Sorgfalt und mit dem allergrößten Ernst in Angriff zu nehmen bereit sind.
Wenn wir die Verantwortung als Regierungspartei hätten und wenn wir von der Notwendigkeit eines Verteidigungsbeitrags im Sinne der Pariser Verträge überzeugt wären, dann würden wir Ihnen mit den Ratifizierungsverträgen eine Finanz- und Steuervorlage unterbreiten, damit jeder in der Bundesrepublik wüßte, was sein persönliches finanzielles Opfer für eine solche Politik darstellte.
Es ist unmöglich, in einer Demokratie, die ihre Verteidigung nur auf der Basis des Vertrauens des Volkes aufbauen kann, ein Volk über die Konsequenzen solcher Entscheidungen im unklaren zu lassen und nicht offen die Tatbestände auf den Tisch zu legen.
Die Regierung hat offensichtlich die Hoffnung, daß diese Last wesentlich erleichtert wird durch die Hilfe aus dem Ausland, vor allem bei der Erstausstattung, durch die Lieferung der Waffenarten, die wir nicht selbst herstellen dürfen. Wir werden in den Ausschüssen noch über dieses Problem reden. Aber wäre es nicht an der Zeit für Sie, meine Damen und Herren, die Sie diese Verträge wollen, daß Sie den jungen Menschen, die nach Ihrem Willen den Waffenrock wieder anziehen sollen, auch einmal sagen, mit welchen Waffen sie ausgerüstet werden?!
Ich will mich hier auf keine militärtechnische Debatte einlassen. Aber ich sage Ihnen eins: als Staatsbürger habe ich ein Recht, zu fragen, ob mein Junge, wenn er schon nach Ihrem Willen Soldat werden sollte, nicht wenigstens die Chance hat, die leistungsfähigsten Verteidigungsmittel zu besitzen, die es gibt.
Es gibt in dieser Beziehung — das möchte ich zum Abschluß sagen — noch ein anderes Problem. Es handelt sich um die psychologische Seite dieser Angelegenheit.
Ich hoffe, niemand in diesem Haus ist sich heute noch darüber im Zweifel, daß die große Mehrheit der jungen Menschen in unserem Volk einen neuen Militärdienst nicht will.
Es handelt sich hier um eine elementare Bewegung von einer Breite und Tiefe, wie wir sie selten in unserem Volk erlebt haben.
Das Törichtste, meine Damen und Herren, was Sie, die Sie für die Verträge sind, tun könnten, wäre, wenn Sie sich damit beruhigen wollten, daß es sich hier um kommunistische Machenschaften oder um eine unpolitische „Ohne-mich-Stimmung" handelt.
Die Kommunisten sind bisher mit ihrem Versuch, auf dieser Ebene die junge Generation für ihre Infiltrationspolitik zu gewinnen, gescheitert.
Dafür sind die Wahlresultate der letzten Wochen ein erfreuliches Zeichen, und ich nehme für die Sozialdemokratie in Anspruch, daß dieses Resultat auch ein Erfolg unserer Politik ist.
Bei aller Ablehnung der Außenpolitik der Bundesregierung haben wir nie einen Zweifel über unseren unüberbrückbaren Gegensatz zu den Kommunisten gelassen.
Bei dieser Kampfstellung gegenüber den Kommunisten wird es bleiben, weil es keine Gemeinschaft zwischen dem totalitären Kommunismus und dem demokratischen und freiheitlichen Sozialismus geben kann.
Diese Position werden wir behaupten trotz der Diffamierungsversuche, die wir auch in den letzten Wahlkämpfen wieder aus den Reihen der Koalitionsparteien erlebt haben.
Das gemeinsame Interesse an der Erhaltung und Stärkung der Demokratie entdeckt man auf Ihrer Seite immer erst, wenn man die eigene Niederlage bei den Wahlen in der Tasche hat.
Der Widerstand gegen die deutsche Aufrüstung bei den jungen Menschen beruht auf einer ganz anderen Ebene. Da ist zunächst ein Denken und Fühlen in diesen jungen Menschen, das ich als Demokrat aus ganzem Herzen begrüße.
Sie haben den Barras satt. Sie wollen nicht noch einmal die ganzen idiotischen Auswüchse eines geistlosen Militarismus erleben,
der die Achtung v or der Würde des Menschen zerstört.
Diese Haltung der jungen Menschen ist mir viel lieber als die jener jungen Deutschen nach dem ersten Weltkrieg, die schon wenige Monate und Jahre nach dem Ende des Schreckens sich wieder wohlfühlten in Uniform und im militärischen Schliff. Wir fanden sie in den Freikorps wieder.
In der heutigen Haltung der großen Mehrheit der jungen Menschen liegt eine große Chance für den Fall, daß wir wieder als freie Nation auch militärische Verpflichtungen zu übernehmen haben. Diese jungen Menschen werden die Miltiärdienstzeit immer als ein Opfer und nicht als eine Krönung ihres Lebens empfinden.
Sie werden auch in der Uniform Staatsbürger und Menschen bleiben wollen.
Wenn dieser Geist lebendig bleibt, dann wären wir in Deutschland endlich auf dem Wege zu einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen Armee und Volk.
Aber wer diese Quellen der Haltung unserer jungen Menschen nicht begreift, der soll nicht zu ihnen über deutsche Aufrüstung sprechen.
Es gibt noch ein zweites Element in der Haltung dieser jungen Menschen. Es ist eine politische Überlegung. Es ist ein Argument, das Sie alle kennen, nämlich das Argument: Hat das Opfer, das man von uns verlangt, noch einen Sinn? Solange diese jungen Menschen nicht durch eine überzeugende Anstrengung der Mächtigen dieser Welt für eine friedliche Lösung des deutschen Problems sich selbst überzeugt fühlen, daß es keinen anderen Weg gibt als den, durch die Organisation der freien Welt unsere Freiheit und unser Leben zu verteidigen, so lange werden sie ihre Skepsis nicht überwinden können.
Und diese überzeugende Anstrengung ist bisher nicht gemacht worden, von beiden Seiten nicht.
Das Unverständnis der Sowjets für die Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Freiheit überrascht die jungen Menschen nicht.
Viele von ihnen haben nach den schrecklichsten Erfahrungen, die ein junger Mensch machen kann, nichts anderes erwartet. Aber, meine Damen und Herren, sie zweifeln auch an uns, an dem Westen.
Das ist bitter. Sie sind nicht davon überzeugt, daß es unausweichlich und sinnvoll ist, das von ihnen verlangte Opfer zu bringen.
Meine Damen und Herren, das ist nicht nur die Sorge einer Jugend, die in ihrem Skeptizismus viel reifer ist, als viele Erwachsene es wahrhaben wollen.
Millionen von Menschen, die unser politisches Leben mit Leidenschaft und Anteilnahme verfolgen
— vor allem auch gläubige Christen beider Konfessionen, darunter bewährte und angesehene Männer in hohen kirchlichen Funktionen —, bangen doch auch um zwei Dinge: Können wir es vor unserem Gewissen verantworten, mit dieser Aufrüstung der Bundesrepublik vielleicht für lange Zeit den Trennungsstrich zwischen uns und den Brüdern in der sowjetisch besetzten Zone zu ziehen, und können wir unseren Jungen das Opfer
— jeder Militärdienst ist ein Opfer im Leben eines freien Menschen — zumuten, das jetzt verlangt wird? Meine Damen und Herren, wir sind vor eine Entscheidung gestellt worden, die nicht nur eine politische Entscheidung ist, sondern die zugleich Millionen von Menschen in unserem Volke auch als eine letzte menschliche Entscheidung empfinden.
In dieser sehr ernsten Lage ist es unser Anliegen, daß wir auch aus diesem Grunde nicht fortfahren in der Behandlung dieser Verträge vor einem neuen Versuch zu einer friedlichen Regelung der deutschen Frage und zu einer friedlichen Regelung der europäischen Sicherheit durch Verhandlungen zwischen den vier Besatzungsmächten. Die Verantwortung, die die Durchführung der Politik der Pariser Verträge und ihre Auswirkungen für das gesamtdeutsche Schicksal und für das persönliche Schicksal so vieler Menschen enthalten, kann man nur tragen, wenn jeder menschenmögliche Versuch gemacht worden ist, um die Gefahr einer dauernden Teilung unseres Volkes und die Gefahr schwerer seelischer Konflikte für Millionen von Menschen unseres Volkes zu vermeiden. Heute liegt die Entscheidung noch in unserer Hand. Morgen kann es zu spät sein.