Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich fahre also dort fort, wo ich unterbrochen worden bin.
Alle Schichten und Stände der Bevölkerung haben mit ihrer Arbeit und mit ihrer bewiesenen politischen Einsicht dazu beigetragen, Deutschland aus dem Chaos wieder herauszuführen. Die Entwicklung ist auch wesentlich gefördertworden durch die Hilfe und Unterstützung, die Deutschland bei seinem politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau von den freien Nationen zuteil geworden ist.
Dennoch waren die Schwierigkeiten und widrigen Umstände so ungeheuerlich, war unsere Lage im ganzen gesehen so voller Gefahren, daß ohne eine klare und zielbewußte Arbeit sehr leicht alle unsere Bemühungen hätten scheitern können.
Ich möchte für einen Augenblick die Zeit nach dem ersten Weltkrieg in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Damals wurde Deutschland von einer Reihe
schwerer innerer Unruhen erschüttert. Dem KappPutsch folgte der kommunistische Aufstand im Ruhrgebiet. Den Unruhen in Oberschlesien schlossen sich kommunistische Aufstände in Mitteldeutschland und in Hamburg an. Erzberger und Rathenau wurden ermordet. Die Besetzung des Ruhrgebiets rief den Ruhrkampf hervor. Die Lage wurde oft so unhaltbar, 'daß der Ausnahmezustand ausgerufen werden mußte.
Zwischen dem Reich und den Ländern entstanden schwere Konflikte. Verschiedentlich war die Reichsregierung gezwungen, die Reichswehr einzusetzen. So mußte sie im Freistaat Sachsen einmarschieren. Blutige Straßenkämpfe waren an der Tagesordnung. Nach dem Hitler-Putsch in München wurde die vollziehende Gewalt infolge dieses und anderer revolutionärer Ereignisse von Reichspräsident Ebert dem Chef der Heeresleitung übertragen. Nach vorübergehender Beruhigung kam es im Winter 1928/29 zu einer weiteren Erschütterung, die den radikalen politischen Gruppen neuen Auftrieb gab und die Entwicklung einleitete, die schließlich nach einer Serie von wirtschaftlichen und finanziellen Krisen und bei steigenden Arbeitslosenziffern zur nationalsozialistischen Machtübernahme führte.
Ich glaube, daß wir heute im Vergleich dazu mit Genugtuung auf die Lage der Bundesrepublik sehen können.
Die radikalen Gruppen sind durch das Ergebnis der Wahlen zu politischer Bedeutungslosigkeit verurteilt worden, sichere Rechtsverhältnisse herrschen, es ist nahezu Vollbeschäftigung eingetreten, die öffentlichen Finanzen sind gesund, jedermann kann in persönlicher Sicherheit und in Freiheit leben und seiner Arbeit nachgehen.
Diese gesunde Entwicklung soll durch die Pariser Verträge auch weiterhin gewährleistet und die Nachkriegsperiode formal abgeschlossen werden. Die Verträge beenden das Besatzungsregime. Sie enthalten Regelungen, wie sie normalerweise in einem Friedensvertrage enthalten sind, und stellen insofern in gewissen Teilen einen Vorfriedensvertrag dar.
Sie regeln aber nicht nur das Vergangene, sondern sie begründen auch neue, zukünftige Verhältnisse. Sie begründen insbesondere eine europäische Gemeinschaft, die zu den bereits bestehenden europäischen Organisationen tritt und mit ihnen harmonisch zusammenwirken soll. Aus der Erkenntnis heraus, daß eine europäische Gemeinschaft nur dann lebensfähig ist, wenn sie nicht ständig durch deutsch-französische Spannungen beunruhigt und gefährdet wird, sollen Deutschland und Frankreich ihre Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen. Hier findet auch das Saarabkommen seinen Platz im Gefüge ides ganzen Vertragswerkes. Schließlich führen die Verträge Deutschland in ein mächtiges, weltweites Verteidigungssystem, in dem Deutschland
den höchsten Grad der Sicherheit findet, der bei der gegenwärtigen Weltlage zu erreichen ist.
Damit wären neun Jahre nach Kriegsende die meisten der Probleme, die uns die Vergangenheit überlassen hat, geregelt und die Bahn freigemacht für eine Zukunft, in der das deutsche Volk gemeinsam mit den ihm befreundeten Mächten im Frieden die Früchte seiner Arbeit genießen kann.
Aber es ist bisher nicht gelungen, die vornehmste Aufgabe der deutschen Außenpolitik, die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit, zu lösen. Wir haben zu jedem Zeitpunkt der politischen Arbeit der Bundesregierung gefragt: nützt oder schadet das, was wir vorhaben, der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit? Wir haben diese Frage auch immer wieder bei der Vorbereitung und beim Abschluß der neuen Vertragswerke gestellt.
Unsere Absicht war, die Bundesrepublik Deutschland zu einem lebendigen, gesunden Staatswesen zu machen, das getragen ist von der freiwilligen Zustimmung und Mitarbeit der ganzen Bevölkerung und das bereit und in der Lage ist, die terrorisierte, ausgeblutete Sowjetzone am Tage der Wiedervereinigung zu tragen und zu stützen.
Unsere Kraft muß ausreichen, um auch den Menschen in der Sowjetzone die innere und äußere Freiheit zu geben, die wir hier in der Bundesrepublik errungen haben. Diese Kraft muß auch ausreichen, um die wirtschaftlichen Aufgaben, die sich bei der Wiedervereinigung in der Sowjetzone und den deutschen Ostgebieten stellen, zu bewältigen.
Das Vertragswerk macht die Bundesrepublik erst fähig, die Spaltung Deutschlands zu beseitigen und die sich mit der Wiedervereinigung stellenden Aufgaben zu bewältigen.
Ich wiederhole die dem Hohen Hause bereits mehrfach dargelegte Auffassung der Bundesregierung, daß eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit nur möglich ist im Zuge einer allgemeinen Entspannung des Ost-West-Konflikts.
Die großen Mächte werden sich entsprechend ihren vertraglichen Verpflichtungen bei kommenden Verhandlungen für unsere Wiedervereinigung solidarisch einsetzen. Ich weise erneut darauf hin, daß alle Regierungen der Mitgliedstaaten des Nordatlantikpaktes sich der Erklärung der Drei Mächte vom 3. Oktober 1954 zu dieser Frage angeschlossen haben. Sie erklären also, daß die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundlegendes Ziel ihrer Politik ist. Ich sehe nicht, meine Damen und Herren, wie heute eine bessere Basis für die Wiedervereinigung Deutschlands gewonnen werden könnte.
Die Politik, die die Bundesrepublik sowohl als Mitglied der Westeuropäischen Union als auch des Nordatlantikpaktes verfolgen wird, indem sie getreu den Satzungen dieser Organisationen ihre Rechte ausübt und ihre Pflichten erfüllt, enthält keinerlei Elemente, die einer internationalen Entspannung abträglich sein könnten.
Im Gegenteil, beide Organisationen setzen sich die Entwicklung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen ihrer Mitgliedstaaten zum Ziel und sind in ihren militärischen Teilen ausschließlich defensiv aufgebaut.
Sie enthalten alle Elemente eines Systems kollektiver Sicherheit.
Die Frage, ob die Bildung eines Systems kollektiver Sicherheit den Ost-West-Konflikt entspannen und die Beziehungen der freien Welt zur Sowjetunion und den mit ihr verbündeten Staaten normalisieren könnte, ist seit dem Sommer vorigen Jahres oft Gegenstand unserer Überlegungen gewesen.
Um Sicherheit vor einer sowjetischen Aggression zu finden, haben sich die Staaten der freien Welt zu Verteidigungsbündnissen zusammengeschlossen. In Europa soll dieser Vorgang nach dem Scheitern der EVG durch die Erweiterung des Brüsseler Paktes und durch den Eintritt der Bundesrepublik in die NATO abgeschlossen werden.
Die sowjetische Propaganda versucht im Zusammenhang mit der jüngsten Konferenz der Ostblockstaaten den Eindruck zu erwecken, daß Sowjetrußland bedroht werde. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, meine Damen und Herren, daß die Westmächte mit ihren Verteidigungsanstrengungen erst begonnen haben, nachdem klar erwiesen war, daß die Sowjetunion nicht daran dachte, ihre hochgerüsteten Streitkräfte zu vermindern, und daß sie bereit war, diese Streitkräfte mindestens psychologisch für die Verfolgung ihrer unverändert expansiven Politik einzusetzen.
Es ist, meine Damen und Herren, eine alte Taktik des Kommunismus, den Angriff stets in der Sprache der Verteidigung zu führen.
Das heißt, man bereitet den Angriff vor, und wenn der, dem dieser Angriff gelten soll, daraufhin seinerseits entsprechende, defensive Maßnahmen trifft, sagen die Kommunisten, man bedrohe sie.
Dieser Taktik folgend hat die Sowjetunion gegen Ende der Berliner Konferenz und seitdem mehrmals Vorschläge für ein System kollektiver Sicherheit gemacht, das die Verteidigungsorganisationen des Westens in Europa auflösen, die Vereinigten Staaten ausschalten, die militärische Einheit des Ostblocks aber aufrechterhalten und die Sowjetunion zur vorherrschenden Militärmacht eines ganz Europa umfassenden Systems machen würde.
Ein derartiges System würde ihr nicht nur den lange angestrebten Einfluß auf ganz Deutschland, sondern auf die Dauer auch auf alle anderen freien Staaten Europas gewährleisten.
Die Sowjetunion hat neuerlich den Abschluß eines derartigen Systems als eine Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands genannt. Damit hat sie die Frage der Wiedervereinigung mit einem neuen Problem verknüpft, nachdem sie bereits früher die Beendigung der Teilung Deutschlands mit anderen weltpolitischen Problemen, z. B. mit der Anerkennung Rotchinas, seiner Aufnahme in die UNO, mit dem Korea-Problem, mit Abrüstungsfragen, mit dem Verbot der ABC-Waffen, mit der Beseitigung amerikanischer Stützpunkte in England, Frankreich, der Türkei und anderen Ländern in Zusammenhang gebracht hatte.
Die Bundesregierung und die anderen Regierungen der freien Staaten müssen, wenn sie sich mit den Plänen für ein Sicherheitssystem unter Einschluß der Sowjetunion befassen, darauf bedacht sein, daß sie keine Vereinbarungen treffen, die die Teilung Deutschlands verewigen.
Mit anderen Worten: Es ist für den Westen nicht zumutbar, daß ein Sicherheitssystem auf der Grundlage des Status quo zustande kommt und dabei der gegenwärtige, völlig untragbare Zustand der Teilung Deutschlands sanktioniert wird.
In Anbetracht unserer besonderen Verantwortung und Verpflichtung, die Teilung Deutschlands zu überwinden, habe ich unsere Auffassungen über den Zusammenhang zwischen der Sicherheitsfrage und der Wiedervereinigung den Alliierten frühzeitig mitgeteilt.
Die Bundesregierung hat den Gedanken, Sicherheitsabsprachen zu treffen, verschiedentlich auch öffentlich ausgesprochen und mit den Westalliierten erörtert. Darüber hinaus haben wir auf die großen und guten Möglichkeiten hingewiesen, die auf wirtschaftlichem Gebiet bestehen und die für die Völker des Ostens von wirklicher Bedeutung sein können.
Es ist hin und wieder angenommen worden, man wolle, indem man über die Möglichkeiten eines Sicherheitsabkommens spreche, die Staaten des Ostblocks ermuntern, eine Militärallianz aufzubauen, mit der dann entsprechende Abmachungen getroffen werden können. Meine Damen und Herren, ich denke, hier hegt niemand Zweifel darüber, daß im Osten Europas ein hochgerüsteter, durchorganisierter und absolut unter sowjetischer Kontrolle stehender Militärblock bereits seit langem besteht.
Worauf es mir ankommt, ist, die Forderung an die sowjetische Führung zu stellen, in ihrem System ähnlich den Prinzipien der Westeuropäischen Gemeinschaft und des Nordatlantikpakts defensive Grundsätze einzuführen, die Effektivstärken herabzusetzen sowie die Rüstung zu beschränken und einer kollektiven Kontrolle zu unterwerfen.
Die Sowjetunion hat sich nun zunächst auf der Moskauer Konferenz und in ihrer jüngsten Note deklamatorisch mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Sie glaubt ankündigen zu müssen, daß sie ein militärisches Allianzsystem im Osten aufbauen werde. Das sind Worte, die über die Wirklichkeit nicht hinwegzutäuschen vermögen. Das Allianzsystem des Ostblocks besteht bereits seit langem,
und was wir im Interesse des Friedens fordern, ist, daß es in Richtung auf eine Defensivorganisation
geändert wird. Die Bundesregierung macht sich auch die Vorschläge zu eigen, die die amerikanische Regierung zur Kontrolle der Atomenergie gemacht hat. Ich glaube in der Tat, daß die Sowjetunion, sollte sie auf diese Vorschläge eingehen, davon große Vorteile haben würde. Die dadurch zustande kommende Entspannung würde sich nicht nur in Europa, sondern in allen Teilen der Welt günstig auf die Gestaltung ihrer politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit den freien Staaten auswirken.
Nun hat die sowjetische Führung in letzter Zeit den Begriff der Koexistenz wieder in den Vordergrund ihrer Propaganda gerückt. Die Meinungen gehen darüber auseinander, ob es sich hier um eine Evolution der sowjetischen Zielsetzung oder um eine taktische Maßnahme handelt. Ich halte es für eine taktische Maßnahme.
Bisher ist das Wort Koexistenz in der sowjetischen Propaganda immer dann aufgetaucht, wenn sich der Kreml in einer schwierigen innen- oder außenpolitischen Lage befand,
und es wurde meist von einer Kampagne für die kollektive Sicherheit begleitet. Gegenwärtig ist festzustellen, daß die Parole der friedlichen Koexistenz von Moskau aus vorwiegend gegenüber dem Ausland verwandt wird. In Sowjetrußland selbst wird die Koexistenz verhältnismäßig selten erwähnt und zeigt dann meist das wahre Bild dessen, was man sich in Moskau darunter vorstellt. So schrieb „Kommunist", das ideologische Organ der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, in der diesjährigen Septembernummer, Koexistenz sei derzeit zwar eine „objektive Unvermeidlichkeit", die Ablösung der „überlebten kapitalistischen Ordnung" bleibe jedoch „historisch notwendig".
Sicher ist, daß in der Vergangenheit Koexistenz dazu dienen sollte, der Sowjetunion eine Atempause für das Sammeln neuer Kräfte zu verschaffen. Gleichviel, ob man die sowjetische Kampagne für die Koexistenz als einen strategischen oder einen taktischen Zug ansieht, in jedem Fall ist es unsere Pflicht, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich aus der neuen Lage für die Wiedervereinigung ergeben können. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß alles unternommen werden muß, um die sowjetische Verhandlungsbereitschaft auf ihren echten Gehalt hin zu prüfen.
Die Westmächte haben in ihrer Note vom 29. November an die Sowjetunion ein sehr konkretes Programm für eine Ost-West-Verhandlung aufgestellt, das unsere volle Billigung gefunden hat, weil es unserem nationalen Interesse entspricht. In dieser Note wurde abschließend vorgeschlagen
1. ein Übereinkommen über die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages;
2. Klärung der sowjetischen Haltung zu der Frage freier Wahlen in Deutschland;
3. ein Gedankenaustausch auf diplomatischem Wege über die Fragen, die die europäische Sicherheit betreffen;
4. eine Konferenz der vier Außenminister, sobald sich gute Erfolgsaussichten ergeben und nachdem die Pariser Abmachungen ratifiziert worden sind;
5. eine umfassende Konferenz aller interessierten Staaten, um die sonstigen Probleme der europäischen Sicherheit zu erörtern.
Die Sowjetunion ist bisher — und das gilt auch für ihre Note vom 9. Dezember — eine klare Antwort schuldig geblieben.
Die Sowjetregierung hat vielmehr geglaubt, eine drohende Sprache gebrauchen zu müssen. In der Schlußdeklaration der Moskauer Konferenz ebenso wie in allen ihren Noten warnen die Sowjets vor den Gefahren eines deutschen Militarismus, der die Welt erneut in Flammen setzen werde. Meine Damen und Herren, der deutsche Militarismus ist tot,
und wenn es ein wirksames Mittel dagegen gibt, daß er je wieder zum Leben erweckt wird, dann sind es die Pariser Abkommen!
In Deutschland — darüber sind wir uns alle in diesem Hohen Hause einig — wird die Armee unter dem Gesetz stehen, das vom Bundestag erlassen werden wird.
Über seine Ausführung werden alle, die in Deutschland politische Verantwortung tragen, gemeinsam wachen.
Die Armee hat in der Gegenwart nicht mehr die zentrale Stellung, die sie in der alten Gesellschafts-und Staatsform besaß.
Das Offizierskorps ist kein exklusiver Bund, der politische Ambitionen verfolgt
und in entscheidenden Momenten das Schicksal der Nation in der Hand hält. Nicht zuletzt unter dem Einfluß der Technik wird das Soldat-Sein zu einem Beruf, der gleichgeachtet neben anderen Berufen steht. Er erfüllt seine wichtigen Funktionen in der demokratisch geordneten Gesellschaft, aber, meine Damen und Herren, er beherrscht sie nicht.
Die Argumentation der Sowjetnote wird niemanden überzeugen, weil sie voller . Widersprüche steckt; sie wird niemanden entmutigen können. Die freie Welt — und sie schließt die Bundesrepublik ein — ist nicht in einer Lage, die sie nötigt, sich jeder Pression zu unterwerfen.
Die Sowjets werden verhandeln, nicht trotz sondern gerade wegen des Zustandekommens der Verträge.
Sie finden gerade in der jüngsten Vergangenheit Beispiele, daß Entschlossenheit und Mut, zur rechten Zeit bewiesen, den Nationen ihre Unabhängig-
keit erhalten und ihnen politische Vorteile ebenso wie neues Vertrauen erringen. Ich erinnere Sie an die ständigen sowjetischen Pressionen, denen sich beispielsweise Griechenland, die Türkei und Jugoslawien mit Erfolg widersetzt haben.
Ich erinnere auch an die Lösung der Triestfrage. Ich erinnere daran, daß es den Sowjets nicht gelungen ist, Berlin niederzuzwingen.
Die Sowjets, meine Damen und Herren, respektieren Tatsachen, und Tatsachen werden zu einem Faktor in ihren politischen Überlegungen.
Wir wissen sehr wohl, daß nicht die Armeen allein den Frieden erhalten können. Ohne den Willen eines ganzen Volkes, sich die Freiheit zu erhalten, sich gegen die Sklaverei zu behaupten, wird der Frieden nicht gewonnen werden.
Nur wenn der Geist der Freiheit und der Gerechtigkeit auch unser inneres politisches und soziales Leben in Deutschland bestimmt, dürfen wir sicher sein, daß wir uns Freiheit und Gerechtigkeit bewahren können.
Die Verträge stellen uns in eine Gemeinschaft von Völkern, denen wir durch das Ideal der Freiheit verbunden sind, und erst in ihr, als Ganzes, werden wir genügend Gewicht und Energie besitzen, um erfolgreich mit den Sowjets verhandeln zu können.
Und, meine Damen und Herren, nur wenn wir uns mit der westlichen Gemeinschaft solidarisch verhalten, wird die Welt Vertrauen darin haben, daß unsere Ziele maßvoll und berechtigt sind.
Mit dem Abschluß der Pariser Verträge wird die Bundesrepublik eine sichere Basis gewinnen, von der aus sie die Politik der Wiedervereinigung mit Zuversicht führen kann. Daß wir dabei schon heute der Hilfe aller NATO-Mächte sicher sein dürfen, ist ein Unterpfand für das Gelingen unserer Arbeit für ein freies, ungeteiltes Deutschland.
Die Verwirklichung der Verträge gewährleistet der Bundesrepublik Wohlfahrt, Freiheit und Sicherheit. Sie schaffen die Voraussetzungen dafür, daß ganz Deutschland auf friedlichem Wege einen ehrenvollen Platz in der Gemeinschaft der freien Nationen gewinnen kann. Die Verträge und Abkommen von Paris sind ein wirksames Mittel zur Erhaltung und Festigung des Friedens in Europa und in der Welt.
Die Pariser Verträge vermögen noch mehr. Sie können eine neue Epoche in der Geschichte Europas einleiten. So wie England und Frankreich nach Jahrhunderte währenden Fehden und Kriegen 1904 mit dem Abschluß der Entente Cordiale eine neue Ära in den Beziehungen der beiden Völker eingeleitet haben, die ihr Verhältnis zueinander tiefgehend gewandelt und auf das glücklichste beeinflußt hat, so können die neuen Verträge Deutschland und seine Nachbarn aussöhnen und einen dauernden Bund der europäischen Völker begründen.
Die Einheit Europas war ein Traum von Wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für Viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.
Sie ist, meine Damen und Herren, notwendig für unsere Sicherheit, für unsere Freiheit, für unser Dasein als Nation und als geistig schöpferische Völkergemeinschaft. Uns ist, das ist meine feste Überzeugung, die Entscheidung in die Hand gegeben, Europa und mit ihm Deutschland Frieden und Freiheit zu sichern, die Zeit der europäischen Wirren und Kriege zu beenden. Die Geschichte richtet eine Frage an. uns; sie stellt sie vielleicht, meine Damen und Herren, nur einmal. Geben Sie, die Sie verantwortlich sind für das Geschick des deutschen Volkes, eine Antwort, die wir vor Deutschland und vor der Welt vertreten können.