Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, der Präsident hat das Recht, nach eigenem Ermessen das Wort zur Geschäftsordnung zu erteilen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der SPD, den Punkt 6 der Tagesordnung abzusetzen. Wer für den Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf die Punkte 1 und 2 der Tagesordnung:
1. a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Vorrang von Verhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands ,
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands ;
2. Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Saar .
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Wehner , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge und Anfragen der sozialdemokratischen Fraktion, die ich heute hier zu begründen habe, sind im Laufe der letzten Wochen eingereicht worden. Sie beziehen sich nicht unmittelbar auf die Vertragstexte oder auf die Ratifikationsgesetze, die heute in erster Lesung behandelt werden, aber diese Anträge und Anfragen gehören sachlich zur heutigen Debatte. Sie entstanden aus der durch die Pariser Verträge beeinflußten Lage. Sie enthalten Vorschläge und Anregungen der Sozialdemokraten zur Behandlung der Grund- und Existenzfragen unseres Volkes und Landes, Fragen, die durch die Auseinandersetzung um die Londoner und Pariser Abmachungen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt worden sind. Sie können, meine Damen und
Herren — wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf —, an den Texten dieser Anträge und auch an den Daten ihrer Einreichung erkennen, daß es der sozialdemokratischen Fraktion nicht einfach darauf ankommt, sich kritisch mit den Ergebnissen der amtlichen Außenpolitik zu befassen und auseinanderzusetzen, sondern darauf, zur rechten Zeit auf Mittel und Wege aufmerksam zu machen, von denen wir meinen, daß sie ungeachtet aller tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Opposition und Regierung geeignet sein könnten, durch gemeinsame Bemühungen schwierige Situationen zum Wohle unseres Landes zu meistern.
Es ist unvermeidbar, daß in dem einen oder in dem anderen Punkt unsere Vorschläge durch Ereignisse überholt zu sein scheinen, auf die einzuwirken wir dem Bundestag und der Bundesregierung gerade durch diese Vorschläge Gelegenheit geben wollten. Sie werden es mir hoffentlich nachsehen, wenn ich auch solchen Punkten einige Sätze widme. Sie dürfen versichert sein, daß ich es nicht deshalb tue, um Sie nachträglich zu belehren, sondern daß ich es tue, um Ihnen unser Wollen so darzulegen, daß Sie es, soweit es die leider häufig sehr tiefgehenden Vorurteile zulassen, im Licht dieser inzwischen eingetretenen Ereignisse verstehen können.
So wende ich mich zunächst dem Antrag zu, der die Drucksachennummer 997 trägt. Er betrifft Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands. Als die sozialdemokratische Fraktion diesen Antrag einbrachte, stand die Beantwortung zweier Noten der Sowjetregierung durch die Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte bevor. Sie erinnern sich vielleicht des 18. November, an dem ich durch einen Geschäftsordnungsantrag versuchte, die Mehrheit des Deutschen Bundestages dafür zu gewinnen, diesen Antrag seiner Dringlichkeit wegen auf die Tagesordnung des folgenden Tages, also des 19. November, zu setzen und an diesem Tage zu beraten. Nun steht dieser Antrag also einen Monat später auf der Tagesordnung.
Inzwischen haben die drei Westmächte am 29. November die beiden Sowjetnoten vom 23. Oktober und 13. November beantwortet. Inzwischen hat auch umgekehrt die Sowjetregierung in ihrer Antwortnote vom 9. Dezember zu den Noten der Westmächte Stellung genommen. Dieser Notenwechsel hat es leider offenbar gemacht, daß die Befürchtungen, die wir Sozialdemokraten am 18. November hier aussprachen, voll und ganz begründet gewesen sind. Der Notenwechsel ist in ein Stadium gegenseitiger Ultimaten getreten. Das Klima zur Behandlung des uns am Herzen liegenden Problems der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ist sehr viel frostiger geworden, als es in den letzten Jahren jemals der Fall gewesen ist. Die deutsche Wiedervereinigung droht nicht nur auf Eis gelegt zu werden, sondern wir laufen Gefahr, daß unser Haupt- und Grundanliegen, eben diese Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit, eingeeist wird, weil Ost und West der militärischen Blockbildung den Vorrang vor Viermächteverhandlungen zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu geben im Begriffe sind.
Man muß weit zurückgehen, wenn man in annähernd entsprechender Zahl öffentliche Äußerungen von der Art finden will, wie sie in den letzten Wochen sehr häufig im Ausland publiziert worden sind, Äußerungen, die es als mehr oder weniger selbstverständlich und unvermeidlich hinstellen wollen, daß Deutschland geteilt bleiben werde.
Das Anliegen, das die sozialdemokratische Fraktion mit ihrem Antrag vom 18. November zum Ausdruck bringen wollte, war: der Deutsche Bundestag möge durch eine unmißverständliche Bekundung seines Willens zur unverzüglichen Vorbereitung und Aufnahme von Viermächteverhandlungen für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands den Anstoß dazu zu geben suchen, daß die drei westlichen Besatzungsmächte die von ihnen damals noch nicht beantwortete sowjetische Note vom 23. Oktober mit ihrem Vorschlag zum Eintritt in Viermächteverhandlungen positiv beantworten würden. Dadurch hätte unserer Auffassung nach wahrscheinlich verhindert werden können, daß die Sowjetregierung den in ihrer späteren Note vom 13. November angekündigten Weg ultimativer Drohungen tatsächlich beschritt. Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen: die Sowjetnote vom 23. Oktober enthielt die Sätze:
Die Sowjetregierung ist der Ansicht, daß es Möglichkeiten gibt, ein Übereinkommen zwischen den Staaten in dieser Frage zu erzielen, wenn man von der Anerkennung der unumstrittenen Tatsache ausgeht, daß die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage die Hauptaufgabe ist. Die Sowjetregierung erklärt sich bereit, den auf der Berliner Konferenz von Großbritannien eingebrachten und von Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika unterstützten Vorschlag über die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen erneut zu erörtern. Dabei geht die Sowjetregierung davon aus, daß auch die entsprechenden Vorschläge der Sowjetunion erörtert werden.
So in der Note vom 23. Oktober.
Die Sowjetnote vom 13. November aber enthielt die Erklärung, die Verwirklichung der Londoner und Pariser Abkommen würde — nach Ansicht der Sowjetregierung — bedeuten, daß die Wiedervereinigung Deutschlands durch freie gesamtdeutsche Wahlen eben diesen Londoner und Pariser Abkommen „zum Opfer gebracht" würde, wie es dort heißt. In dieser Note kündigte die Sowjetregierung für den 29. November eine gesamteuropäische Sicherheitskonferenz an, die sie dann auch ungeachtet der Absagen aller Staaten, die nicht im sowjetischen Machtbereich gelegen sind, als eine Rumpfkonferenz der Regierungen ihres unmittelbaren Machtbereichs, einschließlich der Sowjetzonenregierung, durchführte.
Unser am 18. November eingereichter Antrag forderte:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Die Einheit Deutschlands als Staat zu wahren und mit friedlichen Mitteln zu vollenden, bleibt — unbeschadet der Meinungsverschiedenheiten über den politischen Weg — die vordringlichste Aufgabe der deutschen Politik.
2. Der Bundestag fordert Viermächteverhandlungen, deren Ziel es sein muß, freie Wahlen in Deutschland zu ermöglichen, um eine deutsche Regierung zu bilden.
Es darf keine Möglichkeit versäumt werden, zu diesen Verhandlungen zu kommen, denn die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ist eine Gegenwartsaufgabe der Politik,
weil sie zugleich eine Voraussetzung zur Kriegsverhütung und der Sicherheit für die freie Welt ist.
3. Der Bundestag ersucht die Bundesregierung — angesichts der Gefahr, daß nach einer Verwirklichung der Beschlüsse der Pariser Konferenz erfolgversprechende Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands für absehbare Zeit unmöglich sein
könnten —,
a) diese Willenskundgebung des Bundestages den vier Besatzungsmächten in aller Form zur Kenntnis zu bringen;
b) in Besprechungen mit den drei westlichen Besatzungsmächten darauf hinzuwirken, daß diese den in der sowjetischen Note vom 23. Oktober 1954 enthaltenen Vorschlag zu Viermächteverhandlungen über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands positiv beantworten und unverzüglich in Verhandlungen über die Vorbereitung dieser Konferenz eintreten;
c) in den Besprechungen mit den drei westlichen Besatzungsmächten weiter darauf hinzuwirken, daß diese der sowjetischen Besatzungsmacht ausdrücklich ihre Bereitschaft erklären, in den Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands zugleich und im Zusammenhang damit über die Eingliederung Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen zu verhandeln;
d) den drei westlichen Besatzungsmächten vorzuschlagen, der Sowjetregierung in Beantwortung der sowjetischen Note vom 13. November den Vorschlag zu unterbreiten, die Forderung nach einer „gesamteuropäischen Konferenz über ein System der kollektiven Sicherheit" auszusetzen, damit zunächst in Viermächteverhandlungen eine Lösung der mit der Wiedervereinigung Deutschlands zusammenhängenden Probleme gefunden und die Gefahr einer Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands vermieden werden könnte.
Selbst wenn, meine Damen und Herren, die unter Ziffer 3 b, c und d vorgeschlagenen Maßnahmen infolge der inzwischen von den Besatzungsmächten unternommenen Schritte als gegenstandslos bezeichnet werden sollten oder könnten, wäre es unseres Erachtens von Bedeutung, wenn sich die Mehrheit des Bundestages zu der in den Ziffern 1 und 2 unseres Antrags geforderten Willenskundgebung entschlösse und angesichts der unbestreitbaren Richtigkeit der in dem einleitenden Satz der Ziffer 3 ausgedrückten Befürchtung sich auch die Ziffer 3 a unseres Antrags zu eigen machte, d. h., die Bundesregierung ersuchte, diese Willenskundgebung des Bundestages den vier Besatzungsmächten in aller Form zur Kenntnis zu bringen. Ich glaube, daß das, besonders nachdem inzwischen der Text einer neuen sowjetischen Note, die eine Antwort auf eine Note der westlichen Besatzungsmächte darstellt, bekanntgeworden ist, von großer Bedeutung wäre.
Ich bitte Sie um so dringender um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag, als ich schon mit Bedauern habe feststellen müssen, daß der Bundestag am 18. November durch die Ablehnung unseres Vorschlages, den gesamten Antrag als dringlich schon am 19. November zu beraten, die Gelegenheit vorübergehen ließ, rechtzeitig durch eine unüberhörbare deutsche Stellungnahme auf den inzwischen unglücklich verlaufenen Gang der Ereignisse einzuwirken.
Am 22. November hat sich .der französische Ministerpräsident in einer Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Frage von Viermächteverhandlungen befaßt und dabei zum Ausdruck gebracht, er habe nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Osteuropa nach dem Muster Westeuropas organisieren würde. Und weiter sagte er:
Ich versichere, daß ich es gern sehe, wenn nach dem Muster der Westeuropäischen Union eine osteuropäische Verteidigungsgemeinschaft entsteht
— der Ministerpräsident der Republik Frankreich hat zwar betont hinzugefügt:
vorausgesetzt, daß diese osteuropäische Verteidigungsgemeinschaft die für den Westen vorgesehenen Modalitäten in bezug auf die Öffentlichkeit, die Beschränkung und die Kontrolle der Rüstungen übernimmt.
Aber ich fürchte, solche Einschränkungen bleiben wirkungslos, wenn erst einmal die eigentümliche Dynamik militärischer Blockbildungen zur Entfaltung gebracht worden ist.
Der Herr Ministerpräsident von Frankreich hat in dieser Rede den Gedanken zurückgewiesen, unverzüglich zu einer Viermächtekonferenz seine Einwilligung zu geben. Erst müßten, so meinte er, die Pariser Verträge ratifiziert sein. Nach seiner Ansicht hieße es sich auf ein Abenteuer einlassen, wollte man unter anderen Voraussetzungen handeln.
In der von mir schon erwähnten letzten sowjetischen Note vom 9. Dezember aber heißt es in aller brutalen Schroffheit, daß nach der Ratifikation der Pariser Verträge Viermächteverhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands gegenstandslos sein würden. Mir ist keine Stellungnahme der deutschen Bundesregierung zur Kenntnis ,gekommen — ebensowenig eine offiziöse Verlautbarung der doch sonst nicht eben schweigsamen Pressestelle unserer Regierung —, in 'der in geziemender Form darauf aufmerksam gemacht worden wäre, auf welches Abenteuer sich einzulassen man dem deutschen Volke zumuten würde, wenn man ernstlich darauf ausginge, jeden der beiden Teile Deutschlands in einem anderen Verteidigungsblock aufgehen zu lassen.
Leider hat es sogar Stimmen gegeben, die eine gewisse Übereinstimmung zwischen Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers — in den Vereinigten Staaten gemacht — und den eben zitierten Ausführungen des französischen Ministerpräsidenten hervorzuheben suchten.
Der Herr Bundeskanzler hat übrigens am 16. November in der Belgrader Zeitung „Politika" in einem Interview erklärt:
Diese Pariser Vereinbarungen sind die essentielle Vorbedingung für den Aufbau eines Systems allgemeiner Sicherheit und Abrüstung. Es geht nicht darum, sie noch einmal zu erörtern, sondern herauszufinden, ob die Sowjetunion wirklich normale Beziehungen wünscht und was sie in dieser Beziehung zu tun bereit ist.
Zu der Zeit, als der Herr Bundeskanzler das veröffentlichen ließ, hatte die eine der vier Besatzungsmächte, die sowjetische, schon wiederholt ausdrücklich behauptet, daß nach einer Ratifikation und Verwirklichung der Pariser Beschlüsse keinerlei Grundlage für Vier-Mächte-Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands mehr bestehe. Wäre es im deutschen Interesse — das in diesem Falle doch wohl auch ein wohlverstandenes europäisches Interesse genannt werden darf—nicht erforderlich gewesen, herauszufinden — um das Wort zu verwenden, das der Herr Bundeskanzler in anderem Zusammenhang gebraucht hat —, ob es nicht Möglichkeiten gibt, diese Erstarrung zu vermeiden oder abzuwenden?
Seit der von mir zitierten Rede des Herrn französischen Ministerpräsidenten haben sich im Ausland die Stimmen vermehrt, die es für sozusagen ausgemacht halten, daß man zunächst die beiden Blöcke zur Entwicklung bringen oder kommen lassen müsse, um dann zu allmählichen Abrüstungsmaßnahmen zu gelangen. Diese Vorstellung hat ja kürzlich auch in der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg ihren Niederschlag gefunden.
Die sozialdemokratische Fraktion erachtet diese Entwicklung als alarmierend. Deshalb fragt sie in ihrer am 26. November eingereichten Großen Anfrage die Bundesregierung:
1. Ist die Bundesregierung bereit und willens, als deutschen Standpunkt gegenüber den Besatzungsmächten nachdrücklich geltend zu machen, daß diese bei allen Verhandlungen über Sicherheitsabkommen die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch ein Viermächte-Abkommen und die Eingliederung des vereinigten Deutschland in ein europäisches kollektives Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen mit Vorrang betreiben sollen?
2. Ist die Bundesregierung bereit und willens, bei den drei westlichen Besatzungsmächten zu fordern, daß diese nicht sogenannte Sicherheitsabkommen mit der Sowjetunion oder mit Ländern des Ostblockes bei ausdrücklicher oder stillschweigender Hinnahme der Fortdauer der Spaltung Deutschlands schließen?
Zu dem zweiten Abschnitt dieser Anfrage darf ich noch einen erläuternden Satz sagen. Ich möchte darauf hinweisen, daß sowohl im Notenwechsel zwischen den Besatzungsmächten als auch in anderen Verlautbarungen immer wieder von der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit z. B. des französisch-sowjetischen Vertrags vom Jahre 1944 mit den Londoner und Pariser Abmachungen die Rede ist, eine Frage, an deren Klärung wir begreiflicherweise sehr interessiert sein müssen.
Manche der hier bezeichneten Sorgen brauchten uns nicht zu bedrücken, wenn die Mehrheit des Bundestages am 7. Oktober unserem Antrag gefolgt wäre, durch den wir Sozialdemokraten damals versucht haben, anknüpfend an gewisse Punkte der Londoner Schlußakte, die Bundesregierung zu verpflichten, mit den Partnern der Londoner Abkommen Richtlinien für eine gemeinsame aktive Wiedervereinigungspolitik zu erarbeiten und abzuschließen. Der Bundestag überwies damals diesen Antrag dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, der aber eine Erledigung dieses Antrags vor dem Stattfinden der Pariser Konferenz nicht ermöglichte. Unsere Vorschläge von damals waren konkrete Vorschläge für eine im Sinne aktiver Wiedervereinigungspolitik wirksame Kooperation der Bundesrepublik mit den Kräften der freien Welt.
Nachdem dieser Antrag, dem wir solche grundlegende Bedeutung beimaßen, durch das Beharrungsvermögen der Mehrheit dieses Hauses in seinen Forderungen terminlicher Art gegenstandslos geworden ist, obwohl er in der Sache seine Bedeutung behalten hat, müssen wir das Grundanliegen dieses Antrags erneut aufnehmen. Es ist enthalten in dem Ihnen heute vorgelegten Antrag zur Großen Anfrage betreffend Vorrang von Verhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands*). Er lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Die Bundesregierung wird ersucht,
a) durch die unverzügliche Aufnahme von Verhandlungen mit den Regierungen der Republik Frankreich. des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland sowie der Vereinigten Staaten von Amerika darauf zu dringen, daß eine gemeinsame Politik der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit vereinbart und insbesondere ein gemeinsamer Vorschlag ausgearbeitet wird zu dem Ziel, die Freiheit und Sicherheit Deutschlands dadurch zu verwirklichen, daß das ganze Deutschland einem europäischen Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen eingegliedert werden soll,
b) in gleicher Weise auf die drei genannten Regierungen einzuwirken, daß ohne Aufschub Verhandlungen mit der Sowjetunion auf dieser Grundlage aufgenommen werden,
c) den drei westlichen Besatzungsmächten durch eine Note mitzuteilen,
daß das deutsche Volk ein Fortbestehen der Spaltung nicht hinnehmen kann,
daß für das deutsche Volk die Wiedervereinigung in Freiheit das erste und vordringlichste Ziel seiner Politik ist und bleibt sowie
daß jeder Versuch, die Koexistenz des Westens und des Ostens auf die Spaltung Deutschlands zu gründen, zu verhängnisvollen Gefahren führen muß;
2. die Beschlußfassung über die Vertragsgesetze bis zum Abschluß solcher Verhandlungen auszusetzen.
*) Umdruck 280.
Damit, meine Damen und Herren, kann ich diesen Teil meiner Ausführungen zur Begründung der Anträge und Anfragen der sozialdemokratischen Fraktion zum Abschluß bringen.
Dazu erlaube ich mir noch einige zusammenfassende Sätze. Wir Sozialdemokraten möchten der Tendenz entgegenwirken, daß man im Westen, auf dessen Hilfe unser Volk in seinem Bemühen um die friedliche Wiedervereinigung und den Abschluß des Friedensvertrages angewiesen ist, sich der Auffassung hingibt, die Entspannung der internationalen Gegensätze, auf die wir sehnlich hoffen, lasse sich unter Umgehung der deutschen Frage erreichen.
Ein friedliches Nebeneinanderleben der Staaten mit verschiedenen Regimen und Gesellschaftsordnungssystemen kann nicht auf dem zerschnittenen Volks- und Staatskörper eines Volkes be- gründet werden.
Die Bundesregierung, deren Chef kürzlich von einer der bedeutendsten amerikanischen Zeitungen dafür besonders gerühmt worden ist, daß er, wie sie schrieb, der Integration Europas bereitwillig den Vorrang vor der Vereinigung seines eigenen Landes gegeben habe,
und der Herr Bundeskanzler selbst sollten unsere Anträge als Gelegenheit begrüßen und ergreifen, um den Eindruck zu korrigieren, als ließen sie einer Entwicklung ihren Lauf, die der Beibehaltung des Status quo, des geteilten Deutschlands, den Vorrang gibt.
Erfreulicherweise haben sich in letzter Zeit auch manche Persönlichkeiten von Rang und Gewicht in anderen Ländern zur deutschen Frage geäußert, deren Worte von uns in Deutschland als willkommene Hilfe begrüßt und begriffen werden sollten. Solcher Art, meine ich, waren die Erklärungen von George Kennan, dessen Name in diesem Hause keiner besonderen Erläuterung bedarf. Er riet dringend und mahnend, bei militärischen Lösungsversuchen nur Lösungen solcher Art zu wählen, die sowohl die Bundesrepublik als auch die westlichen Verhandlungspartner in die Lage versetzten, bei zukünftigen Verhandlungen in der, wie er hervorhob, lebenswichtigen Frage der deutschen Wiedervereinigung mit der nötigen Beweglichkeit operieren zu können. Es hat sich schon jetzt herausgestellt, daß Kennan zweifellos recht hatte, wenn er davor warnte, eine Mitgliedschaft der Bundesrepublik im Nordatlantikpakt ins Auge zu fassen, weil das mit schweren Rückschlägen verbunden wäre, mit schweren Rückschlägen besonders für die für erforderlich gehaltene Beweglichkeit im Operieren, um den Prozeß der Wiedervereinigung Deutschlands erfolgreich zu führen und zu Ende zu führen. Es geht ja dabei vor allem um die Frage des Status Gesamtdeutschlands, eine Frage, zu der die westlichen Besatzungsmächte im September vergangenen Jahres ihre Bereitschaft für Verhandlungen in aller Deutlichkeit erklärt haben. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom Oktober vergangenen Jahres ausdrücklich und unter Unterstreichung dieser Bereitschaft sich diese Forderung zu eigen gemacht. Inzwischen sind die Mächte von diesem notwendigen Ausgangspunkt für Vier-Mächte-Verhandlungen wieder heruntergegangen. Und das steht wohl in einem Zusammenhang mit der von mir gekennzeichneten Entwicklung.
Aber ich wollte noch eine andere, für uns erfreuliche Stimme in diesem Zusammenhang erwähnen. Der Ministerpräsident von Indien, Pandit Nehru, hat kürzlich Gelegenheit genommen, sich zur deutschen Frage zu äußern. Er fand Worte, für die wir dankbar sein dürfen, indem er sagte: „Was Deutschland angeht, so glauben wir, daß eine endgültige Teilung dieses Landes nicht zu einer Lösung, sondern zu neuer Zwietracht führen wird. Alles, was zu einer Teilung beiträgt, wird daher nicht zum Frieden beitragen. Wir sind der Auffassung, daß der Friede nicht mehr mit militärischen Abmachungen gesichert werden kann, sondern daß man neue Methoden suchen muß, die Angst und Verdacht nicht stützen, wie dies bei der Aufrüstung gewöhnlich der Fall ist."
Und so fuhr Nehru fort: „Ich hoffe jedoch, daß sich eine Verständigung über Deutschland nicht notwendigerweise auf militärische Prinzipien gründen muß, obgleich, das muß ich sagen, die jetzigen Diskussionen gerade diese Seite der Verständigung in den Vordergrund stellen."
Meine Damen und Herren, ich wollte diese Zeugnisse der Anteilnahme an unserer Existenzfrage erwähnen, um uns allen vor Augen zu führen, wie sehr auch außerhalb unserer unmittelbaren Nachbarschaft unsere Probleme Anlaß zu Erwägungen und zu mitfühlenden Sorgen geben. Ein Grund mehr für uns Deutsche, nicht müde zu werden, in dem so schwierigen Prozeß der Entwicklung zu Freiheit und Einheit auch für unser Volk in der Gemeinschaft der Völker immer wieder darauf zu drängen, daß unser Grundanliegen, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit, nicht anderen Interessen geopfert werde.
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, nun noch einige wenige begründende Bemerkungen zu der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion betreffend die Saar zu machen. Auch die Saarfrage betrifft im Grunde genommen die Wiedervereinigung Deutschlands.
Wer hätte denn während der ganzen zurückliegenden Jahre beim Erklingen und Aussprechen des Wortes Wiedervereinigung nicht immer auch an die Saar gedacht!
Bei dem Abkommen über die Saar haben wir es mit dem Versuch einer Regelung zu tun, die nicht zuletzt deshalb so sorgfältig geprüft zu werden verdient, weil eine solche Regelung wesentliche Auswirkungen auf die endgültige Regelung unserer Grenz- und Gebietsfragen im Friedensvertrag überhaupt haben könnte.
Mein Freund Professor Schmid hat heute morgen unter präziser Berufung auf die, ich möchte sagen, erschreckende Gegensätzlichkeit
in der Motivierung dieses Abkommens durch die beiden beteiligten Seiten beantragt, die Beratung dieses Teiles für heute auszusetzen und der Regierung Gelegenheit zu geben, mit ihrem französischen Verhandlungspartner um eine authentische Interpretation bemüht zu sein. Er hat dabei angeboten, daß wir, wenn der Bundestag diesem unserem Ansinnen folgen sollte, auf diese Anfrage und ihre Behandlung heute und auf den Antrag, den wir dazu eingereicht haben, verzichten würden; denn uns geht es dabei um die sachliche Klärung. Sie haben diesem Antrag nicht stattgegeben.
Ich kann deshalb nicht anders, als Ihnen vorzuschlagen, sich mit unserer Anfrage zu befassen und unserem Antrag, der damit im Zusammenhang steht, Ihre Zustimmung zu geben. Wir gehen bei unserer Anfrage davon aus, daß der Bundestag wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, was in der bekannten Entschließung vom 2. Juli 1953 zusammengefaßt worden ist:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, bei der weiteren Behandlung der Saarfrage von folgenden Grundsätzen auszugehen:
1. daß das Saargebiet nach deutschem und internationalem Recht ein Teil Deutschlands innerhalb der Grenzen vom 31. Dezember 1937 ist;
2. daß die zur Zeit im Saargebiet bestehende Ordnung Bestandteil der inneren Organisation Deutschlands ist, welche die Besatzungsmächte. in Ausübung der von ihnen vorübergehend übernommenen höchsten Gewalt eingerichtet haben;
3. daß bei Vertragsverhandlungen und Vertragsabschlüssen durch die Bundesrepublik im Hinblick auf das Saargebiet das Recht in dem Sinne wiederherzustellen ist, daß
a) innerhalb des Saargebietes freiheitliche demokratische Zustände geschaffen werden;
b) der De-facto-Abtrennung des Saargebietes von Deutschland ein Ende gemacht und seine Zugehörigkeit zu Deutschland beachtet wird.
Meine Damen und Herren, in unserer Anfrage fragen wir die Bundesregierung:
1. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die in Paris unterzeichneten Abreden über die Saar durch eine vorläufige Vereinbarung über einen einstweiligen Zustand zu ersetzen, der
a) nichts daran ändert, daß das Saargebiet ein Teil des deutschen Staatsgebietes ist, das von Frankreich innerhalb seiner Besatzungszone besetzt ist,
b) den Deutschen an der Saar die Bürger-und Menschenrechte ohne Einschränkung sichert?
2. Wie gedenkt die Bundesregierung als eine Regierung in Deutschland, die als einzige aus freien Wahlen hervorging, ihrer Pflicht zu genügen, für alle Deutschen, auch die Deutschen an der Saar, zu sprechen, um das Recht für die Deutschen, auch die Deutschen an der Saar, frei in einem geeinten Deutschland zu leben, gegenwärtig und zukünftig zu verteidigen?
Ich glaube, daß diesen Fragen kein kommentierender Satz hinzugefügt werden muß, vielleicht außer dem einen, daß diese Umschreibung der Freiheit und ,der Wahrung der Menschenrechte auch für die Deutschen an ,der Saar in den betreffenden Artikeln des Pariser Saarabkommens nicht nur zwischen den beiden vertragschließenden Partnern, sondern auch in der übrigen Welt schon für die ersten Monate nach dem Inkrafttreten des Statuts zu sehr verschiedenartigen Auslegungen geführt hat.
Nun noch einige Worte zu unserem Antrag*), der Ihnen heute vorgelegt worden ist und der mit dieser Anfrage im Zusammenhang steht. Wir beantragen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, 1. in Verhandlungen mit der französischen Regierung klarzustellen, daß auch die französische Regierung die Bestimmungen der Ziffer VI des Saarabkommens über die politischen Freiheiten im Saargebiet so versteht, daß die politischen Parteien, die Vereine und die Presse keiner Genehmigung mehr unterworfen sein werden und weder vor noch nach dem in Ziffer I vorgesehenen Referendum aus politischen Gründen verboten oder suspendiert werden können, es sei denn, daß sie darauf ausgehen, die politischen Freiheiten zu zerstören oder das Statut durch undemokratische Mittel zu ändern;
3. der französischen Regierung mitzuteilen, der Deutsche Bundestag sei der Auffassung, daß jede andere Auslegung der Ziffer VI dem Statut des Europarates und der Konvention zur Wahrung der Menschenrechte widerspräche und daß der Saarvertrag dann schon aus diesem Grunde vom Deutschen Bundestag verworfen werden müßte.
Meine Damen und Herren, heute ist, abgesehen von der von Herrn Professor Schmid erwähnten ersten Nachricht über die Begründung, die die französische Regierung dem Saarabkommen bei der Einbringung in der Kammer gegeben hat, auch eine andere, wenn auch kleine Mitteilung in der Presse zu finden, daß der aus dem Saargebiet stammende Kollege unseres Hauses Trittelvitz daran gehindert wurde, an der Saar zu jungen Menschen frei zu sprechen.
Ich halte es für eine Ehrenpflicht — ich hoffe, das Haus schließt sich dem an —, daß gerade angesichts eines solchen Ereignisses die Wünsche der deutschgesinnten Parteien an der Saar, jener Parteien also, die bisher unterdrückt worden sind, die nicht die Erlaubnis zu einer freien demokratischen Wirkungsmöglichkeit erhalten haben, in bezug auf dieses Abkommen uns jedenfalls sehr gewichtig erscheinen, und ich bin der Auffassung, daß wir uns mit ihnen ernsthaft befassen und auseinandersetzen müssen.
Da es diesen Parteien bis heute noch verwehrt ist, wie das Beispiel des Kollegen Trittelvitz zeigt, zur Saarbevölkerung frei zu sprechen, obwohl der *) Umdruck 281.
Herr Bundeskanzler in seiner ersten Erklärung nach der Unterzeichnung der Hoffnung Ausdruck gegeben hat, nun werde auch für die Bevölkerung an der Saar die Zeit dasein, sich frei entscheiden und einrichten zu können, halte ich es für meine Pflicht, hier zu sagen, daß die Vertreter der deutschgesinnten Parteien an der Saar darauf aufmerksam machen möchten, erstens, daß die Bestimmungen im Abkommen über die Saar so ausgelegt werden müssen, daß auch nach Inkrafttreten des Statuts gemäß Ziffer IX die Bevölkerung an der Saar ihren Standpunkt im Hinblick auf die endgültige Regelung im Friedensvertrag jederzeit frei und auf demokratische Weise zum Ausdruck bringen kann, insbesondere auch jederzeit die Forderung vertreten darf, daß das Verbleiben des Saargebiets bei Deutschland Bestandteil des Friedensvertrags sein muß; zweitens, daß die in Ziffer IX vorgesehene zweite Abstimmung die echte Alternative, d. h. auch die Frage des Verbleibs der Saar bei Deutschland enthalten muß; drittens, daß nach Inkrafttreten des vorläufigen Statuts die Änderung einzelner sich später für die Interessen der Saarbevölkerung als unhaltbar erweisender Bestimmungen jederzeit frei und auf demokratische Weise gefordert werden kann, ohne jedoch dadurch die Beseitigung des Statuts in seiner Gesamtheit zu verlangen, und viertens, daß auch nach Inkrafttreten des Statuts die demokratischen Freiheiten und die Menschenrechte uneingeschränkt gewährleistet werden.
Ich bin froh, daß diese von den deutschgesinnten Parteien an der Saar als so wesentlich betrachteten Forderungen völlig im Einklang mit den Punkten stehen, die in unserer Anfrage und in unserem Antrag Gegenstand unserer Vorschläge und Forderungen sind.
Damit kann ich das, was ich zur Begründung der Ihnen heute vorgelegten Anfrage und Anträge zu sagen hatte, abschließen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.