Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß eine Anfrage einer Fraktion dieses Hauses eine so gründliche Behandlung, wie wir sie eben gehört haben, herausfordert, deutet an, wie sehr diese Anfrage berechtigt ist, deutet an, daß alle diejenigen, die sich ernsthaft mit diesem Gesetz — besser gesagt: mit seiner Anwendungspraxis — auseinandersetzen, allmählich das Gefühl bekommen, daß es für einen demokratischen Staat kaum noch erträglich ist, die Dinge so bleiben zu lassen, wie sie sind.
Ich möchte Sie nun nicht nochmals mit den sehr wichtigen Sachverhalten beschäftigen, die der Herr Kollege Professor Böhm eben vorgetragen hat, sondern lieber den Versuch machen, aus den Erfahrungen, die wir leider zu buchen haben, einige Schlußfolgerungen zu ziehen, und zeigen, wie wir es besser machen können. Niemand wird verkennen, daß das Wiedergutmachungsgesetz vom 1. Bundestag in einer Eile und einer Bedrängnis verabschiedet wurde, die nach menschlichem Ermessen eine brauchbare gesetzgeberische Arbeit nicht mehr erwarten ließen. Das wäre dann nicht weiter verhängnisvoll, wenn wir nicht alle wüßten, daß die Ausführung dieses Gesetzes zum großen Teil in den Händen der Länder liegt, die aus Gründen, wie sie eben erörtert worden sind, ein natürliches Bedürfnis haben, sich gegen Zumutungen von der Bundesseite her zu sperren, und wenn wir nicht weiter wüßten, daß in den Behörden, die dieses Gesetz durchführen — ich möchte meine Berner-kung vom letzten Mal nicht wiederholen; ich habe deshalb sehr viele böse Briefe bekommen —, nicht nur Beamte sitzen, ,die durchdrungen sind von der menschlichen und politischen Aufgabe, die ihnen anvertraut ist.
Deshalb ist es bedauerlich, daß nach dem Finanzanpassungsgesetz die Last bei den Ländern bleibt, und so erscheint es notwendig, daß hier eine Regelung erfolgt, die die Länderregierungen nicht veranlaßt, Anweisungen zu erteilen, aus denen der Beamte, der sich nun eben nicht jener menschlichen Verpflichtung voll bewußt ist, das Recht ableitet, engherzig zu sein. Ich glaube, wenn die Länder wüßten, daß der Bund jetzt oder später diese Lasten trägt, würden die Anweisungen an die ausführenden Behörden anders aussehen, als das jetzt der Fall ist, wobei keineswegs etwa einer Verschwendung das Wort geredet werden soll. Sie würden aber menschlicher gehandhabt werden können.
Damit komme ich auf etwas anderes. Ein deutscher Beamter lebt in der Vorstellung, daß der Rechnungshof es ihm großzügig verzeiht, wenn er im Interesse des Fiskus einen Petenten abgewiesen hat.
Wenn dieser Petent in einem langen Prozeß, der für den Fiskus sehr kostspielig ist, schließlich zu seinem Recht kommt, so stört das den Rechnungshof nicht, denn dieser Beamte hat ja seine Pflicht getan, die fiskalische Kasse zu schützen; nun, er ist eben unterlegen gegenüber dem Recht. Noch nie ist einem Beamten etwas widerfahren, weil er zu engherzig war, aber die Gefahr, daß ihm vom Rechnungshof irgendwie Schwierigkeiten gemacht werden, weil er in der Auslegung der ihm anvertrauten Bestimmungen menschlich und großzügig gewesen ist, ist doch da. Wir sollten uns ernsthaft überlegen, ob wir nicht bei dem zweiten Wiedergutmachungsgesetz die Zuständigkeit des Rechnungshofes nur auf dasjenige Verhalten des Beamten beschränken sollten, bei dem unter Umständen mehr als bloßes menschliches Ermessen in Frage steht.
In der Praxis der Anwendung hat sich — wie Herr Professor Böhm mit Recht gesagt hat — herausgestellt, daß der aus der Enge der Verhältnisse heraus verständliche Versuch, gewisse Präferenzen zu konstruieren, zu sagen: es muß in einer gewissen Reihenfolge gehandelt werden, uns wiederum verpflichtet hat, für eine bevorrechtigte Erledigung gewisse Merkmale aufzustellen. Dadurch wird natürlich die dem Petenten zugemutete Beweislast — Vorlegung von Dokumenten aller Art —erschwert. Ich könnte mir —ich weiß nicht, ob Herr Professor Böhm damit einverstanden ist —
doch vorstellen, daß man ohne Rücksicht auf die Rangordnung zunächst einmal einen Fall behandelt und erst dann nach der Maßgabe der Rangordnung entscheidet, ob der Betreffende sofort oder nur vorschußweise befriedigt werden soll. Ich bin nicht in der Lage, im Augenblick die gesetzgeberische Technik eines solchen Verfahrens zu entwickeln. Ich könnte mir aber denken, daß das geht. Dann würde nämlich das nicht eintreten, was wir heute immer wieder erleben, daß uns die Ländervertretungen sagen: wir verbrauchen die Gelder gar nicht, die wir im Etat für diese Dinge einsetzen, und zwar deshalb nicht, weil die Verwaltung — zum Teil mangels Richtlinien, mangels Ausführungs- und Rechtsverordnungen — gar nicht in der Lage ist, die Dinge so schnell zu machen.
Ich glaube also, daß etwas mehr Großzügigkeit in der Frage der von ,dem Verfolgten vorzulegenden Dokumente angebracht wäre. Wir wissen alle, daß totalitäre Systeme — ein Beweis ihres schlechten Gewissens — eine große Praxis in der Vernichtung von Dokumenten haben. Ich sehe jetzt einmal ab von der Überalterung. Wenn es aber vorkommt, daß ein Petent vor einer Behörde — ich will das Land jetzt nicht nennen — bei der Vorlage seines Passes aufgefordert wird, nachzuweisen, daß er mit dem im Paß beschriebenen und photographierten Mann identisch sei
— in einem Rechtsstaat, in dem doch der Paß der Identitätsnachweis sein sollte —, dann kann man nur fragen: was geht da eigentlich vor? Weil wir das wissen, deshalb müssen die Gesetze eine große Präzision haben. Darum möchte ich bitten, daß man
sich bei der Vorbereitung des zweiten Gesetzes etwas mehr Zeit läßt. Wir möchten unter allen Umständen die Sicherheit haben, daß diesmal der Verwaltung Ausreden nicht mehr möglich sind.
Sollte sich der Bundestag nicht — und dieses Gesetz und seine beschämende Praxis geben uns doch Veranlassung dazu — einmal eine Anregung überlegen, ,die nicht ich erfunden habe, sondern die ich von einem in Fragen der Gesetzgebung und der parlamentarischen Behandlung der Dinge sachverständigen Mann bekommen habe? Sollten wir nicht bei der Verabschiedung aller oder jedenfalls gewisser Gesetze der Regierung die Verpflichtung auferlegen, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes dem Hause über die Erfahrungen zu berichten, die sich bei der Durchführung des Gesetzes ergeben haben?
Ich glaube, wir stehen sowieso vor der Frage, ob nicht die Verwaltungskontrolle des Parlaments mit anderen und mit besseren 'Mitteln als jetzt durchgeführt werden muß. Dieses Gesetz zeigt, wie notwendig das ist. Vielleicht sollten wir uns, wenn das zweite Gesetz vorgelegt wird, überlegen, ob wir nicht mal damit den Anfang machen — ich wiederhole —, die Regierung zu verpflichten, in angemessener Zeit dem Hause über die Durchführung des Gesetzes Bericht zu erstatten. Wir würden dann vielleicht nicht mehr in die Lage kommen, solche Anfragen zu stellen, wie wir sie jetzt leider stellen müssen.
Im Namen meiner Fraktion kann ich mitteilen, daß wir der Überweisung des Antrags an die Ausschüsse zustimmen werden.