Meine Damen und Herren! Ich habe ursprünglich nicht die Absicht gehabt, noch einmal zu diesem Thema zu sprechen. Ich glaube über meine Auffassungen vorgestern abend ausgiebig geredet zu haben. Nachdem ich aber verschiedentlich persönlich benannt worden bin, halte ich mich doch für verpflichtet, noch einiges dazu zu sagen. Auch ich muß jetzt das nationalpolitische Plateau betreten, was ursprünglich bestimmt nicht meine Absicht gewesen ist. Wer meinen Ausführungen vorgestern abend gefolgt ist, wird ohne Zweifel feststellen, daß ich mich hinsichtlich der Minderheitenfrage und des ganzen damit zusammenhängenden Komplexes doch einigermaßen objektiv und sachlich verhalten habe. Ich glaube in erster Linie herausgestellt zu haben, daß es uns, der sozialdemokratischen Fraktion, um die Menschenrechte und um die Rechte der Minderheiten ging und um gar nichts anderes. Meine Ausführungen sind von der Gegenseite leider nicht ganz so aufgenommen worden, wie ich es gewünscht habe und wie es im Interesse der Sache gelegen hätte.
Meine Damen und Herren, ich bin den Ausführungen der Abgeordneten Rasner und Dr. Bartram mit größtem Interesse gefolgt. Ich glaube aber, die Darlegung der Standpunkte war kaum nötig, denn nach den langen Jahren der politischen Zusammenarbeit ist unsere gegensätzliche Auffassung von vornherein klar gewesen. Der eine hat genau gewußt, was der andere zu sagen hatte, und umgekehrt. Seit 1949, nein, seit dem Jahre 1945 befassen wir uns mit dem Minderheitenproblem, und immer haben wir gegenteilige Auffassungen darüber gehabt, wie das Problem anzupacken sei. Über eines sind wir uns klar gewesen, Herr Rasner: über die Notwendigkeit der Erhaltung und Festigung des Deutschtums an der Grenze. In der Hinsicht sind wir beide gleicher Meinung. Aber unsere Wege dahin sind sehr unterschiedlich gewesen. Ich bin nicht der Auffassung, daß es richtig ist, das Minderheitenproblem, das Grenzproblem unter den Aspekten der engen grenzpolitischen Verhältnisse des Landes Schleswig-Holstein zu sehen.
Nein, meine Damen und Herren, es muß unter anderen Aspekten gesehen werden. Die Verhältnisse sind ernster, als sie im Verlauf der Debatte betrachtet wurden.
Schleswig-Holstein ist die Brücke zwischen Mitteleuropa und dem skandinavischen Raum. Gerade wir sind daran interessiert, das beste nachbarliche Verhältnis zum gesamten skandinavischen Raum zu haben. Vergessen Sie doch nicht, daß der skandinavische Raum nicht erst im Werden begriffen ist, sondern daß man dort in der europäischen Politik schon wesentlich weitergekommen ist als in den übrigen europäischen Staaten! Im skandinavischen Raum gibt es bereits eine einheitliche Wirtschaftspolitik. Der Arbeiter, ganz gleich, ob er Däne oder Schwede oder Norweger ist, kann dort überall unter den gleichen Verhältnissen arbeiten. Im gesamten skandinavischen Raum ist die Freizügigkeit des Arbeiters verwirklicht. Das haben wir im übrigen europäischen Raum noch nicht. Deshalb sind wir daran interessiert, ein möglichst gutes nachbarliches Verhältnis zu den skandinavischen Staaten zu haben. Das ist immer die Aufgabe Schleswig-Holsteins gewesen. Vergessen Sie doch bitte auch nicht, daß in mehr als tausend Jahren die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte vom Norden nach dem Süden durch Schleswig-Holstein geflutet sind! Unter diesen Aspekten ist die Grenzlandpolitik dort oben zu betreiben. Wir haben gar kein Interesse daran, daß dieses Fließen vom Norden nach dem Süden und umgekehrt durch eine engstirnige Minderheitenpolitik blockiert wird. Wir wollen nach wie vor die Brücke zwischen Nord und Süd sein.
Hier ist von der Geschichte Schleswig-Holsteins gesprochen worden. Sie ist natürlich außerordentlich interessant, weil, wie ich schon sagte, tausend Jahre hindurch die Kräfte vom Norden nach dem Süden durch Schleswig-Holstein geflossen sind. Daraus hat sich ergeben, daß die Mentalität der Bevölkerung im Lande Holstein an und für sich etwas aggressiver im Vergleich zur Bevölkerung in Schleswig ist, die ein viel feineres Fingerspitzengefühl für politische Ereignisse hat. Deshalb ist die Mentalität an der Grenze anders als im übrigen Raum Schleswig-Holsteins. Das wird mir sicher von den Schleswig-Holsteinern keiner abstreiten wollen. Unter diesem Blickpunkt müssen Sie, meine Damen und Herren, das echte oder das unechte Minderheitenproblem zu erkennen versuchen; hier liegt die Wurzel.
Ich darf daran erinnern, daß es gerade der kleine Mann, wenn ich so sagen darf, die minderbemittelte Bevölkerung war, die im Jahre 1920 die zweite Zone gerettet hat. Bei der Abstimmung in der zweiten Zone im Lande Schleswig-Holstein hatten, wie festgestellt wurde, ungefähr 20 000 Menschen noch ihre Stimme für Dänemark abgegeben. Die dänische Minderheit im südschleswigschen Raum hatte also immer noch eine Größenordnung von etwa 20 000 Wählern. Wenn diese Zahl auf etwa 1500 oder 2000 bis zum Jahre 1939 zurückging, na ja, dann lag es eben daran, daß die Menschen mehr oder weniger erfaßt hatten, daß es keinen Zweck hat, eine übersteigerte dänische kulturelle Arbeit in diesem Raum zu machen.
Die Menschen, die 1920 für die deutschen Belange eintraten, stehen heute leider wieder auf seiten der dänischen Minderheit. Da muß man doch die Frage aufwerfen: Worauf ist das zurückzuführen? Das ist doch keine Flucht aus der deutschen
Verantwortung! Der Grund ist die klare Erkenntnis, daß wir oben im Norden einen soliden Staat mit vernünftigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen haben. Ich habe vorgestern abend gesagt: Für manchen Menschen dort oben an der Grenze war Dänemark das Land, in dem Milch und Honig floß — und noch fließt! Das haben Sie, Herr Rasner, in Ihren Ausführungen bestätigt. So, meine Damen und Herren, ist die echte und unechte Minderheit zu sehen.
Ich glaube, es war eine Entgleisung des Kollegen Rasner, als er hier betonte, unter der Minderheit befänden sich viele Flüchtlinge aus Pommern, Dänemark, Schlesien und Ostpreußen. Das war im Grunde genommen eine Beleidigung der Flüchtlinge. Wenn Sie genauere Untersuchungen anstellten, fänden Sie vielleicht hier und da jemand. Ich kennne auch einige, Herr Rasner;
aber das können 'Sie doch nicht verallgemeinern. Die Flüchtlinge, die aus den genannten Bezirken kamen, haben sich doch gerade bei uns im Lande Schleswig-Holstein zu starken landsmännischen Organisationen zusammengefunden und immer ihr Deutschtum hochgehalten.
Sie sagten dann, Dänemark sei einmal eine Großmacht gewesen. Ja, ich kann Ihnen auch ungefähr die Zeit angeben, in der es war. Im 14. Jahrhundert war es.
— Ich wollte auf die Dinge nicht eingehen; ich tue es nur, weil Sie von einer Großmacht gesprochen und die ganze Geschichte ironisiert und gesagt haben: heute leben sie in Romantik. Glauben Sie nicht, daß es auch in Deutschland noch Leute gibt, die in Romantik leben? Lassen Sie mal wieder die „Kommisstiebel" auf dem Kasernenhof stehen, dann wird manche deutsche Romantik wieder aufleben, das kann ich Ihnen nur sagen.
Ich darf jedenfalls betonen, daß Dänemark immerhin ein guter demokratischer Staat ist und daß gerade dort die Träger der Demokratie die Bauern, Handwerker und Arbeiter sind. Das große soziale Gefälle vom Norden nach dem Süden hin hat viele doch gerade bewogen, in der Hoffnungslosigkeit ihre Hoffnungen wieder aufleben zu lassen. Das hat sich aber Gott sei Dank geändert. Die Minderheitenbewegung dort im nördlichen Raume Deutschlands ist wieder rückläufig geworden, eben deshalb, weil wir durch die Kieler Erklärung und zum andern durch den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau in Deutschland zu einer gewissen Befriedung gekommen sind.
Meine Damen und Herren, Sie haben von der Großzügigkeit gesprochen, die wir Deutsche gegenüber der Minderheitenbewegung an den Tag gelegt haben. Ich weiß nicht, ob das eine ausgesprochene Großzügigkeit ist, die wir gezeigt haben. Im Grunde genommen hatten wir ja im Jahre 1945 das Gesetz des politischen Handelns gar nicht in der Hand. Die Minderheit ist aus sich selbst gewachsen und ist aus sich selbst geworden, ohne daß wir ihr die Auflage, wenn ich so sagen darf, gegeben haben. Das möchte ich hier festgestellt haben. Im Grunde genommen haben sie doch nur die Rechte, die ihnen auf Grund des Grundgesetzes und der Kieler Erklärung zugestanden werden mußten, für sich in Anspruch genommen, vor allem das Recht, ihre Schulen, ihre Kindergärten usw. auszubauen.
Sind Sie nicht der Meinung, daß man auch auf der andern Seite „großzügig" gewesen ist wenn man diese nicht gerade sehr nette Formulierung gebrauchen will? Drüben hat nach der Kieler Erklärung das Kopenhagener Protokoll sich mit der deutschen Minderheit befaßt, und ich glaube, auch hier ist eine gewisse Großzügigkeit gezeigt worden.
Wie ist denn die Sache mit den Wahlgesetzen? Natürlich kann man die Wahlgesetze Dänemarks nicht ohne weiteres mit dem Wahlgesetz Schleswig-Holsteins vergleichen; wir sind ja ganz anders gewachsen. Aber wenn die Dänen es wollen, dann können sie genau so gut die Mandate der deutschen Minderheit unterbinden, dann können sie genau so gut verhindern, daß ein Vertreter in den Folketing kommt, und zwar dadurch, daß sie eine andere Wahlkreiseinteilung vornehmen; dann sind nämlich die Stimmen nicht mehr zusammenzufassen und dann bekommt auch die deutsche Minderheit im Folketing keine Vertreter mehr. Seien Sie dessen versichert: Wenn wir hier nicht zu einer vernünftigen Lösung des Minderheitenproblems kommen, dann steht das eines guten Tages bestimmt auch im Lande Dänemark an. Nicht umsonst hat der Folketing-Abgeordnete Schmidt-Oxbüll, der ein Vertreter der deutschen Minderheit ist, darauf aufmerksam gemacht, daß Ihnen dergleichen passieren kann.
Stellen wir uns also gefälligst etwas mehr auf den Boden der . Grundrechte und der Menschenrechte, dann werden wir, davon bin ich überzeugt, zu einer ganz vernünftigen Lösung kommen, die wesentlich besser sein wird, als wenn wir jetzt einen sogenannten Minderheitenvertrag schließen wollen. Meine Damen und Herren, worum geht es denn in einem Minderheitenvertrag? Da geht es doch im Grunde genommen nur darum: Auge um Auge, Zahn um Zahn!
Keiner hat ein Interesse daran, in die innerstaatlichen Verhältnisse eines andern Staates hineinzugucken, und nur das kann letzten Endes dabei herauskommen. Deshalb warne ich davor. Es gibt andere Wege, um zum Ziele zu kommen. Ich darf daran erinnern, daß sich im Jahre 1921 und auch im Jahre 1923 die Sozialdemokratischen Parteien Dänemarks und Deutschlands zusammengesetzt haben, um das Minderheitenproblem dort oben zu lösen. So großzügig ist es nämlich vor 1923 auch bei den deutschen Minderheiten nicht gewesen. Darüber hinaus hat auch dort die Irredenta eine Rolle gespielt, nur hat damals zuletzt die Vernunft gesiegt.
— Heute ist es nicht mehr ganz so, weil die Stärkeverhältnisse umgekehrt sind. Ich bin aber davon überzeugt, daß die dänische Minderheit auch einmal dahin kommen wird, wenn sie sieht, daß sich ihre irredentistischen Pläne nicht mehr verwirklichen lassen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß diese Frage auch im Folketing eine Rolle gespielt hat. Im Jahre 1945 waren die verantwortlichen Stellen in Dänemark klug genug, nicht zu einer Okkupation Schleswig-Holsteins bzw. des südschleswigschen Raums überzugehen. Sie haben die großen Gefahren, die damit verbunden sind, ohne Zweifel erkannt und haben von dieser Annexion Abstand genommen. Es ist am 9. Mai 1945 und abermals am 20. November 1945 1 deutlich genug zum Ausdruck gekommen. Das bitte ich doch zu berücksichtigen.
Im übrigen ist verschiedene Male im Folketing zum Ausdruck gebracht worden, daß man gar nicht daran denkt, zu einer Annexion überzugehen, sondern das Selbstbestimmungsrecht aufrechterhalten möchte. Heute ist man sich völlig darüber klar, daß die Selbstbestimmung bei den heute gegebenen Verhältnissen sich nicht ohne weiteres durchführen läßt.
Die Gegenseitigkeit kann nach meiner Auffassung leicht garantiert werden. 1921 und 1923 haben, wie ich sagte, die beiden sozialdemokratischen Parteien das fertiggebracht in dem Augenblick, als sie beschlossen, nur die Verwendung der von den Staaten für die Minderheiten angesetzten Mittel gegenseitig zu kontrollieren. Das scheint mir ein ganz vernünftiger Weg zu sein.
Die Unterhaltung, die zwischen dem dänischen Ministerpräsidenten Hedtoft, Vertreter der sozialdemokratischen Partei, und meinem Parteifreund Ollenhauer im März 1953 in Flensburg geführt worden ist, hat auch nur die Gegenseitigkeit und die Verständigung der beiden Völker im Auge gehabt, und dieses Ziel streben beide Parteien ohne Zweifel an.
Unter diesen Aspekten, die ich hier dargestellt habe, muß man die echte und die unechte Minderheit unterscheiden. Nur unter diesen Aspekten kann man zu einer Gegenseitigkeit, zu einer Verständigung kommen. Uns liegt nur daran, die Menschenrechte jeder Minderheit, ganz gleich, an welcher Grenze sie sich befinden, berücksichtigt zu wissen. Das ist unsere Auffassung von den Dingen.
Mein Kollege Rehs ist schon. auf Darlegungen des Herrn Ministers Dr. Schröder eingegangen. Wir haben hier eine juristische Belehrung bekommen. An der ist uns nicht viel gelegen. Wir haben in unserer Partei Juristen genug, die ebenfalls wissen, daß die Minderheit innerhalb dieses Rechtsrahmens, den wir uns geschaffen haben, bei den augenblicklichen Rechtsverhältnissen keine Vertretung bekommen kann. Aber es muß doch eine Änderung eintreten; und sie herbeizuführen ist die Aufgabe der Politiker. Wir wollten den Antrag, den wir gestellt haben, unter politischen Aspekten gesehen wissen. Das dürfen wir doch wohl von der Regierung verlangen, daß sie auf diese unsere Meinung und unsere Forderung eingeht.
Ich bin davon überzeugt, daß wir eine Lösung finden, wenn wir uns kühl und sachlich an die Arbeit machen. Meine Partei ist durchaus damit einverstanden, wenn der von Ihnen eingebrachte Antrag in die Ausschüsse geht. Ich bin der Meinung, daß nicht nur der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, sondern auch der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung in Frage kommt, und auch den Rechtsausschuß sollte man mit dieser Angelegenheit befassen. Aber auch die Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion bitten wir, als das erforderliche Material, in die Ausschüsse zu geben.