Rede von
Dr.
Karl
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Bender und seine Fraktion haben hier einen sogenannten Antrag vorgelegt. Ich sage ausdrücklich „sogenannten Antrag",
weil die Drucksache 732 nach Form und Inhalt einer Großen Anfrage und nicht einem Antrage entspricht. Es werden Auskünfte erbeten, die der Herr Bender sich zum Teil durch ein Telefonat mit dem Ministerium oder bezüglich des ersten Punktes dadurch hätte verschaffen können, daß er sich die ersten Paragraphen der Marktordnungsgesetze angesehen hätte.
Und materiell: Der Herr Abgeordnete Bender redet davon, daß der Zweck seiner Übung sei, die ganze Wirtschaft der Einfuhr- und Vorratsstellen aus der Versteinerung herauszuholen. Ich darf jedoch, nachdem man die Ausführungen gehört hat, feststellen, daß er aber auch nach keiner Richtung hin einen positiven Vorschlag gemacht hat, wie er sich die Neuordnung der Einfuhr- und Vorratsstellen denkt.
— Die Abschaffung, jawohl, darauf komme ich noch zu sprechen, Herr Bender!
Ich darf mich jetzt einmal mit der Vorlesung des Herrn Bender im einzelnen etwas beschäftigen. Dabei will ich mich auf grundsätzliche Dinge beschränken. Kollegen dieses Hauses aus den verschiedensten Fraktionen werden noch zu Einzelheiten Stellung nehmen.
Herr Bender behauptet, gedanklich und auch institutionell seien diese Gesetze und Einrichtungen noch in der Zeit der Bewirtschaftung verwurzelt und stellten abgewandelte Formen von Reichsnährstand-Einrichtungen dar.
Er sagt ferner, daß Zielsetzungen und Form der Gesetze auf dem Erfahrungsschatz des damaligen
Reichsnährstandes sowie auf den Notwendigkeiten der Kriegszeit und der Nachkriegsentwicklung basierten. Herr Bender, Sie sind Syndikus eines Industrieverbandes, und Ihre Ausführungen haben bewiesen, daß Sie von landwirtschaftlichen Dingen wirklich nicht viel verstehen.
Sonst hätten Sie das, was Sie hier gesagt haben, nicht ausführen können. Sie wissen anscheinend nicht, wie die Landwirtschaft seitens des Reichsnährstandes im „Tausendjährigen Reich" praktiziert worden ist. Meine Herren, das Ganze war doch auf Autarkie, auf Vorbereitung des Krieges ausgerichtet. Da wurde dann die berühmte Erzeugungsschlacht angeordnet und erneuert. Da wurde vorgeschrieben, was man zu bauen hatte. Ich selber habe in dieser Zeit einen großen, vielseitigen Betrieb geleitet. Da wurde befohlen, Gemüse und Raps zu bauen. Als ich das ablehnte, wurde ich politisch noch unzuverlässiger, als ich es vorher schon gewesen war, und sogar wehrunwürdig. Alles war bei dieser Bewirtschaftung mit Höchstpreisen versehen. Das Strafrecht war im Dritten Reich der Garant der Wirtschaftsordnung und der Wirtschaftsführung. Der Bauer hatte nicht die Freiheit, durch Rechtsakt über sein Eigentum zu verfügen. „Blubo" war das Schlagwort, nach dem diese Dinge behandelt wurden. Der Bauer hatte auch nicht die Freiheit, seinen Betrieb nach seiner Kenntnis und nach seinem Willen zu führen.
Nun kam die Zerschlagung des Vaterlandes. Millionen strömten nach Westdeutschland ein. Da stand vor dem 1. Bundestag die Aufgabe, die landwirtschaftliche Erzeugung so rasch und so umfassend wie möglich zu steigern, um uns so bald wie möglich selber ernähren zu können und von den Hilfsaktionen der Alliierten frei zu werden. Es war Aufgabe und Pflicht von Parlament und Regierung, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, auf denen eine Stabilisierung der landwirtschaftlichen Produktion und des landwirtschaftlichen Marktes erfolgen konnte. Was wir hier gemacht haben, sind Dinge, die in allen Kulturländern schon längst vor dem Jahre 1950 gemacht worden sind. Ich brauche nur auf die USA hinzuweisen, wo der Staat die Getreidepreise garantiert und die Ausfuhr, die zu geringeren Preisen als den Inlandspreisen erfolgt, subventioniert, um dem Farmer den gerechten Preis zahlen zu können. Schon seit 1934 haben die USA ein Zuckergesetz, das bis 1956 verlängert ist; sie regeln damit Erzeugung, Preis und über den Preis Einfuhr. Großbritannien hat 1924, als es begann, die ersten Zuckerrüben zu bauen, mit einer Ordnung auf dem Zuckermarkt begonnen. Frankreich, Holland und auch Belgien haben ähnliche Einrichtungen, ohne daß sie etwa vom Reichsnährstand gewußt haben. Herr Bender, bezüglich Zukker kann ich Ihnen sagen, daß schon 1926 die Vereinigung für Verbrauchszuckerverteilung geschaffen wurde, die dann im Jahre 1929 das Freigabesystem geschaffen hat, das heute noch das Kernstück des Zucker-Marktgesetzes ist.
Diese marktwirtschaftlichen Gesetze — das darf man auch hier noch einmal wiederholen — sind im Bundestag verabschiedet worden: das Getreidegesetz gegen sechs Stimmen bei vier Stimmenthaltungen, das Vieh- und Fleischgesetz einstimmig, das Zuckergesetz bei zwei Enthaltungen.
Alle Parteien dieses Hauses erkannten trotz ihrer
verschiedensten politischen und wirtschaftspolitischen Auffassungen die Notwendigkeit an, daß eine Marktordnung geschaffen und der innere Markt durch Einfuhrschleusen geschützt wurde. Herr Bender, das hatte mit Drittem Reich und Reichsnährstand wirklich nichts zu tun,
sondern diese Auffassung ist allen Parteien dieses Hauses geworden aus den Erfahrungen, die man in anderen Ländern gesammelt hat, und aus der Notwendigkeit, vor die wir nach dem Zusammenbruch gestellt waren.
Herr Bender, wenn Sie sich berufen fühlen, als Schatzgräber und Prähistoriker nach Schätzen, Ruinen und Petrefakten des Dritten Reiches zu graben, warum suchen Sie sich dann die Einfuhr- und Vorratsstellen aus? Herr Bender, warum in die Ferne schweifen? Die Dinge liegen Ihnen doch in Ihrem Kreise so nahe, da haben Sie doch Gelegenheit genug, nach solchen Dingen zu graben!
Meine Damen und Herren, unter dieser Marktordnung hat sich die deutsche Landwirtschaft in einem ungeahnten Maße entwickelt. Schon nach sieben Jahren hatte sie die Vorkriegsproduktion überschritten, während sie nach dem ersten Weltkriege mit viel weniger Zerstörungen dafür zehn Jahre gebraucht hat. Die deutsche Landwirtschaft hat •im Jahre 1952/53 — ich will das nicht im einzelnen aufzählen — für 976 Millionen DM künstlichen Dünger gebraucht, 1938/39 für 404 Millionen DM. Sie hat an Landmaschinen und Traktoren ohne Molkereimaschinen für 1060 Millionen DM gekauft, die Zahl der Ackerschlepper ist von 89 000 auf 304 000 gestiegen, und ihre Betriebsausgaben betrugen im Jahre 1952/53 über 9 Milliarden DM. Ich gebe zu, daß in diesen Zahlen auch Preiserhöhungen stecken. Aber in ihnen stecken auch starke mengenmäßige Steigerungen der Bezüge, die die Landwirtschaft im Innern aus Industrie und Gewerbe übernommen hat.
Diese Marktordnungsgesetze darf man auch einmal zu unserem Export in Beziehung setzen. In den Kreisen, denen Herr Bender nahesteht, gibt es ja immer noch sogenannte Freihändler; denn Ideologen und Idioten sterben in einem Volke nie aus.
Unsere Ausfuhr hat sich von mehr als 8 Milliarden DM im Jahre 1950 auf mehr als 18 1/2 Milliarden DM in 1953 gesteigert, und wir werden in diesem Jahre auf mehr als 20 Milliarden DM kommen. Die Marktgesetze sind also nicht ein Hindernis einer expansiven Exportpolitik gewesen, sondern sie sind meines Erachtens die besten Träger dieser Exportpolitik geworden, weil sie geholfen haben, daß dieser Kunde, der über 9 Milliarden DM auf dem Inlandsmarkt hat ausgeben können, Gewerbe und Industrie eine Unterlage gegeben hat, die den Export leichter und ungefährlicher macht.
Die Einfuhr- und Vorratsstellen haben auch etwas anderes fertiggebracht. Im Rahmen des jährlich aufzustellenden Versorgungsplanes hat das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft
bei Handelsvertragsverhandlungen verbindliche Erklärungen zur Übernahme von gewissen Agrarprodukten abgeben können, und es hat sogar, wenn es erforderlich war, plötzlich helfen können. Ich brauche nur an Argentinien und die Türkei zu erinnern.
Nun zu der Kritik und den sogenannten Besserungsvorschlägen des Herrn Bender ein paar Worte. Er sagte, die Zielsetzung und die Form der Gesetze basierten — das habe ich eben schon gesagt — auf dem Reichsnährstand und auf den Notwendigkeiten der Kriegszeit und der Nachkriegsentwicklung. Meine Herren, die Gesetze sind 1950/51 entstanden. Da ist der Krieg vorbei gewesen, soweit ich mich erinnere. Von Notwendigkeiten der Kriegszeit kann also bei diesen Gesetzen wirklich nicht die Rede sein!
Herr Bender erkennt ein vorläufiges Festhalten am Schutzbedürfnis für Getreide und Zucker an. Aber er erklärt in einem Atemzug dazu, ob dagegen die Preishöhe für Getreide und Zucker innerdeutsch gehalten und geschützt werden müsse, bedürfe einer besonderen Untersuchung und werde weitgehend von politischen Erwägungen beeinflußt. Er verweist in diesem Zusammenhang auf England, Holland, Belgien und Dänemark, die den Getreidepreis nach dem internationalen Marktpreis ausrichten. Ich möchte Herrn Bender darauf aufmerksam machen, daß die Preise für Getreide und Zucker nicht in den Marktgesetzen geordnet sind, sondern daß vom Bundestag jedes Jahr durch ein besonderes Preisgesetz für Getreide für das eine Jahr die Getreidepreise geregelt werden. Herr Bender, glauben Sie, dieser ganze Bundestag, der diese Preisgesetze immer einstimmig beschlossen hat, ist so doof, daß er nicht die rechte Höhe der Getreidepreise abschätzen und festsetzen kann? Herr Bender, dazu braucht er Sie nicht!
Der Zuckerpreis wird jedes Jahr festgesetzt durch eine Verordnung, die vom Bundesrat genehmigt werden muß.
Aber stellen wir uns doch einmal auf den Standpunkt des Herrn Bender, wir sollten uns mit Getreide und Zucker zum billigen Weltmarktpreis eindecken. Meine Damen und Herren, wohin muß das führen? Herr Bender sagt, Getreide spiele in der Gesamteinnahme der Landwirtschaft nur eine geringe Rolle. Mein verehrter Lehrer, Geheimrat Dietzel, bei dem ich acht Semester im volkswirtschaftlichen Seminar gesessen habe,
hat eine Definition der Statistik gegeben, die ich in diesem Hohen Hause nicht wiederholen kann, weil Zuhörer und Damen anwesend sind. Sie war vernichtend! Die Statistik bringt Zahlen; aber diese Zahlen richtig lesen und auswerten, das muß gelernt sein. Herr Bender sagt — ich wiederhole es —, in der Gesamteinnahme der Landwirtschaft spiele die Einnahme aus Getreide eine geringe Rolle. Das stimmt. Aber Herr Bender scheint nicht zu wissen, daß hinter diesen Zahlen ein großes wirtschaftliches Geschehen steht, das man in die Rechnung einsetzen muß.
Nehmen wir einmal an, wir folgten ihm und kauften das Getreide in den USA, in Kanada, in Argentinien oder in der Türkei. Meine Herren, dann wird bei uns der Getreidebau verschwinden; denn zu d e n Preisen kann der deutsche Bauer aus Gründen, die ich hier nicht anzuführen brauche, nicht produzieren. Mit dem Getreidebau wird dann auch der Hackfruchtbau verschwinden, d. h. der Zuckerrübenbau. Was sollen dann diese armen Leute machen? Dann sollen sie sich wahrscheinlich dem feldmäßigen Gemüsebau zuwenden und den vergrößern. Dann essen wir statt Brot viel Kappes und Salat.
Aber mit diesem gesteigerten Gemüsebau, den wir in der Nachkriegszeit, Gott sei Dank, stark eingeschränkt haben, werden zum Schluß auch die Klein- und Mittelbetriebe, die sich speziell mit Gemüsebau beschäftigen, mit in die Mühle kommen. Grünlandwirtschaft kann man auf diesen Böden nicht treiben, weil der Boden das nicht durchhält und weil vor allem die Niederschlagsmengen zu gering sind. Also muß man Feldfuttermittel bauen; aber dann kommen wir allmählich in das Land, in dem Milch fließt, in dem aber der Honig fehlt, und dann wird die Milchwirtschaft der ganzen mittleren und kleineren Bauern mit vor die Hunde gehen. So geht es nicht, meine Herren! Man muß die landwirtschaftliche Produktion den Naturgegebenheiten anpassen. Da kann man nicht ausweichen, und weil man nicht ausweichen kann, muß man auch in der Gesetzgebung dafür sorgen, die Landwirtschaft in allen ihren Teilen so zu gestalten, daß der Bauer einen angemessenen Ertrag hat. Wir können ja auch wieder einmal in Schwierigkeiten im Rahmen der Weltwirtschaft geraten. Wir wissen nicht, ob nicht wieder einmal ein Korea entsteht. Dann kommt Schiffsraumnot und kommen andere Dinge, und dann führt Herr Bender Klage darüber, daß wir Getreidevorräte für ganze drei Monate liegen haben! Meine Herren, ich muß erklären: Soviel an agrarpolitischer Naivität wie heute ist diesem Hause noch nicht geboten worden.
Ich habe dazu zu sagen: Meine Freunde und ich halten an den Grundsätzen der Marktordnungsgesetze fest und lehnen es ab, unsere wirtschaftspolitischen Maßnahmen nach der jeweiligen Marktlage einzurichten, indem man sich in Zeiten des Mangels zur Förderung der landwirtschaftlichen Produktion aufrafft und in Zeiten des Überschusses, die ja nach Herrn Bender durch die Weltmarktlage gegeben sind, grundsätzlich die ganzen Förderungsmaßnahmen einstellt. Dabei soll diese Marktordnung nicht ein Deckmantel für wirtschaftlichen Rückschritt sein, und sie hat bewiesen, daß sie es auch nicht ist. Dieses Festhalten am Grundsätzlichen soll aber nicht Verbesserungen und Verfeinerungen in der Technik der Einfuhr- und Vorratsstellen ausschließen.
— Nun Herr Bender, was haben Sie dazu an Vorschlägen zu sagen gehabt? Nichts! Kein einziger positiver Vorschlag ist über Ihre Lippen gekommen, und wenn man Ihren Aufsatz durchliest, so muß man sagen, daß auch da nichts drinsteht. Ich kann wenigstens nichts finden.
Meine Damen und Herren, auf eines muß ich noch hinweisen. Diese Naivität haben Sie nun auch mit einer gründlichen Spritze aus der Streubüchse Frechheit versehen. Jawohl, Herr Bender,
das werde ich Ihnen beweisen. Sie behaupten, den Vertretern des Bundesernährungsministeriums und der Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide mangele es an Willen zur grundlegenden Reform, weil die Bürokratie mit allen Mitteln die Stühle festhalte, auf denen sie sitze.
Sie werfen diesen Beamten und Angestellten des Ministeriums und der Einfuhr- und Vorratsstelle vor, daß sie aus persönlichem Interesse pflichtwidrig handeln.
. Da ist doch kein Strich vorbei!
— Ich habe ja nicht gesagt, daß er frech sei. Ich habe gesagt: „aus der Streubüchse Frechheit". Bitte, da muß man aufpassen!
Verehrter Herr Bender, für diese Dinge ist doch letzt- und höchstverantwortlich Herr Minister Dr. Lübke. Also hält der sich auch an den Stühlen fest!
— Herr Bender, wenn Sie das ablehnen, gut, aber dann sage ich Ihnen: Gott verzeihe Ihnen, denn Sie wissen nicht, was Sie tun!
Wenn Sie nämlich den Herrn Minister ausnehmen, dann bescheinigen Sie ihm, daß er schwach auf der Brust ist und keine Ordnung und Disziplin in seiner Verwaltung halten kann. Herr Bender, mit solchen Auffassungen können Sie vielleicht in einer Versammlung von politischen Analphabeten landen, aber nicht hier in diesem Hause.
Meine Damen und Herren, ich habe dazu zu sagen: der Herr Minister arbeitet seit Jahr und Tag zusammen mit sachverständigen Vertretern auch aus diesem Hause an der Verfeinerung und Ordnung der Arbeit. Dabei soll man ihn nicht stören. Jeder, der positive Vorschläge zu machen hat, ist uns willkommen.
Ich habe eingangs darauf hingewiesen, daß es sich hier nicht um einen echten Antrag, sondern um eine Anfrage handelt. Ich stelle mit meinen Freunden den Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Antrag der Fraktion des GB/BHE Drucksache 732 wird für erledigt erklärt.