Rede von
Dr.
Gerhard
Schröder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Novelle zum Personenstandsgesetz hat im Frühjahr dieses Jahres in der Öffentlichkeit eine lebhafte Diskussion über Fragen ausgelöst, die nicht das Hauptanliegen dieses Entwurfs sind, sondern mehr am Rande liegen. Es ist deshalb erforderlich, heute zunächst einmal die Hauptziele der Novelle herauszustellen.
Der Gesetzentwurf hat zwei Ziele: die Ausstattung der Vertriebenen mit beweiskräftigen Personenstandsurkunden und die Führung der Personenstandsbücher im Bundesgebiet nach einheitlichen Gesichtspunkten.
Die erste Aufgabe, die Vertriebenen wieder mit beweiskräftigen Personenstandsurkunden auszustatten, ist dringend. Die Personenstandsbücher aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sind zum großen Teil vernichtet; die erhalten gebliebenen Bücher stehen meist nicht zur Verfügung der deutschen Behörden. Die Vertriebenen können also keine Personenstandsurkunden erhalten, sind häufig auch selbst nicht im Besitz solcher Urkunden.
Das wirkt sich in vielen Fällen sehr nachteilig für sie aus, bringt insbesondere viele unliebsame Verzögerungen mit sich.
Die kirchlichen Organisationen, die Organisationen der Heimatvertriebenen, zahllose Heimatvertriebene selbst, berufsständische Organisationen, die Behörden der Länder und Gemeinden und die Fachorganisation der Standesbeamten haben daher seit Jahren mit Recht die Wiederausstattung mit beweiskräftigen Urkunden gefordert.
Das Personenstandsgesetz von 1937 sah vor, daß ebenso wie in Württemberg und in der Schweiz in den Personenstandsbüchern nicht nur die einzelnen Standesfälle, sondern im Familienbuch die Familienzusammenhänge eingetragen wurden.
Dieses Gesetz wird aber seit 1944 nicht mehr einheitlich angewandt. In einer Anzahl von Ländern ist noch das Familienbuch nach dem Personenstandsgesetz von 1937 vorhanden. In anderen Ländern wird lediglich die Eheschließung im Familienbuch beurkundet, das übrige Familienbuch jedoch nicht geführt. In dem württembergischen Teil des Landes Baden-Württemberg gilt wie seit 1808 das württembergische Familienregister.
Diese Rechtsverwirrung muß beseitigt werden.
Im Laufe langwieriger Beratungen ist hinsichtlich der Vertriebenen zweierlei erwogen worden: Ersatzbeurkundung durch den Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder Ersatzbeurkundung nach dem jetzigen § 41 des Personenstandsgesetzes durch die unteren Verwaltungsbehörden am Wohnsitz der Vertriebenen vorzunehmen. Beide Möglichkeiten mußten aber wieder ausscheiden, weil weder die Gerichte noch das Standesamt I in Berlin, das die Fälle zentral beurkunden müßte, um sonst unvermeidliche Doppelbeurkundungen zu verhüten, in der Lage wären, diese Arbeit für über 10 Millionen Vertriebene zu bewältigen.
Die Rechtsvereinheitlichung in der Personenstandsbuchführung haben die Länder und die Fachorganisation der Standesbeamten schon vor 1949, vor der Bildung der ersten Bundesregierung, angestrebt. Mit der jetzt vorgeschlagenen Novelle wird also eine langjährige Entwicklung abgeschlossen. Hierbei und bei den späteren Verhandlungen hat sich die Mehrzahl der Länder, ebenso wie jetzt auch wieder der Bundesrat, entsprechend dem Vorschlage der Bundesregierung auf den Standpunkt gestellt, daß auf das Familienbuch ebensowenig wie in anderen Kulturstaaten verzichtet werden kann und daß das bisherige württembergische System mit wechselndem Führungsort gewählt werden soll. Dagegen war es nicht möglich, an dem jetzigen System des Familienbuchs mit festem Führungsort festzuhalten. Das Personenstandsgesetz gehört zu den Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Dessen Meinung geht aber auf die Schaffung eines Familienbuchs mit wechselndem Führungsort nach württembergischen Muster.
Wenn das System des württembergischen Familienregisters übernommen wird, ist doch aus sprachlichen Gründen der Ausdruck „Familienbuch" beibehalten worden.
Dabei muß das Familienbuch, das der Standesbeamte führt und stets in seiner Verwahrung behält, deutlich von dem Familienstammbuch unterschieden werden, das Auszüge aus den Geburts-, Heirats- und Sterbebüchern der Familienangehörigen enthält und bei der Familie selbst aufbewahrt wird. Das neue Familienbuch hat gegenüber dem bisherigen Familienbuch den Vorteil, daß die Geburt eines Kindes oder der Tod eines Ehegatten oder eines Kindes in den meisten Fällen von dem-
selben Standesbeamten beurkundet werden kann, der das Familienbuch führt. Die bisher vorgesehenen Mitteilungen von einem Standesbeamten an den anderen können zu einem wesentlichen Teil fortfallen.
Eine sofortige Einführung des Familienbuches für alle Ehen ist allerdings nicht möglich. Das neue Familienbuch soll deshalb nur bei zukünftigen Eheschließungen und auf Antrag eines Vertriebenen angelegt werden. Die beiden Hauptziele der Novelle: Schaffung von Ersatzurkunden für die Vertriebenen und Rechtsvereinheitlichung, werden dadurch erreicht, daß es nach Ablauf der Übergangszeit in allen Ländern nur noch das Familienbuch am jeweiligen Wohnsitz der Familie gibt und daß jeder Vertriebene für sich und seine Familie jederzeit die Anlegung eines solchen Familienbuches beantragen kann. Eine beglaubigte Abschrift dieses Familienbuches hat dann für den Vertriebenen und seine Familienangehörigen die gleiche Beweiskraft wie z. B. eine Geburts- oder Sterbeurkunde.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die beiden Hauptziele der Ihnen vorgelegten Novelle. Ich komme nun zu zwei Punkten, die neben den Hauptzielen der Novelle mit geregelt werden sollen. Die Strafvorschrift für Geistliche in § 67 des Personenstandsgesetzes ist einer dieser von mir angesprochenen Punkte. Die Vorschläge der Bundesregierung zu dieser Vorschrift sind in der Öffentlichkeit vielfach mißverstanden und mißdeutet worden. Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, den Status der obligatorischen Zivilehe zu verändern. Die Eheschließung, meine Damen und Herren, gehört zu den Bereichen, an denen Staat und Kirche ein gleich großes, wenn auch verschieden geartetes Interesse besitzen. Aber sie ist kein Gegenstand, an dem sich heute noch ein Kampf zwischen beiden entzünden könnte. Die geistige Arbeit vieler Generationen hat die Voraussetzung zu klarer Unterscheidung der Bereiche und Funktionen geliefert. Die Bürger eines auf den Prinzipien der Freiheit und Toleranz ruhenden Staates haben ein verfassungsmäßiges Recht darauf, daß sie in Fragen, die ihr Gewissen berühren, durch die staatliche Ordnung nicht beschwert werden. Der Staat hingegen muß von seinen Bürgern fordern, daß sie sich den Regelungen unterwerfen, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und des staatlichen Gefüges erlassen werden. Die Bundesregierung hat sich von der Erkenntnis leiten lassen, daß in diesem Punkt eine Regelung getroffen werden sollte und getroffen werden kann, die dem Staat alle erforderlichen Sicherheiten gibt, aber nicht mehr mit den Relikten eines geistig wie historisch überwundenen Staatskirchentums belastet ist.
Die Bundesregierung hat sich zu diesem § 67 nicht in vollem Umfang den Vorschlägen des Bundesrates anschließen können. Diese gingen dahin, wie bisher eine Geldstrafe u n d eine Freiheitsstrafe für den Fall anzudrohen, daß eine kirchliche Eheschließung v o r der standesamtlichen Eheschließung vorgenommen wird. Die Geldstrafe wollte der Bundesrat mit einem Höchstbetrag von 500 DM —1875 waren es 300 und 1937 waren es 10 000 Mark — androhen. Die Gefängnisstrafe wollte der Bundesrat ebenso wie 1875 auf drei Monate statt wie seit 1937 auf fünf Jahre begrenzen. Die Bundesregierung dagegen hält das Muster der Schweiz für besser, wo der Vorrang der Zivilehe durch die Androhung nur einer Geldstrafe gesichert wird. Die
Androhung der Freiheitsstrafe kann nur aus der Lage des Kulturkampfes der 70er Jahre verstanden werden.
Die Bundesregierung weiß sich mit der Mehrheit des Volkes und allen maßgebenden Kräften darin einig, daß alles vermieden werden soll, was an Kulturkampfbestimmungen erinnern könnte.
Die Aufnahme, die der jetzige Beschluß der Bundesregierung über die Androhung lediglich einer Geldstrafe bisher gefunden hat, scheint zu zeigen, daß hier ein Weg gefunden ist, der zur Beruhigung der Öffentlichkeit durchaus geeignet ist und alle sachlichen Belange ausreichend wahrt.
Bei dem zweiten Punkt, der Eintragung der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft in die Personenstandsbücher, hält die Bundesregierung an ihren ursprünglichen Vorschlägen fest. Die von oppositioneller Seite geäußerte Meinung, daß diese Vorschläge verfassungswidrig seien, findet im Grundgesetz keine Stütze. Sowohl Art. 140 des Grundgesetzes als auch Art. 136 der Weimarer Reichsverfassung begründen ganz deutlich die Auffassung der Bundesregierung. Es geht hier nämlich nicht um religiöse Überzeugungen, sondern ausschließlich um die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft. Die Begründung hat dieses Thema so eingehend behandelt, daß ich hier darauf verweisen kann.
Ergänzend möchte ich anführen, daß sich die Bundesregierung hier in Übereinstimmung mit der Auffassung befindet, die der bedeutendste Kommentator der Weimarer Reichsverfassung, An-schütz, stets vertreten hat. Interessieren wird in diesem Zusammenhang auch, daß sich bereits die Weimarer Nationalversammlung in ihrer 178. Sitzung mit diesem Problem befaßt hat. Auf Grund der Beratungen des 23. Ausschusses der Nationalversammlung ist dem damaligen Personenstandsgesetz eine Vorschrift angefügt worden, nach der die Standesbeamten verpflichtet wurden, statistische Erhebungen auch über die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft vorzunehmen. Mir ist nicht bekannt, daß irgend jemand der Nationalversammlung daraus einen Vorwurf gemacht hätte. Bei dieser klaren Rechtslage ist auch nicht einzusehen, warum ,der Standesbeamte die Eintragung der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft unterlassen soll, da nach der Volkszählung aus dem Jahre 1950 97 % der Bevölkerung den beiden großen christlichen Kirchen angehören.
Der Gesetzentwurf enthält Bestimmungen, die im Interesse der Vertriebenen und der Rechtsvereinheitlichung eilbedürftig sind. Die Bundesregierung bittet daher das Hohe Haus, die Vorlage möglichst so zeitig zu verabschieden, daß die Novelle zum 1. Juli 1955 in Kraft treten kann. Da 15 000 Standesbeamte mit neuen Vordrucken versehen werden müssen und noch eine Ausführungsverordnung sowie eine Dienstanweisung ausgearbeitet werden müssen, wäre es sehr erwünscht, wenn es sich ermöglichen ließe, die Novelle noch vor dem Jahresende zu verkünden.