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ID0205201200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 52. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1954 2567 52. Sitzung Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1954. Geschäftliche Mitteilungen 2567 D Nächste Fragestunde 2568 A Gedenken an die noch nicht heimgekehrten Kriegsgefangenen 2568 A, 2587 D Präsident D. Dr. Ehlers . 2568 A, 2587 D Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener (Drucksache 795) . 2568 A Überweisung an den Ausschuß für den Lastenausgleich 2568 B Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf der restlichen Teilfläche des ehemaligen Heereszeugamtes in Ulm an die Firma Telefunken, Gesellschaft für drahtlose Telegraphie mbH. in Berlin SW 61 (Drucksache 813) . 2568 B Überweisung an den Haushaltsausschuß 2568 B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Grenzlandfragen über den Antrag der Fraktion des GB/BHE betr. Sanierungsmaßnahmen für Kreise im Spessart-Gebiet (Drucksachen 751, 572) 2568 B Dr. Dittrich (CDU/CSU), Berichterstatter 2568 B Dr. Keller (GB/BHE) 2568 D Frau Dr. Probst (CDU/CSU) . . . 2570 B Bauer (Würzburg) (SPD) 2571 D Beschlußfassung 2573 A Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes (Drucksache 848) 2573 B, 2588 B Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 2573 B, 2578 D, 2591 A Kühn (Köln) (SPD) 2575 A, 2582 A, 2590 A, B Cillien (CDU/CSU) . . . . 2579 A, 2584 A Dr. Bucher (FDP) 2580 C, 2581 C Gontrum (CDU/CSU) 2581 C, 2589 C, 2590 B Kahn-Ackermann (SPD) 2583 B Metzger (SPD) 2584 C, 2587 D Dr. Kliesing (CDU/CSU) 2587 D Präsident D. Dr. Ehlers 2588 B Dr. Strosche (GB/BHE) 2588 B Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und an den Rechtsausschuß 2591 C Erste Beratung des von den Abg. Hoogen, Dr. Kihn (Würzburg), Naegel u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft (Drucksache 860) 2591 C Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 2591 C Zweite und dritte Beratung des von den Abg. Dr. Horlacher, Bauknecht, Struve, Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Drucksache 677); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (Drucksache 892) . . . . 2591 C Unertl (CDU/CSU), Berichterstatter 2591 D Abstimmungen 2592 A Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 190) 2592 C Beschlußfassung 2592 C Nächste Sitzung 2592 C Anlage: Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck 190) 2592 Die Sitzung wird um 9 Uhr 4 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    *) Siehe Anlage. Anlage Umdruck 190 Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse. Der Bundestag wolle beschließen: Die folgenden Anträge werden ohne Beratung gemäß § 99 Abs. 1 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen: 1. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Autobahn-Hinweisschilder (Drucksache 827) an den Ausschuß für Verkehrswesen; 2. Antrag der Fraktion der DP betreffend Zusammenführung des Kulturgutes der ehemals Staat- lichen Museen Berlins (Drucksache 839) an den Ausschuß für Kulturpolitik; 3. Antrag der Abgeordneten Günther, Moll und Genossen betreffend Ausbau der Autobahn Köln—Aachen (Drucksache 869) an den Haushaltsausschuß (federführend) und an den Ausschuß für Verkehrswesen. Bonn, den 8. September 1954 Dr. von Brentano und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Dehler und Fraktion Haasler und Fraktion Dr. von Merkatz und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gerhard Schröder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Novelle zum Personenstandsgesetz hat im Frühjahr dieses Jahres in der Öffentlichkeit eine lebhafte Diskussion über Fragen ausgelöst, die nicht das Hauptanliegen dieses Entwurfs sind, sondern mehr am Rande liegen. Es ist deshalb erforderlich, heute zunächst einmal die Hauptziele der Novelle herauszustellen.
    Der Gesetzentwurf hat zwei Ziele: die Ausstattung der Vertriebenen mit beweiskräftigen Personenstandsurkunden und die Führung der Personenstandsbücher im Bundesgebiet nach einheitlichen Gesichtspunkten.
    Die erste Aufgabe, die Vertriebenen wieder mit beweiskräftigen Personenstandsurkunden auszustatten, ist dringend. Die Personenstandsbücher aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sind zum großen Teil vernichtet; die erhalten gebliebenen Bücher stehen meist nicht zur Verfügung der deutschen Behörden. Die Vertriebenen können also keine Personenstandsurkunden erhalten, sind häufig auch selbst nicht im Besitz solcher Urkunden.
    Das wirkt sich in vielen Fällen sehr nachteilig für sie aus, bringt insbesondere viele unliebsame Verzögerungen mit sich.
    Die kirchlichen Organisationen, die Organisationen der Heimatvertriebenen, zahllose Heimatvertriebene selbst, berufsständische Organisationen, die Behörden der Länder und Gemeinden und die Fachorganisation der Standesbeamten haben daher seit Jahren mit Recht die Wiederausstattung mit beweiskräftigen Urkunden gefordert.
    Das Personenstandsgesetz von 1937 sah vor, daß ebenso wie in Württemberg und in der Schweiz in den Personenstandsbüchern nicht nur die einzelnen Standesfälle, sondern im Familienbuch die Familienzusammenhänge eingetragen wurden.
    Dieses Gesetz wird aber seit 1944 nicht mehr einheitlich angewandt. In einer Anzahl von Ländern ist noch das Familienbuch nach dem Personenstandsgesetz von 1937 vorhanden. In anderen Ländern wird lediglich die Eheschließung im Familienbuch beurkundet, das übrige Familienbuch jedoch nicht geführt. In dem württembergischen Teil des Landes Baden-Württemberg gilt wie seit 1808 das württembergische Familienregister.
    Diese Rechtsverwirrung muß beseitigt werden.
    Im Laufe langwieriger Beratungen ist hinsichtlich der Vertriebenen zweierlei erwogen worden: Ersatzbeurkundung durch den Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder Ersatzbeurkundung nach dem jetzigen § 41 des Personenstandsgesetzes durch die unteren Verwaltungsbehörden am Wohnsitz der Vertriebenen vorzunehmen. Beide Möglichkeiten mußten aber wieder ausscheiden, weil weder die Gerichte noch das Standesamt I in Berlin, das die Fälle zentral beurkunden müßte, um sonst unvermeidliche Doppelbeurkundungen zu verhüten, in der Lage wären, diese Arbeit für über 10 Millionen Vertriebene zu bewältigen.
    Die Rechtsvereinheitlichung in der Personenstandsbuchführung haben die Länder und die Fachorganisation der Standesbeamten schon vor 1949, vor der Bildung der ersten Bundesregierung, angestrebt. Mit der jetzt vorgeschlagenen Novelle wird also eine langjährige Entwicklung abgeschlossen. Hierbei und bei den späteren Verhandlungen hat sich die Mehrzahl der Länder, ebenso wie jetzt auch wieder der Bundesrat, entsprechend dem Vorschlage der Bundesregierung auf den Standpunkt gestellt, daß auf das Familienbuch ebensowenig wie in anderen Kulturstaaten verzichtet werden kann und daß das bisherige württembergische System mit wechselndem Führungsort gewählt werden soll. Dagegen war es nicht möglich, an dem jetzigen System des Familienbuchs mit festem Führungsort festzuhalten. Das Personenstandsgesetz gehört zu den Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Dessen Meinung geht aber auf die Schaffung eines Familienbuchs mit wechselndem Führungsort nach württembergischen Muster.
    Wenn das System des württembergischen Familienregisters übernommen wird, ist doch aus sprachlichen Gründen der Ausdruck „Familienbuch" beibehalten worden.
    Dabei muß das Familienbuch, das der Standesbeamte führt und stets in seiner Verwahrung behält, deutlich von dem Familienstammbuch unterschieden werden, das Auszüge aus den Geburts-, Heirats- und Sterbebüchern der Familienangehörigen enthält und bei der Familie selbst aufbewahrt wird. Das neue Familienbuch hat gegenüber dem bisherigen Familienbuch den Vorteil, daß die Geburt eines Kindes oder der Tod eines Ehegatten oder eines Kindes in den meisten Fällen von dem-


    (Bundesminister Dr. Schröder)

    selben Standesbeamten beurkundet werden kann, der das Familienbuch führt. Die bisher vorgesehenen Mitteilungen von einem Standesbeamten an den anderen können zu einem wesentlichen Teil fortfallen.
    Eine sofortige Einführung des Familienbuches für alle Ehen ist allerdings nicht möglich. Das neue Familienbuch soll deshalb nur bei zukünftigen Eheschließungen und auf Antrag eines Vertriebenen angelegt werden. Die beiden Hauptziele der Novelle: Schaffung von Ersatzurkunden für die Vertriebenen und Rechtsvereinheitlichung, werden dadurch erreicht, daß es nach Ablauf der Übergangszeit in allen Ländern nur noch das Familienbuch am jeweiligen Wohnsitz der Familie gibt und daß jeder Vertriebene für sich und seine Familie jederzeit die Anlegung eines solchen Familienbuches beantragen kann. Eine beglaubigte Abschrift dieses Familienbuches hat dann für den Vertriebenen und seine Familienangehörigen die gleiche Beweiskraft wie z. B. eine Geburts- oder Sterbeurkunde.
    Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die beiden Hauptziele der Ihnen vorgelegten Novelle. Ich komme nun zu zwei Punkten, die neben den Hauptzielen der Novelle mit geregelt werden sollen. Die Strafvorschrift für Geistliche in § 67 des Personenstandsgesetzes ist einer dieser von mir angesprochenen Punkte. Die Vorschläge der Bundesregierung zu dieser Vorschrift sind in der Öffentlichkeit vielfach mißverstanden und mißdeutet worden. Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, den Status der obligatorischen Zivilehe zu verändern. Die Eheschließung, meine Damen und Herren, gehört zu den Bereichen, an denen Staat und Kirche ein gleich großes, wenn auch verschieden geartetes Interesse besitzen. Aber sie ist kein Gegenstand, an dem sich heute noch ein Kampf zwischen beiden entzünden könnte. Die geistige Arbeit vieler Generationen hat die Voraussetzung zu klarer Unterscheidung der Bereiche und Funktionen geliefert. Die Bürger eines auf den Prinzipien der Freiheit und Toleranz ruhenden Staates haben ein verfassungsmäßiges Recht darauf, daß sie in Fragen, die ihr Gewissen berühren, durch die staatliche Ordnung nicht beschwert werden. Der Staat hingegen muß von seinen Bürgern fordern, daß sie sich den Regelungen unterwerfen, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und des staatlichen Gefüges erlassen werden. Die Bundesregierung hat sich von der Erkenntnis leiten lassen, daß in diesem Punkt eine Regelung getroffen werden sollte und getroffen werden kann, die dem Staat alle erforderlichen Sicherheiten gibt, aber nicht mehr mit den Relikten eines geistig wie historisch überwundenen Staatskirchentums belastet ist.
    Die Bundesregierung hat sich zu diesem § 67 nicht in vollem Umfang den Vorschlägen des Bundesrates anschließen können. Diese gingen dahin, wie bisher eine Geldstrafe u n d eine Freiheitsstrafe für den Fall anzudrohen, daß eine kirchliche Eheschließung v o r der standesamtlichen Eheschließung vorgenommen wird. Die Geldstrafe wollte der Bundesrat mit einem Höchstbetrag von 500 DM —1875 waren es 300 und 1937 waren es 10 000 Mark — androhen. Die Gefängnisstrafe wollte der Bundesrat ebenso wie 1875 auf drei Monate statt wie seit 1937 auf fünf Jahre begrenzen. Die Bundesregierung dagegen hält das Muster der Schweiz für besser, wo der Vorrang der Zivilehe durch die Androhung nur einer Geldstrafe gesichert wird. Die
    Androhung der Freiheitsstrafe kann nur aus der Lage des Kulturkampfes der 70er Jahre verstanden werden.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung weiß sich mit der Mehrheit des Volkes und allen maßgebenden Kräften darin einig, daß alles vermieden werden soll, was an Kulturkampfbestimmungen erinnern könnte.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Aufnahme, die der jetzige Beschluß der Bundesregierung über die Androhung lediglich einer Geldstrafe bisher gefunden hat, scheint zu zeigen, daß hier ein Weg gefunden ist, der zur Beruhigung der Öffentlichkeit durchaus geeignet ist und alle sachlichen Belange ausreichend wahrt.
    Bei dem zweiten Punkt, der Eintragung der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft in die Personenstandsbücher, hält die Bundesregierung an ihren ursprünglichen Vorschlägen fest. Die von oppositioneller Seite geäußerte Meinung, daß diese Vorschläge verfassungswidrig seien, findet im Grundgesetz keine Stütze. Sowohl Art. 140 des Grundgesetzes als auch Art. 136 der Weimarer Reichsverfassung begründen ganz deutlich die Auffassung der Bundesregierung. Es geht hier nämlich nicht um religiöse Überzeugungen, sondern ausschließlich um die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft. Die Begründung hat dieses Thema so eingehend behandelt, daß ich hier darauf verweisen kann.
    Ergänzend möchte ich anführen, daß sich die Bundesregierung hier in Übereinstimmung mit der Auffassung befindet, die der bedeutendste Kommentator der Weimarer Reichsverfassung, An-schütz, stets vertreten hat. Interessieren wird in diesem Zusammenhang auch, daß sich bereits die Weimarer Nationalversammlung in ihrer 178. Sitzung mit diesem Problem befaßt hat. Auf Grund der Beratungen des 23. Ausschusses der Nationalversammlung ist dem damaligen Personenstandsgesetz eine Vorschrift angefügt worden, nach der die Standesbeamten verpflichtet wurden, statistische Erhebungen auch über die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft vorzunehmen. Mir ist nicht bekannt, daß irgend jemand der Nationalversammlung daraus einen Vorwurf gemacht hätte. Bei dieser klaren Rechtslage ist auch nicht einzusehen, warum ,der Standesbeamte die Eintragung der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft unterlassen soll, da nach der Volkszählung aus dem Jahre 1950 97 % der Bevölkerung den beiden großen christlichen Kirchen angehören.
    Der Gesetzentwurf enthält Bestimmungen, die im Interesse der Vertriebenen und der Rechtsvereinheitlichung eilbedürftig sind. Die Bundesregierung bittet daher das Hohe Haus, die Vorlage möglichst so zeitig zu verabschieden, daß die Novelle zum 1. Juli 1955 in Kraft treten kann. Da 15 000 Standesbeamte mit neuen Vordrucken versehen werden müssen und noch eine Ausführungsverordnung sowie eine Dienstanweisung ausgearbeitet werden müssen, wäre es sehr erwünscht, wenn es sich ermöglichen ließe, die Novelle noch vor dem Jahresende zu verkünden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der Bundesregie-


(Präsident D. Dr. Ehlers)

rung in Ergänzung der schriftlichen Begründung gehört. Ich eröffne die Aussprache der ersten Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heinz Kühn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Es entspricht einem wohlüberlegten Brauch des Parlaments, in der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs nur gewissermaßen über die Grundkonstruktion des Gesetzes zu debattieren und nicht schon die — ich möchte sagen — arabeskenhaften Einzelheiten des Gesetzes zu diskutieren. So fragen wir auch, wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf überprüfen, nach der Grundabsicht, die die Bundesregierung damit verfolgt.
    Ich glaube, wir können aus der heutigen Beratung den die Öffentlichkeit sehr stark bewegenden Komplex des Vorrangs der Zivilehe ausklammern; ich folge hier im großen und ganzen den Darlegungen des Herrn Innenministers. Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung, den § 67 des Personenstandsgesetzes zu streichen — der Geistliche, die die kirchliche Trauung vor der zivilen Eheschließung vollziehen, unter Strafe stellt —, am Widerstand des Bundesrats gescheitert ist. Wir haben nunmehr eine Bestimmung im Gesetzentwurf, die immerhin den Vorrang der obligatorischen Zivilehe sicherstellt. In der Öffentlichkeit war — ob berechtigt oder nicht — eine starke Beunruhigung entstanden, als Vermutungen laut wurden, daß der kirchlichen Trauung allmählich auch die zivilrechtlichen Wirkungen zuwachsen sollten, die nur aus der Zivilehe entstehen können. Der Herr Bundesminister hat für die Regierung solche Absichten in Abrede gestellt. Wir akzeptieren das; aber ich glaube, es ist niemand in diesem Hause, der nicht sehr wohl weiß, daß es gewisse kirchliche Kreise gegeben hat, die auf dem Wege über die Zwischenetappe einer fakultativen, einer wahlweisen Eheschließung kirchlicher oder ziviler Art allmählich zur obligatorischen kirchlichen Eheschließung mit zivilrechtlichen Konsequenzen kommen wollten. Diese Dinge haben in der Diskussion eine sehr große Rolle gespielt, und sie haben die Öffentlichkeit sehr stark beunruhigt.
    Wir verkennen gar nicht, daß es beispielsweise für einen katholischen Christen aus der Beurteilung der Ehe als eines Sakraments einen religiösen Vorrang der kirchlichen Trauung gibt und geben muß. Aber wegen des Unterschieds zwischen der religiösen und der zivilrechtlichen Bedeutung muß die Regelung im staatlichen Raum so erfolgen, daß die zivilrechtliche Ehe dort den Vorrang hat, sosehr auch vor dem Gewissen des einzelnen die religiöse Trauung ihm aus seiner religiösen Gewissensverpflichtung heraus vorrangig erscheint. Der demokratische Staat muß jedem die Möglichkeit geben — ich folge hier dem Herrn Minister durchaus —, nach seinem Gewissen zu leben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    So muß in einem demokratischen Staat jeder durchaus die Möglichkeit der religiösen Trauung haben. Aber für die staatliche Gesetzgebung muß der Vorrang der Zivilehe und der aus ihr resultierenden Rechtswirkungen unantastbar sein.
    Zwischen der Stellungnahme des Bundesrats und der der Bundesregierung bleibt nun eine Differenz. Die Neuformulierung des Gesetzentwurfs folgt einer mittleren Linie. Es bleibt vorgesehen die
    Geldstrafe, es ist in Wegfall geraten die vom Bundesrat vorgeschlagene Aufrechterhaltung der Gefängnisstrafe. Offensichtlich ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Strafandrohung mit Gefängnis — als einem für Geistliche unangemessenen Strafaufenthalt — nicht ins Gesetz soll. Aber darüber wollen wir nicht streiten. Wir sind mit der vorliegenden Formulierung durchaus einverstanden, weil sie den Vorrang der Zivilehe eindeutig sichert. Dieses Problem wird uns also in der Diskussion des Gesetzentwurfs nicht mehr sehr beschäftigen.
    Aber wenn wir nun nach der Generalabsicht der Regierung bei diesem Gesetzentwurf fragen, dann ist wohl festzustellen, daß sie am deutlichsten in dem — ich möchte einmal so sagen — Rattenschwanz von Problemen zutage tritt, der sich rund um die Einführung des Familienbuchs neuen Typs ringelt. Hier haben wir in der Tat einige sehr ernste Bedenken. In der schriftlichen Begründung der Bundesregierung sind zwei Absichten deutlich geworden, die der Herr Bundesinnenminister dem Hause noch einmal vorgetragen hat: erstens die Notwendigkeit, die Vertriebenen wieder mit beweiskräftigen Personenstandsurkunden auszustatten. Dies ist in der Tat ein sehr ernstes Anliegen. Der Verlust der Personenstandsbücher, insbesondere in dem Gebiet östlich der Oder und Neiße, hat ein sehr ernstes Problem entstehen lassen, das geregelt werden muß. Aber muß es geregelt werden durch die Einführung eines Familienbuchs neuen Typs, „neuer Art", wie es in dem Gesetz heißt, über das bereits bestehende Heiratsbuch, Geburtsbuch und Sterbebuch hinaus?
    Das Bundesministerium der Justiz hat bekanntlich ernste Einwendungen gegen diese neue bürokratische Bereicherung unseres Aktenfetischismus erhoben. Das ist in der Beratung des Bundesrates sehr deutlich geworden. Ich darf hier aus dem Protokoll des Innenausschusses des Bundesrates zitieren, wo der Vertreter des Bundesministeriums der Justiz gesagt hat, die Führung des Familienbuches in einfacher Ausführung sei unzulänglich wegen der Gefahr, daß es bei Versendung verlorengehen könne. Außerdem verteuere sich die Personenstandsbuchführung für die Gemeinden durch die zusätzlich vorgeschriebenen Beurkundungen. Auch die Bundesregierung selbst gibt in ihrer Begründung zu — auf Seite 16/17 können Sie es nachlesen —:
    Es werden also in gewisser Hinsicht vorübergehend zwei Familienbuchsysteme nebeneinander bestehen. Dies ist sehr unerfreulich, bringt insbesondere eine erhebliche Belastung der Standesbeamten mit sich.
    Eine zusätzliche Bürokratisierung kommt hier auf uns zu.
    Nun scheint ja die Bürokratisierung unser unausweichliches Schicksal geworden zu sein. Schon die alten Chinesen haben das gekannt und hatten ein Sprichwort, daß, wenn einmal der Wind ein Blatt Papier in ein Amt wehe, nach einiger Zeit zwei Ochsen notwendig seien, um den angewachsenen Aktenhaufen wieder aus diesem Amt herauszutransportieren.

    (Heiterkeit. — Zuruf von der Mitte: Nicht nur in China!)

    — Nicht nur in China, nein, auch in Frankreich. Dort war es der bekannte französische Schriftsteiler Jules Romain, der unlängst gesagt hat, allmäh-


    (Kühn [Köln])

    lich sei es dahin gekommen, daß die eine Hälfte der Franzosen damit beschäftigt sei, über die andere Hälfte der Franzosen Aktenstücke anzulegen.

    (Heiterkeit.)

    Das ist keineswegs das, sagen wir einmal: nationale Monopol der Franzosen. Auch bei uns, auch in diesem Bundestage und auch bei der Bundesregierung scheint es mir manchmal so zu sein, daß diejenigen, die die Propagandaposaune des Antibürokratismus vor den Mauern des bürokratischen Jericho am lautesten blasen,

    (Heiterkeit)

    gar nicht das Einstürzen dieser Mauern wollen, sondern in ihrer praktischen Politik sehr kräftig mitwirken, daß der Bürokratismus in unseren Institutionen immer mehr zementiert wird.

    (Beifall bei der SPD. — Sehr richtig! in der Mitte.)

    Es scheint uns, daß man in den Ausschußberatungen den Hinweis des Justizministeriums einer sorgfältigen Erwägung unterziehen sollte, da nämlich, wo es vorschlägt — wiederum können Sie dies in dem Protokoll des Bundesrates nachlesen —, daß das vorgesehene System der Einführung dieses Familienbuches neuen Typs auf die Vertriebenen beschränkt bleiben und nach Ablauf einer bestimmten Frist wieder in die bisherige bewährte Form auslaufen soll.

    (Zuruf von der SPD: Wer glaubt denn das?)

    Ich glaube, daß dies einer sehr ernsten Erwägung wert ist.
    Aber lassen Sie mich, nachdem ich etwas zu der ersten Begründung, die überzeugend zu sein scheint, gesagt habe, nun auch etwas zu der zweiten Begründung der Bundesregierung sagen, die mir keineswegs überzeugend zu sein scheint. Daß die Regierung die Kollektion der Personenstandsbücher über das Heiratsbuch, das Geburtsbuch und das Sterbebuch hinaus um diesen neuen Typ eines Familienbuches bereichern will, wird in der schriftlichen Begründung in einer Weise begründet, die uns außerordentlich befremdend aufhorchen läßt. Dort heißt es — auf Seite 15 unten können Sie es nachlesen —:
    Das Personenstandsgesetz vom 3. November 1937 entsprach einem schon lange empfundenen . . . Bedürfnis, in den Personenstandsbüchern ... auch die Familienzusammenhänge kenntlich zu machen.
    Lassen Sie mich die Frage stellen: War es denn wirklich im Jahre 1937 ein „schon so lange empfundenes Bedürfnis", daß die NS-Reichsregierung die Familienzusammenhänge kenntlich machen wollte? Mir scheint dieses Bedürfnis des Jahres 1937 damals ganze vier Jahre alt gewesen zu sein;

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    denn das Kenntlichmachen der Familienzusammenhänge im „Dritten Reich" hatte ja doch andere Gründe als die der Vereinfachung der bürokratischen Form.

    (Beifall bei der SPD.)

    Seit dem Jahre 1875 haben wir eine Beurkundung des Personenstandes nur hinsichtlich der Geburt, der Heirat und des Todes gehabt. Niemand wird sagen, daß damit ein bevölkerungsorganisatorisches Tohuwabohu geschaffen worden wäre. Im Jahre
    1937 wollte man die Familienzusammenhänge kenntlich machen. Da bedarf es doch nicht eines langen Rätselratens, um sagen zu können, für wen sie kenntlich gemacht werden sollten. Es bedarf gar nicht des Hinweises, daß in diesem Gesetz von 1937 ausdrücklich gesagt worden ist, daß das Recht der Einsichtnahme in die Personenstandsbücher den Dienststellen der NSDAP offenstand.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Hier wurde also ganz deutlich, wem deutlich gemacht werden sollte, wie es um die Familienzusammenhänge stand. Ich 'brauche Sie alle doch nicht daran zu erinnern, wie in jener Zeit rassische Bevölkerungspolitik und eine gewisse Weltanschauungsschnüffelei — um ein Wort von Hermann Rauschning aus seinem Buch „Die Revolution des Nihilismus" zu zitieren — „bis unter die Bettdecke" betrieben worden ist. Es ging also nicht um eine harmlose Vereinfachung, sondern um ein sehr harmvolles Instrument nationalsozialistischer Familienpolitik. Es war damals ein im letzten Grunde NS-Schnüffelgesetz.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, hier liegt eine ernste Besorgnis. Wir haben es nicht mit Freuden zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung in dem zweiten Teil ihrer Begründung so ausdrücklich auf die damals angegebene Begründung der NS-Regierung Bezug nimmt, daß es angeblich eben ein „seit langem empfundenes Bedürfnis" gewesen sei, das zur Schaffung dieses Gesetzes geführt habe. Nachdem die Bundesregierung sich jedoch so sehr auf diese Formulierung des Jahres 1937 beruft, werden Sie es verstehen, wenn wir nun den Hindernislauf des Mißtrauens über die einzelnen Paragraphenhürden nur sehr vorsichtig antreten.
    Für wen und warum sollen nun heute die Familienzusammenhänge in der beabsichtigten Weise kenntlich gemacht werden? Zunächst: was soll kenntlich gemacht werden? Da haben wir in erster Linie die bereits von dem Herrn Bundesinnenminister angesprochene Frage der Bekundung des religiösen Bekenntnisses. Wir sind nicht der Auffassung, die der Herr ,Bundesinnenminister hier vorgetragen hat. Art. 140 unseres Grundgesetzes macht Art. 136 der Weimarer Verfassung zum geltenden Verfassungsgrundsatz, zu aktuellem Recht. In Art. 136 der Weimarer Verfassung heißt es:
    Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
    Ich kann den Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers in keiner Weise folgen, z. B. da, wo er sagt, hier solle nicht etwa die religiöse Überzeugung bekundet werden, sondern nur die rechtliche Zugehörigkeit. Ob ich den einen Begriff oder den anderen nehme, in der Praxis, muß ich sagen, gilt der Satz: Je mehr es sich ändert, desto mehr bleibt es sich gleich. Wenn jemand seine formale Zugehörigkeit bekundet, bekundet er damit hoffentlich auch seine religiöse Überzeugung. Denn wir wollen doch hoffen, 'daß Leute, die ihre rechtliche Zugehörigkeit zu einer Vereinigung oder zu einer Gemeinschaft bekennen, ihr auch aus Überzeugung angehören. Für die Folgen, die aus einer solchen


    (Kühn [Köln])

    Bekundung entstehen, bleibt es sich gleich, ob der Betreffende hier nur eine rechtliche Zugehörigkeit oder eine persönliche religiöse Überzeugung bekundet. Er gibt einen Tatbestand zu den Akten, aus dem Schlußfolgerungen gezogen werden können.
    Übrigens ist die Mehrheit des Bundesrates keineswegs der Auffassung, die der Herr Bundesinnenminister hier vorgetragen hat, sondern sie hat sehr ernste verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Der Herr Bundesminister der Justiz hat im Bundesrat sagen lassen, daß sein Ministerium „nicht unbedingt in der vorgetragenen Richtung" zu argumentieren in der Lage sei, es könne „nicht unbedingt" der Auffassung folgen, daß der Art. 136 der Weimarer Verfassung unmittelbar geltender Rechtsgrundsatz sei; sonst, so ist dort gesagt worden, hätte es ja nicht eines besonderen Gesetzes aus dem Jahre 1920 bedurft, das die Frage der religiösen Bekundungspflicht regelt. Wir wollen hier in aller Form zum Ausdruck bringen, daß wir den Art. 136 der Weimarer Verfassung auf dem Wege über den Art. 140 des Grundgesetzes für aktuelles Recht halten, daß wir es nicht für statthaft halten, nach der religiösen Zugehörigkeit zu fragen.
    Wir befinden uns in Übereinstimmung mit der Formulierung, die der Bundesrat selbst gefunden hat. Wir schließen uns dieser Formulierung des Bundesrates an, in der es heißt, daß gegen die Aufnahme des religiösen Bekenntnisses in die Personenstandsbücher verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
    Die Bundesregierung glaubt nichtsdestoweniger, nicht auf diese Forderung verzichten zu können.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] : Ganz recht!)

    Wie ein roter Faden — ich müßte hier vielleicht sagen, wenn Sie nichts dagegen haben, wie ein schwarzer Faden —

    (Zurufe von der Mitte)

    zieht sich das durch die §§ 11, 12, 14, 17, 37 und viele andere hindurch.

    (Anhaltende Zurufe von der Mitte. — Große Unruhe.)

    Das religiöse Bekenntnis des Ehegatten muß angegeben werden. In der Geburtsurkunde muß das religiöse Bekenntnis der Kindeseltern angegeben werden. Jede Heiratsurkunde soll das religiöse Bekenntnis ausweisen, ebenso jede Sterbeurkunde. Die konfessionelle Etikettierung des Menschen von der Wiege bis zum Grabe ist also in diesem Gesetz festgelegt.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Man komme uns nicht mit dem Hinweis auf § 69 a: „Eine Eintragung unterbleibt, wenn die Angabe hierüber abgelehnt wird ...".

    (Zuruf von der Mitte: Na also!)

    — Meine Damen und Herren, was heißt hier „Na also"? Muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es in gewissen Gegenden Deutschlands und für viele Menschen — insbesondere für ihr berufliches Fortkommen — geradezu ein Akt der Selbstdenunziation ist, wenn sie diese Angaben ablehnen?

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und vereinzelt rechts. — Lebhafte Zurufe von der Mitte.)

    Der § 69 a ist doch eine Verharmlosung, und er ist in der Praxis unwahrhaftig.

    (Erneute Zurufe von der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, daß bei zahlreichen Gelegenheiten — —

    (Abg. Dr. Weber [Koblenz]: ... das Parteibuch wichtiger ist!)

    — Nicht das Parteibuch! Meine Herren, wo das Parteibuch wichtiger ist, kann man bei der Personalpolitik gewisser Regierungsstellen sehr genau erkennen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: Niedersächsische Regierung, Hessen! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Der § 69 a

    (anhaltende Zurufe)

    ist sehr verharmlosend und in seiner Wirkung

    (Fortgesetzte Zurufe von der Mitte — Große Unruhe.)

    — Vielleicht unternehmen Sie es nachher, durch Ihren Sprecher Ihre Gesichtspunkte darzulegen. Wenn Sie aber Zwischenrufe machen wollen, dann einigen Sie sich darauf, wer es tut, damit man es versteht.
    Der § 69 a ist eine Verharmlosung. Sie wissen ganz genau, daß in Wirklichkeit bei zahlreichen Gelegenheiten, bei Bewerbungen beispielsweise, Vorlage von Personenstandsurkunden erforderlich ist. Sie wissen ganz genau, wie sehr da gerade die „falsche" religiöse Zugehörigkeit jemandem schädlich werden kann. Da können wir Ihnen, wenn Sie die notwendige Redezeit beschaffen, einen bunten Katalog von Einzelfällen aufführen.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Aber es bleibt nicht allein bei der Bekundung des religiösen Bekenntnisses. In diesem Familienbuch soll beispielsweise auch der Religionswechsel eingetragen werden. Es sollen die Tatsachen der Ehescheidung und der Wiederverheiratung eingetragen werden. Es kommen, wenn ich die Bestimmungen des Gesetzes recht verstanden habe, darin auch zur Transparenz, zur Durchsichtigkeit, Tatsachen wie die folgende. Wenn eine Frau ein uneheliches Kind mit in die Ehe bringt, so wird dieser Tatbestand nach den Bestimmungen des Gesetzes im Familienbuch deutlich.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Ein anderes Beispiel: die Tochter eines — nehmen wir einmal einen Fall, wo es durchaus schädlich wirken könnte — Beamten bekommt ein uneheliches Kind. Dann kommt dieses Kind in das Familienbuch des Vaters dieses Mädchens. Muß ich darauf aufmerksam machen, daß es Fälle gibt, wo das für diesen Mann, der an diesem Tatbestand gar nicht beteiligt ist, durchaus schädlich sein kann?
    Sie werden mir sagen: da gibt es einen Sperrvermerk. Im Gesetz — § 61 Abs. 2 — ist die Eintragung eines Sperrvermerks vorgesehen, so daß über den Tatbestand des Vorhandenseins des unehelichen Kindes niemand als den unmittelbar Beteiligten Auskunft erteilt werden darf. Aber sehen Sie, das wird doch durch die Bestimmungen des § 61 Abs. 1 völlig durchlöchert, wo es heißt, daß außer den unmittelbar beteiligten Personen andere Personen „nur dann ein Recht auf Einsicht


    (Kühn [Köln])

    und Durchsicht der Personenstandsbücher und auf Erteilung von beglaubigten Abschriften" haben, „wenn sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen". Dieser Kautschuk-Absatz, diese Formulierung: „ein berechtigtes Interesse" geltend machen, öffnet sehr verhängnisvollen Möglichkeiten Tür und Tor. Wer nicht alles kann kommen und ein sogenanntes berechtigtes Interesse geltend machen?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Alle diese Tatsachen, die ich eben aufgeführt habe, sollen nun im Familienbuch transparent gemacht werden bis zur, wie ich mit aller Deutlichkeit sagen möchte, Existenzgefährdung für einen Menschen.

    (Widerspruch und Unruhe in der Mitte)

    — Wenn Sie unbedingt Wert darauf legen, kann ich hier ein paar Beispiele erwähnen. — Sie wollen doch wohl nicht leugnen, daß es so etwas wie eine Schnüffelei nach dem gemeinsamen konfessionellen Kopfkissen gibt. Wir haben gerade jetzt in der Zeitung gelesen, daß in Rheinland-Pfalz ein Lehrer katholischen Bekenntnisses, der acht Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war, zurückgekommen ist. Er hat an einer katholischen Pädagogischen Akademie studiert und jetzt die Mitteilung bekommen, daß er an keiner katholischen Schule eine Lehrerstelle bekommen kann, weil er eine evangelische Frau hat.

    (Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Sie mögen mir — und ich akzeptiere das bis zu einem gewissen, minimalen Umfang — den Einwand entgegenhalten, daß im Falle des Lehrberufs manchmal Grenzfragen entstehen können, obschon dieses Beispiel keineswegs dazu gehört. Aber die Vorfälle sind doch nicht allein auf den Lehrberuf beschränkt, und eine solche Maßnahme ist schon nach der Verfassung nicht statthaft.
    Während meiner Tätigkeit im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde ich eines Tages mit einem Fall beschäftigt, in dem ein Arzt katholischer Konfession — seine Ehe war auf Betreiben seiner Frau in der Nazi-Zeit geschieden worden — nach zehn Jahren eine andere, eine evangelische Frau heiratete. Er war als Arzt freiberuflich tätig, operierte aber in einem konfessionellen Krankenhaus. Diesem Arzt wurde mitgeteilt, daß er künftig kaum noch damit rechnen könne, in diesem konfessionellen Krankenhaus zu operieren.

    (Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört! — Unerhört!)

    Als die Frau dann aus Angst vor der Existenzgefährdung ihres Mannes zu gewissen Stellen ging und dort sagte: „Nun gefährden Sie doch meinen Mann nicht in seiner Existenz!", da wurde ihr geantwortet: „Warum haben Sie denn aber auch heiraten müssen? Auch Maria Magdalena ist in den Himmel gekommen."

    (Lebhafte Pfui-Rufe von der Mitte. — Große Unruhe.)

    Das mag ein Einzelfall sein, aber ich sage Ihnen
    das mit aller Deutlichkeit. Lassen Sie mich — —

    (Zurufe und anhaltende große Unruhe.)

    . — Schimpfen Sie doch nicht so sehr! Ich bin ja gar nicht so weit gegangen wie Ihr verehrter Koalitionskollege Dr. Dehler, der gesagt hat, es graue ihm vor einem von Prälaten und Oberkirchenräten regierten Deutschland. Ich bleibe ja noch bei Einzelfällen. Ich habe ja ausdrücklich, bevor Sie Ihren Protest manifestierten, gesagt: Das mögen Einzelfälle sein.

    (Erneute fortgesetzte Zurufe von der Mitte.) Aber Sie wollen doch nicht bestreiten, daß es auch unter den Geistlichen kleingeistige und engmuffige Eiferer gibt. Wir wollen ihnen nicht die Möglichkeit geben, auf diesem Wege an die Existenz eines Menschen zu rühren. Wer unter Ihnen, der um die — z. B. auch vom katholischen Denken her — notwendige Unterscheidung zwischen dem ewigen und dem irdischen Plan der Kirche und mithin um die Heiligkeit und Sündigkeit ihrer Vertreter — um in der Sprache zu bleiben — weiß, will bestreiten, daß es solche Fälle gibt? Wir wollen nicht, daß ein Gesetz ihnen Möglichkeiten zur Unduldsamkeit schafft.


    (Zurufe von der Mitte.)

    1937 sollte dieses Gesetz einer bestimmten Weltanschauungspolitik dienen, Lassen Sie mich sagen: Wir wollen nicht, daß über den § 61 Abs. 1 Satz 2 und über den § 69 a hier wiederum ein Instrument zur Manipulierung einer bestimmten Weltanschauungspolitik geschaffen wird.
    Unter diesem Gesichtspunkt werden wir im Ausschuß an die Beratungen dieses Gesetzentwurfs herangehen. Wir werden nicht hinnehmen, daß durch dieses Gesetz Einrichtungen geschaffen werden, die — vielleicht gegen den Willen derjenigen, die sie schaffen wollen — konfessionelle Diskriminierungen möglich machen. Wir werden alles tun, um zu verhindern, daß durch ein Gesetz Einrichtungen geschaffen werden, die in diesem Sinne mißbraucht werden können.

    (Beifall bei der SPD.)