Rede von
Dr.
Franz
Böhm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktionsfreunde beabsichtigen, dem Antrag der SPD zuzustimmen, und zwar vor allem auch aus dem Grunde, den Herr Kollege Arndt schon genannt hat, daß eine Reihe von Antragsberechtigten und- gerade von zurückhaltenden Antragsberechtigten, die keine unberechtigten Anträge stellen wollen, ja nicht einmal Anträge stellen wollen, von denen sie nach der bisherigen Rechtsprechung annehmen müssen, daß sie wahrscheinlich abgelehnt werden, sich durch den Erlaß der noch ausstehenden Rechtsverordnungen in die Lage versetzt sehen könnten, unvermutet doch Aussicht und gute Aussicht für die Verfolgung ihrer Rechtsansprüche zu haben. Diesen Erfolg bringt schon die einzige Rechtsverordnung mit sich, die bisher erlassen worden ist, nämlich die für den § 14, der den Kreis der berechtigten Erben oder Nachkommen eines Getöteten weiter faßt, als man angesichts des Wortlautes des Gesetzes vermuten konnte. Es ist also so, daß die Rechtsverordnungen auch von Einfluß auf den Kreis der Antragsberechtigten sind. Es wäre sehr unbillig, wenn nunmehr Personen, die infolge verspätet erlassener Rechtsverordnungen bessere Aussichten haben, deswegen ausgeschlossen wären, weil sie in pessimistischer Auffassung der Rechtslage versäumt haben, ihren Antrag zu stellen. Das ist der Grund, der die Leiter der Wiedergutmachungsbehörden selber veranlaßt, eine Verlängerung der Frist zu fordern. Es sind auch uns aus den Kreisen der Wiedergutmachungsämter Wünsche zugegangen, einen solchen Antrag zu stellen; und es würde auch von unserer Fraktion geschehen sein, wenn nicht schon der Antrag der SPD gestellt gewesen wäre.
Es könnte der Einwand erhoben werden, daß durch die Zahl der Nachzügler die Berechnungen über den vermutlichen Kostenaufwand der Entschädigung wieder über den Haufen geworfen würden und daß sich die Belastung, die aus der Entschädigungspflicht auf uns zukommt, nicht genau übersehen lasse. Aber angesichts des Gewichts der Gegenargumente sollte dieses Bedürfnis in diesem Fall nicht berücksichtigt werden.
Ich bitte auch mir zu gestatten, einige Worte zu der Lage zu sagen, der wir uns heute gegenübersehen, nachdem das Bundesentschädigungsgesetz über ein Jahr in Kraft ist. Da ist das bestürzende Ergebnis, an das niemand von uns gedacht und das niemand gewollt hat — trotz aller berechtigten Kritik des 1. Bundestages durch alle Fraktionen hindurch an der Unzulänglichkeit dieses Gesetzes hat das niemand gewußt und niemand vorausgesehen —, daß durch das Fehlen der Rechtsverordnungen die allerwichtigsten Vorschriften des Gesetzes über die Entschädigung für Schäden am Leben, zweitens für die Schäden an Körper und Gesundheit und drittens für die Fortbildungs- und Berufsschäden überhaupt nicht anwendbar sind.
Die Folge des von allen Wiedergutmachungsberechtigten, allen Verfolgten so heiß ersehnten Bundesentschädigungsgesetzes war, daß schlagartig die Weiterbehandlung bereits eingereichter Anträge eingestellt wurde und bis zum heutigen Tage eingestellt blieb. Erst seit Anfang Oktober können wenigstens diejenigen Anträge bearbeitet werden, die auf Grund des § 14 des Gesetzes gestellt werden, nicht aber diejenigen auf Grund des § 15 und nicht diejenigen auf Grund der §§ 25 bis 36 des Gesetzes; diese bleiben nach wie vor liegen, so daß die Tätigkeit der Entschädigungsämter schlagartig nachgelassen hat. In Berlin, das weitaus die größte Verfolgtengruppe hat, ist die Summe der monatlichen Entschädigungszahlen gegenüber der Zeit vor dem Bundesentschädigungsgesetz um 80 % zurückgegangen.
Seit zwölf Monaten werden nur noch 20 % der Entschädigungen gezahlt, die auf Grund des Berliner Gesetzes, also vor Erlaß des Bundesentschädigungsgesetzes, gezahlt wurden. Wenn ich recht unterrichtet bin, sind von den 30 Millionen DM, die im Berliner Etat für die Wiedergutmachungszahlungen enthalten sind, seit dem Inkrafttreten des Bundesentschädigungsgesetzes erst 5 Millionen DM in Anspruch genommen worden. Das ist eine bestürzende Bilanz.
Leider können wir nicht sagen, daß die Verzögerung des Erlasses der Rechtsverordnungen eine schuldlose ist.
Zwar wird man sagen müssen, daß von dem Zeitpunkt an, an dem der Herr Bundesfinanzminister die Startgenehmigung für die Ausarbeitung von Rechtsverordnungen erteilt hat, von den Beamten des Bundesfinanzministeriums, von den Beamten der übrigen beteiligten Ministerien und vom Bundesrat eine außerordentlich intensive und fleißige, unermüdliche und auch hochqualifizierte Arbeit geleistet worden ist. Die sehr wenigen Beamten im Bundesfinanzministerium können aber tatsächlich neben der ungeheuren Fülle ihrer übrigen Arbeit — sie sind ja nicht nur mit der Ausarbeitung der Rechtsverordnungen beschäftigt, sondern haben auch vieles andere zu tun — diese gewaltige Arbeit schlechterdings nicht leisten.
Dazu kommt: Wenn auf das Gesetz selbst - das Gesetz ist ja aus einem Regierungsentwurf hervorgegangen —, wenn auf die Ausarbeitung der Paragraphen mehr Sorgfalt verwendet worden wäre, hätten wir vielleicht überhaupt keine Rechtsverordnungen gebraucht oder wir hätten Rechtsverordnungen gebraucht, die in zwei oder drei Wochen hätten fertig werden können. Die Tatsache, daß die Fertigstellung der Rechtsverordnung zu einem einzigen Paragraphen vom ersten Federstrich an bis zum Inkrafttreten vom 1. März bis zum Oktober dauert, ist nur durch die Mangelhaftigkeit des Gesetzes erklärbar, das durch die Rechtsverordnungen zu ergänzen ist. Diese Mangelhaftigkeit des Gesetzes rührt aber auch daher, daß der Regierungsentwurf des Bundesentschädigungsgesetzes sehr spät in Angriff genommen worden ist. Er ist erst in Angriff genommen worden, als die Konkurrenz des Bundesrats mit einem Initiativgesetzentwurf schon weit gediehen war. Daher stand der letzte Bundestag nur vor der Wahl, entweder ein Gesetz, das er für unzureichend hielt — alle Fraktionen haben es für unzureichend gehalten —, in Kenntnis seiner Mängel anzunehmen oder aber es abzulehnen und dabei eine ungeheure Enttäuschung in den Herzen vieler leidgeprüfter Menschen hervorzurufen. Also diese Verzögerungssünden der Vergangenheit sind für die Verzögerung bei den Rechtsverordnungen mitverursachend.
Leider kommt aber noch ein Weiteres hinzu. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns am 28. Mai 1954 hier in diesem Hohen Hause selbst erklärt, daß die Rechtsverordnungen deshalb nicht in Angriff genommen worden seien, weil der Bundesrat am 17. September 1953 — an dem Tage, an dem er seine Zustimmung zum BEG gab — beschlossen habe, eine Novelle zu erlassen, und daß diese Absicht des Bundesrates erst im März 1954 aufgegeben worden sei. Der Herr Finanzminister hat erklärt, es habe doch keinen Zweck, es sei untunlich, Ausführungsbestimmungen, Rechtsverordnungen zu einem Gesetz zu erlassen, wenn man wisse, daß doch bald ein anderes nachkomme. Meine Damen und Herren, hier ergibt sich doch die prinzipielle Frage — die auch eine Rechts- und Verfassungsfrage ist —, ob da, wo ein Gesetz die Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt, die Bundesregierung irgendeinen Ermessenspielraum dafür besitzt, ob und wann sie von dieser Ermächtigung Gebrauch machen will. Es fragt sich, ob ihr ein solcher Ermessenspielraum überhaupt zusteht. Ist die Bundesregierung insbesondere ermächtigt, Rechtsverordnungen deshalb nicht zu erlassen, weil gesetzgebende Körperschaften von ihrem Recht Gebrauch machen, ein neues Gesetz vorzubereiten, besonders dann, wenn von der sofortigen Inangriffnahme der Arbeiten an den Rechtsverordnungen für das Schicksal ganzer Massen schwergeprüfter Menschen so vieles abhängt wie in diesem Fall, oder dann, wenn diejenigen Vorschriften des Gesetzes, die durch Rechtsverordnungen ausgeführt werden sollen, ohne solche Vorschriften überhaupt nicht angewendet werden können? Bei den §§ 14, 15, 25 bis 36 war das der Fall, wie ich schon ausgeführt habe. Mir scheint doch, daß angesichts des klaren Willens des Gesetzgebers, daß die Rechtsverordnungen zu erlassen sind, und angesichts des gleichzeitigen Willens der damaligen Gesetzgeber, ein neues Gesetz dem alten folgen zu lassen, die Bundesregierung nicht berechtigt war, mit dem Erlaß der Rechtsverordnungen auch nur einen Tag zu warten,
namentlich deswegen, weil damals im Bundestag und im Bundesrat zunächst die Absicht bestand, das Bundesentschädigungsgesetz überhaupt erst mit den Rechtsverordnungen in Kraft treten zu lassen.