Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs ist über seine Gründe im besonderen, aber auch über den Stand der Wiedergutmachung im allgemeinen etwas zu sagen. Ansprüche aus einem Gesetz können sinnvoll an eine Ausschlußfrist nur gebunden werden, wenn das Gesetz selbst die sachlichen und förmlichen Voraussetzungen des Anspruchs klar erkennen läßt. An dieser Klarheit läßt es das unselige Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 in mancher Hinsicht fehlen. Es gibt Erfahrungen darüber, daß wegen dieser Unklarheiten Anmeldungen versäumt worden sind. Gerade diejenigen Berechtigten, die nicht mehr wünschen, als ihnen zusteht, und sich eine gewisse Zurückhaltung auferlegt haben, würden zu kurz kommen, wenn man die Frist jetzt mit dem 30. September hätte ablaufen lassen, zumal die Ausführungsverordnung zu § 14 des Gesetzes erfreulicherweise — und ich erkenne das sehr dankbar an — den Kreis der Berechtigten weiter zieht als eine bisher recht engherzige Rechtsprechung. Für übergebietliche und für verlagerte Organisationen, insbesondere für Organisationen, die früher im gegenwärtigen Ostsektor Berlins oder außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes ihren Sitz f' hatten, ergeben sich weder aus § 8 noch aus § 89 hinreichende Zuständigkeitsbestimmungen. Auch solche Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes, die eine Höchstgrenze der Entschädigung festsetzen, haben offenbar übergebietliche Organisationen nicht berücksichtigt, so daß § 24 Abs. 2 zu erweitern sein wird. In der Rangfolge des .§ 78 haben solche Organisationen bisher keinen angemessenen Platz.
Unter diesen Umständen kann es nicht dabei bleiben, daß inzwischen die gesetzliche Anmeldefrist abgelaufen ist, falls der Berechtigte nicht im Auslande lebt. Wir halten daher für erforderlich, die Anmeldefrist wieder zu eröffnen und um ein Jahr zu verlängern. Bitte, wenden Sie uns nicht ein, hierdurch verzögere sich der Vollzug des Gesetzes, weil sich vor Ablauf der Anmeldefrist die Gesamtheit der Ansprüche nicht überblicken lasse. Erstens läßt sich aus der Summe der Anmeldungen noch nicht auf den Gesamtbetrag schließen, der für gerechtfertigte Ansprüche aufzuwenden sein wird. Zweitens handelt es sich nicht um die Ausschüttung einer Konkursquote, so daß die Größe der Schäden den Maßstab dafür zu bilden hat, welche Mittel aufzuwenden sind, nicht aber umgekehrt ein bestimmter Geldbetrag die Grenze setzen kann, ob und zu welchem Anteil Unrecht wiedergutzumachen ist. Drittens läuft die Frist für die Anmeldungen ails dem Auslande ohnehin noch bis zum 1. Oktober 1955, so daß vor Ende des nächsten Jahres sowieso mit keinem Abschluß der Anmeldungen zu rechnen ist.
Die Unklarheiten, die es zu beseitigen gilt, stehen in einem inneren Zusammenhang mit den unbestreitbaren Mängeln des Gesetzes, so daß es gerechtfertigt erscheint, hierbei auch allgemein den Stand der Wiedergutmachung zu berücksichtigen und die Frage aufzuwerfen, wie es mit der Wiedergutmachung in Deutschland bestellt ist.
Das Bundesgesetz vom 18. September 1953 hat in einem außerordentlichen und mit dem Grundgesetz kaum zu vereinbarenden Ausmaß die Regelung einer Reihe von Rechtsverordnungen überlassen. Die Folge dieses Grundfehlers ist es, daß sogar die an sich bereits unzureichenden Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes noch immer zu einem erheblichen Teil un vollziehbar geblieben sind.
In der 32. Plenarsitzung am 28. Mai hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Schäffer, ausgeführt, daß die Verordnungen zu § 14 — diese regeln den Schaden am Leben — „dieser Tage" — wörtlich! — dem Bundesrat zugehen und die Verordnungen zu § 15 — Schaden an Körper und Gesundheit — sowie zu § 37 — Schaden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen — „sofort anschließend"; auch dieser Ausdruck ist wörtlich. Das war am 28. Mai. Jene Erklärungen des Herrn Bundesministers der Finanzen haben sich leider nicht bewahrheitet. Die Verordnung zu § 14 als die erste ist von der Bundesregierung erst am 22. Juni im Bundesrat eingebracht worden. Der Bundesrat hat sie unverzüglich behandelt und am 23. Juli verabschiedet. Sie ist am 20. September verkündet worden. Diese erste Verordnung ließ also noch nach dem 28. Mai fast einen Monat auf sich warten und konnte erst später als ein Jahr nach Erlaß des Bundesentschädigungsgesetzes verkündet werden.
Bis zur Vorlage der zweiten Verordnung, jener zu § 15, verstrichen seit dem 28. Mai, dem Tage also, an dem der Bundesfinanzminister von „sofort anschließend" gesprochen hatte, noch. mehr als vier Monate, ehe diese Verordnung als Entwurf am 2. Oktober, also erst vor wenigen Tagen, den Bundesrat erreichte. Wann die Bundesregierung die dritte Verordnung, die zu § 37, dem Bundesrat vorlegen wird, ist noch nicht abzusehen.
Als diese Verzögerungen am 28. Mai von allen Fraktionen des Bundestages gerügt wurden, suchte der Herr Bundesminister der Finanzen die Schuld daran dem Bundesrat aufzubürden. Namens des Bundesrats hat als dessen Berichterstatter Herr Senator van Heukelum in der 127. Sitzung des Bundesrats am 23. Juli diese Behauptung des Herrn Bundesministers der Finanzen als falsch und haltlos zurückgewiesen
und festgestellt, daß der Herr Bundesminister der Finanzen schon seit dem 4. März weiß, der Bundesrat wolle bei seinen Plänen zu einer Novelle von dem Bundesergänzungsgesetz in der jetzigen Fassung als der nun einmal gegebenen Grundlage ausgehen. Der Herr Bundesminister der Finanzen trägt für diese Versäumnisse selbst allein die parlamentarische Verantwortung
und sollte sie auch nicht als Vorwurf an seine Mitarbeiter weitergeben;
denn ein entscheidender Grund für diese Verzögerungen ist darin zu finden, daß der Herr Bundesminister der Finanzen es unterlassen hat, die zuständige Abteilung seines Ministeriums mit einer hinreichenden Zahl von sachkundigen Fachkräften zu besetzen.
Mit der freundlichen Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich eine Stelle aus dem Stenographischen Bericht des Bundesrats verlesen. Herr Senator van Heukelum als Sprecher des Bundesrates hat hierzu folgendes gesagt:
Diese personelle Besetzung und nicht der Bundesrat ist der Grund für die im höchsten Maße bedauerlichen Verzögerungen, die eingetreten sind und die, wie ich fürchte, auch künftig eintreten werden. Ich möchte daher
— sagt Herr Senator van Heukelum als Sprecher des Bundesrates —
den dringenden Appell an den Herrn Bundesfinanzminister richten, hier Abhilfe zu schaffen, damit nicht der Eindruck entstehen kann, das Bundesfinanzministerium behandele, aus was für Gründen auch immer, die Wiedergutmachung und insbesondere die weitere Durchführung des Bundesergänzungsgesetzes nicht mit der gebotenen Sorgfalt und vor allem Schnelligkeit. Sicher,
— sagt Herr van Heukelum —,
sparsame Verwaltung ziert einen Finanzminister, aber gar zu große Sparsamkeit erweist sich hier, insonderheit in Ansehung der delikaten Sache und im Schatten des 20. Juli 1944, als fehl am Platze. Jedenfalls darf ich wohl für Sie alle feststellen,
— und das ist im Bundesrat unwidersprochen geblieben
daß der Bundesrat es ablehnt, für daraus entstandene Fehlerquellen und Verzögerungen schuldig gesprochen zu werden.
Ich frage den abwesenden Herrn Bundesfinanzminister und seinen anwesenden Herrn Staatssekretär: Was ist seit dem 23. Juli, also wiederum seit nunmehr 12 Wochen, geschehen, um diesem dringenden Appell des Bundesrates zu entsprechen?
— Nichts ist geschehen; das ist ganz richtig.
Ein zweiter Grund dieser nachgerade unentschuldbaren Versäumnisse liegt darin, daß jenes verlorene Häuflein im Bundesministerium der Finanzen, das sich mit diesen Fragen zu befassen hat, nicht nur die Last einer Ausarbeitung der Rechtsverordnungen trägt, sondern sich eigentlich auch noch mit der allseits geforderten Verbesserung des Gesetzes beschäftigen sollte. Die Bundesregierung hat seinerzeit den weit besseren Gesetzentwurf des Bundesrats volle vier Monate — vom 20. Februar bis zum 20. Juni 1953 — dem Bundestage vorenthalten, obgleich sie nach dem Grundgesetz zur unverzüglichen Weiterleitung und Stellungnahme verpflichtet war. Auf diese bedenkliche Weise hat es die Bundesregierung durch ihre Schuld dem 1. Bundestag unmöglich gemacht, sich rechtzeitig dieser grundlegend wichtigen Aufgabe zu widmen. Andernfalls hätte es niemals dazu kommen können, daß sich der 1. Bundestag in der Zwangslage sah, in einem einmaligen Verfahren die Regierungsvorlage unberaten zu verabschieden, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß es eine Pflicht des 2. Bundestages sein werde, dieses Gesetz alsbald zu überarbeiten und wesentlich 'zu verbessern.
Was aber ist aus den Beteuerungen geworden, die wir damals hörten und an die wir wieder und wieder hier erinnern werden? Am 4. März hat meine Fraktion den Entwurf einer Novelle an die anderen Fraktionen versandt. Zufällig am gleichen 4. März, also vor nun mehr als sieben Monaten, hat der Herr Bundesminister der Finanzen im Sonderausschuß des Bundesrates erklären lassen, daß die allseits als notwendig anerkannte Novelle als Vorlage der Bundesregierung vorgelegt werden solle. Ich frage wiederum den abwesenden Herrn Bundesminister der Finanzen und seinen anwesenden Herrn Staatssekretär: Was hat die Bundesregierung insoweit in diesen sieben Monaten getan?
Sie hat einen Beirat gebildet. Aber dieser Beirat ist nach monatelangem Warten bisher ein einziges Mal, am 14. Juli, zusammengetreten, um sich zu konstituieren.
Seitdem hat sich die Tätigkeit dieses Beirats darauf beschränkt, daß seine Mitglieder von anberaumten Sitzungen wieder ausgeladen wurden.
Meine Damen und Herren, ein volles Jahr ist der 2. Bundestag jetzt an der Arbeit und in der Arbeit,
ohne daß die feierlichen Versprechungen, wie sie etwa auch Herr Kollege Gerstenmaier von diesem Platze aus gegeben hat, eingelöst worden sind oder auch nur Aussicht hätten, eingelöst zu werden. Bedenkt man, daß wir jetzt das zehnte Jahr seit dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erreicht haben, bedenkt man, daß vielfach das schadenverursachende Unrecht bereits zwei Jahrzehnte und mehr zurückliegt, so müssen wir uns gestehen, daß dieses endlose Hinauszögern der Wiedergutmachung vielfach bitterste Hoffnungslosigkeit für die Opfer der Verfolgung bedeutet.
Ungezählte sind inzwischen verstorben, Ungezählte werden noch, ohne auch nur einen Anfang der Wiedergutmachung erlebt zu haben, versterben, und zahlreiche Opfer siechen alt und hilflos dahin.
Bei diesem Stande der Wiedergutmachung ist es nicht zu verantworten, daß aus dem Bundesministerium der Finanzen Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, aus denen sich die Presse Aufwendungen für die Wiedergutmachung bis zu einem Betrage von 10 Milliarden DM ausgerechnet hat
und der Steuerzahler irrtümlich glaubt annehmen zu müssen, daß sich auf seine Kosten an den Opfern Hitlers ein goldenes Wiedergutmachungswunder vollzöge.
Die Wahrheit sieht anders aus! Um nur einen einzigen Fall zu nennen ... Wenn ich anfangen wollte, hier Einzelheiten zu erörtern, wie das eben bei der Investitionshilfe geschehen ist, dann könnten wir noch den ganzen Tag und den nächsten Tag sprechen. Der verehrte Herr Kollege Böhm nickt mir zu. Diese Fälle, die hier unerörtert bleiben, sind so ungeheuerlich, daß sie alles in den Schatten stellen.
Aber um eins nur zu sagen: Wer heute ein Urteil erwirkt, durch das ihm Haftentschädigung zugesprochen wird, kann nach § 78 des Bundesentschädigungsgesetzes noch nicht einmal ahnen, wann seine Haftentschädigung je zur Auszahlung aufgerufen werden wird, obwohl diese einmalige Entschädigung oft nur einen Bruchteil der stattlichen Summen beträgt, die der Organisator der Konzentrationslager, Diels, und Ideologen des braunen Totalitarismus wie Koellreuther Jahr für Jahr aus den Steuergeldern einer schafsgeduldigen Demokratie einstecken.
Der wegen Beihilfe zum Totschlag in mehreren Fällen im Konzentrationslager Bergen-Belsen zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilten Herta Ehlert ist es gelungen, eine „Heimkehrerentschädigung" von Bundes wegen zu bekommen,
längst bevor man daranging, die Schäden auch nur zu lindern, welche die rechtswidrig ihrer Freiheit beraubten Häftlinge von Bergen-Belsen an ihrer Gesundheit und in ihrer Existenz erlitten.
In diesem Zusammenhang habe ich noch einige Fragen an den Herrn Bundesminister der Finanzen, der abwesend ist, und an seinen anwesenden Herrn Staatssekretär zu richten. Nach § 77 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes ist bis zum 31. Dezember 1954 durch ein Bundesgesetz die endgültige Verteilung der Entschädigungslasten auf Bund und Länder zu regeln. Ich frage: Wann ist mit der Vorlage dieses Gesetzes zu rechnen? Sind Sie sich bewußt, daß es der Rechtslage nach dem Grundgesetz und dem Bundesentschädigungsgesetz nicht entspricht, wenn dauernd in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, als sei die Wiedergutmachung Ländersache? Sind Sie sich auch darüber klar, daß die durch § 77 Abs. 1 geschaffene Unsicherheit zu dem Mißstand geführt hat, daß seit Jahr und Tag sowohl der Bund als auch die Länder sich bemühen, möglichst wenig oder möglichst gar nichts zu zahlen, weil die Länder befürchten, die ihnen nur vorläufig aufgebürdeten Lasten endgültig tragen zu müssen? Man wird hier an einen berühmten Vers von Heinrich Heine erinnert. Warum befindet sich — frage ich weiter — das in § 77 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes vorgesehene Bundesgesetz nicht auf der Dringlichkeitsliste, die das Bundeskanzleramt jetzt für die gesetzgeberische Initiative der Bundesregierung aufgestellt hat?
Welche Beträge gedenkt der Bundesminister der Finanzen in den kommenden Bundeshaushalt für die Wiedergutmachung einzustellen, und welche Rechtsverordnung nach § 78 Abs. 4 ist zum Aufruf von Wiedergutmachungsleistungen zu erwarten? Warum ist bisher überhaupt noch nicht eine einzige Leistung aufgerufen worden, obgleich jährlich durch Rechtsverordnung diese Leistungen aufgerufen werden sollen?
Meine Damen und Herren, ich freue mich, sagen zu können und dafür danken zu dürfen, daß bisher das Israel-Abkommen vertragstreu erfüllt wird und daß es Bundesbehörden wie insbesondere das Bundesministerium der Justiz gibt, die zur Ausführung des Wiedergutmachungsrechts schnell und, von einzelnen Fällen abgesehen, auch anerkennenswert gut gearbeitet haben.
Wir begrüßen es auch, daß der Herr Bundeskanzler Herrn Goldman die Zusicherung gegeben hat, das Scheitern des Bonner Vertrags werde an dem Willen, die dort versprochene Wiedergutmachung zu leisten, nichts ändern. Gleichwohl ist die Wiedergutmachung keine Angelegenheit, die mit Herrn Goldman auszuhandeln und in Verträgen mit auswärtigen Staaten festzulegen wäre.
Sie ist eine innerpolitische, eine deutsche A u f gab e und eine Sache des Rechts.
Sie ist der Prüfstein unserer eigensten Rechtlichkeit, die wir uns selbst schulden.
Darum gibt es eine Wechselwirkung zwischen dem Leidensweg der Wiedergutmachung und dem faulen Klima unserer Innenpolitik. Wenn eine Volksvertretung und eine Bundesregierung so jammervoll an die Wiedergutmachung herangeprügelt werden müssen, bleibt ein solcher Mißstand nicht ohne nachteilige Folgen für die Art, wie diese Gesetze gehandhabt werden.
Auf keinem anderen Rechtsgebiet ist in Verwaltung und Rechtsprechung so engherzig, manchmal herzlos, so kleinlich, mit einer solchen Silbenstecherei und Wortklauberei verfahren worden. Ein öder Formalismus, der so auf die Spitze getrieben wird, daß man den Hinterbliebenen des am 30. Juni 1934 ermordeten Musikkritikers Schmidt die ihnen sogar von den Nationalsozialisten gewährte Rente verweigert, weil Schmidt infolge einer Namensverwechslung „nur versehentlich" getötet und also nicht verfolgt worden sei!
So ist eine Aufgabe, deren großherzige Erfüllung das ganze Volk bewegen sollte, unter die Tintenkleckser und Federfuchser geraten, und wir müssen uns von einer liberalen britischen Zeitung, der man Deutschfeindlichkeit im allgemeinen nicht vorwerfen kann, nachsagen lassen, in Deutschland neige man dazu, die Opfer des Nationalsozialismus und insbesondere die Juden als eine lästige Plage anzusehen.
Es ist das faule Klima eines schleichenden Antisemitismus.
In dieser Stickluft kommen gewisse Redewendungen wieder auf, die von „geistig heimatlosen, eiskalten Intellektuellen", den „entwurzelten Intellektuellen" sprechen und — den Juden meinen. Meine Damen und Herren, Sie finden dieses giftige Kauderwelsch nicht etwa im Pamphlet von Diels, sondern in einer Karl Marx gewidmeten Betrachtung, die der Bundesgeschäftsführer der CDU schrieb und ausgerechnet zum Nationalfeiertag am 17. Juni als Leitartikel in der „Kölnischen Rundschau" veröffentlichte.
Im „Rheinischen Merkur" vom 1. Oktober liest sich das schon so, daß man von der heimlichen und hintergründigen Rolle spricht, welche der — und ich darf das jetzt wörtlich zitieren — „zum größten Teil wegen Hitlers Rassenpolitik deutsch-feindliche innere Führungsstab" eines westeuropäischen Ministerpräsidenten spiele.
Man bringt Karikaturen eines westeuropäischen Staatsmannes, die uns zu verstehen geben: „der Jude ist unser Unglück", und das bitterböse Wort von den „Juden und Freimaurern" läuft wieder um. Von solchen giftigen Blüten, meine Damen und Herren, könnte ich Ihnen einen ganzen Strauß hier bringen. Ich will es mir aber versagen.
Wer darüber noch schweigen würde, macht sich mitschuldig. Immer war und bleibt der Rassenhaß ein Anschlag auf die Freiheit aller,
eine Unsauberkeit, die jeden befleckt, der nicht 'dagegen aufsteht.
Wir Sozialdemokraten empfinden die Untätigkeit, die das uns aufgegebene Liebeswerk und Rechtswerk der Wiedergutmachung zur lästigen Plage fiskalischer Art niedersinken ließ, als einen brennenden Makel, dessen wir uns in tiefster Seele schämen. Wir hoffen, daß wir damit auch Gefühlen Ausdruck geben, die in Abgeordneten aller Fraktionen vorhanden sind. Ich frage und ich bitte Sie alle: wann werden wir gemeinsam die Tat vollbringen, die so furchtbar lange schon darauf wartet, daß wir sie beherzt anpacken?