Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte Stunde dieser Verhandlungen hat überraschend Aufschlüsse über die Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zur Frage der Verteidigung gebracht. Ich kann nur feststellen, daß die heutige Erklärung in vollem Gegensatz zu allen früheren Erklärungen der sozialdemokratischen Fraktion steht.
Vor einigen Wochen schon stand, wenn ich nicht sehr irre, in der schwedischen Presse, daß ein führendes Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion in einer Rede erklärt habe, man müsse das Wort Neutralisation durch Bündnislosigkeit ersetzen.
Sie haben heute die Proklamierung der Bündnislosigkeit gehört. Ich habe Herrn Kollegen Ollenhauer so verstanden, daß er sagt: ein wiedervereinigtes Deutschland soll vorher — vor der Wiedervereinigung — die Verpflichtung eingehen, sich weder militärisch dem Osten noch militärisch dem Westen anzuschließen. So habe ich ihn verstanden.
Wenn ich ihn richtig verstanden habe, meine Damen und Herren, so muß ich sagen, daß das selbstverständlich eine Neutralisierung Deutschlands ist.
Ich weiß nicht, es fehlt vielleicht eins noch; aber, meine Damen und Herren, das will ich dann Herrn Kollegen Ollenhauer konzedieren: es würde dann diesem Deutschland nicht auferlegt sein, wenn das nicht noch ergänzt wird, daß es nur Streitkräfte in bestimmtem Umfang unterhalten und nur bestimmte Waffen besitzen darf.
Ich habe vor mir das Protokoll der Bundestagssitzung vom 19. März 1953 liegen. Und hier hat Kollege Ollenhauer einen völlig entgegengesetzten Standpunkt vertreten.
Er hat eine sehr große, lange Rede gehalten und darin unter anderem gesagt:
Wir sind bereit zur Teilnahme an einem europäischen Sicherheitssystem auf der gleichen Basis der Souveränität und der Gleichberechtigung, . . .
Und an einer anderen Stelle hat er die Frage angeschnitten, daß man eben die britische militärische Mitarbeit gewinnen müsse. Die ganze Rede des Herrn Ollenhauer — sie ist, wie gesagt, sehr lang; ich kann sie Ihnen nicht vorlesen, es würde zu lange aufhalten —, geht davon aus, daß die Bundesrepublik einen militärischen Beitrag leistet.
— Ja, meine Damen und Herren, das ist eine Frage, auf die ich jetzt einmal eingehen möchte. Also konzedieren Sie, daß die Bundesrepublik sich bis zur Wiedervereinigung militärisch in ein anderes System integrieren kann?
— Bis zur Wiedervereinigung, und dann nicht mehr?
Meine Damen und Herren, in der Sitzung vom 7. Februar 1952 — sie liegt schon lange zurück — hat der Kollege Ollenhauer gesagt:
Der Ohne-mich-Standpunkt löst keines der menschlichen Probleme seiner Anhänger. Im Falle einer Aggression der Totalitären ist ihnen die Uniform auf alle Fälle sicher.
— Ich doch nicht! Ich lese doch nur vor, was Herr Ollenhauer gesagt hat.
Er fährt dann so fort:
Politisch aber bedeutet dieser Standpunkt unter den gegenwärtigen Umständen eine Hilfsstellung für die Extremen in unserem Volk . . . Die erste uridiskutable Voraussetzung für einen deutschen Beitrag muß daher
die Gewißheit sein, daß die entscheidenden Mächte der demokratischen Welt, in erster Linie die Vereinigten Staaten, entschlossen sind, Deutschland mit demselben Einsatz zu verteidigen wie irgendeinen Punkt ihres eigenen Gebiets.
Meine Damen und Herren, am 25. Februar 1954 hat Herr Kollege Ollenhauer folgendes ausgeführt:
Wenn so die Sozialdemokratische Partei ihren ablehnenden Standpunkt gegenüber der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in vollem Umfange aufrechterhalten muß, so möchte ich noch einmal und, wie ich hoffe, damit zur endgültigen Ausmerzung des Unfugs des Geredes
— also kein Zwischenruf; ich habe es nicht so gehäuft, sondern Herr Kollege Ollenhauer hat es wörtlich so gesagt —
über die angebliche Ohne-mich-Politik oder Neutralisationspolitik der Sozialdemokratie feststellen, daß die Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht die Ablehnung einer Politik der militärischen Sicherheit für unser Volk bedeutet.