Rede von
Dr.
Heinrich
Lübke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man hat den Eindruck, daß wir mit der Behandlung landwirtschaftlicher Themen, besonders von Ernteschäden, gerade immer zu einem Zeitpunkt vor den Bundestag treten, in dem der hungrige Magen sein Recht fordert.
Es ist ein Segen, daß trotz der eingetretenen Ernteschäden unsere Verbraucher auch in diesem Jahre mit einer stetigen Versorgung rechnen können und daß sie dabei, soweit wir das jetzt übersehen können, von höheren Preisforderungen frei bleiben werden, obgleich die Mißernte nicht nur Deutschland, sondern einen wesentlichen Teil Europas betroffen hat, so daß manche Einfuhren, auf die wir glaubten mit Sicherheit rechnen zu können, nicht hereinkommen. Es darf aber auch festgestellt werden, daß nicht nur die internationale Handelsverflechtung, sondern auch die deutsche Marktordnungsgesetzgebung die Regierung verpflichtet, Vorräte anzusammeln, die in schlechten Erntejahren den Verbraucher in vollem Umfange sichern sollen.
Nun zu den Ausführungen des Herrn Berichterstatters und den Ausführungen von Herrn Kollegen Kriedemann. Herr Kollege Kriedemann meint, die jetzige Regelung sei den Geschädigten abträglich, und zwar im wesentlichen dadurch, daß wir nicht auf dem Boden der Gesetzentwürfe geblieben sind, sondern einen Entschließungsantrag vorgelegt haben, der die Regierung auffordert, den Geschädigten zu helfen. Ich glaube, wenn die Gesetzesanträge in allen zuständigen Ausschüssen behandelt würden, hätten wir sicherlich bis Ende November warten müssen, bis Sie eine Aufforderung an die Regierung hätten richten können, die notwendigen Mittel zur Hilfe für die Geschädigten bereitzustellen. Dieser Entschließungsantrag tut dasselbe. Ihm ist ein Kabinettsbeschluß vorausgegangen, in dem die Regierung ihrerseits zum Ausdruck gebracht hat, daß sie bereit ist, die Ernteschäden abzumildern.
Der Wille zu helfen ist von sämtlichen Parteien dieses Hauses durch die Vorlage dieses Entschließungsantrages zum Ausdruck gebracht. Andernfalls hätten zunächst einmal die Schäden festgestellt werden müssen, und dadurch wäre eine wirksame Hilfe verzögert worden. Wie Sie sehen, liegt bereits ein Entwurf der Richtlinien vor, die allerdings noch vom Finanzminister und von den Ländern genehmigt werden müssen.
— Ich glaube, daß der Finanzminister schon rechtzeitig mittun wird. Es muß aber Vorsorge getroffen werden, daß auch die Länder mitwirken. Das halte ich für sehr viel schwieriger, als vom Herrn Finanzminister die notwendigen Mittel zu erhalten.
Allerdings hat der Herr Finanzminister dabei das Glück,
daß zunächst die Länder in langen Stiefeln vorangehen müssen.
Ein wesentlicher Punkt der Ausführungen von Herrn Kollegen Kriedemann war, daß in der Öffentlichkeit durch die letzten Presseäußerungen ein falscher Eindruck über die Höhe und Bedeutung der Schäden entstanden sei. Ich komme Ihrem Wunsche, hier im Plenum des Bundestages noch einmal über diese Dinge zu sprechen, gerne nach. Wir haben in diesem Jahr aus Gründen höherer Gewalt eine derart schlechte Ernte, daß wir bis in das Jahr 1922 oder 1910 zurückgehen müssen, um auch nur ähnliche Verhältnisse anzutreffen. Ich persönlich stehe nun mindestens 40 bis 45 Jahre mit Bewußtsein im landwirtschaftlichen Geschehen und kann sagen, in dieser Zeit hat es eine Ernte mit so schlechten Erträgen nicht gegeben. Ich komme aus dem Sauerland, wo wir, wie Sie wissen, schon manches verregnete Jahr hatten. Aber derartige Wassermassen sind noch selten dort festgestellt worden. Der Höhepunkt der Wetterkatastrophe war am 14. und 15. August. Von nachts 2 Uhr bis zum nächsten Nachmittag 16 Uhr sind 70 mm, an einzelnen Stellen sogar bis zu 100 mm Regen gefallen. Damit wurden große Teile unserer landwirtschaftlichen Nutzflächen unter Wasser gesetzt. Man mußte gleichzeitig das Vieh abtreiben, hat es entweder auf Pensionsweiden gegeben oder in die Ställe gebracht und verbraucht nunmehr das für den Winter vorgesehene Futter. Es wird also gar nichts anderes übrigbleiben, als für diese Fälle Sondervorsorge in der Beschaffung von Futter zu treffen, weil sich diese Bauern sonst nur durch den Verkauf von Rindvieh weiterhelfen können. Ich habe selbst an vielen Stellen in den Überschwemmungsgebieten feststellen müssen, daß sogar Züchter, deren Stall von Tierkrankheiten frei war, wesentliche Prozentsätze dieses hochgezüchteten Materials verkaufen mußten.
Dabei war nicht nur die Grünfutterernte, also auch das Heu, sondern waren auch die Kartoffeln und die Futterrüben geschädigt; und das Getreide war zu einem großen Teil nicht gedroschen, sondern lag in faulenden Haufen am Rande der Felder.
Wenn Sie unterstellen, daß es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt, sondern in den überschwemmten Gebieten die Regel war, dann werden Sie verstehen, daß auch der Milchertrag in den betroffenen Betrieben innerhalb weniger Tage um 50 % zurückgegangen ist.
Der Herr Berichterstatter, Kollege Glasmeyer, hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Überschwemmungsgebiete, in denen in der Regel auch die Kartoffeln verfault sind, gesondert behandelt werden müssen, weil hier außerordentliche Maßnahmen notwendig sind.
Der falsche Eindruck in der Presse ist im übrigen dadurch entstanden, daß man den Totalausfall an Getreide als Gesamtschaden gerechnet hat.
Wir hätten in diesem Jahr eine wundervolle Getreideernte bekommen, die etwa um eine Million to über der des Vorjahres gelegen hätte. Der Totalausfall beträgt nach den Probedruschen, die gemeldet wurden, bisher rund 650 000 to. Das sind vorläufige Feststellungen. Der Hauptschaden wird durch den ungeheuren Auswuchs verursacht, der in der langen Regenperiode entstanden ist. In den Stiegen ist das Getreide grün geworden; die Körner haben gekeimt. Damit beginnen die chemischen Umsetzungen im Getreidekorn. Wenn dann der Auswuchs eintrocknet, beträgt der Nährwert des
Korns nur noch einen Bruchteil. Die Mühlen nehmen Getreide, das mit diesem Auswuchs behaftet ist, für Brotgetreide höchstens in einer Menge von 3 %. Wir haben beispielsweise bei der Roggenernte in Schleswig-Holstein nach diesen Feststellungen nur ganze 31 % normal eingebracht. 69 % sind mit Auswuchs behaftet, so daß sie von den Mühlen und Bäckereien nicht mehr als voll mahl- bzw. backfähig angesehen werden. Dieses Getreide müssen wir also, soweit es nicht von selber den Weg in den Futtertrog geht, wo es natürlich auch nur einen geringeren Wert hat, diesen Schadensmengen hinzurechnen. Wenn wir dazu das gesamte Getreide rechnen, das feucht in die Scheune gekommen ist und nun zum Teil verdirbt oder qualitätsmäßig so verschlechtert wird, daß man es nicht mehr als vollwertige Ernte rechnen kann, kommen wir auf mindestens die doppelte Schadenssumme.
Nun werden Sie fragen: Woher wissen Sie das? Meine Damen und Herren, wir können nicht auf Zeitungsmeldungen und nicht auf Meldungen von Verbänden aufbauen, weil sie nur Einzelfeststellungen treffen können; wir haben für die Überprüfung der Roggen- und Weizenernte 800 Probevolldrusche in einer repräsentativen Verteilung vorgesehen, wobei man natürlich in der Beurteilung auch dann noch Vorsicht walten lassen muß. Bei Roggen liegen bis jetzt 280 Volldruschergebnisse, bei Weizen 182 vor. Die Probedruschergebnisse, die wir demnächst erwarten, werden Anfang nächster Woche vorliegen.
Daraus ergibt sich das Bild, das ich Ihnen eben dargelegt habe. Sie sehen, daß wir uns Mühe gegeben haben, die Mitteilungen, die wir Ihnen vorlegen, auf möglichst klaren Unterlagen aufzubauen. Sie können weiter feststellen, daß der Schaden nicht nur bei der Getreideernte entstanden ist. Es
Ügibt im Norden und im Süden auch außerhalb der berschwemmungsgebiete Gegenden, in denen das Heu verregnet und verfault ist und wo der Grummetschnitt nicht durchgeführt werden konnte. Auch hier haben wir außer einer schlechten Getreideernte den Ausfall der Futterernte zu beklagen. Dabei kann man aber sagen, daß die Kartoffelernte den vorhandenen Bedarf decken wird.
Überlassen wir nun die Betriebe draußen ihrem Schicksal? Werden die Wechseltermine, werden die Steuerfälligkeiten diese vom Wetter geschlagenen Menschen erdrücken? Es ist dafür Vorsorge getroffen worden, daß die Wechselverpflichtungen, die zur Beschaffung von Produktionsmitteln eingegangen worden sind, bis zum 31. Oktober dieses Jahres niemanden stören. Wenn die notwendige Hilfe bis dahin nicht oder nicht ausreichend in Gang gekommen ist, wird die Frist noch einmal verlängert, bis Beihilfen gewährt worden sind. Diese Erntebeihilfen werden zur Existenzsicherung gegeben. Die Notwendigkeit dieser Beihilfe zur Existenzsicherung besteht nach unserer Definition auch dann, wenn der Betroffene nicht aus eigener Kraft die nächste Ernte erstellen kann.
Diese beiden Punkte sind wesentlich in dem Antrag, den Sie unterschrieben haben und über den Sie gleich abstimmen. Das ist auch in die Richtlinien aufzunehmen, die für die Schadensabwicklung zu beachten sind. Da wird man fragen: Wie soll aber der Geschädigte die Wechsel abdecken? Eine kleine Genossenschaftskasse hier in der Nähe
hatte in der Regel um diese Zeit 300 000 DM Verpflichtungen des Dorfes aus Getreideverkäufen abgedeckt. In diesem Jahre sind die Schulden von 300 000 bereits auf 400 000 DM angestiegen. Wenn wir nun zur Sicherung der nächsten Ernte Beihilfen geben, die insbesondere in Steuerniederschlagungen, im Erlaß von Renten, in der Ausgabe von Gutscheinen für Handelsdünger und für Saatgut bestehen, so sitzt der Betroffene doch immer noch auf seinen Schulden. Diese Schulden können wir ihm nicht abnehmen. Die muß er zum Teil im nächsten Jahr mit Hilfe der nächsten Ernte und zum Teil vielleicht erst im übernächsten Jahr abtragen.
Was Sie also in Ihren Entschließungsanträgen gefordert haben und was die Regierung als Beihilfe bisher vorgesehen hat, das ist nicht etwa eine Gesamtlösung kollektiver Art, bei der jeder etwas erhält. Es ist nämlich die Forderung erhoben worden, pro Hektar eine Beihilfe für Handelsdünger in Höhe von 30 DM zu gewähren. Das wäre zwar eine sehr einfache, aber sehr teure Hilfe gewesen, wobei demjenigen, der schwer geschädigt worden ist, nicht entscheidend hätte geholfen werden können. Wir haben die individuelle Lösung gewählt, weil sie die gerechteste ist und weil auch von jedem Unternehmer ein normales Ernterisiko getragen werden muß.
Die Schwierigkeiten in der Landwirtschaft werden trotz dieser Hilfe noch sehr groß sein. Was wir jetzt an Erntebeihilfen gewähren, das hat sie also dringend notwendig.