Rede von
Reinhold
Rehs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat heute vormittag eine Stunde gehabt, die es verdient, zu den bisher wenigen großen in diesem Hause gezählt zu werden. Hier ist aus der Mitte der Koalition ein Mann aufgestanden und hat aus der Lauterkeit seiner Gesinnung, aus heißem demokratischen Herzen,
aus der Erfahrung eines langen, kämpferischen, politischen Lebens und aus tiefer Sorge um die Entwicklung
den Mut aufgebracht, das zu beweisen, was die Stunde erforderte, was jeder Staatsbürger von uns allen erwartet
und was jeder Abgeordnete dieses Hauses gelobt hat, nämlich nur seinem Gewissen verpflichtet zu sein.
Hier hat ein Mann aus der Mitte der Koalition die innere Kraft bewiesen, sich nicht als Eideshelfer der Regierung zu fühlen, sondern ihr Richter zu sein. Wer sich das Urteil nicht hat trüben lassen, wird mir beipflichten, wenn ich sage: ich neige mich in tiefem Respekt vor dem Bürgersinn, dem Mut und der Größe dieses Mannes Reinhold Maier.
Der deutsche Staatsbürger wird wissen und als den Gewinn dieser Stunde die Ermutigung buchen:
nur solange es noch solche Charaktere in Deutschland gibt,
solange noch solche Männer reden können und sich
das Reden nicht nehmen lassen, ist der Geist der Demokratie am Leben.
Meine Damen und Herren, wir haben aber auch unmittelbar danach einen Augenblick erlebt, der uns wie ein Keulenschlag getroffen hat: nach dieser Rede von Herrn Reinhold Maier die se Erklärung des Herrn Bundeskanzlers!
Wenn es noch irgendeines Beweises für die tiefe, innere Wahrheit und Berechtigung der Ausführungen des Herrn Kollegen Maier bedurft hat, hier folgte er auf dem Fuße
und mit einer Wucht, daß nur Gedankenlose und Unwillige nicht das Beben verspürt haben, das dabei die Fundamente des Geistes der Demokratie berührt hat.
Von wem, wenn nicht von dem Regierungschef der Demokratie, soll man verlangen, daß er wenigstens die Pflicht des Gewissens und den Willen und den Mut zur Wahrhaftigkeit respektiert!?
Herr Kollege Dehler hat vorhin beschworen, einen neuen Geist entstehen zu lassen. Mag er dazu mithelfen, daß die Entstehung dieses neuen Geistes nicht durch solche Erklärungen und Reden des Herrn Bundeskanzlers im Keime unmöglich gemacht wird.
Nun haben wir nach Mittag die Ausführungen von Herrn Dr. Dehler gehört. Wir wissen nicht, was hinter den verschlossenen Türen des inneren Rates der Koalition in dieser Pause vor sich gegangen ist. Die Ausführungen weckten Erinnerungen an das klassische Altertum und das Delphische Orakel, und man könnte geneigt sein, dabei vom Dehlerschen Orakel zu sprechen. Ist es schon so weit, daß ein Demokrat, ein unantastbarer Demokrat entschuldigt werden muß, wenn er von dem Recht der Rede und der Kritik auf diesem Platze Gebrauch macht?
Ist es schon so weit, daß sein eigener Fraktionsvorsitzender dieses klägliche Amt der Entschuldigung für die freie Mannesrede auszuüben sich bereit findet?
— Welchen Sinn sollten denn die ganzen Erklärungen von Herrn Dr. Dehler anders haben, als zu reduzieren, als abzurücken, als Nebel abzublasen gegenüber dem, was an harter und wahrer Kritik von Herrn Kollegen Maier vormittags ausgesprochen worden war?!
Herr Kollege Dehler hat eingangs dieser Legislaturperiode an diesem Platze davon gesprochen, er sei nun ein wirklich freier Mann.
Nach seiner heutigen Erklärung müssen wir den
Eindruck festhalten, daß anscheinend nicht alle Freien Demokraten wirklich freie Demokraten sind.
Nach dem Ereignis, mit dem der Vormittag abschloß, konnte es schwerfallen, in dieser Sache heute überhaupt noch das Wort zu nehmen, weil sich die Frage aufdrängte, ob die weitere Aussprache angesichts einer solchen Erklärung überhaupt noch einen Sinn hat.
Die Ausführungen, die am Nachmittag gemacht worden sind, haben den Mut zu einer Fortsetzung dieser Aussprache nicht gesteigert. Aber verschiedene Bemerkungen, verschiedene Erklärungen, verschiedene Aggressionen können nicht unwidersprochen bleiben und müssen zurückgewiesen werden.
Herr Kollege Kiesinger, Sie haben appelliert, wir sollten nicht klein genug sein, aus der Vertrauenskrise, die Sie feststellten, parteipolitisches Kapital zu schlagen.