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ID0204207100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 42. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. September 1954 1941 42. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 16. September 1954. Geschäftliche Mitteilungen 1941 D Nachruf für den verstorbenen Abg. Ten- hagen 1942 A Anteilnahme des Bundestages am Tode des Staatsoberhauptes der Republik Brasilien Dr. Vargas 1942 B Gedenkworte des Präsidenten für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Algerien . 1942 B Mandatsverzicht des Abg. Dr. Middelhauve 1942 B Eintritt der Abg. Held (Lemgo) und Mißmahl in den Bundestag 1942 B Übertritt des Abg. Meyer-Ronnenberg von der Fraktion des GB/BHE zur Fraktion der CDU/CSU 1942 B Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Dr. Dr. Müller (Bonn), Neumayer, Jahn (Frankfurt), Frau Welter (Aachen), Brockmann (Rinkerode), Bock, Dr. Königswarter, Ruhnke, Frau Dr. Steinbiß, Dr. Leverkuehn, Dr. Zimmermann, Reitzner, Platner 1942 C Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags 1942 D Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 44, 79, 81, 83, 85, 87, 90, 91, 92, 95, 96, 97, 99 und 103 (Drucksachen 388, 770; 620, 747; 631, 786; 636, 764; 639, 761; 641, 748; 670, 756; 671, 777; 672, 766; 704, 776; 726, 778; 706, 808; 737, 773; 779, 797) 1943 A Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Fall John (Drucksache 767) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Falle John (Drucksache 768) sowie mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Mißbilligung des Verhaltens des Bundesministers des Innern (Drucksache 769) 1943 C Präsident D. Dr. Ehlers . . 1943 C, 1945 C, 1953 D, 1959 A Mellies (SPD), Anfragender . . . 1943 D, 1944 B, 1945 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler 1944 B, 1974 A Dr. Menzel (SPD), Anfragender und Antragsteller . . . 1947 C, 1959 A Dr. Schröder, Bundesminister des Innern . . . 1953 B, 1954 A, 1959 A, 1991 A, 1998 D Kiesinger (CDU/CSU) . . 1959 D 1965 C, D, 1988 C, 1989 C, D Schoettle (SPD) 1965 B, D Dr. Maier (Stuttgart) (FDP) . . . . 1966 A Dr. von Brentano (CDU/CSU): zur Geschäftsordnung 1974 B zur Sache 1993 B Unterbrechung der Sitzung . 1974 B Dr. Dehler (FDP) 1974 B Dr. Gille (GB/BHE) . . . 1977 A, 1978 C, 1979 A, 1981 D Erler (SPD) 1978 B, C Dr. Lütkens (SPD) . . . . 1978 D, 1979 A Welke (SPD) 1981 C Dr. von Merkatz (DP) 1982 B Rehs (SPD) 1987 C, 1988 D, 1989 C, D, 1991 B Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 1991 D Bauer (Würzburg) (SPD) . 1996 A, 1998 D Hoogen (CDU/CSU) . . . . 2001 C, 2002 B Dr. Arndt (SPD) 2002 A Weiterberatung vertagt 2005 A Nächste Sitzung 2005 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 4 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war für den heutigen Tag ein sogenanntes parlamentarisches Gewitter angekündigt. Es hat Donner und Blitz und auch einen recht giftigen Nebel hier schon gegeben. Ich glaube, dieses parlamentarische Gewitter, die verschiedenen Äußerungen, die Bälle der Vorwürfe, die sich in dieser sehr ernsten Frage die einzelnen Gruppen zuwerfen, — das kann nicht der Sinn einer solchen Aussprache sein.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Ich sage hier vorweg, daß ich Kritik an unserer Bundesregierung zu üben habe, Kritik auch an uns selbst, an uns allen, die wir hier sitzen. Ich fühle hier solidarisch und — in diesem Zusammenhang möchte ich ein-
    mal diesen Ausdruck gebrauchen — in einem gewissen Kollektivbewußtsein, daß wir einen Anlaß haben, in uns zu gehen.
    Der Sinn dieser Sitzung ist doch der, daß die gestörten Loyalitäts- und Vertrauensgrundlagen im Volke in einer sehr gefährlichen und gefährdeten Zeit wiederhergestellt werden müssen. Es ist nicht so sehr der Sinn, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen; der Sinn ist, in uns zu gehen und einige Dinge zu begradigen und zu berichtigen, die dafür überreif sind. Es ist ein Mißtrauen aufgekommen, eine Atmosphäre, die geradezu das gegebene Feld für die Taktik der von Moskau aus gelenkten Kräfte in diesem Lande ist, nämlich das zu verwirklichen, was sie wollen: Zersetzung, Zerreißung, Hoffnungslosigkeit, Nihilismus. Schließlich wirft jeder die Sache weg und hat nicht mehr die tiefe, klare Überzeugung in sich über den Weg, den wir gemeinsam zu gehen haben.
    Meine Damen und Herren, der Mann John mag sehr uninteressant sein, und auch der Abgeordnete Schmidt-Wittmack und die ganzen Gründe hin und her, warum und wieso. Das ist nicht das Wesentliche. Wesentlich ist, zwei Dinge zu erkennen: daß anhand dieser beiden Fälle sich etwas ausgelöst hat — wie manchmal ein Anlaß eine Entwicklung ins Rollen bringen kann —, was eine Gefahr für Staat und Volk und Zukunft darstellt. Diesen Ernst der Situation — daß hier sozusagen ein Tropfen noch hinzugekommen ist, um das Gefühl der Unsicherheit auszulösen — hat man weitgehend und, ich möchte sagen, auf allen Seiten nicht ganz begriffen, nicht schnell genug begriffen, hat nicht aus gesundem Instinkt auf diese Gefahr hin zu handeln gewußt.
    Wir haben hierbei zwei Dinge zu unterscheiden. Einmal sind die Vorgänge auf diesem Feld Maßnahmen im Kalten Kriege. Das zweite ist die Frage der innenpolitischen Staatsgrundlagen, die mit diesen beiden Fällen erneut zur Diskussion gestellt worden ist. Hier ist eine Verantwortung von uns wahrzunehmen, daß wir auf diesen beiden kritischen Gebieten das richtige Maß halten, damit wir nicht aus dem einen Feld in das andere Feld vorstoßen und dort Grundlagen unserer gemeinsamen Existenz gefährden.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Hier ist Maßhalten geboten. Ich darf für das innere Feld allerdings vorweg eines sagen — und das ist der Grundsatz, aus dem heraus ich heute namens meiner politischen Freunde Stellung nehmen möchte —: Wir werden uns — und da sind Sie wohl alle meiner Meinung — immer gegen eine Auffassung wenden: Ein Staat kann niemals auf das Satellitenverhältnis der Kollaboration begründet werden;

    (Beifall rechts)

    und hier ist der Punkt, der das Volk so tief beunruhigt hat.
    Wir sollten heute -- das sind wir der Öffentlichkeit schuldig — einmal glatt zugeben, daß wir Fehler gemacht haben, und zweitens, daß das Gebot der Stunde Aufrichtigkeit ist, Aufrichtigkeit in dem, was hier gebessert werden kann. Denn dieses Stückchen Erkenntnis wird uns wesentlich weiterbringen.
    Man muß natürlich die Fälle John und Schmidt-Wittmack unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Der Fall unseres Kollegen — ich


    (Dr. von Merkatz)

    möchte ihn nicht mehr Kollege nennen; denn ich meine, mit dem, was er getan hat, hat er das Recht verwirkt, von uns überhaupt noch als Mensch anerkannt zu werden, mit dem man zusammensitzen könnte — Schmidt-Wittmack ist an sich der viel ernstere Fall. Er geht auf die Wurzel. Daß ein Mann, der von seinen Wählern ein Mandat erhält, dieses Mandat verrät, und zwar in einem grundsätzlichen Sinne verrät, ist eine Ungeheuerlichkeit, die weit über das hinausgeht, was jener labile Mensch mit dem Namen John — Verräter hat es immer gegeben, auch in anderen Situationen — gemacht hat. Ich muß sagen, da wir hier in diesem Hause sind: wer diese Loyalitätspflichten gegenüber den Grundlagen des Staates verrät, der hat damit allerdings ein Verbrechen begangen, das ich moralisch schlimmer werte als den juristischen Tatbestand des Landesverrates. Es ist ein tiefer Verrat all der Grundlagen, aus denen wir überhaupt unsere Legitimation beziehen, Sprecher dieses Volkes und in dieser Zeit zu sein. Ich muß sagen, daß ich persönlich durch dieses Überlaufen am tiefsten betroffen bin, daß ich mich persönlich in meiner eigenen Legitimation gekränkt fühle. Das sollten wir in diesem Hause einmal ganz klarstellen, nicht Vorwürfe machen, sondern uns bewußt machen, was es heißt, daß in dieser Stunde ein Mann aus unseren Reihen, gleichgültig, wo er politisch gestanden haben mag, überläuft, und zwar nicht nur zum Feinde, sondern zu jener Gruppe, die die letzten Reste der Menschenwürde vernichten will, übergeht

    (Beifall bei der DP)

    und dazu noch das Anliegen mißbraucht, das wir als tiefe Sehnsucht in uns tragen: die Einheit un-seres Staates wiederherzustellen. Auf diesen Mißbrauch hin jenen Weg zu gehen, ist allerdings tief betrüblich.
    Die psychologischen Fehler. Was mache ich hier der Regierung zum Vorwurf? Ich kann auch da trotz unserer alten und guten kollegialen Beziehungen den Herrn Innenminister nicht auslassen. Der Grundfehler war die Neigung zur Bagatellisierung, einem Wunschbild zu folgen: Es wird doch wohl nicht wahr gewesen sein; so können wir uns ja in einem Manne nicht geirrt haben. Das ist meiner Ansicht nach der psychologische Grundfehler, und das soll man eingestehen. Jeder Mensch kann sich irren. Ein sozusagen gewerbsmäßiges, grundsätzliches Mißtrauen gegen seinen Nächsten, besonders auch in der Verwaltung, betrachte ich als die Zumutung einer menschlichen Erniedrigung, die man gar nicht schlimmer machen kann; denn Mißtrauen macht den Menschen gemein. Es ist ganz undenkbar, daß wir nun etwa einen Staat auf den Grundsätzen des Mißtrauens aufbauen. Mein Gott, wo sollen wir dann hinkommen! Dann besteht dieses Volk keine Krise; dann besteht man auch menschlich nichts mehr.
    Das ist nicht der Punkt gewesen, sondern es ist doch ein ganz einfacher Tatbestand: Ein Mann dieses Amtes geht über die innerdeutsche Leidensgrenze. Was hat der Chef eines Verfassungsschutzamtes drüben Kontakt zu nehmen? Schon dieser Tatbestand allein genügte, daß eine Reaktion mit absoluter Klarheit erfolgte. Gerade diese innere Neigung, die sogenannte Entführungstheorie aufzustellen und dann allzulange aufrechtzuerhalten, ist eine Verkennung der Situation im Grundsätzlichen. Das sollte man eingestehen und ruhig zu-
    geben. Es ehrt einen Menschen, einen Irrtum einzugestehen. Das ist meine Auffassung.
    Es kommt noch ein Zweites hinzu. Ich begrüße es — ich selbst habe diesen Grundsatz als Jurist immer sehr verteidigt —, daß man in allen rechtsstaatlichen Fragen, zumal dann, wenn es auch um Verdächtigungen geht, sehr korrekt zu verfahren hat. Dieser Grundsatz der absoluten Korrektheit ist natürlich auch von dem Herrn Innenminister zu wahren, und er hat ihn auch sehr gewahrt. Aber ich habe doch den Eindruck gewonnen, daß in der Art der Untersuchung das juristisch Korrekte gegenüber der politischen Tragweite dieses Falles etwas zu sehr in den Vordergrund gestellt worden ist. Wie man dann noch dazu kommen konnte, diese Note an die Alliierten loszuschicken, ist mir restlos unverständlich. Das hat der Innenminister natürlich nicht zu verantworten. Ich möchte überhaupt in diesen meinen Ausführungen nicht so sehr mit dem Finger auf Personen zeigen und mit Entschuldigungsgründen hin und her operieren. Nein, gerade wir, die wir die Koalition tragen und sie bejahen, sollten einen Fehler, der hier begangen worden ist, auch deutlich machen. Da wir selbst ja nicht beratend gesagt haben: nein, das muß man anders machen, haben wir, ich selbst eingeschlossen, mit Schuld daran, daß die Angelegenheit falsch angefaßt worden ist.
    Meine Damen und Herren, wir leben jetzt natürlich in der Gefahr der Übertreibung. Es ist so eine Art von Hysterie der Verdächtigung ausgebrochen, eine Selbstzersetzung, die sehr gefährlich ist. Deswegen darf ich noch einmal auf den Grundsatz der Behandlung zurückkommen. Nach allen Seiten hin müssen angemessene Maßstäbe angelegt werden. Aber ausreichende Aufklärung der Öffentlichkeit über die grundsätzliche Einstellung der Regierung zu diesem Fall ist nun einmal geboten und gehört zu den Grundspielregeln einer Demokratie.
    Mir erscheint wesentlich, nicht nur in bezug auf die Fälle John und Schmidt-Wittmack, sondern wesentlich auch für die Strafrechtsreform, auf folgenden Punkt einzugehen. Lassen wir doch in unserem öffentlichen Leben einmal von dieser Untugend ab, alles aus subjektiven Maßstäben heraus beurteilen zu wollen, tausend Gründe zu finden, sei es Cognak, seien es Weiber oder seien es sonstwelche Dinge, Nervenzusammenbrüche, die einen Menschen zu irgendeiner Tat, die objektiv feststeht, veranlaßt haben. Mit dieser psychologischen Schulderforschungsmethode, die schließlich den eigentlichen Gehalt und den Ernst der Schuld vollkommen im Nebel zerfließen läßt, kommt man dazu, alles zu verstehen, alles zu verzeihen. Das ist eine Gefahr. Nein, hier müssen objektive, klare, harte Rechtsgrundsätze gelten, die über uns stehen. Die Maßstäbe dürfen nicht aus irgendwelchen subjektiven Erwägungen heraus genommen werden, indem man versucht, zu verstehen, warum und wieso diese Dinge passieren konnten.
    Damit komme ich zu dem Teil, der für mich und meine Freunde der wichtigste ist, nämlich zu den Folgerungen, die hieraus zu ziehen sind. Meine Damen und Herren, es ist ein Mißbilligungsantrag eingebracht worden. Dieser Mißbilligungsantrag enthält eine Formulierung, die ich bei unbefangenem Lesen doch für sehr bedenklich halte. Hier steht drin: „Der Bundestag mißbilligt das Verhalten . . . . anläßlich des Übertritts " Meine


    (Dr. von Merkatz)

    Damen und Herren, vielleicht liegt das in unserer Zeit, aber das ist zweideutig ausgedrückt, und diesem Gedanken nachzugehen sehen wir uns nicht in der Lage. Wir sind auch nicht der Auffassung, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt, bei Abwägung aller Umstände und bei Abwägung auch des gerüttelten Maßes der, ich möchte sagen, gemeinsamen Irrtümer, die hier begangen worden sind, diesem Antrag entsprochen werden kann. Ich will mich jetzt gar nicht hinter die alte, von der Fraktion meiner Partei vertretenen Auffassung verstecken, daß solche Anträge verfassungswidrig sind. Das ist nicht der Punkt; ich meine eine politische Frage. Wir halten ungeachtet der harten Kritik, die wir hier an der Regierung und auch an dem Minister zu üben gezwungen sind — es macht keine Freude, einen Mann aus der eigenen, von uns mit getragenen Regierung kritisieren zu müssen, sogar die ganze Regierung bis auf wenige Ausnahmen kritisieren zu müssen —, diesen Mißbilligungsantrag auch aus politischen Gründen im gegenwärtigen Zeitpunkt für absolut abwegig. Das sind ja die Konsequenzen des Auseinanderhauens, die die Drahtzieher dieser ganzen Angelegenheit drüben wünschen,

    (Zustimmung bei der DP)

    und dazu geben wir nicht die Hand, bestimmt nicht!

    (Beifall bei der DP und bei Abgeordneten der Mitte.)

    Aus diesem Grunde habe ich namens meiner Fraktion zu erklären, daß wir die Zustimmung zu dem Antrag der SPD nicht erteilen können, — woraus aber nun nicht gefolgert werden darf, daß nicht mancher Grund für alle Beteiligten und auch für diejenigen, die die Last der formellen Verantwortung zu tragen haben, vorhanden wäre, in sich zu gehen. Aber zustimmen, daraus eine Folgerung zu ziehen, die genau in die Zielsetzung des Gegners im Kalten Krieg hineinpaßt, und uns unsere Koalition auseinanderzuhauen, — meine Damen und Herren, solche Esel sind wir nicht, und das wollen wir nicht tun.

    (Beifall bei der DP und bei Abgeordneten der Mitte.)

    Und nun das Maß des Aufdeckens! Ich habe vorhin davon gesprochen, daß ich die Verdächtigung ohne hinreichenden Grund für eine menschliche Erniedrigung, eine Zumutung ersten Ranges halte. Aber nun ist das immerhin geschehen, und jetzt muß einmal in diese Verhältnisse Klarheit gebracht werden. Und da reicht uns die Befugnis des Untersuchungsausschusses hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes — wie auch bereits von anderen Fraktionen zum Ausdruck gebracht worden ist — nicht aus.
    Es besteht ein Rechtsgutachten des Geschäftsordnungsausschusses, der der Meinung Ausdruck gegeben hat, daß ein solcher Untersuchungsausschuß — gewissermaßen als ein Minderheitenrecht — den Untersuchungsgegenstand weder mindern noch vermehren kann. Ich bin nicht dieser Meinung, auch damals bin ich nicht dieser Meinung gewesen. Der Untersuchungsgegenstand, für den eine Minderheit einen Ausschuß fordert, muß konkretisiert werden. Diesen Gegenstand zu konkretisieren muß auch die Mehrheit das Recht haben, weil ja auch sie das Recht hätte, einen zweiten Untersuchungsausschuß einzuberufen. Aber daß
    dann zwei Untersuchungsausschüsse nebeneinander oder gar gegeneinander arbeiten können, ist doch offenbar unsinnig.
    Ich möchte hier nicht einen juristischen Streit austragen. Ich habe den Vorschlag gemacht, daß wir wenigstens in Punkt 6 dem Gegenstand nach eine Erweiterung vornehmen. Ich würde es begrüßen, wenn wir einen gemeinsamen Antrag einbringen und uns in diesem Punkt auch mit der Opposition einigen könnten.
    Dieser Vorschlag soll bezwecken, daß auch die ganzen Umstände des Vorlebens von John, ,auch der Personenkreis um ihn und auch ein Tatbestand, der unter dem Begriff „Rote Kapelle" läuft, mit untersucht werden.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Auch in dieser Frage hat man versucht zu verniedlichen. Es wurde das Gerücht in Umlauf gesetzt, so etwas habe es nie gegeben und eine solche Organisation, eine Unterorganisation der Kommunisten wie die „Rote Kapelle", habe nie bestanden. Diese Bezeichnung habe lediglich ein Aktenstück getragen, unter dieser Bezeichnung seien bei der Geheimen Staatspolizei oder bei der Abwehr mehrere Spionagefälle, die während des Krieges aufgedeckt worden seien, gelaufen. Meine Damen und Herren, das ist nicht der Fall. Diese Organisation hat bestanden. Dies geht aus einer Quelle hervor, die ich hier zitiere, aus dem Buch eines Mannes, der die Dinge sehr gut kennt. Es ist ein Kollege von uns. Der Abgeordnete Leverkuehn hat über diese Sache in englischer Sprache ein ausgezeichnetes Buch, ein sehr maßvolles und exaktes Buch veröffentlicht, in dem er sogar die Möglichkeit offenläßt, daß diese Organisation auch heute noch besteht.

    (Hört! Hört! bei der DP.)

    Meine Damen und Herren, hier muß hineingeleuchtet werden!

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Das muß geklärt werden! Ich hoffe, daß der Untersuchungsausschuß dazu auch in der Lage ist. Aber hier hat auch die Regierung jeden Beistand zu gewähren, damit Licht in diese Vorgänge hineinkommt, die das deutsche Volk in zunehmendem Maße beunruhigen.

    (Sehr gut! rechts.)

    Ich sage ausdrücklich, daß diese Ausdehnung des Untersuchungsgegenstandes erforderlich ist. Ich verdächtige niemanden, aber ich sage: es ist notwendig, daß hier ein für allemal die nötigen Feststellungen getroffen werden.

    (Erneute Zustimmung bei der DP.)

    Ich glaube, daß darüber hinaus auch aus diesen beiden Fällen sehr ernste Konsequenzen gezogen werden müssen. Ich meine damit eine völlige Reorganisation des Staatsschutzdienstes. Bei dem Verfassungsschutzdienst ist es wie bei der Psychotherapie. Die Psychotherapie ist nämlich die Krankheit, die man damit heilen will. Und ich habe ein bißchen das Gefühl, daß der Verfassungsschutz selber die Krankheit ist, die man heilen will. Das muß mal ein Ende finden.
    Es ist natürlich für einen Laien unmöglich, auf alle Einzelheiten einzugehen. Ich bin nie Abwehrmann gewesen, ich bin auch kein Kriminalist und kein Polizist. Ich verstehe nicht viel von den


    (Dr. von Merkatz)

    Dingen. Aber einige Dinge, die dem gesunden Menschenverstand zugänglich sind, fallen mir dabei auf. Ich glaube, hier könnten wir wirklich zu einer ganz erheblichen Reorganisation kommen, indem man von dem Spitzelsystem, von diesem ganzen V-Mann- und Dreigroschenjungs-System abgeht, in dem immer Schmutz ist und Schmutz sein wird. Ich glaube, daß unsere Kriminalpolizei ein geschulter Apparat ist, der überall diese Nachrichten sammeln kann. Ich halte es auch für richtig, daß die Nachrichten zunächst einmal durch einen Filter laufen, nämlich örtlich, um sofort Denunziationen, Verdächtigungen, Nachbarschaftsstreit, örtliche politische Kämpfe usw. auszuscheiden. An der Spitze sollte schließlich lediglich ein Amt sein, das meiner Ansicht nach unter der unmittelbaren Verantwortung eines Ministers zu stehen hätte. Denn der Chef eines solchen Amtes ist kein Kriminalpolizist und kein Schnüffler. Er hat zu analysieren, auszuwerten und zu vergleichen. Das ganze Werten des Nachrichtendienstes ist ja doch der Vergleich, damit man aus einem Mosaik, aus Doppel-, Dreifach- oder Vierfachmeldungen dem Sachverhalt näherkommt. Ich möchte also sagen: Bei diesem Nachrichtendienst handelt es sich um eine geistige Arbeit, die völlig getrennt ist von dem militärischen Nachrichtendienst, der nun einmal notwendig ist. Während der militärische Nachrichtendienst sich mit ganz konkreten Dingen befaßt, gewissermaßen eine Art von Naturwissenschaft betreibt und objektive Feststellungen trifft, ist der politische Nachrichtendienst eine Geisteswissenschaft, die einen von hoher Intelligenz getragenen, integren, großzügigen menschlichen Charakter verlangt, wenn ihre Analysen zu brauchbaren Ergebnissen führen sollen.
    Ich habe bereits in meiner letzten Rede zum Ausdruck gebracht, daß bisher in der Geschichte noch nicht ein einziges Mal eine politische Polizei dem gedient hat, der sie hervorgebracht hat. Ich möchte deshalb vor allen Dingen Sicherungen eingebaut sehen, damit dieser Dienst nicht für politische Machtkämpfe mißbraucht werden kann. Denn darin liegt nicht seine Aufgabe. Er gibt eine Photographie seiner Zeit, er deckt Dinge auf, deren Aufhellung notwendig ist, damit die Regierung arbeiten kann. Aber er darf nicht zu einer Machtorganisation werden, und deshalb ist auch hier die parlamentarische Kontrolle durch je einen Mann aus jeder Partei dieses Hauses notwendig. Das sind gar nicht so viele. Ich sprach das letzte Mal davon: wer kontrolliert die Kontrolleure?, und nachher ist dann leider bald dieses Unglück passiert. Bei diesen parlamentarischen Kontrolleuren trägt jede Fraktion dann die hohe Verantwortung für ihre absolute Integrität und Verschwiegenheit, so daß vor diesen unseren parlamentarischen Kollegen, die unser Vertrauen haben, wirkliche Staatsgeheimnisse ausgebreitet werden können, ohne daß ein Mißbrauch zu befürchten ist. Das ist notwendig, dann schaut man in die Tiefe der Dinge hinein.

    (Abg. Meitmann: Sie wollen doch nicht sagen, daß bisher von Parlamentsoder Ausschußmitgliedern Mißbrauch getrieben worden sei?)

    — Der bisherige Ausschuß hat diese Funktion nicht ausüben können. Ich bin für ein viel kleineres Gremium, in dem der verantwortliche Minister und der Leiter dieses Amts wirklich vollkommen offen
    ! auf einer gesunden Vertrauensbasis sprechen können. Es müssen Leute sein, denen es eine Ehrenpflicht ist, ihre Funktion so zu gestalten, daß nichts über diesen Rahmen hinausschlägt.
    Dann bin ich auch der Auffassung — denn wir wollten ja das Konstruktive, das, was in Zukunft geschehen soll, ansprechen —, daß eine Neufassung unseres strafrechtlichen Staatsschutzes erfolgen muß. Ich halte die Bestimmung, wie sie jetzt im Strafgesetzbuch enthalten ist, für reformbedürftig, weil in ihr die Tendenz steckt: wer Staatsfeind ist, bestimmt die jeweils herrschende Gruppe. Davon müssen wir herunterkommen, denn sonst kann eine gesunde Demokratie nicht bestehen. Ich glaube, daß man mit dem Tatbestand der Geheimbündelei, wenn er wirklich sauber durchdacht und exakt ist, sehr viel besser kriminalistisch das erfaßt, was ein solcher Staatsschutzdienst erfassen muß. Denn alle Machenschaften, die subversiv sind, die Untergrund sind, gehen irgendwie in Form der Geheimbündelei vor sich. Dann hat man auch einen exakten Untersuchungstatbestand und hat nicht etwa zu untersuchen, ob der Politiker Soundso, der Generaldirektor Soundso irgendwo in einem Hotel — nun, es ist hier nicht der Platz, um die nähere Beschreibung einer solchen Situation zu geben —, bei irgendwelchen privaten Dingen befunden worden ist, die vielleicht seine Familie, aber nicht den Staat gefährden, um es bei passender Gelegenheit dem betreffenden Herrn unter die Augen zu führen.
    Nun ein sehr heikler Punkt: die Frage der Überprüfung unserer personalpolitischen Grundsätze. Es wurde hier vorhin gesagt: Das Bild von Herrn John war schlecht, sehr schlecht, und dennoch hat man seiner Ernennung nachher zugestimmt, weil man mußte. Meine Damen und Herren, das ist keine Begründung und keine Entschuldigung. Es ist sehr schwer, in dieser Zeit, die man ohne Übertreibung für manchen als tragisch bezeichnen muß, in dieser labilen Zeit eines geteilten Landes im Kalten Krieg, bei allem, was jeder von uns an Schicksal hinter sich hat, Grundsätze aufstellen zu wollen wie etwa den: Ein Mann, der mit dem Feind zusammengearbeitet hat, ist für jedes öffentliche Amt disqualifiziert. Ich würde diesen Grundsatz vertreten; aber alle diese Generalisierungen, wie sie bei der Entnazifizierung in den Kategorien oder sonst mit jeder schlagwortartigen Kategorisierung auf allen Gebieten gemacht werden, führen uns nicht weiter. Aber einen Punkt kann man doch aus allen Verwirrungen herauslösen: Wer Verrat an seinem Volke betrieben hat — Verrat an seinem Volke! —, ist — und das sollte die Richtschnur sein — für ein öffentliches Amt disqualifiziert.

    (Beifall rechts.)

    Ich möchte das von dem Tatbestand des Widerstandes abgrenzen. Das ist Hochverrat gewesen! Es sind so viele Worte gerade über diesen Punkt gefallen. Ich denke an die 6000 Toten, die um der Freiheit und Menschenwürde willen das Letzte gewagt haben. Alle Worte, die man hier gebraucht, schöne Worte, tiefe Worte, können doch nicht die Würde dieses Tatbestandes wirklich erfassen. Herr John hat etwas Schlimmes gemacht: ein Attentat gegen die Würde des Menschen, der für seine Freiheit das Letzte einsetzt.

    (Abg. Samwer: Sehr richtig!)

    Das kann nicht gemeint sein, und niemand darf
    uns unterstellen — ich denke hier an Ausführun-


    (Dr. von Merkatz)

    1 gen meines verehrten Parteivorsitzenden —, daß wir an der Würde dieses Freiheitskampfes, dieses Einsatzes bis zum Letzten etwa rühren wollen. Es wäre auch eine Gemeinheit — ich sage es so —, an den Tatbestand der Emigration irgendwelche abfälligen Betrachtungen zu knüpfen. Dabei handelt es sich um Menschen, die ihr Vaterland verlassen mußten, die dann nicht erster Klasse gefahren sind. Wer selber aus seiner Heimat vertrieben worden ist, in eine fremde Landschaft hinein versetzt worden ist, kann dieses Schicksal wohl nachfühlen, wenn es auch gar nicht mit dem zu vergleichen ist, was Emigration und Heimatlosigkeit bedeuten; ich muß sagen: ich habe in Amerika manche dieser Menschen, die noch heute dort sind, gesehen; ich habe die Züge dieser Gesichter gesehen, — und darin viel Verlassenheit erblickt. Es gehörte schon eine Niederträchtigkeit dazu, solchen Menschen nun noch ein mißachtendes Vorurteil anzuhängen, denn Emigration ist ein tragisches, leidvolles Schicksal. Aber die Grenze kommt dann — ich möchte hier gerade an das Buch erinnern, das Matthias, glaube ich, geschrieben hat, „Sozialdemokratie und Nation" —, wo man kollaboriert, weil man seinen Ehrgeiz oder seinen Haß nicht zügeln kann. Jeder Fall liegt hier verschieden, und jeder Fall hat sein eigenes Gewicht. Hier ist aber von sauberen Menschen, die ein Herz für das haben, was Ehre und Treue zu ihrem Volk ist, zu prüfen: Bist du tragbar oder bist du's nicht? Eine sehr ernste Frage, die ich nicht in einen Grundsatz fassen möchte, aber mit dem Richtpunkt: Verrat am Volke ist ein unverzeihliches Delikt, viel schlimmer als das, was der Landesverrat juristisch bedeutet. Tatbestände des Hochverrats nehme ich sowieso aus. Aber wer einmal Verräter geworden ist -- Verräter wohlgemerkt! —, hat die charakterliche Neigung, das bei der nächsten Belastung wieder zu sein. Dagegen hat man bei der Einstellung von John verstoßen.
    Wir müssen uns und mußten uns auch im Jahre 1950 gegen das Oktroi, gegen das Aufdrücken irgendwelcher Persönlichkeiten wehren, die dem Gusto der Besatzungsmacht, der Fremdherrschaft entsprachen. Ich glaube, auch das Verhältnis zu den Besatzungsmächten, die hoffentlich bald keine Besatzungsmächte mehr, sondern wirkliche Bundesgenossen sind, wird sauberer und klarer, wenn man künftig auf diesen selbstverständlichen Staatsgrundlagen besteht. Was da an Resten noch übrig ist, muß jetzt aus Anlaß dieser Sache — das ist der Auftrag des Volkes, den wir hier haben — bereinigt werden, damit jeder das Zutrauen zu seinem Staat hat, daß hier eine saubere Luft ist.
    Es gibt ein paar Gruppen, die ich aufzählen möchte: Agenten und Gehilfen der Fremdherrschaft — die haben nichts in deutschen Ämtern zu suchen —, zweitens die Gruppe der Rückversicherer und drittens die Gruppe der Komplicen, jene Kameraderie, die das beschönigt und zudeckt, was peinlich und widerlich ist. Die vierte Gruppe schließlich ist die der Opportunisten. Kein Staat kann bestehen, dessen Amtsträger dem Opportunismus zugeneigt sind; denn das ist eine Charaktereigenschaft.

    (Beifall rechts.)

    Das bedeutet eine Klärung der charakterlichen Grundlagen und Erfordernisse, die wir an unsere öffentlichen Bediensteten stellen müssen. An uns als Abgeordnete dieses Hauses aber haben wir noch höhere Anforderungen zu stellen.
    Es wäre ganz reizvoll, noch etwas über den politischen Spießbürger zu sagen. Auch der stellt eine Gefahr dar. Er ist gar nicht so harmlos, wie er immer tut. Aber Herr Kollege Kiesinger hat das bereits getan, und die Zeit drängt. Ich rede hier also nicht dem McCarthyismus das Wort und bekämpfe jede Art von Schnüffelsystem; denn die Freiheit ist ein Wagnis, und das sollen wir auch eingehen. Das Wagnis der Freiheit! Das ist jene Haltung, die letzthin denn auch der Halt ist für unsere Brüder und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone, der Halt, den sie von uns fordern.
    Lassen Sie mich hier bitte einmal ein Wort sagen — verstehen Sie es nicht falsch: Kontakte zu nehmen mit den Leuten drüben, die mit Schuld an der Qual und Entwürdigung der Deutschen, wo auch immer, tragen, Kontakte zu nehmen, ist mindestens ein Tatbestand der Verwirrung. Was sollen denn unsere Menschen da drüben sagen, wenn man mit Funktionären, die Mitschuld und Mitverantwortung tragen, an einem Tisch sitzt? Was soll dann der Mann drüben sagen, der Jahre hindurch den Widerstand dort in seinem Herzen trägt, wenn auch hier maßgebliche Sprecher und Politiker dieses Landes plötzlich die Sache so ein bißchen harmloser sehen, etwa in dem Sinne: Man kann sich ja da oder dort begegnen? — Meine Damen und Herren, das ist der Anfang vom Ende!

    (Beifall rechts.)

    Es gibt in diesen Fragen keine politischen und keine moralischen Relativitätstheorien.
    Kommen wir zu ganz einfachen Grundsätzen zurück. Einfach so: In einer Demokratie hat niemand das Recht, sich geistreich über die Grundauffassungen seines Volkes zu erheben. Keiner hat das Recht! Wir müssen ein Ende machen mit diesem überheblichem Geist, und heute sind manche Wörter und Sprüche dahingehend angeklungen, die ich deswegen so ernst nehme und als einen Tatbestand auffasse, der nicht, auch nicht durch eine kluge, maßvolle Erklärung des Herrn Kollegen Dehler aus der Welt gebracht werden kann. Ich möchte in dieser Sache nicht, auch besonders nicht persönlich, den Kollegen, der diese Rede gehalten hat, angreifen. Aber befreien wir uns doch einmal bei Beurteilung unserer Pflichten von jener feigen Klugheit taktischer Elastizität, die uns nur schwächen kann.

    (Bravo! rechts.)

    Das Volk will von uns ein klares Gesicht in den Grundfragen von Freiheit und Unfreiheit.

    (Abg. Kiesinger: Sehr gut!)

    Da gibt es keine Kompromisse. In den „Bremer Nachrichten", eine Zeitung, die ich sehr schätze, ist ein Aufsatz aus der Schweizer „Tat" abgedruckt — ich habe ihn eben nicht zur Hand —, wieder einmal aus der Feder von Herrn Fleig. Da steht unter anderem — ich kann nur aus dem Gedächtnis zitieren —: Bonn ist eine Art „politisches Krebsgeschwür", das sich selbständig gemacht hat und selbständig im Körper des Ganzen wuchert. Meine Damen und Herren, wir sollten uns als Deutsche und Patrioten dagegen empören, daß diese Zersetzungspolitik, dieser intellektuelle Nihilismus weiter um sich frißt.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Drüben sitzen die Leute in den Zuchthäusern, verhungern sie und werden gequält, quälen sich hin, hoffnungslos, denn sie sehen ja gar kein Ende. Gerade bei Ihnen in der Opposition gibt es Leute, die


    (Dr. von Merkatz)

    auch in einer Lage waren, in der sie kein Ende absahen. Was dazu gehört, das durchzuhalten! Da kann man nur Respekt haben. Hut ab vor dieser Haltung! Das ist das, worauf Staaten gebaut werden, jene Zuverlässigkeit. Aber dürfen wir dann durch unseren eigenen Nihilismus, durch unsere eigene Sucht nach Geistreichigkeit und Zweideutigkeit hier diese Grundlagen vernichten? Ist es nicht unmenschlich, so etwas zu tun, nicht nur verantwortungslos, sondern schlecht?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Man wirft mir oft vor, daß meine Rede Pathos habe. Aber ich kann diesen Dingen gegenüber nicht ruhig bleiben. Denn wenn wir da ruhig und gelassen bleiben und uns überheblich geben wollen, dann ist es überhaupt aus mit jeder Haltung im Staate.

    (Sehr gut! rechts.)

    Es gibt Punkte, da muß wirklich das Herz und das Gefühl sprechen.

    (Abg. Kiesinger: Nur der Spießer und der Nihilist haben beide kein Pathos!)

    — Nur der Spießer und der Nihilist! Sie sind ja im Grunde genommen dasselbe. Der eine geht nur noch ein bißchen großartiger — möchte ich sagen
    — durch die Welt. Der andere begnügt sich mit den materiellen Genüssen und hält sich nicht selbst für einen großartigen Kerl. Ich möchte sagen, dieses verfaulte Jahrhundert menschlicher Selbstüberhebung und des intellektuellen Zynismus — der steckt nämlich dahinter — geht zu Ende. Die Minute in der Weltenuhr ist anders gestellt, und wir stehen unmittelbar in der Gefahr. In solchen gefährlichen Augenblicken habe ich für manche Dinge kein Verständnis, wenn sie auch nicht so gemeint sind. Aber der Kollege Reinhold Maier ist ein erfahrener Politiker. Er weiß, was solche Worte für Wirkung haben. Sie werden uns aus dem sowjetischen Rundfunk noch durch Monate hindurch entgegenschallen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU und bei der DP.)

    Ich muß kritisieren, wenn gesagt wird, die ganze Bundesrepublik lebt von ihren Fehlern. Vergleichen Sie das mit den Aussagen von Herrn Fleig vom Krebsgeschwür. Wollen wir selbst die Grundlagen, auf denen wir stehen, zertrümmern und vernichten? Das dürfen wir nicht tun. Hier hängt mehr daran. Ich kann auch nicht — und das sage ich auch zu unseren eigenen Freunden in dieser Koalition, die in diesem gefährlichen Augenblick in der Welt zusammenstehen muß — diese Zweideutigkeiten in den Kernfragen dulden. In Einzelheiten kann man ganz verschiedener Meinung sein. Aber diese Zweideutigkeiten müssen in unserem öffentlichen Leben aufhören. Auch die Presse sollte sich gerade in diesen Dingen eine gewisse Vorsicht auferlegen und ein Maß halten und den Dienst an einer Aufgabe unseres Vaterlandes spüren. Denn nur klare Konturen und klare Auffassungen können nützen. Ich meine damit nicht etwa, daß die Opposition anderer Meinung ist. Aber dieser Neutralismus — intellektuell und in der Zweideutigkeit unserer Aussage — ist ein Krebsschaden. Das ist das Krebsgeschwür dieser Zeit. Da muß Klarheit herrschen.
    Wenn jetzt die Propagandisten des Ostblocks frohlocken wollen und denken, sie hätten mit den beiden Fällen Dr. John und Schmidt-Wittmack das Instrument in die Hand bekommen, um unsere Grundlagen in die Luft zu sprengen, um erst einmal damit anzufangen, unsere Koalition in die Luft zu sprengen, dann kann ich den Leuten nur erwidern: Ihr habt euch verrechnet! Aus einer höheren Verantwortung können wir hier den Anträgen der Opposition, die zum Teil sehr berechtigt sind, nicht zustimmen. Jener Antrag betreffend den Innenminister enthält auch ein Mittel, das diese Grundlagen in die Luft sprengen sollte. Wir können dem nicht zustimmen, ganz ohne Rücksicht auf das, was dahinter stehen mag. Politisch geht es hier aufs Ganze, und diesen Herzschuß lassen wir nicht zu.

    (Abg. Mellies: So bauen S i e die parlamentarische Demokratie auf!)

    — Die parlamentarische Demokratie ist die der aufrichtigen, freien Aussprache. Ich nehme Ihnen nichts übel. Ich erwarte allerdings auch von Ihnen, daß Sie sich im Rahmen der sachlichen Diskussion bewegen. Ich schließe mich all denen an, die sagen: In den Grundfragen der Nation sollten wir in diesem Hause Einigkeit erzielen. Und wir wollen das!

    (Lebhafter Beifall bei der DP und in der Mitte.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Reinhold Rehs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat heute vormittag eine Stunde gehabt, die es verdient, zu den bisher wenigen großen in diesem Hause gezählt zu werden. Hier ist aus der Mitte der Koalition ein Mann aufgestanden und hat aus der Lauterkeit seiner Gesinnung, aus heißem demokratischen Herzen,

    (Rufe von der Mitte: Na, na!)

    aus der Erfahrung eines langen, kämpferischen, politischen Lebens und aus tiefer Sorge um die Entwicklung

    (weitere Zurufe von der Mitte)

    den Mut aufgebracht, das zu beweisen, was die Stunde erforderte, was jeder Staatsbürger von uns allen erwartet

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und was jeder Abgeordnete dieses Hauses gelobt hat, nämlich nur seinem Gewissen verpflichtet zu sein.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hier hat ein Mann aus der Mitte der Koalition die innere Kraft bewiesen, sich nicht als Eideshelfer der Regierung zu fühlen, sondern ihr Richter zu sein. Wer sich das Urteil nicht hat trüben lassen, wird mir beipflichten, wenn ich sage: ich neige mich in tiefem Respekt vor dem Bürgersinn, dem Mut und der Größe dieses Mannes Reinhold Maier.

    (Beifall bei der SPD und FDP. — Lachen in der Mitte.)

    Der deutsche Staatsbürger wird wissen und als den Gewinn dieser Stunde die Ermutigung buchen:

    (anhaltende Unruhe — Glocke des Präsidenten)

    nur solange es noch solche Charaktere in Deutschland gibt,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    solange noch solche Männer reden können und sich


    (Rehs)

    das Reden nicht nehmen lassen, ist der Geist der Demokratie am Leben.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, wir haben aber auch unmittelbar danach einen Augenblick erlebt, der uns wie ein Keulenschlag getroffen hat: nach dieser Rede von Herrn Reinhold Maier die se Erklärung des Herrn Bundeskanzlers!

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Wenn es noch irgendeines Beweises für die tiefe, innere Wahrheit und Berechtigung der Ausführungen des Herrn Kollegen Maier bedurft hat, hier folgte er auf dem Fuße

    (Beifall bei der SPD)

    und mit einer Wucht, daß nur Gedankenlose und Unwillige nicht das Beben verspürt haben, das dabei die Fundamente des Geistes der Demokratie berührt hat.

    (Beifall bei der SPD. — Rufe von der Mitte: Oho!)

    Von wem, wenn nicht von dem Regierungschef der Demokratie, soll man verlangen, daß er wenigstens die Pflicht des Gewissens und den Willen und den Mut zur Wahrhaftigkeit respektiert!?

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Mellies: Zu unbequem!)

    Herr Kollege Dehler hat vorhin beschworen, einen neuen Geist entstehen zu lassen. Mag er dazu mithelfen, daß die Entstehung dieses neuen Geistes nicht durch solche Erklärungen und Reden des Herrn Bundeskanzlers im Keime unmöglich gemacht wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun haben wir nach Mittag die Ausführungen von Herrn Dr. Dehler gehört. Wir wissen nicht, was hinter den verschlossenen Türen des inneren Rates der Koalition in dieser Pause vor sich gegangen ist. Die Ausführungen weckten Erinnerungen an das klassische Altertum und das Delphische Orakel, und man könnte geneigt sein, dabei vom Dehlerschen Orakel zu sprechen. Ist es schon so weit, daß ein Demokrat, ein unantastbarer Demokrat entschuldigt werden muß, wenn er von dem Recht der Rede und der Kritik auf diesem Platze Gebrauch macht?

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ist es schon so weit, daß sein eigener Fraktionsvorsitzender dieses klägliche Amt der Entschuldigung für die freie Mannesrede auszuüben sich bereit findet?

    (Abg. Dr. Dehler: Ich habe doch nichts entschuldigt! Das ist eine völlige Entstellung der Dinge!)

    — Welchen Sinn sollten denn die ganzen Erklärungen von Herrn Dr. Dehler anders haben, als zu reduzieren, als abzurücken, als Nebel abzublasen gegenüber dem, was an harter und wahrer Kritik von Herrn Kollegen Maier vormittags ausgesprochen worden war?!

    (Abg. Meitmann: Der Dehlersche Maier-Tanz!)

    Herr Kollege Dehler hat eingangs dieser Legislaturperiode an diesem Platze davon gesprochen, er sei nun ein wirklich freier Mann.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Nach seiner heutigen Erklärung müssen wir den
    Eindruck festhalten, daß anscheinend nicht alle Freien Demokraten wirklich freie Demokraten sind.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Menzel: Sein dürfen! — Abg. Wehner: Ein Souveränitätsverzicht!)

    Nach dem Ereignis, mit dem der Vormittag abschloß, konnte es schwerfallen, in dieser Sache heute überhaupt noch das Wort zu nehmen, weil sich die Frage aufdrängte, ob die weitere Aussprache angesichts einer solchen Erklärung überhaupt noch einen Sinn hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Die Ausführungen, die am Nachmittag gemacht worden sind, haben den Mut zu einer Fortsetzung dieser Aussprache nicht gesteigert. Aber verschiedene Bemerkungen, verschiedene Erklärungen, verschiedene Aggressionen können nicht unwidersprochen bleiben und müssen zurückgewiesen werden.
    Herr Kollege Kiesinger, Sie haben appelliert, wir sollten nicht klein genug sein, aus der Vertrauenskrise, die Sie feststellten, parteipolitisches Kapital zu schlagen.

    (Abg. Kiesinger: Herr Präsident, ich habe eine Frage an den Herrn Redner!)