Rede von
Dr.
Hans
Furler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat in seiner Sitzung am 13. Juli 1954 einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause den von allen Fraktionen unterstützten Antrag Drucksache 562, der sich mit dem Rhein-Seitenkanal befaßt, zur Annahme zu empfehlen. Ich habe die Ehre, Ihnen die Erwägungen darzulegen, von denen der Auswärtige Ausschuß ausging. Ich kann mich dabei auf einige allgemeine Gesichtspunkte deshalb beschränken, weil der Abgeordnete Dr. Kopf, dem wir hier in Zusammenarbeit mit allen Fraktionen angehörigen Mitgliedern der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft eine besondere Initiative, ein schon 1952 veröffentlichtes Gutachten und wesentliche Vorarbeiten verdanken, in der Plenarsitzung am 10. Juli 1954 eine eingehende Begründung dieses Antrags gab, die alle rechtlichen, wirtschaftlichen und grundsätzlichen Fragen darstellt, die mit diesem Rhein-Seitenkanal zusammenhängen, eine Begründung, die auch der Stellungnahme des Auswärtigen Ausschusses zugrunde liegt.
Sie wissen, daß der auf Grund des Versailler Vertrags bisher schon durchgeführte teilweise Ausbau des Rhein-Seitenkanals zu bedeutenden Schäden geführt hat, die in diesem Umfang sicherlich nicht vorausgesehen wurden. Die totale Veränderung der Wasserverhältnisse des Rheins, die Senkung des Grundwasserspiegels mit all ihren Auswirkungen, die Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung und der Bewässerung rechtsrheinischer Gebiete, das Ende der Fischereimöglichkeit und die Veränderung des Landschaftsbildes sind Folgen, die auf der Strecke unterhalb Basel bis gegen Breisach eingetreten sind und die in verschärftem Maße auftreten werden, wenn das Projekt bis nach Straßburg weitergeführt wird.
Der dem Antrag entsprechende Beschluß ersucht die Bundesregierung, sich bei Verhandlungen mit der französischen Regierung für eine Gesamtlösung der vielschichtigen Probleme einzusetzen, die dem Gedanken einer europäischen Zusammenarbeit Rechnung trägt. Innerhalb dieser Lösung liegen die Ziele, den Seitenkanal über Breisach hinaus nicht weiterzubauen, dem Rhein zwischen Basel und Breisach eine angemessene Mindestwassermenge zu erhalten und es nicht zu untersagen, den Strom zur Bewässerung badischer Gebiete der Rheinebene auszunutzen.
Die gerade in neuester Zeit bedeutend weitergeführte Technik wird es ermöglichen, die Kraftquellen des Rheins auch ohne weitere Ableitung des Stromes gleich umfassend und rationell zu erschließen. Die ersten Planungen für das gegenwärtige Projekt liegen über ein halbes Jahrhundert zurück. Was damals und noch im zweiten und dritten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts bedenklich oder nicht durchführbar erschien, kann heute technisch realisiert werden. Dies gilt vor allem für den Bau von Kraftwerken in unmittelbarer Anpassung an das natürliche Strombett unter gleichzeitiger Entwicklung besonderer Möglichkeiten für die Schifffahrt.
Die neue Lösung brächte eine Reihe von Vorzügen. Sie gestattete, die zahlreichen und vielfältigen schadensersatzrechtlichen Ansprüche zu bereinigen und die entsprechenden Auseinandersetzungen in der Zukunft zu vermeiden, ein Gewinn, der auch von hohem politischem Wert wäre. Sie gäbe auch Frankreich Möglichkeiten, die nicht unerwähnt bleiben sollen. Es ist hierbei nicht an die Ausnutzung der Wasserkraft und die Schiffahrt gedacht. Auch Frankreich spart wertvolles Land, das sonst dem Kanalbau zum Opfer fällt. Auch für die linksrheinischen Gebiete hat eine natürliche und organische, weil an das Strombett sich anschließende Auswertung des Rheins Vorzüge, zumal der gerade auf der Strecke Breisach—Straßburg mit Sicherheit zu erwartende Eintritt jener bei uns beobachteten Schäden — man denke nur an die Senkung des Grundwasserspiegels — ohne weiteres ausgeschlossen wäre. Außerdem wird es bedeutsam und wertvoll sein, die Schönheit der ursprünglichen Rheinlandschaft erhalten zu können.
Die erschütterndste Folge der schon gebauten Teilstrecke des Seitenkanals stellt die völlige Trokkenlegung der entsprechenden Rheinstrecke während eines großen Teils des Jahres dar. Es spricht alles dafür, daß die Schöpfer der Pläne hiermit nicht gerechnet haben, zumal sie ursprünglich von einer Wasserentnahme von 850 Kubikmeter je Sekunde ausgingen, während die Entnahme nachträglich auf 1080 Kubikmeter je Sekunde erhöht worden ist. Der hier notwendige und mögliche Wandel würde schwerwiegende wirtschaftliche und landschaftliche Auswirkungen beseitigen und vor allem auch die Möglichkeit geben, für eine ausreichende Bewässerung der rechtsrheinischen Gebiete zu sorgen, die sich in der Gefahr einer Versteppung befinden.
Wer die hier in Betracht kommenden Gegenden kennt, weiß, wie sehr die Menschen dieser badischen Grenzbezirke täglich die Veränderungen und Schäden empfinden, die hier eingetreten sind und ständig neu entstehen. Es wäre ein überhaupt nicht abschätzbarer Gewinn, wenn es gelänge, die Grundlagen dieser sich immer erneuernden schmerzlichen Empfindungen zu beseitigen. Es geht den Bewohnern dieser Grenzgebiete aber nicht allein um die wirtschaftlichen Auswirkungen, obwohl diese naturgemäß eine bedeutende Rolle spielen. Es geht diesen Menschen auch um das Bild ihrer Heimat, um Wesen und Charakter des Landes, in dem sie leben.
Wenn das Vorhandene erhalten und organisch im Dienste der Technik weiterentwickelt wird, dann entstehen nicht diese Verstimmungen; im Gegenteil: aus dem veränderten Werk erwächst die verbindende Achtung vor der Leistung der Technik. So ist es ein wesentlicher Sinn dieses Antrags und der zu führenden Verhandlungen, Gegensätze zu überwinden, über Vergangenes hinwegzukommen und mit neuen Gesichtspunkten zu neuen Gestaltungen zu gelangen, die unserer Zeit entsprechen, technisch, wirtschaftlich und politisch. Verständigung, Partnerschaft und Freundschaft drängen dazu, nach neuen Lösungen gerade auch an unserer gemeinsamen Rheingrenze zu suchen, selbstverständlich unter Wahrung der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der kraft- und verkehrsmäßigen Entwicklung und Auswertung des Rheinstroms, der unsere Völker verbinden und nicht trennen soll.
Dies sind einige allgemeine Gesichtspunkte, die gerade den Ausschuß leiteten, der die auswärtigen Angelegenheiten unseres Landes zu betreuen hat. Das in dem Antrag — dessen Annahme ich empfehle — zum Ausdruck gebrachte Anliegen bewegt aber alle Mitglieder dieses Hohen Hauses, wobei ich weiß, daß es nicht allein um ein Anliegen wirtschaftlichen Inhalts, politischen Gewichts und der allgemeinen Gerechtigkeit, sondern vor allem auch um eine Sache des Herzens geht.