Rede von
Heinrich Georg
Ritzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat in der Drucksache 396 die Entlastung der Bundesregierung in bezug auf die Rechnungslegung der Jahre 1949 und 1950 beantragt. Ich kann nicht unterlassen, meinem Erstaunen darüber Ausdruck zu geben, daß die Bundesregierung bei der Beratung der ersten Rechnungslegung, die gegenüber dem Hohen Hause erfolgt, so „stark" vertreten ist, daß sich auf der Regierungsbank ein einziger Minister,
ein Minister ohne Portefeuille befindet.
Meine Damen und Herren! Sie haben die eingehenden Berichte über die sachliche Prüfung, d. h. über die Prüfung der Kassenrechnung durch den Bundesrechnungshof und die Schlußfolgerungen gehört, die der Haushaltsausschuß nach gründlicher Vorarbeit durch seinen Unterausschuß für die Rechnungsprüfung gezogen hat. Ich will nicht in Einzelheiten eintreten, sondern mich auf die Feststellung beschränken, daß die Aufgabe des Parlaments in bezug auf die Rechnungsprüfung weniger — schon mangels der erforderlichen Unterlagen — in einer Einzelprüfung der Kassenrechnung zu sehen ist. Diese kann auch von dem betreffenden Ausschuß nicht so durchgeführt werden, wie wir es gern möchten. Die Aufgabe des Parlaments besteht vielmehr in der politischen Kontrolle der Bundesrechnung. Diese politische Kontrolle kann nicht an den Tatsachen vorübergehen, die sich bei der Rechnungsprüfung im einzelnen ergeben.
Der Antrag auf Entlastung der Bundesregierung, den der Herr Bundesfinanzminister in der Drucksache 396 gestellt hat, gründet sich auf Art. 114 des Grundgesetzes. Darauf haben die Berichterstatter bereits hingewiesen. Aus dem, was wir bei der Prüfung der Unterlagen festgestellt haben, ergibt sich die Berechtigung für das dringende Verlangen des Bundestages nach einer Beschleunigung. Es ist nach dem Beispiel des seinerzeitigen Reichstages unter allen Umständen anzustreben, daß die Rechnungslegung künftig frühzeitig genug erfolgt. Bei der Beratung des Haushaltsplanes von 1956 beispielsweise müßten bereits die Rechnungsergebnisse des Rechnungsjahres 1954 vorliegen.
Was wir von der öffentlichen Verwaltung, was wir auf Grund bestehender Gesetze in bezug auf die Rechnungslegung von Privatgesellschaften verlangen, das müssen wir von der deutschen Bundesregierung in erster Linie verlangen.
Die Prüfung der Rechnungen hat ergeben, daß in nicht wenigen Fällen notwendige Zustimmung des Finanzministers nicht eingeholt worden ist, daß bedenkliche Abweichungen vom Haushaltsplan vorliegen, wenn auch die Summe der über- und außerplanmäßigen Ausgaben mit rund 1,1 Milliarden DM im großen und ganzen zwangsläufige Posten enthält, unter anderem auf Grund der Tatsache, daß sich die Bundesregierung seinerzeit gründlich verschätzt hat, als sie Beträge für die Arbeitslosenfürsorge eingestellt und mit einer weit geringeren Zahl von Arbeitslosen gerechnet hat, als sie das Rechnungsergebnis nachher ausgewiesen hat.
Die nachträglichen Genehmigungen sind, wie die Unterlagen ausweisen, in einem erheblichen Umfang mit durchaus unzureichenden Begründungen angefordert worden. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß das Parlament darauf hinweist, daß bei ungenügenden Entschuldigungen verantwortlicher Beamter künftig Gebrauch gemacht wird von den Bestimmungen des Gesetzes, so z. B. auf Grund der Bestimmungen der §§ 32 und 33 der Reichshaushaltsordnung von ihrem § 84:
Werden über- und außerplanmäßige Ausgaben nicht nachträglich genehmigt, so sind sie von den dafür verantwortlichen Personen insoweit einzuziehen, als dies nach den gesetzlichen Vorschriften möglich ist.
Ich will es mir im Hinblick auf die Geschäftslage des Hohen Hauses versagen, auf mehr Einzelheiten einzugehen, als sie die Herren Berichterstatter in der Kürze der ihnen zugewiesenen Zeit gebracht haben; aber auf eine Einzelheit darf ich doch noch abheben. Es handelt sich hier um eine gründlichere Untersuchung der Verhältnisse im Bereich des Einzelplans XXIII, wo bei der Branntweinbesteuerung nach gewissen Feststellungen im Unterausschuß offensichtlich sehr erhebliche Reserven vorhanden sind.
Der Kampf des Bundestags bei der jeweiligen Beratung des Haushalts scheint offensichtlich nicht seine Fortsetzung zu finden in der Bekundung des gleichen Interesses bei der Vorlage der Rechnung. Ich habe jedenfalls keinen Anlaß, anzunehmen, daß man sich über die politische Bedeutung der Rechnungslegung allzu große Sorgen macht. Trotzdem muß ich im Namen meiner Fraktion darauf hinweisen, daß es in dieser Rechnung entscheidende Faktoren gibt, die es uns nicht ermöglichen, der beantragten Entlastung der Bundesregierung zuzustimmen, Faktoren, die sich der Kontrolle, ja selbst der einfachsten Kenntnisnahme des Bundestages entziehen.
Ich will zum besseren Verständnis und in Fortsetzung dessen, was ich an dieser Stelle zur Etatsberatung 1954 aus anderem Anlaß ausgeführt habe, sagen, um was es sich handelt. Es geht um die Vorenthaltung jeder Kontrollmöglichkeit auch im Bereich der Haushaltsrechnung auf dem Gebiet der sogenannten Geheimfonds.
Meine Damen und Herren, damit Sie klarer sehen, was gemeint ist, will ich Ihnen die entsprechenden Beträge des Haushaltsplans 1954 in Ihre Erinnerung zurückrufen. Da ist in Kap. 401 Tit. 300 für Bundeskanzler und Bundeskanzleramt zur Verfügung des Bundeskanzlers die Summe von 200 000 DM, über die nur gegenüber dem Präsidenten des Bundesrechnungshofs, nicht aber gegenüber dem Parlament oder einem seiner Ausschüsse oder, wie wir es wiederholt vorgeschlagen haben, einem ganz kleinen Vertrauensgremium dieses Hohen Hauses Rechnung zu legen ist. Weiter handelt es sich um Kap. 403 Tit. 300, ein Posten, der schon in den vorliegenden beiden Jahresrechnungen zu finden ist. Da ist in 1954 zur Verfügung des Bundeskanzlers zur Förderung des Informationswesens ohne jede Kontrolle — außer der des Präsidenten des Bundesrechnungshofs — der Betrag von 10 Millionen DM angefordert worden. Weiter geht es um Kap. 404 Tit. 301 mit 700 000 DM un-
kontrollierbarer Ausgabemöglichkeit und um Kap. 502 Tit. 301: Bundesminister des Auswärtigen, geheime Ausgaben 3 Millionen DM, um Kap. 609 Tit. 33: Bundesminister des Innern für Zwecke des Verfassungsschutzes 3 900 000 DM ohne Kontrolle des Parlaments, zusammen in diesem Rechnungsjahr 17 800 000 DM. Für 1949 und 1950 finden Sie entsprechende Posten in der Ihnen vorliegenden Drucksache.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion vertritt die Auffassung, daß die Kontrolle derartiger Geheim- oder Reptilienfonds, wie ich sie einmal genannt habe, durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofs das Parlament von seiner eigenen Verantwortung bei der Verabschiedung der Rechnung nicht entlasten kann.
Diese Geheimfonds sind wesentliche Bestandteile der Rechnung und schließlich sollte die Bestimmung des § 89 der Reichshaushaltsordnung nicht in dem Sinne angewandt werden, wie es geschieht, sondern vielleicht mehr in dem Sinne der Ausführungen eines der hohen Beamten des Bundesfinanzministeriums, der einmal erklärt hat:
Regelmäßig begründet die Exekutive mit erhöhter Staatsräson die Fernhaltung eines
kritischen Prüfers von den obengenannten gefährlichen Fonds . Es stellt sich aber oft heraus,
daß diese Tendenz nur den Versuch zur Aufrechterhaltung eines Ministeriums oder den
Wunsch nach ganz selbständiger Bewirtschaftung bedeutet.
Es ist eine Aufgabe des Parlaments, gegenüber der Regierung ein gesundes Mißtrauen zu beobachten. Es ist eine Pflicht des Parlaments, die es vor allem auch in den Kontrollfunktionen seiner Ausschüsse ausübt. Ein gesteigertes Mißtrauen aber sollte das Parlament gegenüber den Geheimfonds der Bundesregierung empfinden.
— Ja, Sie wissen aber ganz genau, Herr Kollege Dr. Pünder, daß in der Weimarer Zeit eine interfraktionelle Regelung bestand, nach der ohne ausdrücklichen Beschluß des Parlaments ein kleiner Kreis von Vertrauenspersonen der einzelnen Fraktionen über die Verwendung der Mittel informiert wurde.
Einer der Herren Berichterstatter hat den Wunsch ausgesprochen — und diesen Wunsch möchte ich auch im Hinblick auf gewisse Bemerkungen in dem Bericht des Bundesrechnungshofs sehr stark unterstreichen —, daß der Herr Präsident des Bundestages veranlaßt werde, mit gutem Beispiel voranzugehen und dafür zu sorgen, daß Ordnung, im eigenen Haus beobachtet wird. Denn es gibt gewisse Dinge, die sich vielleicht mit den Verhältnissen der Vergangenheit einigermaßen entschuldigen lassen, die aber unter keinen Umständen eine fröhliche Wiederkehr erfahren dürfen. Ich glaube, es ist richtig, so zu verfahren, wie die Herren Berichterstatter es angekündigt haben.
Künftig wird bei der Prüfung der Rechnung auch von dem Unterausschuß des Haushaltsausschusses und vom Haushaltsausschuß sowie wohl dann auch hier vom Hohen Hause selbst nicht mehr mit jener Großzügigkeit vorgegangen werden können, mit der man in Würdigung der Zustände und Umstände, die für 1949 und 1950 immerhin noch galten, dieses Mal verfahren ist.
Meine Damen und Herren, wir werden den Entschließungen des Haushaltsausschusses zu Ziffer 6 a—e unsere Zustimmung geben. Wir von der sozialdemokratischen Fraktion sind im Hinblick auf die Nichtdarlegung der tatsächlichen Verwendungszwecke der Geheimfonds der Bundesregierung nicht in der Lage, die von dem Herrn Bundesfinanzminister beantragte Entlastung zu erteilen, und werden uns im übrigen der Stimme enthalten.