Rede von
Valentin
Brück
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte, dafür Verständnis zu haben, wenn ich noch ganz kurz einige Ausführungen mache, insbesondere deshalb, weil der Herr Kollege Müller-Hermann und der Herr Kollege Rademacher gestern die große Kollegialität und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Eisenbahner angesprochen haben. Ich fühle mich als Eisenbahner verpflichtet, gegenüber dem Kollegen Müller-Hermann einige sachliche Bemerkungen zu machen. Wenn er gestern beispielsweise gesagt hat, daß im Eisenbahnverkehr der Eilgut- und Stückgutverkehr ein Zuschußverkehr sei, so weiß ich nicht, woher er seine Unterlagen hat und woraus er die Berechtigung herleitet, diese Behauptung aufzustellen. Wenn man z. B. von Zuschuß spricht, dann könnte man im Augenblick sagen, daß die ganze Bundesbahn völlig unrentabel sei und daß man sie gänzlich schließen und abbauen müsse. Herr Kollege Müller-Hermann hat beispielsweise gesagt, daß es Züge gebe, bei denen das Fahrpersonal stärker sei als die Zahl der Fahrgäste. Das möchte ich sehr stark bezweifeln. Ich habe als alter Betriebskontrolleur gerade an der Untersuchung dieser Dinge sehr stark mitgewirkt. Mir ist zwar bekannt, daß das an manchen Stellen zutrifft, wenn die Züge vom oder zum Abstellbahnhof gebracht werden, aber sonst dürfte das nicht der Fall sein.
Nachdem Herr Rademacher und Herr Kollege Müller-Hermann immer wieder einen Personalabbau verlangt haben, muß ich trotz der Ausführungen des Kollegen Jahn noch etwas dazu sagen. Man muß sich den Personalkörper der Deutschen Bundesbahn ganz kurz ansehen, um sich ein wirklich objektives Urteil bilden zu können. Dieser Personalkörper umfaßt im Augenblick 500 000 Menschen. Davon sind 276 000 Arbeiter, 2 000 Angestellte, 85 000 Beamte des einfachen Dienstes, 112 000 Beamte des mittleren Dienstes, 23 500 Beamte des gehobenen Dienstes und 2 200 Beamte des höheren Dienstes. Das Durchschnittseinkommen der 276 000 Arbeiter beträgt monatlich 350 DM. Das Durchschnittseinkommen im einfachen Dienst liegt zwischen 348 und 392 DM, im mittleren Dienst zwischen 377 und 552 DM und im höheren Dienst zwischen 1010 und 1672 DM. Ich weiß nun nicht, ob man sich in der Privatwirtschaft bei einer derart hohen Verantwortung mit einem solchen Einkommen zufrieden geben würde. Die so viel gepriesene Altersversorgung besteht für einen großen Teil der Eisenbahner doch nur in der Theorie. Die derzeit hohen Pensionslasten sind als völlig unnormal zu bezeichnen und stehen eng in Zusammenhang mit dem großen Unglück, ,das in Auswirkung des „Tausendjährigen Reiches" über uns hereingebrochen ist.
— Verehrter Herr Kollege Schmidt-Wittmack, es wird ja nicht alles immer hier ausgesprochen, sondern manche Dinge werden in ganz anderen Kreisen zum Ausdruck gebracht.
Man hört häufig auch, daß die Bundesbahn zu viele Menschen ins Beamtenverhältnis übernehme. Die gleichen Kritiker, Herr Schmidt-Wittmack, malen auch immer eine Streikgefahr an die Wand. Sie wissen aber, daß der Beamte nicht streiken darf. Ich möchte diesen Gedanken nicht weiter vertiefen.
Es muß auch gesagt werden, daß mindestens 10 % des gesamten Personals verdrängte Personen sind, die Haus und Heimat verloren haben. Die Einführung des Achtstundentags, der zwar für einen großen Teil der Eisenbahner nur auf dem Papier steht, hat immerhin einen Mehrbedarf von 35 000 Arbeitskräften gebracht. Es wurden gestern noch einige andere Zahlen genannt. Es dürfte z. B. nicht unerheblich sein, daß 19 900 Schwerbeschädigte des zweiten Weltkrieges und 8 700 andere Schwerbeschädigte bei der Bundesbahn beschäftigt sind, daneben 26 000 Beschädigte mit einer Erwerbsminderung von 35 bis 40 %. Insgesamt sind 55 000 Bedienstete nicht voll leistungsfähig, ein Umstand, der die Freizügigkeit der Verwendung des Personals stark beeinträchtigt. Die rund 55 000 verdrängten Bediensteten sind meistens in vorgeschrittenem Lebensalter. Das Durchschnittsalter der Arbeiter liegt bei 38 Jahren, das der Beamten bei über 48 Jahren. Wenn nun immer wieder eine stärkere Personaleinsparung verlangt wird, so werden sich — und das ist schon jetzt an manchen Stellen sehr stark zu erkennen — immer größere Nachwuchsschwierigkeiten ergeben.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu der immer wieder geforderten Rationalisierung. Selbstverständlich sind Modernisierung und Technisierung zur Vereinfachung von Arbeitsvorgängen nicht abzulehnen. Aber bedenken wir, daß zu allen Modernisierungsmaßnahmen Geld gehört, und zwar sehr viel Geld; und das hatte die Bahn bisher nicht, denn sie mußte zunächst den notwendigen Wiederaufbau vornehmen. Ich gebe auch dem Herrn Direktor Dr. Kegel vom Ruhrsiedlungsverband recht, wenn er sagt: Die Technik ist ein großartig, aber auch ein sehr gefährlich Ding. Wir dürfen uns unter keinen Umständen von der Technik versklaven lassen, sondern müssen Herr der Technik bleiben. Letztlich darf keine Rationalisierung auf Kosten der Menschen gehen, die nach unserer Auffassung das höchste Gut auf Erden sind und deren ganzes Wirken und Schaffen letztlich der größeren Ehre Gottes zu dienen hat. Ich gebe zu, daß noch manches geschehen kann, aber ich darf Ihnen auch einmal sagen: nicht jede Rationalisierungsmaßnahme wird ohne jegliche Kritik hingenommen. Ich sehe z. B. nicht ein, daß der Bau eines Gliedertriebzugs unbedingt eine echte Rationalisierungsmaßnahme sein soll. In der Eisenbahnersprache heißt dieser
Zug der „Känguruh-Zug", und zwar sagen die Eisenbahner, der erste Präsident der Deutschen Bundesbahn habe durch seine Reise nach Athen einmal versuchen wollen, welche Sprünge man noch mit einem leeren Geldbeutel machen könne.
Das sind Dinge, die natürlich eine echte Kritik auslösen.
Ich darf einmal drei Faustregeln des gesamten Verkehrs in diese Betrachtung mit einschalten. Wir als Männer vom Flügelrad haben die Dinge so gesehen, daß man den Verkehr zunächst einmal vom Grundsatz der Sicherheit betreiben muß, daß auch die Schnelligkeit eine Rolle spielt und daß schließlich wirtschaftliche Gesichtspunkte von Bedeutung sind. Diese Grundsätze dürften auch jetzt wieder anzuwenden sein. Auch in diesem Zusammenhang muß ein Wort gelten, das vor vielen Jahren von Goethe ausgesprochen wurde: Man kann in wahrer Freiheit leben und doch nicht ungebunden sein.
Der Herr Bundesverkehrsminister ist stark der Kritik von dieser oder jener Seite ausgesetzt gewesen. Wir wollen uns doch darüber im klaren sein: der Bundesverkehrsminister könnte im Augenblick heißen, wie er wollte, und sein, wer er wollte, er könnte wahrscheinlich keine Regelung treffen, ohne daß der andere in irgendeiner Form eine Kritik anbringen würde. Das wollen wir doch erkennen, und wir wollen die Arbeit seines Ministeriums und des gesamten Kabinetts nun nicht durch unnötige Kritik noch schwerer machen, als sie im Augenblick schon ist.
Da ich vom Herrn Präsidenten gebeten wurde, mich ganz kurz zu fassen, möchte ich mit jenem Wort — das sollten wir alle miteinander in echter Gemeinschaft überlegen — abschließen, das da heißt: Alle wollen fahren, und alle sollen so gut wie irgend möglich fahren, alle sollen und müssen sicher fahren, und alle müssen sich in die große Gemeinschaft des Volksganzen einordnen.