Rede von
Jeanette
Wolff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es muß einen Menschen mit Bitterkeit erfüllen, wenn er eine solche Betrachtung der Angelegenheiten der Opfer aus der Nazizeit hört, wie sie eben von einem Kollegen der CDU zum Ausdruck gekommen ist.
— Entschuldigen Sie bitte. Ich konnte es mir auch gar nicht vorstellen, weil Ihre Herren dem Problem anders gegenüberstehen. Es sind ja so viele Abgeordnete hier, daß man sie nicht alle kennen kann. Ich sehe auch sehr schlecht. Deshalb habe ich das verwechselt. Gesichter verschwimmen einem Menschen, der nicht gut sieht, aber Charaktere können einem nicht verschwimmen, denn an ihren Taten soll man sie erkennen, steht schon an einer Stelle, die geheiligter ist als dieses Haus.
Ich entsinne mich noch der Sitzung, in der der Herr Abgeordnete Gerstenmaier erklärt hat, daß es die Verpflichtung des gesamten deutschen Volkes und vor allem der in dieses Hohe Haus geschickten Abgeordneten und der Bundesregierung sei, das Unrecht wiedergutzumachen. Ich glaube, daß viele warmen Herzens zu dieser Erklärung stehen.
Herr Bundesfinanzminister, es tut mir furchtbar leid, daß Ihre Ausführungen, wie ich sagen muß, mehr von fiskalischen als von menschlichen Gesichtspunkten geleitet waren. Wenn man an dieser Stelle etwas fordert, was nicht einmal eine Wiedergutmachung des Unrechts bedeutet, dann muß man sich doch vergegenwärtigen, was in jener Zeit geschehen ist.
Herr Finanzminister, Sie erklären, Sie konnten aus irgendwelchen technischen Gründen die Ausführungsbestimmungen bis heute nicht erlassen. Zugegeben, Herr Finanzminister! Aber Sie sind auch mit sehr starkem Zögern an diese Angelegenheit herangegangen. Es hat sehr lange gedauert, bis überhaupt ein Entwurf der Bundesregierung gekommen ist. Der Ausschuß hat schon an anderen Entwürfen gearbeitet, ehe überhaupt ein Entwurf der Bundesregierung vorlag. Wenn Sie, Herr Finanzminister, heute sagen, die Herren der Claims Conference seien begeistert gewesen über den Entwurf, den man ihnen vorgelegt habe, dann muß ich hier feststellen: die Claims Conference ist nicht die Stelle, die die politisch, rassisch und religiös Verfolgten in Deutschland zu vertreten hat!
Sie hat auch nicht das innere Interesse daran, das wir daran haben, die mitten in der Arbeit für diese Menschen stecken.
Herr Bundesfinanzminister, Ihnen als gutem Verwaltungsmann wird doch klar sein, daß durch das Fehlen der Ausführungsbestimmungen zum Bundesentschädigungsgesetz die Gesetze der Länder blockiert gewesen sind.
In den Etats der Länder waren Summen eingesetzt. Ich komme selber aus einer solchen Behörde und weiß, was dort zu tun ist und was dort gearbeitet wird. Diese Behörden werden angegriffen, weil sie nicht auszahlen. Sie können nicht auszahlen, weil das Bundesentschädigungsgesetz bis jetzt noch keine Ausführungsbestimmungen hat. Es gibt Länder, die für diese Entschädigung Summen in den Etat eingesetzt haben, — für die Entschädigung! Sprechen wir doch nicht von Wiedergutmachung, meine Herren! Wer kann wiedergutmachen, was unter den Trümmern begraben liegt? Wer kann wiedergutmachen, was in den Konzentrationslägern umgekommen ist? Wer kann wiedergutmachen den Schmerz der Witwen und Waisen, die ihren Mann und ihren Vater nicht zurückbekommen haben? Wer kann wiedergutmachen die Todesschreie von Millionen von Menschen? Das kann man nicht wiedergutmachen! Wir können nur entschädigen am Lebenden, um es ihm zu ermöglichen, am Leben nicht zu verzweifeln.
Herr Bundesfinanzminister — gestatten Sie, daß ich Ihnen das mit aller Offenheit sage —, Sie haben hinter das Projekt, das diejenigen umfaßt, die als Widerstandskämpfer oder als religiös oder rassisch Verfolgte in der Nazizeit gelitten haben, nicht die Wärme gesetzt, die Sie bei der Ausweitung des Gesetzes zu Art. 131 bewiesen haben. Da hätten Sie am liebsten noch die gesamte Gestapo und den SD hineingenommen. Es wird auch nicht lange dauern, Herr Finanzminister, dann werden wir die Anträge bekommen, daß all diese Kreise mit einbezogen werden sollen.
Inzwischen bleibt uns Abgeordneten nichts anderes übrig, als zu warten. Sie, Herr Finanzminister, sagen, daß die Sache noch etwas dauern wird und daß alles seinen Weg gehen muß. Vielleicht reicht es dann, Herr Finanzminister, noch dazu, daß das Bundesentschädigungsgesetz in seinen Ausführungsbestimmungen vorsieht: Für diejenigen von den Nazi-Verfolgten, die nun nicht mehr am Leben sind, werden Bundestag und Bundesregierung die Kränze zur Verfügung stellen! Herr Bundesfinanzminister, so kann man die Dinge nicht betrachten! Sie müssen nicht vom fiskalischen, sondern vom menschlichen Standpunkt aus denken. Millionen von Menschen haben unter diesem System gelitten und sind umgekommen. Es leben 75jährige, 80jährige, die an den Petitionsausschuß schreiben: „Wann kommt unsere Wiedergutmachung? Wir können nicht mehr laufen und die Dinge vorantreiben." Herr Bundesfinanzminister, es gibt eine Verpflichtung diesen Menschen gegenüber!
Verehrter Herr Kollege, der sie vorhin gesprochen haben, ich habe mich gewundert, daß Sie nicht errötet sind, als Sie die Leute aus der Organisation „Condor" jenen vorangestellt haben,
die zu der Zeit — —
— Das ist doch wahr, Herr Abgeordneter! Es nützt nichts, — —
-- Es nützt nichts, auch wenn Sie die Dinge noch so laut betonen! Sie haben erklärt, daß der Herr Abgeordnete Dr. Arndt — oder wer es war, ich weiß es nicht — die Ehre des deutschen Soldaten mit Füßen getreten habe oder so ähnlich.
— Augenblick! —, daß er die Leistungen der Organisation Condor nicht genügend gewertet habe. Herr Abgeordneter, ich nehme Ihnen das gar nicht übel,
Ihnen und den Herren, die der gleichen Meinung sind. Denn bekanntlich kann niemand über seinen eigenen Schatten springen.
Niemand ist in der Lage, innerlich einen Charakterwechsel vorzunehmen,
wenn er nicht davon überzeugt ist, daß man Unrecht an dem man vielleicht nicht mitbeteiligt war,
das man aber mit der Trägheit des Herzens mit angesehen hat, zum mindesten hat geschehen lassen. Sie wissen ja, diejenigen sind die Weisen, die vom Irrtum zur Wahrheit reifen. Und die im Irrtum beharren, — gestatten Sie mir, daß ich den Schlußsatz nicht ausspreche!
— Sie dürfen mir vieles raten. Sie müssen sich selber noch etwas raten. Sie müssen in sich gehen, um zu erkennen, daß Sie in einem demokratischen Bundestag sitzen,
der auf dem Grundrecht aller aufgebaut ist.
— Na, wissen Sie, wenn Sie aus der Zeit kommen, verehrter Herr Abgeordneter, in der die Lautstärke und die Kommißstiefel den Geist übertönt haben, dann ist es für mich eine Auseinandersetzung am untauglichen Objekt. Deswegen werde ich mich zurückhalten.
Herr Bundesfinanzminister, ich richte mich an Sie als den Chef der ausübenden Behörde. Denken Sie daran, daß viele Witwen, viele Waisen und viele in ihrer Gesundheit Geschädigte auf dieses Geld warten. Diejenigen, die die Entschädigung noch bekommen sollen, sind zum Teil schon alt, diejenigen, die überlebt haben, was über sie hereingebrochen ist, die eine Hölle überlebt haben, die kaum jemand, auch nicht derjenige überlebt hätte, der mit Lautstärke 2000 früher das „Heil" brüllen konnte. Die waren sehr feige, als es daranging, sich zu dem zu bekennen, was sie getan hatten. Da haben sie feige das Volk im Stich gelassen. Aber stellen Sie bei denen, die gelitten haben, Herr Finanzminister, das Fiskalische zurück und üben Sie Gerechtigkeit.
Das ist das, was ir wollen. Niemand von uns, verehrte Anwesende, denkt daran, die Ehre des deutschen Soldaten anzutasten.
Mein Kollege Dr. Arndt ist meiner Ansicht nach sehr, sehr loyal in allem gewesen, was er gesagt hat. Aber nehmen Sie nicht die Ehre des deutschen Soldaten zum Vorwand, um Unrecht in Recht zu verwandeln.
Das ist etwas, was man nicht tun darf. Der deutsche Soldat beginnt ja nicht beim Oberst, beim Major und beim General; er beginnt dort, wo man in vorderster Drecklinie gestanden hat.
Und wenn Sie diese Kreise fragen, die sind anderer Ansicht über die Freiwilligen der Organisation Condor.
Meine Herren und Damen, in Ihrer Hand liegt es, die Blockierung des Gesetzes aufzuheben.
Setzen Sie allen Druck dahinter, damit dieses Gesetz endlich die Ausführungsbestimmungen erhält. Daß es einer Novelle, einer Verbesserung bedarf, war uns allen klar. Warum die Sache eilig gegangen ist, war uns auch klar. Sonst hätte dieser Bundestag mit der ganzen Verhandlung neu beginnen müssen, und wir wären vielleicht Ende dieser Legislaturperiode dazu gekommen, zu sagen: Jetzt können wir das Buch über das Gesetz schließen; denn die, die dieses Gesetzes bedurften, leben nicht mehr.
Deshalb sage ich: es ist unsere Verpflichtung, den Menschen zu helfen; es ist unsere Verpflichtung, dieses Gesetz endlich zur Wirksamkeit zu bringen, den Länderbehörden zu helfen, daß sie die Mittel, die ihnen gegeben worden sind, ausschütten können. Vergessen Sie nicht, Herr Bundesfinanzminister, meine Herren und Damen: Millionen lebender Herzen stehen hinter diesem Gesetz, Millionen von Menschen, die durch ihren Widerstand gegen die Barbarei ein Opfer dieser Barbaren auf dem Schafott, in den Konzentrationslagern und in den Gefängnissen geworden sind und deren Witwen und Waisen zum Teil noch am Hungertuch nagen, da das, was sie bekommen, kaum zum Leben ausreicht. Wenn es für die Pensionen der Nazigenerale reicht, dann müssen wir uns schämen, wenn wir nicht auch an die Opfer aus der Nazizeit denken.