Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß das Haus mit dieser Feststellung einverstanden ist.
Ich rufe auf zur zweiten Beratung Art. I, — Art. II, — Art. III, — Art. IV, — Einleitung und Überschrift. — Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Gesetzentwurf in der
dritten Beratung
insgesamt zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; das Gesetz ist angenommen. Eine Schlußabstimmung entfällt.
Ich komme zur
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Bundesentschädigungsgesetzes .
Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Hauffe das Wort.
Ich weise darauf hin, daß der im Augenblick nicht anwesende Herr Bundesfinanzminister sich auf dem Wege zum Plenarsaal befindet.
Hauffe , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage meiner Fraktion befaßt sich mit einem Kapitel, von dem man eigentlich annehmen sollte, daß es zum heutigen Zeitpunkt, also neun Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates, der Vergangenheit angehört. In der Anfrage wird die Bundesregierung gefragt, wann die Rechtsverordnungen zu den §§ 14, 15 und 37 des Bundesergänzungsgesetzes endlich ergehen. Man muß dabei darauf hinweisen, daß das Bundesergänzungsgesetz angesichts des Fehlens der Rechtsverordnungen eigentlich seinen Sinn verloren hat. Wenn der letzte Bundestag überstürzt dieses Gesetz angenommen hat, dann doch deshalb, um wenigstens zu einem Teil mit der Wiedergutmachung praktisch arbeiten zu können; denn bisher wurde die
Wiedergutmachung in den einzelnen Ländern auf Grund von Ländergesetzen, d. h. Besatzungsgesetzen vorgenommen.
Das Fehlen der Rechtsverordnungen ist besonders tragisch angesichts der Bedeutung der in Frage stehenden Vorschriften. Schauen wir uns einmal an, was diese Paragraphen bzw. die Titel des Gesetzes, zu denen die Paragraphen gehören, beinhalten. Die §§ 14 und 15 des Ergänzungsgesetzes gehören zum Zweiten Abschnitt, Ersten Titel: Schaden an Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit. Man darf wohl annehmen, daß eine Entschädigung dieser Ansprüche heute dringend erforderlich ist; denn auf diesen Schäden an Leben, Körper und Gesundheit beruhen zum größten Teil die Rentenansprüche alter Leute und Witwen, die während der Zeit von 1933 bis 1945 Schaden erlitten haben und die nicht mehr in der Lage sind, sich selber zu erhalten. Zum großen Teil handelt es sich dabei um Leute, die heute bereits das 70. Lebensjahr überschritten haben. Das macht die Dinge um so tragischer.
In § 14 Abs. 9 und auch in § 15 Abs. 8 heißt es: Die Bundesregierung wird ermächtigt, zur Durchführung der vorstehenden Bestimmungen Rechtsverordnungen zu erlassen.
Wenn die Rentner und Invaliden, die Witwen und Waisen bei ihren zuständigen Landesbehörden anfragen, wann mit der Regelung ihrer Renten zu rechnen ist, dann bekommen sie meistens recht lakonische Antworten, wie z. B. ein alter, 74jähriger Rentner, dem das Bundesarbeitsministerium am 2. Februar dieses Jahres geschrieben hat:
Die Rechtsverordnungen zu § 15 Abs. 8 des
Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung
für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 sind bisher noch
nicht ergangen.
Der Schlußsatz heißt:
Da das Bundesergänzungsgesetz von den Ländern durchgeführt wird, stelle ich Ihnen anheim, sich von Zeit zu Zeit bei der für Sie zuständigen Entschädigungsbehörde nach dem Stand der Gesetzgebung zu erkundigen.
Sehr mit Recht fragt der Mann in einem Schreiben an mich, wie lange er denn als 74jähriger noch Zeit hat, sich „von Zeit zu Zeit nach dem Stand der Gesetzgebung zu erkundigen".
Da die Regierung nicht einmal in der Lage war, bis jetzt die Rechtsverordnungen zu erlassen, glaubt man schon gar nicht, es wagen zu dürfen, zu einem anderen Kapitel des Bundesergänzungsgesetzes, das in unserer Großen Anfrage nicht erfaßt ist, eine Frage zu stellen. In den §§ 64 und 65 wird nämlich darauf hingewiesen, daß die Rentengesetzgebung noch an das Ergänzungsgesetz angepaßt werden soll. Es dürfte ja bekannt sein, daß ein großer Teil der Menschen, die 1933 verfolgt und aus ihren Stellungen geworfen wurden, auch Schaden in der Altersversorgung, in der Invalidenversicherung erlitten haben. Das Wirtschaftsratgesetz gibt diesen Menschen nur einen Ausgleich für Zeiten der Arbeitslosigkeit, nicht aber für Zeiten der Beschäftigung in geringerer Tätigkeit. Auch hier fehlt die Gesetzgebung. Aber wenn die Rechtsverordnungen noch nicht da sind, kann man von der Bundesregierung, besonders von dem Herrn Bundesarbeitsminister nicht erwarten, daß er die nötigen Gesetzentwürfe zur Ergänzung der Sozialgesetzgebung vorlegt.
Das Bundesergänzungsgesetz hat somit praktisch keinen Vorteil für den Geschädigten des Dritten Reiches gebracht, sondern einen Nachteil. Das geht besonders daraus hervor, daß die Zahl der vor dem Erlaß des Bundesergänzungsgesetzes von den Landesentschädigungsbehörden ergangenen Bescheide noch einmal so hoch war wie heute. Ich habe die genauen statistischen Zahlen von Bayern und von Baden-Württemberg erhalten; ich glaube, daß es in den anderen Ländern nicht besser ist. Die Dinge, die erledigt werden können, wie die Haftentschädigung usw., sind heute Gott sei Dank zum großen Teil erledigt. Je weiter aber die Ergänzungsvorschriften auf sich warten lassen, desto mehr werden die Entschädigungen für Schaden an Leben und Gesundheit in Reserve bleiben. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich hier einen Vergleich ziehe: die Peiniger der Menschen, die 1933 aus ihren Stellungen geworfen wurden, die verhaftet wurden usw., haben zum großen Teil, weil sie Angehörige des öffentlichen Dienstes sind, wohlerworbene Rechte. Diese wohlerworbenen Rechte sind ihnen gewahrt worden; sie werden im Alter von 70 Jahren auf Grund des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes versorgt. Ihre Opfer aber, die sie von 1933 bis 1945 gequält haben und die heute noch auf die Regelung ihrer Rechtsansprüche warten, müssen zusehen, wie die wirtschaftliche Existenz ihrer Peiniger gesichert ist, sie aber selber sich weiterhin in einer großen wirtschaftlichen Notlage befinden.
Ich möchte deshalb den Herrn Bundesfinanzminister, der wohl für diese Dinge zuständig ist, darum bitten, alles daranzusetzen, daß diese Rechtsverordnungen erlassen werden, daß die Menschen, die von 1933 bis 1945 gelitten haben und die heute weiter Not leiden müssen, mindestens gleichbehandelt werden mit denen, die sie gepeinigt haben. Das ist eine drastische Feststellung. Ich muß sie aber treffen, um vielleicht der Behörde plausibel zu machen, daß hier eine Unterlassungssünde vorliegt, wie sie schwerwiegender in der Verwaltung wohl kaum zu finden ist.