Rede von
Franz
Höhne
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokratische Partei hat Ihnen mit der heutigen Großen Anfrage und ihren Anträgen die Notwendigkeit einer Hilfe für die Zonengrenzgebiete dargelegt. Alle Damen und Herren der Regierungsparteien sind sich auch darin einig, daß in den Zonengrenzgebieten etwas geschehen müsse. In leidenschaftlichen Ausführungen haben wir gehört, daß jetzt Millionen notwendig seien, weil sonst später Milliarden fruchtlos sein könnten. Es mutet mich aber eigenartig an, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, trotzdem zu behaupten wagen, wir betrieben Wahlpropaganda.
Unser ernsthaftes Zonengrenzprogramm zur Lösung der Zonengrenzprobleme bezeichnen Sie von dieser Stelle aus als Wahlpropaganda.
— Frau Brökelschen hat hier behauptet, daß die Sozialdemokratie mit ihren Anträgen Wahlpropaganda betreiben wolle. Es handelt sich hier um höchst aktuelle Fragen, an deren Lösung die Bevölkerung draußen sehr interessiert ist. Da brauchen wir keine Wahlpropaganda zu betreiben. Wir haben es nicht nötig, anderen die Ehre abzuschneiden und Wahlverleumdungen zu starten.
Wir sind uns bewußt, daß den Zonengrenzgebieten geholfen werden muß. Ich möchte aber jetzt schon darauf hinweisen, daß es die Grenzländer keineswegs hinnehmen können, wenn die Zonengrenzprobleme — und diese Tendenz ist hier leise angeklungen — in zwei Teile aufgegliedert werden. Das eine Teilgebiet hat vorhin der Herr Abgeordnete Dr. Henn andeutungsweise genannt. Das andere Teilgebiet soll das Zonengrenzprogramm sein, weil sich die Gebiete entlang der tschechoslowakischen Grenze keinesfalls und in nichts von den Zonengrenzgebieten unterscheiden. Denken Sie an die verhärteten Grenzzustände, die wir entlang der tschechoslowakischen Grenze bis hinauf nach Tirschenreuth haben!
Der Herr Staatssekretär hat gesagt, es fehlten die überzeugenden Beweise, daß Betriebsverlegungen vorgenommen worden seien. Mein Parteifreund Behrisch hat Ihnen schon eine Reihe dieser Betriebe genannt. Ich möchte Ihnen auch noch einige anführen,
und empfinden Sie es bitte nicht als langweilige Darstellung! Siemens in Regensburg haben sich verlagert, die Glaswerke Tettau mit 100 Mann Belegschaft, Klaus Christian Hammerschmitt, KleinTettau, mit 100 Mann Belegschaft, Karl August Hein, Klein-Tettau, mit 100 Mann, Kleiderfabrik Kaltelesdorf, Landkreis Staffelstein, mit 50 Mann, Komet-Stahlhalter-Fabrik Neustadt bei Coburg mit 60 Mann, Firma Kletzer Kerzenfabrik mit ebenfalls
60 Mann, der Betrieb Bitweiler mit über 500 Mann Belegschaft, die Farbglaswerke—ehemalige Jenaer Schottwerke — in Zwiesel usw. usw., — die Liste ist damit noch lange nicht beendet.
Es hat also sehr wohl eine Verlegung von Betrieben stattgefunden, und auch in Zukunft ist damit zu rechnen. Allein in dem Landkreis Cham, in dem arbeitsschwachen Gebiet, sind in den letzten zwei Jahren 27 Betriebe stillgelegt worden. Stillgelegt worden sind in der letzten Zeit auch — und das ist gerade für unsere holzverarbeitende Industrie sehr gefährlich - nicht weniger als sieben Sägewerke, die nunmehr nicht mehr imstande sind, ihre Leute zu beschäftigen. Die Verlesung einer Liste der beabsichtigten Stillegungen möchte ich mir ersparen. Ich bin aber bereit, sie dem Herrn Staatssekretär zuzuleiten, wenn er dafür Interesse hat.
Unterstrichen werden muß noch die Not in diesen Gebieten und damit die Notwendigkeit einer schnellen Hilfeleistung. Der Herr Staatsekretär hat uns Zahlen über die Arbeitslosigkeit genannt: sie sei im Zonendurchschnitt vom Jahre 1949 mit 16,1 % zum Jahre 1953 auf 9,9% gesunken. Ich möchte Ihnen dazu sagen: den Leuten in den betroffenen Gebieten ist dieser statistische Durchschnitt höchst uninteressant. Interessant ist für die Menschen, die in diesen Gebieten wohnen, die Arbeitslosenzahl in dem Raume, in dem sie leben. Da kommen wir auf ganz andere Ergebnisse, Herr Staatssekretär! Da lesen wir: Cham im Jahre 1949 30,8 %, im Jahre 1953 40,2 %; in Deggendorf — immer von 1949 zu 1953 — Erhöhung von 30% auf 38 %. Dann Passau! Ich nenne hier nur die Zonenrandgebiete, die in der 40-km-Zone liegen.
— Passau, das ist alles schon festgestellt, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition! Das haben wir schon vor vier Jahren festgestellt, Sie können es nachlesen! Warum haben Sie denn nichts getan?
Ihre Worte helfen nichts. Sie reden von Taten. Bitte sehr: warum haben Sie in den letzten vier Jahren im Zonengrenzausschuß nicht durch die Regierung und von diesem Pult aus die notwendigen Voraussetzungen geschaffen?
Das Volk wird es Ihnen eines Tages vorhalten, daß man mit Worten Taten nicht ersetzen kann.
Ich fahre in der Aufzählung fort. In Weiden hatten wir 1949 7,1 %, heute nach einer vier- oder fünfjährigen Entwicklung im Zeichen des deutschen Wirtschaftswunders haben wir 22,8% an Erwerblosen. Meine Damen und Herren, sind das nicht erdrückende Zahlen, und schlägt Ihnen nicht das Gewissen ein wenig?
Werden Sie nicht rot vor Ihrem -
— Ja, so rot können Sie niemals werden, dazu fehlt Ihnen die Verantwortung.
— Wie uns die Verantwortung fehlt, kann ich Ihnen sagen: haben Sie regiert, oder haben wir regiert?
Herr Dr. Dittrich, Sie haben das Zonengrenzgebiet Kötzting zu vertreten. In Kötzting waren in den letzten vier, fünf Jahren 49 % der Bevölkerung Fürsorgeempfänger — also aus der Arbeitslosenversicherung Ausgesteuerte —, die in den nächsten vier, fünf Jahren mit Ihrer Politik auch zu keiner Arbeit kommen werden.
Im Durchschnitt von Passau bis Hof haben wir eine
Fürsorgeziffer von 30 % in den Grenzlandgebieten.
Das sind alarmierende Zahlen, die aber nicht erst heute erkennbar werden. Lesen Sie die Protokolle von 1950 und 1951 nach! Ich habe 1951 ähnliche Ausführungen gemacht und eigenartigerweise Sie auch. Sie haben es bisher nur bei ganz lapidaren Versprechungen gelassen. 50 Millionen DM setzen Sie in den Bundeshaushalt ein. Jetzt hören wir von dem Herrn Staatssekretär, daß uns die 120 Millionen DM zugesichert sind. Ja, meine Damen und Herren, bemühen Sie sich doch erst einmal, festzustellen, wo die 120 Millionen DM herkommen! Sind das Bundesmittel, oder sind das Mittel, die den Ländern abgezwackt werden?
— Nein, das ist nicht wahr. Da sehen Sie, wie wenig Sie von den Dingen verstehen.
Sie stellen hierorts Ansprüche und wissen gar nicht, daß die Länder die 120 Millionen DM bezahlen.
— Selbstverständlich, die Länder bezahlen, und das in dem Augenblick der Abzweigung der 120 Millionen DM durch die Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf 42 %. Es heißt ausdrücklich, mit 40 % komme eine Zonengrenzhilfe vom Bund her nicht in Frage. Es müßten, so fordert der Bundesfinanzminister, die 42 % gewährt werden; erst dann tritt ein Hilfsprogramm und treten Hilfsmaßnahmen für das Zonenrandgebiet in Kraft.
Sie schwächen also dadurch, daß Sie den Ländern Beträge abziehen und zum Bunde leiten, die Länder in ihrem Vermögen, von sich aus Zonengrenzmaßnahmen durchzuführen. Das ist doch ganz klar. Was z. B. Bayern bisher an Grenzlandhilfe dadurch hat leisten können, daß nicht 42% in Anspruch genommen wurden, kann es in Zukunft nicht mehr leisten; da werden Sie mir zustimmen.
— Na also! Man soll sich nichts vormachen und sollte vor allen Dingen keine solchen Täuschungsmanöver starten, die die Menschen draußen in den Glauben versetzen: Nun haben wir 50 Millionen DM im Etat stehen, 120 Millionen DM gibt der Bund außerdem, er gibt also 170 Millionen DM; damit läßt sich schon etwas anfangen. — Wenn sie aber fragen, was die Länder in Zukunft weniger tun, werden sie feststellen, daß im Schnitt gesehen
die Bereitschaft sogar noch schwächer sein wird, als sie in der Vergangenheit gewesen ist.
Man mag nun Selbsthilfemaßnahmen erwägen. Das tun wir auch. Wir sind verantwortungsbewußt genug, die Menschen in unseren Gebieten auf die Selbsthilfe hinzuweisen. Aber man sollte bei solchen wirklich politischen Notwendigkeiten, wie es die Hilfsmaßnahmen für das Zonengrenzgebiet sind, nicht mit Fünferln und Zehnerln, wie man bei uns sagt, rechnen. Die Frau Abgeordnete Brökelschen sagte: der eine Antrag erfordert 65 Millionen DM, der andere 60 Millionen DM; was nunmehr vorliegt, ergibt alles in allem 200 Millionen DM. Ja, meine Damen und Herren, Sie haben sogar von 600 Millionen gesprochen.
Meine Damen und Herren, wollen wir das Politikum Zonengrenze von Geld abhängig machen oder von dem guten Willen, den wir alle haben?
Der gute Wille muß natürlich zum Ausdruck kommen durch das Bekenntnis, zu leisten. Das, meine Damen und Herren, sind S i e jedenfalls bisher schuldig geblieben.