Rede von
Franz Xaver
Unertl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anscheinend ist auch im Deutschen Bundestag die moderne Zeitkrankheit „Zeitdruck" zu Hause. Deswegen ist bei der Debatte der ganzen Grenzlandfragen der Wunsch geäußert worden, die noch kommenden Redner —
und zu denen zähle ich auch — mögen sich möglichst kurz fassen. Vielleicht ist der Wunsch berechtigt, und man könnte sich kurz fassen; denn im allgemeinen ist das, was zu sagen ist, von den meisten Vorrednern schon gesagt worden.
Man muß doch auch bedenken, daß das Grenzlandproblem neben all den Fragen, die sich für die Regierung, für die Abgeordneten und die Ausschüsse stellen, ein ganz großes und wichtiges politisches Problem ist. Ich komme aus einem Wahlkreis, in dem zur Zeit die Kommunistische Partei
— und ich bitte die Damen und Herren, sich das wirklich einmal zu überlegen — mit aller Schärfe daran geht, in den Gebieten, in denen die Arbeitslosenziffern nun einmal, wie mein Kollege Dittrich ausgeführt hat, über dem Durchschnitt liegen, Propaganda zu machen. In der Gegend von Passau und in dem Bezirk Grafenau, in Wegscheid und Wolfstein ist man intensiv am Werk. Man verteilt
— ich habe mir die Exemplare mitgenommen, sie können bei mir eingesehen werden — in den- Betrieben Zeitungen. Ich bitte, auch einmal daran zu denken, daß auch der Leipziger Sender, der nahe am Eisernen Vorhang ist, einen maßgebenden Einfluß auf die Bevölkerung an dieser Zonengrenze ausübt. Es ist deshalb notwendig, daß wir uns mit allem Ernst, über die Parteien hinweg, mit den Zonengrenzfragen beschäftigen und auseinandersetzen.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist ebenfalls ein sehr maßgebender Faktor. Ich muß an das anknüpfen, was die Vorredner gesagt haben, und möchte Herrn Staatssekretär Westrick darauf aufmerksam machen, daß die Arbeitslosenziffern in unseren Gebieten und Kreisen seit 1948 nicht im Absinken sind, sondern wesentlich zugenommen haben. Wir hatten — ich möchte nur einen Kreis herausgreifen — in dem Arbeitsamtsbereich des bereits erwähnten Kreises Deggendorf 1948 10,8 % Arbeitslose, 1953 21,4 % und heuer, und zwar mit dem Stand vom 20. März 1954, 35,8 % Arbeitslose. Der Landkreis Grafenau liegt wohl mit 42,4% Arbeitslosen an der Spitze. Das sind Argumente und Tatsachen, über die wir keinesfalls hinweggehen dürfen. Wir müssen alle Anstrengungen machen und zunächst einmal dafür sorgen, daß die Menschen, die in diesen Gebieten leben, staatstreu bleiben. Es ist hier an das Wort erinnert worden, das der Herr Bundeskanzler in Regensburg geprägt hat. Ich möchte auch daran erinnern — und habe mich speziell bei der letzten Debatte um die Hilfe für Berlin daran erinnert —: wir verkennen das Politikum Berlins nicht. Aber die Zahlen der Arbeitslosigkeit, die sich bei uns hier auftun, sind doch enorm höher als die in Berlin.
Man muß sich nun fragen, ob es außer den Maßnahmen des Bundes, des Sanierungsprogramms, Länder auch andere Mittel gibt, um diesen Gebieten des Zonengrenzprogramms und den Mitteln der zu helfen. Da möchte ich darauf verweisen, daß ich in der Ausweitung und Hebung des Fremdenverkehrs eine sehr wichtige Hilfestellung sehe. Die heutige Zeit kennt doch so viele nervöse Menschen. Die Nervosität, die doch heute die größte Zeitkrankheit und die Krankheit vieler Menschen ist, wäre vielleicht zu überwinden, wenn die Menschen, die Erholung suchen, sich in ihrem Urlaub in die bewaldeten Gebiete des bayerischen oder oberpfälzischen Waldes zurückzögen.
Gehen Sie, meine Damen und Herren Kollegen des
Bundestages, meine sonstigen Bekannten, die Referenten, die Regierungsbeamten auf der Bonner Ebene, mit gutem Beispiel voran.
Folgen Sie, meine Damen und Herren, dem Landesvater! Ich möchte von dieser Stelle aus heute schon Herrn Bundespräsidenten Heuss danken, daß er sich bereit erklärt hat, seinen heurigen Sommerurlaub in diesen Gebieten zu verbringen.
Andererseits muß hier noch gesagt werden: treten wir der Reisewut ins Ausland etwas entgegen!
Erziehen wir dazu auch unsere Jugend.
— Ja, lieber Stücklen, ich weiß, man könnte hier mit dem Argument in Konflikt kommen, daß das Reisen wieder Gegenreisen bringt. Da hast du recht; das weiß ich ja auch. Ich glaube, es sollte doch bei uns noch Menschen geben, die nicht zuerst Italien und vielleicht Spanien und wenn möglich auch noch Jugoslawien besser kennen als ihre engere Heimat, geschweige den Bayerischen Wald.
Ich habe mich gefreut, als heute mittag Bonner Journalisten erklärten, sie hätten es satt, ins Ausland zu fahren, sie suchten nun eine ruhigere Stätte, und auch sie würden — einige Herren haben das Versprechen abgegeben — ihren Urlaub im Bayerischen Wald verbringen.
Bleiben wir alle etwas mehr bei diesen Gepflogenheiten und lernen wir unsere schöne bayerische und deutsche Heimat kennen. Dann, glaube ich, haben wir später immer noch Möglichkeiten genug, uns ins Ausland zu begeben.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist beschränkt, und mir steht nicht viel davon zur Verfügung. Ich möchte aber kurz noch etwas sagen, was heute von dieser Stelle aus noch nicht gesagt wurde. Wir müssen bei der Betrachtung der Grenzlandverhältnisse auch einmal die Zahlen unserer Geburtenstatistik betrachten. Wir wissen aus den Bevölkerungsstatistiken, daß die Geburtenziffer heute im Bundesdurchschnitt bei 16,2 Promille liegt, dagegen in den Gebieten, von denen seit heute früh gesprochen wird, bei 22 Promille. Ein Familienvater weiß, was Kinder kosten, bis sie arbeitsfähig werden. Wenn nun bei Eintritt der Arbeitsfähigkeit infolge der betrüblichen Verhältnisse keine Beschäftigung da ist, muß das wertvolle Menschenmaterial dieser Gegenden nach dem Westen abwandern. Die Leute sind heimattreu, und man sollte sie dafür belohnen und die Arbeit an sie heranbringen. Ich möchte darum ersuchen, einmal ernsthaft über dieses Problem nachzudenken.
Ich sagte schon eingangs, daß wir uns alle bemühen müssen, gemeinsam das beste zu finden, um dem Zonengrenzgebiet zu helfen. Wenn wir das tun, vollbringen wir ein großes politisches Werk. Dann, wenn es mal zu spät ist, helfen selbst Milliarden nichts mehr. Heute ist es noch früh genug. Ergreifen wir deswegen jetzt die Initiative! Ich bin mit meinem Vorredner, dem Herrn Kollegen Dittrich, der Meinung, daß wir uns gemeinsam in den Ausschüssen bemühen sollten, die heute gegebenen Anregungen so weit wie möglich zu verwirklichen und etwas Positives zu schaffen. An der Grenze des bayerischen und deutschen Gebiets
[Unertl)
lebt eine brave und fleißige Bevölkerung. Sorgen wir dafür, daß aus dem wirtschaftlichen Notstand von heute nicht der politische Notstand von morgen wird!