Rede von
Dr.
Hans
Henn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Herrn Bundeswirtschaftsministers hat uns an sich eine Liste von Maßnahmen gebracht, die sehr eindrucksvoll war. Wir, die wir im vorigen Jahr in dem Unterausschuß „Zonengrenzgebiet" gearbeitet haben, sind stolz, daß diese ganze Entwicklung von der Arbeit dieses Ausschusses ausgelöst worden ist. Aber weil das so ist, sind wir auch bedrückt, daß im Zonenrandgebiet immer noch eine Mißstimmung herrscht, die an sich nicht vorhanden sein dürfte, wenn alles das, was in den Beschlüssen, Erlassen und Richtlinien niedergelegt ist, zur Durchführung gekommen wäre. Es muß doch wohl so sein, daß sehr vieles Form geblieben ist und der Inhalt noch fehlt. Tatsächlich ist der Bundestagsbeschluß vom 2. Juli vergangenen Jahres nicht oder nur zum Teil verwirklicht worden. Deswegen mußte heute auch der Bericht des Bundeswirtschaftsministers so unbefriedigend sein. Frau Kollegin Brökelschen hat schon eindrucksvoll darauf hingewiesen, daß andererseits wieder die heute hier beliebte Methode, Anträge über Anträge zu stellen, doch wohl auch nicht das Richtige ist.
Ich habe mir als Obmann des Unterausschusses „Zonengrenzgebiet", der ich nun seit zwei Jahren in unmittelbarem Erleben feststellen konnte, wie die Dinge abgelaufen sind, immer wieder Gedanken gemacht, woran es eigentlich liegt, daß bei so gutem Willen allseits die Dinge so schlecht vorankommen. Ich möchte vorab eines einmal ganz deutlich feststellen: alle Sachbearbeiter in den Ministerien des Bundes und der Länder, mit denen ich in Sachen Zonenrandgebiete zu tun hatte, waren besten Willens. Sie alle sind fest entschlossen, dem Zonenrandgebiet zu helfen. Trotzdem kommen wir nur sehr zögernd oder gar nicht voran. Ich glaube, das liegt an zwei sehr wesentlichen Dingen, auf die ich doch einmal hinweisen möchte. Wir haben immer wieder feststellen müssen, daß es die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern waren, die Frage, wer denn nun eigentlich für die Hilfe im Zonenrandgebiet zuständig ist, die allen guten Willen nicht praktisch wirksam werden ließen. Die These, daß die Hilfe für das Zonenrandgebiet unter die Kriegsfolgenschädenbeseitigung falle, ist umstritten. Das Grundgesetz und die Überleitungsgesetze enthalten keine Regelung dieser Frage. Es scheint mir wichtig zu sein, daß wir hier vom Bundestag aus zunächst einmal dafür sorgen, daß durch eine Ergänzung der Verfassungsbestimmungen für die Zukunft klargestellt wird, wer denn nun eigentlich für diese Hilfe für das Zonenrandgebiet kompetent ist. Sonst bleibt es so, wie es bisher gewesen ist, daß alle unsere Beschlüsse, alle Richtlinien und alle Erlasse bei der verwaltungsmäßigen Durchführung in den Anfängen steckenbleiben.
Dann das zweite, was im Verlauf dieser zwei Jahre festzustellen war, weshalb die Dinge nicht vorankommen. Eine weitere Ursache des Nichtfunktionierens sind die Finanzschwierigkeiten, die Frage: Woher sollen denn nun die Mittel für die Durchführung dieses Programms und aller dieser Anträge, die da gestellt werden, kommen? Die alte Diskussion, ob Bund und Länder zu je 50%, zu zwei Dritteln und einem Drittel oder zu 85 und 15 % beteiligt werden sollen, hätte ja gar nicht diese Bedeutung bekommen, wenn die Frage der Beschaffung der Mittel nicht so schwierig wäre. Ich glaube, es ist unser aller Pflicht, den Gesamthaushalt einmal daraufhin zu überprüfen, ob nicht anderweit Mittel freigemacht werden können, ob nicht zur Zeit noch Mittel für weniger wichtige Aufgaben ausgegeben werden, die jetzt für diese neuen, großen Aufgaben in Frage kommen, die für uns so bedeutsam sind. Die Notwendigkeit der
Hilfe für das Zonenrandgebiet tritt nicht allein an uns heran, auch wenn man die Grenzländer am Eisernen Vorhang mit einschließt. Dieses Zonenrandgebiet gehört zu einer Gruppe von neuen nationalpolitischen Aufgaben, auf die ich gleich kommen werde.
Wir hatten als wesentlichen Grundgedanken unserer ganzen Arbeit für das Zonenrandgebiet, nur solche Schäden zu beseitigen, die durch die Ziehung und die anschließende Sperrung der Zonengrenze entstanden sind. Der Antrag der SPD: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, scheint mir diesem Grundgedanken, der bisher auch von allen Kollegen Ihrer Fraktion, die mit uns gearbeitet haben, anerkannt war, zu widersprechen. Es ist eine Forderung, die, soweit ich unterrichtet bin, vor Monaten erstmals vom Landkreistag erhoben wurde. In der Zwischenzeit hat aber der Landkreistag selber diesen Vorschlag zurückgezogen, soweit ich unterrichtet bin. Die Schatzungen gehen dahin, daß, wenn man die Umsatzsteuer für das Zonenrandgebiet um etwa 50 °/o ermäßigt, ein Betrag von 300 bis 400 Millionen DM anfallen wird. Die Mittel, die insgesamt zur Verfügung gestellt werden, sind ja begrenzt, und es ist sehr die Frage, ob es gut ist, diese anfallenden 300 oder 400 Millionen DM in Form der Umsatzsteuerermäßigung oder auf andere Weise anzulegen. Man muß sich weiterhin, wenn man diese Dinge prüft, zweifellos überlegen, ob man den Kreis der Unternehmer, die in den Genuß der Umsatzsteuerermäßigung kommen sollen, einschränken kann oder ob man die Ermäßigung auf alle Unternehmungen ausdehnen soll. Das sind alles Fragen, die wir in dem Unterausschuß sehr eingehend werden prüfen müssen.
Ich glaube, es ist auch nicht zweckmäßig, das Problem des West-Ost-Gefälles mit diesem Problem der Zonengrenzlandhilfe jetzt und sofort so stark zu vermengen. Es sind doch — das ist allgemein bekannt — weithin alte Notstandsgebiete im Zonenrandgebiet, und die Probleme, die dort seit Jahrzehnten bestehen, kann man nicht mit dieser Hilfe für das Zonenrandgebiet in kurzer Zeit lösen.
Es ist davon die Rede gewesen, daß mit den 120 Millionen DM für das Zonenrandgebiet gerechnet werden kann. Da möchte ich mich durchaus dem anschließen, was Frau Kollegin Brökelschen ausgeführt hat. Wir müssen entscheidenden Wert darauf legen, daß dieser Betrag dann auch tatsächlich für eine echte Hilfe im Zonenrandgebiet verwendet wird und daß die Mittel nicht etwa im allgemeinen Haushalt der betreffenden Länder versickern, wie uns das aus einem Land schon angekündigt worden ist. Ich halte es auch für dringend erforderlich — und da stimme ich dem zu, was Herr Staatssekretär Westrick erklärt hat —, unsererseits darauf zu achten, daß in den Ländern die Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden, so daß eine einigermaßen einheitliche Politik im Zonengrenzland zustande kommt.
Ich will mich nicht mit den einzelnen Anträgen befassen, die hier erwähnt worden sind. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Zeit schon sehr weit vorgeschritten ist. Aber ich möchte doch noch einiges zu der kulturellen Hilfe sagen, die wir im Juli vergangenen Jahres in unserem Förderungsprogramm als so wesentlich angesehen haben. In dem Bericht wird der Standpunkt vertreten, es sei zunächst darauf angekommen, im Zonenrandgebiet wirtschaftliche Hilfe zu leisten. Ich glaube, dieser Gesichtspunkt erfaßt die Situation im Zonenrandgebiet nicht ganz. Es ist durchaus nötig, wirtschaftliche und soziale Hilfe, gleichzeitig aber auch kulturelle Hilfe zu leisten. Ich möchte auf meine Berichterstattung vor dem Hohen Hause am 2. Juli des vergangenen Jahres Bezug nehmen und mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur einige wenige Sätze aus diesem Bericht wiederholen, die sich auf diese Frage beziehen. Ich sagte:
Aus der sowjetischen Besatzungszone heraus wird ein hartnäckiger Kampf gegen die staatliche, wirtschaftliche, soziale und, was in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist, kulturelle Ordnung der Bundesrepublik geführt.
Im Zonengrenzgebiet sind diese Beeinflussungsversuche besonders spürbar. Ich zitiere weiter: Alle diese Bezirke und Personenkreise gilt es deshalb, wie schon gesagt, wirtschaftlich und sozial, aber auch geistig und seelisch so zu stärken, daß sie die wahren Absichten der östlichen Propagandisten erkennen und ihren Beeinflussungsversuchen widerstehen können....
Der Tatsache des Bestehens eines kulturellen
Notstandes von beträchtlichem Ausmaß in den
Zonengrenzgebieten kommt eine hervorragende politische Bedeutung zu. Es erscheint
dringend erforderlich, zur Abwendung auch
der hieraus drohenden Gefahren alsbald umfangreiche Hilfsmaßnahmen einzuleiten.
Nun, meine Damen und Herren, wenn wir uns vergegenwärtigen, was auf diesem so wichtigen Gebiet in dem ganzen vergangenen Jahr nicht getan worden ist, so sind wir doch leider zu der Feststellung gezwungen, daß sowohl der Bund wie die Länder — ich betone ausdrücklich: auch die Länder — gegenüber dieser kulturellen Aufgabe im Zonenrandgebiet versagt haben. Man fragt sich, ob das nicht doch irgendwie mit unserer heutigen staatlichen Struktur zusammenhängt, die in diesem entscheidenden Punkt — kulturelle Hilfe im Zonenrandgebiet — ihre Bewährungsprobe zweifellos nicht bestanden hat.
Der Herr Bundesfinanzminister hat am 20. Mai dieses Jahres in diesem Haus ausgeführt, daß man heute wenigstens einen Überblick über die grundsätzlichen Größenordnungen nach den ersten fünf Jahren des Aufbaus in der Bundesrepublik habe. Er sagte: wir können im großen und ganzen sagen, welches etwa das Verhältnis der Sozialleistungen zu den Verwaltungsaufgaben der Länder und auch zu den Verteidigungslasten ist. Nun, ich glaube, es ist inzwischen eine Größenordnung hinzugekommen, die meiner Meinung nach in Zukunft getrennt anzusetzen ist. Das sind alle die Lasten, die uns aus der Spaltung Deutschlands entstehen. Das ist ein Gesamtkomplex, der hier unbedingt einmal zusammenhängend angesprochen werden muß. Dabei handelt es sich erstens um all das, was mit der Förderung und Vorbereitung der Wiedervereinigung Deutschlands zusammenhängt, es handelt sich zweitens um die Hilfe für Berlin, es handelt sich drittens um die Betreuung der Zonenflüchtlinge, und es handelt sich viertens um die Hilfe für das Zonenrandgebiet; ich betone: einschließlich der Hilfe für die Grenzländer am Eisernen Vorhang.
Es ist meine feste Überzeugung, daß wir alles tun sollten, um dafür zu sorgen, daß die Mittel für die Lasten, die uns aus der Spaltung Deutschlands entstehen, irgendwie aus dem Etat genom-
men werden. Die 120 Millionen DM, die jetzt vorgesehen sind, dürfen in keiner Weise nur eine einmalige Leistung sein, sondern müssen auch als Leistung in den kommenden Jahren wiederkehren, desgleichen die Mittel für die Berlin-Hilfe und für die Zonenflüchtlinge. Ich sagte: wir müssen meiner Meinung nach darangehen, alle Etatansätze zu überprüfen, ob aus ihnen heraus für diese eminent wichtigen nationalpolitischen vier Aufgaben, die ich Ihnen nannte, Mittel freizumachen sind. Wir müssen irgendwie dafür sorgen, daß der Etat, der sich von Jahr zu Jahr mehr versteinert, im Interesse dieser neuen großen Aufgabengruppen aufgelockert wird. Wenn das nicht gelingt, meine Damen und Herren, müssen wir, glaube ich, zwangsläufig zu anderen, weittragenden Überlegungen kommen, und ich könnte mir denken, daß es dann dazu käme, daß Vorschläge etwa der Art erörtert werden, daß man die ausreichenden Mittel ja sofort schaffen kann, wenn man an die Rationalisierung der Finanzverwaltung und an die Beseitigung der dezentralisierten Steuerverwaltung geht. Es ist doch unbestritten, daß nach Einführung einer zentralen Finanzverwaltung das verfügbare Steueraufkommen höher sein würde. Wir wissen ja, daß die Schätzungen über Hunderte von Millionen bis zu einem sehr hohen Betrag gehen. Auch würden sicherlich die Steuerstundungen, die heute durchgeführt werden, bei einer zentralen Finanzverwaltung gerechter vorgenommen werden. Es ist eine altbekannte Tatsache, daß in den Ländern, die im Westen des Bundesgebiets liegen, die Steuerstundungen sehr viel großzügiger gehandhabt werden als in den an sich schwachen Ländern im Zonenrandgebiet. Alle diese Dinge könnten dann sehr leicht und sehr schnell beseitigt werden.
Wir erleben ja, ich sagte das, diese Schwierigkeiten bei der Mittelbeschaffung nicht nur jetzt im Rahmen der Hilfe für das Zonenrandgebiet. Es ist heute nicht der Platz, darüber zu sprechen. Seit Monaten ist das Problem in der gleichen Weise da bei der Betreuung der Zonenflüchtlinge. Hinsichtlich der Berlin-Hilfe werden wir ja sowieso in den nächsten Tagen über diese Dinge sprechen müssen, und ich glaube, es wird unter Umständen von uns allen bald zu entscheiden sein, was uns politisch wichtiger ist: die vier genannten neuen nationalpolitischen Aufgaben erster Ordnung, die verschiedenen Hilfsmaßnahmen, die wir hier treffen müssen, oder eine kostspielige dezentralisierte Steuerverwaltung. Diese Frage wird auch dann irgendwie an unsere bayerischen Freunde herantreten, die Frage, was ihnen wichtiger ist, die dezentralisierte Finanzverwaltung oder eine durchschlagskräftige Hilfe für das Grenzland in Bayern.
Ich möchte damit schließen. Ich möchte zum Schluß nur beantragen, daß alles, was heute an Berichten und Anträgen hier vorgetragen worden ist, ausnahmslos dem Gesamtdeutschen Ausschuß bzw. seinem Unterausschuß „Zonenrandgebiet" zur Beratung und zur Berichterstattung an das Plenum zugewiesen wird.