Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der Drucksache 534 wird mit einem sehr kurzen Satz über die von uns beschlossenen kulturellen Hilfsmaßnah-
*) Siehe Anlage 3
men hinweggegangen. Auch Herr Staatssekretär Westrick hat sich sehr kurz gefaßt. Ich möchte daher im Auftrage meiner Fraktion bei gleichzeitiger Begründung unseres Umdrucks 113 auf diese Frage eingehen. Es heißt in der Drucksache 534: „Insbesondere konnten die vom Bundestag für kulturelle Hilfsmaßnahmen vorgesehenen 25 Millionen DM nicht bereitgestellt werden". Das ist dazu alles. Ich glaube nicht, daß wir uns damit abfinden oder gar zufriedengeben können. Erinnern wir uns doch einmal der Situation, in der wir unseren Beschluß faßten! Der Beschluß des Bundestages vom 2. Juli 1953 sah in Punkt 6 vor, für kulturelle Hilfsmaßnahmen im Zonenrandgebiet im Verlauf der nächsten 5 Jahre Bundeszuschüsse in Höhe von jährlich 25 Millionen DM zu gewähren. Nach sehr sorgfältiger Beratung war der Unterausschuß des gesamtdeutschen Ausschusses, der dieses Programm erarbeitet hatte, wie auch anschließend das Plenum darin einig, daß wir um unserer gesamtdeutschen Verpflichtung willen vom Bund aus alles tun müssen, um das Zonenrandgebiet in seinen wichtigen kulturpolitischen Aufgaben zu unterstützen. Herr Dr. Henn hat als Berichterstatter im Auftrag des Ausschusses sehr ausführlich auf die großen Mißstände im Volksschulwesen, auf die Schulraum- und Schulausstattungsnot im Zonenrandgebiet hingewiesen. Wir hatten Unterlagen, die uns die Länder zur Verfügung stellten, und es war uns daher bekannt, daß die Zahl der Kinder in den einzelnen Klassen in diesem Gebiet sehr viel höher liegt als in anderen Gebieten, daß die Klassen zum Teil überfüllt sind und daß in einigen Teilen des Zonenrandgebietes Volksschulen überhaupt fehlen, die notwendigerweise gebaut werden müßten. Herr Dr. Henn stellte fest, daß dieselben Schwierigkeiten wie im Volksschulwesen auch im Bereich des Mittelschulwesens und der höheren Lehranstalten vorhanden sind und daß auch hier vieles ergänzungs- und erneuerungsbedürftig sei.
Genau so steht es mit den Berufs- und den Berufsfachschulen, die in vielen Kreisen des Zonenrandgebiets überhaupt völlig fehlen. So besteht die Gefahr, meine Damen und Herren, daß der notwendige Facharbeiternachwuchs nicht richtig ausgebildet werden kann und die dortige Industrie in gewisse Schwierigkeiten geraten wird. Der Mangel an Volkshochschulen und der schlechte Zustand der Volksbüchereien wurden gleichfalls herausgestellt, und die Forderung nach Erstellung von Jugendbüchereien, Jugendheimen, Herbergen, Wanderhütten, Turnhallen und Sportplätzen wurde hier von uns erhoben. Darüber wurde eine Förderung der Kunst auf allen Gebieten für dringend notwendig gehalten.
Dieser Bericht wurde von allen Fraktionen bejaht. Es wurde in der Debatte deutlich zum Ausdruck gebracht, und Frau Dr. Brökelschen hat diese Ausführungen gemacht, daß dieses Programm nur ein Minimalprogramm sei, das im Interesse des Zonenrandgebietes unbedingt durchgeführt werden müsse. Herr Kollege Brockmann erklärte, dieses Programm sei in der Tat gut und solide und könne Anspruch darauf erheben, verwirklicht zu werden.
Das Plenum gab durch seinen einstimmigen Beschluß — ich glaube, nur die Kommunisten enthielten sich der Stimme oder stimmten dagegen, das weiß ich im Augenblick nicht mehr genau — seiner Auffassung Ausdruck, daß die kulturelle
Situation an der Zonengrenze dringend einer Änderung und einer Hilfe des Bundes bedürfe, wenn wir den Beeinflussungsmethoden von jenseits des Eisernen Vorhangs bei der Bevölkerung des Zonenrandgebiets erfolgreich begegnen wollten. Wir waren uns alle darüber einig, daß der wirtschaftliche Notstand in diesen Gebieten zwangsläufig auch einen kulturellen Notstand nach sich gezogen habe und daß diese Gebiete nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht aufs äußerste gefährdet seien. Wir waren uns auch darüber einig, daß durch den wirtschaftlichen Schrumpfungsprozeß infolge der Zurückverlegung einer Reihe von großen Betrieben in andere Gegenden der Bundesrepublik und die dadurch immer größer werdende Arbeitslosigkeit im Zonenrandgebiet und auch durch die große Masse der Flüchtlinge, die nicht wirksam verteilt worden waren, den Gemeinden so hohe soziale Lasten auferlegt wurden, daß sie einfach unfähig waren, die notwendigen kulturellen Maßnahmen, zu denen sie eigentlich nach dem Gesetz verpflichtet waren, aus eigener Kraft durchzuführen.
Wir erkannten weiterhin an, daß die Länder, zu deren Zuständigkeit normalerweise die kulturellen Fragen gehören, mit diesen kulturellen Notständen nicht allein fertig werden können und der Hilfe des Bundes bedürfen, wenn wirklich durchgreifende Maßnahmen zum Zuge kommen sollen. Uns war allen bekannt, daß die Hilfe und Betreuung durch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, auf die sich Herr Staatssekretär Westrick vorhin bezogen hat, für diese Gebiete nur ein Tropfen, und zwar nur ein sehr kleiner Tropfen, auf einen heißen Stein bedeutet.
So weit der Bundestag, und daher sein einstimmiger Beschluß. An diesen Beschluß, meine Herren und Damen, knüpften sich Hoffnungen, knüpften sich Wünsche der Gemeinden und der Länder im Zonenrandgebiet.
Es war selbstverständlich, daß auf diesen Beschluß hin eine große Zahl von Gesuchen und Anträgen an die zuständigen Kultusministerien herangetragen wurde, weil die Gemeinden, weil die Länder hofften, daß man nun einmal darangehen könnte, die dringendst notwendigen Maßnahmen auf kulturellem Gebiet durchzuführen.
Um so eigenartiger, um so befremdender muß es deshalb empfunden werden, daß das Bundeskabinett in seinem Beschluß vom 19. August 1953 über Förderungsmaßnahmen an der Zonengrenze den Punkt 6, nämlich diese kulturellen Hilfsmaßnahmen, überhaupt nicht erwähnt hat, so daß dieses Übergehen einer Ablehnung unseres einstimmig gefaßten Beschlusses gleichkommt. Alle Hilfsmaßnahmen auf diesem Gebiet, die so dringend notwendig waren, unterblieben, und es wurde nichts getan.
Dieser Beschluß des Kabinetts wurde von den vier Ländern nicht widerspruchslos hingenommen. Sie bildeten einen kulturellen Arbeitskreis, der die Aufgabe hatte — ausgehend von dem Beschluß des Bundestags, den Ländern jährlich 25 Millionen DM auf die Dauer von fünf Jahren zur Verfügung zu stellen —, ein Programm auszuarbeiten. Ziel dieses
Programms sollte es selbstverständlich sein, die finanzielle Beteiligung des Bundes zur Behebung des kulturellen Notstands zu erreichen. Auch die Länder sehen die Schwerpunkte der Zuschüsse und Hilfe in derselben Richtung, wie sie der Ausschuß hier im Plenum vorgetragen hatte und wie ich sie vorhin noch einmal kurz erwähnte.
Auch das Plenum, so scheint es uns, meine Herren und Damen, hätte die Pflicht, von der Bundesregierung zu verlangen, daß der vom Hause einstimmig gefaßte Beschluß durchgeführt wird. Auch wir können dieses Übergehen eines Beschlusses, der hier gefaßt wurde, nicht widerspruchslos hinnehmen. Wir können uns auch nicht damit zufrieden geben, daß in der Drucksache 534 erklärt wurde, die Gründe für das Übergehen des Bundestagsbeschlusses im Hinblick auf kulturelle Hilfsmaßnahmen lägen neben sachlichen Schwierigkeiten in der angespannten Haushaltslage des Bundes. Wir sind vielmehr der Ansicht, daß dieses Verhalten der Bundesregierung den Willen des Bundestages in einzigartiger Weise verletzt und mißachtet hat und daß es unsere Pflicht ist, alles zu tun, um diesen Beschluß wiederherzustellen. Wollen wir bei der dortigen Bevölkerung den zum Teil schon bestehenden Eindruck, sie sei bereits ein verlassenes Vorfeld oder sie sei von den zentralen Stellen bereits abgeschrieben, nicht noch mehr verstärken, dann muß nach unserer Ansicht auf diesem Gebiet etwas Entscheidendes getan werden.
Dieser Beschluß kann auch nicht in den 120 Millionen DM untergehen, sondern die 25 Millionen für die kulturellen Hilfsmaßnahmen müssen zweckgebunden festgehalten werden. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir den Antrag Umdruck 113 noch einmal gestellt.
Meine Herren und Damen! Wir haben im Haushalt 30 Millionen DM für Informationszwecke und für Propaganda. Vorhin wurde schon einmal der Zwischenruf „Reptilienfonds" laut. Der Herr Bundeskanzler hat einen Fonds von 10 Millionen DM für Zwecke, die wir nicht kennen und die das Parlament nicht kontrollieren kann. Kann man sich dann mit der Erklärung zufrieden geben, die angespannte Haushaltslage des Bundes gestatte keine kulturellen Hilfsmaßnahmen an der Zonengrenze? Wir sind der Ansicht, nur eine Bereitwilligkeit des Bundes, auch auf dem kulturellen Sektor etwas zu tun, wird die Beeinflussungsversuche von jenseits des Eisernen Vorhangs auf die Bevölkerung des Zonenrandgebietes abschwächen und die Menschen politisch festigen. Schließlich sollten wir daran denken, daß wir nur durch eine aktive und positive Politik auch in diesen Fragen unsere gesamtdeutsche Verpflichtung erfüllen. Proklamationen und Deklamationen helfen nicht, wenn keine Taten folgen, und wir sind der Ansicht, unsere Beschlüsse in dieser Frage werden zu bloßen Deklamationen, wenn sie durch die praktische Politik der Bundesregierung mißachtet werden. Deshalb haben wir unsern Antrag auf Umdruck 113 noch einmal vorgelegt. Wir bitten, ihn dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen zur Beratung zu überweisen.