Rede von
Arno
Behrisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ja, ich werde Sie nicht unnötig strapazieren, Herr Präsident!
Ich möchte auf folgendes aufmerksam machen. Die Maßnahmen der Behörden sowohl des Bundes als auch der Länder widersprechen sich. Hier ist gesagt worden, man solle den Gemeinden am Eisernen Vorhang im Hinblick auf das Gewerbesteueraufkommen entgegenkommen. Ich möchte fragen: wo denn? Die Stadt Hof hat auf ausdrückliches Drängen des Finanzministeriums ihre Gewerbesteuer unlängst erhöht.
Soll ich Ihnen vorlesen, wie die Wirtschaftskapitäne in dieser Industriestadt diesen einstimmigen Beschluß kommentiert haben? Die Situation ist doch so, daß z. B. diese eine Stadt in einem Jahre eine Verminderung ihres Gewerbesteueraufkommens um 2 Millionen DM zu verzeichnen hat.
Ich will Ihnen zeigen, wo sich die Dinge schneiden und wo wir helfend eingreifen müssen. Die Stadt Hof — Sie können das sicher, wenn Sie andere Namen und andere Industriezweige nehmen, auf andere Orte am Eisernen Vorhang beliebig ausdehnen; ich nehme meinen Modellfall, weil ich ihn beherrsche —, diese Stadt hat, wie gesagt, im letzten Jahr 2 Millionen DM Gewerbesteuer weniger eingenommen. Sie möchte aber ihre gewerbliche Struktur erhalten. Welches ist ihre gewerbliche Struktur? Die Textilindustrie! In dieser Stadt drehen sich 500 000 Spindeln. Es sind eine Menge Heimatvertriebene und eine Menge Sowjetzonenflüchtlinge zu uns gekommen. Die Länder am Eisernen Vorhang sind ja nicht nur die Länder mit der höchsten Dauerarbeitslosenzahl; sie sind auch die Länder mit der mit Abstand höchsten Zahl von Heimatvertriebenen. Das muß man im Verhältnis sehen, mit all den Forderungen und Strapazen, die das mit sich bringt. Diese Stadt Hof möchte ihre gewerbliche Struktur wahren. Sie ist bereit, diese wertvollen Menschen, ,die aus Mitteldeutschland kommen, auch wirtschaftlich seßhaft zu machen. Das würde im Hinblick auf die Textilindustrie bedeuten: Verarbeitungsbetriebe, z. B. Färberei, Appretur und was man sonst braucht. Dazu braucht man Wasser. Die Stadt Hof muß ihre Brunnen zumachen, weil sie seuchenverdächtig sind. Sie müßte eine Wasserleitung mit 7 Millionen DM bauen. Wissen Sie denn, daß die Städte und Gemeinden am Eisernen Vorhang alle miteinander eine, gemessen an ihrer Kopfzahl, viel zu hohe Schuldenlast haben? Sie haben Schulden pro Kopf von 140 bis 200 DM. Eine solche Stadt kann also einen Bankkredit von 7 Millionen DM nicht aufnehmen. Aber kann sie das nicht, dann wandert die Industrie eben weiterhin ab, wie wir das bisher schon zu verzeichnen haben. Die Sünde der Zweigwerke wird sich weiter ausbreiten. Fragen Sie den Kollegen Starke von der Industrie- und Handelskammer Bayreuth! Der wird Ihnen aus absolutem Sachverstand ein Lied darüber singen können, wie er die Situation am Eisernen Vorhang nicht heute, sondern in fünf oder zehn Jahren beurteilt. Was er weiß, hat ihn zu der Ansicht gebracht, daß, wenn nicht etwas Grundlegendes geschieht, sich das Schwergewicht immer mehr von den alten Betrieben, die bei uns stehen, auf die modernen Zweigbetriebe verlagern wird. Denn wird die Auftragsdecke geringer, dann werden sich die Industriellen aus rein finanziellen, kaufmännischen Überlegungen auf das gesunde, starke Bein stellen, und wir werden am Eisernen Vorhang ein Armenhaus ohnegleichen haben.
Wenn ich sage „Armenhaus am Eisernen Vorhang", möchte ich auch ein Wort mit in die Debatte werfen, das bisher noch nicht gefallen ist: das Wort „Spionage". Am Eisernen Vorhang werden jeden Tag von unseren Sicherheitsorganen Menschen gefaßt. Sie sollten sich einmal dafür interessieren, unter welchen Umständen und Bedingungen diese Art „Verkehr" vor sich geht und wie man die Arbeitslosen beim Stöckeroden im Grenzwald auffordert, für 500 DM z. B. eine Fahrt mit einem Brief von Hof nach Köln zu machen. Nun,
welcher Arbeitslose verdient sich nicht gern auf diese Weise 500 DM?
Warum habe ich das alles gesagt? Ich habe das gesagt, weil ich glaube, daß wir unsere Maßnahmen so zusammenordnen müssen, daß Bund, Länder und Gemeinden — denn in den Gemeinden leben die Menschen — in einem sinnvollen Gleichklang stehen. Die 60 Millionen DM, die die sozialdemokratische Bundestagsfraktion fordert, sollen ja der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen am Eisernen Vorhang dienen, das heißt Meliorationen, Vorflutungen, Bau von Wasserleitungen, Bau von Kanalisationen und Wohnungen usw.
Ich möchte abschließend sagen, wenn wir hier in der Bundesrepublik eine Summe von 9 bis 11 Milliarden DM für die Verteidigung haben, dann sollten wir doch wohl 200 Millionen DM zur Verfügung haben, um die Frontlinie — und das ist der Eiserne Vorhang von Lübeck über Hof nach Passau — sozial und politisch stark zu machen. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, allen Ernstes: sind 200 Millionen DM wirklich zuviel für solch eine ernste Angelegenheit?!