Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, der Frau Rednerin doch ihre Aufgabe dadurch zu erleichtern, daß Sie nach Möglichkeit Ruhe bewahren.
Frau Finselberger , Antragstellerin: Meine Stimme wird ausreichen, Herr Präsident!
Ich möchte doch daran erinnern, daß der Herr Staatssekretär Sauerborn am 12. März auf eine Anfrage der DP zu dieser Frage der älteren Angestellten Stellung genommen hat. Er ist von einer Zahl von 75 000 älteren arbeitslosen Angestellten ausgegangen. Ich kann die hier genannte Zahl nicht als richtig anerkennen. Nach dem mir zur Verfügung gestellten Zahlenmaterial müßte immerhin von 80 000 Angestellten ausgegangen werden. Der Herr Staatssekretär Sauerborn sagte, daß für eine Vielzahl dieser 75 000 Angestellten gar nicht mehr die Voraussetzungen beständen, sie in den Arbeitsprozeß einzugliedern, da ein großer Teil von ihnen nur vorübergehend Angestelltentätigkeit ausgeübt habe. Ich möchte mich jedoch auf eine Zahl der Deutschen Angestelltengewerkschaft verlassen, die davon ausgeht, daß etwa 6 bis 61/2% als Angestellte vielleicht nicht mehr einsatzfähig seien. Ich komme dann auf die Zahl von 75 000. Dabei sind allerdings nicht die vielen Tausende älterer Angestellter berücksichtigt, die im Laufe der letzten Jahre in berufsfremde Tätigkeiten abgewandert sind, weil sie es nicht mehr ertragen konnten, Jahr um Jahr stempeln zu gehen und Alu- und Alfuempfänger sein zu müssen. Ihre Zahl wird auf mindestens 20 000 geschätzt; es gibt aber auch Schätzungen von 30 000 und mehr. Daher dürften wir mit immerhin mindestens 90 000 älteren arbeitslosen Angestellten zu rechnen haben.
Das ist auch für meine politischen Freunde die Veranlassung gewesen, sich gleich zu Beginn unserer Arbeit hier im Bundestag mit diesem Problem zu beschäftigen. Wir waren der Meinung, daß mit all dem, was in den letzten Jahren auf diesem Gebiet geschehen ist — im wesentlichen handelte es sich um den Appell, diese Menschen freiwillig einzustellen —, doch nichts Erhebliches erreicht werden konnte. Vor einigen Monaten, als man in der Öffentlichkeit begann, von diesem Gesetzesvorschlag zu sprechen, ging eine Meldung durch die Presse — und einige Pressevertreter teilten mir das auch mit —, daß das Bundesarbeitsministerium einem solchen Gesetz ablehnend gegenüberstehe. Diese Tatsache hat auf die Kreise dieser älteren arbeitslosen Angestellten sehr beunruhigend gewirkt. Dazu möchte ich mir persönlich eine Bemerkung erlauben. Zu dem damaligen Zeitpunkt steckte dieses Gesetz noch in den Kinderschuhen, und ich finde es nicht gerade ganz freundlich, wenn man hier nach der Rezeptur handelt: Ich kenne zwar Ihre Absichten nicht, aber ich mißbillige sie. Es wäre mir im Interesse dieser älteren Angestellten lieber gewesen, das Bundesarbeitsministerium hätte diesen Gesetzentwurf zunächst einmal vollkommen kennengelernt und sich vielleicht dann dazu geäußert. Ich habe diesen Gesetzentwurf allen Kreisen zugänglich gemacht, vor allen Dingen den Sozialpartnern, und ich habe zu meiner Freude feststellen können, daß er zum Teil sehr spontan, aber immerhin doch von allen anerkennend aufgegriffen worden ist. Wenn überhaupt Einwendungen erfolgt sind, dann haben sich diese eigentlich immer nur auf die Quote selbst bezogen.
Man hat auch versucht, hier einen Vergleich mit dem Schwerbeschädigtengesetz anzustellen. Dazu ist festzustellen, daß der Charakter des Schwerbeschädigtengesetzes ein ganz anderer ist als der dieses Gesetzentwurfs. Hier können wir höchstens von einer gesetzlichen Regelung sprechen, aber nicht etwa von einer Zwangsmaßnahme. Wir haben auch ganz offen und sehr deutlich gesagt, daß uns bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs neuestes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung stand. Mir wurde z. B. zunächst Zahlenmaterial aus dem August 1950 zur Verfügung gestellt. Wir sind durchaus der Meinung und haben das auch schon in den früheren Wochen immer gesagt, daß die hier festgesetzte Quote von 40 vom Hundert auf Grund neuesten Zahlenmaterials nochmals überprüft werden müsse. Dazu sind wir gern bereit. Wir müssen wirklich an die Notstände herankommen und sie durch eine angemessene Quote beheben.
Man wirkt auf diesen großen Kreis der älteren Angestellten nicht beruhigend, wenn man sagt, man könne dieses Problem ohne eine solche gesetzliche Regelung lösen. Auf dem Wege über die Freiwilligkeit sind in der Vermittlung keine erheblichen Erfolge erzielt worden. Sonst wäre die Zahl der älteren arbeitslosen Angestellten zweifellos nicht so gewachsen,
und der Notstand dieser Menschen wäre nicht so außerordentlich groß, wie wir es doch immer wieder feststellen müssen.
Man kann auch nicht davon sprechen, daß, wie es mir von einer maßgeblichen Arbeitgeberorganisation mitgeteilt wurde, in diesem Gesetzentwurf eine Bevorzugung eines bestimmten Berufsstandes liege. Dieser Berufsstand der älteren Angestellten ist seit Jahr und Tag benachteiligt worden, und wir möchten ihn mit den übrigen Berufen gleich behandelt sehen. Daher möchten wir zu dieser gesetzlichen Regelung kommen, die ja nicht etwa ein Dauerzustand sein soll, sondern die wir ja selbst bis zum 31. Dezember 1957 befristet haben. Niemand wäre glücklicher als meine Fraktionskollegen und ich, wenn wir dieses Gesetz, weil es seine Aufgabe erfüllt hat, schon zu einem früheren Zeitpunkt wieder außer Kraft setzen könnten.
Ich möchte dann noch auf einige andere Punkte eingehen. Wir haben auch Einwendungen nach der Richtung gehört, daß in vielen Betrieben und besonderen Branchen und Wirtschaftszweigen die Quote von 40 vom Hundert schon erreicht, ja sogar teilweise überschritten worden sei. Dazu ist zu sagen, daß wir auch nicht jene Betriebe erfassen wollen, die aus einer freiwillig übernommenen sozialen Verpflichtung heraus, einem inneren Gesetz folgend, schon Wesentliches auf diesem Gebiet geleistet haben. Wir glauben aber, daß doch gerade jene Betriebe erfaßt werden müssen — und Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes sind auch juristische Personen, also auch Behörden —, die sich um die Einstellung älterer Angestellter noch nicht gekümmert haben.
Wir brauchen ja nur einmal auf jene bekannten Erscheinungen zu verweisen, die sich in den letzten Jahren bis in die jüngste Zeit hinein doch immer wieder gezeigt haben. Immer wieder findet man im Inseratenteil der Tageszeitungen Anzeigen dieser älteren Angestellten. Und die andere Seite: Vor ein paar Tagen erhielt ich wieder ein Inserat zugeschickt, das in einer großen Tageszeitung erschienen ist. Danach wurde ein Auslandskaufmann gesucht
— nicht älter als 25 Jahre —, der französisch, englisch, spanisch und portugiesisch sprechen sollte und von dem man außerdem eine lange Auslandserfahrung erwartete. Ich weiß nicht, wann dieser 25jährige mit seiner Ausbildung hat beginnen müssen, um in diesem Alter solche Kenntnisse vorweisen zu können, wahrscheinlich bereits im Steckkissen.
Die Reihe solcher Anzeigen ließe sich beliebig fortsetzen.
Die zweite, für die älteren Angestellten ganz besonders nachteilige Seite des ganzen Problems ist aber die Tatsache, daß diese Menschen durch die jahrelange Arbeitslosigkeit berufsfremd geworden sind oder sich zumindest sehr weit von ihrem beruflichen Aufgabenkreis entfernt haben. Sie finden daher in diesem Gesetz auch die Möglichkeit, diesen Menschen eine echte und tragende Lebenschance, einen neuen Lebensstart in ihre Berufswelt zu geben. Dies wollen wir dadurch erreichen, daß den Arbeitgebern Mittel aus der Arbeitslosenversicherung und -unterstützung zufließen, mit denen sie solchen Angestellten eine längere Einarbeitungszeit ermöglichen können. Wir möchten überhaupt die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitlosenversicherung mehr im Sinne der Arbeitsvermittlung tätig sehen — darauf stellt auch dieses Gesetz ab —, wobei wir hoffen, daß gerade im Hinblick auf den Kreis der älteren Angestellten aus dieser Arbeits vermittlung eine Berufs vermittlung werden möge. Gerade diesem Kreis der älteren Angestellten wird durch das Abwandern in andere Tätigkeiten die Rückkehr in ihren eigentlichen Angestelltenberuf erschwert.
Wir müssen auch die weiteren Auswirkungen sehen: Diese Menschen werden später mit einen Angestelltenruhegeld zu rechnen haben, das besonders dadurch geschmälert ist, daß während ihrer jahrelangen Berufslosigkeit die Rechte und Pflichten der Angestelltenversicherung ruhten.
Dadurch wird, wie gesagt, das Angestelltenruhegeld auch um einen erheblichen Betrag vermindert.
Bei dieser Gelegenheit darf ich darauf hinweisen, daß die Rechtsgleichheit bei den Angestellten innerhalb der Bundesrepublik noch nicht hergestellt ist. Im Gegensatz zu den Angestellten in der britischen Besatzungszone können ältere Angestellte in anderen Gebieten der Bundesrepublik schon im 60. Lebensjahr ihr Angestelltenruhegeld beantragen, wenn sie länger als ein Jahr arbeitslos sind. Diese Möglichkeit besteht leider nicht für die älteren Angestellten der britischen Besatzungszone. Auch in dieser Beziehung also wäre es möglich, durch geeignete Maßnahmen eine positive Wirkung auf den Lebensstandard dieser Menschen auszuüben.
So häufig wird gesagt, daß man sich auf irgendwelche zusätzliche Maßnahmen verlassen solle, die eine gesetzliche Regelung überflüssig machten. Ich weiß, daß sich der Herr Bundesvertriebenenminister z. B. bei der Umsiedlung ganz besonders auch des Kreises der älteren Angestellten erinnern wird. Wir begrüßen das sehr; aber die Voraussetzung muß doch sein, daß diesen älteren Angestellten auch im Rahmen der Umsiedlung dann durch eine gerechte Verteilung ein Arbeitsplatz zugesichert wird. Es ist sehr erstaunlich und sehr betrüblich für mich gewesen, hier im Raume Nordrhein-Westfalen sehr häufig ältere Angestellte aus Vertriebenenkreisen zu treffen, die aus ländlichen Kreisen umgesiedelt worden waren, wo der Lebensstandard für sie immer noch günstiger war als etwa in einer nordrhein-westfälischen Stadt; denn hier mußten sie noch weiterhin ein Jahr und länger stempeln gehen. Wir sehen, daß es mit der verstärkten Umsiedlung allein auch nicht getan ist, obwohl wir nicht verkennen wollen, daß sich die Umsiedlung außerordentlich unterstützend und hilfebringend auswirken kann.
Von dem Herrn Präsidenten Scheuble der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurde in einem Artikel einer Fachzeitschrift gesagt, daß nunmehr in verstärktem Maße die individuelle Vermittlung älterer Angestellter Platz greifen solle. Das scheint mir eine Möglichkeit zu sein. Zu Ehren der Arbeitsämter sei gesagt, daß sie von ihnen sicherlich schon längst angewendet wurde, um dadurch ältere Angestellte wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern. Wenn man allerdings die vielen Briefe von älteren Angestellten liest, dann wird man sehr bald feststellen, daß unter den zumutbaren Arbeiten, die man diesen älteren Angestellten zuweist, sehr häufig, ja in den allermeisten Fällen völlig berufsfremde Tätigkeiten zu finden sind. Daß das für diese Kreise nicht gerade erfreulich und befriedigend ist, das können wir doch wohl alle durchaus verstehen. Es scheint mir notwendig, daß in Zukunft bei der Vermittlung einer Arbeit in bezug auf die Zumutbarkeit doch ein etwas anderer Maßstab angelegt wird, um diese Menschen ihrer Berufswelt und einem ihrer Eignung entsprechenden Beruf zu erhalten. Dazu soll auch dieses vorliegende Gesetz verhelfen; es soll vor allem diesem Kreis von Menschen dienen.
Wir haben heute von einer Zahl von etwa 90 000 älteren arbeitslosen Angestellten — Männer und Frauen — auszugehen. Dabei muß festgestellt werden, daß darunter außerordentlich viele Familienväter sind, aber auch ältere weibliche Angestellte, die für Kinder oder sonstige Angehörige zu sorgen haben. Wenn wir das alles zusammenrechnen, dann können wir uns vorstellen, daß heute — nach meiner geringen Schätzung — mindestens 400 000 Menschen hier nach Bonn sehen. Sie erhoffen von unseren Beratungen, daß ihre Lebenslage in der nächsten Zukunft sich um ein Wesentliches bessert. Ich möchte Sie daher bitten, sich allen Ernstes dieser Aufgabe in der von diesem Gesetzentwurf angezeigten Richtung anzunehmen und unseren Antrag zu unterstützen.
Ich darf beantragen, daß dieser Gesetzentwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen wird.