Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich im Laufe des Tages mehrfach an einen Artikel erinnert — dessen Verfasser mir keineswegs irgendwie nahesteht —, nämlich an den Artikel des Herrn Chefredakteurs Sänger. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß dieser Artikel von dem Herrn Bundeskanzler, und zwar wohl auch wegen des darin enthaltenen Angriffes gegen die Provinzstadt Bonn, sehr schlecht kommentiert worden ist. Aber davon sage ich kein Wort, es ist mir viel zu gefährlich.
Herr Sänger hat in diesem Zusammenhang gesagt: Politiker sollten nach Möglichkeit nicht als Experten sprechen, jedenfalls nicht bei Dingen, die eine allgemeine Bedeutung haben, sondern eben als Politiker. Ich zweifle ein wenig, ob alle meine Vorredner — von mir können Sie es ja nachher beurteilen —
dieser meines Erachtens richtigen Ermahnung gefolgt sind.
Ich glaube, man muß doch ein paar Worte — das ist aus Liebenswürdigkeit oder wegen unserer Schnellebigkeit nicht geschehen - darüber verlieren, was in der Zeit zwischen dem 13. März, dem „geschichtlichen Tage", und heute geschehen ist. Wir wollen uns nicht so ohne weiteres darüber trösten, daß das Klima anscheinend etwas besser geworden ist, das Klima, meine ich, der Erörterungen und der Diskussionen, und daß wir jetzt also liebenswürdigerweise bei „Bahnhofsgesprächen" angekommen sind, die mir ja schon aus anderen Gründen nur sympathisch sein können. Sie wissen aber, daß dazwischen doch mancher schlechte Stil passiert ist. Fürchten Sie nicht, daß ich Sie mit den Reden aus Passau und aus Essen langweile. Ich habe sie aber nicht vergessen, und ich will, ohne nachtragend erscheinen zu müssen, zum Ausdruck bringen, daß ich diesen schlechten Stil doch sehr bedauert habe.
Meine Damen und Herren, von „Schamlosigkeit" sprechen, das sollte man erst kurz vor seinem Sieg oder vor seiner Niederlage tun.
Auch der andere Ausdruck, der bei dieser Gelegenheit über die „Geldsäcke ohne Herz" gefallen ist, hat mir, zumal ich nicht auf einem Geldsack sitze, nicht gefallen, Herr Bundesfinanzminister. Ich könnte ja nun sagen „betrifft mir nicht", denn ich bin nicht bei der CDU, wie Sie alle wissen, geschweige denn bei der CSU.
— Nein, haben Sie keine Angst, ich komme nicht zu Ihnen!
Man sollte das aber doch gelegentlich einmal betonen.
Grund für diese Zuspitzung — so sagen wir einmal höflicherweise — war natürlich der Theaterdonner, mit dem hier mit gehöriger Vorbereitung die Dinge am 13. März vor sich gegangen sind. Lieber Herr Bundesfinanzminister, ich finde eigentlich, Sie hätten sich sagen können, daß es zu einer Enttäuschung kommen würde. Ihre Erklärung, daß die Wirtschaft dann besonders die Trommel gerührt habe, stimmt ja auch nicht, sondern die Reaktion war, bedauerlicherweise, bei der gesamten Presse „spontan", um einen überholten Ausdruck zu gebrauchen.
Nun haben wir heute vieles gehört, und wenn auch unser Ressortminister für klassische Zitate nicht da ist ich meine den Herrn Familienminister —,
so bin ich doch versucht zu sagen: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen! — Vielleicht haben Sie mir ja auch, nachdem ich so weit hinten heruntergerutscht bin — auf der Liste, meine ich natürlich —, die Chance gegeben, nun ein wenig zu changieren, nämlich von der Opposition zur Regierung und wieder zurück. Weitere Möglichkeiten haben wir ja leider nicht.
— Die dritte Kraft! Ich komme noch von selbst darauf.
Lassen Sie mich anfangen mit der Finanzreform. Herr Kollege Eckhardt hat bereits das zitiert, was ich in der Presse verlautbart habe, und ich will versuchen, es etwas anders zu begründen — ich meine jetzt die Trennung von Finanz- und Steuerreform —, als es bisher hier begründet worden ist. Am meisten befinde ich mich, glaube ich, mit den Gedankengängen des Herrn Gülich in Übereinstimmung.
Man muß sich einmal die Mühe machen, sich die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes — unserer Väter, ist nicht richtig, sagen wir: unserer Brüder, speziell Sie, lieber Bruder Dehler —
zu vergegenwärtigen. Diese Entstehungsgeschichte beginnt mit dem Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, also in unserm lieben Bayern. Dort wurde die These aufgestellt: Die Länder sollen nicht Kostgänger des Bundes, und der Bund soll nicht Kostgänger der Länder sein; jeder Teil muß über das verfügen können, was er für seine Lebenshaltung benötigt.
In der sicherlich richtigen Erkenntnis, daß es für eine solche Regelung im Jahre 1949 zu früh sei, ist man den ungewöhnlichen Weg gegangen, in einem Grundgesetz, sprich Verfassung, für das doch immerhin sehr zentrale Finanzwesen eine vorläufige Regelung vorzusehen. Man hat aber entsprechend der Schnellebigkeit, von der ich in anderem Zusammenhang schon sprach, einen zu frühen Termin eingesetzt, und die Weisheit beider Gremien, also des Bundesrats und von uns, hat auch rechtzeitig erkennen lassen, daß diese Frist nicht eingehalten werden konnte. Man hat sich dann zunächst den Wahlkampf geleistet, in dem wir uns ja alle getummelt haben, mit mehr oder weniger Erfolg, und dann ist also doch die Zeit des 31. Dezember 1954 sehr schnell herangekommen; nunmehr steht sie ja bereits unmittelbar vor uns.
Nun hat inzwischen der Bund gemäß Art. 106 Abs. 3 einen Teil des Ertrages der Einkommen- und Körperschaftsteuer zur Deckung seiner durch andere Einkünfte nicht gedeckten Ausgaben in Anspruch genommen, und dadurch sind alljährlich Auseinandersetzungen entstanden, über die hier vorhin schon viele nicht Krokodils-, sondern echte Tränen geweint worden sind. Ich neige auf Grund gewisser Erfahrungen im Leben ein wenig zu dem Satz: „Nur keinen Krach vermeiden!" Ich bin also nicht der Meinung, daß es so furchtbar lästig und so furchtbar häßlich und so furchtbar unsachlich ist, wenn man sich alle Jahre über dieses Inanspruchnahmegesetz streitet. Vielleicht führt das doch auch zu neuen Erkenntnissen. Ich habe jedenfalls, zumal ich eigentlich immer im Vermittlungsausschuß daran beteiligt war, schon eine ganze Menge dabei gelernt. Aber ich erwähne das, weil ja dieser Gesichtspunkt einer der Hauptgründe für die Bundesregierung ist, nunmehr die endgültige Regelung des Art. 107 vorzulegen.
Aus der Begründung, meine Damen und Herren, geht hervor, daß sich auch die Bundesregierung recht ernst die Frage vorgelegt hat, ob die sachlichen Voraussetzungen, die seinerzeit gefehlt haben, jetzt vorliegen. Sie bezeichnet das selbst als zweifelhaft hinsichtlich mancher sehr gewichtiger Punkte: hinsichtlich der von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung abhängigen Ergiebigkeit der Steuerquellen, hinsichtlich der ausreichenden Übersehbarkeit des künftigen öffentlichen Finanzbedarfs insbesondere wegen Belastungen, deren Höhe von der weltpolitischen Entwicklung und von deren Auswirkung auf die deutsche Wirtschaft usw. abhängt; sie bezeichnet es schließlich als zweifelhaft hinsichtlich der noch nicht durchgeführten Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Art. 29 des Grundgesetzes. Sie wissen, daß sich damit ein Sachverständigengremium beschäftigt, dem anzugehören ich die Ehre habe und das neulich in Nürnberg getagt hat. Ich müßte geradezu lügen, wenn ich sagen wollte, ich sei der Ansicht, daß sich daraus sehr schnell und sehr bald etwas Reales konkretisieren werde. Das wird wohl noch ein bißchen lange dauern. Das liegt 'keineswegs an Herrn Reichskanzler Luther.
Man wird also schon diese Einwendungen, die die Bundesregierung in ihrer Begründung selbst aufführt, sehr ernst zu prüfen haben. Aber ich wiederhole: die lästigen Auseinandersetzungen und dann der Umstand, daß man den Termin schon einmal verschoben hat, sollen dazu zwingen, nun zum Schluß zu kommen. Ich behaupte keineswegs, daß man sich für die Zukunft die Arbeit leicht machen will, sondern erkenne an, daß man Verständnis für die Einstellung der Bundesregierung haben muß. Ich glaube aber doch, daß übergeordneten politischen Gesichtspunkten, die diese wichtige Frage des Finanzwesens letzten Endes
ausschlaggebend beeinflussen müssen, nicht Rechnung getragen wird, wenn man sich zu einer überstürzten Verabschiedung entschließt. Ich wiederhole, daß nur noch sechs Monate zur Verfügung stehen. Rechnen Sie die Ferien ab, auf die ja keiner verzichtet — das haben wir im ersten Bundestag ein paarmal exerziert —, ferner die Feiertage, und wer weiß, was alles, dann werden Sie zu einem Nettobetrag an sitzungsbereiten Tagen kommen, der sehr gering ist.
Ich meine — das sage ich noch einmal —, daß der Entschluß des Parlamentarischen Rates schwerwiegend ist. Eine solche Regelung ist ja eigentümlich, daß man nämlich in einer Verfassung nichts Endgültiges, sondern ausdrücklich etwas Vorläufiges bestimmt. Das sollte uns zu einer besonders eingehenden und sachlich fundierten Prüfung der Frage veranlassen, ob die Dinge, wie meine Freunde in Nürnberg zu sagen pflegen, bereift sind. Ich glaube, daß in den sachlichen Ausgangsunterlagen noch vieles fehlt und auch fehlen muß. Ich erwähne, um es etwas plastisch zu gestalten, das Kriegsfolgenschlußgesetz und die Lasten, die dem Bund daraus erwachsen werden. Ich erwähne die Maßnahmen für die nationale Sicherheit, wenn ich mich ganz neutral ausdrücken darf. Es ist jetzt modern geworden, in dieser Beziehung nicht sehr konkret, sondern von nationaler Sicherheit zu sprechen. Das habe ich nicht etwa von meinem Freund Pfleiderer gelernt, sondern das habe ich selbst erfunden.
Ich erwähne das Flüchtlings- und das Vertriebenenproblem. Ich denke an manche finanzielle Sorgen, und da bin ich so unbescheiden — erlauben Sie mir das —, auch die Bundesbahn zu erwähnen. Ich denke an die landwirtschaftlichen Meliorationen und an die Wasserwirtschaft. Ich hoffe, das genügt Ihnen als Begründung.
Die Bundesregierung treibt nun eine Resignation, wenn sie erklärt, diese Dinge oder jedenfalls ein großer Teil dieser Dinge würden sich auch als Unsicherheitsfaktor in absehbarer Zeit überhaupt nicht ausräumen lassen. Das ist mir zu bescheiden, Herr Minister Schäffer, und das sind Sie doch eigentlich sonst nicht, wenigstens nicht, wenn es sich um die Arbeit, die Sie bewältigen sollen, handelt. Es ist eine staatspolitische Aufgabe gerade dieser Sessionsperiode des Bundestages, für die von mir nicht erschöpfend aufgezählten Dinge Klarheit zu schaffen, die sich für die Voraussetzungen der endgültigen Lösung der Finanzreform wieder günstig auswirken würde.
Ich glaube, daß eine zweite Resignation in dem Entwurf selbst vorliegt. Ich glaube, daß sich Art. 107, der die schwierige Aufgabe stellt, die man lösen soll, nicht so eng auslegen läßt, wie Sie, Herr Minister Schäffer, das in Ihrer Begründung getan haben. Ich weiß, das ist strittig, und Herr Eckhardt stimmt mir vielleicht in dem Punkt auch nicht zu. Ich glaube, das Gesetz nach Art. 107 bezieht sich nicht nur auf die Neuregelung der Steuerertragshoheit, sondern auch auf die Steuergesetzgebungshoheit und auf die Steuerverwaltungshoheit. Ich könnte mir nun denken — da brauche ich nicht sehr weit zu gucken —, daß Sie politische Gründe haben, Fragen der Steuerverwaltungshoheit nicht gerade anzuschneiden. Ich widerstehe aber der Verlockung, der schon manche Vorredner erlegen sind — immer in einem Sinne, der
mir sehr sympathisch war —, über die Bundesfinanzverwaltung zu sprechen. Das hebe ich mir für ein vielleicht besseres Klima, Herr Minister Schäffer, auf. Denn ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß jemandem, der so intensiv und mit so großem Erfolg wie Sie dieses Amt eines Bundesfinanzministers bekleidet, nicht eines Tages wie eine reife Frucht die Bundesfinanzverwaltung in den Schoß oder vielmehr in das Gehirn fällt.
— Ja, da hat es schon einmal ganz tolle Sachen gegeben, lieber Herr Gülich. Sie sind ein Wissenschaftler, Sie müßten das eigentlich wissen.
Aber, meine Herren, die Dinge der Steuerreform
— und das ist eigentlich von allen Rednern anerkannt worden — liegen auf einem völlig anderen Gebiet. Niemand von Ihnen hat behauptet, daß ein organischer, notwendiger und unlöslicher Zusammenhang mit der Finanzreform besteht. Ich verkenne nicht, daß es natürlich schade ist, daß wir in Deutschland es nicht fertigbringen, über diese Dinge im Vermittlungsausschuß sachlich zu diskutieren, daß wir sehr leicht der Gefahr verfallen, die Sachlichkeit zu verlassen, und vielleicht sogar manchmal demagogische Auseinandersetzungen herbeiführen. Aber dieser Umstand gefährdet — und das ist nun des Pudels Kern, um den ich vielleicht lange genug herumgeredet habe, Herr Mellies, wenn Sie so wollen — die rechtzeitige Verabschiedung der Steuerreform, auf die es mir und meinen Freunden entscheidend ankommt. Ich glaube nicht, daß diese notwendigen sachlichen Voraussetzungen gegeben sind. Falls Sie mir das zugeben, werden Sie vielleicht geneigt sein, mit mir den Zeitpunkt der endgültigen Regelung nach Art. 107 als noch nicht gekommen anzusehen. Wenn man warten muß — ich bin von Hause aus durchaus kein Attentist —, dann muß man natürlich das Notwendige tun und sich entschließen, durch ein verfassungänderndes Gesetz — da brauchen Sie nicht gleich blaß zu werden; an so etwas sind wir j a in letzter Zeit schon ein wenig mehr gewöhnt;
ich gehe aber nicht auf die Gründe und auf die
Gelegenheiten ein, das ist mir viel zu gefährlich,
und ich brauche es auch gar nicht — die am
31. Dezember 1954 ablaufende Frist um zwei Jahre
zu verlängern. Die Weisheit des Bundesrats, die
heute schon mehrfach anerkannt worden ist — Sie
werden sagen: ich werfe mit der Wurst nach dem
Schinken; das gebe ich vielleicht sogar zu —, wird
sich auch dieser verfassungändernden Maßnahme
der Verlängerung des Gesetzes nicht verschließen.
Meine Damen und Herren, ich gehe über zur Steuerreform. Ich glaube, daß so viel über „organisch", über „groß", über „neu" gesprochen worden ist, daß es nicht nötig ist, in diesem Augenblick noch etwas dazu zu sagen. Wir haben uns alle aus verschiedenen Gründen mehr oder weniger damit abgefunden. Bei mir ist es vor allen Dingen der Grund der Schnelligkeit, daß wir diese organische Steuerreform, deren Notwendigkeit ich in bereinstimmung mit vielen Rednern absolut bejahe, jetzt nicht zustande bringen können.
Nun kommt der Termin, um dessen Erörterung viele Kollegen eigentlich wie um einen heißen Brei herumgegangen sind. Meine Freunde haben mit dem Antrag Drucksache 280 vom 28. Februar 1954 die
Steuerreform für den 1. Juli verlangt. Wenn Sie mir jetzt sagen: Darüber ist die Zeit mit ihrer heilenden oder zerstörenden Wirkung — das stelle ich anheim — hinweggegangen, dann sage ich Ihnen: dieser Ansicht bin ich nicht. Ich bin vielmehr der Meinung, daß alle Argumente, die sonst gegen rückwirkende Gesetze angeführt werden, hier fehl am Platze sind. Ich meine also, daß bei dieser Steuerreform die Bedenken der Finanzbeamten — die ich hoch schätze und natürlich schon aus Egoismus verehren muß —
für mich nicht maßgebend sind. Ich glaube vielmehr, daß es nötig ist, sich mit diesem Termin als endgültigem Zeitpunkt des Wirkungsbeginns der Steuerreform zu beschäftigen. Vielleicht überrascht es Sie, wenn ich Ihnen sage, daß ich eigentlich nicht recht weiß, warum wir in unserer laufenden Reihe von Steuerreformen — deswegen spreche ich auch nachher in einem anderen Zusammenhang von der auf enden Steuerreform
— das Jahr 1954 schlappern sollen, d. h. zu deutsch, warum wir dem Steuerpflichtigen nicht den Vorteil, der ihm an sich aus der Zuwachsrate des Jahres 1954 erwächst, zugute kommen lassen sollen.
— Die Vergünstigungen entgehen ihm ja schon früh genug. Darüber spreche ich gleich. Dafür bin ich auch absolut.
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß, wenn man logisch denkt — und das soll man in Finanz- und Steuerdingen —, man sagen müßte, das Jahr 1955 müßte dieses Geschlapper — entschuldigen Sie diesen Slangausdruck — wieder einbringen. Das würde, wenn Sie ganz logisch weiterdenken, dann dazu führen, daß das Jahr 1956 im Rahmen der laufenden Steuerreform nicht herunter-, sondern herauflaufen müßte. Solch komplizierte Dinge wollen wir uns nun mit Gewalt zuziehen, obwohl es doch sehr viel einfacher geht, nämlich dann, wenn wir uns erstens in den Beratungen beeilen
— ein Appell, den ich natürlich in erster Linie an den von mir geführten Ausschuß richten werde — und wenn man zweitens die Rückwirkung schluckt. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß sie meines Erachtens berechtigt ist. Wir brauchen den Fehler, den ich Ihnen entwickelt habe, nach den Zahlen für 1954 nicht aufkommen zu lassen, wenn wir so vorgehen. Der Mischtarif, Herr Bundesfinanzminister, stört mich nicht. Wir haben ihn gerade 1953 exerziert, und er hat die Finanzverwaltung und auch die Länderfinanzverwaltung nicht an den Rand des Abgrunds gebracht. Schwieriger ist natürlich schon die Geschichte mit den Begünstigungen, denn die können wohl nach der ganzen Situation nicht vor dem 1. Januar 1955 auslaufen. Aber bei Nachdenken und Anstrengen des Gehirns wird man vielleicht auch da zu einer Lösung kommen.
Ich komme zur Ergänzungsabgabe. Hier möchte ich mir nach den vielen Argumenten, die vorgetragen worden sind, die Sache sehr leicht machen. Ich möchte nämlich von dem Begriff des Durchschnittsbürgers, der so viel zitiert wird, oder von dem Begriff der Masse des Volkes, das sich, wie ich neuerdings gehört habe, in Köln besonders konzentriert findet,
Gebrauch machen.
— Ja, der Durchschnitt. Viel mehr als Durchschnitt kann ja Köln auch schließlich nicht sein.
Wir wollen es doch nicht übertreiben!
Ich möchte Ihnen sagen, daß wir diese Ergänzungsabgabe wohl einfach deswegen ablehnen müssen, weil sie eine neue Steuer ist. Nichts paßt in diesem Augenblick so schlecht in die Landschaft, als eine neue Steuer zu verordnen.
Eine Steuer, die in die Welt gesetzt wird — quod non est in actis, non est in mundo —, reizt doch dazu, und zwar jeden Finanzminister, von ihr Gebrauch zu machen.
Nun ist von einem Argument noch gar nicht gesprochen worden, das aber doch, wenn ich recht orientiert bin, in der Angelegenheit der Ergänzungsabgabe eine große Rolle gespielt hat, daß man nämlich meint, man wolle durch diese Ergänzungsabgabe auch eine vielleicht etwas einfache Antwort auf die Frage geben: Wie kann man auch in Zeiten vor Wahlen das Parlament an der Verabschiedung von unverständigen und Geld kostenden neuen Gesetzen verhindern? Schon unsere Väter, nein, schon unsere Brüder im Parlamentarischen Rat haben sich diese Frage vorgelegt und den Art. 113 erfunden. Es fällt mir auf und ich suche immer nach Gründen, warum dieser Artikel so vollständig totgeschwiegen wird. Ich weiß, daß er noch nie exerziert worden ist, und man soll eigentlich — das ist nicht philologisch gedacht, sondern vernünftig, was kein Gegensatz ist — schlechtes Wasser erst ausgießen, wenn man besseres hat. Wir sollten also schon einmal mit dem Art. 113 operieren.
Nun haben mir meine Agenten berichtet — die arbeiten aber natürlich nicht immer sehr genau—, es bestehe die Idee, daß die Berechtigung des Art. 113 in Zukunft nicht der Bundesregierung — wie es im Grundgesetz steht —, sondern dem Herrn Bundesfinanzminister zustehen solle.
Das allerdings würde zu weit gehen, Herr Schäffer, und das verlangen Sie wahrscheinlich ja auch nicht. Deswegen glaube ich, daß mich meine Agenten falsch unterrichtet haben.
Ich möchte Ihnen also vorschlagen: Machen Sie von dem Art. 113 einmal Gebrauch! Ich habe vorhin gesagt: Ich verstehe nicht recht, warum davon kein Gebrauch gemacht wird. Beim Nachdenken ist mir folgendes eingefallen — mit dem Einmaleins gerechnet —: Es kann sich nämlich bei jedem Gesetz, das im 1. oder 2. Bundestag mit Mehrheit beschlossen worden ist, immer nur um mindestens eine beteiligte Koalitionspartei handeln, und der vor den Bauch zu treten oder die vor den Kopf zu stoßen — nehmen wir einen anderen, wertvolleren Körperteil —,
geniert sich natürlich die Bundesregierung. Sie sollte aber ihre Zurückhaltung oder ihre Feinfühligkeit da ein wenig zügeln. Fangen wir also ich wiederhole es — mit dem Art. 113 an, und erst, wenn dieses Schwert sich als stumpf erwiesen hat, kann man einen anderen Ausweg wählen.
Aber auch dann, meine Damen und Herren, sind wir noch nicht bei der Ergänzungsabgabe als Ultima ratio, sondern dann erinnern wir uns — was ich den ganzen Tag schon tue — an meinen Freund Höpker-Aschoff und denken wir daran, wie er die Geschäftsordnung des Bundestags durch die Bestimmung ändern wollte, daß Gesetze nur mit Deckungsvorschlägen eingebracht werden können. Er hat sich dann in seiner Eigenschaft als Präsident des Bundesverfassungsgerichts leider selbst korrigieren müssen und hat eine Entscheidung gefällt, in der stand, daß dieses Verfahren deswegen unrichtig oder unzulänglich sei, weil es nicht in der Form einer Änderung des Grundgesetzes, sondern nur in der Form einer Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages vorgeschlagen worden sei. Aber bitte, ändern wir dann aus diesem Anlaß das Grundgesetz und verlangen wir — was vielleicht auch sonst gute Wirkungen hätte — diese Fundamentierung durch natürlich verständige oder, besser gesagt, konkrete und einer Nachprüfung standhaltende Vorschläge! Dann brauchen wir uns ebenfalls nicht in die großen Kosten — bildlich gesprochen — der Ergänzungsabgabe zu stürzen, über die ich ja schon verschiedenes gesagt habe.
Vielleicht ist es nicht ganz unrichtig, wenn ich erwähne, daß mir — die Bemerkung mache ich jetzt für mich persönlich — der Vorschlag aus Bayern einen gewissen Eindruck gemacht hat, in dem nämlich die Ergänzungsabgabe auf 5 % —andere Leute sagen auf 10 % — beschränkt worden ist und nicht in der largen Form, wie Sie es vorschlagen, Herr Minister Schäffer, eine unbeschränkte Möglichkeit für die Abgabe in Prozenten der jeweiligen Steuerschuld vorgesehen ist.
Ob die Ergänzungsabgabe auf diejenigen Damen und Herren dieses Hauses, die sich in Expansionen besonders gefallen — ich nenne weder Roß noch Reiter —, einen besonderen Eindruck machen wird, das möchten meine Freunde bezweifeln. Denn wenn man einmal auf Steckenpferden reitet, kommt man nur ungern oder schwer wieder herunter.
Aber ich habe mir natürlich nun überlegt, was denn eigentlich der Grund des Herrn Bundesfinanzministers ist, warum er diese Ergänzungsabgabeentwürfe so sehr protegiert oder forciert. Ich kann doch nicht auf den Gedanken kommen — das habe ich mir ja für die Zukunft vorbehalten und hoffe, es mir versprechen zu dürfen —, daß er inzwischen zentralistisch denkt. Das wäre furchtbar!
Außerdem müßte ich doch, selbst wenn ich annähme, daß das richtig ist, den schönen lateinischen Satz brauchen — der Sie diesmal hoffentlich nicht beleidigen wird, lieber Herr Schäffer —: „Quid-quid id est, timeo Danaos et dona ferentes." Das muß ich Ihnen übersetzen: „Was auch immer geschehen mag, ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen."
Ich will die Ergänzungsabgabe verlassen, aber nicht ohne eine Wort darüber zu sagen — das lenkt mich zum neuen Thema über —, daß wir uns doch nichts Besseres, sprich Schlechteres für eine Verwaltungsreform wünschen können als eine Ergänzungsabgabe. Sie verstehen mich; ich glaube, das schiebt eine Verwaltungsreform auf den Nimmerleinstag hinaus.
Verwaltungsreform generell! Es hat mir einen gewissen Eindruck gemacht, daß eine der Organisationen, die hier ja sonst nicht so sehr beliebt sind — ich meine den Industrie- und Handelstag —, auf ihrer diesjährigen Tagung in Frankfurt mit sehr deutlichen, aber höflichen Worten beklagt hat, daß das ganze Gesetzgebungswerk des Herrn Schäffer nichts von der Notwendigkeit einer Verwaltungsreform enthält. Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin gesagt: Wir müssen die Verwaltungsreform ja nicht nur beim Bund durchführen, sondern auch bei den Ländern. Aber ich finde immer, einer muß mal anfangen, damit überhaupt etwas geschieht.
Ich glaube, wir machen uns im Bundestag die Sache etwas leicht, wenn wir gelegentlich der Erörterungen zu sagen pflegen: Es gibt einige Blöcke, Sie können auch sagen: Eisblöcke, an denen nichts zu deuteln ist. Ich meine die Besatzungskosten und die sozialen Leistungen. Diese Blöcke sind schon irgendwie zu erschüttern. Denken Sie in Abwesenheit des Herrn Bundesarbeitsministers — da kann man noch kühler darüber denken — vielleicht einen Augenblick an die Sozialreform, die uns ja, wenn ich mich so ausdrücken darf und recht erinnere, für diese Sessionsperiode überhaupt nicht mehr serviert werden soll. Vielleicht wären doch im Rahmen der Sozialreform, von der ich schon weiß, daß sie im Grunde genommen andere Ziele hat, auch Möglichkeiten einer Verwaltungsreform gegeben. Ich glaube, meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister ist der geborene Ressortminister für Verwaltungsvereinfachungen. Er betätigt sich ja auch auf diesem Gebiete. Aber ich will der Verlockung widerstehen, schon wieder auf die Bundesbahn zu sprechen zu kommen. Ich will nicht ablenken, aber ich möchte ihn bitten, sich doch mit der Verwaltungsreform im Bunde etwas mehr zu beschäftigen.
Ehe ich auf den Tarif zu sprechen komme, erlauben Sie mir, daß ich einige wenige Sätze über die negative Seite des Tarifs sage, ich meine, über den Fortfall der Begünstigungen. Ich habe seit 1949 mitgemacht, und da ist man ja in dieser Bundesrepublik schon beinahe ein Veteran. Ich entsinne mich sehr genau der verständigen Gründe, die den Wirtschaftsrat damals 2u diesen Begünstigungen veranlaßt haben. Ich will hier keinen Nekrolog sprechen, aber ich halte es doch für richtig, zu erwähnen, daß sie, wenigstens ein großer Teil von ihnen, eine sehr wertvolle, nützliche Arbeit im Interesse des Wiederaufbaues unserer Wirtschaft geleistet haben, von 7 a angefangen. Sie sind aber, zum größten Teil jedenfalls, inzwischen überflüssig geworden und sind nicht geeignet, dem Volke das Prinzip der Steuergerechtigkeit als vorhanden erscheinen zu lassen. Ich spreche also für meine Fraktion aus, daß der Grundsatz , die Begünstigungen zum Verschwinden zu bringen, ein auch von uns gebilligter ist.
Ich darf dabei einen Seitenblick auf den Bundesrat werfen. Ich finde, der Bundesrat hat manchmal einen Vereinfachungskomplex. Er begründet auch diese Dinge in einem großen Umfang mit Vereinfachungen. Das ist natürlich etwas schnell und etwas oberflächlich gedacht, aber ich nehme ja jetzt auch einen anderen Anlaß zu ihrer Beseitigung.
Fraglich sind natürlich — denken Sie nicht, daß ich jetzt einen Rückzieher mache — das Tempo und die Ausnahmslosigkeit der Begünstigungen. Hier sind natürlich auch wir ein wenig an 7 c hängengeblieben. Das hängt nicht, zum mindesten
nicht vorwiegend, damit zusammen, daß unser Freund Preusker und vorher unser Freund Neumayer und davor unser Freund Wildermuth das Bundeswohnungsbauministerium geführt haben, sondern das hängt damit zusammen, daß der Wohnungsbau meines Erachtens nach wie vor die Aufgabe Nr. 1 der Bundesregierung ist, das ja auch mit Zustimmung des ganzen Hauses, die nur vorübergehend einmal etwas getrübt war und hoffentlich nicht wieder getrübt wird, Herr Mellies. Das ganze Haus war in dieser Zielsetzung und durchweg auch sogar in den gewählten Mitteln einig. Der Bundeswohnungsbauminister Preusker hat in einem sehr kurzen — und schon deswegen lesenswerten — Artikel im Bulletin — die Nummer habe ich nicht — auseinandergesetzt, inwiefern sich die Vergünstigung des § 7 e angenehm und nicht vergleichbar von anderen Vergünstigungen unterscheidet. Das ist bis zu einem gewissen Grade auch jetzt noch richtig. Unser Kollege Neuburger hat vorhin gesagt, man müsse neue Wege beschreiten, es sei vielleicht nicht ausreichend, mit dem Sozialpfandbrief zu arbeiten und auf 7 c ganz zu verzichten. Das sind Fragen, die meine Freunde nicht bejahen, die sie sich aber stellen und über die wir uns ausführlich unterhalten müssen.
Meine Damen und Herren, das führt gewissermaßen zwangsläufig zu Gedanken, die mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz zusammenhängen. Ich gehöre auch zu denen, Herr Minister Schäffer, die es beklagen, daß die Novelle zum Kapitalmarktförderungsgesetz den Gang der 'Gesetzgebung so langsam durchläuft, aber ich habe zu meiner Freude gehört, daß das Kabinett am vorigen Mittwoch die Dinge anscheinend bundestagsreif gemacht hat. Wir hoffen also, daß wir sie bald erhalten. Ich habe natürlich — das wird Sie nicht überraschen — zu dem Sozialpfandbrief nicht die radikal ablehnende Haltung, die Herr Seuffert hier vorgetragen hat. Doch wir wollen nicht auf eine Erörterung des Kapitalmarktförderungsgesetzes abgleiten; das würde meiner Zielsetzung nicht entsprechen.
Wenn wir uns nun über den § 7 c Gedanken machen, dann werden Sie unter Umständen bei dem Ergebnis sagen — ich kenne dieses Ergebnis nicht —: Das ist der Fluch der bösen Tat; und da hätten Sie sogar etwas recht. Aber das sind nun mal Dinge, die etwas zwangsläufig sind, und wir treiben ja keine Politik um des Prinzips willen, sondern um auf einem Wege, den wir als notwendig und nützlich erkannt haben, weiterzukommen. Um Mißverständnisse auszuräumen: ich meine jetzt nicht auf dem Wege der Begünstigung, sondern auf dem Wege des Wohnungsbaus.
Herr Neuburger hat sich ausführlich mit dem § 10 beschäftigt, und zwar in einer Form, der ich zustimme. Auch neulich auf dem Sparkassentag ist von klugen Männern — viel klügeren, lieber Herr Neuburger, als wir beide uns einbilden, es auch nur von weitem werden zu können — über den Wert des Sparens sehr deutlich gesprochen worden. Unser verehrter Bundeswirtschaftsminister Erhard hat nicht widersprochen. Es war überhaupt ein Tag, an dem er Sie, Herr Schäffer, besonders gelobt hat; das wissen Sie ja.
Aber das ist halt verschieden, und ich will es in
Abwesenheit von Herrn Erhard nicht ausspinnen.
Er hat jedenfalls gesagt, daß diese Unterstützung
und dieser Zwang zum Sparen in mancher Beziehung noch nützlich und notwendig wäre. „Noch" hat er gesagt; er glaubt anscheinend an die Aufwärtsentwicklung der Menschheit. Sie, Herr Neuburger, haben hinzugefügt, man wolle den Investitionsrückgang behindern oder verhindern. Das ist ein wichtiges Moment. Jedenfalls gehört auch der § 10 in seiner jetzigen Form — damit meine ich immer das, was ab 1. Januar 1955 gilt — zu den Dingen, die wir uns überlegen müssen.
Ich fand es sehr schön, daß Sie ein Wort über die degressiven Abschreibungen gesagt haben, Herr Neuburger. Auch ich glaube, daß wir uns darüber freuen, vielleicht sogar Hoffnungen daran knüpfen sollen, daß dieses Prinzip — das meines Erachtens entgegen der Ansicht des Bundesrats nicht gesetzlich verankert zu werden braucht — nur ein Ausfluß des gelegentlich doch auch in Regierungskreisen anzutreffenden gesunden Menschenverstandes ist.
— Soll ich es noch liebenswürdiger ausdrücken? Ich finde es doch sehr liebenswürdig.
Im Zusammenhang hiermit muß ich noch ein Wort über die individuelle Befristung für einige Vergünstigungen für die Flüchtlinge sagen. Ich glaube, daß damit ein gutes Thema angeschnitten ist, zumal wir ja im § 7 a in der Form, in der er aufrechterhalten ist, schon eine solche Befristung auf 1956 haben. Dann sollte man sich überlegen, ob man diese Befristung nicht auch bei den sonst verbliebenen Vergünstigungen für Heimkehrer, Spätheimkehrer usw. festlegen sollte. Ich persönlich bin bei den Begünstigungen fern von jeder Forderung oder Bitte.
Ehe ich das Thema Kapitalmarktförderung verlasse und dann sehr schnell zum Schluß komme, möchte ich noch an eine Bemerkung, ich glaube, von Herrn Seuffert, über die kostspielige Kapitalmarktförderung anknüpfen. Mit begeisterter Zustimmung habe ich darüber in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aus der wir ja bis heute — jetzt sind wir in Köln — unsere tägliche politische Bildung bezogen haben, eine Glosse gelesen. In diesen Äußerungen eines sehr bekannten, in Bonn beheimateten Bankdirektors über die Tendenz, nicht in erster Linie Kredite an die Wirtschaft zu geben, sondern als Bank langfristig Geld in Wertpapieren anzulegen, habe ich sehr Beherzigenswertes gefunden.
Jetzt muß ich noch Einzelheiten bringen. Ich tue es nicht, weil meine Vorredner es getan haben, sondern weil ich es für notwendig halte. Ich. meine die Haushaltsbesteuerung. Da kommt natürlich dieser arme Mann, der sich gestern im Bahnhof von Köln bei Ihnen nicht hat verständlich machen können — übrigens ein schlechtes Zeichen für die Gleichberechtigung der Geschlechter —,
schlecht weg. Der hätte sich halt nicht niederschreien lassen sollen. Ich glaube, Herr Bundesfinanzminister, das breite Volk oder, wie Sie gesagt haben, der Durchschnitt des Volkes war doch recht unangenehm überrascht, daß Sie und mit Ihnen die Bundesregierung — zumindest in ihrer Mehrheit — den Mut gehabt haben, in der vielumstrittenen Frage der Haushaltsbesteuerung nun nicht etwa einen beachtlichen Schritt zur getrennten Veranlagung zu machen, sondern das schlechte Prinzip der Gesamtveranlagung noch weiter auszubauen.
Denn anders kann man die Vorschläge nicht verstehen. Sie wissen j a auch, meine Damen und Herren, daß aus diesem Vorschlag des Bundesfinanzministers ein Mehrertrag von 80 Millionen DM — andere Leute sagen: 100 Millionen DM — erwartet wird.
Manchmal habe ich den Eindruck, als wenn in diesen Dingen immer noch ein gewisser Nazischreck herrschte. Man meint, die Dinge wären von den Nazis eingeführt worden. Von solchen sentimentalen oder horriblen Erinnerungen wollen wir uns frei machen. Wir — jedenfalls wir Freien Demokraten — sagen, daß das Ziel, auf das wir lossteuern müssen, das Splitting ist.
Wenn das nach Untersuchungen, denen zu glauben ich geneigt bin — es kommt auf 100 Millionen beinahe gar nicht an —, eine Milliarde kostet, dann steht es natürlich nicht zur Diskussion; aber, aber — nur langsam! —, aber die Marschrichtung müßte eben nicht in Richtung auf eine weitere Vervollständigung der Zusammenveranlagung, sondern umgekehrt gehen.
— Ja, aber warum sind Sie so persönlich? Das war doch auch ein ganz netter Mann! Wer weiß denn, was Sie noch in der Nachwelt für einen Ruf bekommen!
Das kann man gar nicht wissen. Da würde ich furchtbar vorsichtig sein.
Also Sie bejahen das. —
In der Post, die wir alltäglich bekommen —jetzt kommt ein recht ernstes Wort —, und auch in mancherlei Beobachtungen, die ich so mache, fällt mir auf, daß, vielleicht gerade mit zunehmender Verbesserung unserer Verhältnisse, die Klagen von Leuten, von alten und verarmten Leuten, eine Rolle spielen, die es wegen Verlustes einer Altersversorgung — ganz einerlei, aus welchem Grunde sie sie hatten und aus welchem sie sie verloren haben — doch recht schwer haben und in ihrem Alter — jetzt spreche ich vom hohen Alter — noch arbeiten müssen. Mir schweben einige Beispiele, sagen wir, um nicht bloß einen Stand herauszuholen: sowohl von alten Handwerkern als auch von alten Ärzten und Rechtsanwälten vor,
die nun wirklich keine andere Möglichkeit haben, als in den Sielen zu sterben, was zwar schön ist, was aber doch manchen Menschen wegen Altersbeschwerden ungeheure Opfer auferlegt.
Ich finde, wir sollten uns überlegen, ob es nicht der richtige Weg wäre, diese Menschen, wenn man ihnen auf steuerlichem Gebiet — nur von dem spreche ich; ich spreche nicht von Fürsorge, ich spreche nicht vom Altsparergesetz usw. — helfen will, automatisch mit Vollendung des 65. Lebensjahres, aber unter der Voraussetzung der, verlorenen Altersversorgung in die Steuerklasse III einzureihen. Ich meine, es gehört zu unseren Pflichten, uns bei zunehmender Besserung unserer Verhältnisse solcher Personenkreise — nennen Sie sie meinetwegen die verschämten Armen — ein wenig zu erinnern.
Meine Damen und Herren, jetzt kommt etwas Schwieriges: die Ausfuhrförderung. Sie wissen, und Sie erwarten es von mir sicherlich auch nicht anders, daß ich ein Anhänger der Ausfuhrförderung bin. Auch da muß ich sagen: der Weg über die Steuern ist ein im Prinzip schlechter Weg, ein Fehlweg, wenn Sie wollen.
Aber solange uns das uns umgebende Ausland mit anderen Mitteln, die uns nicht zur Verfügung stehen, den Export schwierig macht, müssen wir halt Wege beschreiten und auch auf ihnen bleiben, die uns zur Verfügung stehen. Ich glaube, wir müssen es anerkennen, daß der Bundesfinanzminister nicht in das allgemeine, etwas unüberlegte Geschrei vom Abbau der Exportförderungsmaßnahmen eingestimmt hat, wenigstens nicht in dem Sinne, daß er gesagt hätte, die Frist bis 31. Dezember 1955, bis zu welchem Zeitpunkt die Vergünstigungen laufen, müsse verkürzt werden. Im übrigen kann dieses Kapitel hier von mir natürlich nur gestreift werden. Es muß einer längeren Diskussion vorbehalten bleiben, schon weil es ja jetzt in Zusammenhang mit EZU und OEEC usw. gekommen ist und wir vielleicht Veranlassung haben, uns das noch sehr genau zu überlegen.
Ganz kurz, meine Damen und Herren, streife ich die Umsatzsteuer. Ich bin der Meinung, wenn etwas tot ist — ich meine die Großhandels-Umsatzsteuererhöhung —, dann sollte man es nicht, wie wir es heute getan haben, mehrfach beerdigen und dazu auch noch Grabreden halten, bei denen ja mehr gelogen wird als in allen anderen Fällen. Ich glaube zwar, Herr Bundesfinanzminister — das nehme ich Ihnen gar nicht übel —, rein fiskalische Momente, weil Ihnen irgendwo 200 Millionen fehlten, haben Sie veranlaßt, mit dem Bleistift etwas in der Gegend herumzufahren, und da sind. Sie dann zufällig auf der Großhandels-Umsatzsteuer gelandet. Das glaube ich deswegen, weil Sie ja sonst nicht so sind, daß Sie solche Dinge so schnell fallenlassen. Heute morgen haben Sie sie allerdings gegen zu erörternden Ersatz fallengelassen, und das ist natürlich ein schlechtes Kapitel. Auf den Ersatz komme ich noch nachher bei den Tarifen, denen ich mich jetzt sehr schnell nähere, zurück.
Es ist modern, in diesem Zusammenhang — und deswegen ist es auch von vielen Seiten geschehen — über die dritte Kraft zu sprechen, ich meine die Gemeinden. Ich glaube, die Bundesregierung war nicht gut beraten, als sie diese Dinge in dem ganzen großen Gesetzgebungswerk überhaupt nicht erwähnt hat.
In der Begründung ist sie darauf eingegangen,
aber in dem Gesetz selber hat sie nichts daran ge-
tan. Ich meine, die Wünsche nach Verbundwirtschaft und nach gesetzlicher Verankerung dieser Wünsche, und zwar grundgesetzlicher Verankerung — also mit verfassungsändernder Mehrheit zu beschließen —, und die Wünsche nach einer Verankerung des Rechtes auf die Realsteueraufkommen sind berechtigt. Es gibt auch Bundesressorts — ich will sie nicht nennen —, die diese Ansichten teilen. Ich habe den Eindruck, daß, wenn die Parteien Initiativanträge in dieser Richtung einbringen — wozu Neigung zu bestehen scheint —, diese dann hier die Mehrheit und sogar die verfassungsändernde Mehrheit finden werden.
Hinsichtlich der Fragen des Tarifs betone ich die Verantwortung, der man sich bewußt sein muß, wenn man von diesen Dingen spricht. Der Tarifvorschlag der Bundesregierung ist zweifellos durch die im Bulletin 60 und im Bulletin 67 erschienenen, sehr sachkundigen Artikel aufgehellt worden. Das erkennen wir dankbar an. Es steht in einem angenehmen Gegensatz zu dem Niederbügeln, Herr Finanzminister, das Ihnen sonst ja leider etwas liegt. Aber hier haben Sie ein Reisebügeleisen genommen, und das tut längst nicht so weh, erzielt aber denselben Erfolg.
Sie wissen ja immer sehr genau, ob dieser Erfolg auch eintritt, wenn Sie so etwas unternehmen.
Ich begrüße es darüber hinaus, daß in den letzten Tagen Gespräche mit dem Institut für Finanzen und Steuern, das sich nur beratend und in keiner Weise mit irgendwelchen Ansprüchen einschaltet, in Gang gekommen sind, die nun doch wohl die Hoffnung berechtigt erscheinen lassen, daß über Ihre Ausfallrechnung, kurz ausgedrückt, eine restlose Klarheit geschaffen wird, wenn auch nicht sofort vielleicht eine Übereinstimmung. Unter diesem Vorbehalt stelle ich für meine Fraktion den Satz auf, daß es das Gebot der Stunde ist — von mir aus nur der Stunde —, die Tarife so sehr zu senken, wie überhaupt nur möglich. Ich hoffe, daß Sie mit diesem Grundsatz einverstanden sind. Dabei kann man natürlich die Möglichkeiten stundenlang diskutieren. Ich verkenne auch nicht, daß, wenn wir aus Ihrem Kuchen einige Stücke herausschneiden — das haben wir ja soeben bei der Großhandels-Umsatzsteuer getan und das werden wir vielleicht auch bei der Haushaltsbesteuerung tun müssen —, natürlich dann der Kuchen oder, besser gesagt, die Erkenntnis aus Ihrer Ausfallrechnung entsprechend eingeschränkt wird. Daß das dann abgezogen werden muß, ist selbstverständlich; das hat schon Adam Riese gewußt.
Ich glaube aber, Herr Bundesfinanzminister, daß doch auch dann noch ein Posten von einer ganzen Reihe von hundert Millionen zum Verteilen übrigbleibt. Das sage ich deswegen, weil bisher die dynamische Wirkung, die nicht nur der Herr Bundeswirtschaftsminister, sondern die das ganze deutsche Volk von der Steuersenkung erwartet, in keiner Weise berücksichtigt ist.
Das sagen Sie ja auch selbst. t ber die Konkretisierung und Bewertung dieser dynamischen Wirkung müßten wir uns also schon noch etwas unterhalten. Auf Grund Ihrer letzten Äußerung bin ich aber in bezug auf die Möglichkeiten einer Einigung optimistischer geworden. Vielleicht ist es ganz falsch, daß ich Ihnen das sage; aber ich sage es halt, wie mir der Schnabel gewachsen ist.
Für die Verwertung dieser Hunderte von Millionen DM, wie ich mich jetzt etwas global ausgedrückt habe, sind, glaube ich, schon eine ganze Reihe von Möglichkeiten gegeben. Von den Dingen, die ich schon erwähnte, abgesehen, denke ich in erster Linie an die Tarifgruppen von 8000 bis 40 000 DM. Sie können das auch etwas variieren. Aber unter 8000 DM soll man, glaube ich — da werde ich natürlich Herrn Seufferts Beifall keineswegs finden —, nicht heruntergehen, und zwar aus Gründen, die Sie selbst heute morgen schon beim Vergleich dieser Steuergruppen mit den Sätzen der Vorkriegszeit genannt haben.
Zur Körperschaftsteuer nur zwei Sätze. Sie zusätzlich zu senken, ist eigentlich selbstverständlich, wenn man die Einkommensteuer senkt. Wenn wir also bei der Einkommensteuer zu niedrigeren Sätzen als denen des Gesetzentwurfs Drucksache 481 kommen, dann ist die selbstverständliche Folge, daß man sich auch darüber Gedanken machen muß, wie weit die Körperschaftsteuer zusätzlich zu senken ist.
Mit, ich möchte beinahe sagen: Leidenschaft trete ich dafür ein, daß der Einbruch, der dem Bundestag gelegentlich der Kleinen Steuerreform in das Prinzip der Doppelbesteuerung gelungen ist, aufrechterhalten wird. Herr Bundesfinanzminister, der Einbruch wird nicht aufrechterhalten, wenn Sie von 45 auf 30 v. H. heruntergehen. Sie waren von 60 auf 30 v. H. heruntergegangen und müssen deshalb jetzt auch von 45 auf 22,5 und nicht auf 30 v. H. heruntergehen. Auch das rechnet sich nach Adam Riese.
Aus Ihren Worten in der Begründung geht nicht gerade hervor, daß Sie diese Leidenschaft für die Begünstigung in der Besteuerung des ausgeschütteten Gewinns teilen. Man könnte sogar sagen: Nach der berühmten Kabinettssitzung, in der man Ihnen das abgerungen hat, haben Sie Ihrer schon vorhandenen Begründung nur einen Satz angefügt. Ich glaube, das stimmt. Ich war zwar nicht dabei; aber wenn man ein bißchen darüber nachdenkt, kann man auf so schlechte Gedanken kommen.
Die Grundgedanken, die bei der Kleinen Steuerreform als richtig erkannt worden sind, müssen also beibehalten werden, und ich habe mich sehr gefreut, daß auch die Opposition, jedenfalls in der Tendenz, diesen Dingen zustimmt.
Zum Schluß! Im großen und ganzen ist es und bleibt es, glaube ich, das Gebot der Stunde, deren geschichtlichen Charakter ich nicht heraufbeschwören, aber auch nicht verneinen möchte, daß wir zu einer laufenden Steuerreform kommen. Vielleicht ist es für jemanden, der geneigt ist, die Dinge zu überschätzen oder zu unterschätzen — beides ist falsch —, ein Widerpruch in sich selbst, wenn ich von einer laufenden Steuerreform spreche. Denn es könnten ja auch einmal, das leugne ich gar nicht, die Dinge wieder herauflaufen. Sie brauchen — das wiederhole ich, das ist nicht mit meinem Ausdruck gemeint — selbstverständlich dicht immer herunterzulaufen. Dazu gehört erstens der liebe Gott, der uns beschützen muß, und zweitens die Entwicklung der Wirtschaftspolitik, die das gestattet, und natürlich auch die Folgerichtigkeit Ihrer Politik.
Aber, meine Damen und Herren, eines wollen wir ganz bestimmt, bei einer laufenden oder bei einer nicht laufenden Steuerreform: daß in Deutschland endlich einmal wieder die Möglichkeit kommt, steuerehrlich zu sein, und daß — wenn
ich einen Ausdruck von Ihnen gebrauchen darf — die Möglichkeit besteht, einen fröhlichen Steuerzahler zu schaffen; etwas nüchterner ausgedrückt: daß es sich wieder lohnt, Steuern zu bezahlen. Denn das hat sich in den Jahren seit 1948 bisher nicht gelohnt; und es ist gar kein Zweifel, meine Damen und Herren — entschuldigen Sie, wenn ich jetzt auch auf den Altvater Popitz übergehe —, daß ein solches Lohnen einer Steuerzahlung ja eigentlich erst in Frage kommt, wenn die 50 %-Grenze auch in den hohen Stufen unterschritten wird und unterschritten bleibt.
Unsere Väter — diesmal sind es sogar unsere Vorväter — würden natürlich sagen: „Das ist für uns durch Jahrzehnte" — oder ein Jahrhundert; Herr Eckhardt weiß da besser Bescheid — „eine Selbstverständlichkeit gewesen." Ich möchte zwar nicht der Hoffnung Ausdruck geben, daß es wieder eine Selbstverständlichkeit würde; das wäre utopisch. Aber ich möchte doch der Hoffnung Ausdruck geben, daß uns wieder die Möglichkeit gegeben würde, in solchen Zahlengrößen zu denken.