Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat in der Regierungserklärung vom 11. März gesagt, daß es sich bei den uns vorliegenden Drucksachen um „Gesetzgebungswerke von wahrhaft großer, ja vielleicht geschichtlicher Bedeutung" handle. Das waren stolze Worte; heute war er in der Wahl seiner Worte schon ein wenig vorsichtiger.
Der Herr Kollege Dresbach hat ja eben die Verhältnisse unserer Finanzverfassungsart charakterisiert, und ich kann auf manches, was ich sagen wollte, verzichten, weil ich eine so schöne Einigkeit feststelle, die hoffentlich ein gutes Vorzeichen für die Verhandlungen im Finanz- und Steuerausschuß sein wird.
Was gibt denn nun Anlaß zu dieser Reform? Seit Jahren gibt es heftige Auseinandersetzungen unter den Ländern der Bundesrepublik um einen horizontalen Finanzausgleich nach Art. 106 Abs. 4 des Grundgesetzes und einen heftigen Streit der Ländergesamtheit — in diesen Momenten, Herr Dresbach, bilden die Länder ja eine wahre Brüderschaft — gegen einen horizontalen Finanzausgleich nach Art. 106 Abs. 3. Am 9. April dieses Jahres kam es im Bundesrat zu einem offenen Konflikt zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundesrat. Es fielen dann Worte von Verfassungskrise und von Staatskrise.
Worin bestehen nun eigentlich die Schwierigkeiten, die weiteste Kreise der deutschen Bevölkerung an der Richtigkeit unserer demokratischen Staatsordnung verzweifeln lassen? Die Länder sind mit Ausnahme Bayerns keine historisch gewordenen Staatsgebilde und haben deshalb auch mit Ausnahme von Bayern kein historisch gewachsenes Staatsgefühl. Die Länder sind 1946 von den Besatzungsmächten ad hoc nach Militärverwaltungsgesichtspunkten gegründet und abgegrenzt worden.
Ziel der alliierten Politik war — und wir müssen uns dessen heute erinnern, wenn wir an ein großes Reformwerk herangehen wollen —, Deutschland für immer zu schwächen, die Deutschen untereinander auf Grund des deutschen Erbübels partikularistischer Bestrebungen zu entzweien und insbesondere jegliche Zentralgewalt zu beseitigen. Als eine der stärksten Kraftquellen des Reiches sah man seine wohlfunktionierende Reichsfinanzverwaltung an, die 1919 nach einem verlorenen Krieg zur Stärkung dieses armen, darniederliegenden deutschen Volkes von Erzberger erdacht und von der Weimarer Nationalversammlung eingeführt wurde. Die Weimarer Nationalversammlung wußte, was zur Zusammenfassung der Kräfte not tat. Die Alliierten wußten 1946 infolgedessen auch, was zur Zerschlagung der deutschen Kraft notwendig war. 1949 wurde — auch das wollen wir nicht vergessen — als Ergebnis des inzwischen ausgebrochenen amerikanisch-russischen Konflikts in den westlichen drei Besatzungszonen die Bundesrepublik gegründet. Und nun kommen wir her und machen aus dieser Not der Besatzungsjahre eine Tugend,
nun erklären wir, diese Länder, die da ad hoc und
zufällig nach Autobahngesichtspunkten und was
weiß ich geschaffen worden sind, seien echte Länder, welche Glieder einer Föderation sein könnten!
Das ist der politische Ausgangspunkt, den wir bei der kritischen Betrachtung des vorliegenden Reformwerks nicht außer acht lassen dürfen.
Das Reformwerk enthält mit den ausführlichen Begründungen, Berechnungen, Tabellen, der Stellungnahme des Bundesrats und der Antwort der
Bundesregierung 422 eng bedruckte DIN A 4-Seiten. Rechnen Sie für die Lektüre — sie liest sich ja nur an einigen Stellen wie ein Roman, aber teilweise liest sie sich tatsächlich wie ein Roman, wie ein guter Roman — zehn Minuten pro Seite, dann brauchen Sie volle 70 Stunden, um dieses Werk durchzuarbeiten. Sind Sie vorzüglich in der Materie zu Hause und außerdem mit der Korfschen Brille ausgestattet, können Sie also diagonal lesen, dann brauchen Sie doch 35 bis 40 Stunden als Minimum für die Lektüre dieses Werkes.
Die historischen Darlegungen — ich gebe Kollegen Dresbach in allem, was er hierzu gesagt hat, vollkommen recht — sind ausgezeichnet, die Berechnungen sind gut, die Überlegungen sind scharfsinnig. Aber eines habe ich bei Ihnen vermißt, Herr Dresbach. In der Begründung zu den Reformwerken sieht man, wieviel klare Erkenntnis von der Fehlerhaftigkeit unserer Finanzverfassung vorhanden ist, die implizite bei der gesamten Begründung, explizite an manchen Stellen zum Ausdruck kommt, so daß ich also doch sagen muß: das Bundesfinanzministerium ist ein bißchen besser als sein Ruf in bezug auf die Erkenntnis vom Übel unserer Finanzverfassung. Es ist sehr interessant: wenn man in diesen Begründungen scharfe und klare Darlegungen liest, die so gehalten sind, daß man glaubt, jetzt kommt „also müssen wir die Sache ändern", dann folgt der schöne Satz:,, Dennoch hat sich die Bundesregierung entschlossen, das so oder so beizubehalten", nämlich den alten Schlendrian weiterzumachen,
ja um Gottes willen nichts zu ändern, weil die Bundesregierung glaubt, dem föderalistischen Gedanken zu dienen. Sie dient ihm nicht — ich werde das noch ausführen —, sie schadet ihm.
Wir wollen zunächst einmal betrachten, was im Reformwerk geregelt ist, und dann überlegen, was im Reformwerk nicht geregelt ist. Ich kann mich in diesem Punkt ziemlich kurz fassen, weil ich nichts von dem wiederholen möchte, was Kollege Dresbach gesagt hat.
— Ich habe Sie gerne vorgelassen, da Sie mich darum gebeten hatten. Ich bin nun in der unglücklichen Lage, Ihnen eigentlich nur zustimmen zu können.
Es wäre ja viel netter gewesen, wir wären in ein ordentliches Gespräch gekommen, welches von verschiedenen Gesichtspunkten ausgeht.
Daß die größte Oppositionspartei und die größte Regierungspartei sich in dieser Grundfrage einig sind, ist frappierend. Das heißt, wenn wir uns nachher im genauen die Sache ansehen, Herr Dresbach, dann wird die Einigkeit ja nicht so groß sein; denn der Herr Bundesfinanzminister gehört ja schließlich auch zu dieser größten Regierungspartei, wenn auch zu ihrem königlich-bayerischen Flügel.
Ich will also die Artikel 106 a und b im einzelnen nicht erörtern. Nur, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie da einfach den Begriff der Finanzmonopole in Art. 106 eingeschmuggelt haben, damit sollen Sie nicht durchkommen. Im alten Art. 106 stand: „der Ertrag der Monopole"; in den Art. 105 und
108 steht „Finanzmonopole" in ganz anderem Zusammenhang. Nein, damit lassen wir Sie nicht
durch! Ich werde das im Ausschuß näher ausführen.
Neu ist der Begriff der gemeinschaftlichen Steuern, die Erklärung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zu einer gemeinschaftlichen Steuer in Art. 106 c. Allerdings geht der Entwurf auch hier nicht bis zum Ende. Er hat den Begriff nicht zu Ende gedacht und hat die Konsequenzen, die man aus der gemeinschaftlichen Steuer ziehen müßte, nicht gezogen. Er hat sich damit begnügt, den Begriff zu statuieren, das Verhältnis 40 zu 60 festzulegen und eine Ergänzungsabgabe einzuführen. Ich frage Sie: Wo in aller Welt wird über die Verteilung einer Steuer ein Prozentsatz in der Verfassung festgelegt?
Was haben Sie überhaupt alles hineingebracht! Der Art. 106 hatte bisher vier ordentliche Absätze. Der erste regelte die Bundeszuständigkeit, die Steuerertragshoheit des Bundes für Zölle, Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern mit Ausnahme der Biersteuer. Der Abs. 2 regelte die Landessteuern, und der Abs. 3 gab die Möglichkeit zu einem vertikalen Finanzausgleich, von der unter gewaltsamer Interpretation dieses Abs. 3 in den letzten Jahren Gebrauch gemacht worden ist. Abs. 4 regelte den horizontalen Finanzausgleich. Aber die Festlegung des Bundesanteils mit 40 zu 60 und die Einführung der Ergänzungsabgabe sind des Pudels Kern des gesamten Reformwerkes. Ein großer Aufwand wird vertan, um zu verdecken, daß die gesamte Finanzverfassungsreform, so wie sie dem Herrn Bundesfinanzminister vorschwebt, nichts anderes als die unzulängliche Regelung des Finanzausgleichsproblemes darstellt. Das ist für eine Finanzverfassungsreform, die mit so großen Worten angekündigt worden ist, ein bißchen mager.
Das Ziel einer solchen Reform, und zwar hier einer Reform der Steuerertragshoheit, müßte doch sein, die Steuern dahin zu geben, wohin sie steuerwirtschaftlich tendieren. Demnach dürfen Landessteuern nur solche Steuern sein, die an das Land gebunden sind. Steuern, die überlandlichen Charakter haben, müssen Bundessteuern sein. Hier fehlt im Gesetzestext — nicht in den Begründungen — des Reformwerkes jede Überlegung, obgleich auf dem Gebiet fast aller Steuern, die als Landessteuern deklariert sind, trübe Erfahrungen der letzten Jahre vorliegen, seitdem die einheitliche Reichsfinanzverwaltung zerschlagen ist. Steuersystematisch müssen z. B. die kleinen Verkehrsteuern, etwa die Versicherungsteuer und die Kapitalverkehrsteuern, ihres überregionalen Charakters wegen ebenso behandelt werden wie die Umsatzsteuer. Sie müssen also dem Bund zufließen. Dasselbe gilt in gewissem Grade für die Erbschaftsteuer. Hier tauchen zahlreiche Probleme auf, wenn der Erblasser in dem einen, der Erbe in dem anderen Lande lebt oder wenn der Erbe eine Körperschaft ist. Bei der Vermögensteuer z. B., die Landessteuer ist, fallen Steuerobjekt und Steuergläubiger auseinander. Steuerobjekt ist das Vermögen, Steuergläubiger aber nicht das Land, in dem sich das Vermögen befindet, sondern das, in dem der Eigentümer seinen gesetzlichen Wohnsitz hat. Die bisherige Regelung — ich will deren Kompliziertheit nicht weiter ausführen — war aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung innerhalb der alten Reichsfinanzverwaltung richtig. Jetzt behält man diese Regelung aus Gründen der Verwaltungskomplizierung bei.
Nota bene: Die Vermögensteuer wird auch im Katalog des Art. 106 b als Landessteuer bestätigt. Im Finanzanpassungsgesetz wird dann ganz schlicht gesagt, daß die Vermögensteuer für 25 Jahre dem Lastenausgleichsfonds zufließen soll, wenigstens bis zum Aufkommen von 1785 Millionen DM, was ja bisher noch nicht erreicht worden ist.
Also wohin man schaut, findet man Unklarheiten und stellt fest, daß das Reformwerk im Gesetzgebungstext nicht zu Ende gedacht ist. Ich habe das eben nur angedeutet; der Finanz- und Steuerausschuß wird sich damit noch eingehender zu befassen haben. Gibt man Steuern von überregionaler Bedeutung dem Bund, dann sollte man, solange wir Bund und Länder haben, den Ländern einen angemessenen Teil der Umsatzsteuer geben. Die Gründe, warum die Länder, zum mindesten gewisse Länder, dies nicht wollen, hat der Kollege Dresbach zutreffend angedeutet.
Noch ein Wort zur Ergänzungsabgabe. Die Wirkungen der Steuerreform — Drucksache 481 — werden ja zum Teil durch die Einführung der Ergänzungsabgabe wieder aufgehoben, die in Wirklichkeit ein Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer ist, steuersystematisch aber eine neue Steuer darstellt, und zwar einseitig für den Bund. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: ich begrüße es selbstverständlich, daß nicht auch die Möglichkeit einer Ergänzungsabgabe für die Länder vorgesehen ist, obgleich sie systematisch und logisch hier hineingehörte. Würden wir aber eine Ergänzungsabgabe für die Länder schaffen, dann wären die reichen Länder in der Lage, auf die Erhebung einer solchen Ergänzungsabgabe zu verzichten, könnten aber einen Druck auf die armen Länder ausüben, ihre ohnehin schon kleine Steuerkraft noch stärker zu strapazieren. Insofern begrüßen wir den Entwurf.
Das Komische bei der ganzen Geschichte aber ist doch, daß der Bundesfinanzminister die Inanspruchnahme verfassungsrechtlich festlegen und dann noch eine Ergänzungsabgabe einführen will. Ist das nicht ein gewisser Widerspruch in sich? Man kann entweder das eine oder das andere tun.
Ach, der Herr Bundesfinanzminister sprach so nett von den „unschönen Verhandlungen" zwischen dem Bund und den Ländern. Der Herr Kollege Dresbach sprach ein bißchen realistischer von Viehhandelsgeschäften, um die Art der unschönen Verhandlungen etwas genauer zu charakterisieren. Ich möchte Sie doch mal fragen, Herr Kollege Dresbach: Glauben Sie denn wirklich, daß bei der Verabschiedung dieser Gesetze die unschönen Verhandlungen aufhören oder daß nicht vielmehr sofort im nächsten Jahre über die Revisionsklausel wieder „unschön" verhandelt werden wird? Glauben Sie nicht, daß im nächsten Jahre diese oder jene Bundesaufgabe kommen und neue Verhandlungen mit den Ländern nötig machen wird? Ich möchte fragen: Glaubt der Herr Bundesfinanzminister denn wirklich daran, daß das aufhören wird, oder hofft er es nur? Ich glaube, er hofft nur. Ich prophezeie nicht gern; in diesem Falle kann ich es: Die Hoffnung wird zuschanden werden.
— Sie ist ein schwacher Punkt!
Die Ergänzungsabgabe bedeutet eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf eine direkte Steuer.
Damit lebt ein alter Kampf wieder auf. Die Ergänzungsabgabe hindert aber den Bund auch, was wir nicht übersehen wollen, daran, leichtfertig eine Erhöhung der indirekten Steuern vorzuschlagen. Das ist ein Vorteil.
Nun ein Wort zu Art. 106 f, der die neue Form des horizontalen Finanzausgleichs statuiert. Wenn wir uns über Finanzausgleichsprobleme unter den Ländern unterhalten, müssen wir uns daran erinnern, wie diese Länder 1946 aussahen. Damals wirkten sich noch krasse Unterschiede in der Agrarproduktion aus, so daß beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder in Hamburg Hungersnot herrschte, während in gewissen anderen Ländern, z. B. in Bayern, relativ gute Ernährungsmöglichkeiten waren. Auch die verschiedenen Ausstattungen mit Industriekapazität wirkten sich zu jener Zeit noch krasser für die unmittelbare Versorgung der Bevölkerung aus.
Wir haben nach wie vor eine krasse Unterschiedlichkeit zwischen Bevölkerungszahl und Wirtschaftskapazität und damit zwischen der Wirtschaftskraft und der Steuerkraft der einzelnen Länder. Das Steueraufkommen pro Kopf der Bevölkerung ist im reichsten Land der Bundesrepublik etwa fünfmal so groß als im ärmsten. Das ärmste Land Schleswig-Holstein liegt mit seinem Steueraufkommen pro Kopf etwa bei 50 % des Bundesdurchschnitts. Die wohlhabenden Länder liegen bei 140 %. Das sind wirklich ganz unmögliche Zustände. Die Wirtschaft in den Ländern wird immer unterschiedlicher. Die Entwicklung geht dahin, daß die westdeutschen Industrieländer mit ihrer gewaltigen Industriekraft Menschen, Kapital und Betriebe aus den armen Ländern anziehen. So werden also — hier ist der Ausspruch am Platze — infolge der gegenwärtigen Finanzverfassung die armen Länder immer ärmer und die reichen Länder immer reicher. Das ist durch keinen Finanzausgleich aus der Welt zu schaffen.
Vorgestern bekam ich eine neue Denkschrift des Instituts für Raumforschung in Bad Godesberg mit ausgezeichneten, instruktiven Wirtschafts- und Bevölkerungskarten. Auf jeder Karte können Sie das West-Ost-Gefälle der deutschen Wirtschaft erkennen. Von diesem West-Ost-Gefälle droht unserem Staatswesen Gefahr. Wir werden darüber in der nächsten Woche bei der Behandlung der Anträge bezüglich der Zonenrandgebiete erneut zu sprechen haben.
Wir kommen zu einem echten Finanzausgleich nur dann, wenn die Länder in sich besser ausgewogen sind. Und das läßt sich beim gegenwärtigen Zustand nicht erreichen. Infolgedessen müssen wir mit Ernst darangehen, den Auftrag des Art. 29 des Grundgesetzes, nämlich die territoriale Neugliederung des Bundes, in Angriff zu nehmen. Das ist eine Bundesaufgabe. Indem ich die Forderung ausspreche, weiß ich, wie schwer die Lösung zu finden sein wird. Aber soll man vor den Schwierigkeiten von vornherein kapitulieren? Soll man wie der Herr Bundesfinanzminister von vornherein sagen: Ich weiß ja, daß ich die Zustimmung der Länder nicht kriege, ich weiß ja, daß ich die Zustimmung der Besatzungsmächte zu einer Herabsetzung der Besatzungskosten nicht kriege; infolgedessen versuche ich es gar nicht. Nun, man hat solche Dinge zu versuchen, und wenn man versucht, hat ein solcher Versuch, wohlbegründet und -fundiert vorgetragen, auch den Keim zum Erfolge in sich. Bis dahin aber muß man sich mit einem
notdürftigen System des Finanzausgleichs begnügen. Und da scheint mir Troegers Vorschlag sehr bemerkenswert, der meint, daß die Länder bis zu 75 % Steuerkraft des Bundesdurchschnitts vom Bund auf diese 75 % gehoben werden sollten und daß dann erst zwischen 75 und 95 % — es wird sich ja über die Prozentsätze noch reden lassen — ein horizontaler Länderfinanzausgleich eintreten sollte. Mir scheint der Gedanke gut. Das bisherige Finanzausgleichssystem und das künftige Finanzausgleichssystem nach den jetzt vorliegenden Reformwerken werden keine Abhilfe schaffen. Jeder Finanzausgleich, den wir in den letzten Jahren vorgenommen haben, war nichts als ein Pflaster auf eine nie heilende Wunde. Es kommt aber darauf an, die Wunde nun endlich mal richtig zu behandeln.
Dem Finanzverfassungsgesetz folgt das Finanzanpassungsgesetz — ein großer Name für eine weniger große Sache. Sie hat aber ein paar ganz interessante Inhalte. Das Finanzanpassungsgesetz
— Herr Dresbach hat es ja auch schon gesagt, aber ich will es mit ein bißchen anderen Worten sagen — bestimmt ja — Sie bekannten sich positiv zu dem Grundsatz —, daß auf dem Gebiete der Steuer- und Zollverwaltung eine Beteiligung des Bundes an den Ausgaben der Länder und Gemeinden entfällt und umgekehrt — Gerechtigkeit muß ja sein
— auch eine Beteiligung der Länder und Gemeinden an den Ausgaben des Bundes. Ein schöner Grundsatz! Wer wollte dazu nicht ja sagen? Hätten wir einen wirklichen Föderalismus, würde ich sagen: Ja, ausgezeichneter Grundsatz! Wie sieht es aber in der Wirklichkeit aus? Die Länder verwalten rund 10 000 Millionen DM Umsatzsteuer für den Bund und sie verwalten runde 5000 Millionen DM Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, also runde 15 000 Millionen oder 15 Milliarden DM. Dafür bekämen sie nach altem Väterbrauch und Sitte 2 % Inkassoprovision, wären 300 Millionen DM: werden gestrichen. Der Bund aber, der hier als völlig gleichwertig dargestellt wird, verwaltet für die Länder die Biersteuer. Aus! Die Biersteuer hat ein Aufkommen von rund 300 Millionen DM, und da wären 2 % 6 Millionen DM. Es stünden sich also 300 Millionen DM Kostenersatz für die Länder und 6 Millionen DM Kostenersatz für den Bund gegenüber.
Ich habe das deshalb einmal gesagt, weil man bei allen diesen Dingen — ich könnte Ihnen noch Dutzende von Beispielen bringen —, wo man hineingreift in dieses groß angekündigte Reformwerk, auf solche „Unschönheiten" stößt, um mich einmal zurückhaltend und freundlich auszudrücken. Vielleicht meint der Bundesfinanzminister in seinem tiefsten Herzen — ich will ihn jetzt nicht ansehen —,
vielleicht meint der Bundesfinanzminister im allertiefsten Herzen: Nun ja, wenn die Länder Föderalismus haben wollen, dann sollen sie auch bezahlen.
— Ich muß doch mal vorsichtig hinübergucken!
Bei den Kriegsfolgeleistungen sieht das Finanzanpassungsgesetz etwas Gutes vor. Es führt für gewisse Kriegsfolgeleistungen, bei denen der Bund die Mittel aufbringt, die Länder und Gemeinden die Mittel aber verwalten, eine Interessenquote ein. Ich habe die Einführung der Interessenquote — sie ist ja etwas Neues in der finanzwirtschaftlichen Praxis — sehr begrüßt. Sie ist im Ersten Überleitungsgesetz eingeführt worden. Ich habe sie damals begrüßt, und ich begrüße sie auch jetzt, weil damit eine sinnvollere Verwaltung der Bundesmittel ermöglicht wird. Ich meine, man soll auch für den großen Teil der Kriegsfolgeleistungen, den die Länder für den Bund verwalten, es bejahen, daß jetzt an die Stelle des bisherigen, ungeheuer komplizierten Abrechnungsverfahrens eine Pauschalierung treten soll. Das ist eine Verwaltungsvereinfachung, und es ist ein Erziehungsmoment für die Länder darin. Das ist zu begrüßen.
Ich wünsche überhaupt, daß der Bund eine stärkere Stellung bekommt; denn nach dem Grundgesetz — Art. 120, Art. 131 — und nach zahlreichen Gesetzen, die wir hier beschlossen haben — bis zu der Regelung der Auslandsschulden —, hat der Bund immer stärkere Aufwendungen zu leisten, und er muß infolgedessen finanziell so gesichert werden, daß er seinen Aufgaben nachkommen kann. Dem Grundsatz stimmen wir vorbehaltlos zu; nur den Mitteln, mit denen die Bundesregierung das Ziel zu erreichen sucht, kann man nicht zustimmen. Wir wollen dem Bunde geben, was des Bundes ist:
Dem Bunde — auch das muß einmal gesagt werden — sind ja in vielen Dingen einfach die Hände gebunden: Die Länder verwalten gute 5 Milliarden an Bundesmitteln für den Bund, ohne daß der Bund — Herr Dresbach hat schon darauf hingewiesen — ein Weisungsrecht oder gar ein Kontrollrecht hätte. Manche Länder sind nicht einmal geneigt, dem Bunde überhaupt einen Einblick zu geben, einen Einblick, der unter Privaten, die so wichtige Treuhändergeschäfte füreinander ausüben würden, auch ohne eine gesetzliche Regelung selbstverständlich wäre. Aber man beruft sich immer auf den Buchstaben des Gesetzes. Man ist überhaupt in der ganzen Frage unserer Finanzverfassung und ihrer Auslegung so gräßlich engherzig und formal. Man sieht nicht das Wesen der Sache, sondern man klebt am Wort.
Die Wirklichkeit unserer Staatspraxis sieht so aus — und diese Wirklichkeit ist fürchterlich —: als Auswirkung unserer Finanzverfassung gibt es Konferenzen der Länder untereinander, Konferenzen der Referenten aller Ministerien der Länder untereinander, Konferenzen aller Referenten der Länderministerien mit den entsprechenden Referenten der Bundesministerien, Konferenzen der Minister —, alles das liegt v o r dem Bundesrat! Und das bedeutet: Briefe, Telegramme, Fernschreiben, Konferenzen, — Leerlauf, Leerlauf, Leerlauf, den der Steuerzahler erdulden muß, und Kosten, Kosten, Kosten, die der Steuerzahler bezahlen muß.
Interessanterweise interessiert sich aber der Steuerzahler für dieses System überhaupt nicht.
Ich habe gesagt: wir wollen zunächst untersuchen, ob das Reformwerk die Möglichkeiten zur Neuordnung, die Art. 107 des Grundgesetzes gibt, genutzt hat. Ergebnis: es hat sie nicht genutzt! Jedenfalls hat der Regierungsentwurf den Art. 107 verfassungstheoretisch, und zwar sehr eng und sehr formal ausgelegt.
Man erinnere sich, wie dieses Grundgesetz zustande gekommen ist. Die Alliierten erhoben gegen die vom Parlamentarischen Rat sinnvoll gestaltete
Ordnung unserer Finanzverfassung Einspruch. Das brachte neue Verhandlungen mit sich, die Verhandlungen brachten Zeitverlust mit sich, und schließlich mußte das Grundgesetz verabschiedet werden, ohne daß überhaupt eine Generalredaktion stattgefunden hatte. So ist der Art. 107, der die Reform der Steuerverteilung ausdrücklich von den Aufgaben her einleiten will, hinter dem Art. 106 stehengeblieben und nicht hinter den Art. 108 gesetzt worden, wo er hingehört und wo er, des bin ich überzeugt, zweifellos hingekommen wäre, wenn nicht das Grundgesetz unter solchem Zeitdruck verabschiedet worden wäre. Stünde er hinter Art. 108, wo er hingehört, dann könnten die Verfassungstheoretiker es sich ein bißchen bequemer machen. So aber richten sie sich, vom Bundesfinanzminister angefangen bis zu den Finanzreferenten der Länder, nach dem Buchstaben des Gesetzes, so, wie sie ihn auslegen. Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig!
Deshalb ist es meines Erachtens unumgänglich, über die verfassungstheoretischen Spekulationen hinaus eine kurze verfassungspolitische Überlegung anzustellen.
Der Grundgesetzgeber hatte seine Aufgabe in bezug auf die Finanzverfassung richtig erkannt, sie aber wegen des Einspruchs der Alliierten nicht durchführen können. Der Grundgesetzgeber hat also in bezug auf die Finanzverfassung objektiv versagt. Der Bundesgesetzgeber hätte, auf den traurigen Erfahrungen der letzten Jahre fußend, nunmehr die Verpflichtung, das Verfehlte in unserer Finanzverfassung in Ordnung zu bringen.
Warum klammert sich die Regierung jammernd an ihre verfassungstheoretischen Überlegungen nach Art. 107, sie könne ja nur ein Gesetz mit einfacher Mehrheit machen? Warum zieht die Bundesregierung aus den unerträglichen Verhältnissen zwischen Bund und Ländern nicht die Konsequenz, dem Bundestag ein Gesetz vorzulegen, welches verfassungsändernden Charakter hat? Hier könnten Sie, meine verehrten Kollegen, einmal etwas tun mit Ihrer schönen Mehrheit, die Ihnen das Wahlergebnis vom 6. September vorigen Jahres gebracht hat. Falls die Koalition sich auch in diesem Punkte nicht ganz einig sein sollte,
so darf ich erklären, daß die Opposition 160 gewichtige Stimmen für eine sinnvolle Ordnung unseres öffentlichen Lebens in die Waagschale zu werfen hat.
Meine Damen und Herren! Machen Sie Gebrauch von dieser Möglichkeit, die die Opposition Ihnen bietet!
Ich greife noch kurz zwei Gesichtspunkte heraus. Die Gemeinden und die Gemeindeverbände hatten in der Weimarer Republik die Stellung, die ihnen gebührt. Im Parlamentarischen Rat haben sich die zu wenigen Männer mit kommunalpolitischer Erfahrung nicht durchsetzen können. Sie brauchen sich nur einmal die Zusammensetzung des Parlamentarischen Rats anzusehen, um zu sehen, daß die Männer des Parlamentarischen Rates den Sinn, die Verpflichtung, die Aufgabe, die die Gemeinden in unserem öffentlichen Leben haben, nicht erkannt haben. In der Weimarer Republik waren die Gemeinden gesichert; im Grundgesetz sind sie die
Stiefkinder des Bundes. Das große Reformwerk bringt es ja nicht einmal fertig, im Katalog bei Art. 107 b die Realsteuern und die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis, also die Getränkesteuer, die Vergnügungsteuer, die Hundesteuer, zu Gemeindesteuern zu erklären. Sie sollen nach wie vor Ländersteuern bleiben, weil angeblich Art. 107 den Auftrag nicht zuläßt, die Gemeinden zu echten Partnern des Finanzausgleichs zu machen. Das Reformwerk bringt es noch viel weniger fertig, die von den Gemeinden und Kreisen und ihren kommunalen Spitzenverbänden so dringend geforderte steuerliche Verbundwirtschaft einzuführen. Jede Änderung unserer Finanzverfassung aber muß darauf ausgehen, den Dualismus zwischen Bund und Ländern durch eine gute und gerechte Regelung der Zuständigkeiten beider zu beseitigen.
Zu diesem Problem hat wohl Popitz das wissenschaftlich Fundierteste und praktisch Klügste gesagt. Ich möchte immer wieder sagen: bei Popitz — nicht nur in seinem Buch „Der Finanzausgleich", sondern auch in einer Reihe von anderen Beiträgen — sind die Grundgedanken eines echten Finanzausgleichs auch in einem föderativen Staat großartig und bis heute noch nicht überholt dargestellt. Popitz kommt zu dem Ergebnis, daß die wahren Partner im Finanzausgleich der Staat, vorgestellt durch das Reich und die Länder, auf der einen Seite und die Gemeinden und Gemeindeverbände auf der anderen Seite seien. Auf heute übertragen, heißt das: Bund und Länder als eine Einheit bilden zusammen den Staat. Meine Damen und Herren! Wer von den Verantwortlichen im Bund und den Verantwortlichen in den Ländern hat heute eine Vorstellung von dieser Einheit, gemeinsam Staat bilden zu wollen! Wer hat bei dem Länderegoismus und Ressortpatriotismus überhaupt noch ein Bedürfnis nach einer solchen Einheit!
Die Weimarer Verfassung hat ein blühendes Leben der Gemeinden ermöglicht; das Grundgesetz ermordet sie. Das Grundgesetz weint in seinem Reformwerk den Gemeinden keine Träne nach; aber es trocknet auch keine Träne der Gemeinden. Wir müssen deshalb uns der Gemeinden annehmen.
Nun noch ein Wort zur Bundesfinanzverwaltung. Der Bundesfinanzminister sagt: „Die können wir eben nicht machen; das Grundgesetz gibt uns keine Möglichkeit." Er tut so, als ob dieses Grundgesetz eine gottgewollte Ordnung wäre und eine gottgewollte Ordnung geschaffen hätte. Dieses Grundgesetz ist nicht von Gott, sondern von Menschen, und es ist abänderlich wie alles, was von Menschen gemacht ist.
Die Regelung der Steuerverwaltungshoheit im Grundgesetz ist so mangelhaft, daß immer wieder während des ersten Deutschen Bundestages auf die Notwendigkeit einer Änderung hingewiesen worden ist. Die FDP und die SPD haben die Einführung einer Bundesfinanzverwaltung zu ihrem Anliegen gemacht. Aber der Bundesfinanzminister hat es immer wieder fertig bekommen, die Zweidrittelmehrheit für eine solche vernünftige Regelung zu verhindern. Ich will die Diskussion darüber nicht fortführen,
obwohl die Debatte heute sehr schönen Anlaß gegeben hätte, zu diesem Thema mehr zu sagen. — Kollege Heiland, ich habe Sie nicht verstanden.
— Ja, die CSU hat im Parlamentarischen Rat ja manches durchgesetzt — einiges darf ich nicht sagen —,
hat ja manches durchgesetzt, damit sie für das Grundgesetz stimmen wollte, und nachher hat sie gegen das Grundgesetz gestimmt, und es ist dann doch so geblieben.
— Die Sozialdemokraten in Bayern sind auch Bayern; das interessiert hier nicht.
— Die SPD in Bayern mag tun, was sie in Bayern für notwendig hält. Aber seien Sie davon überzeugt: wir tun, was nach unserer Auffassung im Bund nötig ist.
Ich will nur einen Sachverständigen zitieren, den wir im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen gehört haben, den Mann, der am stärksten als Mitarbeiter Erzbergers an der Einführung der Bundesfinanzverwaltung beteiligt war, den Oberfinanzpräsidenten a. D. Dr. Carl. Er sagte : Ein privates Wirtschaftsunternehmen, das sich eine solche Organisation leisten würde wie die Finanzverwaltung vor 1919 und nach 1945, wäre schon in Normalzeiten, geschweige denn in Krisenzeiten, nicht lebensfähig gewesen. Nur der Bund leistet sich das. Ich möchte fragen: Warum interessieren sich die Steuerzahler denn immer nur für das, was sie unmittelbar aus ihrem Portemonnaie zu zahlen haben? Warum interessieren sie sich nicht für das, was von ihren Steuergroschen in dem übersetzten Verwaltungsapparat, der durch diesen Föderalismus notwendig ist, durch diese Konferenzen, die ich gekennzeichnet habe, durch diesen ganzen Leerlauf und die Reibungsverluste vergeudet wird? Das sind doch genau so gut Steuermittel!
Warum interessieren sich die Politiker auch ganz überwiegend nur für eine Steuerreform und nicht für eine wirkliche Finanzreform? Die Politiker haben sich daran gewöhnt, in Prozentsätzen zu denken. Ich habe das neulich schon einmal zum Haushalt gesagt. Deshalb meinen sie, was unter 10 % liege — und mehr käme ja nie dabei heraus —, sei nicht mehr interessant. Wer so denkt, wer die Million überhaupt nicht mehr einzuschätzen weiß, der kann Finanzreform nicht betreiben wollen,
und wer die Million nicht ehrt, ist der Milliarde nicht wert.
Nun sagt der Bundesfinanzminister, wir müßten Föderalisten sein, und er legt ein neues Bekenntnis zum Föderalismus ab. Ich möchte ihm antworten, daß die Unhaltbarkeit unserer Finanzverfassung ja nicht darauf beruht, daß wir einen Föderalismus haben, sondern darauf, daß wir keinen echt en Föderalismus haben. Die Unhaltbarkeit unserer Bundesfinanzverfassung ist heute durch die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers doch wieder bewiesen worden.
Nach der Meinung des Herrn Bundesfinanzministers sind die Bayern die einzigen Föderalisten. Ich habe schon vorhin gesagt, daß ich anerkenne, daß in den Bayern ein echtes Staatsgefühl lebt, und insofern nehmen die Bayern und nimmt das Land Bayern eine Sonderstellung unter den deutschen Ländern ein. Wenn aber der Föderalismus das richtige Prinzip für unsere staatliche Ordnung ist und wenn die Bayern den Föderalismus in Reinkultur entwickelt haben, dann hätten die Bayern einschließlich ihres Abgeordneten aus Passau die Verpflichtung, uns einen anständigen Föderalismus vorzuleben.
Man dient dem Föderalismus nicht, wenn man immer nur Forderungen stellt, wenn man besondere Vorteile, besondere Belange für sich in Anspruch nimmt. Föderalist sein heißt, sich als dienendes Glied dem Ganzen einzufügen. Im Begriff des Föderalismus liegt do h, daß die Föderation, das höhere Ganze von Einzelgliedern, organisch aufeinander abgestimmt sein soll. Die Länder — ich spreche jetzt nicht von Bayern, sondern von der Gesamtheit unserer Länder — sind keine Föderalisten. Sie sind Ressortpatrioten, sie sind Partikularisten. Im wahren Föderalismus liegt immer ein zentripetales Element, das dem Ganzen dienen will; im Partikularismus wirken sich zentrifugale Kräfte aus.
Die Bundesregierung hat in ihrem Reformwerk die Diskrepanz zwischen Steuerertragshoheit und Steuerverwaltungshoheit vermeiden wollen. Sie hat nicht gewünscht, daß man es merkt, denn sie hat mit Recht nicht geglaubt, daß die eingehenden Begründungen studiert werden, in denen zwar alles steht.
Die Bundesregierung hätte sich zu einem großen Reformwerk durchringen müssen, und sie hätte die Reibungen in Kauf nehmen sollen, um die Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Systems noch deutlicher werden zu lassen. Aber die Bundesregierung unternimmt den Versuch, auf Grund des Unhaltbaren ein System zu errichten, um das Unhaltbare zu erhalten. Die Bundesregierung kuriert an Symptomen, ohne überhaupt den Versuch zu machen, dem Übel an die Wurzel zu gehen. Sie treibt mit diesem Reformwerk keine echte Finanzpolitik, sondern eine finanzpolitische Bastelei.
Der Bundesfinanzminister hat heute die Länder geradezu zum Widerspruch aufgefordert. Er sagte: Na, Sie machen ja doch nicht mit! Versuchen wir's doch! Weiter sagt er, die Politik sei die Kunst des Möglichen. Jawohl, sie ist die Kunst des Möglichen, aber ich füge hinzu: im Hinblick auf das Notwendige, und wenn wir nicht versuchen, das Notwendige zu gestalten und auch unmöglich Scheinendes in Angriff zu nehmen, dann sind wir nicht wert, daß wir hier sitzen und die Belange des deutschen Volkes vertreten.
Wo ist nun das Gesetzgebungswerk von wahrhaft großer, ja vielleicht geschichtlicher Bedeutung? Ich habe von Größe nichts entdeckt. Was ich positiv zu sagen hatte zum Inhalt und zur Form der Erläuterungen, habe ich gesagt. Ich möchte gern, daß die Dinge nicht nur in Dresbachschen und einigen anderen Bücherschränken sind, sondern daß ein solches Werk als ein wissenschaftlich wertvolles Werk auch im Buchhandel erscheint, vielleicht in der Form eines Kommentars oder wie man es sich sonst vorstellt.
Das Wort hat nun der Bundestag, und die Aufgabe des Bundestags ist es, eine befriedigende Lösung zu finden, nachdem die Bundesregierung keine befriedigende Lösung vorschlagen konnte. Der Bundestag sollte bei seinen Überlegungen nicht zunächst auf das schauen, was vielleicht die Länder dazu sagen, sondern auf das, was das deutsche Volk vom Deutschen Bundestag erwartet. Natürlich wissen wir alle, daß eine wirklich durchgreifende Ordnung unseres staatlichen Lebens und somit auch eine wirklich durchgreifende Ordnung unserer Finanzverfassung in einem Fragmentstaatswesen nicht möglich ist, in einem Deutschland, dessen Ostgrenze an der Oder-Neiße liegt, in einem Staatswesen, dessen Ostgrenze faktisch bei Lübeck und Helmstedt verläuft. Um so größer aber ist unsere Aufgabe, in unserem Teile Deutschlands unsere öffentlichen Aufgaben so zu regeln, daß wir vor dem deutschen Volke und vor der Geschichte damit bestehen können.