Rede von
Prof. Dr.
Fritz
Hellwig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Diskussion um die Wirtschaftspolitik über einige Jahre hin verfolgt hat, der wird das abgewandelte Wort unterschreiben: „Mit Zahlen läßt sich trefflich streiten." Ich glaube, es ist kein erfreuliches Zeichen für den Stand unserer volkswirtschaftlichen Gesamterkenntnis, daß man sich gegenseitig irgendwelche Zahlen, die im Moment vielleicht überzeugend klingen, aber nicht bewiesen, auch nicht nachgeprüft werden können, an den Kopf wirft. Ich darf vielleicht hier nebenbei schon einflechten, daß wir zu einer Bereinigung des volkswirtschaftlichen Zahlenmaterials, insbesondere zu einer Verfeinerung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kommen sollten, ein Anliegen, das alle, die in der Wirtschafts- und Sozialpolitik mit Zahlen umzugehen haben, nur unterschreiben können. Wir bedauern, daß wir in dem Zahlenmaterial sowohl über die Wertung der Arbeitslosenziffern wie über die Lohnentwicklung, Realeinkommensentwicklung usw. noch nicht die sachliche Einstellung von beiden Seiten haben, wie sie etwa die Amerikaner seit vielen Jahren in bezug auf ihr Bureau of Labor Statistics haben und und das von dort gelieferte Material auch anerkennen.
Aber es sollte hier doch vor einigen Zahlen gewarnt werden, insbesondere vor Zahlen, wie sie etwa zur Kennzeichnung der Kohlenmarktlage gebracht worden sind. Natürlich, wenn ich für die Gesamtheit des Ruhrbergbaus eine Zahl addiere und hier ohne die internationalen Vergleiche vorbringe, dann ergibt sich für den, der die Zahlen im allgemeinen nicht kennt, eine überragende Größe. Wenn man dann aber einmal vergleicht, wie die Marktverhältnisse wirklich sind, dann schrumpft doch das, was hier an Befürchtungen ausgesprochen wurde, nicht unerheblich zusammen. Es ist von den Feierschichten und von der bedrohlichen Entwicklung der Haldenbestände gesprochen worden. Die Höhe der Haldenbestände im deutschen Steinkohlenbergbau erreicht bei Steinkohle etwa die Förderung von drei bis vier Tagen, während die Haldenbestände im Saargebiet die Förderung von sieben Tagen ausmachen und die Haldenbestände in Frankreich die Förderung von nahezu dreißig Tagen. Das ist das internationale Verhältnis, aus dem sich wohl eindeutig ergibt, daß zu einer beunruhigenden Beurteilung der Kohlenmarktlage für uns keine Veranlassung besteht. Es geht hier selbstverständlich nicht darum, etwa den Einkommensausfall, den eine Feierschicht bedeutet, zu bagatellisieren; aber man soll diese Dinge auch nicht dramatisieren, nicht überspitzen und erst damit unnötige Unruhe in die Bevölkerung hineinbringen.
Es ist von der ungünstigen Entwicklung des Kohlenmarktes gesprochen worden, insbesondere also davon, daß noch zuviel Kohle eingeführt würde und ähnliche Dinge mehr. Nun, die Einfuhr an Steinkohle war bei uns im Jahre 1953 um 20 % niedriger als im Jahre 1952, während die Ausfuhr von Steinkohle im gleichen Zeitraum um 14 % zugenommen hat. Mit anderen Worten: der gemeinsame Markt, der ja nun für Kohle schon geschaffen ist, hat sich in einer verstärkten Nachfrage und Hereinnahme von Ruhrkohle ausgewirkt. Demgegenüber ist bei uns die Einfuhr ausländischer Kohle zurückgegangen, und zwar trotz Zu-
nahme der Einfuhr von Saar- und Lothringenkohle nach Süddeutschland.
Wie verhält sich ein Förderausfall bei den jetzt eingetretenen Feierschichten etwa zur gesamten Leistung? Bei einer arbeitstäglichen Förderung von im Augenblick etwa 430 000 t bedeutet der durch die vereinzelten Feierschichten bisher eingetretene Förderausfall insgesamt etwa ein gutes Drittel einer Tagesförderung. Daß hier noch nicht von irgendwelchen nennenswerten Ausfällen gesprochen werden kann, ergibt sich doch wohl aus diesen Zahlen.
Ich darf auch darauf aufmerksam machen, daß die arbeitstägliche Förderleistung im deutschen Bergbau im Augenblick um 5 % über der des Vorjahres liegt, daß also im letzten Jahre noch eine deutliche Zunahme eingetreten ist, während etwa in Frankreich im gleichen Zeitraum ein Rückgang um 5 % zu verzeichnen ist. Der gemeinsame Markt ist tatsächlich der Ruhrkohle bisher wesentlich mehr zugute gekommen als der Kohle Frankreichs, der Saar und Belgiens.
Zu dem Thema Eisen und Stahl möchte ich nur auf einen Punkt aufmerksam machen: die Höhe der Einfuhr von Walzwerkerzeugnissen im Jahre 1952 und im Jahre 1953. Hier zeigt sich, wenn man es mit den Verhältnissen der dreißiger und zwanziger Jahre vergleicht, wieder die Rückkehr zu normalen Standort- und Lagebedingungen. Ich darf daran erinnern, daß etwa die Einfuhr von lothringischem Eisen oder von Eisen aus dem Saargebiet oder aus Luxemburg nach Süddeutschland in den letzten Jahren kaum eine Rolle gespielt hat, obwohl sie in den zwanziger und dreißiger Jahren mit weit über 1 Million t Eisen und Stahl jährlich auf dem deutschen Markt selbstverständlich ihren Platz hatte. Die Saar hat vor dem Kriege 1,3 Millionen t Eisen und Stahl auf dem deutschen Markt abgesetzt und im Jahre 1952 erst wieder knapp 200 000 t zum deutschen Markt gebracht.
Wenn hier durch den gemeinsamen Markt im Zuge der montanwirtschaftlichen Integration ein Zusammenwachsen der Märkte eintritt, dann werden auch diese ursprünglichen natürlichen Lieferbeziehungen, die ja nur durch politische Interventionen beeinträchtigt waren, wiederhergestellt werden.
Lassen Sie mich aber noch ein Wort zu der volkswirtschaftlichen Gesamtlage sagen, im besonderen im Hinblick auf das, was der Herr Kollege Kurlbaum erwähnte, als er die Berücksichtigung der wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte bei der Steuerreform verlangte. Ich glaube nicht, daß man sagen kann, das Unternehmereinkommen erfahre in der jetzigen Situation steuerlich eine stärkere Begünstigung bzw. würde eine solche durch die Steuerreform erfahren als das im wesentlichen für den Konsum bestimmte Masseneinkommen. Die volkswirtschaftliche Rechnung für das Jahr 1953 — —
— Ich spreche im Augenblick von der volkswirtschaftlichen Rechnung für das Jahr 1953 und nicht von den Rechnungen des Ifo-Instituts, sondern von den Berechnungen des Berliner Instituts für Konjunkturforschung und entsprechenden Angaben der Bank deutscher Länder. Danach ist unbestritten, daß das Masseneinkommen im vergangenen Jahre einen Anstieg um etwa 12% erfahren hat, während das Unternehmereinkommen, aus dem die Investitionen zu einem erheblichen Teil aufzubringen sind, einen Rückgang von 10 bis 11 % erfahren hat. Wir haben im vergangenen Jahre eine deutliche Verlagerung von für Investitionen bestimmten privaten Einkommen zu den für den Konsum bestimmten privaten Einkommen beobachten können.
Das hat sich auch in der unterschiedlichen Entwicklung der Investitionsgüterindustrie im Vergleich zur Konsumgüterindustrie im vergangenen Jahre gezeigt. Die Gesamtsituation soll nicht pessimistisch beurteilt werden. Daß das nicht notwendig ist, zeigt der enorme Anstieg und das Anlaufen der Investitionstätigkeit gerade in den letzten Wochen, insbesondere auch der nicht unbedeutende Rückgang der Arbeitslosenziffer. Es hat seit langem keinen Monat mehr gegeben, in dem der Rückgang der Arbeitslosenzahl um 600 000 — also. in einer derartigen Größenordnung innerhalb eines Monats — erreicht werden konnte.
Zum Abschluß noch ein kurzes Wort über das Wesentliche, das wir doch in der Wirtschaftspolitik sehen und worin wir uns doch wohl unterscheiden von dem, was aus den Reden einiger Herren der Opposition hervorging. Man kann die Qualität einer Wirtschaftspolitik nicht nach der Zahl von Paragraphen, Erlassen und Verordnungen bemessen, die sie hervorgebracht hat. Wir lehnen eben die Intervention als ein durchgängiges Mittel der Wirtschaftspolitik ab und beschränken die Interventionen des Staates auf die Bereiche, wo es unbedingt notwendig ist. Daher ist das absolut kein Gradmesser für die Qualität einer Wirtschaftspolitik.
Es wird davon gesprochen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister im Ausland herumreise und sich nicht so sehr im Sinne eines Behördenvorstehers betätige. Ich glaube, daß die Pflege und die Erschließung der Auslandsmärkte nicht nur im Augenblick, sondern auch in den vor uns liegenden Jahren die entscheidende wirtschaftspolitische Aufgabe ist.
Ich glaube, daß wir keinen besseren wirtschaftspolitischen Botschafter für unsere wirtschaftspolitischen Konzeptionen ins Ausland schicken können als den Herrn Bundeswirtschaftsminister.
— Ich glaube, Veranlassung zu dieser Feststellung hat Ihre Bemerkung gegeben, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nun so lange im Ausland herumfahre.
— Ich glaube, Sie können es in der Niederschrift nachlesen.
Jedenfalls habe ich es in diesem Sinne verstanden.
— Ich habe es in diesem Sinn verstanden, und ich glaube, Sie können es ruhig noch nachlesen.
Noch ein letzes Wort! Es ist über die sogenannten Teilkrisen gesprochen worden. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Teilkrisen geht auf Wirtschafts-
planungs- und Lenkungsmaßnahmen einer dirigistischen Wirtschaftsauffassung zurück und hat auch gerade auf der Ebene bestimmter Länder sehr viel mit wirtschaftspolitischen Initiativen aus Ihrem Freundeskreise zu tun. Wir haben hier an manchen Stellen das Problem der Überkapazitäten, die mit öffentlichen Darlehen und Krediten am Leben gehalten oder entwickelt worden sind. Wir haben auch, da gebe ich Ihnen völlig recht, das Problem der öffentlichen Hand als Auftraggeber und können nur immer wieder bedauern, daß die öffentliche Hand als Auftraggeber — siehe Bundesbahn — sich in ihrer Auftragsvergebung nicht so recht in den konjunkturellen Ablauf einzugliedern versteht, wie wir es im Interesse eines möglichst ausreichenden und vollen Beschäftigungsstandes anstreben. Aber diese Beobachtungen haben für uns zumindest zur Folge, daß wir nicht mehr
an die Zweckmäßigkeit einer Ausdehnung der öffentlichen Wirtschaft, der öffentlichen Kredit- und Darlehenspolitik und der Kapitalbildung bei der öffentlichen Hand glauben, wie es in Ihrem Parteiprogramm zur letzten Bundestagswahl allerdings noch zu sehen ist.