Vor allem ist es der Film, den wir leider weitgehend für die Zerstörung von Ehe und Familie mitverantwortlich machen müssen.
An einer anderen Stelle erklärte der Herr Bundesminister, nachdem er vorher zugegeben hatte, daß in der letzten Zeit auch gute Filme hergestellt worden sind:
Wir wissen aber auch, daß die Mehrzahl der Durchschnittsfilme das eheliche Leben in unwürdiger Weise auf die Leinwand bringt.
Meine Damen und Herren, wir halten es für notwendig, den Deutschen Bundestag mit dieser Rede zu befassen, nicht nur weil sie ungerechtfertigte Verallgemeinerungen enthält, die in dieser Form nicht zutreffen, sondern weil der Herr Bundesminister an seine Behauptungen auch Folgerungen knüpft, die tief in die Freiheit unseres geistigen und kulturellen Schaffens eingreifen. Unsere Große Anfrage wurde nachträglich noch mehr gerechtfertigt, als sich erwies, daß es sich bei der Rede des Herrn Dr. Wuermeling nicht um einen gelegentlichen Exzeß eines vielbeschäftigten Sonntagsredners handelt. Der Herr Bundesfamilienminister hat wesentliche Teile seiner Düsseldorfer Rede — vielleicht in Ermangelung anderer Aufgaben — später auch an anderem Orte wiederholt.
Wir haben uns in dieser Frage nicht deshalb zum Wort gemeldet, um den deutschen Film schlechthin zu verteidigen. Wir sind der Meinung, der deutsche Film ist durchaus nicht so gut, daß man an ihm nicht Kritik üben könnte; im Gegenteil!
Aber diese Kritik — und wir machen von der Freiheit der Kritik auch dem Film gegenüber Gebrauch, darauf können Sie sich verlassen — müßte an anderen Punkten angesetzt werden, als der Herr Bundesminister Wuermeling dies getan hat und tut. Sie müßte auch ein wenig die objektiven Schwierigkeiten in Betracht ziehen, die der deutsche Film zu überwinden hatte und noch heute zu überwinden hat und die darin gesucht werden können, daß das Naziregime den deutschen Film in einen Katastrophenzustand gebracht und in den Augen der Welt — und ich hoffe, auch in den Augen eines großen Teil des deutschen Volkes — diskreditiert hat. Man müßte aber auch die Schwierigkeiten berücksichtigen, die in einem Nachkriegsdeutschland entstanden sind, dem das alte Zentrum Berlin fehlt. Man müßte die wirtschaftlichen und auch die künstlerischen Schwierigkeiten berücksichtigen, die sich beim Film eingestellt haben, und man müßte auch berücksichtigen, daß es sich beim Film um ein Produkt handelt, das der Ausdruck sowohl künstlerischen Könnens als auch technischer Möglichkeiten ist, das zugleich aber auch eine Handelsware darstellt. Wir hätten zu diesem Thema sehr viel zu sagen. Aber da das Gesamtproblem des deutschen Films heute nicht Gegenstand der Beratungen sein kann, wollen wir darauf verzichten.
Betrachten wir uns einmal die Äußerungen des Herrn Bundesministers für Familienfragen etwas näher. Es ist objektiv unrichtig, daß „die Mehrzahl der deutschen Durchschnittsfilme" — wir haben leider sehr wenige Spitzenfilme und haben es fast nur mit Durchschnittsfilmen zu tun —. „das eheliche Leben in unwürdiger Weise auf die Leinwand bringt". Das ist selbst dann unrichtig, wenn man sich die sehr begrenzten Auffassungen des Herrn Dr. Wuermeling zu eigen machen wollte. Es ist aber auch unwahr und ungerecht, den Film weitgehend für die Zerstörung von Ehe und Familie verantwortlich zu machen. In dieser Frage müssen wir schon den deutschen Film in Schutz nehmen.
Der deutsche Film hat sich, wie Sie wissen, bezüglich seiner eigenen und bezüglich der Erzeugnisse fremder Länder der Freiwilligen Filmselbstkontrolle unterstellt. In dieser Einrichtung arbeiten alle Schichten des deutschen Volkes maßgeblich mit, und diese Einrichtung hat sich bisher segensreich ausgewirkt. Ich möchte nur auf eine Tatsache hinweisen, die beweist, daß die Freiwillige Filmselbstkontrolle wohl geeignet ist, Ausartungen beim Film entgegenzutreten. Im Jahre 1953 haben von 479 geprüften Filmen in- und ausländischer Produktion 117 Schnittauflagen erkalten. Wir müssen fragen: Hat der Herr Bundesfamilienminister Dr. Wuermeling keine Kenntnis von dieser Einrichtung? Das wäre schlimm. Oder stellt er seine Behauptungen trotz Kenntnis dieser Einrichtungen auf? Das wäre schlimmer,
Herr Dr. Wuermeling spricht bei jeder passen-
den und unpassenden Gelegenheit von der Zerstörung von Ehe und Familie. In welcher Welt lebt denn der Herr Dr. Wuermeling? Überlegen wir uns doch einmal, welchem Schicksal das deutsche Volk und auch die deutsche Familie in den letzten 20 Jahren unterworfen waren!
Da war die Nazizeit mit ihrer besonderen Moralauffassung. Dann kam der Krieg, keineswegs eine Zeit moralischen Aufschwungs, der oft in nur kurzen Urlaubswochen Ehen stiftete, bei denen zumindest der eine Teil den Tod vor Augen hatte und bei denen nicht immer nach dem Grundsatz gewählt wurde: Drum prüfe, wer sich ewig bindet! Es kamen der Zusammenbruch und die Nachkriegszeit mit der bitteren Schande der Schändungen. Es kam die Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer Heimat, bei der oft der Mann vom Weibe und das Kind von den Eltern gerissen wurden. Es kam das Leben von Millionen deutschen Menschen in Barackenlagern, wobei sich oft vor einem Dutzend und mehr Menschen das Leben von Ehe und Familie sozusagen in der Öffentlichkeit abspielte. Und dazu kam die Wohnung snot, die heute immer noch nicht überwunden ist.
Ziehen wir die Bilanz aus diesem schweren Schicksal des deutschen Volkes: Das deutsche Volk und mit ihm die deutsche Familie haben eine bewunderungswürdige moralische Widerstandskraft erwiesen.
Angesichts dieser Tatsache zögere ich nicht, zu erklären: Hut ab vor der deutschen Familie!
Hut ab auch vor der deutschen Jugend, die in ihrer übergroßen Mehrzahl in so hohem Maße ohne Schaden an Leib und Seele durch dieses Fegefeuer hindurchgegangen ist!
Meine Damen und Herren, wir stehen mit diesem Urteil nicht allein. In diesen Tagen hat Bischof Lilje dem Sinn nach das gleiche gesagt, und auch Professor Schelsky kam in seinen Untersuchungen der Probleme der Familie zu ähnlichen Schlüssen.
Ich erkläre: Bei jeder ernsten Bedrohung der deutschen Familie werden wir Sozialdemokraten die ersten bei der Abwehr der Gefahren sein.
Dazu brauchen wir keinen Bundesfamilienminister, auch nicht, wenn er Wuermeling heißt.
Wir haben das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland mit beschlossen, und wir stehen zu ihm. Es könnten sich manche an unserer Treue zu unserer Verfassung ein Beispiel nehmen.
Für uns ist auch der Satz des Grundgesetzes über Familie und Ehe niemals eine nur rhetorische Floskel gewesen, ebensowenig wie die anderen Sätze, die von Freiheit für Wort und Schrift und Bild sprechen.
Schließlich darf ich daran erinnern, daß es nicht zuletzt auch wir Sozialdemokraten gewesen sind — und weiter sein werden —, die durch unseren Kampf um eine fortschrittliche Lohnpolitik, Sozialpolitik und Wohnungspolitik mehr für die Festigung und Erhaltung der deutschen Familie getan haben als manche Sonntagsredner.
Gewiß, es gibt Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Es gibt auch beim deutschen Film Auswüchse. Ich meine jene Klatschberichte über das Leben reklamesüchtiger Filmgrößen. Gegen solche unschöne Randerscheinungen hat aber z. B. schon unser früh verstorbener Freund Karl Brunner von der Tribüne dieses Hauses Stellung genommen und ist dagegen schon zu Felde gezogen, ehe der Herr Wuermeling den grotesken Einfall hatte, sich mit dem Film zu beschäftigen.
Wir haben aber niemals verallgemeinert, meine Damen und Herren. Wir haben nicht den Film als Ganzes zum Prügelknaben gestempelt. Wir haben auch den am Film tätigen Menschen das Recht auf Privatleben gelassen. Die meisten von ihnen und die besten unter ihnen arbeiten übrigens hart an ihrem Werk.
Daß Filmleute für die Presse interessant sind — ebenso interessant wie z. B. Politiker einschließlich der Bundesminister —, steht auf einem anderen Blatt, wobei allerdings bemerkt werden muß, daß die ersteren für die Presse meist ergiebiger sind als die anderen, weil sie in der Regel — ich unterstreiche: in der Regel — schöner sind an Gestalt und Angesicht.
Auch beim Film werden mitunter mit schmutzigen Dingen Geschäfte gemacht.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben diese Gesellschaftsordnung nicht erfunden,
in der man aus Dreck Gold preßt.
Schließlich ist es doch Ihre Auffassung, daß alles in der Welt und in der Wirtschaft dem Liberalismus unterworfen sein soll.
Aber es geht dem Bundesminister Dr. W u er m e1 i n g ja nicht um den Film, er sucht doch nur nach Argumenten für seine Bestrebungen, und diese Bestrebungen sind dunkler, sehr dunkler Art.
Indem der Herr Bundesminister Wuermeling den Film zu kastrieren versucht,
indem er ihm ein Thema zu entziehen trachtet,
führt er einen Angriff auf die Freiheit des Geistes und des künstlerischen Schaffens.
Wenn Ehe- und Familienprobleme nicht mehr behandelt werden dürfen, wird dem Film ein Teil seiner geistigen Substanz entzogen. Die Künstler aller Zeiten und Völker haben nicht nur das Durchschnittsschicksal dargestellt, es reizte sie die Gestaltung des Ungewöhnlichen, des Tragischen und des Problematischen. Das war so von Sophokles bis Shakespeare und Goethe,
das war so von Schillers „Luise Millerin" über Ibsen, Strindberg und Hermann Bahr bis in unsere Zeit.
Wenn die Grundsätze des Herrn Dr. Wuermeling allgemeine Geltung erhalten sollten, dann dürften z. B. auch Mozarts „Figaro" und sein „Don Giovanni" nicht mehr aufgeführt werden, dann müßte nicht nur der Film, dann müßte jede Form der Kunst verdorren. Dann kommt als nächstes der Zwickel beim Badeanzug,
dann kommt der Protest gegen unbekleidete Darstellungen in der bildenden Kunst, und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis in jedem Druckerzeugnis jede Zeile nachgeprüft werden muß, ob sie nicht eine erotische Andeutung enthält.
Dann müßte unser Kulturleben — und beim Film würde dies den Anfang nehmen — auf das Niveau einer Courths-Mahler oder auf die verlogene Moral der „Gartenlaube" absinken.
Dann würde der Film nur noch grün sein wie die Heide oder rot wie die Heide oder blau wie die Heide.
Aber dann, meine Damen und Herren, würden wir beim Film im Inland eine Pleite erleben, und im freien Ausland würde er unverkäuflich werden. Für diese Dinge sollte sich eigentlich auch einmal der Herr Bundeswirtschaftsminister interessieren, wenn er zufällig einmal im Lande ist.
Meine Damen und Herren, man soll doch nicht so zimperlich sein!
Gerade jene, die soviel von „Volksnähe" schwätzen, sollten sich doch einmal überlegen, daß es in gewissen Teilen unseres deutschen Sprachbereiches die Sitte des Fensterlns schon gegeben hat, ehe noch der Film erfunden war.
Das deutsche Volk ist deshalb nicht zugrunde gegangen, es hat rustikalen Sitten zum Trotz aus unserem Landvolk immer noch die besten Kräfte gesogen.
Herr Bundesminister Wuermeling fordert für die Vergabe von Staatskrediten an den Film die Anlegung nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch staatspolitischer Gesichtspunkte. Wir sind begierig, von der Bundesregierung zu erfahren, welcher Art diese Gesichtspunkte sind. Wir sollten gewarnt sein, meine Damen und Herren. Es gibt abschrekkende Beispiele. Man denke an die Nazizeit mit I dem Prädikat „staatspolitisch wertvoll", einem Prädikat, das wahren aufrichtigen Demokraten gleichbedeutend mit der Qualifikation eines schlechten Films sein sollte. Aber wir brauchen gar nicht in die Ferne zu schweifen,
sondern brauchen nur in die Gegenwart zu blikken. Denken wir an die in der Sowjetzone hergestellten deutschen Filme. Diese entsprechen in vieler Hinsicht durchaus dem Moralbegriff des Herrn Dr. Wuermeling.
In ihnen werden die Menschen mit bedeckten Beinen und mit hochgeschlossenen Russenblusen gezeigt, und das Aktivistenpärchen darf sich erst
einen Kuß geben, wenn es sein Übersoll erfüllt hat.
Solche Filme müßten im Sinne des Herrn Dr. Wuermeling sehr moralisch sein. Dabei sind sie doch im höchsten Grade unmoralisch vom Standpunkt der Demokratie.
Herr Wuermeling fordert die „Volkszensur". Was stellt er sich darunter vor? Wir wünschen von der Bundesregierung Aufklärung darüber, was darunter zu verstehen ist. Wir erklären: Zensur bleibt Zensur, auch wenn man das Wörtchen „Volks" voransetzt. Wir wenden uns gegen die Tendenz, die in den Äußerungen des Herrn Bundesfamilienministers zum Ausdruck kommt. Wir wenden uns gegen die Kulturreaktion, die darin anklingt. Indem wir diese Frage bei dem konkreten Anlaß zur Sprache bringen, wollen wir ihren Anfängen wehren.
Die Freiheit der künstlerischen Betätigung muß gewahrt bleiben, auch soweit es sich um den Film handelt, auch die Freiheit der Themenwahl. Einziger Maßstab darf sein, ob ein Werk an Gehalt und Darstellung künstlerisch wertvoll ist. Wenn es gilt, die Jugend vor vorzeitiger Beschäftigung mit Problemen zu bewahren, für die sie die Reife noch nicht besitzt, dann vertrauen wir darauf, daß die 7 Theologen in der Filmselbstkontrolle, die 14 Hausfrauen, die 20 Schriftsteller und Journalisten, die 4 Juristen, die 7 Lehrer und all die anderen, von denen wir annehmen, daß sie sehr viel Sinn für Moral und christliche Ethik besitzen, genügend Verantwortungsbewußtsein haben, das sie die entsprechende Bewertung finden läßt. Dabei bin ich mir der Problematik durchaus bewußt, die darin besteht, daß bei Klassifizierungen wie „Jugendverbot" ein Anreiz vorhanden ist, der oft dazu führt, das Verbot zu übertreten. Wir sind deshalb der Meinung, daß der Herr Familienminister sich ein anderes Betätigungsfeld aussuchen sollte. Die Tatsache, daß jemand auf Grund des Systems des politischen Blind- und Blockbuchens zum Minister bestellt worden ist, beweist noch lange nicht, daß er zum Filmkritiker berufen ist. Was wir brauchen, ist eine sachkundige und nicht eine unsachgemäße, aus reaktionären Motiven erfolgende Kritik am Film. Was wir brauchen, ist die stärkere Förderung des guten, des hochwertigen Filmes.
Aber das ist eine Aufgabe, für die der Herr Bundesminister für Familienfragen weder zuständig,
noch in der Sache kompetent ist. Darum rufen wir
ihm zu: Hände weg vom deutschen Film und von der deutschen Kultur!