Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ehlers: Zur Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU/CSU hat das Wort der Abgeordnete Winkelheide.
Winkelheide , Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen muß als ein Teilstück der sozialen Neuordnung gewertet werden. Diejenigen, die für den Aufbau der sozialen Sicherheit vorwiegend auf dem Prinzip der Selbstverwaltung und der organisierten Selbsthilfe eintreten, stehen immer wieder den eindeutigen Bestrebungen gegenüber, die soziale Sicherung durch Stärkung der staatlichen Allmacht im Sinne der Staatsversorgung zu erreichen. Das hat die Diskussion um das Kindergeld
vier Jahre hindurch bewiesen, und das beweist auch der vorliegende SPD-Gesetzentwurf. Darüber hinaus meinen sehr viele — das kommt in sehr vielen Zuschriften zum Ausdruck —: Was wir heute ganz und gar nicht gebrauchen können, ist eine neue Rentnerschicht, die Kinderrentner, und eine neue Bürokratie, die Kinderhilfsbürokratie. Ich möchte hier das Wort des Herrn Professors Mackenrodt zitieren, der da sagt: Der Familienlastenausgleich ist die sozialpolitische Großaufgabe des 20. Jahrhunderts, und die Familie muß wieder Objekt der Sozialpolitik von heute werden. Von diesem Grundgedanken haben wir uns in der CDU/CSU-Fraktion im alten wie im neuen Bundestag leiten lassen, und deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf vorgelegt.
Warum erstreben wir die Zahlung des Kindergeldes? Das elementare Existenzminimum kann nicht die Norm für den Lebenszuschnitt einer Familie, erst recht nicht einer Mehrkinderfamilie sein. Die Mehrkinderfamilie wird sozial in die Ecke gedrückt. Der wirtschaftliche Lebenszuschnitt ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Deshalb muß — und da gehe ich mit Herrn Professor Schellenberg einig — die soziale Gerechtigkeit das Ziel aller Bemühungen sein. Der Familienlastenausgleich, so wie wir ihn erstreben, hat nur den einen Sinn, die soziale Deklassierung der Mehrkinderfamilie abzustellen bzw. zunächst zu mildern, nicht schlecht und recht Kindergeld zu zahlen. Wir wollen uns darüber klar sein: Das Ja und Nein zum Kinde wird nicht vom Kindergeld bestimmt, sondern letzthin durch das Bild, das die Eltern von der Familie haben. Die hohe Wertung der Mehrkinderfamilie soll keine Herabsetzung der kinderlosen oder kinderarmen Familie sein. Andererseits gibt es auch in der Frage des Familienlastenausgleichs keinen Ohne-mich-Standpunkt.
Der vorliegende Entwurf der CDU/CSU-Fraktion baut auf folgenden Grundprinzipien auf.
Erstens. Wir vertreten die Auffassung, daß der Unterhaltspflichtige, besser ausgedrückt der Ernährer oder die Ernährerin der Familie, das Kindergeld dort empfängt, wo er für ihren Lebensunterhalt den Arbeitslohn, die Rente, die Versorgung oder die Fürsorge erhält. Dasselbe gilt auch für die Arbeitslosen. Nur bei Krankheit muß eine Ausnahme gelten, damit das Kindergeld unter allen Umständen weitergezahlt wird. Diese Regelung ist subsidiär, verbürgt eine einfache Verwaltung, ist sehr volksnah, einfach und klar.
Zweitens. Wir lehnen den Staat als Träger ab, weil innerstaatliche Gruppen wirklich in der Lage sind, die Aufgabe in eigener Organisation und Selbstverwaltung durchzuführen. Wir lehnen den Staat als Träger ab, weil dann die Familie in sehr bedenklicher Nähe der politischen Machtsphäre den wechselnden politischen Mehrheitsverhältnissen ausgesetzt ist.
Der Staat möge durch die Steuererleichterungen helfen, sonst aber die Eigeninitiative der kleineren Familien sich entfalten lassen. Als Träger sieht unser Entwurf nicht nur die Berufsgenossenschaften, sondern auch die Berufsverbände und andere Einrichtungen vor.
Drittens. Wir möchten auch keinen Unterschied machen zwischen den Arbeitnehmern und den Selbständigen. Darum ist in unserem Entwurf der Bogen der Berechtigten, die Kindergeld erhalten, sehr weit gespannt; ja, es werden sogar die freien Berufe eingeschlossen. Denn die soziale Not ist in manchen Mehrkinderfamilien der freien Berufe größer als in manchen Arbeitnehmerfamilien.
Viertens. Wir möchten das Kindergeld erst vom dritten Kind ab zahlen. Hierbei spielt der Grundgedanke eine große Rolle, daß nicht die Eigenverantwortung der Familie ganz erschlagen und die Verantwortung auf andere abgewälzt wird. Die Mehrkinderfamilie ist nicht mehr das Übliche, sondern das Außergewöhnliche. Für das Außergewöhnliche wollen wir etwas tun. Es soll denen geholfen werden, die sozial in die Ecke gedrückt sind. Wenn das auch nicht 13, sondern nur 1,8 Millionen Kinder sind, so haben gerade sie diese Hilfe verdient. Erhebungen haben ergeben, daß die Mehrbelastung mit dem dritten Kind beginnt — Wohnung, Kleidung —, weshalb es besser ist, denen einen spürbaren Ausgleich zu geben, die es am nötigsten haben, als die Erst- und Zweitkinder sofort einzubeziehen und das Geld, das ja auch nicht in dem Maße vorhanden ist, vertropfen zu lassen.
Der vorliegende Entwurf der CDU/CSU-Fraktion hat eine klare Gliederung. Er ist in acht Abschnitte eingeteilt. Ich möchte ihn nur nach der funktionellen Seite hin erläutern.
Erstens. Bei jeder Berufsgenossenschaft, den 37 gewerblichen und den 18 landwirtschaftlichen, wird eine Familienausgleichskasse errichtet. Die Organe der Selbstverwaltung, die bereits bei den Berufsgenossenschaften vorhanden sind, sollen diese Aufgabe mit übernehmen, weil wir der Meinung sind, daß diese Aufgabe auch in echter Mitverantwortung, Selbstverwaltung und sozialer Mitbestimmung gelöst werden soll, was beim Finanzamt nicht der Fall ist.
Zweitens: Auf Antrag der Berechtigten — die Berechtigtengruppe ist in § 1 unseres Entwurfes umschrieben, der auch die freien Berufe einbezieht; es gibt keine andere Institution unserer sozialen Verwaltung als die Berufsgenossenschaften, die 97 % der Erwerbstätigen umfassen —, auf Antrag dieser Berechtigtengruppe wird das Kindergeld vom dritten Kind ab in Höhe von 20 Mark gezahlt. Es ist steuerfrei und soll so lange gezahlt werden, wie die Ausbildung des Kindes dauert.
Drittens. Die Auszahlung des Kindergeldes regelt die Satzung. Prinzip soll sein, daß es, wo eben möglich, im Betrieb ausgezahlt wird. In den anderen Fällen kann die Satzung bestimmen, daß bei kleineren, handwerklichen Betrieben usw. die Familienausgleichskasse das Geld auszahlt. Der Rechtsanspruch richtet sich aber immer gegen die Familienausgleichskasse.
Viertens. Die Beiträge zahlen der Arbeitgeber, die Selbständigen sowie die Angehörigen der freien Berufe. Die Umlage erfolgt durch den Vorstand der Familienausgleichskasse bzw. durch die Vertreterversammlung. Hier haben wir der Selbstverwaltung unser größtes Vertrauen geschenkt. Man soll der Selbstverwaltung das Vertrauen schenken, daß sie den gerechten Maßstab findet, gleichgültig, ob sie nun die Umlage an die Lohnsumme anhängt oder ob sie die in dem Berufszweig oder in der Berufsgenossenschaft erforderliche Umlage durch Kopfbeiträge aufbringt. Nur die Landwirtschaft macht nach unserem Gesetzentwurf eine Ausnahme. Bei ihr wollen wir nur ein Drittel der erforderlichen Summe durch Bei-
träge erheben, einmal weil der Kinderreichtum in der Landwirtschaft groß ist und zweitens auch deshalb, weil die Dritt- und Mehrkinder aus der Landwirtschaft wieder in die Industrie abwandern. Die Industrie hat sich bereit erklärt, die Mehrkosten, also die zwei Drittel, mitzuübernehmen und zu zahlen. Das ist nicht nur ein Entgegenkommen gegenüber der Landwirtschaft, sondern das bringt auch eine gerechte Verteilung.
Fünftens. Für diejenigen Einrichtungen, die heute schon bestehen — z. B. bei Kohle, Chemie, Hessische Steine und Erden, Reedereien und einem Teil der Brauereien —, gilt folgende Regelung. Sie können einen Ausnahmeantrag nach § 27 unserer Vorlage stellen, sie können also von der Anwendung der Vorschriften dieses Gesetzes ausgenommen werden und können ihre geschaffenen Einrichtungen weiterführen. Auf der Ebene der Berufsgenossenschaften müssen sie sich allerdings am Ausgleich beteiligen.
Sechstens. Alle Familienausgleichskassen werden in einem Gesamtverband zusammengefaßt. Dort soll ein Verwaltungsausschuß fungieren, der neun Mann stark ist und der den Ausgleich in der Spitze festlegt. Seine einzelnen Aufgaben gehen aus der Vorlage hervor. Zuständig für Streitigkeiten, die sich eventuell ergeben, sind die Sozialgerichte.
Das Inkrafttreten des Gesetzes beschließt der Bundestag. In unserem Gesetzentwurf befindet sich hier allerdings ein kleiner Schönheitsfehler; es steht da, daß die Bundesregierung den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes beschließt.
Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist ein Kern- und Richtgesetz, so möchte ich sagen. Für I) die Arbeitslosen muß das AVAVG geändert werden, damit auch für sie das Kindergeld ab drittem Kind weitergezahlt wird. Es würde sich empfehlen, auch die Fürsorgesätze nach dem Versorgungsgesetz, nach denen heute bereits Kindergeld gezahlt wird, nach der Seite hin zu überprüfen, ob die Höhe des Kindergeldes ab drittem Kind auch 20 DM erreicht, damit in allen Gesetzen dieser Grundsatz — ab drittem Kind — verwirklicht ist. Die Leistungen aus diesem Gesetz müssen aber im Zusammenhang mit der Steuergruppe III und den geplanten Erhöhungen der Freibeträge gesehen werden; beides wirkt letzten Endes zusammen.
Zum Schluß habe ich die Bitte, in diesem vorliegenden Gesetzentwurf nicht der Weisheit letzten Schluß zu sehen. Man kann sich über Formulierungen unterhalten, und man kann das eine oder andere verbessern. Wünsche werden aber immer offenbleiben. Ich möchte aber einen Gedanken herausstellen. Es darf nicht wieder so sein, daß die Frage zwischen diesen beiden Mühlsteinen — der Auffassung der SPD und der Auffassung unserer Fraktion — zerrieben wird und die Auswirkungen zuungunsten der kinderreichen Familien gehen. Ich möchte sagen, daß unser Gesetzentwurf finanziell unterbaut und seine Durchführung möglich ist, wogegen die Forderungen, die die SPD mit ihrem Entwurf an den Staat richtet — darauf wird mein Kollege noch zu sprechen kommen —, einfach unerfüllbar sind.
Darum möchte ich das Hohe Haus bitten, diesen Entwurf schnell zu verabschieden. Wer schnell gibt, gibt doppelt.
Dann ist auch sichergestellt, daß diese Regelung Aussicht auf Erfolg hat.
Darum beantrage ich, daß dieser Gesetzentwurf
dem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen wird.