Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Gesetzentwürfe, die uns am heutigen Vormittag beschäftigen, gehen in ihrer Anlage, in ihrer Konzeption von zwei grundverschiedenen Auffassungen aus. Das hat auch schon mein Kollege Winkelheide bei der Begründung unserer Vorlage deutlich gemacht. Ich glaube, es kann heute morgen nur unsere Aufgabe sein, uns, frei von Polemik irgendwelcher Art, ganz nüchtern und sachlich mit den Grundfragen zu beschäftigen, die diese Gesetzentwürfe enthalten. Deshalb bin ich auch der Meinung, daß es wirklich keinen Zweck hat, uns jetzt darüber auszulassen, wem nun bei der Erörterung dieser Frage im vergangenen Deutschen Bundestag der Primat zukomme. Wenn wir schon davon sprechen wollten, müßte ich darauf hinweisen, daß unsere Fraktion bereits im November 1949 einen Antrag gestellt hat, der von der Regierung eine solche Gesetzesvorlage forderte und auch angenommen worden ist.
Ich wiederhole aber meine Meinung, daß wir uns nicht weiter in solchen Erörterungen ergehen sollten.
Ich will mich nur mit einigen wenigen Fragen aus dem SPD-Entwurf befassen. Lassen Sie mich aber gleich in ein paar Sätzen zu dem Problem Stellung nehmen: vom zweiten oder vom dritten Kind an? Wenn wir uns bei der Einführung dieser Regelung dazu entschlossen haben, mit dem dritten Kind zu beginnen, so liegt der Grund entscheidend und wesentlich darin, daß unsere Tarifverträge auf dem Leistungslohn basieren und daß man immer davon ausgegangen ist und auch heute noch davon ausgeht, der Leistungslohn müsse der sogenannten Normalfamilie, also einer Familie mit zwei Kindern, das Existenzminimum sichern. Ich glaube, wir tun den Tarifpartnern, vor allen Dingen also den Gewerkschaften, auch einen Dienst, wenn wir hier das Prinzip des Leistungslohns in der von mir umschriebenen Bedeutung zugrunde legen. Deshalb können wir mit gutem Gewissen erst mit dem dritten Kind beginnen. Man mag die Entwicklung abwarten und Erfahrungen sammeln, und dann kann man sich zu gegebener Zeit den Kopf darüber zerbrechen, ob eine Ausdehnung vorgenommen, also meinethalben vom zweiten Kind an Kindergeld gezahlt werden soll, oder was sonst an Verbesserungen eingebaut werden kann. Zu der Frage zweites Kind bzw. Leistungslohn wollte ich nur so viel kurz bemerken.
Der Kollege Schellenberg hat nun bei seiner Begründung darauf hingewiesen, daß der SPD- Entwurf die Durchführung der Zahlungen von Kinderbeihilfen an die Finanzämter bindet, weil, wie er sich ausgedrückt hat, die SPD keinen zu- sätzlichen größeren Verwaltungsapparat will.
Demgegenüber darf ich nochmals unterstreichen, was Kollege Winkelheide gesagt hat, und im einzelnen folgendes betonen. Wer glauben wollte, die Durchführung durch die Finanzämter würde keine Erweiterung des Verwaltungsapparates bedeuten, ist sehr im Irrtum.
Wir wissen doch, wie sehr die Finanzämter heute schon belastet sind,
daß sie mit den Arbeiten, die ihnen obliegen, schon heute erheblich im Rückstand sind. Ich brauche vor Ihnen darauf im einzelnen gar nicht einzugehen. Wer aber dann glauben wollte, das dort vorhandene Personal -- oder auch mit geringen Zusätzen --- sei in der Lage, zu aller sonstigen Arbeitslast auch diese sehr wesentliche zusätzliche Belastung an Arbeit zu tragen, und man könne deshalb auf diesem Wege etwa billiger wegkommen als bei der Durchführung durch die Berufsgenossenschaften, der irrt sich. Letzte zahlenmäßige Nachweise dafür kann man natürlich im Augenblick nicht liefern.
— Ihr „Aha", Herr Kollege Richter, verfängt nicht. Wir haben diese Frage in Gesprächen auch mit Verbänden der Berufsgenossenschaften sehr eingehend erörtert. Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften hat uns mehr denn einmal dargetan, nach allen eingehenden und gründlichen Überlegungen könnten diese Arbeiten ohne einen nennenswerten zusätzlichen Verwaltungsapparat durchgeführt werden, weil die Grundlagen dafür in der Organisation und der Praxis der Berufsgenossenschaften eigentlich schon weithin gegeben seien.
— Bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ist die Situation zugegebenermaßen etwas anders.
Wir glauben aber, daß auf der Grundlage unserer Konzeption bei gutem Willen auch auf der Seite der landwirtschaftlichen Organisationen bzw. Berufsgenossenschaften sehr wohl eine vernünftige Durchführungsmöglichkeit im Sinne unserer Überlegungen gegeben ist.
Wir lehnen also aus den Gründen, die Herr Kollege Winkelheide dargetan hat, die Durchführung durch die Finanzämter ab. Ich weiß aber auch nicht, meine Damen und Herren, warum Sie immer solche Bedenken dagegen haben, diese Dinge in die Verantwortung der Selbstverwaltung, also die Durchführung in die Hände der an der Selbstverwaltung beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu legen.
Wenn wir in der Nachkriegszeit darangegangen sind, den Grundsatz der Selbstverwaltung wieder stärker zur Geltung kommen zu lassen, und ihn auch in der Sozialversicherung durchgeführt haben, und wenn wir davon sprechen, daß auch im übrigen, z. B. in der Frage der üiberbetrieblichen Mitbestimmung, die Sozialpartner, also die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wirklich zu verantwortlicher Zusammenarbeit kommen müssen, ja, warum denn hier von vornherein ein solches Mißtrauen gegen die Durchführung dieser Aufgabe durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Warum muß man denn von vornherein sagen, bei einer Auszahlung durch die Betriebe liege die Gefahr darin, daß der Arbeitnehmer nach dieser oder jener Seite benachteiligt werden könnte?
Warum unterstellt man den Arbeitgebern von
vornherein, daß sie mit dieser Sache in nicht gerade korrekter Weise umzugehen beabsichtigten?
Wir haben bei der Vorlage unserer Konzeption größeres Vertrauen in die Durchführung durch die Selbstverwaltung auch auf diesem Gebiet,
und wir wehren uns bis zum Beweis des Gegenteils mit aller Energie dagegen, daß man die Durchführung durch die Selbstverwaltung in dieser Weise abzutun versucht.
Nun noch ein paar Worte zur Kostenfrage. Der Herr Kollege Schellenberg hat uns hier seine Rechnung aufgemacht. Ich konzediere, daß man hier in der Tat teilweise nur mit Schätzungen arbeiten kann. Das gilt besonders von dem Beitrag von 0,5 v. H., den die Selbständigen leisten sollen. Der Herr Kollege Winkelheide hat darauf schon hingewiesen. Nach einem vor einigen Tagen im Bulletin erschienenen Artikel beläuft sich die GesamtBruttolohnsumme im Jahre 1953 auf etwa 58,5 Milliarden DM.
Wenn man das zugrunde legt, ergibt sich etwa folgendes Bild. Der Herr Kollege Schellenberg hat dargetan, daß der SPD-Entwurf eine Gesamtaufwendung von rund 1,4 Milliarden DM erforderlich mache; das dürfte etwa stimmen. Wenn man von 1 0/o der Lohnsumme ausgeht, sind rund 590 Millionen DM an Beitragseingängen von dem Gesamtaufwand abzusetzen. Wenn man noch eine Kleinigkeit hinzurechnet, die sich nicht exakt angeben läßt — Herr Kollege Schellenberg hat von etwa 60 Millionen DM gesprochen, die an Beitragsaufkommen durch die Selbständigen hinzukämen; die Berechnungen, die die Regierung angestellt hat, gehen von einer nicht so hohen Summe aus —, und wenn man annimmt, daß das Gesamtbeitragsaufkommen sich um 600 Millionen DM bewegt, sind immerhin noch annähernd 850 Millionen DM aufzubringen. Weiter ergibt sich durch die Steuerfreiheit, die den Kinderbeihilfen eingeräumt werden soll, und die einzuräumende Absetzungsfähigkeit für gezahlte Beiträge nach vorsichtiger Berechnung der Regierung ein Ausfall von insgesamt rund 400 Millionen DM. Man muß also den staatlichen Zuschuß, wenn man die Steuerausfälle mit einbezieht, insgesamt auf ca. 1,2 Milliarden DM
beziffern. Wer hier in diesem Saale könnte glauben, daß ein solches Verlangen bei der gegenwärtigen Finanzsituation, bei der Anspannung unseres Etats, bei der großen Sorge, die wir uns um die Ausbalancierung des Etats haben machen müssen und entscheidend in der nächsten Woche werden machen müssen, durchführbar ist? Wie kann man auf der einen Seite fordern, daß die Auszahlung der Kinderbeihilfen mit Beschleunigung erfolgt, und auf der anderen Seite Deckungsvorschläge machen, die bei realer, nüchterner Abwägung der Tatsachen einfach nicht durchführbar sind! Unsere Konzeption geht von der Bereitschaft aus, die die Wirtschaft ausgesprochen hat. Dabei geht die gesamte Beitragslast auf die Wirtschaft über, und die finanzielle Durchführbarkeit — ohne solche Schwierigkeiten, die bei der Bindung an den Bundeshaushalt entstehen müssen — ist von vornherein garantiert.
Unsere Vorlage verlangt keinerlei Bundeszuschüsse. Wenn wir die Steuerausfälle, die für den Bundeshaushalt bei der Befreiung entstehen, auf rund 255 Millionen DM beziffern, dann ist das nach meinem Dafürhalten immerhin schon ein recht beachtlicher Beitrag, den der Bund für die Durchführung der Zahlung von Kinderbeihilfen leistet.
Ich will damit abschließen und mich nicht weiter auf die Ausführungen einlassen, die Herr Professor Schellenberg eingangs gemacht hat, als er glaubte, die angebliche Unzulänglichkeit der steuerlichen Berücksichtigung kinderreicher Familien dartun zu müssen. Ich möchte mich auf die Feststellung beschränken, daß nach unserer Überzeugung das, was in den Steuervorlagen, die demnächst hier zu beraten sind, an weiterer Vergünstigung insbesondere für die kinderreiche Familie enthalten ist, einen sehr beachtlichen und wesentlichen Fortschritt darstellt, der um so höher zu bewerten ist, als er in einer finanziell so schwierigen Situation, in der wir nun einmal sind, zugestanden wird. Darüber zu diskutieren, wird demnächst Gelegenheit sein, wenn diese Vorlagen hier zur Beratung stehen werden.
Ich möchte mich nur dagegen wehren, daß man im Zusammenhang mit der Diskussion über die Kinderbeihilfen bzw. die Familienausgleichskassen die Tatsachen, die nun durch diese Steuerreform für die kinderreichen Familien gegeben sind, so verkleinern, ja fast als nicht vorhanden bezeichnen möchte. Wir haben das allergrößte Interesse daran, denen, die es betrifft, sehr klar und deutlich vor Augen zu führen, daß hier in der Zusammenwirkung einmal durch die Steuerermäßigungen, zweitens durch die Familienausgleichskassen im Interesse unserer kinderreichen Familien ein Schritt nach vorwärts getan wird, auf den wir in der Tat stolz sein können.